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Melanie Körner möchte in ihren Erzählungen Frauen in vergleichbaren Situationen vermitteln, dass jeder Mensch die Chance zu einem Neubeginn hat. "Verluste werden tragbar durch das Bewusstsein, dass Du die Freiheit und Energie hast Neues jederzeit zu beginnen" Kristiane Allert-Wybranietz Dieser Roman ist die Kurzform und die Nacherzählung von dem im Jahr 2000 erschienenen Erfolgstitel. Bis dass der Tod (oder die Geliebte) euch scheidet Autorin: U.K. Schuhen
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Seitenzahl: 469
Ganz schön vermessen
Viele urteilen lautstark mit gewichtiger Miene über Menschen in Situationen in denen sie selbst noch nie handeln mussten. Kristiane Allert-Wybranietz
Kreativ Forum Westerwald
Es gibt Tage im Leben, dann schaue ich gerne zurück.
Es gibt Momente im Leben, die schenken mir wahres Glück.
Es gibt Augenblicke, in denen glaube ich daran, dass ich mit der Erinnerung auch sehr glücklich sein kann.
U.K.S.
Der Inhalt dieses Romans ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Orten sind rein zufällig. Ich habe einige persönliche Erinnerungen eingebracht. Und diese aus meiner Sicht geschildert.
Wir sind Autoren, die ihrem Hobby im Jahr 1999 einen Namen gegeben haben.
Kreativ Forum Westerwald.
Wir bringen unsere Gedanken zu Papier und schreiben das alles aus Spaß an der Freude auf.
Es ist unser Bedürfnis, Sie aus dieser von Stress und Hektik geprägten Zeit für einige Augenblicke zu entführen und in unsere Werke einzutauchen.
Bereits veröffentlichte Werke erscheinen demnächst auf der Homepage des Kreativ Forums Westerwald.
www.kreativforumwesterwald.de
Sie können uns aber gern wie folgt kontaktieren:
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Freundliche Grüße von den Autoren des Kreativ Forums Westerwald
Roswitha Weber Heinz Bördner Ursula Körber-Schuhen
Melanie Körner möchte in ihren Erzählungen Frauen in vergleichbaren Situationen vermitteln, dass jeder Mensch die Chance zu einem Neubeginn hat.
Verluste werden tragbar durch das Bewusstsein, dass Du die Freiheit und Energie hast Neues jederzeit zu beginnen Kristiane Allert-Wybranietz
Dieser Roman ist die Kurzform und die Nacherzählung von dem im Jahr 2000 erschienenen Erfolgstitel
Bis dass der Tod (oder die Geliebte) euch scheidet
Autorin: U.K. Schuhen
Vorwort
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Im unerfahrenen Alter von zwanzig Jahren beneidete ich jene Frauen, welche mir reifer und klüger schienen als ich. Denn aus meiner damals sehr naiven Sichtweise heraus stellte ich mir vor, dass Frauen über 40 am Ziel ihrer Wünsche angekommen wären. Ich unterlag der wohltuenden Phantasie, dass sie nun den besinnlicheren Teil ihres Lebensweges gehen durften. In meinem damals von Stress, Unruhe und Problemen beladenen Alltag träumte ich mich oft dieser Erfüllung entgegen. Ich war bereit zu kämpfen und Leistung zu bringen. So schrieb es meine Erziehung vor. Und so stellte ich mich dieser schwierigen Aufgabe sorglos und unbefangen: Ein Haus bauen, Kinder erziehen, Berufsleben, Ehefrau und Geliebte - dies alles in einer Person. - Ja, im jugendlichen Alter von zwanzig Jahren spürte ich eine enorme Kraft in mir, welche mich zum Ziel führen sollte. ‚Später, wenn ich mal vierzig bin, dann würde ich mir Ruhe gönnen und meine Träume leben’. Denn schließlich hoffte auch ich auf Zufriedenheit, Geborgenheit, Sicherheit und Reife.
Aber in unserer Zeit bleibt dieser Traum häufig eine Illusion, von der man sich besser nicht beflügeln lässt. In den Zeiten der zunehmenden Trennungen wird dieses Bestreben nur noch wenigen Menschen zum Geschenk. Und manchmal lebt dann eine andere Frau den Traum von Deinem Glück.
Heute bin ich 45 Jahre alt. Die oben genannten Ziele habe ich erreicht. Ich habe dafür einen hohen Preis bezahlt. Doch es hat sich gelohnt. Ich werde meinen Weg gehen.
Ich schenkte meinem geschiedenen Mann meine Jugend, meine Unbekümmertheit und mein positives Denken. Ja, eigentlich auch mich selbst.
Ich liebte ihn so sehr, dass ich allen Warnungen zum Trotz einen langen, beschwerlichen Weg mit ihm ging. Aus einer mädchenhaften Verliebtheit entstand eine Beziehung, welche von vielen Ängsten geprägt war.
Eine Ehe, deren traurige Bilanz heute vier Kinder tragen müssen. Denn diese inzwischen jungen Menschen wurden durch traumatische Kindheitserlebnisse geprägt.
Ich versuchte bisher, durch mein Verständnis und meine Liebe ihre Wunden zu heilen. Manchmal ist es fraglich, ob es mir jemals gelingen wird. Vor allem aber konnte ich Ihnen nicht den Vater ersetzen.
Ich teilte mit ihm gute und schlechte Zeiten. Die glücklichen Momente genoss ich sehr intensiv. Ich ertrug seine Suchtproblematik und die damit verbundenen physischen und psychischen Übergriffe. Aber ich verzieh ihm alles aus Liebe. Denn seine sichtliche Reue nach den Grenzüberschreitungen entfachte in mir stets neue Hoffnung.
Ich ermutigte ihn immer wieder und unterstützte ihn bei der Suche nach seiner Identität. Durch meine Akzeptanz und Hilfe fand er die Erfüllung in seinem Beruf. Ich schützte ihn vor jeglicher negativer Kritik. Über die tatsächlichen Geschehnisse in unserer Ehe schwieg ich beharrlich. Ja, ich scheute keine Lüge, um ihn zu verteidigen. Mein damaliges Verhalten war bereits die verzweifelte Flucht in eine Scheinwelt. In meiner eigenen Welt spaltete ich die für mich kaum erträglichen Erlebnisse ab. Ich erlebte den Ablauf der Dinge aus meinem engen Blickwinkel heraus. So sah ich nur das, was ich gerade sehen wollte.
Ich bemühte mich wie besessen um eine bessere Zukunft und verlor mich selbst dabei. Ich setze meine Stärken unermüdlich ein und erkannte nicht, dass ich meine Schwächen permanent verbarg. Frank nutzte diese für sich und baute sein Leben darauf auf. Denn meine größte Schwäche war nun einmal er. Unsere Beziehung glich einem bösartigen Tumor, der unaufhaltsam wuchs und alle Illusionen zerstörte.
Alle Hoffnungen, Einschränkungen und Mühen waren umsonst. Unsere Ehe endete in einer Katastrophe. Dennoch möchte ich durch meine Erlebnisse den Frauen Mut zusprechen, denen scheinbar durch eine gnadenlose Geliebte des Ehemannes alle Hoffnungen, Wünsche und Träume genommen wurden. Auch die Gesundheit, Selbstachtung, die finanzielle Sicherheit, der Vater der Kinder, ja zuletzt noch das Zuhause. Gedemütigt und verletzt, gefangen in ohnmächtiger Wut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Belogen und benutzt. Das sind Emotionen, die kaum auszuhalten sind. Die Hölle auf Erden? Nein, so wollte ich nicht bis an das Ende meiner Tage leben. Und niemand muss in dieser Ausweglosigkeit verharren. Ich habe mich aufgerichtet und gefühlt, dass in mir etwas enorm Wichtiges gewachsen war: Mein tiefer Glaube an Gott und seine Gerechtigkeit.
Ich will und werde die große Trauer überwinden und meinen Tiefpunkt als Chance für einen Neubeginn sehen. Das ist sehr schwierig – aber dennoch machbar. Mein Verstand und meine Seele haben sich in gesunder Einigkeit gefunden. Und ich verzeihe den Menschen, von denen ich mich beherrschen ließ.
Den mühevollen Weg zu meiner eigenen Identität möchte ich schonungslos und offen beschreiben. Keine ‚gut gemeinten’ Ratschläge, keine psychologischen Theorien, kein Selbstmitleid trösteten mich im Sumpf des negativen Denkens. Gott schenkte mir Kraft und einen eigenen Willen. Er begleitete mich auf meinem Weg und öffnete mir die Augen für den Blick in eine reale Welt.
Es gibt sicherlich kein Patentrezept. Aber mein Schicksal ist kein Einzelfall. Dennoch sollte sich keine Frau als Verliererin fühlen, weil die Geliebte ihres Ehemannes sich nur scheinbar überlegen fühlt.
