Unterstütze Kommunikation mitten im Leben ?! -  - E-Book

Unterstütze Kommunikation mitten im Leben ?! E-Book

0,0

Beschreibung

Ob Menschen sich kommunikativ einbringen können und einander verstehen, ist entscheidend für ihre gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dabei ist eine eingeschränkte kommunikative Teilhabe nie allein Folge von Erschwernissen einer einzelnen Person. Es muss immer auch ihre Umwelt betrachtet werden und wie inklusiv, zugänglich und sensibel sich diese darstellt. Welchen Beitrag kann dabei das Handeln von Fachkräften in Schule, Ausbildung Wohnen, Arbeit und Therapie leisten? Welche Rolle spielen technische Innovationen bereits heute und in Zukunft? Und vor allem: Wie gestalten unterstützt sprechende Menschen selbst ihre selbstbestimmte Teilhabe im Alltag? Diesen und anderen Fragen gehen die Autor:innen aus Wissenschaft und Praxis, sowie unterstützt sprechende Menschen und ihre Angehörigen in diesem Sammelband zum Kongress der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation 2023 nach. Dabei zeigt sich: Unterstützte Kommunikation ist nicht mehr nur ein Expertenthema, sondern mitten im Leben!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 485

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Unterstützte Kommunikation mitten im Leben?!

Ideen zu mehr kommunikativer Teilhabe in allen Lebensbereichen

Imke Niediek, Markus Scholz, Jan M. Stegkemper (Hrsg.)

IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Unterstützte Kommunikation mitten im Leben?! – Ideen zu mehr kommunikativer Teilhabe in allen Lebensbereichen

Imke Niediek, Markus Scholz, Jan M. Stegkemper (Hrsg.) – Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation

ISBN: 978-3-945771-32-71. Auflage, 2023

Titelentwurf: Maya Hässig, luxsiebenzwoplus, Köln, www.maya-haessig.de

Hintergrund: Contributor/shutterstock

Polaroid: Irmgard Sinnesbichler

Redaktion: Imke Niediek, Markus Scholz, Jan M. Stegkemper, Susanne Ellert

Der verlag selbstbestimmtes leben ist Eigenverlag des

Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V.

Brehmstraße 5–7, 40239 Düsseldorf

Tel.: 0211/64004-0; Fax: 0211/64004-20

E-Mail: [email protected]

www.bvkm.de

Alle Rechte vorbehalten

Hinweis: Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Es kann sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn diese nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Nach bestem Wissen und Gewissen wurden die Rechteinhaber von Abbildungen ermittelt, sollten darüber hinaus weitere Rechte an Abbildungen bestehen, ist dem Verlag gegenüber ein entsprechender Nachweis zu erbringen. Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Webseiten Dritter. Auf deren Inhalt hat der Verlag keinen Einfluss. Die Haftung unterliegt den jeweiligen Seitenanbietern oder -betreibern.

EURO 24,90 (D)

INHALT

VORWORT

Unterstützte Kommunikation mitten im Leben?!Imke Niediek, Markus Scholz & Jan M. Stegkemper

I. UK ALS NOTWENDIGER TEIL DER ALLTAGSWIRKLICHKEIT

Mein Talker und ich ‚mittendrin‘ – ein Bericht aus dem (Familien-)AlltagMagdalena Großhennig & Anika Großhennig

Unterstützte Kommunikation als Prozess – wie sich UK über die Jahre entwickeln kannSabrina Beer & Maximilian Kaffl

Nichttechnische Hilfen als Baustein in der Unterstützten Kommunikation für und mit Menschen mit ALSBirgit Hennig

Vom Bedarf zur Lösung: Wie eine Koordinationsstelle für Unterstützte Kommunikation die nutzer:innenzentrierte Entwicklung einer praxisnahen Gebärdensammlung ermöglichtMaximilian Herrmann, Jan Wiemer & Silke Braun

Darstellung eines Implementierungsprojekts in einer großen Einrichtung der BehindertenhilfeGesine Drewes

UK-Projekt Petition – vom WHY zum WHAT und HOWViola Buchmann, Dorothea Lage & Melanie Willke

II. ÜBERLEGUNGEN ZUR GRUNDLEGENDEN FÖRDERUNG DES UMGANGS MIT UNTERSTÜTZTER KOMMUNIKATION UND KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN

Mit wenigen Wörtern eine Menge sagen: Pragmatisch geleitete Interaktion mit ‚Core! Start NOW‘Julia Schellen, Carolin Garbe, Sally Kröger, Stefanie K. Sachse, Lena Lingk & Jens Boenisch

Einfach gemerkt – Merkhilfen in der UKMarvin Breitling, Martin Gülden & Alexander Müller

Die Entwicklung kommunikativer Kompetenzen bei UK-Nutzer:innen durch therapeutische InterventionenAnna Amato & Elizaveta Artes

Sprache begreifen – Weiterentwicklung dreidimensionaler Symbole eines universellen Kernvokabulars für Menschen mit Komplexer BehinderungBettina Propach & Cordula Birngruber

Entdecke die Möglichkeiten – die Vielfalt von Ansteuerungen für das ‚iPad‘ in der Unterstützten KommunikationIgor Krstoski & Sven Reinhard

III. ÜBERLEGUNGEN ZUR STÄRKUNG, SCHULUNG UND UNTERSTÜTZUNG DES KOMMUNIKATIVEN UMFELDS

Mein Leben mit AssistenzMarion Tapken

Digitales Unterstützungsangebot in der UK-BeratungAndrea Karus

Gebärden-Snacks – eine leicht verdauliche Online-Fortbildungsreihe für alleTanja Thormählen & Angela Hallbauer

ICH WILL DIR WAS ERZÄHLEN! Unterstützungsmöglichkeiten der kindlichen Erzählfähigkeiten junger Menschen mit komplexen StörungsbildernHildegard Kaiser-Mantel

‚CALMA‘ Videocoaching für Eltern von Kindern im Autismus-Spektrum ohne ausreichende funktionale LautspracheSandra Guggenberger

Von der Kunst einen Talker-Vortrag zu präsentierenGudrun Streit, Alexander Streit & Oskar Streit

IV. KOMMUNIKATIVE TEILHABE IN BILDUNGSEINRICHTUNGEN

UK im Kindergartenalltag: Aus der Praxis für die Praxis!Heike Tittel

Spielen im Dialog – mit dem ‚sprechenden kidsKAUFLADEN‘Markus Spreer, Anke Thümmler, Cordula Semt, Annekathrin El-Kittar & Karoline Seufert

Lesen, Schreiben, Rechnen lernen unter erschwerten Bedingungen – was kann unterstützen?Susanne Dierker & Maresa Lindenlaub

Hörst Du, was ich Dir sagen will – gelungene Kommunikation auch über Sprachen hinweg mit AudiostiftenMario Oesterreicher

UK in der Regelschule?!Katrin Berns, Gudrun Graf & Paula Innerhofer

V. KOMMUNIKATIVE TEILHABE AM KULTURELLEN LEBEN

Auf Entdeckertour durch das Labyrinth der Wörter – Einblicke in das Konzept ‚Literaturtreff‘Christine Brenner

Kulturelle Teilhabe ermöglichen – Wie ein literaturpädagogisches Zentrum für Menschen mit und ohne komplexe Behinderung entstehtNicol Goudarzi

Multimodale Literacy-Angebote für Schüler:innen mit den Förderschwerpunkten Geistige Entwicklung und HörenAngela Hallbauer & Tanja Thormählen

VI. KOMMUNIKATIVE TEILHABE IN NACHSCHULISCHEN LEBENSWELTEN

Wohnen im ambulant betreuten WohnenLena Hartung

Gewaltschutz für Menschen mit geistiger Behinderung und UK-Bedarf in Einrichtungen der Behindertenhilfe durch aktive Einbeziehung und Mitwirkung an SchutzkonzeptenSusanne Mischo & Ingeborg Thümmel

VII. KOMMUNIKATIVE TEILHABE IM GESUNDHEITSWESEN

Kommunikationsbarrieren überwinden – ‚KONTakt‘, ein teilhabeorientiertes Projekt für erfolgreiche Verständigung im GesundheitswesenNora Schmit, Hilke Hansen, Kerstin Erfmann, Hendrik Dangschat & Beate Schrader

Ein Hilfsmittel für stationäre und ambulante Versorgung: Mein persönliches KlinikhandbuchEva Jakubowski

Unterstützte Kommunikation in Neurologie, Rehabilitation und KlinikSabrina Beer

Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können! Unterstützte Kommunikation bei der Mundhygiene und beim ZahnarztbesuchFrauke Jessen-Narr

Notrufe und Unterstützte Kommunikation (UK): Wie gelingt die Kommunikation mit Rettungsdiensten im Notfall?Anja Wehrheim

VIII. AUTOR:INNEN

Vorwort

UNTERSTÜTZTE KOMMUNIKATION MITTEN IM LEBEN?!

Imke Niediek, Markus Scholz & Jan M. Stegkemper

1. Theoretische Vorüberlegung

Ob Menschen sich kommunikativ einbringen können und einander verstehen, ist entscheidend für ihre gesellschaftliche Teilhabe in allen Lebensbereichen und nimmt umfänglich Einfluss auf ihre Lebensqualität (Achilles, 2015; Rudolph, 2022). Dabei ist eine eingeschränkte kommunikative Teilhabe nie allein als Folge möglicher Erschwernisse einzelner Personen zu betrachten. Der Blick muss immer auch auf ihre Umwelt gerichtet werden und darauf, wie inklusiv, zugänglich und sensibel sich diese darstellt.

Wilhelm Pfeffer beschrieb ein solches Verständnis bereits vor Jahrzehnten (1982; 1984). Seine Sichtweise kann uns auch heute noch helfen, der ‚Passungsfrage‘ von Personen und Umwelt differenziert nachzugehen.

Pfeffer führte aus, dass sich (z. B. kommunikative) Erschwernisse nie einfach aufgrund bestimmter ‚Handlungsdispositionen‘ (also z. B. Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen) einzelner Personen erklären lassen. Seines Erachtens erwachsen sie immer erst im Zusammenspiel mit einer konkreten ‚Alltagswirklichkeit‘. Dabei beschreibt Pfeffer unsere Alltagswirklichkeit als komplex, zeichenhaft verfasst, gesellschaftlich bestimmt und in Handlungsfelder strukturiert (1982; 1984).

