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Vier starke Männer kämpfen um die Liebe - Diana Palmers Erfolgssaga erstmals in einem Band! Calhoun Egal, mit wie vielen Männern Abby flirtet, ihr Herz gehört nur einem: Cal Ballenger. Dass gerade er ihr aus dem Weg gehen muss - früher war er ganz anders! Erst als er sie plötzlich leidenschaftlich küsst, beginnt Abby zu verstehen … Justin Justin ist noch immer verletzt, dass Shelby ihn damals verließ. Dennoch spürt er jetzt Mitleid, als sie wieder vor ihm steht: All ihre Träume von einst sind geplatzt. Kann er seinen Stolz überwinden und dem Glück eine zweite Chance geben? Tyler Die junge Rancherin Nell hat alles im Griff - nur ihre Gefühle nicht, seit der neue Verwalter Tyler für sie arbeitet. Dabei hatte sie sich doch geschworen, sich ein für alle Mal von Männern fernzuhalten! Connal In einer kleinen Kapelle erfüllt sich Pennies größter Wunsch: Sie wird C.C. Tremaynes Frau. Doch schon am Morgen nach der Hochzeit beginnt sie zu verstehen, dass mit einem "Ja" noch längst nicht alle Träume wahr werden …
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Seitenzahl: 752
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Unter glutroter Sonne
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER
erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,
Valentinskamp 24, 20354 Hamburg
Copyright dieses eBooks © 2015 by MIRA Taschenbuch
in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgaben:
Calhoun
Copyright © 1988 by Diana Palmer
Übersetzt von: Astrid Pohlmann
Justin
Copyright © 1988 by Diana Palmer
Übersetzt von: Astrid Pohlmann
Tyler
Copyright © 1988 by Diana Palmer
Übersetzt von: Catharina Semeniuk
Connal
Copyright © 1990 Diana Palmer
Übersetzt von: Angelika Eisold-Viebing
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with
HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln
Covergestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Mareike Müller
Titelabbildung: Thinkstock / Getty Images, München
Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz / Chris Stanford
ISBN eBook 978-3-95576-425-8
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
www.readbox.net
Diana Palmer
Calhoun
Roman
Abby schaff te es ir gendwie, in ihr Nacht ge wand aus silbrig glänzendem Satin zu schlüpfen. Doch als sie die Ränder am Halsausschnitt zusammenzuknüpfen versuchte, schienen ihr die Finger den Dienst versagen zu wollen, und so blieb das Oberteil über ihren vollen, festen Brüsten offen. Als sie dann am Spiegel vorüberging, betrachtete sie fasziniert ihr offenherziges, verwegenes Ebenbild, das ihr mit den verführerischen Rundungen ihres halb entblößten Busens und dem langen, in wirren Strähnen um ihr Gesicht herabfallendes Haar eine ungewohnte Aura von reifer Weiblichkeit verlieh. Da kicherte sie in ihrer Beschwipstheit über ihre ausschweifende Fantasie und ließ sich auf die blassrosa Tagesdecke ihres Himmelbetts sinken.
Das ganze Schlafzimmer war in rosa und weißen Tönen gehalten, aufgelockert durch blaue Zwischenakzente, und sie liebte es. Die Ballengers hatten sie die Wahl der Farben ganz nach ihrem Geschmack selbst treffen lassen; es waren sehr weibliche Farben, auch wenn sie selbst, Abigail Clark, nicht so ganz ihrem Ideal selbstbewusster Weiblichkeit entsprach. Ruhelos rutschte sie auf der Bettkante umher, und der Spitzenbesatz ihres Nachthemds ließ nun eine ihrer Brüste gänzlich frei. Die Augen fielen ihr zu. Was macht es schon, dachte sie noch, bevor der Schlaf sie übermannte, es kann mich ja doch niemand sehen.
Niemand außer Cal …
Calhoun Ballenger und sein älterer Bruder Justin hatten Abby zu sich genommen, als sie gerade fünfzehn geworden war, vor fast sechs Jahren. Sie wären ihre Stiefbrüder geworden, hätte es da nicht jenen tragischen Autounfall gegeben, bei dem der Vater der beiden Brüder und Abbys Mutter zwei Tage vor ihrer geplanten Hochzeit getötet worden waren. Andere Familienangehörige gab es nicht, und so hatte der damals sechsundzwanzigjährige Cal vorgeschlagen, dass er und Justin die Verantwortung für das todunglückliche junge Mädchen übernehmen. Und so geschah es auch, natürlich mit dem Segen des Gesetzes. Abby war seitdem von Rechts wegen Cals Mündel. Das Problem bestand nun, wenige Monate vor Abbys einundzwanzigstem Geburtstag, darin, dass Cal nicht wahrhaben wollte, dass sie inzwischen zu einer Frau herangereift war.
Um die Sache noch schlimmer zu machen, setzte Cal alles daran, sie vor der „bösen“ Welt zu schützen. Während der vergangenen vier Monate hatte er zudem eifersüchtig über alle männlichen Bekanntschaften gewacht, sodass es ihr fast unmöglich geworden war, wie andere junge Frauen ihres Alters Verabredungen zum Essen und Tanzen zu treffen. Die Art, wie er den Wachhund spielte, grenzte fast ans Lächerliche. Sein Bruder Justin lächelte nur selten, aber die Umstände, die Cal veranstaltete, brachten ihn nahe daran.
Abby fand das weniger amüsant. Sie war bis über beide Ohren in Cal verliebt, doch der große blonde Mann behandelte sie immer noch wie ein Kind. Trotz ihrer häufigen Versuche, Cal zu zeigen, dass sie eine Frau und kein kleines Mädchen mehr war, schien sie damit seinen Panzer nicht durchdringen zu können. So hatte sie erst gestern versucht, als Beweis ihres Erwachsenseins im Grand Theater von Jacobsville eine Show mit Männer-Striptease zu besuchen. Unter dem Vorwand, sich eine Kunstausstellung ansehen zu wollen, war sie Justin auf der Ranch entwischt, während Cal geschäftlich unterwegs war. Viele solcher Gelegenheiten, sich in einer Kleinstadt im südlichen Texas, im Dreieck zwischen San Antonio, Houston und Victoria gelegen, auf demonstrative Weise reif und emanzipiert zu zeigen, gab es ja nicht gerade, und wenn Cal Wind davon bekam, was wohl unausweichlich geschehen würde, dann musste er wohl anerkennen, dass sie nicht der naive Teenager war, für den er sie noch immer hielt.
Die Sache hatte nur einen Haken gehabt: Cal erwischte sie, gerade als sie ihre Eintrittskarte lösen wollte, nahm sie, obwohl sie sich heftig sträubte, einfach auf seine starken Arme und packte sie in den wartenden Wagen, mit dem er, anscheinend von bösen Ahnungen getrieben, auf dem Heimweg vorbeigekommen war.
