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Dass moderne Sklaverei immer noch existiert, erfährt Tami hautnah, als er als Kind von seiner eigenen Mutter verkauft wird. Etliche Jahre später wird er von dem geheimnisvollen Gregory freigekauft und auf dessen Insel gebracht, doch Tami kann zunächst nicht glauben, dass er wirklich frei ist. Erst nach und nach gelingt es ihm, zu seinem Retter und den anderen Inselbewohnern Vertrauen zu fassen. Während Tami sich immer besser einlebt, entwickelt sich ein zartes Band zwischen ihm und Greg, das beide nicht lange ignorieren können, aber die Schatten seiner Vergangenheit drohen Tami immer wieder einzuholen. Können Greg und er auf der Insel, wo sich Freiheit und Liebe vereinen, ihr gemeinsames Glück finden?
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Seitenzahl: 436
Deutsche Erstausgabe Juli (ePub) 2020
© 2020 by Jessica Martin
Verlagsrechte © 2020 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
Lektorat: Jannika Waitl
ISBN-13: 978-3-95823-829-9
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Klappentext:
Dass moderne Sklaverei immer noch existiert, erfährt Tami hautnah, als er als Kind von seiner eigenen Mutter verkauft wird. Etliche Jahre später wird er von dem geheimnisvollen Gregory freigekauft und auf dessen Insel gebracht, doch Tami kann zunächst nicht glauben, dass er wirklich frei ist. Erst nach und nach gelingt es ihm, zu seinem Retter und den anderen Inselbewohnern Vertrauen zu fassen. Während Tami sich immer besser einlebt, entwickelt sich ein zartes Band zwischen ihm und Greg, das beide nicht lange ignorieren können, aber die Schatten seiner Vergangenheit drohen Tami immer wieder einzuholen. Können Greg und er auf der Insel, wo sich Freiheit und Liebe vereinen, ihr gemeinsames Glück finden?
Gregory
»Was wollen Sie damit sagen, es gibt ein Problem mit der Ware?« Ich sehe in die Runde und ziehe drohend meine Augenbrauen hoch.
Meine sogenannten Geschäftspartner, die mir gegenübersitzen, werden nervös, versuchen jedoch, sich nichts anmerken zu lassen. »Sie ist bedauerlicherweise nicht mehr in dem Zustand, in dem Ihr Partner sie bestellt hat«, hat der Chef der Gang die Eier zu offenbaren.
Ich kneife die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Was soll das bedeuten? Hat einer Ihrer Männer sie etwa geschwängert?«
»Nun ja«, druckst der Anführer dieses lächerlichen Haufens vor mir herum und schluckt sichtbar.
Dass wir uns in einem hübsch begrünten Herrenhaus im Süden der Zentralafrikanischen Republik befinden, kann mich mittlerweile nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Händler hier in die unterste Schublade gehören.
Und wer, um alles in der Welt, ist so dumm und schwängert eine bereits versprochene Sklavin?
Ich atme tief ein und spanne meine Kiefer an, da mir bewusst ist, wie bedrohlich diese Geste auf sie wirkt. »Soweit ich informiert bin, wurde ein Teil des Preises bereits bezahlt, Mr. Souleymane. Sechzehntausend Dollar, um genau zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass ich extra eingeflogen bin, und jetzt wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass die Ware beschädigt ist?«
Mein gefährlich leiser Ton und der drohende Blick wirken. Die Typen werden unruhig, einer wird eilig aus dem Raum geschickt und ein weiterer gießt mir noch etwas von dem furchtbar süßen Tee nach.
»Wir verstehen, dass Ihnen das Unannehmlichkeiten bereitet, Mr. Hank«, behauptet der Anführer, wobei er sich zurücklehnt und eine Waffe in seinem Hüftgurt offenbart, als würde er mich damit einschüchtern wollen.
Belustigt schnaube ich. »Unannehmlichkeiten? Die Unannehmlichkeiten werden Sie bekommen, wenn Sie mir nicht umgehend adäquaten Ersatz liefern, Mr. Souleymane. Ich bin sicher nicht Tausende Kilometer hergeflogen, um mir sagen zu lassen, dass einer Ihrer Männer seinen Schwanz nicht in der Hose behalten konnte. Was zum Teufel soll mein Partner mit beschädigter Ware anfangen? Die ist nicht weiterzuverkaufen, denn ordentlich arbeiten kann sie ja wohl nicht!«, verdeutliche ich erbost. »Ich bin heute großzügig und gebe Ihnen eine halbe Stunde, um mir Ersatz zu präsentieren, ansonsten werden wir uns in Zukunft anderweitig umsehen müssen.« Mit diesen Worten lehne ich mich bequem zurück und schlage die Beine übereinander, während ich die Finger vor dem Bauch verschränke. »Ihre Zeit läuft!«
Ich werde hier nicht wegfliegen, ohne mindestens einer der Frauen das Leben gerettet zu haben. Die Schwangere nehme ich auch noch mit, die schafft es hier sonst nicht, ganz zu schweigen von einem Neugeborenen. Es darf mir nur niemand anmerken.
»Selbstverständlich, Mr. Hank.« Der Anführer gibt einem seiner Kumpane ein Handzeichen und sofort verlässt dieser den Raum. »Wir werden dafür sorgen, dass Sie nicht mit leeren Händen abreisen müssen«, versichert er mir mit einem hässlichen Grinsen.
Ich nicke knapp. »Davon gehe ich aus.«
Er lächelt, dann deutet er auf meine Tasse. »Darf ich Ihnen noch etwas aus der Küche holen lassen? Einen Snack, vielleicht?«
»Einen frischen Tee. Ohne Zucker, bitte.«
Ein weiterer Mann bekommt ein Handzeichen und flitzt sofort aus dem Zimmer, während ich mir ein Blickduell mit Souleymane liefere.
»Mr. Hank?«, spricht mich jemand ein paar Minuten später kaum hörbar von der Seite her an. Als ich aufsehe, begegnet mir das hübscheste Paar brauner Augen, in das ich je geblickt habe. »Ihr Getränk«, sagt der Besitzer dieses umwerfenden Augenpaares und stellt eine abgedeckte Tasse vor mir ab.
Ich nicke knapp und lasse meinen Blick kurz über die schmale Gestalt gleiten. Der junge Mann sammelt schnell noch ein paar benutzte Tassen und Teller vom Tisch ein und schickt sich dann an zu verschwinden. In seiner Eile rutscht ihm eine der Tassen vom Tablett und fällt klappernd auf den Holzboden, bleibt jedoch ganz, was ohne Zweifel sein Glück ist. Trotzdem wird der Junge sofort angeschrien und aus dem Zimmer gezerrt, was mir das Blut in den Adern gefrieren lässt.
»Bitte entschuldigen Sie den kleinen Zwischenfall«, sagt Souleymane an mich gewandt.
Ich sehe ihn an und ziehe die Augenbrauen hoch. »Frischfleisch?«
»Nein, bedauerlicherweise nicht.« Seufzend schüttelt er den Kopf. »Ein hoffnungsloser Fall. Wir beschäftigen ihn im Garten. Gießen und hacken kann er, aber zu mehr taugt er nicht. Leider nicht verkaufbar. Normalerweise hätten wir Sie mit seinem Anblick verschont, aber im Moment haben wir leider ein kleines Personalproblem.«
Dass er sofort abblockt, ohne mir überhaupt ein Angebot zu machen, lässt mich hellhörig werden. Normalerweise würde hier niemand durchgefüttert werden, der nicht zu Geld gemacht werden kann.
Ich nicke jedoch. »Verständlich.«
Souleymane sieht sogar ein wenig erleichtert aus, was sämtliche Alarmglocken in mir schrillen lässt.
»Haben Sie sonst noch etwas Interessantes? Wenn ich schon einmal hier bin, können Sie mir vielleicht behilflich sein, jemanden für mein Boot zu finden.«
»Ihr Boot?«, fragt er offenbar überrascht.
