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Ob es die Normalsterblichenkrankheit 'Burn out' auch für Vampire gab? Seit der Rat der Vampire Evelyn Terrin in die Umgebung ihrer Vergangenheit katapultiert hatte, ging es mit ihrer Energie stetig bergab. Wenn Chefermittler Karl Ludwig wenigstens etwas kooperativer wäre! Immerhin schienen Ermittler Robert Allerton und Karls Sohn Andreas auf ihrer Seite zu sein. Aber wie lange war das noch der Fall, wenn sie sich weiterhin so verzettelte? Und wieso war ihr in letzter Zeit immer so schwindelig? Ein Roman über Liebe, Sehnsucht, Erotik, Verzweiflung und Eifersucht, vor der selbst Vampire nicht gefeit sind.
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Seitenzahl: 334
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Ein Buch aus der Reihe: Manchmal muss es eben Blut sein! »Ein Vampir fürs Leben« »Erinnerungen eines Vampirs« »Eine Vampirdame im Sprechzimmer«
Ich kann nur immer wieder meinem Mann Lars dafür danken, dass er mich so in meiner Schreiberei und meinen Eigenheiten unterstützt.
Ohne ihn würde es meine Bücher so nicht geben ...
Prolog
Manchmal ist es schwer, immer stark zu sein. Im Leben gibt es Momente, in denen man sich beweisen muss, vor allem dann, wenn man als Frau nur als schmückendes Beiwerk bezeichnet wird. Evelyn besah ihr Gesicht im Spiegel. Sie war keine typische Schönheit. Die Männer hatten sie trotzdem gern angesehen und hatten sie umworben. Lang war das nun her. Seit Jacobs Tod hatte sie niemanden mehr so an sich herangelassen, dass er werben konnte.
Sie fühlte sich alt. Ausgezehrt.
Ausgerechnet jetzt sollte sie diese Aufgabe für den Rat übernehmen, sollte sich erneut beweisen. Natürlich billigte sie die Zustände in der Zentrale genauso wenig wie die restlichen Ratsmitglieder, aber hätte sich nicht jemand anderes darum kümmern können?
Wieso nicht Yvor? Der hatte schon allein durch seine Statur mehr Möglichkeiten, sich durchzusetzen. Aber nein, der benötigte die Zeit, sich um seine Auserwählte zu kümmern und um seine Halbschwester. Und was war mit ihrer Familie?
»Evelyn. Deine Kinder sind nun wirklich erwachsen genug, sich um ihre Angelegenheiten selbst zu kümmern. Thomas und Melissa stehen mitten im Leben. Der Rat braucht dich.«
Ja, das hatten sie gesagt. Sie brauchten sie.
Die Drecksarbeit für den Rat machen, dafür war sie gut genug. Sich in deren Namen mit einem alten Freund der Familie anzulegen, dafür war sie sich nie zu schade gewesen. Sie hoffte nur, dass sie noch ein paar Kraftreserven hatte, die sie anzapfen konnte.
Ihr Blick wanderte erneut in den Spiegel. Was Jacob wohl dazu sagen würde, sähe er sie so dasitzen?
»Du siehst bezaubernd aus, Liebling«, hätte er gesagt und sie fuhr mit ihren Fingerspitzen zu den Schultern, die er immer sanft zu berühren gepflegt hatte. »Du musst nur mehr schlafen. Wie lange war es heute Nacht? Drei Stunden? Das ist viel zu wenig!«
Sie lächelte bei dem Gedanken, dass er ihr genau diese Standpauke gehalten hätte. Er hatte sich nie durchsetzen können, doch dafür hatte sie ihn nur umso mehr geliebt. In gewisser Weise kam Thomas da genau nach ihm. Er war seinem Vater so ähnlich, wenn sie ihn zusammen mit Samantha beobachtete. Jacob war so ein herzensguter Mann gewesen, hatte sich liebevoll um seine Familie gekümmert und doch hatte Evelyn ihre Geheimnisse vor ihm gehabt.
›Schluss jetzt mit der Grübelei! Du hast einen Job zu erledigen!‹, ermahnte sie sich und stand auf.
