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Margot Flügel-Anhalt

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Beschreibung

Margot Flügel-Anhalt liebt die ganz großen Abenteuer. Die rüstige Rentnerin aus Nordhessen fuhr allein mit dem Motorrad um die halbe Welt bis zum Pamir Highway und im Oldtimer-Jeep weiter zum Nanga Parbat. Doch dieses Mal sucht sie das Abenteuer vor der eigenen Haustür und wagt eine Reise ganz ohne Polizeischutz und sauerstoffarme Passstraßen: Mit Zelt und einem E-Bike vom Discounter radelt sie knapp 3000 Kilometer – von der Quelle der Donau bis ans Schwarze Meer - und zurück im Seniorendampfer »Ms Nestroy«. Eine verrückte Idee? Für Margots Verhältnisse allemal! Auf ihrer Reise kommt sie »ihrem Fluss«, an dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat, ganz nah, erkennt seinen vertrauten Geruch wieder. Unterwegs besucht sie Künstler in ihren Ateliers, darf in einer ungarischen Werkstatt das uralte Handwerk des Blaufärbens ausprobieren und immer wieder überwältigende Gastfreundschaft erleben. Sie trotzt Kälte, Regen, Schlamm und Hitze, kämpft mit wilden Hunden, platten Reifen und anderen Pannen und fürchtet in unbeleuchteten Tunneln um ihr Leben. Und zum krönenden Abschluss übernimmt sie auf dem Seniorendampfer, der sie samt E-Bike zurück nach Hause bringt, das Ruder. Einmal Abenteurerin, immer Abenteurerin! »Diese Frau ist nicht zu bremsen.«  HÖRZU TV-TIPP »Mein Respekt könnte nicht größer sein« Hubertus Meyer-Burckhardt, NDR-Talkshow »Leidenschaft hält jung. Diese Frau ist der beste Beweis dafür.«  Bayern 2

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Text: Margot Flügel-Anhalt mit Titus Arnu

Redaktion und Projektmanagement: Julia Hirner, Susanne Kronester-Ritter

Lektorat: Titus Arnu

Schlusskorrektur: Ulla Thomsen

Bild- und Kartenredaktion: Julia Hirner

Covergestaltung: Favoritbuero Gbr

eBook-Herstellung: Pia Schwarzmann

ISBN 978-3-8464-0997-8

1. Auflage 2023

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Bildnachweis

Karte und Illustrationen: Diana Köhne

Fotos: streetsfilm und Margot Flügel-Anhalt

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Wichtiger Hinweis

Die Daten und Fakten für dieses Werk wurden mit äußerster Sorgfalt recherchiert und geprüft. Wir weisen jedoch darauf hin, dass diese Angaben häufig Veränderungen unterworfen sind und inhaltliche Fehler oder Auslassungen nicht völlig auszuschließen sind. Für eventuelle Fehler oder Auslassungen können Gräfe und Unzer und die Autoren keinerlei Verpflichtung und Haftung übernehmen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch bei Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Es gilt gleichermaßen für alle Geschlechter.

»Leidenschaft hält jung. Diese Frau ist der beste Beweis dafür.« Bayern 2

Margot Flügel-Anhalt liebt die ganz großen Abenteuer. Die rüstige Rentnerin aus Nordhessen fuhr allein mit dem Motorrad um die halbe Welt bis zum Karakorum-Highway und im Oldtimer-Jeep weiter zum Nanga Parbat. Doch dieses Mal sucht sie das Abenteuer vor der eigenen Haustür: Mit Zelt und einem E-Bike vom Discounter radelt sie knapp 3000 Kilometer – von der Quelle der Donau bis ans Schwarze Meer - und zurück im Seniorendampfer »MS Nestroy«. Eine verrückte Idee? Für Margots Verhältnisse allemal. Auf ihrer Reise kommt sie »ihrem Fluss«, an dem sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat, ganz nah, erkennt seinen vertrauten Geruch wieder. Unterwegs besucht sie Künstler in ihren Ateliers, darf in einer ungarischen Werkstatt das uralte Handwerk des Blaufärbens ausprobieren und immer wieder überwältigende Gastfreundschaft erleben. Sie trotzt Kälte, Regen, Schlamm und Hitze, kämpft mit wilden Hunden, platten Reifen und anderen Pannen und fürchtet in unbeleuchteten Tunneln um ihr Leben. Und zum krönenden Abschluss übernimmt sie auf dem Seniorendampfer, der sie samt E-Bike zurück nach Hause bringt, das Ruder. Einmal Abenteurerin, immer Abenteurerin!

»Schau tief in die Natur – dann wirst du alles besser verstehen.«

Albert Einstein

Mit Gedanken von Manuel Bandeira:

»Sein wie ein Fluß, der still die Nacht durchströmt.«

(Ser como el rio que fluye silencioso en medio de la noche.)

Ich danke allen Menschen, die mir auf dem Weg weiter geholfen haben. Ohne große Worte. Mit viel einfacher Herzlichkeit.

Die Menschen sind gut.

PROLOG

Leise plätschern die Wellen ans Ufer. Immer wieder springt ein Fisch silbern glänzend hoch aus dem Wasser, um ein Insekt zu fangen. Kleine Kreise ziehen sich um ihn, wenn er zurückfällt in sein Element. Es ist Sommer 2018. Ich bin auf dem Rückweg vom Pamir Highway. Von Nordhessen aus bin ich 18000 Kilometer mit einer kleinen 125er Honda Enduro über Russland, Kasachstan und Kirgistan bis an die chinesische Grenze gefahren und durch den Iran, die Türkei und den Balkan wieder zurück.