Ich lächle ein wenig amüsiert. »Na ja, es ist nicht direkt ein Boot. Eher eine kleine Jacht. Ich bin noch auf der Suche nach jemandem, der sie in Schuss halten kann. Amerikanische Arbeiter sind sehr teuer. Und Weiber taugen dafür nicht«, erkläre ich, woraufhin er verständnisvoll nickt. »Aber ich brauche jemanden, der putzen und ein Schiff präsentabel halten, aber es natürlich nicht steuern kann.«
Er nickt bedächtig, offenbar in Gedanken. »Verstehe. Aber ich fürchte, so etwas haben wir nicht da. Zurzeit ist der Markt für Männer knapp. Es gibt so gut wie niemanden, der nicht sofort verkauft wird.«
»Zu schade«, befinde ich mit gespieltem Bedauern. »Was ist mit dem Kleinen von eben? Putzen wird er doch können, oder?«
Souleymane lacht. »An ihm würden Sie keine Freude haben. Er würde Ihnen mehr Schaden als Nutzen bereiten.«
Und doch behält er ihn.
Ich muss vorsichtig vorgehen, darf nicht zu großes Interesse zeigen, doch mittlerweile glaube ich, dass der junge Mann hier mehr als nur der Gärtner ist. Ich bin mir nicht sicher, wofür sie ihn sonst noch brauchen und das werden sie mir auch nicht einfach so verraten wollen, aber ich lasse es auf einen Versuch ankommen. Wenn ich großes Glück habe, kann ich heute noch drei Menschen und einem Ungeborenen das Leben retten.
»Ich verstehe.« Um glaubwürdig zu wirken, lächle ich leicht. »Er ist bereits einer Kundin versprochen, nicht wahr?«
Souleymane verliert sogar für einen Moment die Fassung, dann bricht er in schallendes Gelächter aus, was mich, zugegeben, etwas überrascht. »Nein, mein lieber Mr. Hank, da liegen Sie völlig falsch. Der ist für Frauen wahrlich nicht geeignet.«
»So?«, frage ich mit nur leicht angedeutetem Interesse, bevor ich einen Schluck Tee trinke.
»Gut, ich verrate es Ihnen.« Fast schon verschwörerisch lehnt er sich vor. »Tamirat ist eine Missgeburt. Frauen lassen ihn völlig kalt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Fuck, der Junge schafft es hier nicht lange.
Ich verziehe angewidert das Gesicht, was meinen Gesprächspartner lachend nicken lässt. »Warum lassen Sie ihn nicht davon heilen? Dann könnten Sie einen hübschen Preis für ihn verlangen«, schlage ich betont beiläufig vor und stelle meine Tasse wieder auf den Teller.
»Heilen?« Souleymane ist sichtlich verdutzt.
Ich nicke jedoch. »Sicher. Das machen wir bei uns schon seit Jahren so. Die Europäer mittlerweile auch. Ganz legal ist das noch immer nicht und die Prozedur ist recht teuer, aber die Investition könnte sich lohnen.«
Das scheint meinen Gesprächspartner ins Grübeln zu bringen und verschafft mir wertvolle Sekunden, mir einen Plan zurechtzulegen.
»Mr. Souleymane?« Eine kleine, schmale Frau kommt ins Zimmer getapst. Sie sieht unterernährt aus und hat ganz offensichtlich große Angst.
»Das wird Zeit!«, herrscht Souleymane sie an, woraufhin sie zusammenzuckt und sich offenbar die Tränen verkneifen muss. »Präsentier dich!«
Sie zögert, doch als ihr Besitzer ihr einen warnenden Blick zuwirft, dreht sie sich langsam, um sich von allen Seiten begutachten zu lassen.
»Was sagen Sie? Sie spricht Französisch und ein wenig Englisch. Ist das ein angemessener Ersatz?«, will Souleymane wissen.
Ich mustere sie skeptisch. »Irgendwelche Makel, von denen ich wissen sollte?«
»Nun, sie hat ein paar blaue Flecke auf dem Arsch, aber die sind nicht dauerhaft. Hat sich anfangs etwas dumm angestellt und ist hingefallen.« Überzeugend ist er nicht gerade.
»Mein Partner kann niemanden gebrauchen, der sich dumm anstellt«, erinnere ich ihn. »Aber gut, sie ist hübsch anzusehen. Kann sie kochen?«
»Selbstverständlich.«
»Putzen und Nähen?«
»Das habe ich alles gelernt, Mister«, versichert sie mir, woraufhin Souleymane aufspringt und ihr eine schallende Ohrfeige verpasst.
»Du hast die Kunden nicht anzusprechen! Ist das klar?«, brüllt er.
Wimmernd hält sie sich die Wange und nickt eilig. »Es tut mir leid, Mr. Souleymane.«
Ich seufze und sehe sie noch einmal von oben bis unten an. »Was soll sie kosten?«
»Nun, sie ist eines unserer besten Pferde im Stall. Dreißigtausend sollten angemessen sein«, meint er, nachdem er sich wieder gesetzt hat.
Kopfschüttelnd deute ich auf die junge Frau. »Mr. Souleymane, wir beide wissen, dass diese Ware noch weit davon entfernt ist, auf dem amerikanischen Markt weiterverkauft werden zu können. Sie ist zwar vorzeigbar und kann sich nützlich machen, aber sie ist vorlaut und tollpatschig. Wenn Sie mir nichts Besseres bieten, werden wir uns nicht einigen können.«
Natürlich verkaufen wir keinen der Menschen in Amerika weiter. Wir sind Käufer, keine Händler. Uns ist klar, dass wir diese Arschlöcher nicht davon abhalten können, weiterhin Frauen und Männer, sicher auch Kinder, zu verkaufen, aber meine Freunde und ich tragen dazu bei, dass diese Menschen anschließend in Freiheit leben können.
Wenn wir sie nicht kaufen, dann tut es ein anderer und bei diesem hat sicher keiner von ihnen die Möglichkeit, ein halbwegs normales Leben zu führen. Nein, wer es in unser Flugzeug schafft, der hat Glück gehabt.
Für alle anderen können wir nur beten. Und für uns, dass bloß niemals jemand davon Wind bekommt. Schon gar nicht diese Kerle, die sich hier mit mir in einem Raum befinden.
»Okay, Sie bekommen sie für fünfzehntausend«, erklärt er zähneknirschend.
»Mein Partner hat bereits sechzehntausend angezahlt«, erinnere ich. »Dafür muss ich ihm etwas vorweisen können. Diese hier«, ich deute auf die junge Frau, »reicht dafür nicht.«
Offenbar frustriert nickt Souleymane. »Das verstehe ich.«
»Wie beschädigt ist die ursprünglich vereinbarte Ware?«, will ich seufzend wissen. »Wenn es noch nicht zu weit ist, kann man eventuell noch etwas machen. Zeigen Sie sie mir!«
Er weist erneut einen seiner Männer an, der aus dem Zimmer eilt.
»Ich nehme derweil ein Glas Wasser«, sage ich betont gleichgültig. Es fällt mir schwer, denn mittlerweile will ich hier nur noch raus und zwar mit so vielen Menschen wie möglich.
»Tamirat!«, brüllt einer der Männer durch eine Tür an der linken Seite des Raumes. »Hol Mr. Hank ein Glas Wasser. Beeil dich.«
Ich schüttle wegen dieser Unprofessionalität den Kopf, was Souleymane zähneknirschend hinnimmt. Ich muss aufpassen, ihn nicht zu sehr zu reizen, denn ich will hier ebenfalls heil rauskommen. Gleichzeitig muss ich ihn so weit bringen, dass er Angst vor mir hat und natürlich auch davor, mein Geld nicht zu bekommen, damit er tut, was ich sage. Es ist ein echter Drahtseilakt. Diese Typen sind unberechenbar.
