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Alicandra ist besiegt, doch etwas von ihr ist geblieben. Eine Erkenntnis, mit der Lara schwer zu kämpfen hat. Denn dieses Vermächtnis ihres Seelenzwillings macht Lara nicht nur zur Anführerin des Shadow Clans, sondern auch zur Königin der Vampire New Yorks. Ein Vermächtnis, das Segen und Fluch zugleich ist... ------------ Hallo meine lieben Leser <3 Ich stelle immer mit Freuden fest, dass meine Bücher fleissig heruntergeladen werden. Das heißt, dass Jemand sie anscheinend liest :-) Was ich aber sehr selten bekomme, sind Rezensionen. Man könnte sagen "No news are good news"- trotzdem würde ich mich sehr über den ein oder anderen Kommentar oder eine Rezension freuen, damit ich sehen kann, ob ich meinen Job gut mache. Oder eben auch nicht ;-) Ich nehme sehr gerne auch Vorschläge und Kritiken an :-) Liebe Grüße Eure Stefania
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Vampires
of
New York
Vermächtnis
Band 7
Kapitel 1
Lara
"Deine Seele bewohnt den Körper der ältesten Vampirin, die nach Lilith existiert hat, Lara. Die Mächte aller Blutlinien fließen durch deine Adern. Du verfügst über all deren Kräfte und bist jetzt mächtiger als alle Anderen. Du bist nicht nur die Oberhäuptin des Shadow Clans, sondern auch die Königin aller Vampire."
Ich starrte Adrian einfach nur an. Unfähig, etwas zu erwidern. Meine Gedanken überschlugen sich. Seine Worte schienen für mich überhaupt keinen Sinn zu ergeben, obwohl ich tief in meinem Inneren wusste, dass er womöglich Recht hatte. Doch ich wollte es nicht wahrhaben. Ich, die Königin der Vampire? Nein! Nein! Das musste ein Irrtum sein. Luna war die Königin. Ich war einfach nur ich selbst! Einfach nur Larissa Chase, nicht mehr und nicht weniger. Gut, ich war eine Vampirin, die seit mehr als einhundert-dreißig Jahren auf dieser Erde wandelte – und seit heute die Hohepriesterin der Unterweltgöttin Ereshkigal und ihr Tor zur Unterwelt. Das alleine bereitete mir schon genug Kopfzerbrechen. Und nun sollte ich allen Ernstes die mächtigste Vampirin dieser Welt sein? Es gab keinen Zweifel daran, dass die vereinten Kräfte aller Blutlinien noch immer durch Alicandras Adern flossen, deren Körper meine Seele nun bewohnte. Eine weitere Konsequenz, die sich daraus ergeben hatte, dass Ereshkigal meine Seele in Alicandras Körper manifestiert hatte. Warum war ich nur davon ausgegangen, dass mit der Verbannung ihres Seelenanteils in den dunkelsten Winkel meiner Selbst, auch ihre Mächte verschwinden würden? So einfach war das alles nun doch nicht. Okay, das alles waren Dinge, mit denen ich mich arrangieren musste. Aber nun sollte ich auch noch die Königin der Vampire sein? Das war eindeutig zu viel des Guten.
"Du musst es Luna sagen."
Adrians Stimme holte mich aus meiner Endlosschleife von Gedanken in die Realität zurück.
Es Luna sagen? Wie stellte er sich das vor? Sollte ich einfach zu ihr hingehen und sagen:
"Hey, ich bin jetzt die Königin" ?
Nein, das konnte er nicht von mir verlangen. Und überhaupt wollte ich das alles nicht. Außerdem wurde Luna von Hekate zur Königin bestimmt, da sie das Vampirpendel beherrschte. Und wie konnte Adrian einfach so davon ausgehen, dass man mich als Königin billigen würde? Immerhin schlummerte der boshafte Anteil von Alicandra immer noch in mir. Ereshkigal hatte zwar gesagt, dass sie in mir versiegelt war, aber sie hatte auch geäußert, dass Alicandra von Zeit zu Zeit durchdringen konnte. Und ich konnte mir nur zu gut denken, was passierte, wenn sie erneut die Oberhand gewann: Sie würde dort weitermachen, wo sie aufgehört hatte. Sie würde wieder versuchen, die Macht an sich zu reißen, um über die Sterblichen und Unsterblichen zu regieren. Dieses Risiko war einfach zu groß. Im Grunde genommen, war ich so etwas wie eine tickende Zeitbombe.
"Das kann ich nicht tun, Adrian."
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen mir diese Worte über die Lippen und er sah mich verständnislos an.
"Aber irgendwann wirst du es tun müssen, Lara. Wie lange glaubst du, kannst du es vor ihr verbergen? Du bist kaum in der Lage, deine Mächte zu kontrollieren und zu steuern, wie du eben gesehen hast. Sie kommen einfach über dich. Wie eine Welle von Emotionen."
Ich senkte den Blick.
"Da gibt es Etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe, Adrian..."
Adrian hob fragend die Brauen.
"Was?"
"Als ich Ereshkigal bat, Kate wiederzubeleben, verlangte sie etwas von mir."
Als ich aufsah, bemerkte ich, dass er hart schluckte.
"Was hat sie verlangt?"
"Ich bin nun ihre Hohepriesterin – und das Tor zur Unterwelt. So wie Alicandra damals. Und nicht nur das: Alicandras Seele ist zwar tief in mir versiegelt, aber sie kann jederzeit wieder zu Tage treten. Und ich weiß nicht, ob ich sie dann kontrollieren kann. Und wir beide wissen, was geschieht, wenn sie wieder die Oberhand über ihren Körper erlangt."
Adrian nickte stumm, dann entwich seinen Lippen ein Seufzen.
"Ich weiß nicht, wie ich mit all dem umgehen soll, Adrian. Du hast Recht, dass ich es vermutlich nicht vor Luna verbergen kann, dass die Mächte der Clans noch immer in mir sind. Deshalb muss ich einen Weg finden, wie sie aus meinem Körper verschwinden."