Auf dem Rückweg mache ich einen Stopp am Fluss, der mir so viel bedeutet. Ich sitze an der Donau, träume von meiner aufregenden Reise und möchte eigentlich gar nicht mehr nach Hause fahren. Ich bin irgendwo zwischen Regensburg und Ulm. Ein kleines Dorf liegt hinten am Wald. Umgeben von Wiesen, Weiden und Schilf erreiche ich das Ufer. Niemand ist hier. Nur Sträucher und Schilf und der Fluss. In die Stille hinein dröhnt Musik, die langsam näher kommt. In mein Blickfeld gerät ein Donaukreuzfahrtschiff, es fährt flussabwärts, Menschen singen und lachen auf dem Oberdeck. Das Schiff zieht vorbei, die Musik verhallt. Es wird wieder still an meinem Fluss.

Wie wäre es, wenn ich an der Donau entlang reisen würde? Mir vielleicht sogar den gesamten Verlauf des Flusses vornehmen würde? Die Donau entspringt bei Donaueschingen und mündet ins Schwarze Meer. Das sind knapp 3000 Kilometer. Ich könnte das mit einem E-Bike machen. Ich möchte mir eigentlich kein hochausgestattetes Rad kaufen, sondern das einfachste, was es als E-Bike so gibt. Ob das geht mit dem einfachen Rad vom Discounter mit einem schwachen Akku? Das muss doch möglich sein. Ich möchte selber denken und verstehen, wenn etwas nicht funktioniert, und mich nicht zu sehr abhängig machen von komplexer Technik. Ich würde einiges an Gepäck mitnehmen müssen, schließlich möchte ich auch draußen schlafen im Zelt.

Die Abenteuer, die ich bisher erlebt habe – ich bin mit einer kleinen 125er-Honda über den Pamir Highway, mit dem Benz bis Laos und mit dem Lada Niva zum Nanga Parbat gefahren –, kann so ein Donauradwegetrip mit anschließender Rückfahrt auf einem Seniorendampfer wahrscheinlich nicht toppen. Keine bewaffnete Eskorte wie in Pakistan, kein unerreichbarer Achttausender, an der afghanischen Grenze komme ich auch nicht direkt vorbei, ich muss mich nicht verhüllen wie im Iran, vermutlich gibt es überall ausreichend Internet und hoffentlich keinen Erdrutsch. Das mit dem Radfahren werde ich irgendwie hinbekommen. Ob mir das beim Seniorendampfer auch gelingt, muss ich abwarten.

Ausflugsschiffe habe ich bisher irgendwie nicht ernst genommen. 1976, als ich von Tuttlingen nach Berlin umgezogen war, wohnte ich nahe am Landwehrkanal in Kreuzberg bei meinem lieben Bruder Joachim. In den Sommermonaten zog es uns an diesen Kanal vor dem Urbankrankenhaus. Dort waren die Wiesen einigermaßen sauber, und man konnte direkt ins Wasser. Mein Bruder war Biologe. Er nahm ein Reagenzglas mit zum Kanal, füllte das trübe Wasser hinein, schwenkte es fachmännisch und schaute es sich dann langsam und mit Bedenken im Blick an. Dann atmete er auf und sagte zu mir: »Das Wasser lebt. Wir können schwimmen.«

Ich habe meinem Bruder immer vertraut. Ich hörte ihm begeistert zu, als er sagte: »Wenn der nächste Kaffeedampfer vorbeikommt, schwimmen wir den an und schauen zu den Schifffahrtsgästen ins Café hinein.« Für verrückte Ideen bin ich immer zu haben. Also passten wir das nächste Schiff ab, schwammen direkt an die Backbordseite, drückten uns ein wenig aus dem Wasser hoch und unsere Nasen gegen die Scheiben. Meist saßen ältere Touristen in den Schiffen, um sich bei Kaffee und Kuchen gemütlich Berlin anzuschauen. Als die Gäste uns am Fenster sahen mit plattgedrückten Nasen und kreischenden Mündern, fiel ihnen der Kuchen aus dem Mund. Sie schrien hysterisch nach dem Kapitän. Als der angerannt kam, waren wir schon längst untergetaucht und weggeschwommen. Ein Heidenspaß! Aber bitte nicht nachmachen!

Ich werde mir also ein möglichst günstiges, einfaches E-Bike holen, es vorher ausprobieren und sehen, ob es funktioniert. Denn eines ist mir klar: Nur zu Fuß und mit einem Rad kann ich meinem Fluss so nahekommen.

Ich möchte lachen am Fluss.

Still werden am Fluss.

Das Fließen des Wassers hören.

Den Geruch wieder erkennen, den ich als Kind am Donauufer wahrgenommen habe. Den Geruch der Donau. Meiner Donau. Ich bin in Tuttlingen in Baden-Württemberg geboren, nicht weit weg von den Donauwiesen. Dort habe ich als Kind gespielt. Später, als Jugendliche, zog es mich mit meinen Freunden wieder an den Fluss. Wir wohnten inzwischen weiter oben auf dem Berg. Immer, wenn mich bei einer Reise der Weg über die Donau führt, spüre ich so etwas wie Heimat. Heimat fühle ich mehr beim Fluss als im Ort Tuttlingen. Es ist, als würde ich einem alten Freund begegnen. So einem, dem man alles erzählen kann. Der einem zuhört. Und ich erzähle ihm, dem Fluss, von den Abenteuern, die ich unterwegs erlebt habe.