Der Tag würde sicherlich viele Neuigkeiten bringen. Hoffentlich blieb sie von Schlechten verschont.
1
Nein, Thomas, ich kann wirklich nicht am Wochenende zu euch kommen. Ich habe hier viel zu viel zu tun. Den ganzen Papierkram habe ich zur Überprüfung hier auf meinem Schreibtisch liegen und muss ihn noch durcharbeiten.« Evelyn warf einen fast schon verzweifelten Blick auf ihren hochgetürmten Aktenberg auf ihrem Schreibtisch, der in der Zentrale für sie aufgestellt worden war.
»Du wirst schon wissen, was du willst, Mutter. Ich soll dir von Alexandra nur noch mal sagen, dass du herzlich eingeladen bist«, klang die Stimme ihres Sohnes ein wenig besorgt, aber Evelyn ignorierte diese Sorge immer.
Sie war schließlich eine erwachsene Frau von 503 Jahren und kein kleines Mädchen mehr, auch wenn sie hier gerade wieder im Lernstadium angekommen war. Die Informationsflut, die aus der Zentrale in ihr Heim geschwappt war, würde sie sicherlich das ganze Wochenende kosten, wenn nicht sogar noch die ganze Restwoche.
Ermittlertätigkeiten. Sie seufzte.
Bei ihrem Mann Jacob hatte alles viel einfacher ausgesehen, wenn er seinen Job gemacht hatte. Die Männer waren ihm treu ergeben gewesen, hatten ihn gemocht und keiner war auf die Idee gekommen, seine Anweisungen infrage zu stellen. Das war mittlerweile so lange her, dass sich Evelyn manchmal fragte, ob es wirklich passiert war.
Jacob ... Dieser Mann war so wunderbar gewesen. Ihre einzige Liebe und der Vater ihrer beiden phantastischen Kinder. Thomas und Melissa wurden vom Leben in letzter Zeit gut behandelt. Thomas war verheiratet mit einer liebenswerten, wenn auch manchmal recht durchgeknallten, Frau. Sie hatten eine kleine Tochter. Samantha. Der ganze Stolz der Familie. Und Melissa hatte mit ihrem Lebensgefährten eine eigene Praxis eröffnet. Er war ein genauso begabter Arzt wie ihre Tochter. Es war so schön zu sehen, wie sie einträchtig nebeneinander saßen und Pläne schmiedeten.
Im Grunde sagte das Leben zu Evelyn damit, dass sie überflüssig geworden war. Hätte sie nicht wenigstens ab und an helfen können oder sich als Babysitter für die kleine Samantha angeboten, hätte Evelyn sicherlich gar nichts mehr zu tun gehabt. Auch ihr Beruf als Innenarchitektin langweilte sie.
Wahrscheinlich war es einer der Gründe, wieso sie sich schlussendlich bereit erklärt hatte, den Job für den Rat zu übernehmen und Karl Ludwig auf den Zahn zu fühlen. Die Zentrale musste dringend neu organisiert werden. Sie kannte Karl seit ihrer Kindheit und wusste, wie chaotisch seine Denkweise ab und an sein konnte. Der Rat hoffte, dass es sich als Vorteil erweisen würde, wenn sie sich der Sache annahm, da sie mit Jacob Terrin verheiratet gewesen war, dem ersten Chefermittler, der die Zentrale zusammen mit dem Rat ins Leben gerufen hatte, und da sie die Zentrale in- und auswendig kannte, die immerhin eine Zeit lang ihr zweites Zuhause gewesen war.
Evelyn suchte ihre Sachen zusammen, packte auch ein paar der Akten in ihren Koffer. Sie würde sie zu Hause lesen und am nächsten Tag wieder mitbringen. In diesem sterilen Büroraum fehlte ihr die nötige Gemütlichkeit zum Denken, außerdem störte sie jedes Mal jemand, wenn sie sich in aller Ruhe Notizen dazu machen wollte. Es kam ihr vor, als würde sie immerzu beobachtet werden. Sie knipste das Licht der Lampen aus und schloss ihre Bürotür hinter sich ab. Evelyn hätte sie eigentlich offen lassen müssen, da das Abschließen Misstrauen zeigte, aber im Grunde war es das, was sie tat: Sie misstraute diesen Mitarbeitern, die ihrer Arbeit nicht so nachgingen, wie der Rat es von ihnen erwartete.