Kurz darauf kommt der junge Mann mit den hübschen Augen ins Zimmer, läuft mit gesenktem Blick auf mich zu und stellt das Wasserglas auf dem Tisch ab. »Kann ich Ihnen noch einen Wunsch erfüllen?«
»Das ist alles«, lehne ich ab, woraufhin er sich umdreht. »Warte!« Ich wende mich an Souleymane, der die Augenbrauen hebt. »Er ist fleißig?«
Souleymane nickt knapp, dann sieht er Tamirat an. »Geh wieder an die Arbeit, Missgeburt.«
»Moment! Hat er noch alle Zähne?«
Mein Gesprächspartner nickt erneut, sieht jedoch wenig begeistert aus. »Aber wie ich Ihnen schon sagte, Mr. Hank, Tamirat wird für Sie nicht von Nutzen sein.«
Ich sehe den jungen Mann an, der sichtbar schluckt und mir wird klar, dass ich ihn nicht hier zurücklassen kann.
»Nun, das kommt doch ganz gewiss auf den Preis an. Ich könnte mich für jemanden interessieren, der meine Jacht in Schuss halten kann, den Frauen aber nicht zu nahe kommen wird.« Ich lasse meinen Blick über seinen viel zu dünnen Körper gleiten. »Wie alt ist er?«
»Das wei–«
Als ich die Hand hebe, verstummt er. »Ich bitte Sie, diese Spielchen sein zu lassen, Mr. Souleymane. Ich denke, Sie haben schon mehr als genug meiner Zeit in Anspruch genommen.«
Er wird rot im Gesicht, nickt aber knapp.
Ich wende mich an den jungen Mann. »Wie alt bist du, Tamirat?«
Seine Augen werden riesig und zucken sofort zu Souleymane rüber. »Ich bin vierundzwanzig Jahre alt, Mr. Hank«, antwortet er schließlich flüsternd. Er spricht anscheinend recht gut Englisch und Französisch, was ein Riesenvorteil wäre, wenn er mit nach Amerika kommt.
Außerdem ist der Mann kein Afrikaner. Zumindest nicht nur. Sicher ist eines seiner Elternteile amerikanischer oder europäischer Abstammung gewesen, denn seine Haut ist heller als die der anderen, milchkaffeebraun, und sein Gesicht ein wenig kantiger, wobei er kurze schwarze Locken und volle Lippen hat. Er ist wirklich sehr attraktiv, aber ziemlich abgemagert.
»Kannst du ein Schiff lenken?«, hake ich nach.
Mit gesenktem Blick schüttelt er den Kopf. »Nein, das kann ich nicht, Mr. Hank.«
»Kannst du putzen? Vogeldreck abkratzen, aufwischen und Ordnung halten?«
»Ich denke schon, Mr. Hank.« Er spricht so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann.
Ich schürze die Lippen, nicke und greife nach dem Wasserglas. »Ich nehme ihn.«
»Was?«, entweicht es Souleymane. »Mr. Hank, glauben Sie mir, die Missgeburt wird Ihnen mehr schaden als nutzen.«
»Er ist volljährig und kann die Aufgaben erledigen, für die ich jemanden benötige. Er spricht ausreichend Englisch, zusätzlich lässt er bei Partys die Finger von meinen Gästen«, widerspreche ich.
»Von Ihren weiblichen Gästen«, entgegnet Souleymane mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Ist er so ungestüm, ja?«, frage ich lachend. »Nun, ich denke, dass die Herren durchaus in der Lage sind, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Notfalls werde ich ihn schon zur Raison bringen.«
Souleymane sieht ganz und gar nicht begeistert aus, wird jedoch vom Protest abgehalten, als eine junge Frau hereinkommt, die offensichtlich sehr wacklig auf den Beinen ist. Sie ist ebenfalls unterernährt, zittert und legt sich schützend eine Hand auf den flachen Bauch.
»Wie mir scheint, sind Ihre Sklaven alle ziemlich schlecht ernährt, Mr. Souleymane«, spreche ich an, was dringend gesagt werden muss. »Das ist meinem Partner schon bei seiner letzten Reise hierher aufgefallen. Wir sind übereingekommen, dass wir es nicht länger ohne Preisnachlass hinnehmen wollen, Ihre Ware aufzupäppeln, wenn wir sie hier abgeholt haben, denn so ist sie nicht zu verkaufen.«
»Ich bin davon ausgegangen, dass Frauen bei Ihnen in Amerika und auch in Europa sehr schlank sein sollen«, erklärt er offenbar überrascht und weit wenig professionell.
»Schlank ja«, stimme ich zu. »Unterernährt nicht.« Ich blicke auf meine Uhr und schüttle den Kopf. Dann sehe ich seufzend in die Runde. »Ich mache es kurz, Mr. Souleymane, denn mir läuft ein wenig die Zeit davon. Es sieht so aus, als wäre da noch was zu retten«, erkläre ich mit einem Daumenzeig auf die schwangere Frau. »Ich nehme Ihnen alle drei ab. Sie haben eine Anzahlung von sechzehntausend Dollar bekommen. Ich lege noch vierzehn Riesen drauf, dann fahre ich nicht mit leeren Händen nach Hause. Ich denke, damit haben auch Sie einen akzeptablen Deal gemacht. Lassen Sie die Ware in mein Flugzeug bringen, ich werde das Geld wie immer augenblicklich anweisen.« Mit diesen Worten erhebe ich mich und mustere noch einmal die drei Menschen, die mich mit großen, ängstlichen Augen ansehen. »Sollten Sie weiterhin Geschäfte mit meinen Partnern oder mir machen wollen, sorgen Sie in Zukunft dafür, dass Ihre Ware nicht so abmagert.«
Souleymane springt auf die Beine und wirft einen panischen Blick auf den jungen Mann, der alarmiert zwischen uns hin und her sieht. »Bei allem Respekt, Mr. Hank. Ich kann Ihnen keine drei Exemplare für so einen geringen Preis überlassen.«
Ich knöpfe die Jacke meines maßgeschneiderten Anzugs zu. »Sechzigtausend für alle drei.«
Souleymane zieht die Stirn kraus und schüttelt den Kopf. »Das kann ich auf keinen Fall akzeptieren. Tamirat ist nicht zu verkaufen.«
Überrascht ziehe ich die Augenbrauen hoch. »Nicht zu verkaufen? Sind Sie nun an Geschäften mit mir und meinen Partnern interessiert oder wie darf ich das verstehen?«
Seine Nasenflügel blähen sich auf, während er offenbar schwer am Nachdenken ist. Dann lächelt er plötzlich gespielt freundlich. »Mein lieber Mr. Hank, selbstverständlich bin ich an Geschäften mit Ihnen interessiert. Ich muss Sie aber bitten, Ihr Angebot noch einmal zu überdenken. Sie werden sicher verstehen, dass ich meinen Preis, gerade was Tamirat betrifft, an die derzeit hohe Nachfrage anpasse.«
»Natürlich verstehe ich das«, lüge ich, denn ganz sicher sagt er das nur, um den Preis hochzutreiben. »Wie viel haben Sie sich für ihn vorgestellt?«
»Zweihunderttausend Dollar.«
Das ist eine Hausnummer. So viel bekommt er für alle Frauen hier im Haus zusammen nicht. Vielleicht ist es doch nicht nur Gier und er hat an diesem Tamirat wirklich Gefallen gefunden. Umso wichtiger ist es, dass ich den jungen Mann hier raushole.