Dieses Buch beschreibt die kleinen Schritte aus einer tiefen Verzweiflung heraus. Die ersten zarten Erfolgserlebnisse bis hin zu einem hoffnungsvollen Neubeginn. Es erzählt von dem Verlust jeglichen Selbstwertgefühles bis hin zur Neufindung der Selbstachtung und der eigenen Anerkennung. Ja, sogar mit der Fähigkeit das neue, gute Gefühl zu pflegen und es zu genießen.
Dem Schreckensgespenst von einst verdanke ich heute die positive Entwicklung meines Lebens. Diese Erkenntnis wurde deutlich, als ich es endlich zuließ, die Geschehnisse auch wirklich so zu sehen. Vorher war alles demütigend und häufig nicht zu ertragen. Menschenverachtend und unwürdig. Doch heute ist meine Seele frei von allen Zwängen. Ich möchte meiner Retterin danken. Sie hat mir, ohne es zu wollen ein gutes, lebenswertes Dasein geschenkt.
Ohne ihren beharrlichen, unfairen Kampf hätte ich meine Ziele niemals erreicht. Dank ihrer Ausdauer habe ich heute Reife, Zufriedenheit, Sicherheit und Selbstwertgefühl. Ich kann mich ausruhen von den Jahren, in denen die Schmerzgrenze oft überschritten wurde.
Mit meinem ehrlichen Verständnis, meinen bitteren und guten Erfahrungen möchte ich heute meinen Töchtern und meinem Sohn all das geben, was ihnen im Zusammenleben mit ihrem Vater und dieser Frau sieben Jahre lang gefehlt hat: Ein respektvoller Umgang miteinander, Akzeptanz und Beständigkeit.
Ich habe mit meinem neuen Partner eine Hoffnung gefunden. Ich pflege diese Beziehung mit der gegenseitigen Achtung, des Respekts und des Vertrauens. Ich fand die Zufriedenheit in einer Partnerschaft, die Geborgenheit schenkt und eine gesunde Nähe zulässt. Aber dennoch die persönliche Freiheit nicht einschränkt.
Viele Frauen heißen Eva. Aber diese Worte richte ich nur an Dich.
Sieben Jahre lang hast Du feige und hinterhältig aus dem Verborgenen heraus agiert und intrigiert. Dennoch warst Du stets existent und allgegenwärtig. Meine Gefühle für dich werden niemals frei sein von negativen Emotionen.
Ich habe erkannt, dass Menschen hinter einer biederen Fassade unter dem Deckmantel der Unnahbarkeit in ihrem Schattendasein unentdeckt Intrigen vorbereiten und ausführen können. Mir fehlte es dazu stets an Raffinesse und Mut. Im Nachhinein bin ich dankbar, dass ich Deinen Machenschaften nicht gewachsen war. Denn ich kann heute ohne Bedenken mein Spiegelbild betrachten.- Du und ich haben unsere Ziele erreicht. Du lebst nun an der Seite des Mannes, um den Du ohne Rücksicht auf die Beteiligten gekämpft hast.
Ich habe in meinem Partner einen guten Freund gefunden. Er lehrte mich wieder zu leben. Nur einer hat das Nachsehen: Frank – der Vater meiner Kinder!
Ein Mann, dessen Gefühle Dir niemals ganz gehören werden. Franks Gedanken werden heimlich bei seinem Sohn sein. Er wird den Alltag mit seinen wunderbaren Töchtern vermissen. Er sehnt sich nach zwei kleinen Mädchen und einem kleinen Jungen, die wehmütig nach ihrem Großvater fragen. Er darf ihren Alltag nicht teilen. Denn Du verhinderst in Deiner Selbstherrlichkeit jegliche konstante Bindung.
Vielleicht sehen diese Kinder Dich irgendwann fragend an? Dann fordern sie Antworten auf ihre vielen Fragen! - Was wirst Du Ihnen antworten? Oder hüllst Du Dich auch dann in feiges Schweigen?
Und eines darfst Du niemals vergessen. Wenn Du in die Augen meiner Töchter oder meines Sohnes schaust, werde auch ich Dich ansehen. Du hast die Macht besessen, eine Familie zu zerstören. Aber mich wird es immer geben.
Frank blendeten Deine Versprechen auf ein ‚besseres’ Leben, welches ihm die Liebe der Zurückgebliebenen ersetzen sollte.
Doch glaube mir: ‚Gestohlenes Glück stirbt Stück für Stück!
Später - wann ist das?
29. Januar 1986
Die große Hektik im Raum lässt mich vor Erregung schneller atmen. Ich beobachte angespannt das Treiben um mich herum. Routiniert bereitet ein Operationsteam alles vor, um meinem kleinen Sohn den Start in sein Leben zu erleichtern. Und ich werde bald die Strapazen der letzten Stunden hinter mir lassen. Ich fühle mich ausgelaugt und am Ende meiner Kräfte. Der aufkommende Wirbel zeigt mir, dass der kleine Robin und ich nun bald erlöst sein werden. Ich möchte nun die letzte Hürde nehmen.
All’ die Monate habe ich mich auf diesen Augenblick gefreut. Robin, mein Wunschkind! Im Alter von nur sechzehn Jahren brachte ich Zwillinge zur Welt Zwei süße Mädchen. In meinem jugendlichen und unerfahrenen Denken fand ich dieses Ereignis einfach nur wunderbar. Ich war verliebt in meine Kinder. Aber mir fehlte jegliche Reife für diese große Verantwortung. Ich liebte es, mit den Kindern zu spielen und mir war es gleichgültig, ob unsere Wohnung aufgeräumt war oder nicht. Für mich war es nur wichtig, wenn Sonja und Nathalie fröhlich lächelten.
Frank, mein Mann schien vom ersten Tag an mit der Situation überfordert zu sein. Er verbrachte seine Freizeit lieber im Kreise seiner Freunde, auf dem Sportgelände oder wo auch immer. Sonja und Nathalie hielten mich ständig auf Trab. Wir bewohnten damals eine kleine Wohnung im Haus meiner Schwester.
Doch Schwiegermutter „ordnete“ schon bald an, dass wir ein Eigenheim bauen sollten. Selbstverständlich war ihr Wort für uns Gebot. Da unser neues Haus in unmittelbarer Nähe von Schwiegermama entstehen sollte, verbrachte Frank nun noch mehr Zeit außerhalb seiner kleinen Familie. Unsere Unterwürfigkeit gegenüber seiner Mutter wuchs mit der Abhängigkeit. Sie dachte, plante und organisierte für uns. Frank und ich wagten es nicht, dieser dominanten Frau zu widersprechen. In diesem Punkt waren wir uns einig. Schwiegermamas Wünsche waren Befehle.
Als unsere Zwillinge zwei Jahre alt waren, bezogen wir das neue Heim. Die enorme finanzielle Belastung erdrückte uns bereits vom ersten Tag an. Um unsere angespannte Lage zu entschärfen, musste ich weiterhin berufstätig bleiben. Die Kinder wurden von meiner Schwiegermutter betreut. Sie regierte unsere Ehe diktatorisch und gab zu jedem Anlass ihre Meinung preis. Doch Einfühlungsvermögen und Logik waren ihr fremd. Frank ertrank seine Unzufriedenheit im Alkohol. Seine Übergriffe mir gegenüber häuften sich. Ich wehrte mich nicht wirklich. Meist saß das Entsetzen so tief, dass ich mich außerstande fühlte, überhaupt noch zu reagieren. Ich verdrängte auch permanent die Tatsache, dass Frank bereits vor unserer Ehe die Hand gegen mich erhoben hatte. Denn er entschuldigte sich in dieser Zeit noch immer. Er flehte und beschwor mich, ihn nicht zu verlassen. Doch er vergaß seine Versprechen sehr schnell wieder. Ich wurde mehr und mehr zum Ziel seiner Aggressionen. Trank er mal vorübergehend weniger, gab ich mich gerne meinen Hoffnungen hin und vertraute auf eine bessere Zukunft.
Wir beide unterstrichen diese besseren Tage durch gemeinsame Aktivitäten. So kamen wir uns wieder näher und entflohen für einige Stunden dem schwierigen Alltag. Wir nahmen Abstand von unserer Problematik und verdrängten diese nur zu gern. Denn weder Frank noch ich wussten unsere Situation in Worte zu fassen.
Nach drei Jahren Ehe wurde ich mit neunzehn Jahren wieder
schwanger. Die Zwillinge waren recht lebhafte Kinder. Oft fühlte ich, dass ich den beiden Mädchen gar nicht gerecht werden kann. Denn ich leistete tagsüber einen Vollzeitjob in der Firma. Endlich zu Hause angekommen warteten viele unterschiedlichen Aufgaben auf mich.
Ich fühlte meine physischen und psychischen Kräfte schwinden. Mein Verstand meldete mir in immer kürzeren Abständen die Gefahren, welche der Fortbestand meiner Ehe und den damit verbundenen Belastungen mit sich bringen würden. Aber eine andere Stimme in mir dominierte sehr stark: ‚Drei Kinder würden ohne ihren Vater aufwachsen. Und da waren die Verpflichtungen gegenüber dem Haus ...! ’ Wenn ich auch in dieser Zeit Gedanken an eine Trennung hegte, verwarf ich diese sehr schnell wieder.