Bei den Handlungsfeldern könnte man z. B. an den Bereich der ‚Mobilität‘ und eine Reise mit der Bahn denken. Eine gesellschaftlich bestimmte Wirklichkeit, die sich als komplex und zeichenhaft verfasst erweist, lässt sich hier in vielen Momenten exemplarisch beobachten. Man denke an das komplexe Geflecht von Fahrplänen und Zügen, die zwischen zahlreichen unterschiedlich barrierefreien Bahnhöfen und Gleisen mehr oder weniger pünktlich verkehren. Zur Orientierung brauchen Reisende dabei umfangreiches Wissen, müssen mit Piktogrammen, Texten und Lautsprecherdurchsagen in einer ‚ganz eigenen Sprache‘ umgehen. Und erschwerend kommt hinzu, dass das Handlungsfeld der ‚Mobilität‘ häufig geprägt ist durch zeitliche Knappheiten, (mangelnde) räumliche und informationelle Barrierefreiheit und ungeschriebene soziale Handlungsabläufe und -erwartungen.

Das Beispiel zeigt: Die Komplexität des Alltags kann für uns alle herausfordernd sein und diese Herausforderungen beeinflussen, wie wir neuen Aufgaben, anderen Menschen und unserer Umwelt begegnen. Aufgrund der ‚zeichenhaften Verfasstheit‘ vieler Handlungsfelder und der oftmals (schrift-)sprachlich geprägten Alltagswirklichkeit können u. a. insbesondere für Personen mit komplexen Kommunikationsbedürfnissen besonders schwerwiegende und umfängliche Teilhabebarrieren entstehen.

Diese Beobachtungen von Pfeffer sind heute noch relevant. Ähnliche Überlegungen finden sich z. B. auch in der ‚Internationalen Klassifikation von Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit‘ (ICF) der WHO (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2005) bzw. dem ‚Partizipationsmodell‘ von Beukelman und Mirenda (2013) und seiner Betrachtung individueller Partizipationsmuster sowie der Unterscheidung von Gelegenheits- und Zugangsbarrieren.

Pfeffers Sichtweise und auch die beschriebenen Modelle erweisen sich dabei aber nicht allein tauglich, um die Entstehung von Benachteiligungen und Barrieren zu problematisieren. Seine Fokussierung auf die ‚Passungsfrage‘ zwischen den individuellen Handlungsdispositionen Einzelner und der ‚gesellschaftlich bestimmten Alltagswirklichkeit‘ legen zugleich nahe, an welchen Stellen Unterstützung ansetzen kann: Auf Seiten der Umwelt und der Person. Dabei sei darauf hingewiesen, dass insbesondere eine ‚gesellschaftlich bestimmte‘ Alltagswirklichkeit auch gesellschaftlich verändert werden muss und damit als besonders geeigneter Ansatzpunkt zum Abbau bestehender Barrieren erscheint.

2. Die Struktur des Buches

Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Vorüberlegungen untergliedert sich das vorliegende Buch in vier Abschnitte, denen jeweils Einzelbeiträge verschiedener Autor:innen zugeordnet sind. Diese Beiträge stammen von UK-Nutzer:innen und ihren Angehörigen, Fachkräften aus dem Bereich der Unterstützten Kommunikation (kurz: UK) sowie Wissenschaftler:innen. Die Vielfalt ihrer Perspektiven spiegelt sich auch in der Sprache des Buches wider, weshalb in den Beiträgen mitunter unterschiedliche Bezeichnungen und Begriffe verwendet werden. Gemeinsam ist aber allen Beiträgen die Suche der Autor:innen nach Antworten auf die Frage, wie UK in unterschiedliche Handlungsfelder und Lebensbereiche übertragen werden kann und wie es gelingen kann, (kommunikative) Teilhabebarrieren abzubauen.

3. Überblick über die Einzelbeiträge des Buches

In Teil I finden sich Beiträge, die sich damit auseinandersetzen, wie UK noch umfänglicher zum Teil unser aller Alltagswirklichkeit werden kann. Dabei betrachten die ersten drei Beiträge eher das unmittelbare Umfeld unterstützt kommunizierender Personen, bevor sich die nachfolgenden Beiträge mit der Implementierung von UK in größeren Einrichtungen und der Gesellschaft insgesamt befassen. Gemeinsam ist den Beiträgen die Frage: Wie gelingt es, ein ukförderliches Umfeld zu schaffen, in dem UK selbstverständlicher Bestandteil des Alltags ist?

Dazu kommen zunächst zwei Autor:innen mit tagtäglicher, eigener UK-Erfahrung zu Wort: Die 11-jährige Magdalena Großhennig berichtet, gemeinsam mit ihrer Mutter Anika Großhennig, über ihren Weg zur UK und über deren tagtägliche Verwendung in unterschiedlichsten Kontexten und mit verschiedensten Personen. Dabei wird eindrücklich deutlich, wie umfassend UK zu einer umfängliche(re)n Partizipation in unterschiedlichsten Handlungsfeldern und Lebensbereichen beitragen kann.

Wie UK verschiedene Stationen des Lebens begleitet und sich über die Jahre verändert zeigen auch Sabrina Beer und Maximalian Kaffl auf Basis seiner bisherigen Biographie.

Birgit Hennig zeigt auf, wie Personen mit der progredienten, neuromuskulären Erkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) durch Modalitäten der UK in ihrer alltäglichen kommunikativen Partizipation unterstützt werden können. Dazu gibt sie einen kenntnisreichen Überblick über den aktuellen Forschungsstand und leitet konkrete praktische Hinweise zur direkten Unterstützung und Begleitung von Personen mit ALS ab.

Maximilian Herrmann, Jan Wiemer und Silke Braun stellen das Vorgehen eines ‚User-Centered-Designs‘ vor und übertragen dessen Prinzipien und Strategien auf den Bereich der UK. Sie eröffnen damit Wege, UK-Materialien und -Hilfen unter Partizipation von UK-Nutzer:innen und ihres Umfelds noch passgenau(er) zu entwickeln, um somit noch umfänglicher kommunikativ partizipieren zu können.

UK-mittendrin in ihrer Einrichtung möchte auch Gesine Drewes erleben. Dazu stellt sie die Herausforderungen und Lösungswege in den verschiedenen Teileinrichtungen einer großen Einrichtung der Behindertenhilfe vor. Die Zielperspektive des Projektes ist es, gemeinsame Wege und Strategien für die gesamte Einrichtung zu entwickeln.

Zugang zu UK für alle, damit Teilhabe für alle möglich wird, so lässt sich die Forderung der Arbeitsgruppe ‚Geballte Power für UK‘ aus der Schweiz zusammenfassen. Viola Buchmann, Dorothea Lage und Melanie Willke berichten stellvertretend von der Arbeit der Gruppe und rufen damit uns alle dazu auf, uns zu engagieren, damit Teilhabe zur Alltagswirklichkeit gerade auch für unterstützt kommunizierende Menschen wird.

In Teil II stellen die Autor:innen Konzepte, Hilfsmittel und Materialien vor, die darauf abzielen, UK-Nutzer:innen den Umgang mit UK-Formen, Hilfsmitteln und Strategien zu vermitteln. Dabei geht es im Sinne von Light und McNaughton (2014) nicht nur um konkrete Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern um ein umfassendes Verständnis kommunikativer Kompetenz, das selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht.

Julia Schellen, Carolin Garbe, Sally Kröger, Stefanie K. Sachse, Lena Lingk und Jens Boenisch zeigen in ihrem Beitrag wie man die Entwicklung von Kommunikation unterstützten kann. Kern ist dabei ein wissenschaftlich fundierter und sich systematisch aufbauender Wortschatz.

Marvin Breitling, Martin Gülden und Alexander Müller entwickeln theoretisch und empirisch fundierte Ideen, wie (sprachliche) Merkhilfen gestaltet werden können, um sich besser auf komplexen elektronischen Kommunikationshilfen zurechtzufinden und Äußerungen zu generieren.

Anna Amato und Elizaveta Artes stellen ihr sprachtherapeutisches Vorgehen mit dem Schwerpunkt UK vor und beleuchten den Einfluss auf die Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten der UK-Nutzer:innen.

Sprache im wahrsten Sinne des Wortes ‚begreifbar machen‘ wollen Bettina Propach und Cordula Birngruber. Sie stellen die Entwicklung von tastbaren Zeichen vor, mit denen hör-seh-beeinträchtigte Menschen einen Zugang zum Verstehen und Verwenden von Wörtern aus einem universellen Kernwortschatz erhalten.

Sven Reinhard und Igor Krstoski diskutieren die Bedeutung von UK-Hilfsmitteln als Assistive Technologien. In ihrem Beitrag stellen sie neuere Entwicklungen zur Ansteuerung von Tablets wie dem ‚iPad‘ als Kommunikationshilfsmittel vor und zeigen, wie die Weiterentwicklung von Schnittstellen vielfältige Möglichkeiten für unterstützt sprechende Menschen eröffnet.

In Teil III finden sich Beiträge, die ihren Fokus auf eine Stärkung, Unterstützung oder Schulung des direkten kommunikativen Umfelds unterstützt kommunizierende Menschen lenken.

Marion Tapken erzählt in ihrem Beitrag von ihrem Leben mit Persönlicher Assistenz. Eindrücklich beschreibt sie anhand von verschiedenen Stationen ihres Lebens, was eine gute Assistenz für unterstützt sprechende Menschen ausmacht.

Andrea Karus stellt vor, wie in der sonderpädagogischen Beratungsstelle in Ladenburg seit der Corona-Pandemie digital unterstützt gearbeitet und beraten wird. Sie stellt ausführlich dar, wie Eltern bzw. Fachkräfte mithilfe einer Onlineplattform passgenaue und vielfältige Materialien und Unterstützungsangebote bereitgestellt werden können.

Tanja Thormählen und Angela Hallbauer stellen eine reichhaltige Online-Fortbildungsreihe zur Vermittlung lautsprachunterstützender Gebärden für Eltern und Fachkräfte vor, die sogenannten ‚Gebärden-Snacks‘.

Hildegard Kaiser-Mantel stellt Überlegungen an, wie Fachkräfte und Bezugspersonen von Kindern oder Jugendlichen in ihrem Erzählen (mittels UK) unterstützt werden können. Dabei sensibilisiert sie insbesondere all ihre Kommunikationspartner:innen ihr eigenes kommunikatives Handeln umfänglich zu reflektieren und stellt konkrete Strategien und Strukturierungsmaßnahmen vor, um das (kindliche) Erzählen zu unterstützen.