"Oder du musst lernen, sie zu kontrollieren, Lara. Du kannst nicht vor deinem Schicksal davon laufen."
Ich schnaubte genervt. Warum verstand er nicht, dass ich dieses Schicksal nicht akzeptieren wollte? Ich wollte keine Königin sein. Luna war am Besten für diese Aufgabe geeignet – und ich respektierte sie. Wenn sie die Wahrheit herausfand, nachdem ich den Thron bestiegen hatte, würde mich das zu ihrer größten Feindin machen. Ich konnte Alicandras Seelenanteil in mir nicht trauen.
"Ich will das nicht, Adrian. Ich will einfach mein normales Leben weiterführen wie bisher!"
Seine Hände legten sich auf meine Schultern und seine grünen Augen blickten mich eindringlich an.
"Dein Leben ist nicht mehr normal, seit ich dich bekehrt habe, Lara. In unserer Welt wird es niemals Normalität geben. Du verstehst nicht, wozu du in der Lage sein wirst, wenn du Königin bist. Du wirst die Macht haben, die Clans zu vereinen und es wird Frieden herrschen."
"Und du verstehst nicht, dass ich eine tickende Zeitbombe bin! Wenn Alicandra durchdringt, wird sie nicht nur ihren Plan weiterverfolgen. Nein. Dadurch, dass Ereshkigal mich zum Tor der Unterwelt gemacht hat, wird sie in der Lage sein, noch mehr Chaos in der Welt zu stiften. Sie wird dazu fähig sein, Dämonen in diese Welt zu entlassen. Sie wird uns alle ins Verderben führen! Und das kann ich nicht zulassen!"
Meine Stimme klang energischer als beabsichtigt. Adrian erwiderte nichts, sondern sah mich nur mit aufeinander gepressten Lippen an.
"In Ordnung....", seufzte er schließlich. "Ich denke, du wirst Zeit brauchen, das alles zu verarbeiten. Ich werde dich nicht weiter drängen, es Luna zu sagen. Aber eines ist sicher: Du bist jetzt die Oberhäuptin des Shadow Clans. Dein Körper ist älter und mächtiger als meiner. Und die natürliche Rangordnung unter uns besagt, dass der Älteste unter uns den Clan führt. Dem wirst du dich fügen müssen."
Ich schlug die Augen nieder und schwieg. Ich hatte wohl keine Wahl. Trotzdem war mir das alles zu viel. Zu viele Veränderungen waren in den letzten vierundzwanzig Stunden eingetreten. Veränderungen, die ich mir zuvor niemals im Traum ausgemalt hätte. Ich hatte nicht einmal damit gerechnet, dass ich den Zweikampf mit Alicandras Seele überhaupt überleben würde.
Adrian zog mich an sich und seine Lippen berührten sanft meine Stirn. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Ich wusste nicht, ob es an seiner Nähe lag, aber allmählich schien sich das Chaos und das Feuer in mir zu beruhigen.
"In Ordnung, Adrian", flüsterte ich. "Wir werden es den Clanmitgliedern morgen Nacht verkünden. Ich hoffe nur, dass ich meine Kräfte soweit unter Kontrolle halten werde..."
Adrians Augen leuchteten mir sanft entgegen.
"Das wirst du. Sieh dich an. Deine Augen sind wieder normal."
Als ich mich zum Spiegel umdrehte, stellte ich fest, dass er Recht hatte. Die wolfsblaue Färbung war verschwunden. Eventuell war es möglich, dass ich lernen konnte, meine Kräfte zu kontrollieren. Doch ich wusste nicht, wie mir das gelingen sollte. Sie waren wie eine Flut von Chaos, die an die Oberfläche dringen wollte. Als wollten sie alle gleichzeitig die Oberhand über mich gewinnen und aus mir herausbrechen.
Mit einem Mal war ich schrecklich müde und ich wollte nur noch schlafen. Erst jetzt bemerkte ich, wie kräftezehrend dieser Tag gewesen war. Welch Ironie, da ich doch angeblich im Körper der stärksten Vampirin aller Zeiten steckte.
Ich löste mich von Adrian.
"Ich werde ins Bett gehen."
"Ich werde dich begleiten", erwiderte er und strich mir zart über die Wange. Dem hatte ich nichts entgegen zu setzen.
Adrian lag hinter mir und legte seine Arme um meine Taille, die mich ganz nah an ihn heranzogen. So, als wollte er mich nie mehr loslassen. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken, der von dort aus ein Prickeln über meinen ganzen Körper schickte. Das war der einzige Ort, an dem ich in diesem Augenblick sein wollte. Bei ihm. In seinen Armen. Wenige Stunden zuvor hatte ich noch geglaubt, ihn niemals wieder zu berühren.
"Ich liebe dich, Adrian..."
Meine Stimme war nur mehr ein Flüstern, denn allmählich legte sich eine bleierne Schwere auf meine Lider und ich war innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
Black Heaven
David DiAngelo
David hatte sich dazu entschieden, einen Abstecher ins Black Heaven zu machen, da das Shadow aufgrund der aufreibenden Ereignisse des heutigen Abends geschlossen blieb. Zu gerne hätte er noch mit Lara auf ihren Triumph über Alicandra angestoßen, doch diese war viel zu mitgenommen von allem gewesen, als dass es ihr noch nach einem Absacker zu Mute gewesen wäre. Trotzdem war David unglaublich erleichtert darüber, dass Lara es geschafft hatte. Wenn er nur daran zurückdachte, wie Alicandra ihn getäuscht hatte. Wie sie seine Gefühle für Lara ausgenutzt hatte, um sich an ihn heranzuschleichen und sein Blut in sich aufzunehmen. Und er hatte ihr geglaubt, denn ihre Tarnung war perfekt gewesen. Etwas in seiner Lendengegend zog sich zusammen, als er sich daran zurück erinnerte. Doch Nein. Er war hinters Licht geführt und von Alicandra geblendet worden. Lara liebte Adrian – und dabei würde es bleiben.
