4,99 €
Nicht jeder sieht gern dabei zu, wie ein Baby zur Welt kommt, doch Autumn kann sich nichts Schöneres vorstellen, als Geburtshelferin zu sein. Nun steht sie kurz davor, sich diesen Traum zu verwirklichen. Nichts würde ihr in die Quere kommen, auch nicht Dr Thorne Mayson. Dieser viel zu gutaussehende Mann ist nicht nur Experte auf seinem Fachgebiet, sondern auch völlig von sich überzeugt und überhaupt nicht das, was Autumn von ihrem Vorgesetzten erwartet hat. Vor allem aber scheint er die Macht zu besitzen, ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen, und das in vielerlei Hinsicht. Thorne Mayson hat bereits erlebt, wie seine Cousins einer nach dem anderen der Liebe zum Opfer fielen. Den Boom nennt es seine Familie – ein Mythos, dem er bisher keinen Glauben geschenkt hat. Zu sehr war sein Fokus auf seine Berufung gerichtet. Als gefragtester Entbindungsarzt in Nashville hat er in den letzten Jahren alles erreicht, was ihm je wichtig war. Nie hätte er gedacht, dass ihm zu seinem Glück noch etwas fehlt. Oder vielmehr jemand: Autumn.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 318
Sheridan Anne
© Die Originalausgabe wurde 2021 unter dem
Titel UNTIL AUTUMN von Sheridan Anne in Zusammenarbeit mit Boom Factory Publishing LLC veröffentlicht.
© 2022 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH
8700 Leoben, Austria
Aus dem Amerikanischen von Jennifer Kager
Covergestaltung: © Sturmmöwen
Titelabbildung: © LightField Studios (shutterstock)
Redaktion & Korrektorat: Romance Edition
ISBN-Taschenbuch: 978-3-903413-10-8
ISBN-EPUB:978-3-903413-11-5
www.romance-edition.com
Autumn
Was zum Teufel ist hier los?
Verblüfft trete ich durch die Türen der Notaufnahme hinein in das renommierteste Krankenhaus von ganz Nashville. Es ist überhaupt nicht das, was ich erwartet habe. Als ich hierher versetzt wurde, hatte ich das Bild einer wunderschönen Klinik und perfekter Abläufe vor Augen. Es sollten Ordnung und Struktur vorherrschen. Hier wollte ich die beste Zeit meines Lebens verbringen. Das alles ist jedoch weit davon entfernt.
Vor mir entfaltet sich eine Szene des reinen Chaos, wie aus einem schrecklichen Horrorfilm. Die Rufe der Krankenschwestern werden von dem Wehklagen einer hochschwangeren Frau begleitet. Der Raum ist überfüllt mit Menschen, die aus Platzmangel auf dem dreckigen Boden hocken. So etwas habe ich noch nie gesehen. Obwohl es in dieser Notaufnahme mehr Sitzgelegenheiten als in jedem anderen mir bekannten Krankenhaus gibt, ist die Menge an Patienten unüberschaubar.
Ich hätte es ahnen müssen. Spätestens, als ich fast von der Straße abgekommen wäre, weil ich all den überfahrenen Tieren ausweichen wollte. Oder als ich vom Personalparkplatz durch Regen und Sturm laufen musste, weil es keinen überdachten Zugang gibt. Seitdem kleben mein Kittelshirt und die weite Hose unangenehm auf meiner Haut. Spätestens da hätte mir klar sein sollen, dass noch einige unangenehme Überraschungen auf mich warten würden. Es ist nie so einfach, wie man es sich erhofft. Irgendwo lauert immer eine Unannehmlichkeit, um dir den Tag zu versauen.
Dieses Krankenhaus hat den besten Ruf im ganzen Bundesstaat, und ich bin so dankbar, hier unter einigen der großartigsten Ärzte des Landes arbeiten zu dürfen. Wahrscheinlich geht es normalerweise geordneter zu. Wenn all diese Leute in Scharen herbeiströmen, muss irgendetwas passiert sein. Was auch immer es sein mag, ich bin froh, hierfür nicht die Verantwortung zu tragen. Ich empfinde den höchsten Respekt gegenüber allen Krankenschwestern, Pflegern und Ärzten, die in der Notaufnahme ihren Dienst verrichten. Ihre Arbeit ist hart, aber jeden Einsatz wert.
Die automatischen Türen schließen sich hinter mir und schirmen mich vor dem draußen tobenden Sturm ab. Gefangen in dem Chaos erscheint mir alles noch lauter als zuvor. Ich blende den Lärm aus und konzentriere mich auf die schwangere Frau, die aussieht, als würde sie gleich ihren Mann erwürgen. Sie wartet in einer langen Schlange, und es ist klar, dass sie noch nicht untersucht wurde. Ihre schmerzverzerrte Mimik und der sorgenvolle Ausdruck im Gesicht ihres Mannes lassen darauf schließen, dass ihr heutiger Besuch nichts mit einer Routineuntersuchung zu tun hat.
Ich setze mich in Bewegung.
Heute ist der erste Tag meiner Fachausbildung zur Hebamme. In den letzten fünf Jahren war ich als Krankenschwester tätig, um die nötige Berufserfahrung zu sammeln, und habe zugleich meinen Bachelor gemacht. Alles, was ich in meinem bisherigen Leben getan habe, diente allein dem Zweck, an diesen Punkt zu gelangen. Sobald ich noch einmal drei Jahre in der Fachausbildung hinter mich gebracht habe, werde ich eine voll qualifizierte Hebamme sein, und all die bisherigen Strapazen haben sich gelohnt.
Ich schlängle mich durch die Menschenmasse und ignoriere das Geschrei einer verärgerten Dame, die darauf wartet, aufgerufen zu werden. Wahrscheinlich sollte ich mich zuerst bei meinem Vorgesetzten zum Dienst melden und mich vorstellen, aber die aktuelle Situation in der Notaufnahme und der Stress, der dem anwesenden Personal ins Gesicht geschrieben steht, machen klar, dass jede helfende Hand dringend benötigt wird. Egal, ob ich der Belegschaft vorgestellt wurde oder nicht.
