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Paul und Freddy sind schon seit ein paar Jahren gute Freunde und die gemeinsame Organisation des Junggesellenabschieds von Theo und Marc bringt sie noch näher zusammen. Und noch etwas verbindet die beiden Männer: Schlafstörungen. Als sie eher zufällig herausfinden, dass es sich gemeinsam in einem Bett ziemlich gut schlafen lässt, scheint die Lösung auf der Hand zu liegen – Schlafdates. Rein platonisch versteht sich, denn weder Paul noch Freddy sind schwul. Doch warum schlägt Pauls Herz immer öfter höher, wenn Freddy ihn anlächelt? Um das herauszufinden, muss Paul den Sprung ins Unerwartete wagen, denn trotz seiner Zweifel kann er Freddy nicht widerstehen...
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Seitenzahl: 475
Deutsche Erstausgabe (ePub) März 2019
© 2019 by Jessica Martin
Verlagsrechte © 2019 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
ISBN-13: 978-3-95823-747-6
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Klappentext:
Paul und Freddy sind schon seit ein paar Jahren gute Freunde und die gemeinsame Organisation des Junggesellenabschieds von Theo und Marc bringt sie noch näher zusammen. Und noch etwas verbindet die beiden Männer: Schlafstörungen. Als sie eher zufällig herausfinden, dass es sich gemeinsam in einem Bett ziemlich gut schlafen lässt, scheint die Lösung auf der Hand zu liegen – Schlafdates. Rein platonisch versteht sich, denn weder Paul noch Freddy sind schwul. Doch warum schlägt Pauls Herz immer öfter höher, wenn Freddy ihn anlächelt? Um das herauszufinden, muss Paul den Sprung ins Unerwartete wagen, denn trotz seiner Zweifel kann er Freddy nicht widerstehen...
Das ist einfach nur Irrsinn. Wie konnte ich mich nur dazu überreden lassen? Ein netter, ruhiger Nachmittag im Park, ein kühles Bier in der einen Hand und mit der anderen ein Frisbee werfen, meinetwegen Enten füttern, einen Marathon laufen oder ein Spaziergang durch die Kanalisation, alles wäre im Moment verlockender als dieser Wahnsinn hier.
»Ich will das nicht!«, flüstere ich panisch, nachdem ich einen Blick über die Plattform geworfen habe. Mein bester Freund Theo steht dort unten zwischen all unseren Freunden, die Hände vor dem Gesicht, das er gegen die Brust seines Verlobten Marc gedrückt hat, weil er nicht hinsehen kann, wie ich aus fünfzig Metern in den Tod springe.
Der Mann, der dicht vor mir steht und vorgibt, einer meiner Kumpel zu sein, lacht. »Jetzt mach dir nicht ins Hemd, Schnuckel. Das wird witzig.«
»Ja, ich wette, unsere Freunde kriegen sich kaum noch ein, wenn wir unten aufschlagen und man uns vom Asphalt kratzen muss.«
Wieder lacht Freddy nur. »Ich wusste gar nicht, dass so eine Dramaqueen in dir steckt.«
»Die zeigt sich nur kurz vor meinem Ableben.«
Gunther, der freundliche Mitarbeiter der Bungee-Jumping-Anlage, der uns auf die Plattform gebracht hat, grinst ebenfalls. »Also, kann's losgehen?«
»Nein«, antworte ich ehrlich, woraufhin Freddy und er wieder nur lachen. »Ich meine das ernst. Ich will nicht mehr«, sage ich. Von unten sind Pfiffe und Anfeuerungsrufe zu hören, doch meine Hände zittern, meine Knie schlottern und das Tempo, in dem mein Herz schlägt, bereitet mir ernsthaft Sorgen. Jedes Mal, wenn ich mich zu nah an den Rand der Plattform wage, habe ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. »Ich will runter.«
Freddys Lachen verstummt und er blickt mich prüfend an, während er mit Zunge und Zähnen an dem Piercing in seiner Unterlippe spielt und der Wind seine roten Locken zerzaust. »Willst du wirklich nicht springen? Das wäre völlig okay. Aber ich glaube, du würdest es hinterher bereuen. Außerdem kannst du auf ewig damit bei den Frauen angeben, wenn wir hier runterhopsen.«
Panisch, zitternd und gleichzeitig doch irgendwie auch neugierig zucke ich mit den Schultern und lasse meinen Blick die Regattabahn des Duisburger Sportparks entlangwandern. »Ich hab echt Angst.«
Seine warmen Hände reiben über meine Oberarme. »Die gehört doch dazu. Ich bin auch nervös.«
»Sieht man dir aber nicht an«, murmle ich, woraufhin Freddy wieder grinst.
»Komm schon, Paul, wir ziehen das jetzt durch. Das wird absolut genial.«
»Und wenn das Seil reißt?«
Gunther schüttelt sofort den Kopf. »Das passiert nicht. Wie ich euch unten schon erklärt habe: Wir kontrollieren unsere Ausrüstung ständig und selbst wenn das Seil tatsächlich reißen würde, seid ihr immer noch durch den Überdehnungsschutz gesichert. Aber das Seil wird nicht reißen. Jolinda wird euch in ein paar Minuten vollkommen high vom Adrenalin, aber wohlbehalten unten in Empfang nehmen.« Er lächelt mich an. »Einfach springen und genießen. Glaub mir, das wird das Geilste, das du je erlebt hast. Besser als jeder Orgasmus.«
Ich blicke ihn skeptisch an, denn was weiß dieser Kerl schon über meine Orgasmen? Dann atme ich noch mal tief durch und sehe Freddy an. Er vibriert förmlich vor Begeisterung und als ich seufzend nicke, grinst er übers ganze Gesicht.
Gunther hockt sich neben uns und überprüft noch einmal, ob das Seil auch wirklich ordnungsgemäß um unsere Fußknöchel gewickelt ist, dann kontrolliert er unsere Gurte und Karabiner zum dritten Mal, anschließend reckt er den Daumen in die Höhe. »Wann immer ihr bereit seid, könnt ihr springen.«
Freddy summt fröhlich, als wir uns Zentimeter für Zentimeter dem Rand der Plattform nähern. Fünfzig Meter freier Fall. Scheiße, ich muss völlig verrückt geworden sein. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und Adrenalin rauscht durch meine Adern. Ich muss ein paarmal tief durchatmen, damit ich nicht ohnmächtig werde. Obwohl mir das natürlich den Sprung ersparen würde.
Starke Arme schlingen sich plötzlich um meine Taille und ich sehe zu Freddy auf. »Bereit, Schnuckel?«
»Du sollst mich nicht immer Schnuckel nennen«, schimpfe ich und sehe dann dummerweise noch mal nach unten. Theo hat sich in Marcs Arme gekuschelt, der uns zusammen mit den anderen zuwinkt. Automatisch winke ich zurück, gehe dann aber wieder ein Stückchen von der Kante weg.
Freddy schiebt mich sanft wieder nach vorn. »Es passt aber so gut zu dir.«
»Was soll das denn heißen?«, frage ich und versuche, all meinen Mut zusammenzukratzen. Ich weiß genau, was Freddy hier macht. Er versucht, mich abzulenken. Leider muss ich zugeben, dass es klappt, auch wenn ich immer noch tierisch nervös bin.
Er lacht leise. »Wenn ich dir das sage, haust du mich.«
Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue hoch. Er ist gute fünfzehn Zentimeter größer als ich und die vierundneunzig Kilo, die man ihm nach dem Wiegen auf den Handrücken geschrieben hat, sind pure Muskelmasse, wohingegen meine zweiundsiebzigeinhalb Kilo lachhaft sind. »Wohl kaum. Also, warum nennst du mich immer Schnuckel?«
»Weil du schnuckelig bist. Wie ein niedlicher Twink.«
Entsetzt reiße ich die Augen auf und schüttle den Kopf. »Ich bin nicht schwul, also kann ich kein Twink sein.«
»Das hab ja auch nicht behauptet, sondern nur gesagt, dass du so schnuckelig wie ein Twink bist.« Er zwinkert mir zu, dann schiebt er mich noch ein Stückchen weiter und ich spüre, wie mein rechter Fuß teilweise über die Kante rutscht. »Wir springen hier jetzt runter«, sagt er verschwörerisch und mit einem aufgeregten Blitzen in den Augen.
Im letzten Moment schlinge ich meine Arme um seinen Nacken und halte die Luft an, dann drückt Freddy mich an sich und wir springen. Fliegen. Fallen.
»Oh mein Gott!« Ich schreie, bevor ich das Lachen nicht zurückhalten kann. Das ist der Wahnsinn. Einfach irre. Völlig irre sogar.
Freddy hat die Arme ausgebreitet und jubelt ausgelassen, während ich mich an ihn klammere und unweigerlich die Augen schließe, als der Boden auf uns zurast.