David ließ sich an der Bar nieder und bestellte sich ein Bier. Während er auf sein Getränk wartete, schweifte sein Blick durch dein kleinen Rock- und Metal-Club. Am anderen Ende des Tresens erblickte er Farah, die Oberhäuptin des Dark Blood Clans. Sie starrte gedankenverloren in ihr Whiskey-Glas, als könne sie darin irgendetwas finden. Farah musste noch immer schwer damit zu kämpfen haben, dass Keira nicht mehr am Leben war.
David schüttelte verstohlen den Kopf. Seit wann interessierte er sich für den Dark Blood Clan? Farah war heute Nacht nicht vor dem Shadow aufgetaucht, um Lara beizustehen. Wie es schien, wollte sie damit nichts zu tun haben. Somit hatte sie sich gegen alle Anderen gestellt.
Doch etwas in ihm hielt ihn davon ab, seinen Blick von ihrem Profil abzuwenden. David hatte Farah noch nie so eingehend betrachtet wie jetzt. Ihr langes, glattes, schwarzes Haar. Die helle Haut, die schmale Nase, die vollen Lippen, die mit einem dunkel-violetten Lippenstift nachgezogen waren. Im Gegensatz zu Darla und Keira, wirkte Farah beinahe zart – und zerbrechlich. David wusste nicht, woran es lag, doch die Verletzlichkeit, die sie in diesem Moment ausstrahlte, ließ seinen inneren Wolf in Lauerstellung gehen. Nicht etwa, weil das Tier in ihm damit haderte, die Beherrschung zu verlieren. Nein. Seine Empfindung war gerade das genaue Gegenteil von dem, was er in Laras Nähe empfunden hatte. Es war viel mehr ein Beschützerinstinkt, der in ihm erwachte.
David entschied sich, ihr Gesellschaft zu leisten.
"Hi."
Farah sah von ihrem Whiskey auf, als David sich auf dem freien Barhocker neben ihr niederließ. Aus ihren grauen Augen sah sie ihn irritiert an.
"David?" Ihre Stimme klang tonlos.
"Jepp.. Ich dachte, ich leiste dir ein wenig Gesellschaft", erwiderte er und nippte an seinem Bier.
Farah legte die Stirn in Falten.
"Versteh mich bitte nicht falsch. Aber seit wann reden wir miteinander? Dein Clan kämpfte zusammen mit den Black Moons und den Shadows gegen uns und den Draconian Clan."
"Ach, Farah. Wir Lords neigen nicht dazu, nachtragend zu sein. Außerdem siehst du aus, als könntest du ein wenig Aufmunterung brauchen", entgegnete David schmunzelnd. "Zudem... haben wir dich heute Abend vermisst. Du hast einiges verpasst. Es ist Lara gelungen, Alicandra zu bezwingen."
Farah musterte ihn unbeeindruckt, dann wandte sie ihr Gesicht ab und trank von ihrem Whiskey.
"Na, dann ist ja alles wieder in bester Ordnung, nicht wahr?" Ihre Stimme klang zynisch. Doch in ihrem Gesichtsausdruck lag pure Betrübnis.
David bemerkte, dass sie gegen eine Flut von Tränen ankämpfte.
"Möchtest du darüber reden, was dich bedrückt?", fragte er.
Ruckartig drehte sie ihm ihr Gesicht wieder zu und Verwunderung machte sich darin breit. Doch dann erschien eine tiefe Falte zwischen ihren Augenbrauen.
"Reden? Was bringt es mir, darüber zu reden? Ihr alle seid doch jetzt eine eingeschworene Gemeinschaft, David. Selbst mit Kathryn Smith habt ihr euch verbündet. Doch was bleibt mir? Ich habe innerhalb kürzester Zeit meine beiden engsten Freundinnen verloren. Ich stehe alleine da. Und wir Dark Bloods werden auf ewig die Ausgestoßenen sein, David. Uns will niemand in seinen Reihen haben."
David schürzte die Lippen.
"Weißt du, Farah... Ich kann sehr gut nachempfinden, was du fühlst."
Sie hob fragend eine Augenbraue.
"Inwiefern?"
"Wir, die Lords, hatten über Jahrzehnte Schwierigkeiten, uns einzufügen. Unser Clan existiert noch nicht sehr lange. Wir haben uns erst über die letzten fünfzig Jahre kultiviert. Die meiste Zeit haben wir in New Orleans verbracht. Wie du vielleicht weißt, gibt es auch in anderen Städten und Ländern Ableger aller Clans. Und jede Stadt hat sein eigenes Oberhaupt, beziehungsweise einen führenden Clan. Luna ist die einzig wahre Königin, weil sie das Vampirpendel besitzt. Sie steht über allen. Wir sind Mischwesen aus Werwölfen und Vampiren, sogenannte Hybriden. Die Clans von New Orleans wollten uns nicht in ihren Reihen haben, denn wir waren in ihren Augen wilde Tiere. Und damit hatten sie Recht."
"Wie ist eure Rasse entstanden, David?", wollte Farah wissen.
"Ich trug von Geburt an den Werwolf in mir. Ich war der Sohn des Anführers unseres Rudels. Wir nannten uns die Lords. Es gab Auseinandersetzungen zwischen den dort ansässigen Vampiren und uns. Wir führten einen Krieg gegeneinander. Ein blutiger Kampf, der das Rudel meines Vaters vollkommen ausrottete. Doch es gab unter den Vampiren eine Frau, in die ich mich verliebte - und sie sich in mich. Trotz der Feindschaft zwischen Vampiren und Werwölfen, waren wir beide alles füreinander und wir mussten unsere Liebe geheim halten. Sie fand mich mitten im Wald, in dem ich zuvor mit den Rudel gehaust hatte. Ich rang mit dem Tod. Sie weigerte sich, mich sterben zu lassen. Sie wollte mich nicht verlieren. Sie dachte, wenn sie mich in einen Vampir verwandelt, wäre ich kein Werwolf mehr, sondern würde zu ihrer Art gehören. Somit würde keiner der Vampire erfahren, was ich ihn Wahrheit war. Doch letztendlich passierte es, dass sich beide Blutlinie miteinander vermischten. Und somit war die Rasse der Hybriden geboren. Ich war der Erste dieser Art. Dann begann ich nach und nach meinen Clan zu vergrößern. Ich bekehrte Menschen und gab ihnen meine Fähigkeiten weiter."