Ich wollte meinen Weg mit Frank gehen. Meine große Liebe würde Frank und mich irgendwann zusammenführen. Bei allem was geschah, zweifelte ich niemals an seiner Liebe zu mir. Ich wusste, dass er die Marionette seiner herrschsüchtigen Mutter war und ich wollte ihm beistehen. Ich verteidigte Frank, wann immer es notwendig war. Ich habe für ihn gelogen oder seine Eskapaden mit meist äußerst schwachen Argumenten abgeschwächt. Es ist verständlich, dass mich später niemand mehr ernst nehmen wollte.
Die Schwangerschaft und auch die Geburt der kleinen Marlene waren sehr beschwerlich für mich. Die Gewissheit, dass mein Kind im Haushalt meiner Eltern leben würde, brach mir beinahe das Herz. Aber wir waren auf meinen Verdienst angewiesen. Und Franks Mutter weigerte sich, unser drittes Kind zu beaufsichtigen. Mein Trost war, dass ich mein Baby zu jeder Zeit sehen konnte. Und an den Wochenenden würde ich es nach Hause holen. Mit der Gewissheit, dass es Marlene an nichts fehlen würde, fand ich mich irgendwann mit den Begebenheiten ab. Mir fehlte die Zeit, über einzelne Probleme nachzudenken. Ja, eigentlich bestand mein ganzes Leben aus einer riesigen Problematik.
Frank und ich verstanden es nicht, mit Nähe und Distanz umzugehen. In unserer Beziehung gab es nur schwarz oder weiß. Eine Grauzone sahen wir nicht. Entweder wir liebten oder wir hassten uns. Während der Phasen der Liebe waren wir uns so nah, dass ich oft das Gefühl verspürte, wir wären zwei ineinander verschmolzene Menschen. Niemals kam mir der Gedanke, dass Frank vielleicht anders empfinden könnte als ich.
In den Stunden der Zweisamkeit gaben wir uns alle Phantasien, die geheimen Wünsche und unsere Schwächen preis. So besaßen wir später das Wissen, mit dem wir uns in heftigen Auseinandersetzungen umso schmerzhafter verletzten. Wir beachteten absolut keine persönlichen Grenzen. Uns fehlte jede Möglichkeit zur Selbstkontrolle.
So zog die Zeit ins Land. Ich lernte nicht wirklich, mich mit meinem schwierigen Eheleben zu arrangieren. Aber die Trennung von meinem Kind belastete mich so sehr, dass ich Marlene nach Hause holen wollte. Sie war nun bereits vier Jahre alt und konnte die Kindertagesstätte besuchen. Frank versprach mir, mich in meinem Vorhaben zu unterstützen. Auch er vermisste unsere kleine Tochter sehr.
Aber Marlene wiederum litt unter der Trennung von meinen Eltern. Sie ängstigte sich in der ihr fremden Umgebung. Ich stand der Situation hilflos gegenüber. Wollte ich mein Kind in die Arme schließen, fing es laut an zu schreien. Nur in der Gegenwart von Oma und Opa fühlte sie sich sicher und geborgen. Ich weiß nicht mehr, wie ich diese schwere Zeit damals überstanden habe. Ich dachte auch nicht darüber nach, wie sehr wir meine Eltern mit unserer Entscheidung verletzten. Sie liebten unser Kind über alles und der Abschied von Marlene war sehr schmerzlich für die beiden.
Sonja und Nathalie zeigten sich über die Ankunft ihrer Schwester ebenfalls nicht erfreut. Die beiden Mädchen lebten und spielten in ihrer eigenen kleinen Welt. Diese Zweisamkeit schenkte ihnen Stärke und meiner Zuneigung waren sie sich bis dahin sicher.
So kämpfte ich mich weiterhin durch ein Leben zwischen Beruf, Haushalt, Kindern, finanziellen Sorgen und einer schwierigen Ehe. Aber mein Glaube an Gottes Güte und an eine bessere Zukunft schob alle Zweifel beiseite. Ich wollte die Realität auf keinen Fall sehen und mich ihr erst recht nicht stellen. - Wenige Wochen nach meinem 24. Geburtstag saß ich eines Morgens versonnen am Frühstückstisch. Mein Blick folgte den feinen tänzelnden Schneeflocken vor dem Fenster. Frank und die Kinder schliefen noch. Eine selten verspürte Einsamkeit trübte meine Stimmung. Mir wurde bewusst, dass ich nun seit acht Jahren verheiratet war und meine Hoffnungen sich nicht annähernd erfüllten.
Ja, meine positiven Gefühle verkümmerten langsam, aber unaufhaltsam. Ich begann nun manchmal, wie heute an diesem kalten Wintermorgen tatsächlich über mein bisheriges Leben nachzudenken.
Auch Franks Veränderung bereitete mir Sorgen. Er zeigte in den vergangenen Monaten vermehrt eine negative Gefühlslage. Bis es dann eines Tages aus ihm heraus brach. Er erzählte mir, dass sein Berufsleben ihn nicht ausfülle und er sich nur zu gerne beruflich verändern würde. Er träumte davon, im sozialen Bereich zu arbeiten. Ich hing wie gebannt an seinen Lippen und war dankbar für seine Offenheit. Ich konnte seinen Kummer nachvollziehen und suchte sofort nach einer Lösung. Ich wollte meinem Mann helfen, sich seinen Wunsch zu erfüllen. Vielleicht würde diese Form einer Veränderung unser Familienleben stabilisieren.
Ich kannte einen netten Herrn mit grauen Haaren. Ihn traf ich manchmal während meiner Pause. Diesen Kontakt wollte ich nutzen, um Frank zu helfen. Denn ich wusste, dass dieser Mann in einer nahe gelegenen Klinik als Personalchef angestellt war. Als ich bereits wenige Tage später neben ihm auf einer Bank saß, trug ich ihm ohne zu zögern mein Anliegen vor. Nachdenklich und sichtbar interessiert hörte er mir zu. Manchmal unterbrach er mich mit gezielten Fragen. Diese Reaktion ermutigte mich, ihm zu verdeutlichen, dass es wohl niemals vorher einen besseren und klügeren Mitarbeiter in dieser Klinik gab als meinen lieben Frank. Wir trennten uns mit seinem Versprechen, meine Bitte zu überdenken.
An diesem Abend sprudelte es nur so aus mir heraus. Ich erzählte Frank von meiner Begegnung und dem Gespräch. Auch er gab sich nun seinen Überlegungen hin. Frank lobte mich für meine Hilfe. Und dieses Lob warf alle bisherigen Tadel hinter sich. Damals glaubte ich an eine Fügung des Himmels. War das nicht unsere Chance?
Wenige Tage später saß ich wieder allein auf meiner Wohlfühlbank. Sie zog mich mit ihrer idyllischen Lage immer wieder während meiner Pausen an. Zufrieden lehnte ich mich zurück. Ich zündete mir eine Zigarette an und zog genussvoll daran. Mein Blick streifte die Bäume, deren Laub sich langsam färbte. Zwar schien die Sonne noch warm an diesem Tag, aber der Herbst schickte bereits seine Boten. Dennoch fing ich jeden Sonnenstrahl auf. Aber nicht nur die Natur erfreute meine Seele, sondern auch der Ausgang des Gespräches mit Herrn Bild. Mit diesem Namen stellte sich der Mann heute vor, als er mir die Hand zur Begrüßung reichte. Ebenso vertraulich verabschiedete er sich mit dem Versprechen, dass er nach Eingang der benötigten Unterlagen alles tun würde um Frank den erwünschten Stellenwechsel zu ermöglichen.
Am gleichen Abend schrieb ich eine professionelle, aussagekräftige Bewerbung für Frank. Ich suchte eifrig die erforderlichen Dokumente zusammen und hegte keinerlei Zweifel an den Worten von Herrn Bild. Frank betrachtete die Situation eher mit mehr Skepsis. Aber nur zu gern ließ er sich von meiner Euphorie anstecken.
Mein mutiges Vorgehen erwies sich als eine gute Entscheidung. Denn Herr Bild stand tatsächlich zu seinem Wort und half uns in den kommenden Wochen mit all seinen Möglichkeiten. So hielten Frank und ich schon bald die positive Nachricht in den Händen.
Frank wechselte seinen Wirkungskreis im neunten Jahr unserer Ehe. Zu Beginn musste er sehr viel lernen. Die Arbeit in einer psychiatrischen Klinik war ihm bis dahin fremd. Wenn Frank über seinen Büchern saß, mussten die Kinder leise sein. Das war für mich gar nicht so einfach. Dennoch wuchs meine Hoffnung wieder. Während dieser Zeit verzichtete Frank überwiegend auf Alkohol. Dies verringerte die Übergriffe mir gegenüber. Da dieser Beruf auch Wechseldienste vorschrieb, waren die Kinder und ich häufig allein zu Hause. Nach einem erfolgreichen Start entschied Frank sich kurzerhand zu einer Weiterbildung. Nun kam er nur noch am Wochenende nach Hause.