Bevor es mich mit der kleinen Honda ins Pamir-Gebirge zog, war ich bereits Tausende von Kilometern zu Fuß unterwegs Richtung Westen auf alten Pilgerpfaden bis ans Meer, über die Alpen nach Italien und auf dem Europäischen Fernwanderweg 3 Richtung Osten. Eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn bis in die Mongolei war ein Auslöser für die späteren Trips nach Zentralasien. Ich war so begeistert von dieser unglaublich schönen Landschaft, von der Herzlichkeit der Menschen, denen ich auf dem Weg begegnet bin, dass ich unbedingt wiederkommen wollte. Auch die Reise mit dem alten Benz von Nordhessen bis Laos bestärkte mich darin: Ja, es ist gut aufzubrechen, und es ist gut, wieder zurückzukommen. 2022 schließlich fuhr ich zweimal über meinen Fluss: einmal auf dem Hinweg zum Nanga Parbat im Himalaya und wieder auf dem Weg zurück.

Wenn ich aus dem Süden komme und nach Hause fahre, muss ich die Donau überqueren. Jedes Mal löst dies bei mir Gefühle des Wiedererkennens aus. Wenn ich ein Schild an einer Brücke sehe, welches die Donau ankündigt, hüpft mein Herz vor Freude. Ich versuche dann, über das Geländer hinweg einen Blick auf das Wasser zu erhaschen. Oder ich fahre runter von der Schnellstraße, hin zu den kleinen Landstraßen und hin zum Fluss. Da sitze ich dann am stillen Ufer und träume eine Weile vor mich hin, nehme den Geruch wahr, höre die Vögel im Ufergebüsch, die Kröten und Frösche, sehe den einen oder anderen Fisch aus dem Wasser springen, um eine Fliege zu erwischen.

Das Plätschern der kleinen Wellen am Ufer der Donau beruhigt mein Gemüt. Es ist nicht der Atlantik. Nicht die Wolga. Aber es ist meine Donau. Ich habe auf meinen Reisen viele Flüsse überquert, zuletzt den Indus in Pakistan, in den Bergen, wo er wild und kraftvoll über Felsen rauscht. Was für ein Fluss! Ja, ich liebe Flüsse, aber ganz besonders ans Herz gewachsen ist mir meine Donau, weil sie mich immer begleitet hat. Jetzt bin ich knapp 70 Jahre alt. 2018 habe ich mich von meiner Tätigkeit als Sozialpädagogin im Eschweger Rathaus in die Altersteilzeit verabschiedet, um endlich für längere Reisen aufzubrechen. Meine beiden Söhne und auch mein Enkelkind kennen mich nicht anders, sie würden sich wundern, wenn ich zu Hause bleiben würde. Ich mache solche herausfordernden Reisen grundsätzlich allein. Nachdem meine Partner verstorben sind, habe ich gelernt, mit mir alleine klarzukommen. Ich vertraue mir. Meine Reisen sind nicht durchgeplant. Immer wieder kann es zu Situationen kommen, in denen ich mich schnell entscheiden muss. Da ich genau weiß, was ich will, treffe ich dann die für mich richtigen Entscheidungen, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Ich bin gerne still unterwegs. Höre in die Natur. Lausche dem Gesang der Vögel. Nehme die Gerüche wahr. Und ich denke nach. Gespräche mit einem Mitreisenden wären dabei nicht von Vorteil. Und wenn ich alleine unterwegs bin, komme ich immer wieder sehr schnell mit fremden Menschen ins Gespräch, denen ich auf dem Weg begegne.

Das Fließen eines Flusses hat für mich etwas Heiliges. Bei diesem Anblick fühle ich Ewigkeit. Das Wasser, von dem wir alle unsere Lebendigkeit geschenkt bekommen, lässt sich durch nichts aufhalten. Und wo auch immer das Wasser auf unserem Planeten herkommt, durch Kometen- oder Asteroideneinschläge vor vier Milliarden Jahren vielleicht, diesen Weg sind auch wir gegangen. Sind wir doch alle Sternenstaub aus den Unendlichkeiten des Alls.

Es gibt ein wunderschönes Gedicht des brasilianischen Schriftstellers Manuel Bandeira, welches diese Gedanken auf poetische Weise ausdrückt. Es lautet übersetzt wie folgt:

»Sein wie ein Fluß,

der still die Nacht durchströmt.

Die dunkle Nacht nicht fürchten.

Die Sterne widerspiegeln, wenn welche am Himmel sind,

und wenn Wolken den Himmel bedecken,

Wolken, die Wasser sind wie der Fluß,

auch diese widerspiegeln, ohne Schmerz,

in den ruhigen Tiefen.«*

Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt! Über diese Metapher werde ich nachsinnen am Ufer der Donau.