Ich erreiche die schwangere Frau und lege ihr sanft die Hand auf die Schulter, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. »Entschuldigen Sie, Ma’am, hat man Sie schon untersucht? Haben Sie Wehen?«
»Oh Gott sei Dank«, stöhnt sie leise. »Wir sind gerade erst reingekommen und ... Ahhhh. Heiliger Bimbam, Asher!« Ihre Stimme klingt mit jedem Wort verzerrter, bis ihre Wehe nachlässt. »Warum hast du mir das angetan?«
Schuldbewusst zuckt ihr Mann zusammen und legt den Arm um ihre Taille. Er versucht, sie so gut wie möglich zu stützen und ihr beizustehen. Es tut mir weh zu wissen, dass er sich wahrscheinlich wünscht, er könnte ihr die Schmerzen abnehmen. Mein Blick bleibt kurz an seinem Gesicht hängen, und ich bin perplex, wie attraktiv er ist. Existieren Kerle wie er wirklich, und wenn ja, warum nicht in meiner Welt? Ungläubig starre ich ihn an, dann besinne ich mich auf seine Frau, die gerade die schlimmsten Schmerzen ihres Lebens durchmacht. Ich widerstehe dem Drang, sie für ihre Tapferkeit zu loben, weil sie die Wehen sehr gut wegatmet. Sie ist bildschön. Zusammen ergeben die beiden das perfekte Paar. Keine Ahnung, wo sie ihren Mann Asher gefunden hat, aber sie sollte ihn nicht mehr loslassen, und er sie genauso wenig.
Ich verdränge die Gedanken an das Pärchen. Dafür ist jetzt definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Bestimmt wird mich meine beste Freundin KC heute Abend anrufen und nachfragen, wie mein erster Tag war. Auf keinen Fall möchte ich ihr erklären müssen, dass ich zu sehr damit beschäftigt war, mich darüber zu wundern, wie zwei so perfekte Menschen zueinandergefunden haben, anstatt mich um meine Patientinnen zu kümmern.
Dieser Moment könnte für alles Weitere entscheidend sein. Ich muss einen guten Eindruck hinterlassen. Einen bemerkenswert guten. Es gibt viele Krankenschwestern in dieser Klinik. Wenn jedoch ein Arzt Unterstützung braucht, möchte ich, dass ihm mein Name zuerst in den Sinn kommt.
Ich will gerade mit einem Vitalcheck beginnen, als sich Asher aufrichtet und mit zusammengezogenen Brauen durch den Raum blickt. »Was ist hier überhaupt los? Meine Frau hat Schmerzen. Wir warten seit zwanzig Minuten, und niemand hat sich auch nur die Mühe gemacht ...«
Seine Frau stößt ihm den Ellenbogen in die Rippen und unterbricht seine Bemerkung. »Lass gut sein«, sagt sie mit dünner Stimme, während eine weitere Wehe ihr das Reden erschwert. »Siehst du nicht, dass sie eben erst zur Tür rein ist? Ihre Schicht hat wahrscheinlich noch nicht einmal begonnen. Sie ist klatschnass und hat ihre Handtasche noch dabei. Gönn der Frau eine kurze Pause. Es ist nicht ihre Schuld, dass hier die Hölle los ist.«
Neugierig schaut Asher mich an, als hätte er nichts von dem bemerkt, worauf sie ihn hingewiesen hat. Er öffnet den Mund, vermutlich um sich zu entschuldigen, aber ich zucke nur mit den Schultern und fahre unbeirrt in meiner Arbeit fort. Im Moment hat seine Frau die oberste Priorität. »In welchem Abstand kommen Ihre Wehen?«, frage ich.
»Ich weiß nicht«, erwidert sie, bevor sie erneut die Zähne zusammenpresst und sich an ihren Mann klammert, um die Schmerzen zu lindern. »Vielleicht alle zwei oder drei Minuten. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen.«
Meine jahrelange Erfahrung hilft mir, einen kühlen Kopf zu bewahren. Auch wenn diese Sache ernster ist, als ich anfangs gedacht habe. »In Ordnung«, erwidere ich, lege meine Hand auf ihren unteren Rücken und drehe sie in Richtung Aufzug. »Wir bringen Sie auf die Entbindungsstation. Dort wird man sich sofort um Sie kümmern.«
Nervös blickt sie zur Rezeption, während ihr Mann tief ausatmet. Er scheint über diese Entwicklung erleichtert zu sein. »Muss ich mich nicht anmelden oder etwas unterschreiben?«
Ich winke ab, während ich sie zum Aufzug führe. »Machen Sie sich keine Sorgen. Wir können das alles oben erledigen«, erkläre ich und hoffe, dass es in Nashville wie in anderen Krankenhäusern abläuft. Auf jeden Fall ist es besser, in einem Kreißsaal zu entbinden, als mitten in der übervölkerten Notaufnahme.
»Ist das Ihr erstes Kind?«, erkundige ich mich, als wir den Aufzug erreichen. Asher drückt den Rufknopf, bevor er hinter seine Frau tritt, um ihren unteren Rücken zu massieren, so wie man es ihm vermutlich im Geburtsvorbereitungskurs gezeigt hat.
»Viertes«, brummt sie, greift nach seiner Hand und drückt sie so fest, dass ihre Knöchel weiß werden. »Ich habe bereits drei Mädchen und das wird unser viertes.«
»Vier Mädchen? Wow«, erwidere ich überrascht und lächle sie an. »Dann sind Sie bereits ein Profi.«
Asher stößt einen halb amüsierten, halb verzweifelten Laut aus, während seine Frau die Augen verdreht. »Das würde ich nicht sagen. Die erste Geburt war eine Katastrophe, die zweite ebenso wenig glamourös, und die dritte ... darüber reden wir besser nicht. Hoffen wir einfach, dass es dieses Mal ein bisschen glatter läuft.«
»Da bin ich sicher«, gebe ich zurück, als die Lifttüren aufgleiten.
Asher hält die Tür offen, während ich seiner Frau in die Kabine helfe. Staunend betrachte ich die vielen Knöpfe. Auf welcher Ebene befindet sich die Entbindungsstation? Bevor ich mir über die vielen Möglichkeiten Gedanken machen kann, wählt Asher den Knopf für die Ebene vier.