Mir erschien dieser Umstand überhaupt nicht tragisch. Ich pflegte meinen Freundeskreis und fühlte mich wohl dabei. Ich fand ein wenig von meiner jugendlichen Unbefangenheit wieder. Ich lernte wieder zu lachen und amüsierte mich gerne. Manchmal dachte ich, ich dürfe nun meine versäumte Jugend nachholen. Und mir tat diese Zeit so richtig gut.
Aber ich dachte nicht annähernd darüber nach, wie meine Schwiegermutter meine Aktivitäten in ihre Worte fasste. Es war mir eigentlich auch gleichgültig. Ich wollte unserer Ehe nicht schaden. Aber so sah das mein Umfeld nicht. Schwiegermutter spann ein Netz übler Intrigen. Frank glaubte ihr nur zu gern, wenn er nach Hause kam. Ich verstand ihn nicht und fand es nicht gut, mich ständig rechtfertigen zu müssen. Aber die Phantasien meiner Schwiegermutter fanden immer wieder neue Nahrung. Ja, ich ging gerne ab und an aus. Die Gegenwart meiner beiden Freundinnen erfüllte mich Frohsinn und einer lange nicht gekannten Leichtigkeit. Doch das Lachen sollte mir bald vergehen. Denn Schwiegermamas waches Auge interpretierte meine endlich gewonnene Eigenständigkeit völlig anders. Ihr waren Freundschaften fremd. Das Substantiv Geselligkeit verbannte sie aus ihrem Wortschatz. Die Mutter meines Mannes witterte die pure Sünde. Damals lächelte ich noch über ihre Sichtweisen. Doch die Zeit sollte mich lehren, dass ihre eher schmutzigen Gedanken fette Früchte trugen. Ich war jung und wollte das Leben trotz meiner vielfältigen Pflichten auch etwas genießen. Ich liebte enge Jeans und trug auch gerne einen gewagten Pulli. Auf meine kurzen Röcke wollte ich ebenfalls nicht verzichten. Dass diese mehr Bein zeigten als verdeckten, war für mich nicht tragisch. Mit einem breiten Stirnband und den tizianrot gefärbten Haaren zog ich so manchen missbilligenden Blick auf mich.
Heute weiß ich, dass mein provokantes Aussehen eine Flucht vor meinem traurigen Alltag war. Ich suchte permanent nach Aufmerksamkeit. Doch mein Wunsch nach Anerkennung blieb mir versagt. Ich sorgte lediglich für negative Kritiken.
Meine Töchter wuchsen zu hübschen jungen Mädchen heran. Da ich selbst noch sehr jung war, verband uns eher eine geschwisterliche Beziehung. – Damals war mir nicht bewusst, dass ein sechzehnjähriges Mädchen überhaupt nicht in der Lage sein kann, ohne tatsächliche Hilfe zwei Babys mit der notwendigen Fürsorgepflicht zu bewahren bzw. verwahren. Obwohl ich eine abgeschlossene Ausbildung als Kinderpflegerin vorweisen konnte, half mir mein Wissen in meinem Alltag nicht. – Solche Überlegungen kamen mir zu dieser Zeit nicht in den Sinn. Diese Erkenntnis sollte ich erst viele Jahre später machen.
Nun lebte ich eben in einer Zeit, in der eine nicht annähernd erwachsene junge Frau drei pubertierende Töchter erziehen sollte. Das sah häufig so aus, dass wir gemeinsam Musik hörten und dazu durch das ganze Haus tanzten. Oder ich stritt mit den Mädchen auf der Ebene ihres Alters.
Wenn Frank zu Hause war, verhielten wir uns ernst und zurückhaltend. Wir mussten seine Stimmungslage immer erst testen, bevor wir uns wagten zu lächeln.
Ich erkannte sehr spät, dass Franks neuer Beruf ihn völlig vereinnahmte. Er investierte sehr viel Zeit und Motivation in sein Aufgabenbereich. Aber während seiner knapp bemessenen Freizeit begann er wieder häufiger zu trinken. Folglich verfiel er wieder in seine alten Verhaltensmuster. Diese äußerten sich in haltlosen Vorwürfen, Szenen, Eifersucht und Übergriffen.
Frank fügte seinen Mädchen niemals körperliche Schmerzen zu. Und in ihrer Gegenwart hielt er sich auch meistens zurück. Es ist nicht leicht nachzuvollziehen. Aber ich fühlte mich von meinen Töchtern beschützt. Wenn Frank alkoholisiert war, vermochten auch sie mir nicht helfen. Die Kinder mussten hilflos zusehen, wenn ihre Mutter der Gewalt des Vaters nicht entfliehen konnte.
Manchmal flüchtete ich in der Nacht mit den Mädchen zu meinen Eltern, um den Übergriffen zu entkommen. Aber wir kamen immer wieder zurück, weil Frank uns im nüchternen Zustand darum bat. Dem folgten die Tage, die mich erneut hoffen ließen. Er umsorgte uns liebevoll und fürsorglich. Wenn es nicht so schlimm gewesen wäre, würde ich heute sagen: ‚Die schönsten Stunden durfte ich erleben, nachdem ich verprügelt wurde. ’ Und dennoch wogen diese Tage oder Wochen für mich alles auf.
Um Franks haltlosen Verdächtigungen und Schwiegermamas Unmut vorzubeugen, brach ich den Kontakt zu meinen Freundinnen schweren Herzens ab und verbrachte meine Freizeit zu Hause. Nun war ich abends wieder allein, wenn die Kinder schliefen. Anfangs ging ich ziellos durch die Räume. Zum ersten Mal seit all den Jahren erfüllte mich das Bedürfnis, unsere Wohnung zu verschönern. Was vorher für mich nicht wichtig war, besaß nun Priorität. Mir gefiel es, als ich meine hausfraulichen und handwerklichen Fähigkeiten entdeckte. Die Wände wurden mit neuen Tapeten versehen. Ich räumte die Möbel um und reinigte die Wohnung. Manchmal sogar bis spät in die Nacht. Aber mir war wieder nicht klar, dass ich nur die Fassade reinigte.
Meinen Töchtern gefielen die Veränderungen. Frank hingegen nahm mein Wirken nicht so wirklich wahr.
Unsere Gespräche waren eher oberflächlich. Wir unterhielten uns über die Kinder, das Haus, die organisatorischen Dinge, das Vereinsleben und nicht zu vergessen Franks Berufsleben. Für die anfallenden Arbeiten zu Hause war ich allein zuständig. Er benötigte seine Freizeit dringend, um sich und seine Interessen zu verwirklichen. Wie er mir in eindringlichen Erklärungen mitteilte, gehörte diese Selbstfindung zu seinem neuen Wirkungskreis. Er vermittelte mir immer deutlicher, dass seine berufliche Entwicklung für uns beide wichtig sei. Seine psychologischen Erkenntnisse sollten unseren gemeinsamen Weg vereinfachen. Mir fehlte zwar das logische Verständnis für seine Schilderungen, aber ich wollte ihm das mal so glauben. Also entwickelte ich meine häuslichen und handwerklichen Fähigkeiten und pflegte die Gartenanlage. Ich wusch und polierte Franks Auto. Meine Entwicklung verlief nicht schlecht und ich wurde immer ideenreicher und flexibler dabei. Frank pflegte sich und seinen Egoismus. Er trainierte seinen Körper im Fitness-Studio. Er verbesserte seinen Wortschatz und kam sich selbst dabei immer näher!
Frank sammelte viele neue Eindrücke. Er arbeitete überwiegend mit suchtkranken Patienten! Heute weiß ich, dass er schon damals wichtige Zusammenhänge für sich erkannte. Er dachte sicher über sich und sein Leben nach. Aber die Umsetzung im täglichen Leben schaffte er nicht. Schließlich musste Frank seine eigene Sucht permanent verbergen.
Frank und ich, verbunden durch die Worte des Priesters „bis dass der Tod euch scheidet“. Die Pflicht und das Bedürfnis, Mutter und Vater zu sein. Wir beide hatten Monat für Monat das Bestreben, unser Haus abzubezahlen. Obwohl wir die enorme Belastung kaum tragen konnten. Ja, die finanzielle Situation bereitete mir lange und schlaflose Nächte. Oft fuhr ich zu meinen Eltern, damit sie den Tank unseres Autos füllten und mir Lebensmittel für die kommenden Tage schenkten. Auch bat ich meinen Vater häufig um Geld. Es lag nicht daran, dass wir nicht wirtschaften konnten. Vielmehr war die Baufinanzierung für das Haus von Anfang an eine Fehlkalkulation. Es wurde Eigenkapital eingesetzt, welches wir nie besaßen. Kostenfreie Eigenleistung wurde nur zum Teil gedeckt. Von zwei Verdiensten blieb uns nur wenig Geld zum Leben übrig. Wir waren beide zu unerfahren, um diese Fehler zu korrigieren. Wir glaubten den Menschen, die uns versicherten, dass alles seine Richtigkeit hat. Und so blieb ich auch hier meiner Devise treu: Wenn das Haus irgendwann einmal bezahlt ist, dann wird alles besser!