Es gibt Orte, die machen mich sofort glücklich, wenn ich mich dort hinbegebe. Das Meer, die Wüste, auch Flüsse, an deren Ufer ich sitze und mich entspanne. Dann kann ich anfangen zu träumen. Am fließenden Wasser lösen sich alltägliche Notwendigkeiten im Schimmern der Sonnenstrahlen auf den Wellen auf. Nichts bleibt. Alles fließt. Ich kann meinen Gedanken freien Raum geben in alle Richtungen. Zurück in die Vergangenheit, weit voraus in die Zukunft. Und schließlich denke ich nichts mehr. Lasse einfach geschehen. Wenn ich aus dieser meditativen Versenkung am Fluss wieder zurück ins wirkliche Leben gehe, wird manches leichter.

* Manuel Bandeira, »El Rio« (»Der Fluss«), zitiert nach: Paulo Coelho, Sei wie ein Fluß, der still die Nacht durchströmt: Geschichten und Gedanken, Diogenes Verlag, Zürich, 2013, übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann

Deutschland

Still werden am Fluss

Nach der Reise ist vor der Reise

Alte Freunde

Amsel, Biber, Wolf und Katz

Achtung Akku

Fliegende Hüte

April 2023 // Thurnhosbach // Gedanken vor der Abreise

Noch während ich versuche, mein Notebook wieder in Gang zu bringen – ich möchte wieder während dieser Reise mit dem E-Bike jeden Tag meine Tagebucheinträge gleich in den Computer tippen –, nerven Katz und Maus. Draußen jaulen die hormongesteuerten Dorfkater, und drinnen streikt die Computermaus, die ich unterwegs auf der Reise zum Nanga Parbat gekauft hatte. Die Maus hat den Geist aufgegeben, Mikrosoft will permanent Codes senden und mir irgendetwas verkaufen, ständig ploppt auf dem Desktop unten rechts ein Sicherheitsfenster auf, das mich warnen will. Alter Schwede! Wie viel einfacher ist es doch, einfach loszufahren und unterwegs zu sein.

Damals, als im Rathaus in Eschwege davon gesprochen wurde, dass es bald einen Computer im Amt geben soll und mit ihm alles einfacher werden wird, hatten wir bereits Bedenken. Die arme Frau Pietsch, die damit als Erste beglückt wurde, schwitzte mit hochrotem Kopf vor dem Gerät. Wir umschlichen sie aus der Ferne, äugten bedenklich auf das blinkende Ungetüm und trauten uns kaum, ihr guten Morgen zu sagen. Es dauerte nicht lange, da hatten wir alle so einen Kasten auf dem Schreibtisch stehen, keiner kannte sich aus, niemand arbeitete einen richtig ein. Heute wurschtle ich mich wie damals durchs Computergeschehen, und nichts ist einfacher geworden, scheint mir.

Der Weg sei das Ziel, heißt es. Also versuche ich es einmal mit laut brüllen, und dann mit durchatmen. Das klappt oft, und auch heute entspanne ich mich langsam. Es ist Karfreitag. Draußen ist alles still, wie immer an einem solchen Feiertag. Immerhin ist heute der Tag, an dem an den gewaltsamen Tod Jesu am Kreuz gedacht wird. Die Auferstehung von den Toten feiere ich unterwegs. Ich hole meinen Sohn Phil und seine Frau Bee in Davos in der Schweiz ab. Sie wollen den Sommer über in unserem Haus in Nordhessen bleiben, während ich verreist bin. Sich ein bisschen vom Dauerstress im Vier-Sterne-Hotel erholen, in dem sie beide arbeiten. Ich bin auf der Autobahn unterwegs mit Lada und Anhänger, es soll auch eine Aprilia, das italienische Motorrad meines Sohnes, mit umziehen. Die Fahrt gefällt mir eindeutig besser, als mich mit der Computertechnik herumzuärgern.

Bis auf ein paar Ausstattungsgegenstände und die offene Frage der Navigation ist alles für die Reise auf dem Donauradweg fertig. Ich habe mich entschieden. Ich reise an der Donau entlang von der Quelle bis zur Mündung ans Schwarze Meer. Ich bin ausgestattet mit allem, was ich zum Zelten brauche. Dazu Kleidung für kalte und warme Tage, Regenkleidung, das Erste-Hilfe-Set, Waschzeug, die Technik für das Schreiben, das Filmen und Reparaturmaterial für das Rad. Wie ich mit der Deutschen Bahn und dem schwer bepackten E-Bike nach Tuttlingen, dem Startpunkt meiner Reise komme, muss ich noch klären. Vielleicht versuche ich es mit einem persönlichen Gespräch im Beratungscenter der Deutschen Bahn. Und vielleicht hilft mir bei den noch ungeklärten Fragen der Gedanke von Albert Einstein: »Sobald der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm vieles entgegen.«

Jedenfalls spüre ich trotz aller Querelen bei den Dingen, die vor einer längeren Reise noch erledigt werden müssen, langsam auch die Vorfreude auf die Tour. Das war bei den letzten Reisen auch so. Diese Alltäglichkeiten, bedingt durch meine selbstständige Tätigkeit als Rechtliche Betreuerin, die Ehrenämter, die verschiedenen Aktivitäten, die ich mir aufgeladen habe, das große Haus und der Garten, sie reihen sich im Alltag eins nach dem anderen auf wie auf einer Perlenkette. Gestalten die Gegenwart. Sich aber für einen längeren Zeitraum davon zu lösen, um offen zu werden für Neues, fällt mir ungeheuer schwer. Dann, wenn ich mich mühevoll von all den Aufgaben befreit habe und losfahre, könnte ich jauchzen vor Glück! Diese Freiheit! Dieses Losgelöst sein! Diese Unabhängigkeit! Diese Offenheit für alles, was da kommt!

