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Satakru, Kaiser der Okirfen und Herrscher über siebenundzwanzig Königreiche, befindet sich auf einem bereits vier Jahre währenden Feldzug, der ihm den endgültigen Triumph über seine letzten Widersacher bringen soll. Seine Macht scheint unbegrenzt, doch Teredschan, sein Statthalter, warnt ihn vor Gefahren aus dem Inneren des Landes. Die Untertanen sind kriegsmüde, zu viel wurde zerstört, Handel und Gewerbe befinden sich im Niedergang. Obgleich nicht überzeugt von diesen Argumenten, beschließt Satakru, eine Wahrsagerin aufzusuchen, die ihm die Zukunft deuten soll. Zu seiner Überraschung trifft er auf eine junge, zugleich kluge wie auch schöne Frau, in die er sich verliebt, obwohl sie ihm nicht die erhoffte Weissagung verkündet. Die vorliegende Erzählung war eine der ersten Publikationen des Autors. In einer fiktiven Welt spielend, in der die Schwerter aufeinander klirren und der Herrscher seine Größe durch immer neue Eroberungen zu beweisen sucht, bestimmen Macht, Zerstörung und das Aufbegehren dagegen das Geschehen. Die Liebe, so stark sie auch sein mag, vermag den Kaiser nicht von seinem verhängnisvollen Weg abzubringen. Das Buch erschien erstmals 1966 in der kap-Reihe (Krimi, Phantastie, Abenteuer) des Verlages Kultur und Fortschritt Berlin.
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Seitenzahl: 99
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Klaus Möckel
Unter dem Banner des weißen Hirsches
Historisch-fantastische Erzählung
ISBN 978-3-86394-165-9 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1966 in der kap-Reihe (Krimi, Phantasti, Abenteuer) des Verlages Kultur und Fortschritt Berlin.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta unter Verwendung eines Bildes von Dan Möckel
© 2012 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Als sich Satakru, Kaiser der Okirfen und Herrscher über siebenundzwanzig Königreiche, im vierten Jahr auf einem Feldzug befand, den er bis hin zum Flusse Harfu führen wollte, wurde ihm eines Tages die Ankunft Teredschans, seines obersten Statthalters, gemeldet. Satakru, mit militärischen Projekten beschäftigt, zeigte sich überrascht. Ein wichtiger Grund musste vorliegen, wenn sich Teredschan zu ihm bemühte. Waren doch die Wege weit und unsicher, und er, der Kaiser, hatte nicht nach einem Mann verlangt, der ihm zwar im Frieden gute Dienste zu leisten wusste, im Krieg aber kaum zu gebrauchen war. Nichtsdestoweniger ließ er die gelben Feuer anzünden, wie es der Ritus verlangte, und zum Zeichen seiner freudigen Berührtheit mussten fünf der tapfersten Krieger das Banner mit dem weißen Hirsch über seinem Zelt flaggen.
Wolkenlos war der Himmel, als Teredschan, begleitet von fünfzehn Paladinen, im Lager des großen Feldherrn einritt. Am Hügel zum kaiserlichen Zelt standen die Offiziere Spalier, und Satakru kam seinem Untergebenen drei Schritte entgegen.
Dann saßen sie sich im Zelt gegenüber. Satakru war korpulent und groß, ein Mann auf dem Höhepunkt seiner Macht und seiner Kraft, ein Hüne, breit die Schultern und das Gesicht scharf geschnitten. Seine Stirn war hoch und sein Blick durchdringend. Während sonnengelb gekleidete Jungfrauen Jasmintee servierten und Gebäck aus fein gestoßenem Weizen anboten, erkundigte er sich ruhig und mit sorgfältig gewählten Worten nach dem Befinden seiner Gemahlin und der beiden jungen Prinzen.
"Es fehlt ihnen an nichts, es sei denn an der Anwesenheit des Herrn und Vaters", versicherte der Statthalter, der von dem herzlichen Empfang angenehm berührt war.
"Und Zerina, meine Silberlöwin", wollte der Herrscher wissen, "wird sie gut versorgt, wie ich es befohlen habe?"
"Sie wird gepflegt, Herr, wie du es angeordnet hast und wie es dem Lieblingstier am Hofe zukommt."