»Na? So spät noch auf?«, erklang eine leise dunkle Stimme hinter ihr und Evelyn fuhr herum.
Ein großer Ermittler stand im Dunkeln vor ihr und sah sie misstrauisch an. Ein seltsamer Schimmer lag in seinen Augen. Sie kannte ihn vom Sehen, hatte bisher aber noch kein Wort mit ihm gewechselt. Er bescherte ihr eine Gänsehaut.
»Ja, ich hab beim Aktenlesen die Zeit aus den Augen verloren. Ich werde mich jetzt auf den Weg machen.« Evelyn versuchte zu lächeln, doch es fiel ihr schwer.
Dieser Typ machte sie aus irgendeinem Grund mehr als nur nervös. Er hatte so etwas Verschlossenes an sich. Vermutlich war er einer von Karls angepriesenen knallharten Ermittlern. Sie wollte nur noch weg und marschierte stramm in Richtung Ausgang.
»Gute Nacht«, rief er hinter ihr her und sie schaffte es doch, ein kleines Lächeln zustande zu bringen, ehe sie die Tür der Zentrale durchschritt.
Sie beeilte sich, zu ihrem Wagen zu kommen, atmete erleichtert auf, als der Motor aufheulte und sie in Richtung ihres Zuhauses fahren konnte. Wieso hatte dieser Ermittler sie nur so nervös gemacht? Jetzt, da sie wieder etwas ruhiger wurde, machte es eigentlich keinen Sinn. Der Mann hatte keine Anstalten gemacht, ihr in irgendeiner Weise gefährlich zu werden. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es zwei Uhr nachts war. Sie hatte sich schon im Büro gewundert, Thomas um diese Uhrzeit zu hören. Klar, als Barbesitzer hatte er erst jetzt Feierabend und wusste ja, dass sie um diese Uhrzeit für gewöhnlich noch wach war. Evelyn hatte ihm mehrmals gesagt, dass das kein Leben für einen Terrin war und es wurde wirklich Zeit, dass Sophia endlich nach Deutschland kam. Seine Cousine wollte das Moonlight übernehmen und ihm die Möglichkeit geben, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Evelyn mochte den Gedanken. Thomas als gesitteter Familienmensch. Es war langsam Zeit dafür. Er hatte es schon viel zu lange herausgeschoben und viel wertvolle Zeit verplempert. Die Zeit mit seinen Kindern war kostbar und man sollte diese, so weit es ging, genießen.
Immer schneller fuhr Evelyn durch die Straßen. Sie hoffte, bald zu Hause anzukommen, denn sie war mittlerweile müde und sehnte sich nach ihrem Bett. Zumindest für zwei bis drei Stunden, dann würden die Träume sie wieder wecken. Die Albträume waren ein Bestandteil ihres Lebens, seit sie denken konnte, auch wenn sie den Sinn dahinter nicht verstand. Es waren immer wieder die gleichen Träume. Sie lag auf ihrem Bett und schlief, sah dabei mehr als nur zufrieden aus. Sie wirkte absolut glücklich. Ein Schuss dröhnte ihr in den Ohren und sie starrte auf ihre Fingerspitzen, die blutrot und nass waren. Sie schrie und wachte auf. Jedes Mal.
Ihr Haus wirkte diese Nacht anders auf sie. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihr breit. Irgendetwas stimmte nicht, auch wenn sie es nicht genau benennen konnte, was es war. Da sie ihrer Angst niemals nachgab, stieg sie trotzdem aus und lief zur Haustür. Sie sah es sofort: Die Tür war nur angelehnt. Ein Keil steckte zwischen der Tür und den Angeln. Evelyn spürte ein Kribbeln in ihrem Nacken und griff automatisch nach ihrem Handy. Dieses Kribbeln hatte sie noch nie getäuscht. Sie würde einen Ermittler in ihr Haus gehen lassen, um nach dem Rechten zu sehen. Auf gar keinen Fall würde sie jetzt hineingehen. Sicher war sicher.