Eine nachfolgende hitzige Diskussion hatte zu keinem greifbaren Ergebnis geführt, außer dass Abby wieder einmal damit drohte, von der Ranch wegzuziehen und sich zusammen mit ihrer um einige Jahre älteren und erfahrenen Freundin Misty eine gemeinsame sturmfreie Bude in der Stadt zu nehmen. Da diese Auseinandersetzung nach der Rückkehr auf die Ranch stattfand, wurde nicht nur Justin aus seiner Feierabendruhe aufgeschreckt. Auch die übrigen Haushaltsmitglieder in Gestalt von Maria und Lopez, dem älteren mexikanischen Ehepaar, deren Familie seit zwei Generationen in Küche und Garten beschäftigt war, wurden durch das Geschrei auf den Plan gerufen.
Und am heutigen Abend nun hatte sich Abby erneut in Schwierigkeiten gebracht, und wieder war es Cal gewesen, der sie in letzter Minute gerettet und auf die Ranch zurückgeschafft hatte.
Am Tag, im Büro der Rinderfarm, wo sie als Sekretärin für die Ballenger-Brüder tätig war, hatte sie sich bereits wieder maßlos über Cals Gehabe geärgert, als er meinte, sie vor der Zudringlichkeit eines Kunden bewahren zu müssen, der sie, auf zugegebenerweise recht anzügliche Weise, zum Essen einladen wollte. Als ob sie nicht selber imstande wäre, sich eines so durchsichtigen Antrags zu erwehren! So hatte sie denn aus lauter Trotz nach Feierabend Misty angerufen, ihr ihre Absicht mitgeteilt, gegen Cal und seine strenge Aufsicht zu rebellieren, und ihr vorgeschlagen, zu diesem Zweck dem neu eröffneten Tanzpalast in Jacobsville einen Besuch abzustatten. Misty hatte fröhlich eingewilligt.
Justin hatte nichts einzuwenden gehabt. Solange sie nichts „anstellte“, sollte Abby nur gehen, wohin sie wollte. Cal war nicht zu Hause, er hatte selbst eine Verabredung, vermutlich mit irgendeiner schönen Blondine.
Es war Freitagabend, und der Tanzpalast war gerammelt voll. Im Western-Stil gekleidete Männer tanzten mit Frauen in Jeans und Stiefeln zur Musik einer Country-Band. Abby nippte an einem Glas Gin Tonic, zu dem Misty sie überredet hatte, obwohl Abby nicht daran gewöhnt war, Alkohol zu trinken.
Später tauchte Tyler Jacobs auf, der Pferdezüchter, der zusammen mit seiner Schwester Shelby eine schwere Hypothek zu tragen hatte. Der Vater war im vergangenen Sommer gestorben und hatte nichts als Schulden hinterlassen. Nun liefen die jungen Jacobs-Geschwister Gefahr, alles, was in Generationen aufgebaut worden war, unwiederbringlich zu verlieren.
Tyler blieb einige Minuten, wunderte sich über Abbys Anwesenheit, erkundigte sich nach Cal und warnte sie vor weiterem Alkoholgenuss. Zwar konnte Misty ihn beschwichtigen, doch kaum war Tyler wieder zur Tür hinaus, als sich bei Abby durch ihre Sprache und ihre Worte: „Ich hasse alle Männer, und besonders hasse ich Cal!“, die ersten Anzeichen eines beschwipsten Zustands zeigten. Da eilte Misty hinter Tyler her, um ihn zurückzuholen. Vielleicht war seine Hilfe nötig, um Abby ins Auto zu verfrachten.
Während ihrer kurzen Abwesenheit machte sich ein betrunkener Cowboy vom Nachbartisch an Abby heran. Als sie ihm daraufhin ihren Drink über die Hose schüttete, wurde der Mann bösartig, und Abby wurde es echt mulmig zumute. Wer sollte ihr inmitten dieser Menge helfen? Am liebsten hätte sie losgeheult.
Doch da hatte der Spuk auch schon ein Ende. Plötzlich sprang Cal dazwischen, verteilte ein paar Ohrfeigen und schleppte Abby hinaus. Als er nach Hause gekommen war, hatte Justin ihm mitgeteilt, wo er Abby finden könne.
Nun packte er Abby in seinen Jaguar, nachdem er Misty und Tyler, die draußen warteten, noch einige unfreundliche Bemerkungen mit auf den Weg gegeben hatte, und kutschierte die seiner Obhut anvertraute junge Frau zur Ranch hinaus. Bis sie dort ankamen, war sein Zorn verflogen und hatte seiner Sorge Platz gemacht, was Abby nur zu ihren Eskapaden trieb. Und Abby hatte ihm entgegengehalten, dass er sie daran hindere, allein mit ihrem Problem fertig zu werden. Doch dies war nur die halbe Wahrheit, und Cal, der eine Nase für so etwas hatte, wusste das.
Cal musste sich auch eingestehen, dass er stärkere Gefühle für Abby hegte, als es einem Vormund gegenüber seinem Mündel zustand.
Doch davon hatte Abby natürlich keine Ahnung. Von Alkohol und Müdigkeit übermannt, hatte sie sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen.
Cal öffnete leise die Tür zu Abbys Schlafzimmer; ein Ausdruck der Sorge lag in seinen dunklen Augen. Da sah er etwas, das ihm schier den Atem verschlug.
Abby bekam kaum etwas davon mit, öffnete nicht einmal die Augen, als er den Raum betrat. Das war ihm nur recht, denn hätte er jetzt sprechen sollen, so wäre ihm wohl kaum ein klares Wort über die Lippen gekommen. Er hatte sich Abby bisher nie so recht als voll erblühte Frau vorgestellt, doch ihr Anblick, lediglich in diesen seidigen Hauch einer silbrigen Robe gehüllt, eine ihrer exquisiten Brüste vollständig bloßgelegt, der schlanke Körper in vorteilhafter Weise von hauchdünnem Stoff umhüllt – dieser Anblick jagte ihm das Blut wie heiße Lava durch die Adern.
Wie erstarrt blieb Cal unter der Tür stehen und sah sich zum ersten Mal der Tatsache gegenüber, dass Abby kein Kind mehr war. Und schlagartig wurde ihm dabei auch klar, wieso er in letzter Zeit so außer sich geraten war, sie so brüsk behandelte und in solch übertriebener Weise den Beschützer gespielt hatte.
Er begehrte sie!
Ohne nachzudenken, zog er die Tür hinter sich zu und trat näher an Abbys Bett heran. Welch verführerischer Anblick! Er musste die Zähne zusammenbeißen, während er auf ihre sinnliche Nacktheit hinabsah, der sie sich ja nicht einmal bewusst war.
Cal fragte sich, ob eine ihrer Männerbekanntschaften sie jemals in diesem Zustand gesehen hatte, und bei diesem Gedanken stieg eine mörderische Wut in ihm auf. Ein anderer Mann, der sie so sah, sie berührte, seinen Mund auf diese sanfte Schwellung setzte und nach jener Knospe suchte, die er mit dem warmen Druck seiner geöffneten Lippen zum Erblühen bringen konnte …
Er erschauerte. Nein, so nicht! „Abby“, sagte er mit einer Stimme, die rau vor Anspannung klang.
Abby regte sich, doch nur, um sich ein wenig zur anderen Seite zu drehen, mit der Folge, dass jetzt auch die andere Hälfte des Spitzenbesatzes nach unten fiel. Cal begannen beim Anblick ihrer rosigen Brüste mit den feinen malvenfarbigen Knospen wahrhaft die Knie zu zittern.