Ich höre, wie seine Frau beginnt, langsam und tief zu atmen, und schaue zu ihr hinüber. Sie hat ihre Beine leicht geöffnet, ihren Rücken gebeugt und einen konzentrierten Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Wie geht es Ihnen?«, frage ich sanft, während sich der Aufzug in Bewegung setzt.
Ihr Atem geht schwer, und auf ihrer Stirn bilden sich Schweißperlen. »Nicht gut«, antwortet sie und wirkt zunehmend panischer. »Ich habe das Gefühl, ich muss pressen.«
Oh, verdammt.
»Es wird alles gut«, spricht Asher beruhigend zu ihr, während sein nervöser Blick zu mir wandert. »Nur noch ein paar Minuten, dann legen wir dich auf ein Bett, und du kannst nach Herzenslust pressen und schreien.«
Sie funkelt ihn an, was ihm ein Grinsen entlockt. »Warte nur ab, Asher Mayson. Sobald wir in den Kreißsaal kommen, wirst du dir wünschen, du hättest diesen Kommentar und all die anderen vorhin für dich behalten.«
Ich unterdrücke ein Lächeln, um professionell zu bleiben, obwohl Paare wie diese beiden selten und auch gern gesehen sind. Sie kämpft mit den Tränen, als sie von einer weiteren Wehe überrollt wird. Asher beugt sich zu seiner Frau und drückt ihr tröstend einen Kuss auf die Stirn. »Was willst du dagegen tun?«, neckt er sie, und seine Mundwinkel wandern nach oben.
Sie verdreht die Augen. »Ich werde July sagen, dass du während der Geburt ihrer neuen Schwester gemein zu ihrer Mom warst, und dann wird die Hölle über dich hereinbrechen.«
»Das würdest du nicht«, entgegnet er in einem herausfordernden Ton. Im selben Moment kommt der Aufzug ruckartig zum Stehen und es wird dunkel. Mit ausgestreckten Armen fange ich mich ab, um nicht mit voller Wucht gegen die Wand zu prallen.
Die Frau schnappt hörbar nach Luft. »Was zum Teufel ist los?«, fragt sie und klingt panisch.
Ein Telefondisplay taucht das Liftinnere in ein diffuses Licht, bevor ein stärkeres den Raum heller ausleuchtet. Asher hat die Taschenlampenfunktion seines Handys aktiviert. Er richtet den Lichtstrahl auf das Tastenfeld des Fahrstuhls und betätigt dreimal den Notrufknopf. Eine Antwort bleibt aus. »Wahrscheinlich ein Stromausfall wegen des Sturms«, erklärt er. »Die Notstromaggregate sollten bald anspringen.«
Während mich seine Worte beruhigen, verfehlen sie ihre Wirkung bei seiner Frau. Im Schein der Taschenlampe sehe ich, wie sie sich an der Wand abstützt. »Mach etwas!«, verlangt sie von ihm. »Ich werde dieses Baby nicht in einem beschissenen Aufzug zur Welt bringen.«
»Das wirst du nicht«, verspricht er. Sie schreit vor Schmerzen auf.
Ich trete näher an sie heran, während sie mit Tränen in den Augen zu Asher aufblickt. »Ich kann nicht mehr. Es tut zu weh. Ich muss pressen.«
»Sie machen das großartig«, lobe ich sie, nehme ihre Hand und stütze sie. »Dies ist eines der besten Krankenhäuser im ganzen Bundesstaat. Der Generator wird jeden Moment anspringen und wir werden in kürzester Zeit auf der Entbindungsstation sein.«
Ein leises Stöhnen kommt über ihre Lippen, diese Wehe scheint wesentlich länger anzuhalten. Sie schüttelt den Kopf. »Ich kann nicht ... Ich ... Es tut so weh.«
»Sie haben das schon dreimal gemacht«, erinnere ich sie. »Sie sind Superwoman. Sie können das.«
Während sie sich gegen die Wand lehnt, geht Asher frustriert auf und ab. Die Sekunden verstreichen, doch der Strom bleibt aus. Ich werde zunehmend nervöser. Zwar habe ich im Zuge meiner Krankenschwesternausbildung bereits bei Geburten zugesehen, nur noch nie eine ganz allein begleitet. Ich fürchte, dass ich meine erste Entbindung auf dem Boden eines spärlich ausgeleuchteten Aufzugs meistern muss.
Natürlich weiß ich theoretisch, wie die einzelnen Schritte ablaufen. Nur zusehen und die Theorie zu kennen ist nicht dasselbe, als selbst die Verantwortung für Mutter und Kind zu übernehmen. Die Seiten jedes einzelnen Lehrbuchs, das ich je gelesen habe, fliegen vor meinem inneren Auge vorbei, bis die Frau ihre Hand in ihre weite Jogginghose schiebt und Panik ihre Miene überschattet.
Alarmiert begegnet sie dem Blick ihres Mannes. »Sie kommt«, haucht sie. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich in schnellen Bewegungen. »Ich kann ihren Kopf spüren.«
Oh nein, nein, nein. Das ist nicht gut. So sollte dieser Tag nicht ablaufen. Dafür bin ich nicht bereit. Was, wenn ich es versaue? Wenn ich etwas falsch mache? Ich wollte mich auf diesen Moment vorbereiten und mein erstes Baby unter der Anleitung von einem der besten Ärzte zur Welt bringen. Doch dieses Kind hat offensichtlich andere Pläne.
Ich betrachte die fest verschlossenen Lifttüren.
»Fuck«, flucht Asher und zieht wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Er stellt sich an die Seite seiner Frau. »Bist du sicher?«
»Sicher?!«, ruft sie fast kreischend. »Ja, ich bin sicher. Das Baby kommt – jetzt!«
Verdammter ... Mist. Was soll ich nur tun?
Sowohl Asher als auch seine Frau sehen mich erwartungsvoll an, und ich schlucke meine Ängste hinunter und atme langsam aus. Dieses Baby wird kommen, egal ob ich mich dafür bereit fühle oder nicht.