2
Robert Allerton saß unproduktiv an seinem Schreibtisch, nachdem Evelyn Terrin gegangen war. Er verfluchte sich selbst. Er hatte sie nicht erschrecken wollen, als er plötzlich aufgetaucht war und sie angesprochen hatte, aber das war geschehen. Es war eine Reaktion, die er von Normalsterblichen und Vampiren gleichermaßen kannte. Er war noch nie gut darin gewesen, sich zurückhaltend und unscheinbar zu geben. Eine Zeit lang hatte es ihm sogar Spaß gemacht, andere in Angst und Schrecken zu versetzen, aber bei Evelyn Terrin bedauerte er es. Die Frau war interessant. Sie schien die Art Frau zu sein, die sich aus Ärger einfach nicht raushalten konnte. Das machte sie in seinen Augen sehr sympathisch.
»Robert, es gibt Arbeit für dich. Einbruch im Villenviertel. Evelyn Terrin hat gerade angerufen«, klang Karl Ludwigs zweite Sekretärin Alice, die offensichtlich endlich zu ihrer Nachtschicht aufgetaucht war, eher gelangweilt, als besorgt, doch Roberts Neugier war sofort geweckt. Wieso hatte Evelyn Terrin in der Zentrale und nicht bei dem Chefermittler persönlich angerufen? Schließlich war sie ja nicht einfach irgendwer.
»Ich bin schon unterwegs.« Freudig, dieses muffige und langweilige Büro hinter sich lassen zu können, schnappte er seine Jacke und schritt an Alice vorbei. Ihrem Blick nach zu urteilen war sie heilfroh, dass er sie allein in der Zentrale zurückließ. Robert verstand ihr Verhalten nicht. Sie hielt vor Anspannung sogar die Luft an, dabei hatte er ihr nie etwas getan. Er seufzte.
Der Himmel hatte sich zusammengezogen, als Robert auf die Straße trat. Hastig zog er sich seinen Regenmantel über und lief zu seinem Wagen, den er wie immer so geparkt hatte, dass er gleich durchstarten konnte. Er hielt sich nicht an die Verkehrsregeln. Es war der einzige Kick, den er in den letzten Tagen bekommen hatte. Chefermittler Karl Ludwig hatte seinen Dienst seit dem letzten Vorfall komplett beschnitten. Es hatte Robert nicht gewundert. Das war die übliche Bestrafung, die ihn erwartete, wenn er sich nicht an Karls Regeln hielt. Und hätte er dieses Mal nicht das Leben einer Frau gerettet, deren Name im Rat mehr als nur bekannt war, wäre er wohl auch nicht so glimpflich davongekommen. Karl Ludwig hatte gekocht vor Wut.
Evelyn Terrin lebte in einem riesigen Haus inmitten eines eindrucksvollen Parks. Alles roch nach Geld, Macht und politischem Ansehen. Die Frage war nur, ob es Evelyn Terrins Verdienst gewesen war oder der ihres verstorbenen Mannes. Sie saß noch im Wagen, als er ankam. Ihr merkwürdiger Blick, als sie ihn erkannte, ärgerte ihn. Es schien fast so, als wäre sie entsetzt, ihn wiederzusehen. Er musste wirklich an seiner Wirkung auf andere arbeiten, vor allem aber auf diese Frau. Seine schlechte Laune der letzten Zeit ließ ihn offensichtlich noch aggressiver wirken.
»Waren Sie schon im Haus?«, fragte er etwas ruppig, als Evelyn Terrin den Wagen verließ, zu ihm ins Freie und in den Regen trat. Sie schüttelte den Kopf, den Blick auf den Boden geheftet, als schämte sie sich dafür, aber Robert war es recht. Ihm würde es die Arbeit erleichtern. Die meisten waren bei einem Einbruch so entsetzt, dass sie herumliefen und Sachen aufsammelten oder gar anfingen aufzuräumen. Es war einfach nur nervtötend. Spuren waren dann so gut wie nicht mehr zu finden.