Sandra Guggenberger beschreibt die Entwicklung eines Video-Coachings für Eltern von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die sich nicht lautsprachlich mitteilen, und erste Erfahrungen damit.

Wissen über UK zu verbreiten, ist auch das Ziel von Familie Streit. Sie geben Tipps und Tricks weiter, die es Oskar Streit ermöglichen, spannende Vorträge zu halten und damit Mitstreiter für UK zu gewinnen. Nachmachen erwünscht!

Im Teil IV des Buches wird behandelt, wie die kommunikative Teilhabe von Personen mit komplexen Kommunikationsbedürfnisses in unterschiedlichen Handlungsfeldern bzw. Lebensbereichen unterstützt und Teilhabebarrieren abgebaut werden können. Die Auswahl und Sortierung der Handlungsfelder wurde nicht von uns als Herausgeber:innen vorgegeben, sondern ergab sich vor dem Hintergrund des zugrunde gelegten handlungstheoretischen Verständnisses sowie den eingereichten Beiträgen aller Autor:innen dieses Kongressbands. Exemplarisch zeigen die Beiträge, wie UK in Bildungseinrichtungen, im Bereich der Literatur und kulturellen Bildung, in nachschulischen Lebenswelten sowie bei Gesundheitsfragen einen wesentlichen Beitrag zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe leisten kann.

Kommunikative Teilhabe in Bildungseinrichtungen Den Anfang macht Heike Tittel mit einem Blick in die vorschulische Bildung. Sie berichtet aus der Praxis für die Praxis, wie Mittel und Methoden der UK im Kindergartenalltag integriert werden können.

Markus Spreer, Anke Thümmler, Cordula Semt, Annekathrin El-Kittar und Karoline Seufert zeigen didaktisch und auf Basis von praktischen Beispielen wie ein mit UK-Hilfsmitteln ausgestatteter Spielekaufladen zur Sprach- und Kommunikationsförderung genutzt werden kann.

Susanne Dierker und Maresa Lindenlaub beschreiben in Ihrem Beitrag Herausforderungen von nichtsprechenden Kindern und Jugendlichen in den Lernbereichen Deutsch und Mathematik und stellen Unterstützungsmöglichkeiten aus der Praxis vor.

Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, die Vorlesestifte für den inklusiven Unterricht bieten, zeigt Mario Oesterreicher auf. Die Bandbreite reicht von der Unterstützung des Spracherwerbs, der Schriftspracherwerbs bis hin zum Fremdsprachenunterricht im Sekundarbereich.

Katrin Berns, Gudrun Graf und Paula Innerhofer stellen schließlich Möglichkeiten der Integration von UK in Regelschulkontexten vor. Wie dies funktionieren kann wird an Beispielen zur Unterrichtsgestaltung, der Elternarbeit und in Bezug auf Unterrichtsinhalte aufgezeigt.

Kommunikative Teilhabe an Literatur Christine Brenner erläutert in ihrem Beitrag, wie eine gleichberechtigte kulturelle Teilhabe an Literatur(-klassikern) in einem ‚Literaturtreff‘ mit umfassender Verwendung der Modalitäten UK gestaltet werden kann.

Auch Nicol Goudarzi widmet sich der Frage, wie Schüler:innen mit und ohne UK-Bedarf ein niedrigschwelliger Zugang zu Literatur ermöglicht werden kann. Sie schaut eher auf die Strukturen und stellt in ihrem Beitrag vielfältige Ideen für die Ausstattung einer barrierearmen und mehr-sinnlichen Schulbibliothek vor, die zum ‚Abschauen‘ und ‚Nachmachen‘ einladen.

Die multimodale Literacy-Förderung für Schüler:innen mit den Förderschwerpunkten Geistige Entwicklung und Hören ist Thema des Artikels von Angela Hallbauer und Tanja Thormählen. Hierbei werden mögliche Barrieren und deren Überwindung thematisiert.

Kommunikative Teilhabe in nachschulischen Lebenswelten Den Anfang in dieses Kapitel macht Lena Hartung, die uns von den Veränderungen in ihrem Leben und ihren Erfahrungen als unterstützt kommunizierende Frau in der ersten eigenen Wohnung berichtet.

Wie man kommunikative Räume für Gespräche zu Gewaltschutz und Gewalterfahrungen in Einrichtungen der Behindertenhilfe schaffen kann, stellen Susanne Mischo und Ingeborg Thümmel in ihrem Beitrag dar.

Kommunikative Teilhabe im Gesundheitswesen Wie Kommunikationsbarrieren in der Gesundheitsversorgung überwunden werden können zeigen Nora Schmit, Hilke Hansen, Kerstin Erfmann, Hendrik Dangschat und Beate Schrader. Im Rahmen eines Projekts versuchen sie für in der Gesundheitsversorgung arbeitende Personen Prinzipien und Strategien zur Verständigung zu vermitteln.

Um nonverbal kommunizierende Personen bei stationären oder ambulanten Klinikaufenthalten zu unterstützen und damit weniger über ihre Köpfe hinweg entschieden wird, stellt Eva Jakubowski in ihrem Beitrag die Entwicklungsschritte hin zu einem ‚persönlichen ambulanten Klinikhandbuch‘ als medizinisches bzw. pflegerisches Kommunikationsmedium vor.

Sabrina Beer blickt in ihren Ausführungen auf UK im Kontext Neurologie, Rehabilitation und den Klinken. Auf Basis von Fallbeispielen gibt sie einen umfangreichen Einblick in die praktische Arbeit in diesen Settings.

Frauke Jessen-Narr stellt Ideen und konkrete Materialien vor, um UK-Nutzer:innen bei der tagtäglichen Mundhygiene und beim Gang zur Zahnärzt:in zu unterstützen.

Was kann ich tun, um im Notfall zu helfen? Eine Situation, in die niemand geraten möchte. Anja Wehrheim stellt diese Frage unterschiedlichen Menschen, die mit UK zu tun haben. Die Ergebnisse fasst sie in ihrem Bericht zusammen und gibt hilfreiche Tipps für unterstützt sprechende Menschen und ihr Umfeld, damit Notrufe auch tatsächlich gehört werden.

4. Fazit

‚Passung‘ zwischen individuellen Handlungsdispositionen Einzelner und der ‚gesellschaftlich bestimmten Alltagswirklichkeit‘ schaffen, das ist die Aufgabe und das zentrale Ziel von UK. Der vorliegende Sammelband macht dazu Angebote, teilt Erfahrungen und diskutiert Zukunftsideen. An den Leser:innen liegt es, diese zu prüfen, auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Wir bedanken uns sehr herzlich bei allen Autor:innen, die mit ihren spannenden Beiträgen diesen Sammelband ermöglicht haben und allen, die dazu beigetragen haben, dass mit dem Kongress der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. 2023 auch dieses Buch möglich wurde! Ein Dankeschön gilt Mia Luckmann, Neele Völker und Julia Möhlenkamp für die Unterstützung beim Lektorat, sowie Susanne Ellert beim Verlag selbstbestimmt Leben für ihre Unterstützung. Ein ganz besonderer Dank geht an Maximilian Kaffl, Josef Kaffl und Adrian Gerlich, sowie der Fotografin Irmgard Sinnesbichler, die uns das tolle Foto für das Titelbild zur Verfügung gestellt haben!

Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir nun eine spannende Lektüre. Wir hoffen, dass dieses Buch dazu beträgt, Ihre Auseinandersetzung mit UK zu bereichern.

Literatur

Achilles, S. (2015). Einführung in die Diagnostik. In von Loeper & isaac Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. (Hrsg.), Handbuch der Unterstützten Kommunikation (S. 14.003.001–014.010.001). Karlsruhe: von Loeper.

Beukelman, D. R. & Mirenda, P. (Hrsg.) (2013). Augmentative & Alternative Communication. Supporting Children & Adults with Complex Communication Needs. Baltimore: Brookes.

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Hrsg.) (2005). ICF. Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Genf: World Health Organization.

Light J. & David McNaughton, D. (2014). Communicative Competence for Individuals who require Augmentative and Alternative Communication: A New Definition for a New Era of Communication?, Augmentative and Alternative Communication, (30)1, 1–18, DOI: doi.org/10.3109/07434618.2014.885080

Pfeffer, W. (1982). Aspekte eines handlungsorientierten pädagogischen Begriffs von Behinderung. In H. P. Schmidtke (Hrsg.), Sonderpädagogik und Sozialpädagogik (S. 60–70). Heidelberg: Schindele.

Pfeffer, W. (1984). Handlungstheoretisch orientierte Beschreibung geistiger Behinderung. Geistige Behinderung, 23(2), 101–111.

Rudolph, A. (2022). Lebensqualität und Kommunikation. In P. Zentel (Hrsg.), Lebensqualität und geistige Behinderung. Theorien, Diagnostik, Konzepte (S. 2–75). Stuttgart: Kohlhammer.

I. UK als notwendiger Teil der Alltagswirklichkeit

MEIN TALKER UND ICH ‚MITTENDRIN‘ – EIN BERICHT AUS DEM (FAMILIEN-)ALLTAG

Magdalena Großhennig & Anika Großhennig

1. Wer ich bin

Hallo, ich bin Magdalena aus Hannover! Ich bin 11 Jahre alt. Mit 4 Jahren habe ich einen Talker mit Augensteuerung bekommen. Meine Mama und ich werden Euch erzählen, wie ich mit dem Talker sprechen gelernt habe. Wir haben viele Beispiele für Spiele und Gesprächsideen aus unserer Familie. Auch in der Schule ist der Talker immer dabei. Ich berichte auch von meiner Sprachtherapie mit Therapiebegleithund Cooper (der beste Hund der Welt). Seid Ihr schon gespannt?

Zu meiner Familie gehören neben Mama, natürlich auch Papa und meine Schwester Friederike. Ihr Spitzname ist Frieke. Frieke ist 7 Jahre alt. Wir sagen immer, dass wir ‚ziemlich beste Schwestern‘ sind. Warum, dazu später, wenn ich über die Schule berichte (Kapitel 5). Meine Mama hat mir dabei geholfen die Ideen zusammenzutragen und den Artikel zu formulieren. Ich kann mich natürlich nicht an alles selbst erinnern und außerdem auch die komplizierten Dinge noch nicht selbst erklären.