»Wooohoooo!«, höre ich ihn jauchzen und quieke ebenfalls überwältigt, aber auch vor Angst, kurz bevor ein fester Ruck uns wieder nach oben befördert.
»Mach die Augen auf, Paul! Sonst müssen wir noch mal springen.«
»Niemals!«, keuche ich und hebe den Kopf von seiner Brust. Er hat recht, es ist atemberaubend.
Wir wurden wieder ein ganzes Stück nach oben gezogen und stürzen nun ein zweites Mal im freien Fall in die Tiefe. Jetzt, da ich sicher weiß, dass das Seil uns hält, traue ich mich hinzusehen, auch wenn es meinem Überlebensinstinkt absolut widerspricht, sehenden Auges dem Boden entgegenzusausen.
»Und?«, will Freddy wissen, als wir den tiefsten Punkt erreicht haben.
»Du bist völlig bekloppt!«, versichere ich ihm, was ihn erneut lachen lässt.
Er umarmt mich wieder und ein paarmal pendeln wir noch auf und ab, bis Jolinda uns zurück auf den festen Boden holt. Unsere Freunde stürmen jubelnd auf uns zu, aber ich muss mich erst mal hinsetzen, denn meine Knie zittern und das Adrenalin wirbelt nur so durch meinen Körper.
Freddy hockt sich neben mich, wirft seinen Arm um meine Schultern und rüttelt mich kräftig durch. »Komm, gib's zu, das war geil.«
»Ja, war es«, gestehe ich und atme ein paarmal tief durch. »Aber ich mach's nicht noch mal.«
»Nee, wäre ja langweilig.«
Ja, auf jeden Fall. Absolut langweilig. Pff... Kinderkram sogar. Wer springt schon zweimal von einem Bungee-Turm? Ich bestimmt nicht.
Freddy muss meinen Blick richtig gedeutet haben, denn er lacht leise und klopft mir kräftig auf den Rücken. Im nächsten Moment lässt Theo sich vor uns auf die Knie fallen und zieht uns in seine Arme.
»Gott, ich hatte solche Angst um euch. Macht das bloß nie wieder mit mir!«, schimpft er, bevor er sich von uns löst und grinst. »War's cool?«
»War es!«, antworte ich lachend. »Und keine Sorge. Nächstes Mal musst du springen.«
Theo schüttelt sofort den Kopf, dabei haben er und Marc Freddy den Gutschein für den Tandemsprung zum Geburtstag geschenkt. Aber als wir hier ankamen, stellte sich heraus, dass Marc und Freddy zusammen zu schwer sind. Das kam Theo allerdings gerade recht, denn er hatte Angst um Marc und wollte nicht, dass sein Partner springt. Alle anderen waren zu große Schisser, weswegen ich es schließlich ausbaden musste. Den besten Freund opfert man halt auch eher als den Partner.
Gut, man muss dazusagen, dass Marc und Theo nicht nur verlobt, sondern auch Stiefbrüder sind und wenn was schiefgegangen wäre, hätte Theo vermutlich Probleme gehabt, seinem Vater und Marcs Eltern zu verklickern, dass ihr Sohn platt wie eine Briefmarke ist.
Meine Eltern hingegen hätten wohl erst mal ein Fotoalbum durchblättern müssen, um sich daran zu erinnern, dass sie einen Sohn haben und wie er aussieht.
Ich klopfe meine Taschen ab, dann fällt mir ein, dass ich Theo mein Hab und Gut aushändigen musste, bevor ich auf diese verdammte Plattform gefahren wurde. Freddy erklärt derweil den anderen, wie genial es war, kopfüber in die Tiefe zu springen und dass er das zu gern noch mal machen würde, aber dann aus größerer Höhe. Offenbar ist sein Überlebenstrieb nicht sonderlich ausgeprägt.
»Suchst du die?«, ertönt Marcs Stimme und meine Kippenschachtel samt Feuerzeug schiebt sich in mein Sichtfeld.
Ich stemme mich hoch und greife nach der Schachtel. »Danke, Mann.«
Marc schlingt einen Arm um meine Schultern. »Hast sie dir verdient, auch wenn du gequiekt hast wie ein Mädchen.«
Allgemeines Gelächter bricht aus, daher erinnere ich Boris, Daniel, Pepe und Udo daran, dass sie alle vier den Schwanz eingezogen haben, als es darum ging, wer mit Freddy springt. Ian hatte Glück, der ist ebenfalls zu schwer und brauchte sich daher keine Ausrede einfallen lassen.
»Lasst Paul in Ruhe. Er war supermutig«, springt Theo mir sofort zur Seite, bevor er wegen der Zigarette, die ich aus der Packung schüttle, die Stirn runzelt. Er liegt mir seit Jahren damit in den Ohren, wie gesundheitsschädlich Rauchen ist – als wüsste ich das nicht selbst. Aber heute traut er sich nicht, etwas zu sagen. Außerdem rauche ich nur, wenn ich Stress habe, wie zum Beispiel, wenn ich gerade von einem fünfzig Meter hohen Turm gesprungen bin.
Freddy grinst. »Ich würde sagen, ihr habt beide recht. Aber es war ein echt geniales Geschenk.« Er stößt mich an der Schulter an. »Was meinst du, wo springen wir zwei als Nächstes runter?«
»Von der Teppichkante«, antworte ich todernst, woraufhin alle wieder lachen und Freddy am lautesten.
Er ist echt ein fröhlicher und herzlicher Typ, der sich über jeden Mist amüsieren kann. Ich habe ihn noch nie schlecht gelaunt erlebt und selbst wenn er sich mal über irgendwas ärgert, ist er nicht nachtragend, sondern versucht, in allem das Positive zu sehen.
»Hey, na, noch alles dran?«, will Gunther wissen, der zu uns gelaufen kommt. »Sah von oben nach einer Menge Spaß aus.«
»Es war irre!«, antwortet Freddy sofort. »Aber höhere Türme habt ihr hier nicht, oder?«
Als ich stöhne, lachen wieder alle.
Gunther strahlt Freddy an. »Oh, da ist wohl einer angefixt? Hier haben wir nur die fünfzig Meter zu bieten, aber in Düsseldorf kannst du von einem Hundertmeter-Kran springen.«
»Das ist ja stark. Wir wohnen in Düsseldorf.«
»Dann schau doch da mal bei bungee action vorbei. Die bieten Einzel- und Tandemsprünge an, falls dein Freund wieder mitspringen will.«
»Hat jemand ein Video von uns gemacht?«, frage ich in die Runde, woraufhin fünf Smartphones in die Höhe gehalten werden. Grinsend wende ich mich an Freddy. »Reicht mir, um die Mädels zu beeindrucken.«
Er lacht. »Kein Ding, hüpf ich halt allein.«
Gunther hat einen zerknitterten Zettel aus der Tasche gezogen und kritzelt eilig etwas mit einem Kuli darauf. Als er fertig ist, sieht er wieder zu Freddy auf. Diesmal eher schüchtern. »Hier. Falls du es dir anders überlegst und doch lieber in Begleitung springen willst, ruf gern an. Oder... auch sonst.« Sein Blick zuckt kurz zu mir, dann wieder zu Freddy, der blinzelnd auf den Zettel starrt.
Neugierig verfolgen wir alle das Schauspiel. Man kann sehen, wie es in Freddys Kopf arbeitet, während Gunther mit angehaltenem Atem die Lippen aufeinanderpresst und ihn erwartungsvoll ansieht.
Schließlich räuspert Freddy sich. »Ich... ähm... also...« Er schluckt und sieht sich Hilfe suchend um. Als keiner von uns reagiert, zuckt er mit den Schultern und drückt Gunther den Zettel wieder in die Hand. »Danke für das Angebot, ich fühl mich wirklich geschmeichelt. Du bist ein netter Typ, aber ich steh auf Frauen.«
Röte schießt in Gunthers Wangen, während er das Papier hastig in seiner Hosentasche verschwinden lässt. »Echt?«
»Ja, echt«, versichert Freddy. Jeder andere hätte vermutlich die Telefonnummer erst mal eingesteckt, um sie dann später wegzuwerfen, und der arme Gunther hätte tagelang vergebens auf einen Anruf gewartet. Aber so ist Freddy nicht, egal, wie peinlich die Situation für beide Seiten für den Moment ist, und das finde ich echt beeindruckend.