Später, wenn ich mal 40 Jahre jung bin!
Ich war abhängig von Frank und er war abhängig vom Alkohol. Gemeinsam waren wir finanziell abhängig von unseren Müttern. Schwiegermutter beaufsichtigte die Kinder während ich arbeitete. Meine Mutter kleidete die Kinder ein und unterstützte uns materiell. Zwei Frauen, die sich ihres Stellenwertes bewusst waren. Aber für Frank, mich und unsere Kinder war der Preis dieser Hilfe sehr hoch.
Anna nahm sich grenzüberschreitende Äußerungen, Launen aller Art und Bitten, welche grundsätzlich Befehle waren, heraus. Einzelheiten möchte ich hier nicht erwähnen. Diese würden den Rahmen sprengen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich keinesfalls ‚Schuldige’ für mein Scheitern oder Franks Verhalten mir gegenüber suchte. Ich sah mich zu keinem Zeitpunkt als Opfer. Nein, ich selbst war und bin für mein Handeln und Tun allein verantwortlich. Ich trug enorm dazu bei, dass mein Umfeld sich emotional von mir zurückzog. Es gab auch genügend Freunde, die mich immer wieder darauf hinwiesen, dass ich meine Situation doch endlich einmal etwas kritischer betrachten sollte. Aber ich ignorierte konsequent alles. Gut gemeinte Ratschläge interessierten mich nicht.
Die missbilligenden Blicke und Äußerungen der Verwandten waren für mich niederschmetternd. Doch trotz aller Hinweise und Warnungen reagierte ich nicht. Ja, sogar die Tatsache, dass einige mir wichtige Menschen sich von uns distanzierten, ließen mich nicht aufwachen. Ich ging zielsicher meinen Weg und dachte: Später würde man uns akzeptieren und anerkennen. Ich würde allen Menschen beweisen, dass wir unser Leben ‚irgendwann’ in positive Bahnen lenken würden.
Franks Beruf brachte uns diesem Traum vermeintlich etwas näher. Er beschäftigte sich nun intensiv mit den psychischen und physischen Auswirkungen im Hinblick auf unsere Situation. Er erzählte mir von der Übermacht mancher Mütter. Hier sah er sogar Zusammenhänge im Hinblick auf seine eigene Mutter. Er ließ zeitweilig nicht mehr alles mit sich machen. Desto fordernder und energischer reagierte Anna. Sie wollte ihren Frank nicht loslassen. Ihr Hass richtete sich nun noch intensiver gegen mich. Sie nörgelte stets an allem was wir taten herum. Sonja und Nathalie reagierten am gesündesten. Sie blieben, während ich arbeitete lieber allein zu Hause, als sich ständig von Oma tyrannisieren zu lassen. Diese Abwehrhaltung wurde als meine schlechte Erziehung gewertet. Ich weiß heute, dass sie mir die Heirat mit Frank nie verziehen hat. An dem Tag unserer Eheschließung verlor sie vermeintlich ihren Liebling an mich. Ihre Verbitterung, ihren Ärger und all ihre negativen Grundgedanken gehörten von nun an mir. Naiv, jung und ahnungslos bot ich mich ihr als Aggressor auch permanent an. Weil ich mich nie wirklich zu wehren wusste.
Dazu muss ich sagen, in mir regte sich häufig das zermürbende Gefühl der ohnmächtigen Wut. Meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse meldeten sich unerfüllt an. Aber mir fehlte der Mut, diese auch wirklich durchzusetzen.
Ich hing bereits mit 14 Jahren wie eine Klette an Frank und er ertränkte seinen Kummer schon als Jugendlicher im Alkohol. Mein Wille war bereits gebrochen und den von Frank musste niemand brechen: Er besaß niemals wirklich Mut oder gar eine eigene Meinung! So wurden zwei junge Menschen in ein Leben ohne Fundament entlassen. Mit allen erdenklichen Defiziten. Wir wurden zwar bestens versorgt und ausgestattet, aber uns fehlte Liebe und Geborgenheit.
So taumelten wir durch ein Leben, auf das wir nicht vorbereitet waren. Frank stärkte sich mit Alkohol. Und ich begehrte auf, indem ich ständig gegen den Strom schwamm und durch Provokationen auf mich aufmerksam machte. Die Verzweiflung in unseren sensiblen Seelen sah niemand. Man unterstützte uns schließlich, wann immer uns etwas Materielles fehlte. Ich bin davon überzeugt, dass Anna unser Scheitern gern forcierte. Schließlich wollte sie immer Recht behalten. Sie gratulierte uns seinerzeit nicht einmal zu unserer Vermählung. Sie schaute uns verächtlich an und zischte nur zynisch: ‚Ihr beide kommt nie auf einen grünen Zweig’. Sie tat alles, um diese Aussage zu untermauern und uns davon zu überzeugen, dass wir ohne sie hilflos sind. Anna stellte die Weichen für den Hausbau. Sie traf alle Entscheidungen allein. Wir besaßen, wie bereits erwähnt nicht den Mut, uns dagegen zu wehren. Anna wusste genau, in diesem Moment hatte sie uns in der Hand und so war es auch. Es war nicht schwer, uns zu manipulieren. Wir waren an Gehorsam gewöhnt. Meine Mutter wollte auch keine Klagen hören. Kam ich mit sichtbaren Spuren unserer ehelichen Auseinandersetzungen, schien sie eher verlegen und ihr Trost klang so: „Das kommt auch in anderen Ehen vor. Ihr rauft euch schon irgendwann zusammen.“ Vielleicht befürchtete sie einfach nur, dass ich mit den Kindern bei ihr einziehen würde. So gab sie mir Geld statt Verständnis. Auch Franks Berufswahl wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. Mein Vater war bis zu seiner Pensionierung Beamter - also die notwendige Sicherheit!
Mein Vater begrüßte es, dass Frank nun außer der gesetzlichen Krankenversicherung auch die Zusatzversorgungskasse bediente. Das war für meine Eltern sehr wichtig. Auch Maria, meine Mutter, leistete sehr viel und wollte niemals auf ihre Berufstätigkeit verzichten. Schließlich bedeutet Geld auch Macht! Aber die verzweifelte Ohnmacht ihrer Tochter wurde niemals thematisiert. Maria suggerierte mir immer wieder ein, dass Frank mit zunehmender Reife sicher ruhiger und verlässlicher werden würde.
Doch als Frank während einem Familienfest im Hause meiner Eltern den Rahmen sprengte und meinen Vater attackierte, ja ihn sogar bedrohte, da durfte erstmalig über eine eventuelle Trennung nachgedacht werden. Meine Eltern fühlten sich vor den Verwandten bloßgestellt. Und dass unsere Ehe nicht den Normen meiner Familie entsprach, war nun für alle offensichtlich und nicht mehr zu leugnen. Die Kinder und ich blieben zu unserer Sicherheit einige Tage im Haus meiner Eltern. Vater beauftragte einen Rechtsbeistand und sicherte mir beruhigend die Kostenübernahme zu. Dies teilte er mir nüchtern und kühl mit. Doch Gespräche über wesentliche Dinge, wie zum Beispiel meine Zukunft, meine Ängste, Gefühle und die Unsicherheit meiner kleinen Kinder fanden nicht statt. Ich spürte weder Verständnis noch Mitgefühl. Tröstende Worte wären Balsam für meine Seele gewesen. Doch ich wartete vergeblich darauf. Die Kinder brachten die sterile Ordnung und den strukturierten Tagesablauf im Haus meiner Eltern völlig durcheinander. Nach wenigen Tagen kam ich mir mit meinen Kindern bereits unerwünscht vor. Außerdem quälte mich die Sorge um Frank. Er bemühte sich täglich, uns nach Hause zu holen. Aber ich durfte nicht mit ihm reden.
Ich war erleichtert, als Frank sich den Verboten meiner Eltern widersetzte und eines Abends unangemeldet vor der Tür stand. Er entschuldigte sich in aller Form und gelobte Besserung. Ich sah nur den Glanz in seinen dunklen Augen, hörte seine geliebte Stimme, spürte die Kraft seiner Arme und hing an seinen Lippen, als er mir das alte, aber schöne Lied der besseren Tage sang.
Ich sah aber auch die Erleichterung in den Augen meiner Eltern. Meine Mädchen jubelten ihren Spielsachen entgegen und ich ließ mich aus den strengen Regeln und den Zwängen meines Elternhauses glücklich in die weit geöffneten Arme meines geliebten Mannes fallen.
Ich glaubte fest daran, dass Frank aus seinen Fehlern gelernt hat. Und der Seelenfrieden meiner Eltern war ebenfalls wiederhergestellt. Ihr einziges Problem war nun wieder vierzig Kilometer weit weg und für die nächsten Tage, vielleicht auch Wochen somit nicht existent.