2. Wie alles begann

Alles begann mit dem Film ‚Lennart spricht mit den Augen‘ (Tümmler 2014). Meine Eltern hatten darin entdeckt, dass Lennart einen NF-Walker (Made for Movement GmbH o. J.) benutzt, genau wie ich damals schon. Da im Film ersichtlich war, dass Lennart auch in Hannover wohnt, hatten sie gleich die Idee, die Eltern von Lennart zu kontaktieren.

So saßen wir, als ich 3 Jahre alt war, bei Kakao, Kaffee und Kuchen zusammen und haben das erste Mal gesehen, wie ein Talker mit Augensteuerung funktioniert. Das Erste, was wir uns von Lennart dann direkt abgeschaut haben, waren Lennarts ‚Ja-/Nein‘-Zeichen. Kurze Zeit später hatte ich meine eigenen ‚Ja-/Nein‘-Zeichen: Nach oben gucken ist ‚Ja‘ und nach unten gucken ist ‚Nein‘. Damit konnte ich mit meinen Eltern, Verwandten und in meinem Kinderladen schon richtig viel selbst entscheiden. Meine ‚Ja-/Nein‘-Zeichen sind auch heute noch wichtig, wenn ich meinen Talker nicht habe (z. B. draußen oder abends im Bett).

Außerdem begannen nach dem Besuch bei Lennart die ersten Überlegungen zu einem Talker für mich. So habe ich im sozialpädiatrischen Zentrum erstmals einen Talker mit Augensteuerung getestet und weil es gut geklappt hat, wurde die Beantragung gestartet. Wie bei fast allen neuen Hilfsmitteln für mich, wurde der Talker zunächst erstmal abgelehnt. Nach erfolgreichem Widerspruch kam der Talker, ein Accent 1400 mit Augensteuerung, dann knapp 4 Monate vor meinem 5. Geburtstag mit der Post.

Ich habe direkt von Anfang an mit ‚Minspeak‘ gestartet. Zunächst habe ich mit der ‚Quasselkiste‘ und dann ab der 2. Klasse mit der ‚Wortstrategie 84‘ kommuniziert. Wichtig zu wissen ist, dass am Anfang niemand in meinem direkten Umfeld mit einem Talker und der ‚Minspeak‘-Oberfläche vertraut war. Meine Bezugspersonen in der Schule und zu Hause und auch meine Sprachtherapeutinnen haben erst mit mir begonnen, die Sprachsoftware zu lernen. Wir hatten allerdings zusätzlich auch sehr viel Expertise von einem Mitarbeiter des Hilfsmittelversorgers. Auch von dieser Seite wurden wir alle stets mit vielen Tipps und zusätzlich meine Mama mit Analysen und zahlreichen Gesprächen begleitet.

3. ‚Talkern‘ bei uns zu Hause

3.1 Auf die Frage kommt es an

Die meiste Gelegenheit zum Quatschen ergab sich zuhause beim Essen. Meine Eltern mussten sich etwas umgewöhnen, mir nicht nur Ja-Nein-Fragen zu stellen, sondern die Fragen offen (aber nicht zu offen) zu gestalten. Also z. B. statt „Möchtest du Nutella auf Dein Brot?“, haben sie gefragt „Was möchtest Du?“. Am Anfang war das allerdings so schwer für mich zu antworten, dass sie mir dann (weil sie ja wussten, dass ich Nutella wollte) gezeigt haben, wo Nutella auf dem Talker ist. Fachleute sagen dazu ‚Modelling‘ und so ging es auch bei mir los. Meine Mama und die Sprachtherapeutinnen haben mir immer die Wörter auf dem Talker gezeigt. Zu Beginn einzelne Wörter, dann Zweiwort-Kombinationen und anschließend kurze, ganze Sätze. Mama hat am Anfang auch manchmal viel zu lange Sätze gemacht, was etwas verwirrend war. Das Gute war aber, dass ich dadurch gesehen und mir gemerkt habe, wo die für mich wichtigsten Wörter auf dem Talker sind.

Mit der Zeit haben wir unsere ‚Tischgespräche‘ immer weiter ausgebaut. Ich habe z. B. irgendwann angefangen, meine Eltern beim Frühstück zu fragen, wie der Tagesplan ist und nach der Schule, wie die Arbeit war und was sie zum Mittag gegessen haben. Natürlich habe ich auch ihre Fragen zur Schule beantwortet. Außerdem haben wir, als Frieke auch angefangen hat zu sprechen, Tischspiele gespielt. Zum Beispiel ‚Tiere raten‘. Einer denkt sich ein Tier aus und die anderen stellen Fragen, um das Tier zu erraten.

3.2 Was ich spannend fand und finde

Ich habe natürlich meinen Talker auch viel selbst erkundet. Wichtig war mir dabei immer, dass ich alle Namen meiner Freunde und Verwandten aus dem Kinderladen mit Fotos auf meinem Talker hatte. Ich habe dann oft einfach alle Fotos angeschaut und die Namen mit dem Talker gesagt. Auch habe ich gerne die Bilder mit dem ‚Blob‘ zum Präpositionen lernen angeschaut, die in der ‚Quasselkiste‘ enthalten sind.

Außerdem fand ich es als Kleinkind (und auch heute manchmal noch) spannend, wenn Mama, Papa und Freunde mir das ein oder andere Lied auf den Talker eingesungen haben und ich diese dann selbst abspielen konnte.

Eine meiner absoluten Lieblingsbeschäftigungen sind Karten- und Brettspiele. Ich habe auf meinem Talker eigene Seiten für meine Lieblingsspiele wie z. B. ‚Uno‘, ‚Qwixx‘, ‚Catan Junior‘ oder ‚Go Gecko Go‘. Die Seiten sind von Mama angelegt, so dass ich für meine Lieblingsspiele die wichtigsten Dinge zusammen auf einer Talkerseite und schnell verfügbar habe.

Richtig cool ist dabei auch die in der Talkersoftware vorhandene Zufallsfunktion. Mit dieser kann Mama mir viele verschiedene Würfel(-spiele) programmieren. Damit kann ich selbst die sechsfarbigen ‚Qwixx‘-Würfel mit einmal werfen, so wie Frieke mit dem Würfelbecher.

Ich habe z. B. auch einen ‚Schere-Stein-Papier‘-Würfel, mit dem ich oft mit Frieke spiele und auch Würfel, die Matheaufgaben, Buchstaben oder auch Wortformen würfeln. Hierfür muss eine Seite mit den Inhalten des Würfels (z. B. eine Seite ‚wuerfel-wortarten‘ auf der für jede Wortart eine Taste ist) angelegt werden und dann auf einer Taste der Befehl: ,ZUFALLS-AUSWAHL(wuerfel-wortarten)‘ hinterlegt werden.

3.3 Videokonferenzen in der Pandemie und danach

In der Pandemie habe ich gemerkt, dass ich mit dem Talker auch sehr gut an Videokonferenzen teilnehmen kann. Ich hatte Sprachtherapie-Konferenzen, Konferenzen mit Verwandten, mit der Schule und richtig toll war der Morgenkreis des Kinderladens meiner Schwester. Dort haben wir gesungen, gespielt und manchmal sogar auch ‚online‘ Geburtstag gefeiert.

Auch in den Sprachtherapie-Konferenzen während Corona haben wir viele lustige Dinge gemacht. Wir haben zusammen Briefe gelesen und Würfelspiele oder Galgenmännchen gespielt. Einmal hat meine Sprachtherapeutin sogar mit meiner Anleitung einen Pfannkuchen gebacken. Leider kam der durch den Bildschirm aber nicht bis zu mir. Trotzdem finde ich es besser, dass ich jetzt wieder direkt zur Sprachtherapie und zu Cooper (siehe Kapitel 7) gehen kann.

Nichtsdestotrotz ist es auch super, dass manche Videokonferenzen nach der Pandemie noch weiter geblieben sind. Richtig gut finde ich die Familienchats (Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. o. J.). Dort treffen wir uns online mit anderen Familien aus ganz Deutschland. Wir sammeln dabei immer viele Tipps von anderen Familien mit UK-Kindern.

4. Was ich mit meinem Talker noch alles kann

4.1 Umfeldsteuerung mittels Infrarot und Spracherkennung

Ich fand es schon immer cool, den Talker nicht nur ‚zum Quatschen‘ zu benutzen. Als ich noch klein war, habe ich immer mal wieder ein Spielzeug gehabt, dass man mit Infrarot steuern kann. Ich habe sogar ein ‚Lego-Technik-Auto‘, dass ich mit dem Talker bewegen kann. Allerdings bin ich kein großer Autofan.

Toll finde ich es stattdessen, wenn ich den CD-Player und Lampen mit dem Talker benutzen kann. Richtig cool sind die Lampen, bei denen ich die Farben selbst bestimmen kann.

Letztes Jahr haben Frieke und ich auch eine kleine Box mit Sprachassistentin zu Weihnachten bekommen. Ich kann mir damit Witze und Geschichten erzählen lassen. Ich kann die Box fragen, wie viele Tage es noch bis zu meinem nächsten Geburtstag sind, wie das Wetter in Hannover ist und vieles mehr. Am besten finde ich, dass ich mir Musik wünschen kann und richtig cool ist, dass ich auch die Lautstärke der Musik selbst bestimmen kann. Nun brauche ich natürlich den CD-Player nicht mehr.

4.2 Mein Talker als Tastatur

Ich helfe zu Hause gerne, wo ich kann. Zum Beispiel schreibe ich am Samstagmorgen gerne die Einkaufsliste. Dafür schließt Mama mein Tablet an den Talker an und ich nutze den Talker als Tastatur und schreibe auf, was eingekauft werden muss. Danach drucke ich mit Mama zusammen die Liste aus. Meistens schreibe ich dann noch kleine Mails an meine Freunde und Verwandte. Meine Eltern helfen noch beim Lesen und Schreiben der Mails, aber ich denke, dass ich das bald auch ganz alleine kann.

4.3 Augensteuerungs-Apps zum Spielen und Lernen

Wie viele Kinder möchte ich auch gerne Spiel- und Lern-Apps bedienen. Richtig gerne arbeite ich z. B. in der Anton-App, die viele Kinder ohne motorische Einschränkungen in der Grundschule auch benutzen. Leider ist die Bedienung für mich durch den Umweg mit dem Talker als Tastatur (oder Maus) sehr anstrengend, so dass ich am Ende doch oft nur die Antwort sage und jemand anderes die App für mich bedient. Das ist manchmal sehr frustrierend, dass ich das nicht alleine kann. Nun hat Mama aber vor kurzem die Apps von ‚LIFEtools‘ entdeckt (LIFEtool gemeinnützige GmbH o. J.). Diese sind richtig gut mit der Augensteuerung zu bedienen, so dass ich auch endlich selbstständig spielen und lernen kann.