Neulich fragte mich bei einer Veranstaltung ein Besucher, welcher Augenblick bei einer Reise für mich der ganz besondere wäre. Ja. Der Aufbruch. Zu Tränen gerührt vor Erschöpfung nach all dem Wegräumen des Alltags und zugleich vor Tränen gerührt vor unbändigem Glück!

Auch dieses Mal wollte ich wieder allein aufbrechen. Aber bereits in Tuttlingen wird das Team von streetsfilm zu mir stoßen. Das Filmteam, das sind zwei Freunde vom Jungen Theater Eschwege, dort haben wir uns kennen gelernt. Johannes Meier, Mitte 40, groß und hager und kaum ansprechbar, wenn er am Set arbeitet. Er geht so im Filmen auf, dass er um sich herum alles vergisst. Und was er schließlich nach allen Dreh- und Schnittarbeiten ans Tageslicht bringt, ist äußerst sehenswert. Paul Hartmann, Mitte 20, Mediengestalter Bild und Ton und Student der Filmproduktion, arbeitet beinahe zärtlich mit dem Material. Er führt die Drohne mit sicherer Hand. Seine Aufnahmen sind einzigartig. Beide zusammen schaffen Dokumentarfilme vom Feinsten, von meinen bisherigen Reisen auf dem Pamir Highway und nach Laos sind jeweils Filme entstanden. Sie werden in Tuttlingen mein Treffen mit Freundinnen von früher filmen, mein Ankommen in der alten Heimat. Im Schwabenländle. Noch einmal die Donau aufwärts zur Quelle in Donaueschingen und dann nur noch 3000 Kilometer Donau abwärts bis zur Mündung ans Schwarze Meer. Der Donauradweg ist einer der beliebtesten Radwanderwege in Europa. Sodass neben den Besuchen des Filmteams immer wieder andere Radreisende mit mir auf dem Weg sein werden. Erst hinter Belgrad wird es wohl ruhiger. Dort ist die Strecke nicht mehr ganz so gut ausgebaut, es gibt möglicherweise keinen Radweg mehr, daher ist der Weg auch nicht mehr durchgängig ausgeschildert. Die Reise führt immer wieder ins Hinterland, direkt an der Donau hindern Felsen oder Feuchtgebiete an der Weiterfahrt. Es wird ursprünglicher werden. Abenteuerlicher. Die wenigen Radreisenden aber, die bis zum Schwarzen Meer weitergefahren sind, schwärmen begeistert von der Herzlichkeit der Menschen in Bulgarien und Rumänien. Sind berührt von der Schönheit der Natur am Fluss.

In einem Monat fahre ich los.

***

Die Donau gehört mir, zu mir, zu meiner Kindheit. So etwas behaupten wahrscheinlich viele, die an dem Fluss aufgewachsen sind. Es gibt zehn Anrainerländer. Überall wird die Donau geliebt, genutzt und gebraucht. Inbrünstig.

Die Donau ist mit einer Gesamtlänge von 2857 Kilometern nach der Wolga der zweitgrößte und zweitlängste Fluss in Europa. Der Strom durchfließt oder berührt dabei Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien, Moldau und die Ukraine – so viele wie kein anderer Fluss auf der Erde. Alle zehn Länder, durch die der Fluss oder an denen er entlang fließt, fühlen sich der Donau verbunden. Irgendwie gehört sie wohl uns allen und niemandem ganz. Aber der Fluss verbindet die Menschen, die ihn lieben. Und er strömt in meinen Gedanken, schon immer.

Für mich ist die Donau dieser Geruch von erdigem, braunem Wasser, das Rascheln von Uferschilf, Entengequake und alljährlichen Überschwemmungen. Das gefährliche Rauschen und Dröhnen der Fluten am Wehr nach dem Winter. Da ist dieser kleine, bunte Ball. Hilflos dreht und kreist er in den sich überschlagenden Wellen, taucht unter in der braunen Gischt und nach einer Weile wieder auf. Wenn ich da hineinfalle, das spüre ich genau, ergeht es mir wie dem Ball. Wir Kinder spielen am Wehr. Kein Erwachsener weit und breit. Im weiten, unbebauten Tal zwischen den bewaldeten Hängen am Rande der Schwäbischen Alb die Überschwemmung alljährlich im Frühjahr. Hier gibt es nur Wiesen. Niemand baut auch nur einen Stall hier hinein. Keine Straße und kein Weg führen da am Ufer lang. Niemand in Sichtweite. So können wir ungestört spielen, uns erproben. Abenteuer erleben.