"Was geschah mit der Frau, die du liebtest?", warf Farah ein.
David presste die Lippen aufeinander, sein Gesichtsausdruck wirkte angestrengt.
"Ich tötete sie."
Farah riss entsetzt die Augen auf.
"Wieso?", erkundigte sie sich mit atemloser Stimme.
"Der Werwolf in mir war seit Kindheit an schwer zu kontrollieren. Mein Bluthunger war unbezähmbar. Doch irgendwann hatte ich es mit Hilfe meines Vaters geschafft, den Wolf in mir zu bändigen und nicht auf Alles und Jeden loszugehen, der meinen Weg kreuzte. Doch, als das Vampirblut in meinen Adern floss, verstärkte es alle meine Empfindungen. Der Hunger schien noch stärker als jemals zuvor zu sein. Doch damit nicht genug. Die Gier und die Lust nach Fleisch war noch viel stärker. Wir fielen regelrecht über Frauen her, nahmen uns, was uns unserer Meinung nach zustand. Wir waren wilde Tiere ohne Gewissen. Wir töteten, vergewaltigten wie es uns beliebte. Denn das Blut der Vampirin, die mich verwandelte, steckte voller Wut und Aggressivität."
Farah sah David eine Weile sprachlos an.
"Welchem Clan gehörte sie an?"
"Sie war eine Dark Blood von New Orleans. Ihr Name war Lucifera."
Farah überlegte einen Moment. Sie konnte nicht fassen, was David ihr da gerade erzählte.Wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Ahnung davon gehabt, dass es Ableger aller Clans in anderen Ländern und Städten dieser Welt gab. Und die Lords sollten in gewisser Weise vom Dark Blood Clan abstammen?
"Und wieso hast du Lucifera getötet?"
"Ich habe sie über alles geliebt, Farah. Ich hätte niemals zugelassen, dass ihr etwas geschieht. Doch das Tier in mir war unkontrollierbar. Es kam über einfach über mich... und bevor ich realisiert hatte, was ich tat, war es zu spät."
David und Farah schwiegen.
"Das war der Augenblick, in dem ich entschied, New Orleans zusammen mit meinem Clan zu verlassen. Denn uns wollte dort sowieso niemand haben. Erst recht nicht nachdem, was ich getan hatte. Und ich fasste den Entschluss, dass so etwas nie wieder geschehen würde. Die Lords mussten lernen, die wilde Kreatur in ihrem Inneren zu kontrollieren. Und bis heute leben wir nach diesem Kodex. Der Wolf darf nur nach draußen gelangen, wenn es nötig ist. Doch gab es einen unter uns, der in alte Muster zurückfiel. Das war Channon Lake, mein bester Freund. Er vergewaltigte Sasha Callendar, Laras beste Freundin. Mir blieb keine Wahl, als ihn dafür in den Tod zu schicken. Denn ich musste ein Exempel statuieren. Und es schmerzte mich ungemein, denn er bedeutete mir sehr viel..." Sein Blick traf auf Farah. "Deswegen weiß ich nur zu gut, wie du dich fühlst, Farah. Manchmal müssen wir die Menschen loslassen, die uns am meisten etwas bedeuten. Auch, wenn es nicht fair erscheint. Ich weiß, dass du schwer unter dem Verlust von Darla und Keira leidest. Ich weiß, wie einsam du dich fühlst."
Farahs graue Augen wurden feucht und sie schluckte hart.
"Sie fehlen mir so sehr, David. Es nimmt mir beinahe die Luft zum Atmen. Ich weiß nicht, wie ich ohne sie weiter machen soll. Wie ich den Clan ohne sie führen soll. Es fühlt sich an, als sei mir das Herz aus der Brust gerissen worden. Und Darlas Tod bleibt weiterhin ungerächt. Keiras einziges Ziel war es, die Smith-Schwestern dafür bluten zu lassen, dass sie Darla auf dem Gewissen haben."
"Rache wird dir beide nicht zurückbringen, Farah. Es wird die Leere in dir nur noch verstärken. Es liegt an dir, wie du den Dark Blood Clan in Zukunft führst. Es liegt in deiner Hand, in welchem Licht er gesehen wird. Ich fühle, dass du anders als Darla und Keira bist. Wenn du zu Anerkennung bei den anderen Clans gelangen willst, dann überlege deine nächsten Schritte genau. Mein Clan wurde auch von Luna akzeptiert. Eben, weil ich gelernt habe, das Tier und die Wut in mir zu kontrollieren. Und das kannst du auch, Farah. Mache Frieden mit dem, was geschehen ist – und nimm das Schicksal deines Clans selbst in die Hand."
David machte eine nickende Kopfbewegung in Richtung Tanzfläche.
"Hast du Lust?"
Verwirrung machte sich in Farahs Gesicht breit.
"Was? Zu tanzen?"
Ein Schmunzeln zuckte um Davids Lippen.
"Ja. Wieso nicht? Komm schon. Genug mit dem Trübsal blasen, Farah." Ein verschmitztes Leuchten erschien in seinen Augen. "Außerdem, sieh dich an. Welch Verschwendung, hier einfach nur herum zu sitzen. Lass für den Moment einfach los und vergiss den Schmerz. Du wirst sehen, dass du dich danach besser fühlst."
Farah beäugte ihn für einen Moment argwöhnisch, doch dann zogen sich ihre Mundwinkel nach oben.
"Sie flirten doch nicht etwa mit mir, Mr. DiAngelo?"
In ihren Augen flackerte etwas Spitzbübisches auf, das David grinsen ließ.
"Wer weiß. Schon möglich", erwiderte er zwinkernd.
Farah verengte die Augen zu Schlitzen, doch sie schien noch immer belustigt zu sein.