5. Talker in der Schule

5.1 Kein Schultag ohne Talker

In der Schule darf mein Talker nie fehlen. Schon zum Morgenkreis brauche ich ihn immer. Am liebsten bin ich selbst die Chefin des Tages und führe durch den Morgenkreis. Ich nutze dafür zum einen eine vorbereitete Seite, aber für viele Dinge wähle ich auch selbst einzelne Wörter aus, die ich berichten will. Natürlich benutze ich den Talker dann auch im Laufe des Schultages zu fast allen Gelegenheiten. Wörter, die auf dem Talker fehlen, werden entweder direkt oder dann im Nachhinein von Mama ergänzt. Dadurch erweitert sich mein Talker-Wortschatz stetig und ich kann immer mehr erzählen.

In der inklusiven Grundschule, in der ich war, haben wir ganz oft Gruppenarbeiten gemacht. Dank meines Talkers konnte ich dabei immer gut mitmachen. Gemeinsames Lernen mit den anderen Kindern macht mir sowieso mehr Spaß als alleine zu lernen.

Außerdem nutze ich meinen Talker um mich zu melden. Ich habe dazu ein kleines Infrarot-Licht an meinem Talker, das ich an- und ausschalten und bei dem ich die Farbe ändern kann (siehe Abschnitt 4.1).

5.2 Selbst schreiben mit Multitext

In meinen ersten Schuljahren hat sehr viel meine Schulassistenz für mich geschrieben. Mittlerweile nutze ich in der Schule die Software ‚MULTiTEXT‘ (HINDELANG-Software o. J.). Die Software ist auf meinem Tablet installiert. Ich kann dann meinen Talker als Tastatur benutzen (siehe Kapitel 4.2) und damit meine Arbeitsblätter selbst ausfüllen. Im Moment brauche ich noch viel Unterstützung bei der Bedienung der Software und es dauert sehr lange, aber ich bin sehr froh, dass ich nun so oft wie möglich selbst die Ergebnisse in die Arbeitsblätter eintragen kann.

5.3 Vorträge vorbereiten und vor allen halten

Ich halte sehr gerne Vorträge. In der Schule habe ich zum Beispiel einmal mein Lieblingsbuch ‚Quatsch mit Soße‘ von Sarah Welk (2018) vorgestellt. Mama und ich haben dazu auf dem Talker einiges vorbereitet und ich habe auch direkt aus dem Buch eine kurze lustige Stelle vorgelesen. Das Buch gehört zur Buchserie ‚Ziemlich beste Schwestern‘ von Friekes und meiner Lieblingsautorin Sarah Welk. Wir haben alle Teile, die bisher erschienen sind, und lachen uns beim Vorlesen immer kaputt.

Während ich in Quarantäne war und in der Schule das Thema ‚Sinne‘ war, habe ich mit meiner Familie einmal ein Hör-Quiz erstellt. Wir haben dafür Multiple-Choice-Fragen zum Ohr überlegt und Geräusche in kleinen Ü-Eiern und mit dem Talker aufgenommen. Das Quiz hat allen in der Schule und meinen Verwandten richtig gut gefallen.

Während des Home-Schoolings habe ich außerdem zusammen mit meiner Schulassistentin und Mama ein (UK-)Plakat zum Thema Robben erstellt. Dieses ist in Abbildung 1 zu sehen. Natürlich habe ich mein Plakat auch vorgestellt, allerdings nur zu Hause und das Video von der Präsentation wurde dann auf das Home-Schooling-Padlet gestellt.

Abb. 1: Meine (UK-)Projektarbeit zum Thema Robben (erstellt auf Basis von Screenshots der Software ‚NuVoice‘ Emulation (Prentke Romich GmbH 2020))

5.4 Ich kann auch Englisch

Seit der 3. Klasse habe ich auch Englisch-Unterricht. Das macht mir richtig viel Spaß. Da ich, wie schon erwähnt ‚Minspeak‘ nutze, sieht mein englischer Wortschatz fast genauso aus, wie mein deutscher Wortschatz. Das macht das Sprechen von einzelnen Wörtern oder kurzen Wortkombinationen einfach für mich. Etwas doof ist nur, dass es für die englische Version aktuell keine Kinderstimme gibt.

6. Mit meinem Talker unterwegs

Auch unterwegs ist mein Talker immer dabei. Wenn ich fremde Menschen treffe, dann frage ich sie immer gerne aus. Mich interessiert, wie die Menschen, denen ich begegne, heißen, wie alt sie sind, welches Sternzeichen sie haben und ob sie Geschwister haben, wie viele und natürlich wie die Geschwister heißen. Wenn ich die Personen dann schon etwas genauer kenne und wir Zeit haben, dann erzähle ich gerne einen Witz. Meine Lieblingswitze habe ich schon auf fertigen Seiten zum Auswählen.

7. Ich und mein Talker in der Sprachtherapie

Ohne begleitende Sprachtherapie wäre ich mit meinem Talker nicht da, wo ich jetzt bin. Seit ich denken kann, habe ich ein bis zweimal pro Woche Sprachtherapie.

Aus der Sprachtherapie nehmen meine Eltern und ich immer viele Tipps für zu Hause und die Schule mit. Ein ganz wichtiger Punkt ist z. B., dass ich eine ‚innere Stimme‘ habe und diese nutzen soll. Das geht so: Zuerst sage ich ganz laut mit meiner inneren Stimme, was ich sagen will und erst dann sage ich es mit dem Talker.

Da es immer mal wieder Phasen gibt, wo ich genervt bin und keine Lust zur Sprachtherapie habe, bin ich immer über Abwechslung froh. Somit ist es richtig super, dass seit 3 Jahren Cooper, ein Therapiebegleithund, immer mit dabei ist. Das ist mega cool, weil Hunde meine absoluten Lieblingstiere sind und ich auch selbst gerne einen eigenen Hund hätte. Mit Cooper kann ich viel üben, z. B. Befehle für Tricks und kleine Kunststücke geben oder sagen, wo seine Leckerlis versteckt werden sollen. Ein Bild von Cooper und mir bei der Sprachtherapie ist in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2: Therapiebegleithund Cooper und ich bei der Sprachtherapie

8. Zusammenfassung: ‚Magdas Talker-ABC‘

Anstatt einer Zusammenfassung gibt es mein ganz besonderes ‚Magdas Talker-ABC‘:

Augen  … brauche ich um mit meinem Talker zu sprechen. Bande  … Frieke und ich haben eine Bande gegründet. Wir sind einfach die ziemlich besten Schwestern und sehr froh, dass wir uns haben. Cooper  … ist der Therapiebegleithund, der mit mir Sprachtherapie macht. Deutsch  … ist mein Lieblingsfach. Einkaufsliste  … schreibe ich mit meinem Talker auf dem Computer am liebsten selbst. Freunde  … sind zum Quatschen sehr wichtig. Geschwister  … verstehen sich auch ohne Talker und sind von Natur aus geduldig, wenn das Sprechen mit dem Talker etwas länger dauert. Humor  … kann man nie genug haben. Ich lache immer als erste. Innere Stimme  … benutze ich um mir vorher gut zu überlegen, was ich sagen möchte. Ja-/Nein-Zeichen  … sind ganz wichtig, wenn der Talker (z. B. draußen) nicht verfügbar ist. Kunststücke  … und Tricks übe ich mit Cooper am liebsten. Lieder  … auf dem Talker von Mama, Papa und Freunden eingesungen finde ich super. Morgenkreis  … im Kinderladen erzählte und in der Schule erzähle ich meist etwas vorab Eingespeichertes, damit es schneller geht. Ich leite sehr gerne den Morgenkreis selbst. Namen  … auf dem Talker sind mir sehr wichtig, damit ich alle Menschen direkt ansprechen kann. Opa  … „du brauchst ein Hörgerät“ ist einer meiner Lieblingsätze. Papa  … kümmert sich immer sofort, wenn der Talker kaputt ist. Quatsch mit Soße  … muss immer sein. Rollstuhl  … kann ich bald auch mit dem Talker steuern. Schimpfwörter  … dürfen auf einem Talker nicht fehlen. Tiere raten  … ist eines meiner Lieblingsspiele während des Essens. Umfeldsteuerung  … mit dem Talker macht auch viel Spaß. Vorträge  … halte ich mit dem Talker sehr gerne. Wer, wie, was, warum  … Fragen helfen mir, viel über andere Menschen herauszufinden. x-mal  … habe ich meinen Talker selbst erkundet. Yes  … I love English. Zoom-Konferenzen  … klappen auch mit dem Talker.

Danksagung

Wir möchten diesen Artikel nutzen, um uns einmal bei allen Menschen, die unsere Familie begleiten und unterstützen, ausführlich zu bedanken.

Ganz vielen Dank an Lennart und seine Familie, weil Ihr uns zeigt, dass und was alles möglich ist. Außerdem danken wir Paul und den Sprachtherapeutinnen Miriam und Inka für die vielen Tipps und immer wieder neue Ideen, so dass es immer weiter voran geht. Vielen Dank an die Schulassistenzen, vor allem an Mareike, für das stetige gemeinsame Erlernen von ‚Minspeak‘ und die vielen Stunden im Home-Schooling. Vielen Dank an Maria, die für unsere Familie schon seit Magdas Kinderladenzeit da ist und immer ein offenes Ohr für uns vier hat. Großen Dank an Magdas beste Freundin Jonna und ihren besten Freund Fiete und die Eltern und Geschwister der beiden für die schöne Zeit, die wir immer miteinander verbringen, und natürlich auch an unsere Familie (Omas, Opas, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen), die immer für einen Plausch mit und ohne Talker zu haben sind.