Nachdem Gunther sich peinlich berührt und mit roten Wangen von uns verabschiedet hat, dreht Freddy sich zu uns um, bläst die Backen auf und zieht die Augenbrauen in die Höhe. »Das war irgendwie unangenehm.«
Wir alle nicken, doch Marc kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
Er schlingt den Arm um Freddys Schultern, was ihm als Einzigem von uns mühelos möglich ist, da wir anderen alle deutlich kleiner als die beiden sind. »Das war das zweite Mal in zwei Wochen, dass dir ein Typ seine Nummer zustecken wollte. Sicher, dass du keine Gay-Vibes ausstrahlst?«
»Das hättet ihr wohl gern«, meint Freddy spöttisch, woraufhin alle lachen müssen, während er sich aus Marcs Griff windet. »Komm an meine Seite, Paul. Wir müssen zusammenhalten und ein paar Hetero-Vibes ausstrahlen. Boris, du auch.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen ziehe ich an meiner Kippe und sehe zu ihm rüber. »Danke für das Angebot, aber ich bleib lieber bei den Homos. Die sind irgendwie bodenständiger.«
»Elender Verräter.« Freddy schnaubt, grinst dann jedoch und zwinkert mir zu.
Wir anderen lachen und Theo schlingt einen Arm um meine Taille, während wir zum Ausgang des Geländes gehen. Ich finde es niedlich, dass er sich anscheinend echt Sorgen um mich gemacht hat.
Theo und ich kennen uns seit dem Studium. Fünf Jahre lang haben wir zusammen in einer WG gewohnt und selbst als wir zum Referendariat in verschiedene Städte ziehen mussten, hat unsere Freundschaft nicht darunter gelitten. Wir haben viele Wochenenden zusammen verbracht und uns eigentlich täglich Nachrichten geschrieben.
Vor zweieinhalb Jahren bin ich dann in die Nähe von Theos und Marcs Wohnung gezogen, denn mittlerweile sind wir verbeamtete Lehrer und unterrichten beide an Düsseldorfer Schulen. Wenn ich jetzt noch eine feste Freundin hätte, wäre mein Leben so gut wie perfekt.
»Hattest du wirklich so große Angst um uns?«, frage ich amüsiert, als wir auf dem Parkplatz stehen und Theo mich immer noch nicht loslassen kann.
Er wirft mir einen bösen Blick zu. »Ja, natürlich! Du bist mein bester Freund. Und wie bitte hätten wir ohne unsere Trauzeugen die Hochzeit überstehen sollen?«
Ich ziehe ihn an mich und drücke ihn fest, denn ich weiß ja, wie nervös er jetzt schon wegen der Hochzeit ist. Es ist zwar noch ein paar Monate hin, aber da Marc und Theo in Andalusien heiraten wollen, sind die Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen und jetzt ist Warten angesagt. Nicht gerade Theos Stärke.
»Hey, genug gekuschelt«, meint Marc, während er das Auto aufschließt.
Wir verabschieden uns von den anderen und steigen zu viert in Marcs Wagen. Ich liebe sein Elektroauto und durfte es auch schon oft fahren. Es ist echt cool, denn trotz Batteriebetrieb hat es ordentlich Power und ich finde es genial, dass es keine Gangschaltung und keine Verzögerung gibt, wenn man aufs Gaspedal tritt. Der Wagen saust sofort los und gerade auf der Autobahn macht das richtig Spaß. Wenn ich irgendwann genug Kohle habe, kaufe ich mir auch so einen.
Heute begnüge ich mich allerdings damit, nur Mitfahrer zu sein, denn Marc und Theo haben Freddy und mich zum Abendessen zu sich eingeladen, weil sie noch ein paar Details für den Junggesellenabschied mit uns besprechen wollen, der im Juli, einen Monat vor der Hochzeit, stattfinden soll.
Ich vermute ja stark, dass Marc und Theo es uns irgendwie nicht so ganz zutrauen, einen angemessenen Junggesellenabschied für eine Gay-Hochzeit zu planen, aber wir sind lange genug mit den beiden befreundet, um zu wissen, was ihnen gefällt und was nicht.
Trotzdem lassen Freddy und ich uns das Essen nicht entgehen, also sitzen wir brav auf dem Rücksitz und nutzen die Gelegenheit, um uns auf Theos Handy unseren Sprung aus anderer Perspektive anzusehen.
»Du hast echt nicht mehr alle Kerzen im Leuchter«, murmle ich, als ich sehe, wie Freddy mit ausgebreiteten Armen jauchzend durch die Luft saust, während ich Angsthase mich an ihn klammere und tatsächlich wie ein Mädchen quieke.
Er lacht leise. »Es war einfach irre.«
»Besser als jeder Orgasmus?«, frage ich schmunzelnd.
»Mhm«, meint er nach einem Moment des Nachdenkens.
Skeptisch blicke ich ihn von der Seite an. »Im Ernst?«
Er zuckt mit den Schultern. »Anders halt.«
»Das auf jeden Fall«, stimme ich zu und reiche Theo das Handy wieder nach vorn.
»Springst du echt noch mal von weiter oben?«, will der von Freddy wissen.
»Jepp. Nicht gleich morgen, aber das war definitiv nicht das letzte Mal.«
Ich schüttle innerlich den Kopf, denn auch wenn es schon irgendwie genial war, reicht es meiner Meinung nach, wenn man diese Erfahrung einmal macht. »Denkst du, es ist aus größerer Höhe anders?«
Er lächelt verschwörerisch. »Komm mit und wir finden es zusammen raus.«
»Traust dich wohl doch nicht allein?«, entgegne ich lachend, woraufhin Theo und Marc glucksen.
Freddy verdreht die Augen. »Quatsch, aber es ist doch schöner, wenn man sich an so was zusammen erinnert. Ist wie beim Orgasmus, der macht allein auch nur halb so viel Spaß.«
»Gay-Vibes«, trällert Marc leise, was ihm einen Klaps von Freddy einbringt und uns alle lachen lässt, schließlich wissen wir, dass Freddys Satz absolut nicht anzüglich oder gar als Einladung gemeint war. Er ist genauso hetero wie ich, auch wenn wir beide im Moment Single sind.
Am Freitagabend zwei Wochen später schließe ich völlig erledigt meine Wohnungstür hinter mir und lasse mich, die Einkaufsbeutel noch in der Hand, dagegen sinken. Ich liebe meinen Job. Die Kids und ihnen Wissen zu vermitteln, den Stolz in ihren Augen zu sehen, wenn sie ein Thema verstanden haben, die natürliche Neugierde und das Vertrauen in mich, dass ich sie anleite und ihnen etwas beibringe, um sie auf das Berufsleben vorzubereiten. Das ist es, was mich an meinem Job begeistert und was mich motiviert, auch schlimme Tage zu überstehen.
Tage wie heute, an dem die Teenager unmotiviert sind und von Pubertätshormonen gesteuert zu nörgelnden Ungeheuern mutieren, die man am liebsten mit den Köpfen zusammenschlagen und anbrüllen würde, wenn man nicht genau wüsste, dass das nichts hilft.
Da bleibt mir nur, den Abend herbeizusehnen, in meine ruhige Wohnung zurückzukehren, Pizza zu bestellen, ein kühles Bier aufzumachen und darauf zu hoffen, dass der nächste Schultag besser wird. Alleine zu wohnen, ist an den meisten Abenden zwar eine ziemlich einsame Angelegenheit, hat aber auch den immensen Vorteil, dass man seine Schuhe im Flur liegen lassen kann und es niemanden stört, wenn der erste Weg nach dem Heimkommen nur in Unterhose und mit offenem Hemd vom Klo zum Kühlschrank führt.
Mit einem Pils in der einen und meinem Smartphone in der anderen Hand lasse ich mich auf mein Bett fallen und schalte den Fernseher an, bevor ich meine bevorzugte Liefer-App aufrufe und mich durch das Angebot scrolle. Trotz des nun vollen Kühlschranks habe ich keinen Bock, mich noch an den Herd zu stellen.
Während ich überlege, ob ich mir eine Pizza mit Käse im Rand gönnen soll, klingelt mein Handy. Es ist Freddy, daher trinke ich noch einen Schluck und gehe dann ran.
»Irrenanstalt. Mangold, was kann ich für Sie tun?«
Tiefes Lachen dröhnt aus der Leitung. »Ich höre, du hattest einen ebenso fantastischen Tag wie ich.«
»Das kann ich nicht beurteilen, aber ich habe drei Doppelstunden in achten Klassen und eine in einer neunten überstanden, wobei nicht einer von denen Bock auf Bio, geschweige denn Mathe hatte. Mich eingeschlossen in den letzten vier Stunden. Anschließend saß ich noch zwei Stunden in einer Dienstbesprechung und habe zum krönenden Wochenabschluss zwei Tests für Montag vorbereitet. Nichts daran war auch nur annähernd fantastisch.«
Wieder lacht Freddy, was mir ein Schmunzeln entlockt. Wenigstens einer, den ich heute amüsieren kann. »Da kann ich mit meinem sterbenslangweiligen Belehrungsvortrag vor den Neuzugängen mit anschließender Nachhilfestunde in Wie logge ich mich morgens an meinem Computer ein? sowie meinem Training heute Nachmittag, das in der Tat ein schöner Ausgleich war, natürlich nicht mithalten.«
»Kannst du nicht, aber dein Tag klingt ebenfalls schrecklich.«
»Die Belehrungsvorträge sind zum Glück nur viermal im Jahr. Egal. Was ich eigentlich wollte: Wann hast du mal Zeit, um die Planung für den JGA fertig zu machen?«
Ich schnaube. »JGA? Schaffst du es heute nicht mal mehr, ganze Wörter zu benutzen?«
»Hm? Ach so. Sorry, ITler-Angewohnheit. Ich meinte Marcs und Theos Junggesellenabschied.«
»Ja, dachte ich mir.« Seufzend lasse ich meinen Kopf gegen die Wand fallen. »Ist das noch viel? Ich kann mich gerade nicht erinnern und bin zu faul, um aufzustehen und meinen Block zu holen.«
Im Hintergrund raschelt Papier. »Ich fürchte schon. Theo wollte auf keinen Fall einen Bauchladen und Marc hat anklingen lassen, dass er eine Verlobten-Entführung nicht so toll finden würde, also fehlen uns etwa eine bis anderthalb Stunden im Zeitplan.«
»Hm.«
»Jepp.«
Eine Weile schweigen wir, während ich überlege, was wir noch machen könnten und nebenbei versuche, nicht einzuschlafen.