Frank veränderte sich in der nächsten Zeit tatsächlich. Er formulierte seine Sätze gleich einem Lehrbuch. Selbst seine Körperhaltung wirkte fremd für mich. Mein lieber Frank strebte nach Wissen und Bildung. Zu diesem Zeitpunkt eignete er sich den später für mich oft vernichtenden Zynismus an. Ich war damals 28 und Frank fast 37 Jahre alt. Meine Liebe zu ihm war wie auch unsere Beziehung grenzenlos. Ein Leben ohne Frank war für mich noch immer unvorstellbar. Wir redeten über eine bessere Zukunft und ich hoffte weiterhin auf bessere Zeiten.
Diese leichte positive Entwicklung erreichte meinen Verstand. Aber mein Körper und meine Seele nahmen diese Erkenntnis nicht mehr an. Die schmerzlichen Erinnerungen, ständige Überforderung, die schlaflosen Nächte, die stundenlangen Auseinandersetzungen, der Arbeitsalltag, die Schuldgefühle gegenüber den Mädchen, für die viel zu wenig Zeit blieb. Die finanziellen Sorgen und meine unerfüllten Träume...! Ich fühlte mich häufig unwohl, müde und kraftlos. Ich begann mich vor jedem neuen Tag zu fürchten und litt unter mangelnder Konzentration. Im Berufsleben musste ich aber gedanklich flexibel sein und überlegt handeln. Mir gelang das nicht mehr. So geriet ich mehr und mehr unter psychischen Druck. Meine Kraft und meine Hoffnung verließen mich. Übrig blieben Ängste, welche mich quälten und an der Realität vorbeiführten.
Mir blieb trotz meiner Problematik nicht verborgen, dass Frank während eines Seminars einer anderen Frau begegnet war. Seine telefonischen Kontakte mit ihr verrieten mir auch die Intensität dieser Beziehung. Doch ich spürte keinen Schmerz, keinen Zorn und keine Eifersucht. Ich hüllte mich in negative Gedanken ein und war nur noch müde. Müde von zwölf Jahren Eheleben zwischen Hoffen und Bangen. Ich stellte auf einmal so vieles in Frage. Nicht einmal meine Töchter konnten mich aufheitern. Von ihnen sprühte kein Lebensquell mehr zu mir über. Ich wollte nicht mehr kämpfen, nicht mehr beschuldigt und nicht mehr geschlagen werden.
Keine Demütigungen, keine sinnlosen Streitereien. Nein, ich wollte so nicht mehr weiterleben.
Sonja und Nathalie waren zwölf Jahre und Marlene gerade neun Jahre jung, als ich hoffnungslos versagte. Mit der Gewissheit, dass die Kinder selbständig und klug waren, traf ich eine Entscheidung. Meine Töchter würden selbstbewusst ihren Weg gehen. Ich redete mir ein, dass sie durch mein Vorhaben einer besseren Zukunft entgegensehen dürften.
An einem trüben Montagmorgen - nach einem schweigsamen, kühlen Wochenende sah ich in den Spiegel. Ich sah die frische Narbe an meiner Lippe und eine hässliche Zahnlücke. Frank hatte mal wieder die Kontrolle über sich verloren. Und ich stand ihm gerade im Weg. In meine Gedankengänge presste sich eine schmerzhafte Erinnerung. Einmal traf Franks geballte Faust mein Gesicht so unglücklich, dass mein Nasenbein brach. Ich war im fünften Monat schwanger. Gerade einmal 16 Jahre alt und mein Vergehen lag darin, dass ich die Türglocke nicht hörte, als Frank ohne Schlüssel nachts nach Hause kam. Da ich keine ärztliche Versorgung bekam sah ich an jenem Morgen, an dem ich beschloss aus dem Leben zu scheiden auch diese Spuren in meinem Gesicht. Meine Luftschlösser fielen in diesem Moment wie Kartenhäuser zusammen. Für mich gab es keine bessere Zukunft.
Am Abend zuvor suchte ich Hilfe. Ich wollte mit jemanden reden. Zuerst rief ich meine Schwester an. Da ihr gerade die Zeit für ein Gespräch fehlte, empfahl sie mir höflich, mich doch zu einem günstigeren Zeitpunkt mal wieder melden. Mein Bruder stand gerade vor einem wichtigen Termin. Aber er versprach mir ganz sicher, sich irgendwann in den nächsten Tagen einmal intensiv Zeit für mich zu nehmen. Ich ging wie betäubt zum Medikamentenschrank und nahm alle Tabletten von denen ich glaubte, sie würden mein wundes Herz zum Stillstand bringen.
Die Zwillinge waren in der Schule und Marlene spielte in ihrem Zimmer. Ich nahm sie liebevoll in den Arm und sagte ihr mit leiser Stimme, dass ich lange schlafen möchte und bat sie, mich nicht zu stören. Ich weiß nicht mehr, wie viele der bitteren Pillen ich mit fahrigen Händen auflöste. Unter Tränen trank ich die vermeintliche Erlösung. Als ich in meinem Bett lag, spürte ich ganz langsam, wie meine Seele und mein Körper sich beruhigten. Ich fühlte ein klein wenig den Frieden. Ich wollte zu meinem Gott, wo auch immer er in den letzten Jahren war. In diesem Augenblick wusste ich, ER war bei mir!
Doch ich durfte den ersehnten letzten Weg noch nicht gehen. Die resolute Entschlossenheit meiner Mutter brachte mein Vorhaben zum Scheitern. Sie wollte mich telefonisch erreichen und erfuhr von Marlene, dass ich schlafen wolle. Mutter wollte die Information meiner Tochter nicht so einfach hinnehmen. Wie sie mir später berichtete, beschlich sie eine Vorahnung. Sie versuchte immer wieder erfolglos mich zu sprechen. Meine Mutter war verunsichert und informierte meine Schwester. Sie wohnte nicht weit von uns entfernt. Ich erfuhr nie, was im Einzelnen geschehen war. Jedenfalls erwachte ich auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Man hatte mir den Magen ausgespült. - Frank saß betrübt an meinem Bett. Tränen liefen über seine blassen Wangen. Er wirkte verzweifelt und sagte leise zu mir, dass dieser Schritt keine Lösung sei. Frank sprach viel und suchte nach Erklärungen. Ihm fiel so manches ein was man sagt, wenn einem eigentlich die Worte fehlen.
Da Frank das Pflegeteam kannte, wurde ich vorsorglich isoliert. Niemand erfuhr von meinem Suizidversuch. Auch die Familie schwieg über den peinlichen Vorfall. Frank verstand es, mein Handeln als einen Unfall zu deklarieren. Er überzeugte seine Kollegen von einem nicht beabsichtigten Missbrauch von Medikamenten. Er arbeitete schließlich täglich mit psychisch kranken Menschen und fand glaubhafte Erklärungen für mein ‚Versehen’.
Frank bemühte sich erfolgreich, sein Leben in der Öffentlichkeit zu verändern. Die Maske eines Biedermannes stand ihm gut. Er trug sie stolz und selbstbewusst. Frank trank nicht mehr in Kneipen, sondern nur noch zu Hause. Ein schicker Wagen umrahmte das attraktive Bild meines Mannes und niemand erahnte diese gelungene Fotomontage.
Die Kinder und ich trugen diese zusätzlichen finanziellen Belastungen. Frank kleidete sich von nun an gut und teuer. Er beeindruckte die Menschen mit klugen Sprüchen. Diese waren psychotherapeutisch untermauert. Er fühlte sich seinen Brüdern endlich ‚gleichgestellt’.
Die Menschen im Ort, unsere Familie, unsere Freunde und alle anderen glaubten diesen aufgesetzten Schwachsinn. Frank wusste, dass ich sein Bild kritischer fixierte. Denn ich kannte ihn nun wirklich besser. Aus diesem Grund musste er sich zwangsläufig von mir distanzieren.
Frank hatte seine Ziele erreicht und ich war irgendwo stehen geblieben! Er war der bedauernswerte Mann, der sich jetzt um die Kinder kümmern musste. Er versorgte den Haushalt und ging seinem Beruf nach. Zu Hause pflegte er seine kranke Frau, von der jeder Glanz abgefallen war. Trotzdem durfte ich ihn zu verschiedenen Anlässen begleiten. Die Gastgeber bewunderten diesen selbstlosen Menschen, der seine Frau in der Öffentlichkeit stützte und führte. Frank musste nichts mehr erklären. Und ich wehrte mich nicht einmal dagegen. Ich war auf ihn und seine Gnade angewiesen. An Depressionen erkrankt wollte ich nun langsam sterben. Der ‚Fachmann’ an meiner Seite wusste schließlich, was zu tun war. Manchmal frage ich mich, ob Frank der Situation wirklich so gleichgültig gegenüberstand? Ich spürte keinerlei Mitgefühl von ihm. Vielleicht war er auch nur ratlos und konnte mir nicht beistehen. Ich würde lieber an die zweite Version glauben. Diese Variante wäre für mich erträglicher. - Krank, gedemütigt und ohne jegliches Selbstvertrauen glaubte ich nun nicht mehr daran, dass s p ä t er mal alles besser sein würde!
Aus dem Chaos sprach eine Stimme, lächele und sei froh, es hätte schlimmer kommen können. Ich lächelte und war froh und es kam schlimmer!