Langsam den Kopf schüttelnd sehe ich ihn noch einmal von oben bis unten an, bevor ich mich Souleymane wieder zuwende. »Wie klingen neunzigtausend? Für alle drei.«
»Einhundertfünfzig.«
Gespielt nachdenklich wiege ich den Kopf hin und her. »Einhundertzehn, das ist mein letztes Angebot, die Kosten betrachtend. Dafür kümmern wir uns um das Problem der beschädigten Ware und entlasten Sie von der Missgeburt.« Ich setze alles auf eine Karte. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn er ablehnt. Denn um glaubwürdig zu bleiben, müsste ich es durchziehen und die drei Menschen hierlassen. Hoffentlich täusche ich mich in Souleymanes Gier nicht.
Souleymane sieht hin- und hergerissen aus. Ganz sicher will er den jungen Mann nicht verkaufen, hat aber offenbar auch keine schlagenden Argumente mehr. Zumindest nicht ohne zu offenbaren, dass er selbst Interesse an ihm hat, denn das vermute ich mittlerweile stark. Außerdem bekäme er für die Schwangere noch Kohle, was er von anderen Käufern eher nicht erwarten könnte.
Schließlich nickt er einem der Männer zu. »Holt ihre Sachen und schafft sie zum Flugzeug.«
Mit einem zufriedenen Lächeln gehe ich auf Souleymane zu und strecke meine Hand aus. »Ich freue mich, dass wir uns wieder einmal einigen konnten.«
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite«, erklärt er ebenfalls mit einem Lächeln. Dass dieses gezwungen ist, ist mir dabei herzlich egal.
»Ich werde das Geld anweisen.« Nichts wie raus hier.
Drei völlig verängstigte Menschen werden zu meinem Flugzeug gebracht. Jeder von ihnen hat eine Tasche mit Habseligkeiten an sich gepresst und die beiden Frauen sind eindeutig den Tränen nahe. Mit dem Laptop in der Hand stehe ich an der offenen Tür und sehe auf den Typen hinunter, der ebenfalls einen aufgeklappten Laptop vor sich stehen hat. Als er nickt, werden die beiden Frauen nach vorn geschubst, während der junge Mann halbwegs freiwillig zu kommen scheint. Zumindest muss er nicht am Arm zur Treppe gezerrt werden.
Als die drei eingestiegen sind, nicke ich noch einmal hinunter, dann schließt Sybil, meine Stewardess und gute Freundin, die Tür.
Ich gebe den Piloten ein Zeichen und dann setzt sich das Flugzeug auch schon in Bewegung. Sybil dirigiert beide Frauen eilig zu Plätzen im hinteren Teil der Maschine, während ich Tamirat auf einen der Sitze am Tisch drücke und ihm den Sicherheitsgurt anlege.
Je schneller wir hier weg sind, desto besser. Ich bin mir sicher, dass Bob mich lynchen wird, weil ich zwei Leute mehr als abgesprochen an Bord habe, doch er wird es auch verstehen.
Als wir abgehoben haben, lockere ich den Knoten meiner Krawatte und reiße sie mir schließlich aus dem Kragen. Zusammen mit meiner Anzugjacke werfe ich sie auf den Sitz neben mir. Tamirat beobachtet mich ängstlich, während ich die Frauen leise, aber deutlich aufgeregt sprechen hören kann.
»Hast du Durst oder möchtest du etwas essen?« Mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen blicke ich ihn an.
Der junge Mann blinzelt reichlich verwirrt und schüttelt auch gleich den Kopf. »Nein, Mr. Hank.«
»Bitte, nenn mich Gregory. Mr. Hank bin ich nur da unten«, bitte ich freundlich.
»Ich verstehe nicht«, flüstert er.
Ich stehe auf und hole zwei Flaschen Wasser, die ich auf den Tisch stelle. »Trink etwas, Tamirat. Du bist jetzt in Sicherheit.« Mit diesen Worten gehe ich nach hinten, wo Sybil mir versichert, dass die Frauen zwar völlig verängstigt sind, aber zumindest etwas zu trinken und ein wenig Salzgebäck zu sich genommen haben.
Ich gehe zu Tamirat zurück, der seine Sachen an die Brust gepresst hält, und stelle ihm ebenfalls eine Schale mit Knabberkram hin, denn er sollte dringend etwas essen. Das Wasser hat er nicht angerührt.
»Bitte, iss und trink«, fordere ich ihn noch einmal freundlich auf, woraufhin er zögerlich nach einer Wasserflasche greift.
»Mr. Hank?«, fragt er ganz leise.
»Gregory«, korrigiere ich lächelnd.
»Bitte entschuldigen Sie. Mr. Gregory, was... was geschieht jetzt mit Malaika und Zara?«, will er mit erstaunlich fester Stimme wissen.
»Welche von ihnen ist schwanger?«
Tamirat schluckt. »Zara.«
Ich versuche, ihm grob zu schildern, was als Nächstes geschehen wird. »Sobald wir in den USA landen, wird sie von einem Arzt untersucht. Anschließend wird sie eine Unterkunft bekommen, in der sie sich erholen und zu Kräften kommen kann, wie ihr anderen beiden auch. Dann wird dafür gesorgt, dass beide Frauen dauerhaft ein sicheres Zuhause bekommen.«
»Und was... was ist mit –«
»Du wirst mit mir kommen«, offenbare ich. Ich habe mir noch keinen genauen Plan zurechtgelegt, aber ich kann Bob nicht noch eine weitere Person aufbürden. Ich habe den jungen Mann da rausgeholt, also werde ich auch für ihn sorgen. »Ich habe eine kleine Insel, auf der du dich erholen kannst. Niemand wird dich dort belästigen.«
Ein riesiges Fragezeichen steht ihm ins Gesicht geschrieben, doch wahrscheinlich könnte ich jetzt reden und reden, er würde mir nicht glauben. Sobald wir auf meinem kleinen Eiland ankommen, wird er es schon sehen.
Wenn wir in Marokko aufgetankt haben, um bis nach Virginia durchfliegen zu können, werde ich Bob anrufen und mir meinen Anschiss abholen.
Tamirat
Ich werde auf eine Insel gebracht.
Was genau das bedeutet, weiß ich nicht, aber ich kann Mr. Gregory jetzt nicht danach fragen, denn er telefoniert mit jemandem namens Bob. Mr. Gregory sieht nicht gerade glücklich aus, doch er sagt immer wieder, dass er keine andere Wahl gehabt hätte, als Malaika und mich auch mitzunehmen. Schließlich erzählt er noch, dass Zara schwanger ist und ein Arzt da sein soll, wenn wir mit dem Flugzeug zum zweiten Mal landen.
Ich war noch nie zuvor in einem Flugzeug. Ich habe sie aber schon einige Male hinter dem Haus losfliegen oder landen sehen, in dem ich die letzten paar Jahre gelebt habe. Meine Mutter hat mich an einen Händler verkauft, weil ich eine Missgeburt bin. Sie hatte Angst davor, dass ich Unheil über das Dorf bringen könnte. Zusammen mit ein paar Frauen bin ich schließlich zu Mr. Souleymane gekommen.
Ich weiß nicht genau, was falsch an mir ist, nur, dass es nicht richtig ist, dass ich manchmal ein Kribbeln im Bauch und einen steifen Schwanz bekomme, wenn ich nackte Männer sehe. Das ist abartig und ich werde dafür ins Fegefeuer kommen.
Jetzt sind wir zum zweiten Mal mit dem Flugzeug gestartet und ich werde von Mr. Gregory auf eine Insel mitgenommen. Er sagt, dass ich mich dort erholen kann und niemand mich belästigen wird. Niemand, außer ihm, meint er damit sicher, denn schließlich hat er mich gekauft. Also werde ich ab jetzt für Mr. Gregory arbeiten.
»Tamirat?«
Ich zucke zusammen, denn ich habe gar nicht bemerkt, dass er aufgehört hat zu telefonieren. »Ja, Mr. Gregory?«
Jetzt schaut er mich freundlich lächelnd an. »Du solltest doch etwas essen und trinken.« Er zeigt mit dem Finger auf die Schale, die auf dem Tisch vor mir steht. »Du musst wieder zu Kräften kommen.«
Ich nicke ergeben und trinke einen Schluck Wasser. Das Gebäck, das er mir entgegenschiebt, schmeckt salzig und trocken, sodass ich noch mehr Wasser trinken muss.