"Davon würde ich abraten. Denn, wie du mir gerade erzählt hast, bist du in der Vergangenheit nicht gerade zimperlich mit einer meiner Artgenossinnen umgegangen."
David schien von ihrer Bemerkung unbeeindruckt zu sein.
"Wie gesagt, ich habe gelernt, mich zu kontrollieren."
"Na, schön. Dann lass uns gehen."
Mit diesen Worten erhob sich Farah von ihrem Barhocker und betrat mit David die Tanzfläche. Zuerst wirkten ihre Bewegungen zu dem Rock-Song steif, doch nach und nach wurden sie geschmeidiger. Sie schloss die Augen und ließ es einfach zu, dass sie die Musik fühlte. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, das Davids Herz mit einem Mal höher schlagen ließ. Farah ließ vollkommen los. Davids Blick hing an ihr, streiften über ihren schlanken Körper und die breiten Hüften, die sich weich im Takt der Musik wiegten. Verdammt...Warum war ihm vorher nie aufgefallen, wie attraktiv Farah war? Vielleicht, weil er zu sehr auf Lara fixiert gewesen war.
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"Nun, das war sehr schön", sagte Farah, als sie mit David das Black Heaven verließ.
Dieser zuckte grinsend die Achseln.
"Hab ich dir doch gesagt. Ich bin ein Garant für Spaß, Farah", erwiderte er und trat auf sein Motorrad zu. Bevor er sich darauf schwang, hielt er kurz inne. "Soll ich dich nach Hause fahren?"
Farah winkte ab.
"Nein, nicht nötig."
"Komm schon. Auf dem Weg in die Bronx muss ich sowieso an der Upper East Side vorbei. Außerdem ist Motorrad fahren einfach großartig. Bläst die Gedanken frei."
Den letzten Satz unterstrich er mit einem Zwinkern und streckte die Hand nach ihr aus. Ihre Augen musterten ihn zunächst scheu, wanderten zwischen ihm und dem Motorrad hin und her. Dann schlich sich ein Schmunzeln auf ihr Gesicht.
"Also, schön."
Farah nahm hinter ihm auf dem Motorrad Platz und legte ihre Arme um Davids Taille.
"Du wirst gleich sehen. Es ist wie Fliegen", sagte er. "Gut festhalten."
Dann startete er den Motor und kurz darauf ließen sie die Docks von New York City hinter sich. David steuerte den Franklin D. Roosevelt East River Drive an, der den East River entlang führte. Vorbei an der Brooklyn Bridge und weiter hinauf zur Williamsburg Bridge. Farah genoss den Wind in ihren Haaren und ein Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. David hatte Recht. Sie fühlte sich unglaublich befreit. All die Gedanken an Darla und Keira waren mit einem Mal meilenweit weg.
Schließlich nahm David die Ausfahrt auf die E61st Street, um kurz darauf in die 3rd Avenue abzubiegen und gleich darauf in die E77 Street. An der nächsten Gabelung lenkte David das Motorrad nach links in die Lexington Avenue, vorbei am Lenox Hill Hospital. Farahs Penthouse, das zuvor eigentlich Erik Reno und Darla gehörte und in dem sie noch vor kurzem mit Keira zusammen gelebt hatte, befand sich in der Nähe der St. Jean Baptiste Church an der Ecke 74th Street. David stoppte seine Maschine am Straßenrand und warf einen Blick über die Schulter nach hinten zu Farah. Knapp fünfundzwanzig Minuten hatte die Fahrt gedauert. Sie war wie im Flug vergangen und Farah war beinahe enttäuscht, dass sie schon vorüber war. Oder lag es daran, dass sie zu gerne noch ein wenig Zeit mit David verbracht hätte? Um ehrlich zu sein, hatte sie den Abend mit ihm sehr genossen. Etwas in ihr seufzte auf. War sie etwa dabei, sich in in David DiAngelo zu verlieben? Wenn Farah an die letzten Jahre zurückdachte, war in ihrem Leben für Liebe kein Platz gewesen. Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, Eriks oder Darlas Machtpläne zu unterstützen, sodass sie an so etwas Banales wie Liebe keinen Gedanken verschwendet hatte. Doch jetzt...?
"Was ist los? Willst du nicht absteigen?"
Davids Stimme riss sie aus ihren Gedanken und sie war froh, dass er nicht sehen konnte, wie ihr die Röte in die Wangen geschossen war. Farah ließ sich vom Motorrad gleiten und blieb einen Augenblick davor stehen. David musterte sie, lässig die Beine auf dem Boden aufgestützt und die Arme über den Lenker gelegt. Seine wilde Punkfrisur mit den schwarzen Haaren und blauen Strähnen darin, verlieh ihm etwas Verwegenes. An den Seiten waren sie kurz rasiert, nur das Haupthaar war länger und fiel ihm auf einer Seite ins Gesicht, das von einem leichten Bartschatten umrahmt wurde. Die schwarze Lederjacke schmiegte sich an seinen durchtrainierten Oberkörper und seine langen Beine steckten in ebenso schwarzen Lederhosen und Boots. Es fiel ihr schwer, ihren Blick von ihm abzuwenden. Von seinen stechenden, wolfsblauen Augen, der geraden Nase und den schmalen Lippen. Wie es sich wohl anfühlen mochte, sie zu k... Farah biss sich innerlich auf die Zunge.
"Also, dann... Danke für den Abend, David. Gute Nacht", sagte sie schließlich und war im Begriff, sich umzudrehen, als eine Hand nach ihrer griff und herumwirbelte. Im nächsten Moment sah sie direkt in seine Augen, die ihr fordernd entgegen leuchteten. In ihnen lag ein wilder Ausdruck, der in Farahs Unterleib ein Ziehen auslöste. Tief im Inneren wusste sie, dass David genau wie sie war. Dass die Lords wie die Dark Bloods waren. Wild und unbezähmbar. Gesteuert von einer unsagbaren Wut. Doch im Gegensatz zu den Dark Bloods hatten die Lords gelernt, ihre Wut zu kontrollieren. Etwas, wovon Farahs Clan noch meilenweit entfernt war.