Dann entsprang seinen Lippen ein saftiger, wenn auch nur leise geknurrter Fluch, er zwang sich dazu, sich über die Schlafende zu beugen, den Stoff über ihren Brüsten zusammenzuziehen und die Bänder zu verknoten. Seine Hände zitterten. Glücklicherweise war Abby nicht in der Verfassung, Zeugin seiner Schwäche, seiner Verletzlichkeit zu wer den!
Sie stöhnte leicht, als seine harten Knöchel ihre Haut streiften, und bog im Schlaf den Rücken durch. Durch halb geöffnete Lippen stieß Cal den Atem aus. Ihre Haut war wie Samt und Seide, warm und sinnlich. Er knirschte mit den Zähnen, hob Abby hoch und stützte sie auf einem Knie ab, während er mit der freien Hand die Bettdecke zurückschlug.
Abby blinzelte und öffnete träge die Augen. Ein schwaches Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie Cals grimmige Miene zu ergründen suchte. „Ich schlafe“, flüsterte sie und schmiegte sich an ihn. Ihr süßer Duft, der weiche Körper in seinen Armen, brachten ihn vollkommen durch einander.
„Tatsächlich?“ Cals Stimme klang tiefer, heiserer, als er es wollte. Er legte sie auf das Bettlaken und hielt ihren Kopf in seiner Hand, bis er ein Kissen daruntergezogen hatte. Sein Mund befand sich nur wenige Zentimeter über ihrem.
Abby hatte ihm die Arme um den Hals gelegt. Sanft löste er sie, und mit einem Gefühl der Erleichterung zog er ihr die Bettdecke bis zum Hals.
„Mich hat noch nie jemand zugedeckt“, murmelte sie im Halbschlaf.
„Eine Gute-Nacht-Geschichte gibt’s nicht“, erwiderte er in dem Versuch, die sinnliche Atmosphäre durch einen Scherz zu zerstören. Doch seine Stimme war wie eine Liebkosung. „Du bist noch zu jung für die paar, die ich kenne.“
„Das wird’s wohl sein. Für alles bin ich zu jung. Viel zu jung.“ Sie seufzte tief und schloss die Augen. „Oh Cal, ich wünschte, ich wäre blond …“
„Was soll denn das schon wieder heißen?“ Doch sie war bereits eingeschlafen. Nachdenklich sah er mit seinen dunklen Augen auf ihr leicht gerötetes Gesicht hinab. Nach einer Weile wandte er sich um, knipste das Licht aus und ging hinaus. Justin trat aus dem Wohnzimmer, als Cal die Treppe herunterkam.
„Hast du Abby nach Hause gebracht?“, fragte er seinen Bruder.
„Ja, sie schläft. Blau wie ein Veilchen“, setzte er mit einem nur mä-ßig amüsierten Lächeln hinzu. Seinen Stetson-Hut, Jackett und Weste hatte er bereits abgelegt.
Justin zog die Stirn in Falten. „Was ist geschehen? Deine Lippe ist aufgeplatzt.“
„Eine kleine Rempelei im örtlichen Tanzschuppen“, erwiderte Cal wegwerfend und nahm die Brandyflasche zur Hand, aus der er sich einen halben Schwenker voll eingoss. „Willst du auch einen?“
Justin schüttelte den Kopf und steckte sich stattdessen eine Zigarette an, ohne sich durch Cals missbilligenden Blick beeindrucken zu lassen.
„Was war denn der Anlass dafür?“
Cal nippte an seinem Brandy. „Abby. Misty Davies hatte sie in eine Tanzbar geschleppt.“
„Gestern eine Strip-Revue, heute eine Bar.“ Justin konzentrierte den Blick auf seine Zigarette. „Irgendwas frisst unserem Mädel an der Seele.“
„Ich weiß. Kann mir aber keinen Reim darauf machen. Auch gefällt mir die Rolle nicht, die Misty dabei spielt, aber damit kann ich Abby nicht kommen.“
Justin legte den Kopf schief, während er an seiner Zigarette zog. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie Abby benutzt, um sich an dir zu rächen.“
„Na, das wäre doch wohl die Höhe!“ Scherzhaft hob er das Glas, bevor er den Inhalt hinunterschüttete. „Sie hat sich mit aller Macht an mich rangeschmissen und einen Korb von mir gekriegt. Wäre ja auch noch schöner gewesen, ausgerechnet Abbys beste Freundin zu verführen.“
„Misty hätte es wissen sollen. Ist Abby soweit in Ordnung?“
„Ich denke doch“, sagte Cal und verschwieg, dass er selbst sie zu Bett gebracht hatte und sie der Grund war, dass er jetzt trank, was selten vorkam. „Irgend so ein besoffener Kerl hat sie angemacht.“
Justin reckte sich jäh auf. „Und?“
„Ich habe ihm die Leviten gelesen.“
„Gut gemacht. Offensichtlich braucht sie einen Wachhund.“
„Dazu kann ich nur Amen sagen. Sollen wir’s ausknobeln?“
„Warum soll ich mich da noch einmischen? Du machst deine Sache doch recht gut“, sagte Justin mit der Andeutung eines Lächelns, das ihm jedoch verging, als er den bekümmerten Blick in den Augen seines jüngeren Bruders bemerkte. „Du hast doch wohl nicht vergessen, dass Abby in drei Monaten einundzwanzig wird? Ich glaube, sie ist schon auf der Suche nach einer gemeinsamen Wohnung mit Misty.“
Cals Miene verdüsterte sich. „Misty wird sie verderben. Ich will nicht, dass sie von einigen ihrer liebestollen Freunde als Hors d’œvre vernascht wird.“
Justin zog die Augenbrauen in die Höhe. Das klang so gar nicht nach Cal, und überhaupt schien Cal nicht mehr er selbst zu sein. „Abby ist unser Mündel“, erinnerte er seinen Bruder. „Sie ist nicht unser Eigentum. Wir haben nicht das Recht, über ihr Leben zu entschei den.“
Cal blitzte ihn an. „Was erwartest du von mir? Soll ich sie vielleicht von jedem betrunkenen Cowboy, der des Weges kommt, auflesen und vernaschen lassen?“
Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum. Justin verzog seine schmalen Lippen und grinste in sich hinein.
Abby erwachte am nächs ten Mor gen mit Kopf schmer zen und dem Gefühl drohenden Unheils. Sie setzte sich im Bett auf und griff sich an den Kopf. Es war sieben Uhr, und um halb neun musste sie mit der Arbeit beginnen. Das Frühstück stand bestimmt schon auf dem Tisch. Der Gedanke an Frühstück bereitete ihr Übelkeit.
Auf wackligen Beinen stelzte sie ins Badezimmer, wusch sich das Gesicht und putzte sich die Zähne. Danach fühlte sie sich schon viel besser. Als sie sich daranmachte, ihr Nachthemd abzustreifen, stellte sie fest, dass es am Hals zugebunden war. Seltsam. Sie war sicher, dass sie es offen gelassen hatte. Nun ja, dann musste sie es irgendwann vor Sonnenaufgang zugemacht haben und unter die Decke gekrochen sein.