Literatur

Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. (o. J.). Familienchats. Verfügbar unter: https://www.gesellschaft-uk.org/familien/familien-treffen.html [20.07.2023]

Tümmler, K. (2014). Lennart spricht mit den Augen. Verfügbar unter: https://www.mdr.de/tv/programm/​sendung937134.html [20.07.2023]

LIFEtool gemeinnützige GmbH (o. J.). LIFEtool Apps für iPad und Windows. Verfügbar unter: https://www.lifetool.at/en/assistive-technology/lifetool-apps-for-ipad-and-windows/ [20.07.2023]

HINDELANG-Software (o. J.). MULTiTEXT. Verfügbar unter: https://www.hindelang-software.de/ [20.07.2023]

Made for Movement GmbH (o. J.). NF-Walker. Verfügbar unter: https://www.madeformovement.com/​de/gehtrainer [20.07.2023]

Prentke Romich GmbH (2020). NuVoice Emulation für PC. Verfügbar unter: https://www.prentke-romich.de/talker-emulationen-und-softwareupdates/#1523873505146-0cfa7b44-7517 [20.07.2023]

Welk S. (2018). Ziemlich beste Schwestern – Quatsch mit Soße. München: arsEdition.

UNTERSTÜTZTE KOMMUNIKATION ALS PROZESS – WIE SICH UK ÜBER DIE JAHRE ENTWICKELN KANN

Sabrina Beer & Maximilian Kaffl

1. Einleitung

Unterstützte Kommunikation (UK) ist ein fortlaufender Prozess - gemäß dem Motto „nach der Versorgung ist vor der Versorgung“. Diesen Prozess zeigen wir anhand von Maximilians Weg auf. Im Alter von vier Jahren wurde Maxi mit seiner ersten technischen Kommunikationshilfe versorgt. Im Laufe seiner Kindheit machte er Entwicklungsschritte, die Anpassungen in der Versorgung erforderlich machten. Mit Eintritt in die Schule kam der Erwerb von Schriftsprachfähigkeiten und dadurch verbunden auch neue Möglichkeiten bezogen auf die Kommunikationsstrategie. Mit zunehmendem Alter und Schuldauer wuchs die Komplexität der Anforderungen, was wiederum zu neuen Überlegungen und Maßnahmen führte. Auch Veränderungen in den motorischen Fähigkeiten machten Modifikationen notwendig.

2. Rückblick auf den Start ins Leben

Nach einer Geburtskomplikation mit Uterusruptur der Mutter und anschließender Reanimationspflicht des Neugeborenen kam es infolge der Hypoxie zu einer Ausbildung einer dyskinetischen Cerebralparese (CP). Maximilian ist in der Stufe III des Gross Motor Function Classification System (GMFCS) (Heinen et al. 2014).

Ab dem fünften Lebensmonat (LM) erhielt er Physiotherapie, ab dem sechsten LM Logopädie. Als nächster Schritt kam mit der Frühförderung die konduktive Förderung dazu, die ihn bis heute begleitet.

Seine motorische Entwicklung war verzögert. Hier ein Überblick über seine motorischen Meilensteine:

Rollen: Neunter Lebensmonat

Krabbeln: Drei Jahre

Freies Sitzen: Drei Jahre

Kniestand: Dreieinhalb Jahre

Laufen am Rollator: Sieben Jahre

In den ersten vier Lebensjahren verständigte sich Maxi über Zeigen, Gesten und Lautieren. Dabei bekam sein Umfeld regelmäßig Schweißausbrüche, weil sie nicht wussten, was Maxi wollte. Ein beliebtes Spiel von Maxi war „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Dazu gibt es auch eine Geschichte: Maxi war mit seinem Vater beim Orthopäden und Maxi wollte das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielen und sein Papa hat ihn einfach nicht verstanden. Er hat dauernd die Laute dazu gemacht. Infolgedessen konnte der Arzt ihn nicht untersuchen, alle waren verschwitzt bis sie schließlich verzweifelt bei der Mutter angerufen haben und diese zum Glück Maxis Laute verstanden hatte. Diese Situationen häuften sich immer mehr. Mit vier Jahren wurde dann durch die betreuende Logopädin eine Versorgung mit einem Kommunikationsgerät initiiert.

3. Die erste technische Kommunikationshilfe

Maxi startete seine technische Kommunikationshilfelaufbahn 2008 im Alter von vier Jahren mit der ‚Dynavox Maestro‘ mit der symbolbasierten Kommunikationsstrategie ‚Gateway 20‘. Da er bedingt durch die CP eine Bewegungsstörung hat, die auch seine Handmotorik betrifft (Ataxie), wurde er zusätzlich mit einem Fingerführraster versorgt. Zudem erfolgten spezielle Einstellungen in der Software wie die Auslöseverzögerung. Diese verhinderte, dass Maxi durch mehrmaliges Drücken den gleichen Feldinhalt mehrmals hintereinander eingab. Die kommunikative Funktion der Kommunikationshilfe begriff er erst nach einiger Zeit. Maxi sagte mit dem Kommunikationsgerät „du bist doof“ zu seinem Bruder und dieser reagierte sauer. Ab da war Kommunikation mit seinem Talker plötzlich viel interessanter. Zu Beginn nutzte Maxi v. a. die Plauderecke, da hier fertige Phrasen auf den Feldern hinterlegt waren, konnte er schnell kommunizieren, ohne dass er Wort für Wort eingeben musste. Schritt für Schritt lernte er die anderen Seiten kennen und fing dann auch an, Zwei- bis Dreiwortsätze innerhalb von ‚Gateway 20‘ zu bilden. Er bekam einmal pro Woche für 45 Minuten Logopädie. Hier wurde er mit seinem Talker gezielt gefördert. Auch das Elternhaus war sehr rege und benutzte im Alltag den Talker regelmäßig, ebenso wie der Kindergarten. So wurde für Maxi sein Kommunikationsgerät ein selbstverständlicher Begleiter.

Da Maxis Äußerungen immer mehr und komplexer wurden, er mit ‚Gateway 20‘ jedoch an eine Vokabulargrenze stieß, erfolgte bereits ein Jahr später, also mit fünf Jahren, ein Wechsel innerhalb von ‚Gateway‘ von der Feldanzahl 20 auf 40 pro Seite. Dies bedeutete für Maxi zunächst eine motorische und kognitive Lernphase. Zum einen musste er lernen, kleinere und mehr Felder anzusteuern, zum anderen musste er sich in der neuen Oberfläche zurechtfinden. Mit dem Umstieg auf ‚Gateway 40‘ kamen nun auch Grammatikfunktionen hinzu, so musste er z. B. die korrekte Personalform wählen. Durch die relativ frühe Versorgung mit einer Kommunikationshilfe konnte er nun bis zur Einschulung viel Erfahrung mit seinem Kommunikationsgerät sammeln.

4. Schulstart

2011 wurde Maxi eingeschult. Er besuchte zunächst die Regelschule und wurde durch eine Fachkraft (Konduktorin) in Form einer Schulbegleitung unterstützt. Mit der Einschulung eröffnete sich für Maxi die Welt des Schreibens und Lesens. Er lernte, so wie seine Mitschüler:innen auch, Buchstabe für Buchstabe und das Zusammenziehen zu Wörtern. Da er handschriftlich überhaupt nicht in der Lage war zu schreiben, nutzte er die ABC-Seite in seiner Strategie als Tastatur. Damit er Arbeitsblätter und Aufgaben bewältigen konnte, wurde er mit der Software ‚Multitext‘ sowie einem ‚AccessIT‘ (Bluetooth-Schnittstelle via Kommunikationsgerät und PC, ermöglicht dass das Kommunikationsgerät als Eingabehilfe für den PC benutzt werden kann) versorgt. So gelang es ihm, Buchstaben, Wörter, Sätze und Zahlen auf seinem Gerät zu tippen und via Bluetooth an den Computer zu senden. Die so bearbeiteten Arbeitsblätter und Texte wurden dann ausgedruckt und den Lehrkräften übergeben. Zwei Jahre später, also 2013, erfolgte ein Wechsel in die dritte Klasse einer inklusiven Schule, die nach dem Petö-Konzept arbeitete. Dieses Fördersystem beruht auf der Entwicklung des ungarischen Neurologen und Pädagogen András Petö. „Konduktiv“ bedeutet „zusammenführen“ und meint die Integration aller Entwicklungs- und Persönlichkeitsbereiche des Menschen in einem einheitlichen pädagogischen und therapeutischen Ansatz. Dabei hilft die konduktive Förderung, das Fehlende zu erlernen und ist Hilfe zur Selbsthilfe. Durch das besondere Konzept der Schule benötigte Maxi keine Schulbegleitung mehr. Die Kommunikationshilfe war für Maxi von großer Bedeutung, er selbst formulierte bei der Frage, was die Kommunikationshilfe für ihn sei, „wie mein Mund“.

Abb. 1: Maxi mit seinem ersten Kommunikationsgerät und dem ‚AccessIT‘ sowie der Software ‚Multitext‘

5. Wechsel der Kommunikationshilfe

2014 kam es zu häufigen Ausfällen von Maxis Kommunikationshilfe, der ‚DynaVox‘ Ein Update war nicht mehr möglich. Nun hieß es: Neu orientieren! Zusätzlich kam Maxi häufiger in die Situation, dass das bestehende Vokabular in ‚Gateway 40‘ nicht ausreichte und ein ständiges Nachprogrammieren nötig war bzw. Maxi viele Wörter Buchstabe für Buchstabe eingeben musste. Dazu kam, dass inzwischen das Vokabular mit vielen Unterseiten gespickt war und Maxi viele „Klicks“ benötigte, um zum gewünschten Wort zu gelangen. Dies verlangsamte seine Kommunikation stark. Auch Texte zu verfassen bzw. Referate damit zu gestalten, stellte einen enormen Aufwand für Maxi dar, war jedoch für seine kognitive und schulische Entwicklung von großer Bedeutung. Die ‚DynaVox‘ bietet ihm hier keine weiteren Möglichkeiten. Ein Wechsel auf 60 Felder pro Seite gelang aufgrund der motorischen Ansteuerung nicht, da die Felder dann zu klein für Maxis ataktische Bewegungen waren. So war klar, es musste ein Wechsel von Hardware und Software erfolgen. Es erfolgte eine längere Erprobungsphase, in der verschiedene Geräte und Kommunikationsstrategien zusammen mit Maxi ausprobiert wurde. Da Maxi sich ja nun in der vierten Klasse befand und im Gegensatz zur Erstversorgung über Schriftsprache verfügte, rückten Kommunikationsstrategien in den Vordergrund, die dies berücksichtigten. Dabei war es so, dass er Anlaute sehr sicher zu den Wörtern schreiben konnte. Herausfordernd wurde es für Maxi, wenn die Worte komplexer wurden oder Konsonantenverbindungen enthielten. Dann kam es immer wieder zu Entstellungen der Worte beim Schreiben. Dies rührte daher, dass er sich die Worte „falsch“ vorsagte, da er sie artikulatorisch nicht mustergerecht aussprechen konnte. Seine „innere Stimme“ war ebenfalls dysarthrisch. Letztendlich zeigte sich, dass der ‚Tobii I-12‘ und die Strategie ‚LiterAAcy Pro‘ in der Rastergröße 8x6 für ihn optimal sind. Maxi profitierte v.a. von der kombinierten Strategie, die zum einen aus einer Schreibstrategie mit Wortvorhersage sowie intelligenter Speicherung oft benutzter Wörter und zum anderen aus einem situativ geordneten Wortschatz bestand. Die Symbolunterstützung war hier nur noch rudimentär. Seine Kommunikationsgeschwindigkeit erhöhte sich maßgeblich und er benötigte deutlich weniger „Klicks“ um auf ein bestimmtes Wort zu gelangen. Auch das Bearbeiten von Texten wurde erleichtert, die Vortragsoption ermöglichte es ihm, Texte und Referate vorzubereiten und vorzutragen.