David war vom Motorrad gestiegen und stand direkt vor ihr, hielt noch immer ihre Hand fest. Dann zog er sie näher zu sich heran und sie spürte die Härte seines Oberkörpers an ihrer Brust. Jede Faser in ihr verlangte danach, ihn zu berühren. Sanft löste sich sein Griff um ihre Hand und sie legte die Finger auf seine Arme, die sich um ihre Hüften gelegt hatten. Für einen Moment sahen sie sich gegenseitig in die Augen, bis sich seine Lippen ihren langsam näherten. Bevor sie ihre berührten, hielt er inne und sah sie an, als wollte er sich vergewissern, ob sie einverstanden war. Und das war sie. Mehr als das. Farah schloss die Augen und ließ es geschehen. Sie spürte die Weichheit seines Mundes. Als seine Zunge um Einlass bat, ließ sie ihn gewähren, schmeckte die rauchige Note von Zigaretten. Hungrig erwiderte sie seinen Kuss und er schlang die Arme fester um ihre Taille, presste ihren Körper enger an seinen, als wollte er sie niemals wieder gehen lassen. Ein Knurren entwich seinen Lippen und Farah spürte, dass es der Wolf war, der in ihm zum Leben erwachte. Für einen Moment machte sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengegend breit, doch als sie erkannte, dass David nicht die Kontrolle über sich verlor, entspannte sie sich.
Als David von ihren Lippen abließ, knabberte er zärtlich an Farahs Unterlippe. Sein Blick war glasig und voller Verlangen, als er sie musterte.
"Willst du schon gehen?", fragte Farah schmunzelnd.
"Nur, wenn du willst, dass ich gehe."
Davids Stimme klang rauchig, unglaublich sexy. Nein. Nicht um alles in der Welt wollte Farah, dass er ging.
"Komm mit mir nach oben", raunte sie in sein Ohr.
Kaum war die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen, berührten sich ihre Lippen erneut voller Leidenschaft. Sie küssten sich, als gäbe es keinen Morgen mehr. Als sei es ihre letzte Nacht auf Erden. Farah bugsierte David ins Wohnzimmer, wo sie sich auf die riesige, schwarze Ledercouch fallen ließen. Sie setzte sich rittlings auf seinen Schoss, während sich beide noch immer küssten. Ihre Finger vergruben sich in seinem Haar, als er ihre Hüften umfasste und ihren Körper mit einem Mal herumwirbelte, sodass sie unter ihm auf dem Sofa lag. Seine Lippen wanderten ihren Hals entlang, über ihr Schlüsselbein, bis zum Ausschnitt ihres Korsagen-Tops, das von einer Schnürung in dessen Mitte zusammen gehalten wurde. Mit den Zähnen löste er die Bänder und seine Finger zogen das Oberteil sanft bis zu ihrem Bauchnabel herunter...
Kapitel 2
Kate und Kathryn
Kathryn löste sich von ihrer Schwester und sah sie mit geweiteten Augen an.
"Woher weißt du, dass Lara Ereshkigal bat, dich ins Leben zurück zu bringen?"
Ein Schmunzeln umspielte Kates Lippen.
"Meine Seele verweilte die ganze Zeit über in der Unterwelt. Ich war dort, als Laras Seele bei Ereshkigal war und sie darum bat. Alle sind sie dort, Kathryn. Lilith, Evelyn, Erik, Darla, Keira, Carlita und ihr Gefolge. Sie alle befinden sich in den Tiefen der Unterwelt." Dann verfinsterte sich ihr Blick. "Und sie sind in Rage, Kathryn. Denn nur mir wurde gestattet, ins Leben zurückzukehren."
Kathryn lachte auf und drückte ihre Schwester wieder an sich.
"Lass sie ruhig Zorn üben, Kate! Sie werden für alle Ewigkeiten dort unten verweilen. Du bist wieder hier bei mir. Und nur das zählt."
Kates Augen verengten sich zu Schlitzen.
"Darum geht es nicht, Kathryn. Ereshkigal spielt nicht fair."
Kathryn begegnete ihrer Zwillingsschwester mit Verwunderung.
"Nicht fair? Mir erscheint es nur allzu fair, dass du wieder bei mir bist. Was mit den Anderen dort unten geschieht, ist mir egal, Kate. Sollen sie doch dort unten verrotten!"
"Auch Lilith? Wenn ich dir sage, dass Ereshkigal nicht fair spielt, dann meine ich damit nicht mich."
Kathryn hob verwundert die Brauen.
"Was willst du mir sagen, Kate? Möchtest du, dass wir Lilith da rausholen?"
"Das wird nicht funktionieren, Kathryn. Ereshkigal bestimmt über Tod und Wiedergeburt. Sie hält Lilith absichtlich dort unten fest."
"Weil sie Chaos in der Welt stiften könnte, nehme ich an?"
"Nein, Kathryn. Die Lilith, die ich dort unten wiedersehen durfte, war unsere alte Lilith. Nicht die bösartige Version, die wir damals aus ihr machten, als wir sie mit schwarzer Magie ins Leben zurückholten."
Kathryn runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Ich verstehe noch immer nicht ganz, worauf du hinauswillst, Kate..."
"Ereshkigal spielt ihr eigenes Spiel – mit allen von uns. Auch mit Lara. Ich nehme an, du weißt, dass sie von Ereshkigal zu ihrer Hohepriesterin ernannt wurde?"
Kathryn wirkte irritiert. Sie musste zugeben, dass sie das nicht gewusst hatte.
"Das war ihre Bedingung an Lara. Sonst hätte sie meine Seele nicht gehen lassen. Und die Göttin sagte, dass sie Alicandras Seelenanteil in ihrem Körper versiegeln würde, sie könne aber von Zeit zu Zeit wieder an die Oberfläche gelangen. Nun sag mir ehrlich, Kathryn: Weshalb ist eine Gottheit wie sie nicht im Stande dazu, Laras Seele komplett mit Alicandras Körper verschmelzen zu lassen? Nicht, weil sie es nicht kann. Sondern, weil sie es nicht möchte."