Es war Samstag, doch auch heute gab es eine Menge zu tun. Das Vieh wollte wie an allen Tagen versorgt werden, und auch jede Menge Papierkram war zu erledigen. Abby hatte sich an die lange Arbeitswoche gewöhnt, es war ihr zur Routine geworden, samstags nicht freizuhaben. Manchmal konnte sie sich bereits mittags davonmachen, wenn sie etwas vorhatte, doch in den letzten Monaten war das kaum vorgekommen. Es dürstete sie danach, in Cals Nähe zu sein, und der verbrachte die meisten Wochenenden in seinem Betrieb.
Abby schlüpfte in ein blassgraues Kostüm, eine blaue Seidenbluse und zierliche Pumps. Sie steckte ihr Haar hoch und legte nur wenig Make-up auf. Nun, sie war zwar keine überwältigende Schönheit, das war sicher, aber ihre Würde wollte sie sich wenigstens bewahren. Wenn sie schon untergehen sollte, dann mit fliegenden Fahnen. Cal würde bestimmt mal wieder toben, und sie wollte verhindern, dass er sah, wie blass sie war.
Als sie herunterkam, saßen beide Ballenger-Brüder bei Tisch. Als sie zwischen ihnen Platz nahm, sah Cal sie mit einem seltsam brütenden Gesichtsausdruck an.
„Wird ja auch Zeit“, sagte er kurz angebunden. „Du siehst aus wie Braunbier mit Spucke. Geschieht dir ganz recht. Lass dich ja nicht noch einmal mit dieser Misty Davies in so einem unsäglichen Tanzschuppen erwischen!“
„Bitte, Cal, lass mich erst mal was zu mir nehmen“, sagte Abby leise. „Mir brummt der Schädel.“
„Kein Wunder“, schmetterte Cal zurück.
„Hör auf, an meinem Frühstückstisch zu stänkern“, forderte Justin ihn mit fester Stimme auf.
„Ich höre auf, wenn du aufhörst“, gab Cal in nicht weniger festem Ton zu rück.
„Ach, was soll’s“, stöhnte Justin und biss in eines von Marias knusprigen Bis kuits.
Normalerweise hätte Abby dieses Zwischenspiel amüsiert, doch jetzt war ihr nicht nach Lachen zumute. Sie nippte an schwarzem Kaffee und knabberte lustlos an einer lediglich mit Butter bestrichenen Scheibe Toast. Nach etwas Nahrhafterem stand ihr nicht der Sinn.
„Du solltest ein paar Aspirin schlucken, bevor du zur Arbeit gehst, Abby“, sagte Justin sanft.
Sie brachte ein Lächeln zu Stande. „Das werde ich. Schätze, Gin bekommt mir nicht recht.“
„Alkohol ist ungesund“, lautete Cals kurz gefasster Kommentar.
Justin hob die Brauen. „Und wieso hast du dann gestern Abend meine Brandyflasche geleert?“
Cal warf die Serviette auf den Tisch. „Ich fahre jetzt ins Büro.“
„Du könntest Abby mitnehmen“, schlug Justin mit einem seltsam berechnenden Ausdruck vor.
„Ich fahre nicht direkt zur Farm“, sagte Cal. Er wollte jetzt nicht mit Abby allein sein, nicht nach dem, was er in der vergangenen Nacht gesehen hatte. Er konnte sie kaum ansehen, ohne dass ihm wieder das Bild lebhaft vor Augen stand, wie sie da auf dem Bett gelegen hatte …
„Ich habe noch nicht zu Ende gefrühstückt“, warf Abby schnell ein. Es verletzte sie, dass Cal offenbar nichts an ihrer Begleitung lag. „Außerdem“, wandte sie sich mit einem schwachen Lächeln an Justin, „kann ich selber fahren. So viel habe ich nun auch wieder nicht getrunken.“
„Na klar“, höhnte Cal mit blitzenden Augen. „Darum sind dir ja auch, kaum dass du auf deinem Bett lagst, die Sinne geschwunden.“
Abby hielt den Atem an. Justin goss Sahne in seine zweite Tasse Kaffee und schenkte seine ganze Aufmerksamkeit dem kleinen Kännchen in seiner Hand. Und das war auch gut so, denn dadurch entging ihm, wie Abby mit dem schlagartig erhellten Wissen um das, was Cal in der Nacht zuvor erblickt hatte, zu ihm aufsah und ihre Befürchtungen in seinen plötzlich versteinerten Zügen bestätigt fand.
Abby fühlte, wie sie bis zu den Haarwurzeln errötete, und in ihrem Schreck warf sie fast ihre Tasse um. Also war sie auf dem Bett eingeschlafen, Cal hatte sie mit mehr oder weniger entblößtem Oberkörper vorgefunden, hatte ihre Brüste …
„Lass das Frühstück stehen. Auf geht’s“, sagte Cal unvermittelt und legte seine schlanke Hand auf die Lehne ihres Stuhles. „Ich liefere dich bei der Farm ab, bevor ich meiner Wege gehe. Du kannst so nicht fahren.“
Jetzt war auch Justin aufmerksam geworden, sein Blick, in dem offenkundige Neugier lag, schweifte von Abbys hochrotem Gesicht zu Cals gespannter Miene.
Dieser Blick war es, der Abby zu der Überzeugung brachte, dass Cal in diesem Falle das kleinere Übel war. Sie konnte Justin nicht erzählen, was geschehen war, doch wenn sie jetzt kein Fersengeld gab, dann hätte er es ihr innerhalb von zwei Minuten aus der Nase gezogen. Auch Cal musste das klar geworden sein.
Er nahm Abbys Arm und zerrte sie fast von ihrem Stuhl, schob sie mit einem kurzen, an seinen Bruder gerichteten „Bis dann“ vor sich her aus dem Zimmer.
„Mach mal ein bisschen langsam“, klagte sie, als er draußen zwei Stufen auf einmal nahm. „Meine Beine sind nicht lang genug, um mit dir Schritt zu halten, und außerdem platzt mir gleich der Kopf.“
„Lass ihn nur platzen“, knurrte Cal, ohne sie anzusehen. „Vielleicht vergeht dir dann die Lust auf solche Abenteuer.“
Abbys Blicke bohrten Löcher in Cals breiten Rücken, während sie ihm schweigend zu seinem Jaguar folgte und dann auf dem Beifahrersitz Platz nahm.
Cal ließ den Motor an und rangierte rückwärts, doch dann schlug er nicht die Straße zur Farm ein, sondern bog in einen Feldweg ab, der zwischen den eingezäunten Weiden hindurchführte. Auf einer Anhöhe stellte er den Motor ab.
Zuerst sagte er gar nichts. Er ließ seine sehnigen Hände auf dem Lenkrad ruhen und betrachtete sie schweigend, während Abby den Atem und ihre Nerven so weit zu beruhigen suchte, dass sie mit Cal sprechen konnte.
„Wie kannst du es wagen, ohne anzuklopfen in mein Zimmer zu kommen?“, flüsterte sie schließlich, und ihre Stimme klang heiser.