Nun endlich erwachten meine Eltern. Sie wurden aktiv und begleiteten mich zu Fachärzten. Ich war ihnen dankbar dafür. Sie versprachen mir, nun nicht mehr tatenlos zuzusehen. Eine Neurologin erkannte schnell, dass ich psychisch und physisch am Ende war. Mir wurde ein Aufenthalt in einer entfernten psychosomatischen Klinik ermöglicht. Solche Kliniken werden heute toleriert und akzeptiert. Auch in ländlichen Gegenden wie in unserem Dorf mit 200 Einwohnern. Dies war aber 1982 noch nicht der Fall. Damals stieß man eher auf Unverständnis und Vorurteile.
Die Klinik lag am Rande einer idyllisch gelegenen Kleinstadt. Mir gefielen die Räumlichkeiten, das Gebäude und die wunderschöne Lage. Die weiße Winterlandschaft nahe den Bergen faszinierte mich und schenkte mir angenehme Gefühle. Dennoch fiel es mir schwer, mich auf die neue Situation einzulassen. Wenn ich aus dem Fenster meines schönen Zimmers schaute oder auf dem Balkon saß, konnte ich bei klarer Sicht die Alpen sehen. Es war ein wundervoller Ausblick. Eine Zimmernachbarin bot sich gleich an, mit mir zu dem nur wenige Kilometer entfernten Bodensee zu fahren. Diesen kannte ich lediglich von Erzählungen. Aber ich konnte mir dennoch dieses unbekannte Erlebnis gut vorstellen.
Nie zuvor war ich auf diese Weise auf mich allein gestellt. Urlaubsorte kannte ich auch nicht. Was sollte ich hier mit mir anfangen? Da waren Ärzte, Pflegerinnen, Pfleger und ein Psychologe. Letzteren sollte ich nun mehrmals wöchentlich konsultieren. Ich verstand nicht so recht, was er von mir wollte. Also erzählte ich ihm auf Anfrage unbefangen meine Geschichte. Als er mich einmal vorsichtig fragte, ob ich denn mal über eine Scheidung nachgedacht hätte, reagierte ich empört und fühlte mich unverstanden und gekränkt.
Frank suchte täglich den Kontakt zu mir. Er ließ mich wissen, dass er seit meiner Abreise keinen Alkohol mehr getrunken habe. Ich glaubte ihm diese Aussage nicht wirklich. Ich fühlte mich von ihm noch in der Ferne kontrolliert und wollte mich unbedingt seinem Einfluss entziehen. Im Verlauf der Therapie wurde mir so manches deutlich. Ich lernte nette Leute kennen. Alle sprachen von einem neuen, besseren Leben nach dem Klinikaufenthalt. Ich war tief beeindruckt. Menschen mit so viel Mut und Selbstvertrauen waren mir vorher nie begegnet. Das konnte ich nicht nachvollziehen. Ich ließ mich gern von deren Euphorie anstecken. Nach vier Wochen glaubte auch ich, die Welt erobern zu können. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei. Ich hörte progressive Musik über die Freiheit und ein Leben ohne Ängste und Zwänge. Ich ging zum Friseur, kleidete mich neu ein und schwebte in einer anderen Sphäre. Ein nie vorher spürbarer Nachholbedarf breitete sich in mir aus. In diesem Tagen der Selbstüberschätzung begegnete ich Kai! Er gefiel mir auf den ersten Blick. Ich dachte mir nichts dabei, als ich eines Morgens neben ihm aufwachte. Mit ihm wollte ich ein neues, besseres Leben beginnen. Nach elf Wochen Klinikaufenthalt glaubte ich meinen Weg ganz klar vor mir zu sehen. Ich war bereit, mich von Frank trennen.
Währenddessen lebte Marlene wieder bei meinen Eltern. Die starke Bindung der ersten Jahre bestand noch immer. Zielsicher und von meinen Plänen überzeugt ging ich meinen Weg. Ich holte zuerst Marlene ab und später dann meine persönlichen Sachen in unserem gemeinsamen Haus. Frank war sichtlich erschüttert. Er wollte meinen Entschluss nicht so einfach akzeptieren. Immer wieder versicherte er mir, dass er nicht mehr trinken würde und dies nun auch bereits viele Wochen durchgehalten habe. Er verstand meine Entscheidung nicht und wollte diese auch nicht hinnehmen. Er bat mich zu bleiben. Aber mich überzeugten seine Worte nicht. Ehrlich gesagt, ich wollte sie auch gar nicht hören. Ich war besessen davon, meinen Weg mit Kai zu gehen. Franks Versprechungen kannte ich zur Genüge. Ich glaubte ihm kein Wort mehr. Schließlich musste er künftig keine Affäre mehr vor mir geheim halten. Und ich musste seine Sachen nicht mehr panisch durchwühlen, um Beweise zu finden. Eigentlich sollte er doch mit dieser Entwicklung zufrieden sein.
Die Therapie zeigte ihre Wirkung. Mein Egoismus schien erstmalig erwacht zu sein. Mein riskanter Höhenflug begann!
Frank nutzte nun seinen Vorteil und verweigerte mir den Umgang mit den Zwillingen. Aber Sonja und Nathalie wollten auch nicht von zu Hause weg. Sie sahen mich verständnislos an. Hier lebten ihre Freunde. Hier gingen sie zur Schule und hier war ihr Zuhause. Ich war enttäuscht von den beiden und ging mit Marlene zu Kai nach Hamburg. Dort bezog ich eine kleine Wohnung in seinem Haus. Da er einen eigenen Betrieb besaß, wartete bereits ein Arbeitsplatz auf mich. Ich war endlich frei. Das glaubte ich bis dahin auch wirklich. Kai war seit drei Jahren verwitwet. Seine Frau starb bei einem Autounfall und die drei kleinen Jungs lebten bei ihm. Als ich in Kai`s Haus einzog, entließ er erst einmal seine Reinigungskraft. Selbstverständlich übernahm ich auch die Arbeiten im Büro. Die Kinder mussten nicht mehr zur Tagesmutter - ich war ja da. Kai verfügte nun über eine ehrgeizige Allroundkraft. Sollte ich wirklich in meiner Verliebtheit über solche Dinge nachdenken?
Die neuen Eindrücke, die umfangreichen Aufgaben und die Großstadt schenkten mir neue Impulse. Ich kannte nur das Landleben und fand die nicht gekannten Erlebnisse prickelnd und aufregend. Kai war dienstlich oft außer Haus. Mir war das recht. Denn mein Aufgabengebiet band mich immer mehr ein. Er zahlte mir ein großzügiges Gehalt. Aber Marlene weinte viel und ihre traurigen, blauen Augen klagten mich an. Sie vermisste ihre Großeltern, die Schwestern und ihren Vater. Mir fehlte leider die nötige Zeit für mein unglückliches Kind.
Frank bemühte sich wieder einmal intensiv um eine Verbindung zu Marlene und mir. Dieses Verhalten war mir ja nicht fremd. Denn sein Lieblingsspielzeug drohte ihm zu entgleiten.
Anfangs verbat ich mir dieses Ansinnen noch. Aber schon bald fieberte ich jedem seiner Anrufe entgegen. Franks Neurosen und meine psychische Abhängigkeit malten in meinem Herzen wieder einmal die farbigsten Bildergeschichten.
Hinzu kam, dass seine finanzielle Lage sich verschärfte. Selbstverständlich machte Frank mich für seine missliche Situation verantwortlich Zu Beginn kümmerte mich das nicht besonders. Doch zunehmend wurden diese Gedanken zu einer Belastung für mich. Obwohl ich wusste, dass Frank die Unwahrheit sagte, dachte ich doch an Sonja und Nathalie. Die beiden würden unter Franks permanenten Selbstmitleid leiden. Und am Ende vielleicht seinen Aussagen noch Glauben schenken.
Frank genoss es sichtlich, sich von seiner Umwelt bedauern zu lassen. Seine Familie unterstützte ihn sehr, indem sie meine Entscheidung heftig verurteilten.
Ich hingegen verzichtete auf jeden Kontakt mit meiner Familie. Sie zeigten ebenfalls kein Verständnis für mein Handeln. Frank verstand es gut, die Menschen zu beeinflussen und zu manipulieren. Er machte sich sein erfolgreiches Studium zunutze. Das war aber auch mir nicht wirklich bewusst.
‚Eine Mutter die ihre Kinder im Stich lässt, muss zwangsläufig schuldig am Scheitern einer Ehe sein. Sicher hat eine solche Frau schon immer Prügel verdient! ’
Ich musste mir diese abstrusen Äußerungen anhören und litt erheblich darunter. Frank vergaß, unseren Bekannten gegenüber zu erwähnen, dass ich ihm einen Teil meines Einkommens überwies. Er genoss die Rolle des verlassenen Ehemannes in vollen Zügen. Deshalb verschwieg er bewusst meine monatliche, finanzielle Unterstützung. Auch dass er ständig zu mir Kontakt suchte und mich immer wieder bat zu ihm zurück zu kommen, das erwähnte er wohlweislich nicht.