Kathryns Augen weiteten sich vor Entsetzen, brachte jedoch keine weitere Antwort zu Zustande. Denn sie ahnte bereits, was Kate ihr sagen wollte.
"Lara weiß nicht, welchen Preis sie für ihren Deal mit Ereshkigal zahlen wird, Kathryn."
Luna
Sie darf … nicht trauen.. Sie darf... kein Vertrauen schenken!
Luna fuhr aus ihrem Schlaf hoch. Wer sprach da mit ihr? War es Selene? Nein, das war nicht die Stimme der Mondgöttin. Sie klangt verzerrt und brach immer wieder ab – wie die schlechte Verbindung eines Mobiltelefons. Luna konnte nicht einmal mit Sicherheit ausmachen, ob sie männlich oder weiblich war. Wer sprach da zu ihr? Was wollte die Stimme ihr sagen? Wer durfte wem nicht vertrauen? Luna konnte sich darauf keinen Reim machen. Würde die Stimme noch einmal zu ihr sprechen? Die Königin der Vampire horchte noch einmal ganz tief in sich hinein. Doch da war nichts außer Stille. Vielleicht hatte sie auch nur geträumt.
Luna rieb sich die Augen und drehte ihr Gesicht auf die andere Seite. Ein Schmunzeln schlich um ihre Lippen, als sie Lucian neben sich liegen sah, der tief und fest schlief. Doch Beklemmung ergriff von ihr Besitz, als sie sich an jene Nacht zurück erinnerte, in der sie geglaubt hatte, ihn für immer verloren zu haben. Doch Dank Ereshkigal war er am Leben. War das wirklich erst ein paar Nächte her? Es erschien ihr beinahe wie eine Ewigkeit, und doch war es erst wenige Tage her, dass Alicandra in der Stadt ihr Unwesen getrieben hatte und erst vor einigen Stunden hatte Lara sie bezwungen – mit Ereshkigals Hilfe. Luna war innerlich stolz auf Lara. Sie hatte eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht. Die Königin erinnerte sich an die Nacht, in der sie Lara zum ersten Mal in Lucians Haus antraf. Sie war verschüchtert und unsicher gewesen, war sie doch gerade erst in eine Vampirin verwandelt worden. Und obwohl Luna damals erschrocken darüber gewesen war, dass Lara das Ebenbild von Alicandra war, hatte sie trotzdem in ihrem Inneren gewusst, dass Lara anders als ihr Zwilling war. Außerdem war Luna nicht verwundert darüber gewesen, da so etwas wie Reinkarnation wirklich existierte. Luna wandelte seit über zweitausend Jahren auf dieser Erde und sie hatte es viele Male bereits miterlebt. Und dieser Kreislauf wurde einzig und allein von Ereshkigal gesteuert, die über Tod und Wiedergeburt entschied.
Luna musste plötzlich blinzeln. Ein rotes, grelles Licht erschien in ihrem Augenwinkel, das in regelmäßigen Abständen aufblitzte. Luna rollte sich auf die andere Seite des Bettes und ihr Blick fiel auf den Nachttisch, wo ihr Pendel lag. Der rote Stein ihres mächtigen Amuletts war für das grelle Licht verantwortlich! Mit geweiteten Augen nahm sie es in die Hände und betrachtete es.
Sie darf ihr nicht trauen... Lara darf … kein Vertrauen schenken!
Luna ließ das Pendel beinahe fallen, als die Stimme wieder durch ihre Gedanken hallte. Versuchte jemand, mit ihr Kontakt aufzunehmen? Sprach jemand durch das Pendel mit ihr?
"Wem darf Lara kein Vertrauen schenken?", fragte Luna leise, um Lucian nicht zu wecken. Doch sie erhielt keine Antwort.
Sie darf ...nicht trauen...Lara darf … keinVertrauen schenken!
Die Stimme wiederholte den Satz immer und immer wieder.
"Wen meinst du?"
Obwohl Luna beinahe ahnte, dass sie wieder keine Antwort erhalten würde, stellte sie die Frage erneut. Doch Stille. Und dann endete das Aufleuchten des roten Steins abrupt.
Die Unterwelt
Lilith
Hört sie mich? Sie muss meine Nachricht empfangen!
Lilith versuchte, sich mit aller Kraft darauf zu konzentrieren, mit Luna Kontakt aufzunehmen. Versuchte, mit dem letzten Rest, der ihr von ihrer eigenen Magie geblieben war, die Kraft des Vampirpendels zu kanalisieren. Doch es schien, dass die Verbindung immer wieder abzureißen drohte. Und das Kanalisieren verlangte Lilith Einiges ab. Denn hier unten war sie längst nicht mehr so stark wie einst zu Lebzeiten – was sie Ereshkigal zu verdanken hatte. Denn sie schwächte Liliths Kräfte. Und sie musste vorsichtig sein, dass die Unterweltgöttin sie nicht bei ihrem Tun erwischte. Etwas Schwarzes huschte in ihrem Augenwinkel vorbei und sie drehte sich ruckartig um. Lilith kniff die Augen zusammen. Wer war ihr gefolgt? Ihr Blick fixierte die unzähligen verdorrten Bäume, die aus dem ausgetrockneten und rissigen Boden der Unterwelt wie krallenartige Klauen wuchsen. Nebel umhüllte nahezu die gesamte Umgebung und es war für Lilith schwer, darin irgendjemanden auszumachen. Da! Eine Bewegung! Liliths geisterhafter Körper spannte sich an. Sie würde bereit sein. Auch, wenn sie längst nicht die Kraft hatte, Ereshkigal zu bezwingen, würde sie sich nicht geschlagen geben! Hinter einem der Bäume trat jemand hervor und Lilith atmete auf, als sie Darlas beinah durchsichtigen Körper auf sich zukommen sah, der in den Nebelschwaden nahezu unterging und mit ihnen verschmolz.