Mr. Gregory lächelt. »So ist es besser. Iss und trink so viel du magst. Wir haben ausreichend an Bord.«
»Ja, Mr. Gregory«, sage ich höflich, dann sehe ich über meinen Sitz nach hinten zu Malaika und Zara, die beide zu schlafen scheinen. Hoffentlich schlafen sie wirklich nur und wurden nicht betäubt.
»Sie haben sich mittlerweile beruhigt«, höre ich Mr. Gregory sagen, sodass ich ihn wieder ansehe. »Du solltest auch etwas schlafen. Wir haben noch einen ziemlich langen Flug vor uns und es gibt hier ohnehin nicht viel zu sehen.«
Er hat recht. Es ist mittlerweile stockdunkel draußen und man kann kaum etwas erkennen. »Wie lange fliegen wir denn?«
»Noch etwa zehn Stunden. Sobald wir gelandet sind, werden wir aussteigen. Malaika und Zara werden dann in die Obhut eines sehr guten Freundes genommen. Sie werden versorgt und bekommen einen Schlafplatz und saubere Kleidung. Wir beide steigen in ein kleineres Flugzeug um und fliegen anschließend noch drei Stunden weiter. Zum Abendessen sollten wir auf der Insel landen.«
Ich nicke, denn was anderes bleibt mir nicht übrig, auch wenn ich große Angst davor habe, in ein fremdes Land zu reisen. Mr. Gregory lächelt mich wieder an, dann schaltet er das Deckenlicht aus, sodass es, bis auf ein paar Nachtlämpchen, dunkel ist.
»Versuch zu schlafen, Tamirat«, sagt er leise. »Morgen können wir darüber reden, was die Zukunft dir bringen kann.«
Mr. Gregory lächelt sehr viel. Andere Händler waren nie freundlich, daher weiß ich nicht, was er damit bezweckt. Aber Mr. Gregory ist auch der erste Amerikaner, den ich kennenlerne. Er hat ganz gerade, weiße Zähne und viel hellere Haut als ich. Nur die Frau, die dort hinten bei Zara und Malaika sitzt, hat noch weißere Haut als er. Und er hat leuchtend blaue Augen.
»Bist du wirklich vierundzwanzig, Tamirat?«, fragt Mr. Gregory. Er hat jetzt die Augen geschlossen und den Kopf nach hinten gelehnt.
Ich lehne mich ebenfalls zurück. »Ja, ich denke schon. Ich habe kein Dokument, auf dem das steht, aber ich weiß, dass ich am dritten Juni Geburtstag habe.«
»Was genau war deine Aufgabe bei Souleymane?«
»Ich habe den Garten bewirtschaftet. Ich habe die Pflanzen gewässert und von Schädlingen befreit, natürlich gesät und geerntet. Wenn es nötig war, habe ich auch Reparaturen im Haus gemacht. Und manchmal... habe ich für Mr. Souleymane getanzt«, antworte ich leise.
Mr. Gregory öffnet die Augen und sieht mich für einen Moment stumm an. »Verstehe.« Er richtet sich ein Stück auf und lächelt dann. »Auch, wenn dir ohne Zweifel jahrelang etwas anderes eingeredet wurde, ist es nicht schlimm, Männer sexuell anziehend zu finden.«
»Ich komme dafür ins Fegefeuer.«
Mr. Gregory schüttelt lächelnd den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Und selbst wenn, bist du da in bester Gesellschaft.« Er zwinkert mir zu und lehnt sich dann in seinem Sitz zurück. »Sollten wir wirklich im Fegefeuer landen, wird das die verdammt beste Gayparty aller Zeiten.«
Ich bin verwirrt. »Was ist eine Gayparty?«
Mr. Gregory lacht. »Ein Fest für Schwule. Für Männer, die auf Männer stehen. So wie wir.«
»Sie sind auch eine Missgeburt?«, frage ich viel zu vorlaut und schlage mir auf den Mund. »Es tut mir leid.«
Mr. Gregory wird ganz ernst und beugt sich über den Tisch, sodass ich unweigerlich die Schultern hochziehe und mich kleinmache. »Niemand von uns ist eine Missgeburt, Tamirat. Und ich will nicht noch einmal hören, dass du dich selbst so bezeichnest, verstanden?«
Ich nicke ängstlich, denn wenn er mich so intensiv anstarrt, beginnt mein Herz zu rasen und mir wird übel. Ich habe Angst vor ihm, aber nicht so sehr, wie ich sie vor Mr. Souleymane und den anderen Männern hatte. Bisher war Mr. Gregory ganz nett zu mir, auch wenn er nur so tut.
Mr. Gregory lehnt sich wieder zurück und schließt die Augen. »Im Übrigen musst du mich nicht mit Mister ansprechen. Ich verstehe, dass du das so gewohnt bist, aber es ist nicht mehr nötig.«
»Ich versuche es«, sage ich leise und verkrieche mich noch ein Stück weiter in meinen Sitz.
»Möchtest du eine Decke, Tamirat?«, werde ich von der Frau angesprochen, die bis eben noch bei Zara und Malaika gesessen hat. »Hier oben kann es recht frisch werden.«
Ich schüttle den Kopf, auch wenn mir wirklich etwas kalt ist. »Es geht schon.«
Sie öffnet eine Klappe über meinem Kopf und holt eine Decke hervor, die sie mir reicht, sodass ich schließlich doch zugreife. »Du auch, Greg?«, fragt sie dann, woraufhin Mr. Gregory nickt und sie ihm ebenfalls eine Decke gibt.
»Falls du mal auf die Toilette musst, Tamirat: Die ist gleich hier vorn.« Sie deutet auf eine schmale Tür ein paar Schritte von unserem Tisch entfernt.
»Danke schön«, flüstere ich.
Die Frau nickt, dann geht sie wieder nach hinten. Ich lege mir die Decke über die Beine und den Kopf gegen den Sitz. Müdigkeit überrollt mich und meine Augenlider werden schwer. Ich versuche, die Augen aufzuhalten, habe aber keinen Erfolg.
Als ich aufwache, liege ich in meinem Sitz. Jemand muss die Lehne nach hinten umgeklappt und mich zugedeckt haben, während ich geschlafen habe, denn die Decke reicht mir bis zu den Schultern und es ist angenehm warm.
»Hier ist dein Essen, Greg. Hat er schlafen können?«, fragt die Frau, die mir die Decke gegeben hat.
»Danke, Sybil. Ja, ich glaub schon. Er war sehr unruhig und hat wirres Zeug erzählt, aber seit einer Weile schläft er ruhig«, antwortet Mr. Gregory.
»Das ist gut. Die beiden Mädels haben im Schlaf viel geweint. Sie müssen Schreckliches erlebt haben. Aber sie essen jetzt, was ein gutes Zeichen ist, denke ich.«
»Ja. Es wird eine Weile dauern, bis sie sich an die Freiheit gewöhnt haben.«
»Das ist doch immer so. Sag Bescheid, wenn er wach ist, dann bringe ich ihm sein Essen. Ich habe es ein wenig aufgeteilt, so reicht es für alle.«
Ich kann hören, dass sie weggeht, und öffne langsam die Augen. Gedämpftes Licht scheint mir entgegen und ich muss ein paarmal blinzeln, doch schließlich erkenne ich, dass jemand eine Blende vor das Fenster geschoben hat, sodass die Sonne nicht so stark reinscheinen kann.