Maxi benötigte knappe zwei Monate, um mit der neuen Strategie zurechtzukommen. Ihm eröffneten sich durch die Kombination aus Schriftsprache und Zugriff auf den situativ geordneten Wortschatz mehr Ausdrucksmöglichkeiten. In der Schule wurden neben Arbeitsblättern, Rechen- und Schreibaufgaben nun auch Schreib- und Präsentationsprogramme eingeführt, eine Bearbeitung mit dem ‚Tobii‘ als Tastatur war hier jedoch nicht möglich. Daher wurden zusätzlich eine Großfeldtastatur und eine Tastenmaus für Maxi beantragt, sozusagen der erste Schritt in Richtung Arbeitsplatzausstattung.

6. Anstieg der Anforderungen – neue Ansteuerungsmethode

2016 erfolgte der Wechsel in die Mittelstufe, verbunden damit war, dass die Anforderungen stetig stiegen. Englisch kam hinzu. Es wurde ein englischer Benutzer für Maxi auf dem ‚Tobii‘ eingerichtet. So konnte er im Englischunterricht auf die englische Sprachausgabe und das englische Vokabular zugreifen. Dem war nicht genug. Die Aufgabenstellungen verlagerten sich in mehr und v.a. längere Texte, kompliziertere Mathematik – Multitext kam an seine Grenzen. Zusätzliche Kommunikationstafeln für Brüche und Geometrie wurden entwickelt und angewendet. Auch die Themen Messenger-Dienste und Mobiltelefon wurden nun aktuell. Also wurde der ‚Tobii‘ mit einer SIM-Karte bestückt und Maxi konnte nun ebenfalls Nachrichten lesen und verschicken.

Ein weiteres Limit wurde erreicht: Maxis Ansteuerungsmethode mit den Händen. Er erschöpfte sich im Laufe des Tages. Daher wurde 2018 damit begonnen, alternative Ansteuerungen mit Maxi zu erproben. Die Idee war, dass er neben der Handansteuerung eine zusätzliche Option bekommen sollte, sodass er zwischen den beiden wechseln konnte, um die Hand zu entlasten. Relativ schnell zeigte sich, dass eine Augensteuerung eine ökologische und effektive Art der Ansteuerung für Maxi darstellt. Die Mitbewegungen des Körpers reduzierten sich im Vergleich zu Handansteuerung erheblich, die Geschwindigkeit nahm deutlich zu.

Also hieß es im März 2018 nun: Umversorgung! Sein aktuelles Gerät verfügte über kein Augensteuerungsmodul und zeigte nach vier Jahren Dauernutzung gehäuft Ausfälle: Die Software hing sich auf, der Touchbildschirm ließ sich nicht mehr auslösen, häufige Neustarts wurden nötig. Eine Umversorgung wurde bei der Krankenkasse beantragt und abgelehnt. Es wurde Widerspruch eingelegt. Es erfolgte eine erneute Ablehnung mit Widerspruchsbescheid. Die Familie entschied sich für eine Klage vor dem Sozialgericht. Ein knappes Jahr nach Beantragung kam es zu einer Anhörung vor dem Sozialgericht. Dieses stimmte dem Antrag auf Umversorgung zu und erkannte die Notwendigkeit einer alternativen Ansteuerung sowie einer Verbesserung in der Versorgung an. Im April 2019 wurde das neue Gerät mit Augensteuerung ausgeliefert. Da Maxi inzwischen schriftsprachlich so gut war, erfolgte ein erneuter Wechsel auf eine rein tastaturbasierte Oberfläche mit pragmatischer Wortvorhersage. Dadurch verbesserten sich der Satzbau und die Morphologie nochmals erheblich. Einer glücklichen Fügung geschuldet, wurde parallel zur Versorgung mit der Augensteuerung im Fach Wirtschaft das Zehn-Finger-Schreiben eingeführt. Das nutzen wir in der Vertiefung der Ansteuerung. Maxis Mitschüler:innen lernten Finger-Buchstaben-Zuordnung, Maxi lernte Auge-Buchstabe-Zuordnung. Das brachte ihn enorm vorwärts. Da neben der Kommunikation nun auch immer mehr die Arbeit am PC gefordert war, folgte der nächste Schritt in der Arbeitsplatzausstattung: Ein Joystick und eine ‚PCEye‘ (mobile Augensteuerung für den Laptop). So konnte Maxi direkt am Computer mit der Augensteuerung arbeiten und neben ‚Excel‘, ‚PowerPoint‘, ‚Word‘ auch endlich selbstständig das Internet nutzen. Eine weitere Möglichkeit zur Selbstbestimmung tat sich auf – die Nutzung der Sprachsteuerungssoftware ‚Alexa‘. Maxi gibt ihr über die Sprachausgabe seines Talkers Befehle und ‚Alexa‘ agiert. So konnte er nun selbstständig das Radio ein- bzw. ausschalten und dabei das Programm bestimmen oder Recherchefragen stellen wie z. B. „Alexa, wann wurde das Licht erfunden?“

7. Kommunikationsbotschafter

Von Oktober 2020 bis Oktober 2021 absolvierte Maxi die Weiterbildung zum Kommunikationsbotschafter. Sie wurde von der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation e.V. veranstaltet. Die Weiterbildung hatte das Ziel, sich mit UK selbstbewusst zu präsentieren, sich zu vernetzen und unter Menschen zu sein. Maxi lernte in diesem Zeitraum, wie er selbstständig ein Projekt mit seinen UK-Hilfsmitteln durchführt. Er hat sich ein Skibob-Event ausgewählt und dazu die Organisation mit seinen UK-Geräten selbständig erledigt, ein Plakat und ein Anmeldeformular dazu gestaltet.

Seine Freundin Celina, die ebenfalls an der Veranstaltung teilnahm, hat ein Dart-Event organisiert. Ein anderer junger Mann hat mit seinem Talker tolle Fotos gemacht und eine Ausstellung organisiert.

In der Weiterbildung gab es viele Workshops zu den Themen, wie finde ich Mentoren, die mich unterstützen oder wie präsentiere ich mit UK interessanter. Hier war der Vortrag von Nele Diercks für Maxi sehr beeindruckend. Sie liest Kinderbücher mit ihrem Talker in Kindergärten vor. Dazu nutzt sie Bilder und Geräusche auf ihrem Talker. Das Vorlesen ist viel spannender durch ihre Technik, fast wie im Kino nur viel inklusiver.

Für Maxi war es auch sehr spannend, viele Menschen zu treffen, die ebenfalls UK nutzen. Einige Gruppenleiter:innen waren ebenfalls nicht mundsprechend und nutzten UK. Maxi war begeistert von der Weiterbildung und hofft auf die Fortsetzung solcher Projekte, die von UK-Nutzer:innen geleitet und vorbereitet werden.

In der Weiterbildung hat Maxi Natascha Toman kennen gelernt. Er sagt immer wieder, dass sie sein Vorbild ist, weil sie eine „normale“ Ausbildung mit dem Talker absolviert hat und trotz Handicap mitten im Leben steht und ein mega positiver Mensch ist – mit ihr kann man immer lachen. In der Weiterbildung ist eine richtige Freundschaft zu ihr entstanden und sie schreiben sich häufig über WhatsApp.

8. Qualifizierender Hauptschulabschluss und Mittlere Reife

Der qualifizierende Hauptschulabschluss erfolgte durch eine geteilte Prüfung. Im Schuljahr 2020/21 absolvierte Maxi Prüfungen in den Fächern Religion, GSE sowie die Projektprüfung im BOZ Fach Wirtschat mit AWT ab. Im Schuljahr 2021/2022 folgten Prüfungen in den Fächern Deutsch und Mathematik. Dabei wurden durch einen MSD-Besonderheiten bei der Prüfung begründet. Dazu gehörten u. a. besondere Arbeitsmittel wie ‚Tobii‘ inkl. Wortvorhersage, ‚PCEye‘, Laptop, Joystick, Großfeldtastatur, ‚WordQ‘, Kommunikationstafeln. Des Weiteren ein übersichtlich gestaltetes Arbeitsblatt mit großer Schrift, Absätzen, manche Bereiche Fett/Farbe/o. ä., „Lesefinger“ der Assistenzperson, Abdecken irrelevanter Bereiche. Beim Nachteilsausgleich erhielt Maxi 50 % mehr Zeit, einen gesonderten Raum, Aufteilung der Prüfung auf mehrere Tage und Pausen an den jeweiligen Prüfungstagen. Die Toleranz der Länge wurde auf 50 % erhöht, Klopfzeichen zur Markierung bei einzelnen Aufgaben waren zulässig. Schreibanforderungen wurden durch Multiple-Choice-Aufgaben, Zuordnungen und Lückentexte minimiert. Ebenso wurde die Schulassistenz für jegliche motorische Aufgaben zugelassen. Diese konnte von Maxi via diktieren, zeigen oder klopfen dirigiert werden. Im Fach Mathematik wurden keine Aufgaben mit Messen, Zeichnen, Konstruieren und Schätzen gestellt.

Maxi bewältigte die Prüfungen des qualifizierenden Hauptschulabschlusses mit Bravour und erzielte die Note eins. Diesem folgen nun die Prüfungen zur Mittleren Reife. Auch diese werden wieder verteilt auf zwei Jahre. Ebenso erfolgen hier die oben beschriebenen Besonderheiten in der Prüfungssituation.