Reiß dich zusammen, Autumn. Du schaffst das.
»Okay, ähm ...« Ich schaue zu Asher auf. »Ziehen Sie Ihr Hemd aus und legen Sie es auf den Boden, dann helfen Sie und ich Ihrer Frau, sich in eine bessere Position zu bringen. Wir müssen Ihre Tochter zusammen auf die Welt holen.«
Asher zögert nicht. Er folgt meiner Anweisung, breitet das Hemd aus und nimmt seine Frau in den Arm. Ohne meine Unterstützung zu benötigen, sinkt er auf ein Knie und bringt sie in die richtige Position. Dicht hinter ihr lässt er sich selbst nieder und lehnt ihren Rücken aufrecht gegen seinen Oberkörper, ehe er zu mir sieht, um auf meine nächste Anweisung zu warten.
Herrje.
Als ich nach dem Bund ihrer Jogginghose greife, begegne ich ihrem panischen Blick. »Ich werde sie Ihnen ausziehen«, warne ich sie vor und warte auf ihr Einverständnis.
Sie nickt, und ich beginne, die Hose an ihren Beinen hinunterzuziehen, um einen Blick auf den Kopf ihres Babys zu erhaschen. »Ich bin November«, sagt sie keuchend und sieht mir in die Augen. »Ich dachte, wenn wir uns schon so nahekommen, sollten wir uns bekannt machen.«
Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Es vergeht mir, als Asher sein Handy so ausrichtet, dass der Lichtschein zwischen ihre Beine fällt. Sie hat recht. Das Baby kommt, und zwar jetzt.
Ich blicke auf und schenke November ein warmes Lächeln, bevor ich meine Handtasche in Ashers Richtung werfe. »Ich sehe schon, eine Frau, die wie ich denkt. Ausgezeichnet. Aber fürs Protokoll: Vielleicht sollten wir uns das nächste Mal erst auf einen Kaffee treffen, bevor wir einander auf diese Weise kennenlernen.« Sie lacht, und das scheint sie ein wenig zu entspannen. Also wende ich mich an Asher und deute auf meine Tasche neben ihm. »Kannst du mir mein Handy raussuchen? Wir werden so viel Licht wie möglich brauchen.«
Er beginnt zu suchen, und ich konzentriere mich erneut auf November. Je klarer mir die Situation wird, desto mehr scheinen meine Nerven zu flattern.
»Warum wirkst du so nervös?«, fragt November.
Ich begegne ihrem Blick und schlucke den Kloß in meinem Hals hinunter. »Ich werde ehrlich zu dir sein«, sage ich und ignoriere, wie feucht sich meine Handflächen anfühlen. »Heute ist mein erster Tag in der Hebammenausbildung und in diesem Krankenhaus. Ich habe so etwas noch nie allein getan, aber ich verspreche dir, dass ich dich nicht enttäuschen werde.«
Sie reißt die Augen auf und schaut zu ihrem Mann, ehe sie wieder mich ansieht. »Du hast das noch nie allein getan?«
»Nein.«
Asher reicht mir mein Handy. Ich öffne sofort meine Taschenlampen-App und lehne das Telefon an die Wand, um das Licht direkt auf Novembers Schoß zu richten. »Du hattest doch eine Art Training, oder?«, hakt Asher mit besorgter Stimme nach. »Du hast die Lehrbücher gelesen und die Schulungsvideos zu all dem geguckt?«
Ich nicke und beiße mir auf die Unterlippe, während ich November helfe, ihre Beine in die richtige Position zu bringen. »Vielleicht solltest du Thorne anrufen«, schlägt November ihrem Mann vor. »Ich weiß nicht. Womöglich kann er sie ein wenig anleiten?«
»Thorne?«, werfe ich überrascht ein. »Wie Dr Thorne Mayson?«
»Ja«, stöhnt November. »Er ist Ashers Cousin und sollte das Baby nächsten Donnerstag zur Welt bringen, aber anscheinend wird das nicht passieren.«
»Oh, okay. Ähm ... ja. Das ist keine schlechte Idee.«
Asher tippt sofort auf seinem Display herum und stellt den Anruf auf Lautsprecher, sodass das Freizeichen durch die Liftkabine hallt. Ich versuche, mich zu beruhigen. Dr Thorne Mayson ist der angesehenste Geburtshelfer weit und breit und so brillant wie knallhart. Patientinnen aus dem ganzen Land kommen extra zu ihm – und ich werde gleich von ihm durch eine Entbindung in einem Aufzug geleitet. Das ist nicht nur das Beängstigendste, was ich je erlebt habe, sondern auch ein wahr gewordener Traum.
Er ist eine Koryphäe, wenn es um Geburten geht. Er dominiert sogar jede Operation mit seinem Fachwissen, und seine Arbeit ist hervorragend. Als ich zum ersten Mal von ihm gehört habe, war ich keineswegs überrascht, dass er auf die meisten wie ein arroganter Mistkerl wirkt – er ist sowohl in seiner Art als auch in seinem Tun unverblümt und direkt. Wenn man diesen Status erreicht hat, spielt die Wirkung auf andere keine Rolle mehr. Ein Typ wie er könnte mit Mord davonkommen. Er steht bereits an der Spitze, und mit seinen Fähigkeiten wird er dort auch bleiben.
Der Anruf wird genau in dem Moment beantwortet, als November die Hand ihres Mannes fester umklammert und mir mitteilt, dass eine neue Wehe im Anmarsch ist. »Asher«, ertönt Dr Maysons Stimme träge durch den Telefonlautsprecher. »Was ist denn los? Seid ihr noch in der Notaufnahme? Das Krankenhaus hat Probleme mit dem Notstromaggregat. Es könnte ein paar Minuten dauern, bis wir wieder Strom haben.«
»Wir haben keine paar Minuten mehr«, entgegnet Asher, als November ein tiefes, leises Knurren ausstößt. Ich wusste nicht, dass eine Frau so klingen kann. »Wir sind mit einer deiner Auszubildenden im Aufzug gefangen und November muss pressen.«
»Fuck«, stößt er aus. »Stell mich auf Lautsprecher.«
»Schon geschehen.«
»Okay, mit wem spreche ich?«, fragt er und wechselt, professionell wie er ist, sofort in den Arztmodus.