So zogen drei Monate ins Land. Wochen, Tage, Stunden – in denen ich mehr und mehr begann, meine Entscheidung anzuzweifeln. Was hatte sich wirklich für mich verändert?
Ich betrachtete nun meine anfängliche Verliebtheit mit anderen Augen. Die Wärme und Geborgenheit, das unbeschwerte Leben fand ich auch bei Kai nicht. Er beanspruchte für sich eine Frau, die funktionierte. Und wieder arbeitete ich von morgens früh bis abends spät.
An einem regnerischen Morgen erhielt ich überraschend einen Anruf von Sonja. – Sie klang sehr erregt und verzweifelt und bat mich darum, nun doch zu mir zu kommen. Sie und Nathalie hielten die Situation zu Hause nicht mehr aus. Sonja teilte mir mit, dass Oma sie häufig beschimpfte. Sie seien die Töchter einer Hure. Franks jüngster Bruder habe Nathalie sogar geschlagen. Dies und vieles mehr erschütterte mein neues Leben sehr. Kurz entschlossen vereinbarte ich mit den Zwillingen, dass ich die beiden am nächsten Morgen abholen vor Beginn der Schule abholen würde.
An diesem Tag wurde mir bewusst, dass ich mein Leben wieder einmal in eine falsche Richtung gelenkt habe. Doch nun musste ich meinen Töchtern ein Zuhause geben. Vielleicht würde das Marlene helfen, endlich in Hamburg anzukommen. Später einmal fragte ich mich, wie mein Kind sich eingewöhnen und wohlfühlen sollte, wenn ich ihm etwas völlig anderes suggerierte?
Doch Nathalie und Sonja kamen nicht zu uns nach Hamburg. Frank überraschte die beiden beim Packen. Er hielt sie mit Nachdruck von ihrem Vorhaben ab. Seine Reaktion war natürlich recht heftig. Sein Anruf zerschmetterte mir beinahe das Trommelfell. Die Beschimpfungen wollte ich mir gar nicht länger anhören. Als er mir mit einem Gerichtsverfahren droht, legt ich den Hörer einfach auf.
Dass Frank seine Drohungen wahr machte, bekam ich kurze Zeit später zu spüren. – Ein Familiengericht entschied nüchtern, dass Frank das Sorgerecht für die Zwillinge erhielt. Marlene durfte bei mir bleiben. Frank und ich beachteten während dieses Verfahrens keine persönlichen Grenzen. Es begann ein schmutziger Rosenkrieg.
Mein schöner Traum von der Unabhängigkeit war ausgeträumt. Ein Leben so ganz ohne meine Zwillinge konnte ich mir nicht vorstellen. Ich vermisste sie jeden Tag mehr. Ihr fröhliches Lachen, die strahlenden blauen Augen – unsere gemeinsamen Stunden. Ich hielt diese Trennung nicht aus. Der verzehrende Schmerz und die nagende Sehnsucht nach meinen Kindern wurden immer quälender. Als Frank einige Wochen später während eines Telefonates mit Marlene ähnliche Gefühle äußerte, waren für mich die Weichen gestellt.
Alle negativen Aspekte entfernten sich und rückten erneut in den Hintergrund. Ich wollte nur noch nach Hause!
Es blieb auch Kai nicht verborgen, dass ich häufig den Kontakt mit meiner Familie suchte. Unsere Verliebtheit war längst dem nüchternen Alltag gewichen. Er konnte damit nicht so recht umgehen und reagierte schroff. Manchmal ängstigte er mich regelrecht. Nachts hörte ich ihn in seiner Wohnung auf und ab gehen. Mein Gefühl sagte mir, dass unsere Situation sich drastisch zuspitzte. Dachte ich anfangs noch, er würde mich mit Verständnis gehen lassen, so wurde ich doch in den nächsten Tagen eines Besseren belehrt. Kai wurde zunehmend aggressiv und unberechenbar. All meine Versuche, ihm meine Situation zu erklären, scheiterten bereits im Ansatz meiner Worte. Auch meine Gefühle interessierten ihn nicht. Kai sprach nicht von Liebe oder von einer gemeinsamen Zukunft. Nein, er wollte sein gut strukturiertes Leben nicht aufgeben. Und dazu gehörte nun mal auch ich.
Wo sollte das alles noch hinführen? Meine Kräfte schwanden von Tag zu Tag. Diese von vielen Streitereien geprägten Tage und Wochen gingen auch an Marlene nicht spurlos vorbei. Sie bat mich immer wieder darum, doch nach Hause zu dürfen. Ja, und eigentlich wünschte ich mir auch nichts anderes mehr.
Frank wurde unterdessen mein telefonischer Vertrauter und Berater.
Die Zeit der Feindseligkeiten schien erst einmal vorbei zu sein.
Schon sehr bald folgte ich Franks Wünschen und plante die Trennung von Kai. Ich war fest davon überzeugt, dass ein Neubeginn mit Frank und unseren Töchtern das einzig Richtige sei. Nun fieberte ich dem Tag entgegen, an dem wir alle wieder zusammen waren. Vielleicht war der Tag X bald gekommen und wir würden für immer als Familie zueinander finden?
Als ich Nathalie und Sonja meine Heimkehr ankündigte, zeigten sie sich eher bedrückt. Ihre gesenkten Blicke ließen mich vermuten, dass sie mich nicht mehr mochten. Aber ihr Verhalten stellte eine völlig andere Problematik dar. Die Kinder sahen neue Konflikte auf uns zukommen. Denn sie wussten weitaus mehr als ich auch nur ahnte. Frank hatte mir verschwiegen, dass er während meiner Abwesenheit nicht allein geblieben war. Sonja erzählte mir später, dass Franks junge Freundin meinen Platz sehr schnell eingenommen habe. Die nette Kollegin war zu meinen Kindern nur dann höflich, bis sie deren Vater für sich gewonnen hatte. So begann ein neuer Leidensweg für die Zwillinge. Denn Anja, fast zwanzig Jahre jünger als Frank, behandelte die Mädchen lediglich nur noch dann korrekt, wenn Frank in der Nähe war. Doch während seiner Abwesenheit tyrannisierte sie die verstörten Mädchen. Sonja teilte mir unter Tränen mit, dass Frank alles für Anja tat. Gleich welche Lügen sie auch erfand – er glaubte Anja mehr als seinen Kindern. Frank verwöhnte Anja mit Mitteln, welche ihm gar nicht zur Verfügung standen. Und die Zwillinge mussten auf die dringend notwendigen Winterschuhe verzichten! Die Verzweiflung meiner Kinder stieg ins Unermessliche. Diese Informationen zwangen mich zu schnellem Handeln. Ich musste nach Hause, um meinen Töchtern zu helfen. Niemand durfte Sonja und Nathalie schlecht behandeln. Das wollte ich nicht zulassen. Die junge Dame würde bereuen, dass sie meine Töchter gedemütigt hat. Ich dachte wie so oft nicht weiter nach. Sah auch keine ernsthafte Gefahr in dieser viel jüngeren Frau.
– Wie naiv ich doch war. –
Frank appellierte überzeugend an mich, dass ich Sonja und Nathalie nicht immer Glauben schenken solle. Die beiden seien eifersüchtig und unzufrieden. Mich brachten seine Worte völlig durcheinander. Natürlich waren die Mädchen in einem Ausnahmezustand. Diesen wollte ich auch zeitnah beenden. Frank versprach mir hierbei alle erdenklichen Hilfestellungen. Auch, dass er die Beziehung zu Anja längst beendet habe. Ich glaubte ihm nur zu gern.
Doch Kai reagierte auf mein Vorhaben völlig anders als ich es erwartete. Er war zuerst seltsam ruhig. Doch dies stellte sich schnell als eine Täuschung heraus. Eines Morgens war die Tür verschlossen. Ich durfte sein Haus nicht verlassen. Wenn er anwesend war, überschüttete er mich mit heftigen Vorwürfen. Ich bekam tagelang nichts zu essen und wenig zu trinken. Kai fühlte sich hintergangen und gedemütigt. Er schlug und erniedrigte mich. Ich weiß es nicht mehr ob es zwei, drei oder vier Tage waren. Ich sah keine Möglichkeit mich zu befreien. Kai brachte seine Kinder zu Verwandten. Zugang zu einem Telefon hatte ich nicht. Ich durchlebte grausame Tage und Nächte und dachte, dass ich diesem Martyrium nicht lebend entkommen würde. - Doch aufmerksame Nachbarn reagierten auf meine Hilferufe. Ich wachte in einem Krankenhaus auf. Meine körperlichen Wunden waren heilbar Aber meine Seele wurde von diesen Ereignissen regelrecht gefoltert. Von diesem Trauma erholte ich mich eine sehr lange Zeit nicht.
Frank wurde von den behandelnden Ärzten informiert. Er war mein Ehemann uns somit mein nächster Angehöriger. Man stellte mir Fragen. Doch ich war nicht in der Lage, über das Unfassbare zu reden. Der Schock saß zu tief in mir. Er lähmte mein Erinnerungsvermögen. Mehr als zuvor wollte ich nur noch nach Hause.