In Tuttlingen gab es in diesen Jahren meiner Kindheit und Jugend ein Schwimmbad. Zu Fuß sind wir durch die Stadt hingelaufen. Beinahe vier Kilometer waren das. Die Mutter gab uns Geld für den Eintritt mit. Um das Kleingeld für Süßigkeiten vom Kiosk im Bad aufzuheben, schwammen wir durch die Donau. Deren Ufer grenzte an den Zaun im hintersten Wiesenbereich des Bades. Einer bekam alle Handtücher und alle Kleider, die trocken bleiben sollten, aufgeladen und machte sich damit durchs Tor auf den Weg ins Bad. Wir anderen zogen unsere Badesachen an, stürzten uns in die braunen Fluten und schwammen mit der Strömung hinüber auf die andere Flussseite. Dort, an der Stelle, wo andere heimliche Besucher vor uns den Zaun bereits runtergedrückt hatten, kletterten wir hindurch und trafen auf der Wiese unseren zahlenden Gefährten mit den Handtüchern. Das gesparte Geld nutzten wir für gelbes Wassereis und Schaummäuse, die wir am Kiosk im Schwimmbad erwarben.

Improvisieren, Abenteuer erleben, lieber die unbequeme Variante wählen – diese Grundeinstellung ist mir geblieben, aber trotzdem muss ich meine Donauradtour grob vorausplanen. »Ha, ha, du willst mit einem E-Bike aus dem Supermarkt an der Donau entlang radeln?«, scherzt ein Bekannter. »Da geht es doch immer bergab bis zum Schwarzen Meer!«, glaubt er zu wissen. Ein Blick auf die Höhenmeter der gesamten Strecke von der Quelle in Donaueschingen bis zur Mündung zeigt ein anderes Bild. Allein auf der Strecke von Tuttlingen bis Sigmaringen, das werden meine ersten 60 Kilometer sein, bewältigt man 349 Höhenmeter. Nicht immer führt der Radweg in Sichtweite zum Fluss. Immer wieder gilt es Hügel und Berge zu überwinden. Auf dem Rad führe ich Gepäck mit. Schließlich möchte ich unterwegs, so oft es geht, am Fluss zelten. Also Schlafsack, Liegeunterlage, Zelt, einen Kocher, Campinggeschirr und eine Notration für Abendessen und Frühstück. »Warum lässt du dir das Gepäck nicht durch ein Reiseunternehmen hinterherfahren, schläfst in gebuchten Unterkünften und nimmst an den Stadtführungen teil, die vorab im Programm zu finden sind?«, fragt er noch. »Deswegen!«, antworte ich und lächle still in mich hinein. »Weil alles im Vorfeld gebucht ist.«

Ich liebe das Unwägbare. Die Freude am Unerwarteten, am Neuen hat mich mit der kleinen Honda bis ins Pamir-Gebirge geführt, mit einem alten Benz von Nordhessen bis Laos und mit einem russischen Geländewagen zum Nanga Parbat im Himalaya. Die gleiche Vorfreude auf das Abenteuer fühle ich jetzt bei den Vorbereitungen zu dieser scheinbar unspektakulären Tour im Sommer 2023. Ein Radweg! Mit dem Fahrrad!

***

Ein Vorurteil, mit dem ich es vor meiner Abreise öfters zu tun bekam: E-Bike, Das ist was für Senioren! Ha! Dann darf ich das also! Als 69-jährige Seniorin mit einem einfachen Discounter-E-Bike auf den Donauradweg! Fast 3000 Kilometer von Westen nach Osten. Immer am Fluss entlang. Tagsüber mit der eigenen Muskelkraft und dem kleinen Akku. Nachts am Ufer im Zelt schlafen. Frühstück am Fluss. Abendessen am Fluss. Träumen, Weinen und Lachen am Fluss …

Still werden am Fluss.

Für die 2847 Kilometer lange Strecke werde ich mir zweieinhalb Monate Zeit nehmen. Ich plane, vom 10. Mai bis 20. Juli unterwegs zu sein, also etwa 70 Tage. Es geht bestimmt viel schneller, aber ich ziehe ein gemächliches Reisen und Schauen mit Besinnlichkeit vor. Ich will Zeit haben für Besuche in Klöstern und Kirchen am Weg, für Gespräche mit Menschen am Fluss, für ein Innehalten an Wiesen, Bergketten und Nebenflüssen. Um schließlich in dieser zauberhaften Welt des Donaudeltas anzukommen, das zu den größten Biosphärenreservaten Europas zählt.

Man verbraucht übrigens 240 Kilokalorien bei 30 Minuten moderatem Radfahren. Da kann ich die Küchen der Länder, durch die ich fahre, ausgiebig genießen.

Ich bin immer schon Rad gefahren, allerdings ohne Akku-Unterstützung. Schon mit 13 Jahren bin ich mit meiner Schulfreundin Doris mit Dreigang-Fahrrädern in die Schweiz gefahren. Später, während des Studiums, holte ich mir ein Rad aus dem Lager der Fundräder für ein paar Mark. Und in der Zeit in Berlin-Kreuzberg war ich ebenfalls mit einem einfachen Rad unterwegs. Aber ein E-Bike hatte ich noch nie.

Jeden Samstag liegen bei uns zu Hause in Nordhessen Werbebroschüren im Briefkasten. In einem dieser Werbehefte habe ich das Angebot für das E-Bike gefunden, mit dem ich jetzt unterwegs bin. Ich hatte vorher in einem Fahrradladen in Kassel versucht, irgendetwas Passendes für mich zu finden. Aber die Verkäufer waren an diesem Tag so beschäftigt mit einer Vielzahl an Kunden, dass ich nach einer halben Stunde Wartezeit entnervt das Geschäft verließ. Im Internet versuchte ich mich dann schlauzumachen über die Angebote. Niemand in meiner Familie hat bisher ein E-Bike, ich konnte also niemanden von ihnen um Rat fragen. Die Nachbarinnen im Ort fahren alle eher ältere Modelle. Als ich dann das Angebot im Werbeblättchen entdeckte und fand, dass dies für den Anfang ausreicht, bestellte ich das Rad einfach online. ein paar Tage später stand es in meinem Hausflur. Für 1200 Euro war ich nun stolze Besitzerin eines E-Bikes. Glücklicherweise war mein Sohn Phil zu dem Zeitpunkt zu Besuch. Er baute mir das Rad zusammen, stellte das Display ein und pumpte die Reifen auf. Ich konnte losfahren.