»Mein Name ist Autumn Mathers, Sir«, sage ich zaghaft und kann meine Angst nicht verbergen. »Heute ist mein erster Tag.«
Es folgt ein leiser Fluch, den ich kaum verstehen kann, bevor er tief einatmet. »Natürlich, Autumn. Willkommen in Nashville. Es ist mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu arbeiten. Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Das Baby, das Sie zur Welt bringen werden, ist Teil meiner Familie, mein Blut, und das bedeutet, dass heute der wichtigste Tag Ihrer Karriere ist. Bei Geburten gibt es keinen Raum für Fehler. Haben Sie das verstanden?«
Ich schlucke die Galle hinunter, die mir in der Kehle aufzusteigen droht. Na toll. Ich probiere meine Fähigkeiten an der Familie von Dr Thorne Mayson aus. Wenn ich das vermassle oder auch nur einen winzigen Fehler mache, bin ich erledigt. Selbst wenn er nur ein schlechtes Gefühl von meinen Fähigkeiten hat, könnte es in diesem Job mein Ende sein. Wer will schon mit einer Frau arbeiten, die auf Dr Maysons Abschussliste steht?
Ich atme tief durch und hoffe bei allem, was mir heilig ist, dass ich es nicht versauen werde. »Ja, Sir. Verstanden.«
»Gut. Befindet sich November schon in einer waagrechten Position?«
»Ja.«
»Wie weit liegen ihre Wehen auseinander?«
Ich widerstehe einem Seufzen. »Zweieinhalb Minuten.«
»Wie weit ist der Muttermund geöffnet?«
»Vollständig«, entgegne ich, frustriert von seinen Fragen. Da ich das Baby bereits sehen kann, weiß ich, dass es nicht mehr lange dauert. Natürlich verstehe ich, dass er auf Nummer sicher gehen möchte, aber das Kind will jetzt kommen. »Der Kopf des Babys ist da, und wenn wir noch länger warten, wird es sich selbst gebären. Die Stirn ist gleich zu sehen«, erkläre ich, als November zu stöhnen beginnt und die Lider zusammenkneift. »Ich will nicht unsensibel oder unhöflich sein, und ich hoffe, dass das keinen schlechten Eindruck bei Ihnen hinterlässt, aber zum Teufel mit all Ihren verdammten Fragen. Die Wehe ist da und sie muss pressen. Jetzt.«
Ashers Augen weiten sich bei dem Ton, den ich gegenüber seinem Cousin anschlage. Darüber kann ich mir später Gedanken machen. »Verdammt. Also gut. November, kannst du mich hören?«
»Ja!«
»Gut. Beine hoch. Du atmest jetzt tief ein, dann presst du. Asher, zähle langsam bis zehn.«
Ohne etwas darauf zu erwidern oder nachzuhaken, tun sie, was man von ihnen verlangt und zeigen deutlich, dass sie darin viel erfahrener sind als ich. Während Asher Novembers Beine anhebt, rutsche ich näher, um das Baby aufzufangen.
Ihr Gesicht läuft vor Anstrengung rot an, während die sanften, rhythmischen Klänge von Ashers Worten den Aufzug erfüllen.
»Sechs, sieben, acht, neun, zehn.«
»Gut, tief einatmen«, sagt Dr Mayson. »Und noch einmal pressen, bis die Wehe nachlässt.«
November tut genau das, und als der Kopf langsam nach außen dringt, stößt sie einen spitzen Schrei aus. »Heilige Scheiße! Meine Pussy brennt!«
Asher beruhigt sie sofort. »Du machst das toll, Baby. Einfach großartig.«
»Du hast es fast geschafft«, füge ich hinzu, während mir bewusst wird, wie unglaublich das alles ist. Es ist eine Sache, als Beobachtende bei diesem Moment dabei zu sein, aber das hier ... ist mit nichts vergleichbar. Es ist ein Nervenkitzel, auf den ich nicht vorbereitet war und der mich zum Weitermachen anspornt. Ich bin jedoch mehr als froh, nicht in Novembers Situation zu sein. Es sieht ziemlich schmerzhaft aus. »Der Kopf ist so gut wie draußen.«
Dr Mayson nimmt die Information wortlos hin und wendet sich wieder an November. »Okay. Bei der nächsten Wehe wirst du pressen, bis der Kopf vollständig da ist, dann legst du eine Pause ein. Autumn, sagen Sie ihr Bescheid, wenn es so weit ist. Sie müssen den Nacken des Babys stützen.«
»Verstanden«, antworte ich und ein Kribbeln durchströmt mich.
November hat kaum Gelegenheit, durchzuatmen, bevor die nächste Wehe sie überrollt. Sie presst erneut, und gerade als ich denke, dass ihr die Luft ausgeht, kommt der Kopf des Babys zum Vorschein. Sofort stütze ich den Nacken des Kindes. November atmet tief und wohlverdient ein und presst nicht weiter. Mich braucht sie nicht im Geringsten dafür.
»Also gut, Dr Mayson, der Kopf ist draußen. Was nun?«, frage ich.
»Atmet sie?«
Ich reiße die Augen auf. Verdammt. Warum bin ich da nicht selbst draufgekommen? November und Asher erstarren beide. Vermutlich ist das ein Teil der Arbeit, den der Arzt normalerweise nicht laut aussprechen würde, um den Eltern keinen Schreck einzujagen, aber dies ist sicherlich eine einzigartige Situation.
Da ich die Kleine nicht weinen höre und auch nicht in der Lage bin, ihren Puls auf die übliche Weise zu kontrollieren, halte ich meine Hand über ihren Mund und warte darauf, ihren Atem zu spüren. In der nächsten Sekunde kommt ein leises Keuchen über ihre Lippen. Ich lache erleichtert auf.