»Guten Morgen«, höre ich Mr. Gregory sagen und richte mich eilig auf. »Hast du gut geschlafen?«
Ich nicke. »Guten Morgen. Ja, ich denke schon.«
Um schneller wach zu werden, reibe ich mir die Augen, dann muss ich gähnen, vergesse dabei jedoch, die Hand vor den Mund zu halten, was ich zu spät bemerke. Doch Mr. Gregory scheint es nicht zu stören. Er grinst nur und schmiert sich eine hellgelbe Masse auf eine eckige Brotscheibe.
»Es tut mir leid«, sage ich beschämt.
Mr. Gregory schüttelt lächelnd den Kopf und schiebt dann einen kleinen Weidenkorb über den Tisch. »Vielleicht möchtest du dich erst mal frisch machen? Es ist alles ein wenig beengt hier, aber ich denke, für den Moment geht es. Auf der Insel haben wir dann wieder ein richtiges Badezimmer.«
Ich befreie mich von der Decke und nehme den Korb. Dann mache ich mich auf den Weg zur Toilette. Es ist wirklich winzig hier und ich kann mir kaum vorstellen, wie Mr. Gregory, der viel mehr Muskeln hat als ich, hier überhaupt reingepasst hat.
Während ich auf der Toilette sitze, werfe ich einen Blick in den Korb. Es befinden sich ein weißer Waschlappen, ein kleines Fläschchen mit einer grünen dickflüssigen, aber angenehm riechenden Flüssigkeit, eine in Folie verpackte Zahnbürste und eine winzige Tube Zahnpasta darin. Am Boden liegt noch ein kleines weißes Handtuch.
Ich putze mir die Zähne und wasche mir anschließend das Gesicht, den Hals und die Achseln, wobei ich jedoch beim Aus- und Anziehen meines T-Shirts ein paarmal mit meinen Ellenbogen gegen die Wände stoße, so eng ist es.
»Ich hoffe, dass du dir nicht wehgetan hast«, sagt Mr. Gregory, als ich zu meinem Platz zurückgehe. »Es ist wirklich arg eng da drin, nicht wahr?«
»Es ging schon«, versichere ich, überrascht davon, dass ihn das interessiert. Vielleicht hat er auch Bedenken, dass ich mit blauen Flecken weniger wert bin, wenn wir in Amerika landen.
Als ich mich setze, stehe ich vor einem neuen Problem. Vor mir steht ein Teller mit verschiedenen Lebensmitteln, die ich in der Form nicht kenne.
»Was ist das alles?«, frage ich daher zögerlich.
Mr. Gregory kaut, dann schluckt er und zeigt auf den Teller vor mir. »Das ist Toastbrot. Darauf kannst du dir Wurst oder Käse legen. Oder eine der Marmeladen aus dem Korb probieren. Es gibt auch Butter, falls du die magst.«
Ich zögere, denn ich weiß nicht, ob es mir schmecken wird. Allerdings wäre es sehr unhöflich, etwas wieder auszuspucken, denke ich. Da bin ich mir sogar sehr sicher. »Das ist nicht nötig. Ich habe noch keinen Hunger«, lüge ich daher.
Mr. Gregory sieht mich ein bisschen skeptisch an, zuckt dann aber mit den Schultern. »Dann stellen wir es halt wieder kalt. Aber einen Tee trinkst du doch, oder?«
Ich nicke. »Ja.« Mein Magen schimpft ein wenig, weil meine letzte Mahlzeit aus drei dieser salzigen Stangen bestanden hat und das offenbar einige Stunden her ist.
Mr. Gregory nimmt den Teller weg und kommt mit einer dampfenden Tasse zurück, die er vor mich stellt. Dann legt er mir noch ein paar kleine Päckchen auf einen Teller, in denen nach seiner Aussage Zucker ist.
Als der Tee ein wenig abgekühlt ist, nippe ich daran. Er schmeckt fruchtig und gar nicht schlecht. Außerdem wärmt er meinen leeren Magen, der zu grummeln begonnen hat.
Nachdem ich die Tasse ausgetrunken habe, werde ich wieder müde und lehne mich in meinem Sitz zurück. Aus dem Fenster kann man nicht viel sehen. Nur weiße Wolken und hin und wieder blau.
Als ich mich traue, Mr. Gregory zu fragen, was das ist, erklärt er mir, dass es der Atlantische Ozean sei. Es ist wohl ein großes Wassergebiet, über das wir fliegen müssen, um nach Amerika zu gelangen. Er zeigt mir auch ein Bild auf seinem Handy, und erklärt mir, wo wir losgeflogen und wo wir zum ersten Mal gelandet sind, um zu tanken, und wo unser eigentliches Ziel liegt. Die kleine Insel, auf der ich ab heute Abend leben soll, ist auf dem Bildschirm nicht zu erkennen, aber sie scheint irgendwo im Ozean zu liegen, seinem Finger nach zu urteilen.
Nachdem er das Handy wieder eingesteckt hat, geht er nach vorn zu denen, die das Flugzeug steuern, und ich lehne mich wieder zurück. Der Gedanke, so weit weg von Ouaka zu sein, macht mir Angst. Wir haben Afrika bereits verlassen und ich glaube nicht, dass ich so bald noch mal zurückdarf. Mr. Souleymane ist zwar nicht nett zu mir gewesen und seine Wachmänner schon gar nicht, aber ich war lange bei ihm und was mich in Amerika und auf dieser Insel erwartet, weiß ich nicht.
Mir meine Angst anmerken zu lassen, wäre jedoch viel zu gefährlich, daher schließe ich die Augen und versuche, ruhig zu atmen, bis die Panik nachlässt.
Als ich sie wieder öffne, sitzt Mr. Gregory mir gegenüber, scheint aber eingeschlafen zu sein. Er hat die Augen geschlossen und atmet ganz ruhig. Ich nutze den Moment und betrachte ihn. Er hat lange dunkle Wimpern, eine gerade schmale Nase und volle Lippen.
Mr. Gregory ist bestimmt älter als ich, aber ganz sicher noch nicht so alt wie Mr. Souleymane. Das erkenne ich daran, dass er schon ein paar kleine Falten um die Augen hat, aber ansonsten ist seine Haut makellos. Seine dunklen Haare sind etwas zerzaust und er hat einen noch stärkeren Bartschatten als gestern Abend. Sein weißes Hemd ist zerknittert und er hat die obersten Knöpfe aufgemacht. Genau kann ich es nicht erkennen, aber er scheint gar nicht bewaffnet zu sein. Allerdings befinden wir uns hier ja auch in einem Flugzeug, da braucht er wohl keine große Sorge zu haben, dass ich weglaufen könnte.
»Beobachtest du mich, Tamirat?«, reißt mich seine amüsierte Stimme aus den Gedanken. Erschrocken senke ich den Blick, woraufhin er leise lacht. Er räkelt sich in seinem Sitz, bevor er aufsteht und sich ausgiebig streckt. Dann sieht er über die Sitze hinweg nach hinten. »Sybil? Macht ihr euch schon für die Landung fertig?«
Mrs. Sybil lacht und kommt an unseren Tisch. »Ich wollte gerade zu euch kommen und euch anschnallen.«
Mr. Gregory scheint überrascht zu sein und schaut auf die goldene Uhr an seinem Handgelenk. »Wow, wir haben den halben Flug verschlafen. Da waren wir aber müde, was, Tamirat?«
»Es tut mir leid, Mr. Gregory«, entschuldige ich mich schnell. Keine Ahnung, was da in mich gefahren ist, denn so viele Stunden am Stück habe ich... noch nie geschlafen.
Mr. Gregory lacht. »Dafür brauchst du dich doch nicht zu entschuldigen.«
Nachdem wir gelandet sind, gibt es etwas zu essen und Mr. Gregory redet noch eine Weile mit anderen Leuten über seine Reise zu Mr. Souleymane. Dann muss ich mich von Zara und Malaika verabschieden. Sie waren zwar noch nicht lange bei Mr. Souleymane, aber sie sind immer nett zu mir gewesen und ich habe Angst um sie. Mr. Gregory sagt zwar, dass sie eine sichere Unterkunft bekommen, aber ich weiß ja nicht, ob das stimmt. Malaika und Zara sehen auch sehr verängstigt aus, als sie von einem älteren Mann und einer Frau in ein Auto gesetzt werden, mit dem sie dann davonfahren.