„Ich habe geklopft. Du hast es nur nicht gehört.“
Abby biss sich auf die Unterlippe und richtete den Blick auf die Weide, die jetzt im Februar gelblichbraun und trostlos wirkte.
„Abby, mach um Himmels willen kein Drama daraus“, sagte Cal leise. „Hätte ich dich lieber so liegen lassen sollen, wie du warst? Was wäre denn, wenn Justin gekommen wäre, um dich zu wecken? Oder Lopez?“
Abby schluckte. „Nun, ich schätze, sie hätten was zu sehen gekriegt“, sagte sie mit unsicherer Stimme. Nach einer Weile drehte sie sich mit brennend roten Wangen zu Cal herum und fragte in kläglichem Ton: „Cal … ich war doch nicht völlig entblößt, oder?“
Er sah ihr in die Augen und brachte es dann nicht mehr so recht fertig, seinen Blick von ihr abzuwenden. Sie war so bezaubernd!
Unwillkürlich streckte er die Hand nach ihr aus und berührte sie leicht unter dem Ohr. Seine Finger waren zart und erregend.
„Nein“, brachte er heraus und sah die Erleichterung in ihren Augen, als er ihr diese Lüge mit der aufrichtigsten Miene, zu der er fähig war, darbot. „Ich habe dich nur zugeschnürt und unter die Bettdecke gesteckt.“
Abby atmete erleichtert aus. „Ich danke dir.“
Cals Finger ruhten jetzt auf ihrer Wange. „Abby, hast du je einen Mann deine Brüste sehen lassen?“, fragte er plötzlich.
Auf eine solche Intimität war sie nicht vorbereitet. Sie senkte den Blick und versuchte ihres Atems Herr zu werden.
„Ist schon gut, Spatz“, schalt er sie sanft, „ich kann es mir denken.“
„Du darfst nicht so reden“, flüsterte Abby.
„Warum denn nicht?“ Cal hob ihr Kinn, sodass ihr erschrockener Blick dem seinen begegnete. „Du bist doch diejenige, die erwachsen werden will, nicht wahr? Wenn du willst, dass ich dich als Erwachsene behandle, Abby, dann musst du auch solche Gespräche in Kauf nehmen.“
Abby rutschte nervös auf ihrem Sitz umher. Sie fühlte sich so linkisch, dass es ans Lächerliche grenzte. Sie fürchtete seinem Blick zu begegnen, der erbarmungslos ihr Gesicht durchforschte, und knetete ihre Tasche zwischen den Händen.
„Bitte nicht“, flehte sie und schloss die Augen.
„Hast du ehrlich Angst vor mir?“, fragte er. Seine Stimme klang jetzt tiefer, seidiger.
Mit dem Zeigefinger berührte er ihren Mund, und Abby schrak regelrecht zusammen. Sie riss die Augen weit auf, in denen all ihre verborgenen Wünsche und Ängste klar und verletzlich zu Tage traten. Und da war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Sie dürstete ebenso nach ihm, wie es ihn danach verlangte, sie in die Arme zu schließen. War dies der Grund ihrer Unruhe der letzten Zeit, weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte und dies zu verbergen suchte? Er musste es wissen.
Abby brachte keine Antwort heraus, ihr war, als versuche er ihr in die Seele zu schauen. „Ich habe keine Angst vor dir. Können wir nicht weiterfahren?“
„Was soll denn das Theater?“, flüsterte er und beugte sich zu ihr hinüber. Sein Mund war nur Zentimeter von ihrem entfernt. „Willst du es verdrängen? Willst du so tun, als sehntest du dich nicht nach meinen Lippen?“
Abbys Herz begann zu rasen. Wenn er mit dieser Tour nicht aufhörte, war sie rettungslos verloren. Vielleicht spielte er ja nur mit ihr Katz und Maus, und wenn er es nicht ernst mit ihr meinte, so würde sie das umbringen. Sie berührte seine Schulter, drückte versuchsweise die harten Muskeln unter dem weichen Anzugstoff. Ihre Finger zitterten, als sich ihr Blick mit seinem traf, und ihr Mund bebte vor Erregung.
Cal sah ihr fest in die Augen. Einen solchen Blick hatte Abby nie zuvor erlebt. Eine Intensität und eine solche Aufrichtigkeit lag darin, dass sich alles in ihr anspannte und ihr Herz raste. Sehr erwachsen, sehr aufschlussreich. Er wandte den Blick nicht von ihr ab, und mit seinen schlanken Fingern strich er an der Seite ihres Halses auf und ab, was sie gleichzeitig erregte und kitzelte. Sein harter Mund näherte sich ihren Lippen, er war so nah, dass sie seinen warmen Atem auf ihren geöffneten Lippen spürte, ja, ihn einatmete.
„Oh Cal …“, flüsterte sie erregt, und ihre Stimme brach, heiser vor Sehn sucht.
Abby hörte, wie er die Luft einsog, und spürte seine Hand unter ihrem langen Haar, eine kräftige warme Hand, mit der er ihren Nacken umfasste, um sie an sich zu ziehen.
„Das musste eines Tages so kommen, Kleines“, flüsterte Cal und war drauf und dran, dem Verlangen nachzugeben, das sich fieberartig in seinem Körper ausgebreitet hatte. „Ich will es so sehr, wie du es willst …“
Er kam noch näher, doch gerade als sich sein Mund auf ihren senken wollte und bevor er noch ihre feuchten, halb geöffneten Lippen berühren konnte, brachte sie das Geräusch eines nahenden Fahrzeugs blitzartig auseinan der.
Cal musste sich erst besinnen, wo er war. Er blickte in den Rückspiegel und erkannte einen der Ranchlastwagen, doch es dauerte eine Zeit lang, bis er ihn richtig registrierte. Das Atmen fiel ihm schwer, und er fühlte sich angespannt wie ein gestrafftes Seil.
Er sah zu Abby hinüber. Sie hatte sich in ihre Ecke zurückgezogen, und als er bemerkte, dass sie zitterte, wurde ihm schockartig bewusst, was er soeben hatte tun wollen. Verdammt, jetzt hatte sie ihn an die Angel gekriegt, ohne auch nur das Geringste dazu getan zu haben. Dies machte ihn wütend und ironischerweise ebenso die Tatsache, dass sie ihm so leicht nachgegeben hatte. Noch mehr erzürnte ihn, dass er kurz davor gestanden hatte, sie zu küssen. Er suchte keine Komplikationen, verdammt noch mal, und Abby war die größte Komplikation, die er sich vorstellen konnte. War sie so verwundbar, weil sie ihn begehrte, oder lediglich weil sie entdeckt hatte, dass sie eine Frau war und ein wenig experimentieren wollte?
„Fahren wir lieber zur Arbeit“, sagte Cal gepresst und startete den Jaguar. Er fuhr den Weg hinunter und winkte den Männern hinter sich zu. Er bog in den nächsten Weg ab, und kurz darauf gelangten sie bei der Farm an.