9. Zukunftsvisionen

Knapp 4 Jahre sind seit der letzten Versorgung vergangen. Die Technologie hat sich weiter verbessert. Maxis aktuelles Gerät zeigt erneut erste Ausfallerscheinungen. Die Software hängt sich auf und erfordert einen Neustart. Zudem benötigt das Gerät beim Benutzerwechsel zwischen Deutsch und Englisch sehr lange. Das bremst ihn im Unterricht und in der Kommunikation aus. Ein zusätzliches Problem ist, dass Maximilian im Freien häufig nicht auf die Augensteuerung zurückgreifen kann, da das Gerät seine Augen nicht erkennt. Hinzu kommt, dass in Situationen, in denen eine Sprachausgabe nicht möglich ist bzw. diese in den Nebengeräuschen untergeht, eine Kommunikation für Maximilian nicht möglich ist.

Also wurde erneut erprobt. Im Vergleich wurden sowohl der ‚I-13‘ also auch der ‚I-16‘ von ‚TobiiDynavox‘ mit der integrierten Augensteuerung (einer neuen Generation) über eine Woche erprobt. Der ‚I-16‘ zeigte in der Erprobung keine Vorteile gegenüber dem ‚I-13‘. Im Verlauf zeigten sich deutliche Vorteile zur jetzigen Versorgung mit dem ‚I-12+‘. Diese sind im Detail

Partnerfenster: Das Gerät verfügt über ein Partnerfenster auf der vom Nutzenden abgewandten Seite. So können Kommunikationspartner:innen die Eingaben, die Maxi tätigt, mitverfolgen und auch in einer lauten Umgebung so seine Aussagen verstehen. Zudem gibt es immer wieder Situationen, in denen eine Sprachausgabe nicht erwünscht ist (z. B. Unterricht) – Maxi sich aber dennoch mit seinen Assistent:innen austauschen muss.

Augensteuerung funktioniert auch draußen: Dank der neuen Technologie hat sich die Erkennung der Augen erheblich verbessert. So kann er mit dem ‚I-13‘ nun auch draußen bei Sonnenlicht kommunizieren.

Schnellerer Benutzer:innenwechsel in Fremdsprachen: Ein Wechsel der Benutzer:innen erfolgt in Sekunden.

Eine erneute Umversorgung wurde beantragt.

Nach der Mittleren Reife strebt Maxi eine Ausbildung an. Dafür laufen schon die Vorbereitungen. Maxi kann vor Ort keine Werkstatt für Behinderte besuchen, da es nur eine für Menschen mit geistiger Behinderung gibt. Daher hat er ein Praktikum in einer Institution in München absolviert, welches ihm sehr gut gefallen hat, dennoch hat er sich zunächst für den integrativen Weg entschieden. Er wird nach dem Abschluss zur Mittleren Reife eine Ausbildung zum Bürokaufmann im elterlichen Betrieb machen. Dazu wird er eine Assistenz beantragen, die ihn in der Arbeit und in der Berufsschule unterstützt. Nebenbei will er weiterhin viel im UK-Bereich tätig sein, Vorträge halten und die UK insgesamt bekannter machen und somit Barrieren abbauen.

10. Resümee

Maxi und seine Familie geben als bedeutendste Aspekte zur Verbesserung seiner Teilhabe drei Säulen an: Die konduktive Förderung, das Kommunikationsgerät und die inklusive Beschulung.

Maxis Beispiel zeigt auf, dass UK nicht statisch, sondern dynamisch ist. Es bedarf der stetigen Re-Evaluation und der Anpassung an sich verändernde Lebensumstände, Fähigkeiten und Herausforderungen. Dies erfordert eine Sensibilität, Wissen, ein Weiterdenken, aber auch ein Zutrauen in die unterstützt kommunizierende Person aller am Prozess Beteiligter. Nur so kann die unterstützt kommunizierende Person wachsen und sich entfalten.

Tipp

Maxi gibt es auch in Farbe und in Bewegung:

Video „Wie mein Mund“:

https://www.youtube.com/watch?v=YxiWtfgLphA

Video „UK Biografisch Maxi Kaffl“:

https://www.youtube.com/watch?v=MJKJKzDC1x8

Video „REHAVISTA Care 2021 - Maxi Kaffl und Wiebke Braach im Interview“:

https://www.youtube.com/watch?v=Vu46oIa9J7M

Literatur

Heinen, F., Schröder, S.a., Michaelis, U.S., Stein, S., Berweck, S., Mall, V. (2014). GMFCS Klassifikation und Therapiekurven für Kinder mit Cerebralparesen Version 3_2014. Verfügbar unter: https://www.klinikum.uni-muenchen.de/mashup/​blaetterkatalog_ispz_gmfcs/​blaetterkatalog/pdf/complete.pdf [27.06.2023]

NICHTTECHNISCHE HILFEN ALS BAUSTEIN IN DER UNTERSTÜTZTEN KOMMUNIKATION FÜR UND MIT MENSCHEN MIT ALS

Birgit Hennig

1. Einleitung und Problemstellung

Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine neuromuskuläre Erkrankung mit fortschreitendem Verlauf. Die Symptomatik beginnt durchschnittlich zwischen 56–65 Jahren, in manchen Fällen auch vor der Lebensmitte oder – sehr selten – im frühen Erwachsenenalter. Die Überlebensdauer nach der Diagnose ist nicht nur abhängig vom individuellen Verlauf der Erkrankung, sondern auch von individuellen Entscheidungen zu lebenserhaltenden Technologien. Prognostisch sind u. a. eine Ateminsuffizienz und eine Schluckstörung zu erwarten, die ohne invasive Maßnahmen wie Tracheotomie, künstliche Ernährung oder Beatmung im Zeitraum von ca. drei bis fünf Jahren zum Tod führen (Ball et al. 2007; Shaw et al. 2018, Groß im Druck). Demgegenüber stehen Menschen mit ALS, die sich für lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden und in sowohl chronisch-kritischer Lebenssituation als auch in subjektiv guter Einschätzung ihrer Lebensqualität u. U. Jahrzehnte länger überleben (Groß im Druck; Hornemann et al. im Druck).

Die Koordination von Sprechen, Atmung und Kraft zur Intonation verschlechtert sich im Verlauf einer ALS. Die Artikulation wird zunehmend erschwert, was sich symptomatisch zum Beispiel in einem verlangsamten Sprechtempo und in einer undeutlichen Aussprache zeigt. Die Stimme wird evtl. leiser und das Sprechen ist mit mehr Anstrengung verbunden (Lindner et al. 2018; Scott & McPhee 2018). Im Verlauf mit lebensverlängernden und lebensqualitätserhaltenden Maßnahmen schränken nichtinvasive Formen der Beatmung (z. B. über Maske) die Verständlichkeit der Lautsprache ein oder Sprechen ist bei invasiven Formen der Beatmung – wenn überhaupt noch – zeitlich nur begrenzt möglich. 95 % der betroffenen Menschen mit ALS sind in ihrem Krankheitsverlauf früher oder später auf Mittel und Strategien der Unterstützten Kommunikation (UK) angewiesen, um die Einschränkungen des Sprechens zu kompensieren und/oder die fehlende Lautsprache zu ersetzen (Beukelman et al. 2011).

In der UK unterscheidet man bei der Hilfsmittel gestützten Kommunikation zwischen nichttechnischen Hilfen (no-tech, im deutschen Gebrauch auch nichtelektronische Hilfen genannt), einfachen technischen Hilfen (low-tech) und komplexen technischen Hilfen (high-tech, im deutschen Gebrauch auch komplexe elektronische Hilfen genannt) (Erdélyi & Hennig 2023, 304).

Für viele Menschen mit ALS ist mittelfristig oder langfristig eine Kommunikationshilfe mit Augensteuerung ein wichtiges Hilfsmittel zum Erhalt von kommunikativer, sozialer und beruflicher Teilhabe. Diese komplexen Hilfen werden in Deutschland i.d.R. von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Der Wissensstand zur Bedeutung von komplexen Hilfen beim Krankheitsbild der ALS sowie die Wahrscheinlichkeit einer Kostenübernahme durch die Kassen nach begründeter Antragstellung ist nach den Erfahrungen aus der Beratungspraxis der Autorin hoch. Hightech-Hilfen für Menschen mit ALS sind ohne Zweifel sehr wichtig. Sie sind als alleiniges Hilfsmittel, ohne Berücksichtigung des Prinzips von Multimodalität, jedoch auch verbunden mit Nachteilen und Einschränkungen: Jede Art von Technik ist störanfällig, abhängig von Strom und Akkuleistung sowie – im Falle einer Augensteuerung – abhängig von Raum-, Wetter- und Lichtverhältnissen (Erdélyi & Hennig, 2023). Einschränkungen der Nutzung komplexer elektronischer Hilfen mit Augensteuerung ergeben sich ggf. auch aus Gründen einer eingeschränkten Handlichkeit außerhalb der häuslichen Umgebung (z. B. umständliche Mitnahme eines Bettständers zur Positionierung bei Ambulanzterminen oder zu Untersuchungen im Krankenhaus). Im Spätstadium kommt es des Weiteren auch vor, dass sich die Augenmotilität als Voraussetzung für die Blickansteuerung verschlechtert.

Nichttechnische Hilfen sind im Bedarf schnell verfügbar, haben eine im Vergleich zur Technik geringe Störanfälligkeit und sind überall verfügbar und einsetzbar. Ein weiterer Vorteil ist die Unabhängigkeit von Beratungsfirmen und Krankenkassen durch eine einfache Herstellung mit geringen Kosten. Erfahrungen im ambulanten und stationären Bereich der Beratungspraxis zeigen im Vergleich zur Versorgung mit Hightech-Hilfen aber, dass der Einbezug nichttechnischer Hilfen und Strategien sehr viel weniger bekannt ist und häufig unterschätzt wird.

Menschen mit ALS und ihre Bezugspersonen benötigen Hilfen und Tipps zu Erstellung nichttechnischer Hilfen, so dass diese Hilfen individuell auf die Nutzer:innen zugeschnitten und in der Alltagsanwendung effektiv sind. Des Weiteren benötigen Menschen mit ALS und ihr Umfeld eine Anleitung und Übung in partnerbasierten Strategien der Kommunikation, da im fortgeschrittenen Verlauf der Erkrankung Buchstabentafeln und themenbasierte Kommunikationstafeln oder -bücher fast immer mit der Methode des Partner- oder Blick-Scannings zum Einsatz kommen.

2. Voraussetzungen zur Nutzung von Kommunikationshilfen bei ALS