»Bist du noch dran, Schnuckel?«
Ich stöhne genervt auf. »Nenn mich nicht immer so! Außerdem überlege ich gerade.« Mein Magenknurren erinnert mich daran, wobei Freddy mich gestört hat. »Und ich habe Hunger. Ich kann nicht denken, wenn ich Hunger habe.«
»Dann iss doch was.«
»Würde ich tun, aber du hast mich beim Pizzabestellen unterbrochen.«
»Sorry. Soll ich welche holen und vorbeikommen? Dann können wir zusammen essen und denken.«
Stirnrunzelnd sehe ich an mir runter. »Ich bin schon im Zu-Hause-Outfit.«
Freddy lacht. »T-Shirt und Boxershorts?«
»Genau. Nur, dass ich es noch nicht ins Shirt geschafft habe. Hab aber schon mein Hemd und ein Bier offen.« Als mir auffällt, wie das klingt, beiße ich mir auf die Zunge. »Sorry. Es war echt ein nerviger Tag.«
»Verstehe ich. Also, was für Pizza willst du und muss ich mir Bier mitbringen oder hast du noch was da?«
»Irgendwas mit Fleisch. Schinken und Salami. Und mit Käse im Rand, wenn sie haben. Bier habe ich da«, antworte ich nach kurzem Überlegen.
Schlüsselklappern ertönt, dann wird eine Tür geschlossen. »Alles klar, bis gleich.« Mit diesen Worten legt er auf und ich lasse das Handy sinken.
Es dauert ein paar Minuten, in denen ich lustlos Löcher in die Luft starre, bevor ich mich aufraffe, das Bett mache und die Tagesdecke darüber werfe, denn es ist neben meinem Schreibtischstuhl die einzige Sitzgelegenheit in meiner kleinen Ein-Raum-Wohnung.
Als Freddy eine halbe Stunde später klingelt, habe ich den Couchtisch, der am Fußende meines Bettes steht, gedeckt und sogar noch schnell geduscht.
»Hi. Komm rein«, bitte ich und nehme ihm die Pizzaschachteln ab, damit er sich im Flur die Schuhe ausziehen kann. Der Duft nach warmem Käse und Tomatensoße steigt mir in die Nase, was meinen Magen laut knurren lässt.
Freddy sieht mich schmunzelnd an. »Da komme ich ja gerade richtig.«
»Oh ja. Ich habe echt tierisch Hunger.« Ich gehe in mein Wohn-/Schlaf-/Arbeitszimmer vor und beobachte, wie er sich neugierig im Raum umsieht. Bisher waren nur Theo und Marc bei mir zu Hause, denn mein Hamsterkäfig ist nicht wirklich besucherfreundlich. Wenn Freddy mich mal von hier abgeholt oder nach einer Party heimgefahren hat, dann haben wir uns vor der Haustür getroffen beziehungsweise verabschiedet.
»Nett.«
Seufzend lege ich die Schachteln auf den Couchtisch. »Nicht wirklich. War auch alles anders geplant und ist auf keinen Fall für ewig.«
Freddy nickt und lässt seinen Blick über meinen vollen Schreibtisch und den Umzugskistenstapel daneben schweifen. »Theo hat mal erwähnt, dass du übergangsweise in einer kleineren Wohnung wohnst, bis die andere fertig renoviert ist oder so.«
»Ja, so war der Plan. Aber leider hat nichts davon geklappt. Die Wohnung oder besser gesagt, das Mehrfamilienhaus, in das ich ursprünglich ziehen wollte, befindet sich immer noch im Bau. Es sollte schon vor einem halben Jahr fertiggestellt werden, dann kam ganz plötzlich der Winter dazwischen und mittlerweile ist der Eigentümer pleite. Bis zu den nächsten Sommerferien bleibe ich erst mal noch hier, dann habe ich Zeit, um wieder auf Wohnungssuche zu gehen.«
»Ist ja scheiße.«
»Kannst du laut sagen. Aber nicht zu ändern. Bis dahin bleibt die Hälfte meiner Möbel weiter eingelagert und Besuch eher die Ausnahme.«
Freddy lächelt. »Dann darf ich mich geehrt fühlen?«
Ich muss lachen. »Durchaus. Und jetzt setz dich, damit wir essen können.« Ich deute auf mein Bett und nachdem wir es uns bequem gemacht haben, fallen wir über die Pizza her und gucken nebenbei schwachsinnige Erwachsenen-Cartoons. »Mist. Bier«, murmle ich und stehe auf, um in die Küche zu flitzen und uns zwei Pils aufzumachen.
»Danke«, nuschelt Freddy mit vollem Mund und wischt sich die Lippen an einer Serviette ab. »Mhm. Das Gute sogar.«
Ich stoße mit meiner Flasche an seine. »Jepp. Für irgendwas muss es ja gut sein, die Hälfte an Miete zu sparen.«
Als wir satt sind, räume ich den Couchtisch ab und hole meinen Block mit den Notizen für den Junggesellenabschied. Freddy hat ein Bein aufs Bett gezogen und angewinkelt, während er sich nach hinten aufstützt.
»Okay, wollen wir?«, frage ich, muss mich aber zu Begeisterung zwingen.
Er seufzt und sieht plötzlich ziemlich müde aus. »Müssen wir wohl.«
Ich setze mich zu ihm und werfe noch einen Blick aufs Handy, bevor ich mein Bier vom Tisch nehme und meine Notizen aufschlage. »Gut. Ähm... wir streichen also Theos Entführung und...«
»Den Bauchladen.«
»Ach ja. Hm. Das bringt alles durcheinander. Nun fehlen uns gut und gerne zwei Stunden. Das Stripperpärchen behalten wir aber bei, oder? Die habe ich schon gebucht.«
Freddy nickt. »Wir werden es schon überleben.«
»Bestimmt.« Ich zucke mit den Schultern, denn ich bin seit zehn Jahren mit Theo befreundet und war schon oft mit ihm in Gay-Clubs feiern. Wenn die Jungs da richtig loslegen, ist der Unterschied zum Strippen nicht so groß. »Okay. Was machen wir stattdessen in der Zeit, in der Theo seinen Bauchladen rumtragen sollte, während Marc nach ihm sucht?«
Schweigend sitzen wir auf meinem Bett und geben vor, darüber nachzudenken, während wir Bier trinken und fernsehen.
»Diese Francine ist zwar völlig dämlich, aber schon irgendwie heiß, oder?«, kommentiert Freddy nach einer Weile die Serie, woraufhin ich stirnrunzelnd zu ihm hinübersehe. »Ja, mir ist klar, dass das ein Cartoon ist«, fügt er augenrollend hinzu.
Ich grinse. »Du stehst also auf blonde Hohlbirnen?«
»Haha. Eigentlich stehe ich auf Dunkelhaarige, aber Haley wäre mir definitiv zu anstrengend.«
Lachend schüttle ich den Kopf. »Das ist die einzige Tussi in der Serie, die halbwegs Grips hat.«
»Mann, so meinte ich das nicht. Ich mag halt keine zickigen Frauen oder solche, die jedes Wort auf die Goldwaage legen. Die sind mir viel zu anstrengend. Irgendwie stehe ich auf die kumpelhaften Typen, aber meiner Erfahrung nach sind sie das nur so lange, wie man lediglich befreundet ist. Sobald man was mit ihnen anfängt, mutieren sie zu Zicken.«
»Ja, ich weiß, was du meinst. Ist ein Grund, warum ich keine langfristigen Beziehungen habe.«
Er nippt an seinem Bier. »Was hast du für... na ja, Vorlieben?«
Um Zeit zu schinden, zucke ich mit den Schultern und trinke ebenfalls einen Schluck. »Die meisten meiner Freundinnen waren blond.«
»Das ist alles?«, will Freddy mit hochgezogenen Augenbrauen wissen.