„Geh schon mal rein. Ich muss noch nach Jacobsville rüber und ein paar Minuten mit unseren Anwälten sprechen“, sagte er so kühl er konnte. Dies war zwar eine glatte Lüge, doch er brauchte ein wenig Zeit, um sich wieder zu fangen. Er war erregt wie ein junger Bursche nach seinem ersten Rendezvous, und langsam verging ihm wirklich sein Sinn für Humor. Auch wollte er Justin und seinen entlarvenden Fragen aus dem Weg gehen.
„In Ordnung“, erwiderte Abby mit versagender Stimme.
Cal sah sie prüfend an. Wenn sie so ins Büro ging, würde ihr die ganze Geschichte von jedem an den Augen abzulesen sein. „Nichts ist geschehen“, sagte er knapp. „Und nichts wird geschehen“, setzte er in kaltem Ton hinzu, „wenn du nicht aufhörst, mich wie ein liebeskrankes Mondkalb anzuglotzen!“
Ein Schluchzer entrang sich Abbys Kehle. Mit großen Augen suchte sie verletzt seinen Blick und senkte dann schnell die Lider. Sie öffnete den Wagenschlag, stieg aus und schloss ihn leise wieder. Dann richtete sie sich auf und schritt auf den Büroeingang zu, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Beinahe wäre Cal ihr gefolgt. Er hatte nicht vorgehabt, Abby – ausgerechnet Abby! – solche Worte zu sagen, aber er war selbst nicht ganz bei Sinnen und fürchtete sich davor, was geschehen konnte, wenn sie ihn weiterhin auf diese Weise ansah. Er durfte sich doch nicht in sie verlieben.
Sie war ja noch ein Kind! Und obendrein sein Mündel. Doch während er sich dies noch sagte, stieg vor ihm wieder das Bild auf, das ihm keine Ruhe mehr ließ: Abby mit entblößten Brüsten auf ihrem Bett. Er stöhnte, legte den Gang ein und schoss mit quietschenden Reifen die Straße hinab.
Abby hatte später keine Ahnung, wie sie den Tag hinter sich gebracht hatte. Es war ihr unmöglich, so zu tun, als sei nichts geschehen, doch da Justin wusste, dass sie einen Kater hatte, verzichtete er darauf, sie wegen ihrer blassen Gesichtsfarbe und ihres ungewöhnlich stillen Verhaltens ins Kreuzverhör zu nehmen. Und Cal tauchte auch nicht wieder auf, das war ein Segen. Abby glaubte, ihm nach dem, was er zu ihr gesagt hatte, nicht mehr in die Augen blicken zu können.
„Du brauchst ein bisschen Ablenkung“, bemerkte Justin später am Tag, als der Büroschluss nicht mehr fern war. „Wie wär’s mit einem Steak in Houston? Ich bin mit einem Kunden und seiner Ehefrau verabredet, mit denen ich über einen neuen Auftrag sprechen soll, und ich möchte nur sehr ungern allein hinfahren.“
Er lächelte, und seine sanfte Zuneigung ließ Abby warm ums Herz werden. Justin war eben doch nicht der kalte Typ, für den die meisten Leute ihn hielten. Er war lediglich ein trauriger, einsamer Mann, der schon längst hätte heiraten und eine Schar Kinder um sich haben sollen.
„Das würde mir sehr gefallen“, entgegnete Abby aufrichtig, zumal sie auf diese Weise Cal aus dem Weg gehen konnte. Freilich war es Wochenende, und an den Samstagabenden war er sowieso meistens nicht zu Hause, doch viel besser war es, wenn sie sich seinetwegen gar nicht erst den Kopf zerbrechen musste.
„Gut“, sagte Justin und stand auf, „wir machen uns gegen sechs auf den Weg.“
Abby hatte ein taubenblaues Kleid an, dazu schwarze Accessoires und, weil es kalt geworden war, ihren blauen Blazermantel.
„Sehr hübsch“, stellte Justin lächelnd fest. Er selbst trug einen dunklen Anzug und machte einen eleganten und gediegenen Eindruck – wie immer bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er sich in Schale warf.
„Das Kompliment kann ich nur zurückgeben“, erwiderte Abby. Sie drückte ihre Handtasche an sich und blickte ruhelos die Eingangshalle hinab.
„Er kommt nicht nach Hause“, beruhigte Justin sie, der ihren besorgten Blick aufgefangen hatte. „Ich nehme an, ihr beide seid mal wieder aneinander geraten?“
Abby seufzte. „So schlimm wie noch nie“, gestand sie, ohne weiter ins Einzelne gehen zu wollen. Sie sah zu Justin auf. „Cal benimmt sich in letzter Zeit so, als hasste er mich.“
Justin versuchte in ihren Augen zu lesen. „Und du weißt nicht, warum“, brummte er. „Warte nur ab, Abby. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.“
Abby blinzelte. „Ich verstehe nicht, was du meinst.“
Er lachte leise und nahm ihren Arm. „Macht nichts. Komm, lass uns ge hen.“
Houston ist eine große ausgedehnte Stadt in einer flachen Landschaft, doch es hat eine ganz persönliche Note. Abby fühlte sich hier wohl. Nachts erstrahlt es in einem Glanz wie zu Weihnachten, fand sie – überall glitzernde Lichter und Fröhlichkeit.
Justin führte sie in ein kleines, intimes Restaurant und machte sie dort mit dem Ehepaar Jones – Clare und Henry – bekannt. Sie besa-ßen eine kleine Ranch in Montana, auf der sie Kälber aufzogen. Das ältere Paar besaß viel Sinn für Humor, und Abby waren die beiden gleich sympathisch. Sie unterhielt sich mit Clare über Mode, während Justin und Henry ihre Geschäfte besprachen. Für Abby war es ein anregender Abend, bis sie einmal aufsah und auf der gemütlichen kleinen Tanzfläche ein bekanntes Gesicht entdeckte.
Cal! Abbys Augen weiteten sich. Sie folgte ihm mit den Blicken, bis er eine freie Stelle erreicht hatte. Dann sah sie die hinreißende Blondine, die seine Tanzpartnerin war. Er hielt die Frau, die mindestens ebenso alt war wie er, mit beiden Händen an der Taille umfasst, und sie schmiegte sich an ihn, als tanzten sie so seit Jahren miteinander. Wie Verliebte lächelten sie sich an.
Abby wurde ganz schlecht. Sie fühlte sich elend. Schlimmer hätte Cal sie nicht treffen können, selbst wenn er dieses Attentat jahrelang vorbereitet hätte. Und so kurze Zeit nach der beleidigenden Bemerkung, die doch erst wenige Stunden zurücklag, war dies der Todesstoß für sie. Genau auf diese Art von Frauen fährt Cal ab, so ging es Abby durch den Kopf. Glatt, schön, erfahren. Hier war nun eine seiner geheimnisvollen Gespielinnen, eine jener Frauen, die er niemals mit nach Hau se brach te.
„Was gibt’s denn, Abby?“, fragte Justin plötzlich. Doch bevor sie antworten konnte, folgte er ihrem Blick zur Tanzfläche, und gleich darauf glühte etwas Furcht erregendes, Gefährliches in seinen dunklen Augen auf.