Unscheinbar ist es, mein Rad. Schwarz-grau lackiert, die Räder haben 28 Zoll. Das ist ein bisschen hoch für mich. Ich komme grade mal so mit den Fußspitzen auf den Boden. Aber ich dachte, mit größeren Rädern komme ich schneller voran. Der Akku hängt ein wenig unförmig am vorderen Rohr des Rahmens. Ich kann ihn zum Aufladen am Rad lassen oder ausbauen. Rechts am Lenker sind Klingel und ein Rückspiegel, der hat links nicht mehr drangepasst. Da befindet sich der Schalter für die Gänge, das Licht und die Schiebehilfe sowie die Halterung fürs Handy, das ich für die Navigation nutze. Mittig am Lenker angebracht ist eine Halterung für die Kamera, mit der ich beim Fahren filmen kann. Den 400 Wattstunden starke Akku, der beim Kauf dabei war, habe ich ausgetauscht und einen 500 Wattstunden-Akku gekauft, um möglichst weit zu kommen an einem Tag.

Die erste Runde mit dem E-Bike war schon eine Herausforderung. Als ich bemerkte, dass ich endlich die Hügel, die um Thurnhosbach herum liegen, mit dem Rad überwinden kann, war ich begeistert. Eine längere Tour stand nun an. Im Umfeld meines Wohnorts in Nordhessen gibt es einige interessante Radwege. Sie haben Namen, die zum Beispiel Start und Ziel beinhalten. Herkules-Wartburg-Radweg, Unstrut-Werra-Radweg, Kanonenbahn-Radweg, Hessischer Fernradweg, Werratal-Radweg. Sie führen vorbei an Schlössern und Seen und bieten teils ungewohnte Blicke auf die so vertraute Region. Für die Verpflegung während der Tour sorgen wie fast überall die vielen Gasthäuser am Wegesrand. Als Jungfernfahrt habe ich den Wartburg-Herkules-Radweg und den Werratal-Radweg ausgewählt Eine Zweitagestour, die ich auch an einem Tag hätte absolvieren können. Ich lasse es ruhig angehen und übernachte in einer kleinen Pension in Creuzburg im Wartburgkreis in Thüringen unterhalb der mittelalterlichen Burganlage, der ich einen abendlichen Besuch abstatte. Die Herbergseltern sind überaus freundlich, pumpen meine Reifen auf, kümmern sich um mein leibliches Wohl. Ich fühle mich gut aufgehoben. Diese kleine Radtour hat mich darin bestärkt, eine weitere Strecke mit dem Rad in Angriff zu nehmen. So fasste ich nach der Rückkehr aus dem Himalaya im Herbst 2022 den kühnen Plan, im Sommer 2023 mit dem E-Bike die Donau entlangzureisen.

Der Donauradweg ist Teil der Eurovelo-Route 6, die vom Atlantik zum Schwarzen Meer führt. An dieser internationalen Route möchte ich mich orientieren. Östlich von Tuttlingen trifft der Radfernweg Eurovelo 6 auf die Donau. Anschließend folgt der Weg dem Lauf der Donau durch Süddeutschland und Österreich bis Wien. Hier, habe ich gehört, sollen die meisten der Radreisenden unterwegs sein. Erst nach Budapest könnten es weniger Touristen werden.

11. Mai // Neuhausen ob Eck über Donaueschingen nach Tuttlingen // 20 km

Ich stehe an der Donauquelle im Schlosspark in Donaueschingen. Wenn ich genau hinschaue, kann ich kleine Sauerstoffperlen aus dem moosigen Untergrund des etwa acht Meter Durchmesser großen runden Brunnens aufsteigen sehen. Sie blubbern an immer unterschiedlichen Stellen hoch; es sieht sehr geheimnisvoll aus. Auf dem Grund des etwa ein Meter tiefen Beckens liegen Geldstücke. Es heißt, wenn du eine Münze rücklings über die Schulter in diese Quelle wirfst, wird deine Reise gut ausgehen. Ich glaube auch so an einen guten Ausgang, denn die Reise hat ja auch gut begonnen.