Dass aber Evelyn Terrin ihr Haus nicht betreten hatte, war weniger fachlicher Natur. Sie wollte nicht vermeiden, einen Tatort zu verunreinigen. Sie hatte schlichtweg Angst. Er konnte es ihr ansehen, obwohl sie sich sehr viel Mühe gab, es vor ihm zu verbergen. Ihr Körper erschauderte leicht, als er sie am Arm berührte.
»Kommen Sie mit in den Flur. Ich werde mir das Haus genau ansehen, hier draußen holen Sie sich noch eine Erkältung. Bei dem Regen sind Sie in ein paar Minuten nass bis auf die Knochen«, versuchte Robert es diesmal etwas sanfter, sah aber, wie die Frau instinktiv vor ihm zurückwich.
Er war echt nicht gut darin! Am besten konnte er noch immer mit Kriminellen, weil es ihm da egal war, wenn er ihre Gefühle verletzte. Eine weitere Ausnahme waren seine neuen Freunde Scar, Steffen und Mark, die er vor ein paar Wochen bei seinem letzten Fall kennengelernt hatte. Seltsam. Gerade wurde ihm wieder bewusst, dass die Entführte, Melissa Terrin, Evelyns Tochter war. Er hatte sie nie zusammen gesehen, doch Karl Ludwig hatte es mehrmals betont. Zugegeben, er hatte ihm nicht wirklich zugehört. Der Mann hörte sich aber auch viel zu gern selbst reden, statt dem mal Taten folgen zu lassen.
Evelyn bewegte sich zaghaft auf das Haus zu. Ihr Gesicht war blass geworden und sie zuckte erschrocken zusammen, als Robert ihr die Aktentasche abnahm, die sie in der Hand hielt. Ihre Fassade der starken Frau bekam mächtig Risse. Robert hätte sie am liebsten in sein Auto gesetzt und zu ihrer Tochter gebracht, wo sie in Sicherheit war. Aber Evelyn Terrin war sicherlich keine Frau, die sich eine solche Behandlung durch ihn gefallen lassen würde. Sie schien sich nicht von ihrer Angst in die Knie zwingen zu lassen. Ihre Lippen waren entschlossen zusammengepresst und ihr Kinn etwas erhoben. Sie war eine stolze Frau, vielleicht auch störrisch. Robert schmunzelte.
Im Flur setzte sie sich auf eine kleine Bank und Robert bat sie, dort bis zu seiner Rückkehr zu warten. Sie nickte und ein dankbares Lächeln zeichnete sich auf ihrer angespannten Miene ab. Robert streifte fast lautlos durchs Haus, lauschte, ob noch jemand da war und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Die Einrichtung war sehr geschmackvoll, zumindest so weit er es durch das angerichtete Chaos erkennen konnte. Aber etwas fehlte. Etwas, das sonst in jedem Haushalt zu finden war. Robert war erstaunt, als er endlich darauf kam, was fehlte: Bilder. Evelyn Terrin besaß keine Familienfotos. Oder hatte man diese gestohlen? Kritisch besah er sich die cremefarbenen Wände. Nein, es gab keine Spuren von Löchern darin.
»Kommen Sie bitte. Es ist niemand mehr da, die Einbrecher sind weg. Bitte schauen Sie sich um und sagen Sie mir, ob etwas gestohlen wurde.« Seine Stimme klang ein wenig zu geschäftsmäßig, aber die Worte schienen sie zumindest nicht schon wieder vor den Kopf zu stoßen. »Ach, und bitte nichts anfassen.«
Evelyn nickte und schritt vorsichtig durch die Wohnung, genau darauf bedacht, keine Spuren zu verwischen. Sie runzelte die Stirn, während sie alles betrachtete. Robert hatte das Gefühl, als mache sie in ihrem Kopf eine Bestandsaufnahme.