Teredschan war gleichfalls kräftig, aber kleiner von Statur. Wer ihn von Weitem sah, hätte ihn für einen derben, vierschrötigen Kerl gehalten, für einen linkischen Klotz, den man in seidene Gewänder gesteckt hatte. Wer ihn jedoch näher kennenlernte, merkte schon bald, dass ein solcher Eindruck falsch war. Im Grunde ging von der ganzen Gestalt Ruhe und Besonnenheit aus. Die Stimme des obersten Statthalters war tief und wohlklingend.
Nachdem Satakru die Fragen nach dem Befinden der Familie gestellt und Auskunft auch über die sonstigen Vorgänge am Hof erhalten hatte, schickte er sich an, den eigentlichen Grund des Besuchs von Teredschan zu erkunden. Zwar hätte es die Höflichkeit geboten, den Gast von selbst darauf kommen zu lassen, doch der Kaiser fand, dass man in Zeiten des Krieges die Sitten verändern könne. Er war ungeduldig. Er hatte für den folgenden Tag einen beschwerlichen Marsch geplant, und er wollte das Gespräch nicht über die Maßen in die Länge ziehen. Teredschan, dem man keinerlei Unzufriedenheit über die ungewohnte Eile des Herrschers anmerkte, kam denn auch zur Sache. Er hatte sorgfältig vorbereitet, was er nun mit sicherer Stimme vortrug.
"Herr", sagte er, und es schien, als wende er sich an eine Gottheit, die unsichtbar, hoch aufgerichtet hinter dem Kaiser stand, "Herr, du fragst, weshalb ich gekommen bin und es wage, Minuten deiner kostbaren Zeit zu rauben. Bescheiden stehe ich vor dir, denn dein Sinn fliegt, einem Adler gleich, deinen Truppen voraus und mag sich nicht bei Kleinigkeiten aufhalten. Dennoch spreche ich zu dir wie der Schatten zum Licht. Herr, vier Jahre schon führst du den Krieg, und das Glück stand dir bisher zur Seite. Dein Reich ist so groß, dass der Regen, die Sonne, der Sturm und die Windstille zu gleicher Zeit Platz darin haben. Berge, Wüsten und Meere gehören dir. Willst du jagen, so kannst du im Norden den weißen Bären, im Süden die Antilope, im Osten den Hirsch und im Westen den ergrauten Steinbock erlegen. Zwölf Flüsse strömen durch deine Länder, und sechsundzwanzig Fürsten haben sich deinem Befehl unterworfen. Deine Macht ist gewaltig, Herr. Du kannst ganze Völker vernichten oder sie dir Untertan machen. Gefällt es dir, einen Palast am Ufer des roten Sees oder auf dem Kamm des höchsten Gebirges errichten zu lassen, so werden Zimmerleute und Goldschmiede aus allen Teilen der Erde herbeieilen, um sich vor dir auszuzeichnen. Du bist der Kaiser, du befiehlst."
"Sprich zur Sache, Teredschan", unterbrach ihn Satakru, "Du bist nicht gekommen, mir ein Loblied zu singen."
"Herr", fuhr der Statthalter fort, und seine Stimme nahm einen entschiedeneren Klang an, "du hast vier Jahre Krieg geführt und viel Erfolg gehabt. Deine Wünsche sind erfüllt, du gehörst heute zu den Mächtigen der Erde. Aber jede Straße, so weit sie auch führen mag, hat einmal ein Ende, und man kann einen Fluss nicht weiter verfolgen denn ans Meer. Meinst du nicht, dass es an der Zeit ist, Frieden zu schließen und nach Hause zurückzukehren? Dein Volk ist des ewigen Kampfes müde."
Einen Augenblick lang war Stille im Zelt. Satakru, mehr verblüfft als erzürnt über die Wendung, die die Rede des Statthalters nahm, hielt die Stirn gesenkt und die Fäuste auf der Tischplatte zusammengepresst. Der Wind rüttelte schwach an den Zeltverstrebungen, doch das drang nicht ins Bewusstsein der beiden Mächtigen.
"Und worauf begründet sich dein Urteil?", fragte Satakru schließlich.