Kaum sind sie außer Sicht, gehen Mr. Gregory und ich zu einem kleinen Flugzeug, das auf uns wartet.
Die Sonne geht bereits unter, als wir landen. Ich hatte die ganze Zeit über große Angst, dass das Flugzeug abstürzen könnte, denn es hat geklappert und ist hin und her geschaukelt. Mir wurde sogar übel. Aber Mr. Gregory saß neben mir und hat gesagt, dass die Ruckelei normal wäre und wir sicher landen würden. Dann hat er meine Hand genommen, was mich ziemlich überrascht hat, weil es so eine nette Geste war.
»Endlich«, keuche ich erleichtert, als das Flugzeug zum Stehen kommt.
Mr. Gregory drückt meine Hand noch einmal, dann lässt er sie los. »Ich habe doch gesagt, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst.«
»Ja, Mr. Gregory.« Ich nicke, während ich heftig schlucken muss. Es fiel mir aber schwer, das zu glauben.
»Ich hatte doch gesagt, dass du das Mister weglassen kannst.«
»Entschuldigen– entschuldige bitte«, sage ich leise, denn er wird es sicher nicht gutheißen, wenn ich seine Anweisungen immer wieder vergesse.
Mr. Gregory öffnet meinen Sicherheitsgurt und hilft mir dann beim Aussteigen. Es ist sehr nett von ihm, mich zu stützen und auch noch meine Tasche zu tragen, denn ich fühle mich ein wenig wackelig auf den Beinen. Das kann daran liegen, dass ich nicht genug gegessen habe, denn bis auf ein bisschen Kartoffelbrei und noch mehr von diesen salzigen Stangen, habe ich mich nicht getraut zu essen. Zwar hat Mr. Gregory gesagt, dass es nicht schlimm sei, wenn mir etwas nicht gut schmeckt. Ich sollte es einfach auf dem Teller liegen lassen und heute Abend würde mir eine Köchin dann zubereiten, was ich gern mag, aber glauben konnte ich das nicht.
»Willkommen auf meiner Insel der Freiheit«, sagt er fröhlich, als wir auf dem Sandboden stehen.
Ich sehe mich um und erkenne, dass sich dort hinten am Rand des Strandes sehr viel Wasser befindet. Mr. Gregory hat versucht, mir die Insel vom Flugzeug aus zu zeigen, sicher damit ich gleich kapiere, dass weglaufen zwecklos ist, doch ich konnte nicht aus dem Fenster sehen, denn ich hatte Angst, mich übergeben zu müssen. Mr. Gregory hat nur gelacht und meine Hand gedrückt.
»Gregory, schön, dass du wieder da bist.« Eine schon etwas ältere Frau kommt auf uns zugelaufen und bleibt lächelnd stehen. »Wen hast du denn da mitgebracht?«
»Rosalie, das ist Tamirat. Er wird eine Weile bei uns bleiben und sich erholen. Tamirat, darf ich dir Rosalie, unsere Köchin und eine der guten Seelen dieser Insel, vorstellen?«
Die Frau schüttelt mir die Hand und sieht mich dann von oben bis unten an. »Hallo, Tamirat. Du bist ja ganz zittrig auf den Beinen. Komm ins Haus, ich koche dir einen Tee und dann sehen wir mal, was wir zu essen für dich finden«, redet sie auf mich ein.
»Ich weiß nicht, ob ich schon was essen kann«, flüstere ich, denn mein Magen kribbelt immer noch von der turbulenten Reise.
»Ach, das wird schon wieder«, flötet sie.
Mr. Gregory nimmt mich an der Hand und führt mich zu einem winzig kleinen Auto. Jedenfalls glaube ich, dass es ein Auto ist. Es hat jedoch kein Dach, so wie das von Mr. Souleymane. Aber es hat vier Räder. Mr. Gregory weist mich an, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, drückt mir meine Tasche auf den Schoß und setzt sich dann hinter das Lenkrad. Anschließend fahren wir über den Sand und um ein paar Palmen herum.
Schließlich fahren wir einen Hügel hinauf, auf eine kleine Siedlung zu. Auf einer Seite steht, ein Stück vom Wasser entfernt, ein dreistöckiges Haus. Es ist nicht so groß wie das, in dem ich die letzten Jahre gelebt habe, aber es ist größer als die anderen drei, die ein Stück davon entfernt stehen und offenbar nur eine Etage haben.
Ich finde es seltsam, dass alle Häuser auf Säulen gebaut sind, aber Mr. Gregory erklärt mir, dass sie das extra so gemacht haben, für den Fall, dass die Insel mal überschwemmt werden sollte. Das klingt logisch, denn sonst würde das Wasser ja in die Häuser laufen und alle würden ertrinken.
Wir halten vor dem großen Haus und hinter uns kommt auch die Köchin angefahren. Als wir die Treppe hinaufgehen, steht eine weitere Frau vor uns.
»Tamirat, das ist Angelique. Sie ist unsere Haushälterin und hält zusammen mit Rosalie hier alles in Schuss.«
Angelique scheint sehr schüchtern zu sein, denn sie lächelt nur knapp, nimmt kurz meine Hand und fragt dann leise, ob sie meine Kleidung waschen darf. Ich bin davon so überrascht, dass ich ihr meine Tasche überlasse und Mr. Gregory ins Haus folge. Der bittet Angelique, zur Landebahn zurückzufahren und einen Adrian abzuholen, von dem ich aber noch nichts gesehen habe. Rosalie fragt mich, ob ich inzwischen Hunger habe, was ich bejahe, denn mittlerweile geht es meinem Bauch schon besser.
Derweil will Mr. Gregory mir das Haus zeigen. Wir fangen im Erdgeschoss an. Gleich gegenüber der Eingangstür befindet sich der Salon, den Mr. Gregory aber Wohnzimmer nennt. Es ist ein sehr schönes, gemütliches Zimmer, mit einer großen Couch, zwei kleinen Sesseln und einem Fernsehgerät. An den Wänden stehen Regale mit Lampen darauf sowie Büchern und Krimskrams darin. Durch die Wand, die nur aus Glas besteht, scheint rosafarbenes Licht herein, was den Raum gleich noch schöner wirken lässt.
Wir gehen wieder in den Flur und von dort weiter in eine Bibliothek, wie Mr. Gregory es nennt. Es ist ein Raum, in dem es nur Bücher gibt. Die Wände sind mit riesigen Regalen vollgestellt und die sind wiederum voll mit Büchern in jeder Farbe, Größe und Dicke. Ich habe noch nie so viele Bücher gesehen. Das Fenster ist nach außen gebogen und davor befindet sich eine Sitzfläche, auf der er vermutlich die Bücher lesen kann. Dort liegen bunte Kissen und eine Decke, was sehr gemütlich aussieht.
Hinter der Bibliothek befindet sich ein kleines Badezimmer mit einer Toilette und einem Waschbecken sowie einer Dusche. Zuletzt gehen wir vom Flur in die Küche, in der Rosalie bereits das Abendessen vorbereitet. Sie will dabei anscheinend nicht gestört werden, denn sie scheucht uns direkt wieder hinaus.
Mr. Gregory lacht darüber nur, was ich gar nicht begreifen kann, denn Mr. Souleymane hätte es nie im Leben geduldet, dass eine Sklavin ihn aus einem Zimmer wirft. Mr. Gregory scheint wirklich ein netterer Mensch zu sein. Er nimmt mich mit in die zweite Etage, in der es ebenfalls viele Zimmer gibt, die wir aber nicht betreten, weil sie die Privaträume von Angelique und Rosalie sind. Auch das lässt mich staunen, denn da, wo ich herkomme, haben Sklaven keine Privatsphäre.