»Hier ist es zwar ziemlich chaotisch, aber es scheint nichts zu fehlen. Alles ist da, selbst mein Schmuck und meine Gemälde.«
Immer kritischer beäugte sie ihre Habseligkeiten, aber nach etwa einer Stunde kam sie zu dem Ergebnis, dass wirklich nichts fehlte. Robert hatte sie die ganze Zeit beobachtet. Nichts deutete darauf hin, dass sie einen Verlust feststellte. Er kam zu dem Schluss, dass es sich bei dem Einbruch um einen Einschüchterungsversuch handeln musste. Anders konnte er es sich nicht erklären, warum nichts fehlte. Selbst jugendliche Rowdys nahmen etwas auf ihrem Rundgang mit, und sei es als Andenken an den Kick, nicht erwischt worden zu sein.
»Gibt es jemanden, der ihnen damit eine Botschaft zukommen lassen würde? Jemand, der Sie einschüchtern will?« Robert beobachtete Evelyn bei seinen Worten ganz genau. Ihre Reaktion war eindeutig.
Falls jemand beabsichtigte, ihr so eine Nachricht zukommen zu lassen, hatte sie zumindest keine Ahnung davon. Sie schien ehrlich irritiert von seiner Frage zu sein. Geistesabwesend begann sie, das Chaos zu beseitigen. Robert ließ sie. Er hatte keine Spuren entdeckt, und sollten das Profis gewesen sein, wie er vermutete, würde er eh keine finden. Er befand, dass es nützlicher war, wenn sich Evelyn durch das Aufräumen beruhigte und ihre Gedanken dadurch klarer werden würden. Sie schien ein System zu haben und hielt sich strikt daran. Robert lächelte. Sie war tatsächlich ein Kontrollfreak.
»Ich brauche jetzt etwas Starkes. Wollen Sie auch einen Drink?« Evelyn atmete tief durch, bevor sie eine Schranktür öffnete und ihm einen Einblick in dessen Inhalt gewährte. Eine Reihe von Flaschen stand dort und Robert bestaunte die Auswahl. Da sein Dienst eh zu Ende war und er ihr Angebot nicht ablehnen wollte, stimmte er zu, einen Whiskey mit ihr zu trinken. Evelyn goss ihnen zwei Gläser ein und bot ihm einen Platz an. Sie wirkte verändert, als sie so nebeneinander auf der Couch saßen und an dem Whiskey nippten.
»Ich hätte nicht gedacht, dass es mich einmal beruhigen würde, einen Ermittler in meiner Wohnung zu haben. Nichts gegen Sie persönlich, aber die meisten tun heutzutage so, als wären sie etwas Besseres als der Rest der Gesellschaft.« Sie seufzte.
Ihre Bemerkung konnte er ihr nicht übelnehmen, da er genug Kollegen kannte, die sich so verhielten, sein Chef eingeschlossen. Für die meisten gehörte Überheblichkeit wohl zur Jobbeschreibung.
»Ich mache nur meinen Job«, entgegnete er auf ihren neugierigen Blick und lächelte dann ein wenig. »Ich heiße übrigens Robert Allerton. Nur, falls Sie sich gleich morgen meine Personalakte ansehen wollen. Ich fürchte, dass ich das bin, was jeder Vorgesetzte einen Problemfall nennt.«
In Evelyns Augen blitzte Wiedererkennen auf. Mist! Sie hatte seine Akte bereits gelesen. Vermutlich würde sie ihn gleich höflich, aber nachdrücklich bitten, ihr Haus zu verlassen.
»Sie haben tatsächlich ihre Probleme mit Vorgesetzten, wie ich gelesen habe.« Die Witwe des früheren Chefermittlers schien auf eine Entgegnung zu warten.
Robert runzelte die Stirn. Was sollte er nur dazu sagen? Am liebsten hätte er erwidert, dass er nur Probleme mit Karl Ludwigs Führungsstil hatte, aber leider stimmte das nicht. Im Grunde hatte er vor niemandem einen solchen Respekt, dass er sich unterzuordnen bereit war. Vielleicht war er dazu zu alt und zu lange allein gewesen, um sich irgendwo einfügen zu können.