»Ach, keine Ahnung«, antworte ich ausweichend, denn das ist ein Thema, über das ich nicht wirklich reden will. Ich hatte bisher erst eine feste Beziehung. Lisa war die Frau meiner Träume. Wir lagen absolut auf einer Wellenlänge. Zudem war sie hübsch, intelligent und witzig. Ich hätte sie geheiratet, wenn sie sich nicht entschieden hätte, nach ihrem Auslandssemester in Schweden zu bleiben. Alle Frauen, die danach kamen, waren Lückenbüßerinnen, in die ich keine großartigen Gefühle investiert habe.
Freddy nickt. »Weiber sind kompliziert.«
»Da sprichst du ein wahres Wort, mein Freund.« Ich strecke die Beine aus, lehne mich auf einen Unterarm zurück und wir stoßen an. »Was machen wir jetzt wegen des JGAs?«
»Darf ich anmerken, dass die zwei meiner Meinung nach eigentlich kein Mitspracherecht haben.«
»Darfst du und ich stimme dir voll und ganz zu, trotzdem müssen wir unseren Plan ändern. Sie sollen sich schließlich gern an den Tag erinnern.«
Er seufzt und streckt ebenfalls die Beine aus. »Ja, hast ja recht. Vielleicht sollten wir mit der Planung noch mal von vorn anfangen.« Bevor ich protestieren kann, fährt er fort: »Ich weiß, dass das ätzend ist und wir nur noch drei Monate Zeit haben, aber eigentlich sind doch nur die Stripper fest gebucht. Das Essen wird zum Partyraum geliefert und danach ist nur noch Feiern und Saufen angesagt. Wir müssen also nur für die Zeit bis achtzehn Uhr neu planen.«
»Ja, stimmt. Bleiben wir denn beim Beginn um vierzehn Uhr?«
»Kommt drauf an, was wir machen. Viel später finde ich irgendwie blöd, weil das dann aussieht, als wäre uns nichts eingefallen. Aber je früher wir anfangen, desto umfangreicher muss unser nicht mehr vorhandenes Programm sein.«
»Scheiße«, kommentiere ich, woraufhin Freddy nickend seufzt und den Blick wieder auf den Fernseher richtet, während er sein Bier austrinkt.
»Willst du noch eins?«, biete ich an.
Er zögert. »Weiß nicht. Ich bin mit dem Auto hier und hab morgen früh ein Spiel.«
»Dann lieber nicht?«
»Ach, gib her«, meint er nach einem Moment des Nachdenkens. »Fahr ich halt mit der Bahn nach Hause und hole das Auto morgen Vormittag schnell.«
»Wann musst du denn auf dem Platz sein?«, frage ich, als ich ihm zwei Minuten später sein Bier reiche und mich mit meinem dritten aufs Bett zurücksetze. Ein wenig merke ich den Alkohol schon, aber nicht zu sehr. Die Pizza ist eine gute Grundlage.
»Halb zehn. 'ne Stunde später ist Anstoß.«
Ich nicke und lehne mich wieder auf dem Bett zurück. »Schweres Spiel?«
»Gegen den Tabellenersten, also mal schauen.«
Na, das klingt ja nicht sehr euphorisch. »Seid ihr denn generell erfolgreich?«
Er zuckt mit den Schultern. »Geht so. Im Moment sind wir siebter von fünfzehn.«
»Also gutes Mittelfeld.«
»Ja, kann man so sagen. Hey, willst du morgen mitkommen?«
Vor Schreck verschlucke ich mich prompt in meinem Bier. »Ich? Was soll ich denn auf einem Fußballplatz?«
»Zugucken«, antwortet er, als wäre das offensichtlich, was es wohl auch ist, aber da ich mich überhaupt nicht für Sport interessiere, wäre ich nie darauf gekommen, ihm beim Hinterherjagen eines Balles zuzusehen.
»Ich kenne die Regeln nicht mal richtig«, werfe ich ein.
Er winkt ab. »Macht doch nichts. Komm schon, nach dem Tag heute tun dir frische Luft und ein kleiner Tapetenwechsel bestimmt gut. So kommst du mal raus und machst mal was völlig anderes. Ist gut fürs Gehirn.«
Stirnrunzelnd sehe ich zu ihm rüber. »Dir beim Rumrennen und Bolzen zuzusehen, ist gut für mein Gehirn?«
»Klar«, meint er grinsend. »Vielleicht findest du ja sogar noch Gefallen daran.«
»Wohl kaum«, sage ich schnaubend. »Bist du immer noch Torwart?«
»Der beste!«
Angesichts seines Größenwahns verdrehe ich die Augen. »Dann rennst ja du gar nicht übers Feld.«
Er wirft mir einen giftigen Blick zu. »Üblicherweise nicht, aber meine Position ist genauso wichtig wie jede andere.«
»Wenn du das sagst«, murmle ich, woraufhin er entschieden nickt. »Mal schauen. Ich glaub aber eher nicht, dass ich da Lust zu habe.«
Freddy zuckt mit den Schultern und tippt dann mit dem Finger auf den Block zwischen uns. »Was hältst du von Geocaching?«
»Du meinst so eine Schnitzeljagd mit GPS-Koordinaten?«
»Genau.«
»Mit welchem Ziel?«
»Der Partyraum?«
Nachdenklich nicke ich. »Nicht schlecht. Aber wir brauchen trotzdem einen Aufhänger. Irgendwas Interessantes, damit es nicht langweilig wird und so aussieht, als würden wir Zeit totschlagen.«
»Wie wäre es, wenn wir auf dem Weg dahin an Orten langlaufen, die den beiden etwas bedeuten. Dann ist die Tour absolut persönlich. Ich denke mal, mit vier oder fünf Stationen durch die ganze Stadt sind wir ausreichend beschäftigt und Theo und Marc haben eine tolle Erinnerung.«
»Sehr geile Idee«, lobe ich begeistert. »Die Stationen kriegen wir locker zusammen. Mir fallen spontan schon drei ein, zu denen wir unbedingt sollten. Nur habe ich keine Ahnung, wie man das technisch umsetzt, mit dem GPS und so.«
Freddy lacht laut auf. »Darum kümmere ich mich.«
»Sicher?«, frage ich skeptisch, auch wenn er als studierter Informatiker da sicher deutlich versierter ist als ich. Meine letzte Schnitzeljagd ist gut zwanzig Jahre her und damals sind wir Kreidestrichen auf dem Fußweg gefolgt.
»Na klar. Das ist kein Ding. Ich schreib uns eine kleine App und schon kann's losgehen. Kümmerst du dich um die Hinweise, die zu den Stationen führen? Nur GPS-Koordinaten auf einer Karte ablaufen, wäre ein bisschen zu popelig, oder?«
»Stimmt. Gut, wenn du dich um die technische Umsetzung kümmerst, überlege ich mir das Konzept dahinter. Vielleicht können wir es wie ein Quiz aufziehen, da fällt mir schon was ein.«
Zufrieden grinsend stoßen wir mit unseren Flaschen an und lehnen uns dann zurück, um weiter fernzusehen. Freddy ist echt ein unkomplizierter Typ. Als wir uns vor vier Jahren kennengelernt haben, wusste ich nicht recht, was ich von ihm und seiner offenen Art halten sollte. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er mit mir flirtet, was mich ziemlich irritiert hat, aber dann habe ich erkannt, dass das einfach seine Art ist.
Er ist zu jedem freundlich und wenn sich die Gelegenheit für eine Schäkerei ergibt, dann nutzt er sie. Er macht das nicht, weil er tatsächlich irgendein sexuelles oder romantisches Interesse an seinem Gegenüber hat. Ich glaube, er merkt es manchmal gar nicht, denn als ich ihn mal darauf angesprochen habe, war er ziemlich baff und hat mir versichert, dass er nur freundlich sein und mich auf keinen Fall in Verlegenheit bringen wollte. Allerdings hat es ihn nicht davon abgehalten, mich neuerdings Schnuckel zu nennen.
Davon abgesehen ist er mit seinen wilden, roten Locken, seinem durchtrainierten Körper, dem Lippenpiercing und den Tunneln in den Ohrläppchen rein äußerlich ein absoluter Rebell, während er im Inneren durch und durch ein Nerd ist. Es gibt ständig Unterhaltungen zwischen ihm und Marc, die Theo und ich einfach nur kopfschüttelnd verfolgen, weil wir absolut kein Wort verstehen. Marc und Freddy, der eigentlich Frederick heißt, aber auf keinen Fall so genannt werden will, haben sich im ersten Semester ihres IT-Studiums an der Uni kennengelernt. Marc hat ihn mit einem geborgten Skateboard wohl dermaßen heftig über den Haufen gefahren, dass Freddy sich den Knöchel gebrochen und Marc sich einen Schneidezahn ausgeschlagen hat.