„Ist das nicht Cal?“, rief Henry fröhlich. „So ein Zufall. Holen wir ihn doch gleich mal rüber, Justin, und sehen wir, was er von unserem Angebot hält.“ Bevor ihn jemand daran hindern konnte, war er bereits aufgestanden und steuerte auf die Tanzfläche zu.
„Mrs Jones, sollen wir uns die Nase pudern?“, fragte Abby mit einem schwachen, aber überzeugenden Lächeln.
„Aber ja doch, meine Liebe. Sie entschuldigen uns, Justin?“, fragte die weißhaarige Dame höflich und verließ, Abby in ihrem Kielwasser, den Tisch.
Im letzten Augenblick ergriff Justin Abby am Oberarm und zog sie zurück. „Dreh jetzt nicht durch“, sagte er ruhig. „Ich werde dich, sobald ich kann, hier rausschaffen. Willst du noch was trinken?“
Abby sah auf, durch sein unerwartetes Verständnis fast zu Tränen gerührt. „Könnte ich eine Piña colada mit nur wenig Rum haben?“, fragte sie.
„Ich werd’s bestellen. Und nun halt die Ohren steif.“
Abby sah ihn liebevoll an. „Danke, großer Bruder“, sagte sie in sanftem Ton.
Er grinste. „Jederzeit zu Diensten. Nun aber los.“
Als sie ihre Augen von Justin abwandte, begegnete sie Cals dunklem Blick. Sie nickte ihm zu und ging ohne offensichtliche Eile davon.
Als Abby zehn Minuten später mit Mrs Jones zurückkehrte, war Cal im Begriff, sich vom Tisch zu erheben. Die Blondine hing nach wie vor an seinem Arm. Er blickte zu Abby auf, sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich, doch lag etwas darin, das Abby verstörte; sie würde es sich um keinen Preis anmerken lassen. Liebeskrankes Mondkalb, also wirklich! Sie würde es ihm schon zeigen!
Sie lächelte. „Hi, Cal!“, rief sie obenhin und schlüpfte auf den freien Platz neben Justin. „Ist es nicht hübsch hier? Justin meinte, ein Abend in der Stadt täte mir gut. War das nicht süß von ihm?“ Sie nahm einen großen Schluck von ihrer Piña colada. Erleichtert stellte sie fest, dass von Rum kaum etwas zu schmecken war und dass ihre Hand nicht zitterte und den katastrophalen Zustand ihrer Nerven verriet.
„Sie ist jetzt nämlich ein großes Mädchen“, erklärte Justin seinem Bruder, indem er sich in arroganter Manier zurücklehnte und Cal zu einer Entgegnung reizte. Sein kühles Lächeln und sein direkter kalter Blick verfehlten ihre Wirkung nicht, nicht einmal auf seinen Bruder.
Cal schien nicht gerade erfreut über die Andeutung, die in diesen Worten lag, zumal Justin dann noch seinen Arm um Abbys Schultern legte. In der Tat sah es einen Moment so aus, als wollte er aufspringen und seinen Bruder von Abby losschütteln.
„Ich bin müde“, seufzte da die Blondine und schmiegte ihr Gesicht an Cals Schulter. „Ich brauche meinen Schönheitsschlaf – irgendwann“, scherzte sie mit einem bedeutsamen Blick auf Cal, der mit starrer Miene dasaß.
Abby hob das Kinn und sah Cal gerade in die Augen. „Amüsier dich nur, großer Bruder“, sagte sie mit gezwungener Fröhlichkeit und brachte sogar ein Lächeln zu Stande. Zum Glück hatte sie Justin! Sie hob ihr Glas, nippte an ihrem Getränk und zwinkerte der Blondine zu, die sie, Abby, offenbar für eine Verwandte hielt, von der keine Gefahr zu erwarten war.
Cal bemühte sich, seine Stimme wieder zu finden. Der Anblick Abbys an der Seite seines Bruders machte ihm schwer zu schaffen, mit dieser Möglichkeit hatte er nicht einmal im Traum gerechnet. Und wenn Justin vielleicht auch kein Playboytyp war, so war er doch ein reifer, sehr männlicher Mann. Immerhin hatte sich sogar eine Schönheit wie Shelby Jacobs in ihn verliebt.
Cal hatte keineswegs vorgehabt, die Blondine auszuführen. Gemessen an den Gefühlen, die er für Abby hegte, war sie nur ein schwacher Ersatz, ein in jener Hinsicht platonischer zumal. Nicht einmal ein körperliches Verlangen verspürte er nach ihr; sie war nur jemand, mit dem er sich unterhalten und die Zeit totschlagen konnte, ohne dass dadurch sein Gefühlsleben strapaziert wurde.
Doch niemals hätte er gedacht, dass Abby ihn mit ihr erwischen würde. Diese Entwicklung ging ihm ans Mark, hatte ihn jetzt kopfscheu gemacht. Wie nahm Abby es auf? So sehr er sich auch Mühe gab, er konnte in ihren Zügen nicht den leisesten Anflug von Eifersucht erkennen. Sie hatte mehr Make-up als üblich aufgelegt, und das Kleid stand ihr ausgezeichnet. Sie sah einfach hinreißend aus. Ob Justin sich dessen bewusst war?
„Ich sagte, ich würde jetzt wirklich gern nach Hause gehen“, wiederholte die Blondine und lachte. „Tust du mir den Gefallen? Ich habe einen langen Tag hinter mir – ich bin Mannequin“, fügte sie zur Erklärung für die anderen hinzu, „und wir hatten heute Nachmittag eine Modenschau. Meine Füße bringen mich um, so unromantisch das auch klingen mag.“
„Natürlich“, sagte Cal beschwichtigend und nahm ihren Arm. „Wir sehen uns noch.“ Diese Worte waren an Justin gerichtet.
„Na klar doch“, brummte Justin mit einem spöttischen, ungläubigen Unterton und lächelte die Blondine an, die auch tatsächlich errötete.
Cal entging nicht, wie Abby auf diese Bemerkung reagierte. Sie senkte den Blick, doch ihre schlanke Hand, welche das Glas mit der Piña colada hielt, zitterte. Da wurde Cal ganz elend zumute, und am liebsten hätte er sie auf die Arme genommen und davongetragen, möglichst weit weg von Justin.
Doch Justins Arm lag immer noch um Abbys Schultern, und jetzt drückte er sie auch noch an sich. „Es kann später werden“, sagte Justin zu seinem Bruder. „Du brauchst nicht aufzubleiben, wenn du früher nach Hause kommst. Ich dachte, ich könnte mit Abby noch tanzen gehen“, setzte er mit funkelnden Augen und dem arroganten Lächeln hinzu, das Cal so hasste.
„Oh ja, das wäre schön“, ging Abby erfreut darauf ein.
Cal fühlte, wie sich seine Kehle zusammenschnürte. Auch er brachte ein Lächeln zu Stande, doch es wirkte gequält. „Gute Nacht, dann“, sagte er mit gepresster Stimme. Er hörte kaum hin, was die anderen ihm entgegneten, als er die Blondine aus dem Restaurant geleitete.