"Wie kommst du voran, Lilith? Kannst du Luna erreichen?"
Lilith presste die geisterhaften Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
"Ich weiß es nicht, Darla. Aber ich werde nicht aufgeben!" Die rothaarige Vampirhexe – oder das Seelenwesen, das von ihr übrig war – ballte die Hände zu Fäusten. "Ich darf nicht aufgeben!"
Lara
Ich schlug blinzelnd die Augen auf und erkannte, dass es bereits wieder dunkel draußen war. Wie lange hatte ich geschlafen? Auf jeden Fall tief und fest, ich hatte noch nicht mal geträumt. Als ich mich auf die andere Seite des Bettes rollte, stellte ich fest, dass Adrian bereits aufgestanden war. Zu meiner Verwunderung fühlte ich mich normal. Zumindest einigermaßen. Ein Teil von mir spürte noch immer, dass dieser Körper nicht mir gehörte. Als sei ich nur ein Gast darin. Doch von den Mächten in mir spürte ich bisher nichts. Mit Schrecken erinnerte ich mich an letzte Nacht, als alle auf einmal aus mir herauszubrechen drohten. Und irgendwie hatte ich es geschafft, mich wieder unter Kontrolle zu bringen. Oder war es Adrians Nähe, die mich beruhigte? Mochte es vielleicht damit zu tun gehabt haben, dass ich gestern Nacht noch so aufgewühlt von den Eindrücken des Kampfes mit Alicandra gewesen war? Bedeutete Gefühlschaos in mir, dass sich auch die Mächte chaotisch benahmen? Ich konnte noch immer kaum fassen, was sich mir alles offenbart hatte:
Ich war nun Ereshkigals Hohepriesterin, das Tor zwischen den Welten, die Oberhäuptin des Shadow Clans... und womöglich die Königin der Vampire. Doch Letzteres erschien mir noch immer so abwegig und bereitete mir mehr Magenschmerzen als all die anderen Tatsachen, denen ich wohl oder übel nicht entrinnen können würde. Ich musste die Dinge erst einmal sortieren und einen klaren Kopf bekommen.
Seufzend stand ich aus dem Bett auf. Adrian würde sicher schon auf mich warten, denn heute Nacht wollte er dem Shadow Clan verkünden, dass ich ihn von jetzt an anführen würde. Und danach würden wir Luna und die anderen Clan-Oberhäupter davon unterrichten müssen. Wie würden die Clansleute reagieren? War ich überhaupt die Richtige für so eine Aufgabe und all die Verantwortung, die damit einher ging? Adrian führte den Clan stets mit soviel Leichtigkeit, dass es beinahe wie ein Klacks erschien. Doch seine Werte waren nun einmal Andere. Und er hatte nach wie vor dieses dunkle Geheimnis vor Luna – nämlich den Privatclub unterhalb des Shadows. Würde ich das weiterhin verantworten können? Mir bereitete es schon seit Längerem Unbehagen, was dort vor sich ging. Und es barg eine große Gefahr für uns alle, wenn bekannt wurde, dass Vampire sich dort mit Sterblichen vergnügten. Zwar geschah das Blut trinken auf beiderseitigem Einverständnis, doch was passierte, wenn dem einmal nicht so war? Wenn es Ausreißer gab? Wenn es den Vampiren einmal nicht gelang, rechtzeitig die Erinnerungen der Menschen auszulöschen – oder schlimmer noch – wenn sich einmal ein Vampirjäger dorthin verirrte? Diese konnten bekanntlich nicht manipuliert werden. Nun, einer Sache war ich mir bereits jetzt schon sicher: Dieser Privatclub würde schließen müssen. Doch glaubte ich kaum, dass Adrian sich damit einverstanden erklärte. Aber wenn er mir die Führung des Clans übergab, würde er sich nach meinen Regeln richten müssen – zumal er mich regelrecht dazu zwang und mir keine Wahl ließ. Somit würde auch er einen Kompromiss mit mir eingehen müssen. Schließlich hatte ich eine Verantwortung als Verbündete des Black Moon Clans zu tragen. Und da Luna nicht nur meine Königin, sondern auch eine meiner engsten Freundinnen war, wollte ich sie nicht enttäuschen.
Bevor meine Hände die Türklinke berührten, zuckte ich zusammen. Ein stechender Schmerz breitete sich in meiner Brust aus und ich musste nach Luft schnappen. Was passierte mit mir? Ich stand in gekrümmter Haltung da und hielt mir die Hand an den Brustkorb. Es fühlte sich beinahe an, als würde er entzwei gerissen. Ich unterdrückte mit aller Kraft ein Schreien. Dann schien es mir, als streifte mich etwas. Nein, als schlüpfte etwas in mich hinein und setzte sich dort fest!
Du wirst nicht nur die Wächterin der Tore sein, du selbst wirst das Tor zur Unterwelt sein. Du wirst jede Seele spüren, die das Tor durchschreitet. Sowohl der sterblichen Welt, als auch der Unterwelt. Denn sie werden durch dich hindurch gehen. Und das kann durchaus mit Schmerzen für dich verbunden sein. Denn manche Seelen werden sich weigern, hindurch zu wandern und versuchen, sich in deinem Körper festzusetzen.
Ich erinnerte mich an Ereshkigals Worte. War das nun die erste Seele, die durch mich wanderte und sich weigerte weiterzugehen? Ich presste angestrengt die Augenlider zu und biss die Zähne aufeinander bis mir der Kiefer schmerzte. Dann ging ein Ruck durch meinen ganzen Körper – und der Schmerz war verschwunden. Keuchend und mit weit aufgerissenen Augen, hielt mir noch immer den Brustkorb. Als ich realisierte, dass es vorüber war, schloss ich die Augen und atmete vor Erleichterung auf. Das erste Mal hatte ich nun überstanden. Doch wie lange würde die nächste Seele auf sich warten lassen? Bei so vielen Menschen, die täglich auf Erden starben? Mir drehte sich beinahe der Magen bei dem Gedanken daran um.
ξ