Als Entschädigung hat Marc ihm in den Wochen danach geholfen, von A nach B zu kommen, und dabei sind sie gute Freunde geworden. Marcs Vater hat Freddys IT-Talent ziemlich schnell erkannt, ihn genau wie Marc gefördert und Freddy schließlich einen Job angeboten, noch bevor der seinen Abschluss als Jahrgangsbester in der Tasche hatte. Nachdem er gehört hatte, dass Freddy bei sich zu Hause Fußballspieler war, hat er ihm gleich davon erzählt, dass seine jetzige Mannschaft händeringend Spieler suchte, und seit sein Bruch verheilt ist, spielt Freddy im Heimatverein seines Chefs. Es ist, als würden mehrere Herzen in seiner Brust schlagen, aber irgendwie passt die Rebell-Nerd-Sportler-Mischung zu ihm.
»Sag mal, hast du noch was Anständigeres als Bier da?«
Ich sehe mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm rüber. »Ich denke, du hast morgen ein Spiel.«
»Ich verstehe den Zusammenhang nicht.« Er zwinkert, was mich zum Lachen bringt, und ich rutsche vom Bett.
»Wonach steht dem Star-Torwart denn der Sinn?«, rufe ich aus der Küche und öffne den Schrank, in dem ich meinen Alkoholvorrat lagere. »Whiskey? Oder lieber Wodka oder Gin?«
»Whiskey ist gut.«
Das war zu erwarten, denn mittlerweile kenne ich seinen Geschmack. Ich schnappe mir den Whiskey sowie den Gin und eine Flasche Tonic aus dem Kühlschrank und balanciere alles zusammen mit zwei Gläsern zum Couchtisch.
»Ähm... ich sehe, du hast es dir gemütlich gemacht?«, bemerke ich, woraufhin er mich vom Kopfende aus angrinst, wo er gegen die Wand gelehnt sitzt.
»Stört es dich?«
Ich zucke mit den Schultern und gieße uns beiden etwas ein. »Solange du nicht auf mein Kissen furzt.«
»Ups.« Als ich entsetzt aufsehe, verdreht Freddy die Augen. »Hey, pass doch auf! Verkipp das gute Zeug nicht.«
Nachdem ich uns etwas eingegossen habe, reiche ich ihm sein Glas und stehe etwas unschlüssig mit meinem Gin Tonic vor dem Bett. Egal wo ich mich hinsetze, ich blockiere seinen Blick auf den Fernseher, es sei denn, ich setze mich direkt neben ihn, was ich wiederum seltsam fände. Wir haben zwar schon mal in einem Bett geschlafen, aber das war in Theos ehemaligem Kinderzimmer nach der Verlobung und wir waren so betrunken, dass ich mich kaum an den Rückweg, dafür aber noch ziemlich gut an den heftigen Kater am nächsten Tag erinnern kann.
Mich jetzt hier neben ihn zu setzen, hat etwas beunruhigend Intimes, auch wenn er das offenbar anders zu sehen scheint, seinem belustigten Blick nach zu urteilen.
»Willst du Chips oder so?«, frage ich, um Zeit zu schinden.
Er winkt ab. »Nee, lass mal, bin noch voll von der Pizza.«
»Na gut.« Ich stelle mein Glas auf meinem Nachtschrank ab, schnappe mir noch die Fernbedienung vom Couchtisch und setze mich ebenfalls ans Kopfende, wobei ich versuche, so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. »Willst du was Bestimmtes gucken?«
»Keine Ahnung, was heute läuft. Ich sehe nicht viel fern.«
»Nicht? Was machst du dann an einem Freitagabend?«
Er grinst. »Ausgehen?«
»Ja, okay, aber doch nicht jeden Freitag, oder?« Ich selbst bin nach der Arbeitswoche meist zu k. o., daher ist Samstag mein bevorzugter Date-Abend, wenn ich nicht gerade was mit Theo und den anderen unternehme.
»Nein. Wenn ich zu Hause bin, sitze ich meist am Rechner.«
»Zockst du gerne?«
Er nickt. »Ja. Oder ich programmiere, entseuche Laptops oder repariere kaputte Rechner von Bekannten.«
Na, das ist ja mal ein tolles Feierabendprogramm. Mein Blick muss mich wohl verraten, denn Freddy lacht leise.
»Jetzt guck nicht so entsetzt.«
Ich hebe abwehrend die Hände. »Tue ich nicht. Es klingt nur eher nach Arbeit als nach Entspannung, aber hey, jedem das Seine.« Ich richte die Fernbedienung auf den Fernseher und zappe durch die Programme. Bei der Vorschau auf einen der heutigen Spielfilme bleibe ich hängen. »Na schau, Surrogates. Der müsste doch nach deinem Geschmack sein, oder?«
»Hab ich noch nie gesehen«, meint er schulterzuckend.
»Was? Echt nicht?« Als er den Kopf schüttelt, lege ich die Fernbedienung weg und schnappe mir stattdessen mein Glas. »Okay, dann schließen wir diese Bildungslücke besser schnell. Nicht, dass du dich vor deinen Nerd-Kollegen mal blamierst.«
»Na, wenn der Herr Lehrer das sagt«, murmelt Freddy, woraufhin ich amüsiert den Kopf schüttle. Er rutscht ein wenig hin und her, zerrt mein Kissen unter seinem Arsch hervor, stopft es sich hinter den Rücken und seufzt schließlich.
»Nun sitz endlich still und pass auf, da lernst du noch was.«
»Gibt es hinterher einen Test?«
»Wo bliebe sonst der Spaß?«
»Sadist.«
Grinsend sehe ich zu ihm rüber, lege mir einen Finger an die Lippen und deute dann auf den Fernseher, woraufhin er lacht. Ich gieße uns noch mal nach, dann sehen wir uns zusammen den Film an.
Es kommt mir etwas seltsam vor, dass er noch hier ist, denn eigentlich kam er ja wegen der Planung des Junggesellenabschieds und die haben wir erst mal durchgesprochen. Aber es ist auch nett, den Abend nicht allein zu verbringen.
»Oh Scheiße!«
Beim Klang einer Stimme neben mir schrecke ich aus dem Schlaf hoch und sehe mich panisch um, bevor ich erleichtert aufatme. Freddy sitzt mit dem Handy in der Hand auf der Bettkante und reibt sich übers Gesicht. Wir sind offenbar mitten im Film eingeschlafen, denn das Ende habe ich nicht mehr mitbekommen.
»Was ist los?«, frage ich mit noch immer rasendem Herzen.
»Verschlafen. Ich muss in einer halben Stunde auf dem Platz sein«, murmelt er, bevor er gähnt und sich hochstemmt. »Ich geh mal kurz ins Bad, ja?«
»Sicher. Soll ich dir Kaffee machen oder willst du noch was essen?«, rufe ich ihm nach und stehe ebenfalls auf.
»Schon gut. Ich hole was beim Bäcker bei mir unten im Haus. Zieh dich um, wir müssen gleich los.«
Verwirrt halte ich inne. »Wir?«
»Du wolltest doch zugucken.«
»Du wolltest, dass ich zugucke!«, korrigiere ich, doch er hat die Badtür schon hinter sich zugezogen.
Gähnend schlurfe ich zum Fenster und öffne es, bevor ich mich auf den Weg zur Kaffeemaschine mache. Nachdem ich sie befüllt und eingeschaltet habe, trinke ich ein Glas O-Saft und versuche, richtig wach zu werden. Auch wenn ich noch etwas k. o. bin, habe ich die erste Nacht seit Langem endlich mal wieder komplett durchgeschlafen. Normalerweise wache ich mindestens einmal auf und brauche dann auch eine Weile, um wieder einzuschlafen. Länger als drei Stunden am Stück schlafe ich nie und heute waren es elf Stunden!
Freddy taucht in der Küche auf und stemmt die Hände in die Hüften. »Was machst du da?«
»Auf meinen Kaffee warten«, antworte ich träge.
»Ich habe doch gesagt, dass ich uns was beim Bäcker hole. Zieh dich um, oder willst du in Jogginghose und Schlaf-Shirt mit auf den Platz?«
»Ich will überhaupt nicht mit auf den Platz«, erkläre ich, was ihn jedoch nur dazu veranlasst, die Augen zu verdrehen und mich am Arm zu schnappen. »Hey, lass mich los!«
»Du musst mal an die frische Luft, Paul. Bist ganz blass und träge«, meint er, während er mich ins Bad schleift.
Empört keuche ich, denn mit seinen zerzausten Haaren und dem Kissenabdruck auf der Wange sieht er nun auch nicht gerade aus wie das blühende Leben. »Du hast mich ja auch erst vor zehn Minuten aus dem Schlaf gerissen!« Ohne auf meinen Protest zu hören, schiebt er mich zum Waschbecken und schließt dann die Tür von außen hinter mir.