„Die Krise ist vorbei“, wandte sich Justin an Abby. „Sie sind weg.“
Abby sah auf, in ihren Augen standen Tränen. „Du weißt Bescheid, nicht wahr?“
„Wie du dich fühlst, meinst du?“ Er nickte. „Du darfst es dir nur nicht anmerken lassen, Kleines. Er muss sich eben noch die Hörner abstoßen, doch wenn er für dich das Gleiche fühlt wie du für ihn, dann wird er sich schon am Riemen reißen. Lass ihm nur Zeit, und hüte dich davor, ihm Zügel anlegen zu wollen.“
„Du weißt eine Menge über Männer“, sagte Abby und schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch.
„Na, ich bin ja schließlich auch einer“, entgegnete er. „Jetzt trockne mal deine Augen, und dann nehmen wir den langen Weg nach Hause. Das wird ihn auf die Palme treiben. Schon der Gedanke, dass du mit mir ausgegangen bist, hat ihm schwer zu schaffen gemacht.“
„Wirk lich?“
Er musste über ihre verdutzte Miene lachen. „Wirklich. Kopf hoch, Mädel. Du bist jung. Du hast Zeit.“
„Und was tue ich in der Zwischenzeit? Er macht mich wahnsinnig.“
„Du könntest dich ja mal nach dieser Wohnung umsehen“, meinte Justin. „Ich sähe es zwar sehr ungern, wenn du von uns wegziehen würdest, doch letzten Endes dürfte dies wohl die einzig richtige Antwort sein.“
„Das ist schon abgemachte Sache.“ Abby wischte sich die Tränen aus den Augen. „Aber Cal hat was dagegen, dass ich mit Misty zusammenwohnen will.“
„Ich auch“, gab Justin aufrichtig zu. „Wusstest du, dass sie Cal angemacht und er ihr einen Korb gegeben hat?“
„Kann man denn niemandem mehr vertrauen?“, stöhnte Abby. „Ob es wohl auch Frauen gibt, die nicht hinter ihm her sind?“
„Doch, ein paar, da und dort“, scherzte Justin und zwinkerte ihr mit seinen dunklen Augen zu. „Ich finde, du solltest dir lieber bei irgendjemandem ein möbliertes Zimmer nehmen. Aber das liegt bei dir. Ich will dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast. Du bist alt genug, um für dich selbst zu entscheiden.“
„Danke, Justin“, sagte Abby mit weicher Stimme und lächelte. „Du wirst eines Tages einen guten Ehemann für ein nettes Mädchen abgeben.“
Justins Ausdruck verhärtete sich, und der Humor schwand aus seinen Augen. „Diesen Fehler werde ich nicht begehen“, sagte er. „Ich habe bereits meine Lektion bezogen.“
„Du hast dich nie dafür interessiert, was Shelby dazu zu sagen hat“, erinnerte Abby ihn. „Cal meint, du hättest nichts davon hören wollen.“
„Sie hat alles gesagt, indem sie nur den Ring zurückgab. Und ich will nicht darüber reden.“ Seine Augen schossen warnende Blitze, als er sich erhob. „Ich rede mit niemandem über Shelby, nicht einmal mit dir.“
„Okay“, zog sich Abby zurück, „ich werde nicht weiter bohren.“
„Gehen wir“, sagte Justin und nahm die Rechnung auf. „Wir lassen uns noch zwei Stunden Zeit, bis wir nach Hause fahren, und ich hoffe, dass Cal inzwischen die Wände hochgeht.“
„Er wird wahrscheinlich gar nichts merken“, wandte Abby kläglich ein. „Sie war sehr hübsch.“
„Gutes Aussehen zählt nicht auf lange Sicht.“ Justin sah Abby in die Augen. „Hast du gemerkt, wie unangenehm es ihm war, dass du ihn mit der Blonden ertappt hast?“
Abby wandte sich ab. „Ich bin müde. Aber es war ein wundervolles Dinner. Ich danke dir.“
Justin hob eine Augenbraue. „Danke mir nicht. Der Genuss war ganz auf meiner Seite. Alle Mal besser als ein Abend vor der Glotze.“
Er lachte still in sich hinein.
Abby wollte ihn fragen, warum er nie mit Frauen ausging und ob er nach sechs Jahren Shelby Jacobs immer noch die Tür offen hielt. Cal hatte gemeint, dies sei der Fall, aber Justin war verschlossen wie eine Auster, wenn es um sein Privatleben ging. Und Abby wollte nicht tiefer in ihn dringen. Dazu war sie nicht mutig genug, nicht einmal mit einer Piña colada im Blut.
Justin park te seinen schnittigen schwarzen Thunder bird in der Garage, und Abby war überrascht, dass Cals Jaguar bereits dort stand.
„Schau an, schau an“, brummte Justin und sah zu Abby hinüber. „Sieht aus, als wollte er mal früh schlafen gehen.“
„Vielleicht war er geschlaucht“, lautete Abbys kühle Diagnose.
Justin sagte nichts dazu, doch irgendetwas schien ihn köstlich zu amüsieren.
Cal war im Wohnzimmer, vor sich eine Brandyflasche. Er saß in Hemdsärmeln da, die er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hatte, und das Hemd stand vorn fast bis zum Bauchnabel offen. Abby musste sich zusammenreißen, um nicht ganz und gar hingerissen seinen breiten, muskulösen Brustkorb anzustarren. Er war der sinnlichste Mann, den sie je gekannt hatte, so stark und groß, dass allein sein Anblick sie ganz schwach machte.
„So, hast du sie endlich nach Hause gebracht“, schnauzte Cal seinen Bruder an. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist?“
„Gewiss doch.“ Justin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Es ist zwei Uhr morgens.“
„Was habt ihr bis jetzt getrieben?“
Justin hob eine Augenbraue. „Ach, rumgefahren und so. Gute Nacht, Abby!“ Er zwinkerte ihr zu, bevor er sich umwandte und die Treppe hinaufging.
Abby war wie vom Blitz gerührt. Warum hatte Justin das nun wieder gesagt? In Cals Augen glitzerte Mordlust. Sie räusperte sich.
„Ich denke, ich gehe ebenfalls rauf.“ Sie wollte sich umdrehen, doch da wurde sie von einer großen warmen Hand am Arm gepackt und ins Wohnzimmer hineingezogen.
Cal knallte die Tür zu, und seine Brust hob und senkte sich schwer. Seine Augen waren nun ganz schwarz geworden, glitzernd, gefährlich, und sein sinnlicher Mund bildete einen dünnen grimmigen Strich.
„Wo wart ihr?“, herrschte er sie an. „Und was habt ihr getrieben? Justin ist siebenunddreißig und kein Knabe mehr.“
Sprachlos stand Abby ihm gegenüber. Der plötzliche Überfall hatte ihr momentan den Atem geraubt, aber dann gewann ihr Ärger die Ober hand.
„Die Blondine, mit der du aus warst, war auch nicht gerade ein Schulmädchen“, entgegnete sie ihm, so ruhig sie konnte, während ihr die Knie zitterten, sodass sie sich an die Tür lehnen musste, um sich abzustützen.
Cal zog die Augenbrauen zusammen. „Mein Privatleben geht dich nichts an“, sagte er vorsichtig abwehrend.
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