›Du bist sturer als jeder Esel‹, hatte Susana immer behauptet. Und natürlich hatte sie recht. Letztlich war das dann auch das Ende ihrer Affäre. Er hatte keine Lust mehr gehabt, immer den erhobenen Zeigefinger zu sehen. Den hatte er in der Zentrale schon oft genug unter der Nase.
Roberts Blick in Evelyns Gesicht brachte ihn schnurstracks zurück in die Realität, denn sie sah ihn noch an, als warte sie auf seine Reaktion. Er wollte nicht lügen, also zuckte er nur mit den Schultern und genehmigte sich dann einen weiteren Schluck aus seinem Glas. Der Whiskey war einer der teuren Sorte, das schmeckte man. Wieder fragte er sich, ob es ihre Lieblingsmarke war oder die ihres verstorbenen Mannes.
Evelyn Terrin betrachtete ihn nachdenklich, sagte allerdings nichts mehr. Stattdessen kippte sie ihren Whiskey hinunter und ging erneut zum Schrank, um sich einen Nachschlag zu holen. Sie schenkte sich ein extragroßes Glas ein und Robert überlegte, ob das für sie so eine gute Idee war. Eine Vampirin vertrug mehr als normale Menschen, doch in dieser Situation war Alkohol vermutlich nicht die beste Lösung.
3
Evelyn fühlte sich total ausgelaugt. Sie trank zu viel Whiskey, um ihre wirren Gedanken zu betäuben. Es war, als hätte man sie zurück in die Vergangenheit versetzt. Sie konnte alles ganz genau vor sich sehen: Ihren Jacob, der sie durch eine Tür in der Wand zwängte und ihr immer wieder beteuerte, wie sehr er sie liebte, dann hörte sie die schweren trampelnden Männerschritte auf dem feinen Parkettboden. Den Tumult, als sie ihn verprügelt hatten und seine Schmerzensschreie, bis die Axt sein Leiden und sein Leben beendete; es war, als könnte sie es jetzt noch hören. Evelyn schüttelte ihren Kopf, wollte damit die Geräusche vertreiben, aber sie hallten ihr weiterhin in den Ohren. Kopfschmerzen und Schwindelgefühl folgten wie üblich in der letzten Zeit. Die Vergangenheit hatte sie wieder eingeholt und schien sie nicht aus ihren Klauen lassen zu wollen.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, klang die Stimme des Ermittlers in ihren Ohren, doch sie konnte das Mitleid, das in seinen Worten mitschwang, nicht ertragen. Evelyn hasste es, Schwäche zu zeigen, vor allem, wenn sie es mit der Zentrale oder dem Rat zu tun hatte.
»Ich denke, der Tag hat mich etwas zu sehr beansprucht. Ich möchte Sie nicht rauswerfen, aber wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt gehen würden.«
Er tat ihr den Gefallen. Aus irgendeinem Grund schien er zu verstehen, warum sie allein sein wollte. Robert Allerton nahm einen letzten Schluck Whiskey, wünschte ihr eine gute Nacht und verließ ohne weitere Worte den Raum.
Kaum war er weg, griff sich Evelyn an ihre Kehle. Sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und japste. Sie keuchte und ließ sich haltsuchend zu Boden sinken.
›Verdammte Panikattacke.‹
Der Raum begann, sich um sie zu drehen. Selbst die Kälte des Fußbodens brachte ihr dieses Mal keine Linderung. Evelyn kämpfte um den letzten Rest Selbstbeherrschung. Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn, als sie sich zurück auf die Couch kämpfte.
Ihr Handy klingelte. Evelyn zog es aus der Tasche und warf einen Blick aufs Display. Es war Melissa. Das hatte ihr zwar gerade noch gefehlt, aber trotz allem ging sie ran.