»Wahnsinn, das ist einfach unglaublich«, sage ich laut und lasse mich von den Emotionen überwältigen. Meine Augen füllen sich mit Freudentränen. »Ja. Ja, sie atmet. Was jetzt?«
»Das sind großartige Neuigkeiten«, erwidert Dr Mayson, während November und Asher einander ein stolzes Lächeln schenken. »Sie müssen den Hals des Babys untersuchen. Vergewissern Sie sich, dass die Nabelschnur nicht darum gewickelt ist. Wenn Sie sich nicht sicher sind, sehen Sie noch einmal nach. Wenn alles in Ordnung ist, helfen Sie dem Baby, sich zu drehen, damit die Schultern leichter herausrutschen.«
Ich nicke, schlucke schwer und konzentriere mich mit aller Kraft, während ich den Hals des Babys abtaste und das Ganze ein zweites und sogar drittes Mal wiederhole. Als sich das Baby zu drehen beginnt, leitet mich Dr Mayson weiter an. Ich führe die Schultern des Kindes am Beckenknochen vorbei, dann den Rest des Körpers. Als die Kleine vollständig auf die Welt gekommen ist, bin ich mit Fruchtwasser durchtränkt und fühle nichts als Freude.
Mit Tränen in den Augen und einer überwältigenden Erleichterung reiche ich das Baby zwischen Novembers Beinen hindurch und lege es ihr auf die Brust.
Die Schreie des Mädchens hallen von den Wänden des Aufzugs wider. Als ich mich hinsetze und staunend die Kleine betrachte, höre ich Dr Maysons Stimme durch den kleinen Raum schallen: »Gute Arbeit, November. Ich stehe direkt vor den Lifttüren auf Ebene vier. Mein ganzes Team ist hier, um dich zu unterstützen. Nimm deine Tochter in den Arm und halte durch. Wir werden die Türen im Handumdrehen öffnen.«
Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Wie zum Teufel konnte ich in diesem Leben so viel Glück haben?
Thorne
Angespannt stehe ich mit meinem Team vor den Aufzugtüren im vierten Stock. Was glaubt diese Frau, wer sie ist, dass sie meine Patientin aus der Notaufnahme lotst und sie in eine so gefährliche Situation bringt?
Hätte Autumn die beiden einfach unten gelassen, wäre November in eines der vielen Privatzimmer gebracht worden und hätte ihr Mädchen mit Hilfe von ausgebildeten Ärzten zur Welt gebracht, statt auf dem schmutzigen Boden eines Fahrstuhls. Es geht hier um meine Familie. Trotz ihrer Unerfahrenheit hätte Autumn es besser wissen müssen. Wenn diese Geschichte an Weihnachten erzählt wird, wird jeder annehmen, dass ich nicht rechtzeitig zur Stelle war.
Nicht ohne Grund folgen wir all diesen Richtlinien und Arbeitsabläufen. Ich weiß, dass es ihr erster Tag in diesem Krankenhaus ist. Sie hat gesehen, wie sich November abmühte und wollte helfen. Sollte aber nicht irgendwann der gesunde Menschenverstand bei ihr einsetzen? Was, wenn dem Baby im Aufzug etwas passiert wäre? Wenn es nach der Geburt sofort medizinische Hilfe gebraucht hätte? Oder November verblutet wäre?
Solche Situationen dürfen nicht passieren, vor allem, wenn das Leben einer Patientin in unseren Händen liegt. Auch wenn heute ihr erster Tag bei uns ist, hätte sie es besser wissen müssen. Um so weit zu kommen, muss sie ein paar Jahre Erfahrung in der Krankenpflege mitbringen.
»Die Notstromaggregate sind in zwei Minuten wieder in Betrieb«, sagt jemand hinter mir.
Ich mache mir nicht die Mühe, mich umzudrehen, sondern nicke einfach. Andernfalls würde ich einen Krankenpfleger oder einen Assistenzarzt anbrüllen, die nichts mit der Katastrophe hier zu tun haben. Je mehr ich darüber nachdenke, desto wütender werde ich. Was der Anblick der immer noch geschlossenen Türen nicht besser macht. Es ist unmöglich, an etwas anderes zu denken.
Je schneller ich Mutter und Kind untersuchen und den Schaden abschätzen kann, desto besser. Sobald ich weiß, dass November und ihr Baby in Sicherheit sind, werde ich ein paar Worte mit Autumn wechseln. Ich hoffe, sie genießt es, auf meiner Abschussliste zu stehen, denn dort wird sie bleiben, bis sie mir beweisen kann, dass sie meinen Respekt verdient.
»Eine Minute«, sagt der Mann von vorhin und bringt mein Team in Stellung. Wir müssen sofort helfen. Es gibt eine Menge zu tun. November und ihre Tochter müssen zuerst untersucht und auf eine Trage verfrachtet werden. Anschließend werden beide vollständig durchgecheckt. Außerdem müssen wir noch die Nabelschnur durchtrennen, die Plazenta entbinden und nachsehen, ob eventuell vaginale Risse oder welche am Damm entstanden sind.
Das wird chaotisch, aber genau aus diesem Grund bin ich froh, ein tolles Team an meiner Seite zu haben. Für solche unmöglichen Situationen wurden diese Menschen ausgebildet. Dabei möchte ich gar nicht von dem ausgefallenen Notstromgenerator anfangen. Das ist ein völlig anderes Thema. Was, wenn jemand mitten in einer Operation gewesen wäre? Das ist inakzeptabel, und genau so werde ich es dem Vorstand des Krankenhauses mitteilen. Mir ist egal, was es kostet, dieser Fehler muss behoben werden.
Die Lichter im gesamten Krankenhaus flackern wieder auf und erinnern mich an die vielen Nachtschichten, die ich in den ersten Jahren meiner Ausbildung hinter mich brachte. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich der Aufzug öffnet und das Chaos offenbart, das diese Frau uns hinterlassen hat.
Hinter mir nehme ich das vertraute, geschäftige Treiben wahr. Da die Klinik wieder mit Strom versorgt ist, kehren alle zur Tagesordnung zurück. Nur in doppelter Geschwindigkeit. Das Pflegepersonal kümmert sich um die Kranken und prüft die Geräte, die die Vitalfunktionen der Patienten überwachen.