In der obersten Etage befinden sich Mr. Gregorys Räume, die er mir tatsächlich zeigt. Er hat ein Arbeitszimmer, ein Schlafzimmer mit einem riesengroßen Bett, ein Ankleidezimmer und ein Badezimmer. Alles ist sauber und ordentlich und duftet nach Blumen und wie frische Wäsche, aber noch ein bisschen besser.
Nachdem wir etwas gegessen haben, wobei ich sogar bei Mr. Gregory am Tisch sitzen darf, erklärt er mir jedoch, dass ich nicht hier im Haus bleiben werde, sondern in einem der anderen Häuser schlafen soll, die er Gästehäuser nennt – was ich aber sehr unpassend finde. Ich werde ihm nicht widersprechen, auch wenn es für mich irgendwie befremdlich ist, allein in einem Haus zu sein.
Sicher ist es ein Test, wie bei Mr. Souleymane. Seine Wachmänner haben manchmal auch so getan, als würden sie mich im Garten allein lassen. Dabei haben sie mich heimlich beobachtet, um zu sehen, ob ich versuche, wegzulaufen oder etwas zu stehlen. Auch wenn ich nie weggelaufen bin – wohin auch –, habe ich sehr schnell gelernt, dass es besser ist, meine Aufpasser zu sehen.
Mr. Gregory zeigt mir noch, wo Handtücher und Zahnbürsten sind, dann wünscht er mir eine gute Nacht. Zum Frühstück soll ich ins große Haus hinüberkommen, sagt er. Oder auch wenn irgendwas sein sollte, ich etwas brauche oder nicht finde.
Ich fühle mich überfordert, aber dann ist er auch schon aus der Tür und ich beschließe, es schnell auszunutzen und duschen zu gehen.
Gregory
Mit einem Seufzen werfe ich mein Telefon auf den Schreibtisch und vergrabe die Stirn in den Händen. Bob hat gerade angerufen und mir berichtet, dass sie für die beiden Frauen eine gemeinsame Unterkunft gefunden und auch schon einen Psychologen engagiert haben.
Außerdem wurde die Schwangere untersucht. Dem Ungeborenen scheint es gut zu gehen, allerdings hat die Ärztin große Sorge wegen Zaras Unterernährung. Sie hofft, dass sie das Baby trotzdem austragen kann und es sich gut entwickeln wird, aber Zara wird die ganze Zeit über eng medizinisch betreut werden müssen.
Leider bedeutet dies für uns, dass wir Zentralafrika von unserer Liste potentieller Rettungsmissionen streichen müssen, denn wir können den Umgang der Sklavenhändler mit den Menschen nicht länger akzeptieren. Seit Monaten versuchen wir darauf einzuwirken, dass sie ihnen ausreichend Nahrung geben, aber geschwächte Sklaven lassen sich eben leichter festhalten.
Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken. »Gregory?«
Rosalie steht in der Tür und hält einen splitternackten Tamirat an der Hand.
»Was ist passiert?« Ich springe von meinem Stuhl auf und laufe um den Tisch herum.
Tamirat bekommt von Rosalie einen kleinen Schubs, dann schließt sie mit einem Schmunzeln im Gesicht die Tür hinter sich.
»Tamirat? Was ist denn los? Warum bist du nackt?«
»Ich habe geduscht.« Er schluckt und blickt zu Boden. »Und dann habe ich die Tür zum Strand aufgemacht und eine Wildkatze kam rein. Ich wusste wirklich nicht, dass ich die Tür nicht öffnen darf, und ich hatte Angst, dass sie mich beißen würde.«
Ich sehe ihn verständnislos an. »Die Tür zum Strand?«
Er nickt eilig. »Ja. Diese Glastür im Aufenthaltsraum. Es tut mir leid, dass ich sie aufgemacht habe. Ich wollte nicht weglaufen, wirklich nicht! Aber können Sie die Wildkatze bitte einfangen lassen? Sie sah gefährlich aus und ich mache es bestimmt nicht noch mal.« Er spricht ziemlich schnell und wirkt beinahe panisch.
»Natürlich darfst du die Terrassentür öffnen«, versichere ich, gehe in den Flur und bedeute ihm, mir ins Bad zu folgen. »Und mach dir bitte keine Sorgen über die Katze. Sie tut dir nichts. Es gibt hier überhaupt keine wilden Tiere. Wir haben höchstens ein paar Insekten und Krebse hier.«
»Ich weiß nicht, woher sie kam. Aber sie hat mich angestarrt und wollte mich bestimmt anfallen.«
»Ich verstehe, dass du dich erschrocken hast. Aber Miss Butterfly ist wirklich kein wildes Tier, sondern unsere Inselkatze. Sie lebt hier bei uns und ist ganz lieb. Sie war bestimmt nur neugierig und wollte sehen, wer ihr da die Tür geöffnet hat.«
»Ich tue es nie wieder, versprochen«, erklärt er leise.
»Nein, du darfst jederzeit die Tür aufmachen«, versuche ich, ihm noch einmal zu versichern, und drücke ihm ein Handtuch in die Hand, das er sich um die Hüften schlingt. »Komm, wir schauen mal, ob wir Miss Butterfly wieder rauslocken können. Bestimmt hatte sie nur Hunger. Auf ihr Katzenfutter, nicht auf dich!«
»Ich möchte nicht wieder in das Haus zurück, bitte«, flüstert er offenbar wirklich verängstigt. »Bitte, schicken Sie mich nicht wieder allein dahin.«
»Oh. Okay. Ich dachte, ein wenig Privatsphäre würde dir gefallen«, beginne ich, doch Tamirat schüttelt den Kopf. »Na gut. Dann müssen wir mal sehen, wo wir dir ein Bett zurechtmachen.«
Er sieht erleichtert aus. »Das ist nicht nötig. Ich kann auch auf dem Boden schlafen. Vielleicht –«
»Auf dem Boden schläfst du nicht!«
»Das ist wirklich kein Problem«, entgegnet er sofort. »Ich habe sehr oft vor Mr. Souleymanes Bett auf dem Boden geschlafen. Das macht mir nichts aus.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage!«, wiederhole ich kopfschüttelnd. »Du kannst in meinem Bett schlafen und ich mache mir die Couch im Wohnzimmer zurecht.«
»Aber... aber das kann ich nicht annehmen. Und... dann bin ich ja auch wieder allein«, flüstert er mit hängenden Schultern.
Das verstehe ich. Anscheinend hat er mehr Angst vor dem Alleinsein in ungewohnter Umgebung als vor mir, was eigentlich ein gutes Zeichen, aber gleichzeitig auch sehr, sehr traurig ist. »Du möchtest also, dass ich in deiner Nähe schlafe?«
Mit gesenktem Kopf nickt er.
»Dann...« ... bleibt wohl nur mein Bett, denn die Couch wäre für zwei ausgewachsene Männer definitiv zu eng. Mein Blick fällt auf das Handtuch, Tamirats einziges Kleidungsstück und ich muss schlucken. »Hast du schon Zähne geputzt?«
»Nein.« Er schüttelt den Kopf und hält das Handtuch fest. »Ich habe nur geduscht und dann kam die Wildkatze herein.«
Ich kann mir wegen seiner Angst vor der kleinen Inseltigerin ein Grinsen nicht verkneifen und drehe mich zum Schrank um, damit er es nicht sieht. »Ich glaube, ich habe noch eine neue Zahnbürste da. Wenn du dich rasieren möchtest, kannst du meinen Apparat gern benutzen.« Mit dem Finger zeige ich auf den elektrischen Trockenrasierer. »Und ich suche dir gleich noch Kleidung zum Schlafen raus«