»Geht es dir gut, Mama?«, klang Melissas Stimme panisch. Evelyn wollte ihrer Tochter antworten, allerdings kam kein Ton über ihre Lippen. Das regte Melissa noch mehr auf. »Du hast mir einen Hilferuf geschickt. Was ist passiert? Mama, bitte antworte mir.«
»Alles ist okay. Ich war vermutlich nur panisch. Man hat bei mir eingebrochen«, schaffte es Evelyn, endlich zu einer Erklärung anzusetzen, doch ihre Stimme brach immer wieder ab. »Es waren wahrscheinlich nur Jugendliche.«
»Oh mein Gott! Ich fahr gleich los.«
»Sei nicht albern, Melissa! Du bleibst schön zu Hause und gehst zurück in dein Bett. Hier ist nichts geschehen, und ein Ermittler war auch schon hier, um alles zu überprüfen. Kein Grund zur Sorge.«
Evelyn wollte ihre Tochter nicht in diesem Chaos haben. Das erinnerte sie wohlmöglich nur an vergangene Zeiten. Melissa versuchte, Evelyn zu überzeugen, doch noch bei ihr vorbeikommen zu können, aber nach etwa einer halben Stunde gab sie schlussendlich auf. Mehr Energie hätte Evelyn auch nicht aufbringen können. Sie hatte sich während des Gesprächs wieder zu Boden sinken lassen und hatte ihre Stirn auf den kalten Marmorboden gedrückt. Das Sirren in ihrem Kopf war glücklicherweise so gut wie verflogen. Nachdem Melissa endlich aufgelegt hatte, raffte sich Evelyn auf und schleppte sich erneut zum Sofa. Sie beschloss, den Rest aufzuräumen und dann ins Bett zu gehen. Als sie jedoch zur Haustür ging, um die Tür zu inspizieren, war diese bereits fest verschlossen. Der Vampirermittler hatte sie für Evelyn in Ordnung gebracht.
Evelyn dachte ein wenig über den Mann nach, von dem Karl Ludwig so wenig hielt, dass er ihm immer nur die miesesten Jobs gab. Und trotz allem verzeichnete Robert Allerton wenige Fehlschläge in seinen Fällen. Er schien ein sehr guter Ermittler zu sein, auch wenn seine Methoden sehr zu wünschen übrig ließen. Er schien keinen Respekt gegenüber Vorgesetzten zu haben. Vermutlich verachtete er auch sie jetzt, nachdem sie diese Schwäche gezeigt hatte. Sie schämte sich dafür, immer wieder vor Angst zu zittern, wenn etwas Unvorhergesehenes passierte. Kims Verschwinden und der Überfall danach auf ihr Haus, Melissas Entführung; jedes Mal wäre sie fast um den Verstand gekommen vor Sorge und Hilflosigkeit. Evelyn hatte panische Angst, eines ihrer Kinder zu verlieren. Zum Glück schien es noch den einen oder anderen Schutzengel auf Seiten ihrer Familie zu geben: Als sie damals von Alexandras Opfer für ihren Sohn Thomas erfahren hatte, war ihr Herz für ihre Schwiegertochter bereits voller Liebe gewesen. Sie hatte Thomas nach einem Überfall auf sein Haus genährt, hatte ihn von ihrem Blut trinken lassen. Als er sie dringend gebraucht hatte, war sie da gewesen, obwohl sie sich erst so kurz kannten. Sie hatte sich so verhalten, wie es Evelyn gern für Jacob getan hätte. Leider hatte sie nie die Chance dafür bekommen.
Müde rieb sich Evelyn die Augen. Langsam, aber sicher fühlte sie sich wie eine alte Frau. 503 Jahre waren eine verdammt lange Zeit.
›Oh Gott, jetzt werd nicht wehleidig!‹, ermahnte sie sich selbst und räumte sich einen Weg frei in ihr Schlafzimmer. Sie durfte nicht straucheln. Wenn Evelyn nachgab, lief sie Gefahr, wieder komplett den Halt zu verlieren. Das konnte sie ihrer Familie nicht antun.
Evelyn beschloss aufzuräumen, bevor sie in die Zentrale fuhr. Nun brauchte sie eine lange Dusche und ihr Bett, falls sie nach diesem Vorfall überhaupt Schlaf finden würde ...
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