»Zehn Minuten!«
»Ich komme nicht mit!«, rufe ich durch die Tür, während ich meine Zahnbürste schnappe und auf die Toilette gehe. Der Vorteil an einer winzigen Wohnung ist, dass auch das Bad klein genug ist, um beim Pinkeln die Zahnpasta ins Waschbecken spucken zu können. Kurz erwäge ich, mich zu rasieren, habe dann aber doch keine Lust dazu, sondern wasche mir nur das Gesicht und hoffe inständig, dass Freddy bereits auf dem Weg zu seinem Spiel ist, wenn ich aus dem Bad komme.
Ich habe jedoch kein Glück. Wenigstens hält er mir bereits einen Thermobecher Kaffee entgegen.
»Schwarz war richtig, oder?«
»Ja.«
»Gut. Du willst also so bleiben?«
Seufzend gehe ich ins Wohnzimmer zurück. »Gott, du kannst vielleicht nerven. Wieso willst du unbedingt, dass ich mir dein Spiel ansehe?«
»Weil du mal rausmusst«, antwortet er, als wäre das eine völlig logische Erklärung, und folgt mir zum Kleiderschrank. »Komm schon. Ich lad dich hinterher auch zum Mittagessen ein.«
»Ich muss noch eine Klausur korrigieren.«
»Kannst du morgen machen.«
»Da muss ich einen Test für Montag vorbereiten.«
»Lügner. Das hast du gestern in der Schule gemacht.« Als ich genervt stöhne, lacht er nur. »Los jetzt, du Stubenhocker.«
Grimmig dreinblickend hole ich eine frische Jeans und ein Shirt aus dem Schrank und ziehe mich um. Freddy ist sichtlich zufrieden und nippt derweil an seinem eigenen Kaffee. Nachdem ich fertig bin, scheucht er mich aus meiner Wohnung und fährt uns kurz zu sich, da er erst noch Zähne putzen und seine Sporttasche holen muss.
Während er in seiner Wohnung ist, besorge ich uns Croissants und belegte Brötchen vom Bäcker. Letztere essen wir auf dem Weg zum Fußballplatz. Das Wetter ist herrlich und für Anfang Mai eigentlich schon zu warm, daher bin ich froh, dass die kleine Tribüne an einer Seite des Spielfelds überdacht ist und die Sitzplätze im Schatten liegen.
Freddys Mannschaft wärmt sich bereits auf, daher flitzt er nach einem Anschiss von seinem Trainer in die Umkleidekabine und ich suche mir, mit meinem noch halbvollen Thermobecher in der einen und der Bäckertüte in der anderen Hand, einen Platz auf der Tribüne, die erstaunlicherweise bereits gut besetzt ist. Sogar einige Fans der gegnerischen Mannschaft sind gekommen, um ihre Spieler anzufeuern.
Ich weiß zwar immer noch nicht, was ich hier soll, aber ich finde einen Platz neben ein paar älteren Herren und mache es mir mit meinem Kaffee und dem letzten Croissant gemütlich. Die Männer grüßen mich freundlich, dann fahren sie damit fort, das Spiel vom letzten Wochenende auszuwerten. Offenbar gehören sie zu den Hardcorefans von Freddys Mannschaft.
Der kommt in einem sonnengelben Trikot, das seine roten Haare ziemlich unvorteilhaft betont, aus dem Umkleidehäuschen gelaufen und begrüßt seine Mitspieler. Dann rennt er eine Runde um den Platz, wofür ich ihn bewundere, denn bei dem Tempo wäre ich wohl spätestens an der ersten Eckfahne bereits verreckt. Anschließend nimmt er in einem der Tore Aufstellung und versucht, die Bälle zu halten, die seine Mitspieler auf ihn schießen.
»Ach guck, der Herr von Toeben ist auch endlich da«, höre ich einen der älteren Männer sagen und blicke unauffällig hinüber, doch es klang eher erleichtert als belustigt, und auch die anderen nicken lediglich, während sie das Treiben auf dem Platz verfolgen.
Ich finde diese Aufwärmübungen nicht halb so spannend wie die Gruppe neben mir und kann im Gegensatz zu ihnen daraus auch nicht die Tagesform der einzelnen Spieler ableiten, aber nun sitze ich hier und muss es ertragen. Wenigstens springt ein Mittagessen für mich dabei raus.
Den Rest des Aufwärmprogramms verbringe ich damit, Neuigkeiten auf Facebook durchzulesen und meine E-Mails zu checken. Beides ist nicht sonderlich interessant, aber immerhin geht die Zeit damit schneller rum. Als der Schiedsrichter das Spiel anpfeift, kommt erst richtig Leben in die Männerrunde neben mir. Nicht nur, dass sie jeden Schuss bewerten, sie brüllen auch Anweisungen in Richtung Platz und stöhnen oder jubeln, je nachdem, wie das Spiel für Freddys Mannschaft läuft.
Wenn es nicht so nervig wäre, würde ich mich köstlich darüber amüsieren, wie verbissen diese Fans sind. Eine Weile beobachte ich das Spiel, aber da ich mich absolut nicht für Fußball interessiere, habe ich in den meisten Fällen keine Ahnung, warum der Schiedsrichter dieses oder jenes abpfeift, und kann das Gefluche neben mir daher auch nicht nachvollziehen. Es steht auch nach einer Viertelstunde noch unentschieden, was ich durchaus lobenswert finde, da Freddy ja meinte, dass sie gegen die beste Mannschaft spielen.
Um auch andere an meinem Leid teilhaben zu lassen, versuche ich, ein Selfie von mir mit dem Spiel im Rücken zu schießen und Theo zu schicken. Leider steht die Sonne blöd auf dem Platz, sodass ich bei den meisten Fotos nur mich und viel Licht im Hintergrund drauf habe.
»Kann man Ihnen irgendwie helfen, junger Mann?«, fragt einer aus der Männerrunde und erst jetzt fällt mir auf, dass sie nicht mehr plappern, sondern mich amüsiert beobachten.
»Ich hab's schon, aber danke«, sage ich mit heißen Wangen und schaue mir sicherheitshalber die Bilder noch mal an. »Jepp, ein Gutes ist dabei.« Ich schicke es an Theo und lächle dann dem freundlichen Herrn noch mal dankbar zu, der mir seine Hilfe angeboten hat.
»Sie sind nicht von hier, oder?«
»Oh, nein. Ich bin nur, hm... keine Ahnung, was ich hier eigentlich mache«, sage ich lachend.
Er runzelt die Stirn und wirft seinen Kumpels einen skeptischen Blick zu. »Geht es Ihnen gut?«
»Ja!«, antworte ich eilig. »Ich wollte damit nur sagen, dass ich nicht sagen kann, warum ich zugestimmt habe, herzukommen und mir das Spiel anzusehen. Ich interessiere mich eigentlich nicht für Fußball, aber ein Kumpel von mir spielt mit und hat mich quasi mitgeschleift, damit ich mal an die Luft komme und so. Also, ich bin Lehrer und er übertreibt völlig, denn wir bekommen durchaus Frischluft, aber nun sitze ich hier, und tja... ja, mir geht's gut.«
»Aha.«
Weil ich mir wie der letzte Vollidiot vorkomme, lächle ich peinlich berührt und wende mich schnell wieder dem Spielfeld zu. Mein Handy vibriert und als ich Theos Nachricht aufrufe, lache ich in mich hinein.
Heilige Scheiße, was machst du in der Nähe eines Sportplatzes? Hat man dich entführt? Wo bist du?
Grinsend tippe ich eine schnelle Antwort. Kaum habe ich das Handy wieder eingesteckt, erschrecke ich mich, denn die Herren neben mir springen abrupt auf und starren wie gebannt aufs Feld, bevor sie in Jubel ausbrechen.
»Er hat ihn wieder gehalten!«
»Das gibt's doch nicht! Ich hab ihn schon drin gesehen.«
»Ich sag's euch, von Toeben macht heute das Spiel seines Lebens.«
»Eindeutig!«
Durch ihr fast schon ehrfürchtiges Lob richte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Fußballfeld und beobachte, wie Freddy lachend den Ball in die Höhe hält, während ein paar seiner Mitspieler jubeln und die anderen in Richtung des gegnerischen Tors rennen.
Freddy wirft den Ball in die Luft und dann schießt er ihn bis weit über die Mittellinie hinaus. Einer seiner Mannschaftskameraden springt hoch, leitet den Ball mit dem Kopf an den nächsten weiter, der ihn tatsächlich mit der Brust fängt.
»Schieß doch!«, kommt es brüllend von neben mir.
»Wie viel Platz braucht der denn noch?«
Ein Raunen geht über die Tribüne, als der Ball an die gegnerische Mannschaft geht und diese wieder auf Freddys Tor zustürmt. Gebannt verfolge ich, wie er leicht in die Knie geht und die Hände griffbereit und hochkonzentriert vor dem Körper hält, während die Spieler vor ihm völlig überfordert zu sein scheinen.