Endlich ertönt das vertraute Klingeln des Aufzugs. Als die Türen auseinandergleiten, bin ich erleichtert.
»In Ordnung, es geht los«, verkünde ich meinem Team.
Das Erste, was ich sehe, sind November und Asher auf dem Boden sitzend mit ihrer Tochter im Arm. Asher blickt auf und strahlt mich an, wie es jeder stolze Vater tut, der sein Neugeborenes vorzeigen kann. November hingegen lehnt geduldig an ihm, den Blick auf ihr Mädchen gerichtet, als wäre sie zu fasziniert, um überhaupt zu bemerken, dass das Leben seinen gewohnten Gang nimmt.
Autumn steht seitlich neben Asher und macht uns Platz. Ich ignoriere sie vorerst. Um sie kümmere ich mich später.
»Wie geht es dir?«, frage ich, lasse mich neben November nieder und überprüfe ihren Puls. Sie wird etwas Nachsorge brauchen, so viel steht fest.
»Ganz gut, denke ich«, antwortet sie. »Das war nicht unbedingt das, was ich mir für dieses Mal vorgestellt hatte.«
»Keine Sorge«, erwidere ich grinsend und schaue zu meinem Cousin. »Ich bin sicher, dass du mit diesem Kerl hier noch ein paar Mayson-Babys zur Welt bringen wirst. Beim nächsten kannst du dich an deinen Geburtsplan halten.«
November verdreht die Augen. »Erinnere mich nicht daran. Ich habe noch nicht einmal die Plazenta von diesem entbunden. Es ist viel zu früh, an weitere zu denken.«
Ich muss lachen. In Ashers Miene erkenne ich, was er davon hält. Genau wie ich angenommen habe, will er noch mehr Kinder. Wahrscheinlich hofft er auf eine ganze Fußballmannschaft, und selbst dann wird er vermutlich nicht genug haben.
Meine leitende Hebamme bewegt sich um mich herum und steuert direkt auf das Baby zu. »November, du erinnerst dich sicher noch an Suzi, die bei Julys Entbindung dabei war. Wir müssen nur die Nabelschnur durchtrennen, dann wird sie die Kleine zu den Untersuchungen bringen. Sie ist in guten Händen.«
November sieht Suzi an, als sei sie ein Raubtier, das ihr das Baby wegnehmen will. Doch gleich darauf lockert sich ihr Griff um ihr Mädchen. »Ja, natürlich. Wie könnte ich das vergessen?«
Die Nabelschnur wird durchtrennt, das Baby von Novembers Brust gehoben und in ein durchsichtiges Babybett gelegt, das an der Seite bereits mit Mayson beschriftet wurde.
Während das Neugeborene vor dem Aufzug von meinen Hebammen untersucht wird, wende ich mich wieder November zu. »In Ordnung, du bist die Nächste«, erkläre ich, als ich die Krankenschwester mit der Trage auf uns zukommen sehe. »Wir müssen dich in einen sterilen Raum bringen. Bist du bereit?«
November stöhnt, als sich Asher aufrichtet. Er wirkt wie ein Ritter in glänzender Rüstung, der sie so schnell wie möglich in Sicherheit bringen will.
»Okay.« Mit einem Ächzen blickt November zu ihrem Mann, wohl wissend, dass er keinem anderen diese Aufgabe überlassen wird. »Aber mach schnell. Es tut immer noch weh.«
Asher nickt, und ich erhebe mich aus meiner Hocke, um ihnen den Weg freizumachen. Mit einer gewissen Leichtigkeit hebt er sie in seine Arme und trägt sie nach draußen, während Autumn in dem Chaos zurückbleibt, das sie zu verantworten hat.
Anschließend verlasse ich ebenfalls den Aufzug und untersuche meine beiden Patientinnen. Da sie in Ordnung sind, nicke ich Suzi zu. »Also gut, bringen Sie beide in das vorbereitete Privatzimmer. Ich bin in einer Minute da.«
Suzi reagiert ohne zu zögern, und die Gruppe von Krankenschwestern, Pflegern, Hebammen und Assistenzärzten beginnt mit dem Transport, während ich mich um den Rest kümmere.
Als ich mich zum Aufzug drehe, tritt Autumn aus der Kabine. Zum ersten Mal sehe ich die Frau an, die meine miese Laune ausgelöst hat. All die Worte, die ich ihr an den Kopf werfen wollte, sind mit einem Mal vergessen.
Sie ist verdammt hübsch.
Autumn bleibt direkt vor mir stehen und strahlt mich an, als hätte sie gerade die beste Nachricht ihres Lebens erhalten. »Das war unglaublich«, sagt sie, wobei sie versucht, ihre Stimme leise zu halten. Sie wippt wie ein Kind auf ihren Zehenspitzen und kann vor Aufregung nicht stillstehen. Alles in ihr scheint von Freude erfüllt zu sein. »Ich habe mich noch nie so gut gefühlt. Dieses Baby zur Welt zu bringen ... Verdammt, ich kann es kaum erwarten, allen davon zu erzählen. Ich meine, klar, es war nicht gerade so, wie ich mir meine erste Geburt vorgestellt hatte. Aber das war alles so ... wow! Ich bin so aufgeregt. Das war das Unglaublichste, was ich je erlebt habe. Ich schwöre, es war besser als Sex. Ich kann kaum die nächste Geburt erwarten.«
»Ich ...« Mir fehlen die Worte, und ich weiß nicht, wie ich auf diese Frau reagieren soll. Eigentlich sollte ich sie zurechtweisen, sie ins Hebammengefängnis stecken, doch stattdessen starre ich sie an. Wie kann sie nur so schön sein? Ihr Haar ist feucht und gewellt, vermutlich von dem Sturm draußen, und ihre Kleidung ist durch die Geburt in Mitleidenschaft geraten, doch davon scheint sie nichts zu bemerken.
Was ist nur los mit mir? Warum kann ich ihr nicht sagen, dass sie die Klappe halten und mir nie wieder in die Quere kommen soll? Vielleicht sind es ihre funkelnden haselnussbraunen Augen, die mich in den Bann ziehen, oder das braune Haar, das sie zu einem unordentlichen Knoten hochgebunden hat. Ich wette, dass es in der Sonne wie Bernstein schimmert.