Oben am Wandbild des Donauverlaufes von der Quelle bis zur Mündung treffe ich Bertrand aus Frankreich. Mit kurzen Radlerhosen kommt er daher auf einem Crossrad. Ohne Akku. Er zeigt auf seine kräftigen Waden und Oberschenkel und sagt: »Das hier ist mein Akku und hier und hier auch!« Dabei lacht er verschmitzt und setzt hinzu: »Aber es ist gut, dass es Akkus und E-Bikes gibt, so kann jeder versuchen, diesen Weg zu fahren.« »Woher kommst du?«, frage ich neugierig, denn er sieht so aus, als sei er bereits eine Weile unterwegs. »Vom Atlantik!«, erklärt er mir mit stolzgeschwellter – übrigens auch breiter – Brust. Ein hübscher Kerl, etwa Mitte 40. Ich bin vor drei Wochen dort auf dem Eurovelo 6 aufgebrochen und fahre bis zur Mündung ans Schwarze Meer.«

Jetzt kennt meine Freude keine Grenzen. Am ersten Tag an der Donauquelle bereits einen Gleichgesinnten zu treffen, damit habe ich nicht gerechnet. Wir umarmen uns gerührt. »Ich bin vorher noch nie aus Frankreich herausgekommen«, erklärt mir Bertrand. »Das ist meine erste große Auslandsreise.« Er spricht nur wenig Englisch, und wir unterhalten uns in seiner Landessprache, Französisch, die ich seit einem einjährigen Aufenthalt in Marokko während meiner Studienzeit noch recht gut spreche. »Wie kannst du dir so lange Urlaub nehmen?«, frage ich ihn. »Ich bin Taxifahrer, kann mir die Zeit einteilen und will bis Ende Juni an der Donaumündung ankommen.« Mit seiner Power wird Bertrand dies vermutlich auch schaffen. Ich werde langsamer reisen, nicht nur, weil ich deutlich weniger Muskeln habe, sondern auch weil ich mich unterwegs umschauen und die Natur genießen und Menschen begegnen möchte. So verabschieden wir uns voneinander und wünschen uns eine wundervolle Reise.

»Brigach und Breg bringen die Donau zuweg«, habe ich in der Grundschule in Tuttlingen gelernt. Die Breg entspringt im Schwarzwald auf 1100 Metern bei Furtwangen. Unter ein paar Fichten kommt sie zutage. Die Breg ist der mündungsfernste Zufluss der Donau, daher sehen die Furtwängler diesen Ort als wahre Quelle der Donau. Der Zusammenfluss der beiden Quellflüsse der Donau aus dem Schwarzwald ist bei Donaueschingen, hier finden wir im Schlosspark den offiziellen Startpunkt der Donau.

Hierher zur Donauquelle in Donaueschingen begleitet mich mein Filmteam Johannes Meier und Paul Hartmann. Die beiden begleiten mich seit der Tour mit der kleinen Enduro 2018 durch den Pamir immer wieder für kurze Zeit während einer Tour. Gestern sind wir mit dem Auto von Nordhessen nach Neuhausen ob Eck gefahren, heute Vormittag bis Donaueschingen, unsere drei Räder hinten auf dem Fahrradträger. Von Donaueschingen über den Zusammenfluss von Brigach und Breg fahren wir mit den E-Bikes Richtung Tuttlingen. Dort habe ich mich mit Irene und Doris verabredet, zwei guten Freundinnen aus meiner Kinder- und Jugendzeit. Da die Dreharbeiten an der Quelle und unterwegs länger als erwartet dauern, steige ich in Geisingen in den Zug, um rechtzeitig in Tuttlingen am Bahnhof zu sein. Dort erwartet mich schon Irene. 50 Jahre haben wir uns nicht gesehen. Ich bin mit 18 Jahren zum Studieren von Tuttlingen weggezogen und von dort immer weiter in die Welt hinein und nicht mehr zurück an meinen Geburtsort gekommen. Beide Freundinnen haben mich in einer Talkshow wiedererkannt und mich unabhängig voneinander über E-Mail kontaktiert.

Mit Irene besuchte ich damals die Realschule. In unserer Freizeit unternahmen wir Kurztrips an den Bodensee oder auch weiter weg bis Amsterdam. Glücklicherweise wussten unsere Eltern nicht immer so genau, was sich da jeweils ereignete. Es war eine recht wilde Zeit in den Siebzigerjahren. In einem Café erzählen wir uns ein bisschen von den Ereignissen aus diesen 50 Jahren, die zwischen damals und heute liegen. Nach und nach erkennen wir uns wieder und ja, wir haben uns verändert. Aber der Wesenskern ist derselbe.

Irene ist ein bisschen kleiner als ich, schmaler. Sie hat braune, kinnlange Haare. Damals waren ihre Haare superlang, meine natürlich auch. Wir setzen uns in eine stillere Ecke, trinken einen Kaffee. »Ich habe dich natürlich gleich erkannt, da am Bahnhof,« lächelt Irene verschmitzt. »Ich habe dich ja in den Talkshows schon gesehen.« Und sie fragt ein wenig unsicher. »Und du, hast du mich auch erkannt?« Wenn ich sie einfach nur auf der Straße gesehen hätte, wohl eher nicht, muss ich zugeben. Aber jetzt, wo wir zusammensitzen, reden, uns zuhören, erkenne ich ihre Art. »Ich erinnere mich an deine Art zu sprechen, dich zu bewegen, deine Mimik.« Ich sehe sie an. »Das hat sich kaum verändert. Wir sind wohl dieselben, wie damals,« ergänze ich. Ein paar Falten mehr, grauere Haare. Bereits als Kinder haben wir zusammen in einem Sportverein geturnt, heute sind wir immer noch fit. Das gefällt mir. Irene erzählt: »Ich fahre Ski, Abfahrt. Nicht wie manche erwarten würden Langlauf«, fügt sie stolz hinzu Wir sind beide gleich alt, derselbe Jahrgang. Beinahe 70