"Es wird immer schwerer", antwortete Teredschan, "Soldaten für dein Heer auszuheben. Längst sind die Zeiten vorbei, da Freiwillige von allen Seiten zu deiner Fahne stießen. Zu viele sind gefallen, und die Weiber können nicht so schnell Krieger heranziehen, wie sie der Kampf verschlingt. Das Land ist von Männern entleert. Wohl wächst da und dort ein Jüngling heran, aber die Mütter verbergen ihn vor unseren Werbern. Und sie tun es nicht nur, um ihn vor dem feindlichen Schwert zu schützen - sie tun es auch, um Haus und Hof vor dem Verfall zu bewahren. Denn die Äcker liegen brach, Herr, und auf den Weinbergen wuchert wild das Unkraut. Das Volk in den Städten aber ist unruhig geworden. Noch halten sich die Gewerbe am Leben, und die Bäcker backen Brot. Doch das Getreide wird bereits knapp, und allerlei lichtscheues Gesindel versucht, sich durch Betrug zu bereichern. Die Getreidehändler klagen darüber, wie schwierig es sei, Korn und Weizen zu beschaffen, und sie fordern immer höhere Summen von den Käufern. Es ist an der Zeit, Herr, die Ordnung wiederherzustellen und die Spekulanten in ihre Grenzen zu verweisen."
"Und bist du nicht Manns genug, sie selbst zur Ordnung zu rufen", fragte der Kaiser unmutig, "brauchst du mich dazu?"
"Wie soll ich sie zur Ordnung rufen", sagte Teredschan demütig, "wenn sie frech behaupten, mit ihren Gewinnen deinen Feldzug zu finanzieren? Einen Einzigen von ihnen in den Kerker werfen hieße eine Herausforderung an alle richten. Würde das aber nicht deinen Plänen zuwiderlaufen?"
Satakru wusste, dass der andere Recht hatte. Seit geraumer Zeit schon flossen die Quellen, die die kaiserliche Kasse füllen sollten, spärlicher, und es waren allein die Großhändler, die Plantagen- und Spielhausbesitzer, die die nötigsten Gelder aufbrachten. Ihre Macht antasten bedeutete, das ganze Unternehmen zu gefährden. Er ging deshalb auf die Frage des anderen nicht ein, sondern sagte ablenkend:
"Hast du den Schwur vergessen, den ich getan habe? Bis zum Flusse Harfu will ich den Feldzug führen, dann soll Frieden sein. Vier Jahre kämpfe ich, manche Scharte gibt es an meinem Schwert, doch seine Schneide ist noch nicht stumpf."
"Bis zum Flusse Harfu wollte Kim Fle gelangen und Sunos, der drei Jahrhunderte vor der Geburt des Mondes regierte", ergriff Teredschan mutig von Neuem das Wort. "Zum dritten Mal willst du etwas versuchen, was dem Durchwaten des Grauen Meeres gleichkommt. Bedenke, welche Kraft es kostete, aus den Trümmern, die Kim Fle hinterließ, erneut emporzusteigen."
Teredschan wollte weiterreden, doch Satakru fuhr ihm zornig ins Wort. Er ließ sich nicht gern die Schwierigkeiten vorhalten, die sein Vorgänger vor dem Volk der Okirfen aufgehäuft hatte. Wenn er den Statthalter auf diese Art sprechen hörte, wurde er immer daran erinnert, dass er in ihm einen Mann bäuerlicher Herkunft vor sich hatte. Er stammt von Bauern ab und denkt wie ein Bauer, sagte er sich.
"Überlege dir, was du redest", griff er den anderen an.
"Es steht dir nicht zu, das Erbe Kim Fles und des gewaltigen Herrschers Sunos herabzusetzen. Ich will mir deine Gedanken durch den Kopf gehen lassen und über die Lage im Land nachdenken. Aber meinen Feldzug muss ich zu Ende führen, damit das Reich der Okirfen endlich für ewig gesichert sei. Noch hat die Sonne nicht gesehen, dass Satakru aus dem Sattel stieg, ehe die Schlacht gewonnen war. Ich werde die Fahne mit dem weißen Hirsch bis zum Flusse Harfu tragen, und das Volk wird über den Kleinmut lachen, den du und andere in schwieriger Situation zur Schau tragen. Jetzt nimm deine Paladine, reite nach Hause und gehe deinen Pflichten nach!"
Und zum Zeichen, dass das Gespräch beendet sei, erhob sich Satakru und ging schnellen Schritts zum Ausgang des Zeltes.