Was zur Hölle? Bernstein? Was kümmert mich, wie es bei Tageslicht aussieht, und warum zum Teufel will ich unbedingt mit den Fingern hindurchfahren? Wissen, wie es sich anfühlt, wenn ich es um meine Hand wickle und ihren Kopf nach hinten neige, bis ihr Blick nur noch auf mich gerichtet ist.
Stopp. Reiß dich zusammen, Thorne. Du klingst wie ein verdammter Perverser.
Ich bin ihr Vorgesetzter, und wie es aussieht, ist sie gerade mal Anfang zwanzig. Ich muss mich von ihr fernhalten. Meine Aufmerksamkeit liegt darauf, wie sie mich betrachtet, nun, da ihre Aufregung etwas abgeklungen zu sein scheint. »Heilige Scheiße«, stößt sie aus, tritt einen Schritt zurück und ihre Augen weiten sich. »Sie sind Dr Thorne Mayson.«
Ich nicke und öffne den Mund, aber sie unterbricht mich, bevor ich etwas sagen kann.
»Verdammt, ich habe gerade vor Dr Thorne Mayson geflucht.« Sie keucht auf, und ich frage mich, warum sie meinen Namen so oft wiederholt. »Verdammt, ich habe es schon wieder getan. Mist, und noch mal. Oh, verdammt. Auf diese Weise wollte ich Sie nicht kennenlernen.«
Autumn macht einen Schritt zurück, entsetzt über ihren Wortschwall. Doch das sind nicht die Dinge, über die sie sich im Moment Gedanken machen sollte.
Ich hebe mein Kinn, bereit, ihr die Leviten zu lesen. »Du unterstehst bis auf Weiteres mir«, sage ich stattdessen und nicht nur ich, auch sie ist darüber verblüfft.
Während die Überraschung deutlich in ihrem Gesicht zu lesen ist, bemühe ich mich, mir meine nicht ansehen zu lassen. Was zum Teufel habe ich gerade gesagt? Du unterstehst mir? Scheiße. Wie soll ich so zu ihr auf Distanz gehen? Mal abgesehen davon, dass ich sie nicht duzen sollte.
»Ich, ähm ... ja, natürlich. Es wäre mir eine Ehre«, antwortet sie und strahlt mich an. Sie scheint zu glauben, dass sie etwas richtig gemacht hat. Sie ahnt nicht, in welchen Schwierigkeiten sie sich befindet.
Du unterstehst mir? Fuck. Keine Ahnung, was mit mir los ist. Mir ist klar, dass ich, was das Zwischenmenschliche betrifft, hier nicht gerade den besten Ruf genieße. Dennoch kann ich das Gesagte nicht einfach zurücknehmen. Das wäre ein mieser Zug. Und aus irgendeinem Grund bringt mich der Gedanke, sie schlecht zu behandeln, beinahe um. Aber warum? Sie ist eine x-beliebige Frau, die während der nächsten Jahre hierbleiben und nach ihrer Ausbildung wieder weg sein wird. Warum habe ich das Bedürfnis, sie zu beschützen? Es muss die Unschuld sein, die sie ausstrahlt. Fast so, als wäre sie noch nie verletzt worden, und ich habe diesen überwältigenden Drang, mich um sie zu kümmern.
Obwohl ich mich von ihr fernhalten sollte, tue ich das Gegenteil. Wie soll ich den Tag überstehen, wenn sie mir ab sofort auf Schritt und Tritt folgen wird? Ich muss sie beschäftigen und sie von mir fernhalten, während ich herausfinde, wo mein Verstand abgeblieben ist. Ich habe das Gefühl, ihr meine Männlichkeit soeben auf einem Silbertablett serviert zu haben, und das gefällt mir nicht.
»Gut«, erwidere ich mit einem Nicken und trete einen Schritt zurück. »Ich muss nach meinen Patienten sehen. Machen Sie sich frisch und stellen sich dann bei Ihrer leitenden Hebamme vor, um Ihre Schicht zu beginnen.«
Autumn stimmt wortlos zu, bevor sie an sich hinunterblickt und zusammenzuckt. »Mist, das habe ich gar nicht bemerkt«, erwidert sie seufzend und sieht mit leicht geröteten Wangen zu mir hoch. Ich balle die Hände zu Fäusten und widerstehe dem Drang, sie zu berühren. Das wäre verdammt unangemessen.
»Gut, gehen Sie. Ich erwarte, dass Sie sich in dreißig Minuten bei mir melden. Kommen Sie nicht zu spät.«
Erneut weiten sich Autumns Augen, ehe sie davoneilt. Das wartende Reinigungsteam übernimmt den Aufzug, um ihn wieder in einen sterilen Zustand zu versetzen.
Ich schüttle den Kopf und versuche mich zu erinnern, wo meine Vernunft abgeblieben ist. Was war das überhaupt? Warum hatte Autumn eine solche Wirkung auf mich? Unfassbar. Noch nie hat mich eine Frau so aus dem Konzept gebracht, und ganz sicher habe ich niemals zuvor zugelassen, dass eine meiner Auszubildenden mit so einem losen Mundwerk ungestraft davonkommt.
Da ich zu viel zu tun habe, schiebe ich all das in den hintersten Winkel meiner Gedanken und mache mich auf den Weg zu Novembers Zimmer. Plötzlich steht mir Asher im Flur gegenüber. »Wow«, sagt er in einem amüsierten Ton. »Der Thorne, den ich kenne, hätte die Frau in Angst und Schrecken versetzt, weil sie uns so kurz vor der Geburt in den Aufzug gebracht hat.«
Ich schüttle den Kopf und bin genauso verwundert wie er. »Keine Ahnung, was zum Teufel mich da geritten hat«, antworte ich ehrlich. »Ich hätte sie in die Schranken weisen sollen. Ihr Verhalten war inakzeptabel. Unser Standard ist um einiges höher. Das Letzte, was ich hätte tun sollen, war sie zu belohnen, indem ich sie in mein Team aufgenommen habe.«