»Oh Scheiße, das geht nicht gut.«
»Pssst«, mahne ich und erwische mich dabei, wie ich die Daumen drücke und ebenfalls aufspringe, obwohl vor mir niemand sitzt. »Er fängt ihn schon«, sage ich zuversichtlich und halte dann den Atem an.
Freddys Mitspieler können den Angreifer einfach nicht stoppen, doch bevor er zum Schuss kommt, wirft Freddy sich auf den Boden und schlittert auf den Ball zu. Der Gegner zögert, was Freddys Glück ist, denn im nächsten Moment drückt er den Ball an seine Brust und schiebt ihn unter seinen Körper.
Beide Trainer sind außer sich, meckern und zetern, doch Freddy strahlt und als unsere Blicke sich begegnen, recke ich begeistert den Daumen in die Höhe, was ihn grinsen lässt. Wer hätte gedacht, dass Fußball so aufregend sein kann?
»Von Toeben, dieser Teufel!«
»Unglaublich. Er hat ihnen wieder den Arsch gerettet.«
»Hey, junger Mann!«
Ich drehe mich zur Altherrengruppe um. »Ich?«
»Genau. Wer ist eigentlich Ihr Kumpel, der hier heute spielt?«
Grinsend deute ich auf den Helden des Spiels. »Unser Star-Torwart.«
»Tatsächlich? Woher kennen Sie sich?«
»Sein bester Freund ist mit meinem besten Freund verlobt«, antworte ich, woraufhin die Augen des Mannes immer größer werden und er sich zu den anderen Herren umdreht, die nicht minder geschockt aussehen.
»Oh.« Während die anderen stumm zum Spielfeld hinüberblicken, mustert mich der Typ, der mich angesprochen hat, bevor er lächelnd nickt. »Sie sind nicht zufällig der andere Irre, der mit ihm von diesem Turm gesprungen ist? Wir dachten, Trainer Lamprecht dreht durch, als er das Video davon gesehen hat, weil von Toeben momentan der Einzige ist, den er fürs Tor hat.«
»Ähm, ja, das war tatsächlich ich. Aber ich habe keine Ahnung, wie er mich dazu überreden konnte. Ich bin normalerweise nicht lebensmüde.«
Er grinst. »So, wie Sie sich normalerweise nicht für Fußball interessieren?«
»Ja, so ähnlich«, sage ich verlegen lachend, rutsche auf den freien Platz zwischen uns und strecke ihm die Hand hin. »Paul Mangold.«
»Richard Eggers.« Wir schütteln die Hände, dann deutet er auf seine Begleiter. »Das sind Karl-Heinz und Artur. Arturs Enkel spielt im Mittelfeld. Nummer Sieben.«
»Spielt heute aber nur Mist zusammen«, grummelt Artur, während ich den Herren nacheinander die Hände schüttle.
Ich sehe zum Spielfeld und suche die Nummer Sieben im roten Trikot. Er ist ein schmächtiger, aber flinker Kerl mit dunklen Haaren. Gerade hat er den Ball zu seinem Mitspieler geschossen und scheint darauf zu warten, dass er ihn in der Nähe des gegnerischen Tors wiederbekommt.
»Wieso versteckt er sich denn? Anbieten!«, brüllt Artur Richtung Spielfeld, auch wenn ich mir sicher bin, dass die Spieler ihn gar nicht wahrnehmen. »Och Junge, wer sollte diesen Pass denn kriegen? So was darf nicht passieren.«
»Beim nächsten Mal klappt's besser«, sage ich zuversichtlich, woraufhin mich alle drei ansehen, als wäre ich völlig bescheuert.
Schulterzuckend beobachte ich, wie die Spieler in Weiß-Grün wieder auf Freddy zustürmen. Er hat sich ein paar Meter vor seinem Tor aufgebaut, wedelt mit einem Arm in Richtung linker Torpfosten und brüllt Anweisungen an seine Mitspieler vor ihm.
»Wie lange geht das Spiel noch?«, frage ich, denn die Anspannung ist kaum auszuhalten.
»Zehn Minuten bis zur Halbzeit.«
Ich nicke erleichtert. »Gut. Danke.« Gebannt beobachte ich, wie die gegnerische Nummer Zehn auf Freddy zuläuft. Allerdings ohne Ball, was mich im ersten Moment irritiert. Dann schießt Nummer Elf ihn jedoch von der linken Seite aus über Freddys Mitspieler hinweg bis kurz vors Tor. Freddy und Nummer Zehn springen in die Luft und stoßen aneinander, doch am Ende behält Freddy die Oberhand, lässt sich nach der Landung auf die Knie fallen und drückt sich den Ball an die Brust, während der Gegner grimmig dreinschauend neben ihm landet.
Richard schnaubt. »Ohne von Toeben würden sie schon zurückliegen. Zweistellig. Schlafen die alle noch, oder was?«
»Ist er immer so gut?«, will ich wissen, während ich beobachte, wie der Schiedsrichter mit einer gelben Karte in der Hand angerannt kommt, weil Nummer Zehn Freddy hart mit der Schulter angestoßen hat, bevor er geflüchtet ist. »Na, so ein Arsch.«
»Der war wohl frustriert, weil heute keiner an unserem Torhüter vorbeikommt. Scheint wirklich sein Tag zu sein.«
»Also ist Freddy sonst nicht so gut?«
»Na ja, doch schon«, meint Artur. »Nicht so gut wie heute, aber er ist einer der besten der Mannschaft und es gibt halt sonst keinen, der ins Tor gehen könnte oder will.«
»Ist ja auch eine undankbare Position«, murmle ich nachdenklich, obwohl ich sowieso keine übernehmen wollen würde. Ich hätte auch nicht die Kondition dazu, so lange rumzurennen.
»Eigentlich nicht«, wirft Karl-Heinz ein. »Als Torwart kriegt man so gut wie nie die Schuld an einem Tor. Da muss man sich schon ganz schön dumm anstellen. Meist passieren die Fehler schon im Mittelfeld und unsere Abwehr ist generell nicht so berauschend. Wenn von Toeben dann drei Gegnern gegenübersteht, die sich den Ball noch zurechtlegen können, kann man ihm kaum einen Vorwurf machen, wenn er reingeht.«
»Verstehe«, sage ich nickend, denn so langsam durchblicke ich das Zusammenspiel und mir selbst ist auch schon aufgefallen, dass die Mannschaftskameraden direkt vor Freddy meist das Nachsehen haben. »Umso besser, dass er heute so gut ist. Er meinte, die Weiß-Grünen sind die Besten? Oder die Ersten oder so?«
»Tabellenführer, ja«, antwortet Karl-Heinz.
»Mann, Junge, Sie haben ja echt überhaupt keine Ahnung von Fußball«, wirft Artur genervt ein.
Ich grinse. »Stimmt.«
Als der Schiedsrichter zur Halbzeit pfeift, scheinen alle erleichtert zu sein. Ich lasse mich wieder auf meinen Platz fallen und ziehe mein Handy aus der Tasche, um bei Facebook reinzuschauen.
»Hey! Paul!«
Überrascht sehe ich auf. »Ja?«
Freddy steht verschwitzt mit einer Wasserflasche in der Hand am Fuß der Tribüne und lächelt zu mir hoch. Sein Lippenpiercing und die Ohrstecker musste er rausnehmen, was irgendwie seltsam aussieht. Zudem ist sein Gesicht knallrot, sodass sogar seine sonst so präsenten Sommersprossen verschwunden sind.
»Ich wollte nur mal sehen, ob du noch wach bist.«
»Haha«, sage ich und verdrehe die Augen. »Du machst ein tolles Spiel.«
Er runzelt die Stirn. »Du hast doch gar keine Ahnung davon.«
»Ja, stimmt. Aber ich lerne es gerade. Eure Abwehr ist nicht so gut. Die muss sich mal mehr anstrengen«, offenbare ich mein neues Wissen, was die Herren neben mir lachen lässt.
Freddy schmunzelt ebenfalls. »Gut erkannt, Sherlock. Ich muss wieder rüber. Du kommst klar?«
»Jepp. Viel Spaß noch.«
»Dir auch!«
Er winkt und flitzt zu seiner Mannschaft zurück und ich schaue wieder auf mein Handy.
»Da sitzt er!«
Als ich die Stimme meines besten Freundes höre, drehe ich mich grinsend um und winke ihm zu, während er hinter Marc die Tribünentreppe herunterkommt.
»Was macht ihr denn hier?«, frage ich, nachdem wir uns begrüßt haben. »Wolltet ihr das Wochenende nicht bei euren Eltern verbringen?«
Theo nickt. »Wir sind zum Mittag bei Marcs Vater eingeladen.«
»Wie steht es?«, will Marc wissen.