Am nächsten Morgen, die Sonne hatte noch nicht die Linie des Horizonts überstiegen, rüstete das Heer Satakrus bereits zum Aufbruch. Befehle hallten durch das Lager, Pferde wieherten, und das noch gedämpfte Klirren der Schwerter vermischte sich mit einem ersten ermunternden Trommelwirbel. Satakru, in leichter, blau schimmernder Rüstung, ritt an der Spitze des Trosses, dem nur eine zahlenmäßig schwache Vorhut vorausgeeilt war. Er hatte schlecht geschlafen nach dem Gespräch vom Vortag, und obwohl er an anderes zu denken suchte, drängte sich ihm immer wieder die Erinnerung an die Worte Teredschans auf. Mehr als er es sich zugeben wollte, beunruhigten ihn die Nachrichten von der Unzufriedenheit des Volkes, und endlich entschloss er sich, den Ratgeber Carita, der auf seinen Feldzügen immer an seiner Seite war, rufen zu lassen.
"Was berichten die Steuereintreiber über ihre Arbeit?", fragte er den hageren, in einen grauen Umhang gehüllten Mann, während sie ihre Pferde zu schnellerer Gangart antrieben. "Gibt es Klagen wegen Unbotmäßigkeit? Lehnt man sich gegen die Abgaben auf?"
Der Ratgeber schien über die Frage verwundert. "Welches Volk zahlt gern, wenn es um einen Feldzug geht", sagte er, denn er wusste, dass Satakru eine offene Antwort von ihm wünschte.
"Aber sind sie besonders unwillig, wenn sie zahlen sollen?", fragte der Kaiser, der Genaueres hören wollte.
"Sie sind nicht unzufriedener als sonst", versicherte Carita. "Aber glaube mir, Herr, dass sie um so lieber von der Beute nehmen werden, je mehr sie gedarbt haben. Unsere nächsten Siege werden sie ihre kleinen Verluste schnell vergessen lassen."
Sie ritten schweigend dahin, während der Tross hinter ihnen wie eine gepanzerte Echse über das Land kroch. Die Sonne hatte sich über den Wäldern im Osten erhoben und brachte die Schilde zum Blitzen. Satakru war in Gedanken versunken. Er war noch immer nicht zufrieden, denn er wusste, dass Teredschan nicht ohne Grund von der Fortführung des Krieges abgeraten hatte. Nach einer Weile richtete er sich unvermutet im Sattel auf und fragte den Ratgeber:
"Glaubst du, Carita, dass wir unseren Feldzug siegreich zu Ende führen, dass wir, wie wir es geplant, den Fluss Harfu erreichen werden?"
"Wer wollte daran zweifeln, Herr", sagte der Ratgeber. "Bist du nicht selbst überzeugt davon?"
"Darum geht es nicht", entgegnete Satakru. "Ich möchte deine Meinung hören."
"Meine Meinung ist die Meinung des Herrschers", erklärte der andere. "Wir werden den Fluss Harfu erreichen, wenn du es für möglich hältst."
Der Kaiser senkte den Kopf, damit Carita nicht bemerken sollte, dass er diesmal mit solch taktischer Antwort nicht zufrieden war. Doch er sagte nichts. Nur stieß er dem Pferd wütend die Sporen in die Flanken, sodass es sich aufbäumte.
Als sei nichts geschehen, ritt der Ratgeber weiter an seiner Seite.
"Höre, Ratgeber", wandte sich der Kaiser erneut an ihn. "Wie man mir berichtete, lebt in dieser Gegend eine Wahrsagerin, deren Ruf weit über die Grenzen ihres Landes hinausgehen soll. Schaffe sie mir herbei, denn ich muss mit ihr sprechen. Ich habe meinen Ahnen geschworen, dass ich diesen Krieg gewinnen werde, aber ich will sichergehen. Ich will nicht die Fehler wiederholen, die den anderen zum Verhängnis wurden. Ich will, was sie erhofft, endlich vollenden."
"Dein Wunsch. Herr, ist mir Befehl", sagte Carita. "Auch ich habe Wunderdinge von jener Frau gehört, und wenn nur ein Teil von dem wahr ist, was man erzählt, so dürfte es sich wohl lohnen, ihre Meinung zu erfahren. Allerdings ist mir nicht bekannt, wo sich die Wahrsagerin aufhält. Ich will Streifen ausschicken und ihren Wohnsitz zu erkunden suchen. Wo sie auch ist, ich werde sie finden."
Der Kaiser nickte zustimmend. "Eile dich, Carita", sagte er, "eile dich, denn bald treffen wir auf den Feind."