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Im Feuer wiedergeboren, als Kriegerin durch eine Gottheit auserwählt, um jahrelang von einem Vampir gequält und trainiert zu werden? Nicht gerade das, was Kristin als Ziel verfolgt hätte. Das Schicksal macht allerdings andere Pläne. Nachdem sie es endlich geschafft hat, sich als Phönix-Kriegerin durchzusetzen, folgt die nächste Herausforderung: Sie soll eine menschliche Seele beschützen. Zu dumm nur, dass es sich dabei ausgerechnet um Raffy handelt. Die Exfreundin ihres Bruders brachte ihnen immer nur Ärger ins Haus, wenn sie mal auftauchte. Außerdem hatten Kristin und sie eine kleine Rechnung offen ... schließlich war Raffaele Katana diejenige, die ihr ein Messer ins Fleisch gerammt hatte! Wen wundert es da, dass das Phönixgirl den Auftrag nur widerwillig annimmt. Mit der Hilfe von Oz, ihrem Lehrmeister, begibt sich Kristin in ein Abenteuer, dessen komplette Bedeutung sie noch nicht erfassen kann.
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Seitenzahl: 369
Phönixe – Kämpfer durch und durch. Vampire – egozentrische Unsterbliche. Auserwählte mittendrin. Ich denke, da kann sich noch einiges daraus entwickeln ... :) Viel Spaß dabei!
Prolog
Flammen und sengende Hitze schlugen ihr entgegen. Was war nur geschehen? Gerade hatte sie sich noch auf einer Hochzeitsfeier befunden. Ihr war heiß, zerfloss beinahe bei diesen hohen Temperaturen.
›Wo bin ich hier?‹, ging es Kristin durch den Kopf, wusste jedoch bereits die Antwort darauf: In der Hölle. Aber wieso? Sie hatte nichts getan!
›Jeder Phönix landet erst einmal hier, um den Himmel schätzen zu lernen. Du befindest dich an dem Ort, an den Abtrünnige kommen. Du bist eine, weil du mir Treue geschworen hast.‹ Lilith´ Stimme war in Kristins Gedanken. Die Göttin klang schwach, irgendwie abgekämpft.
›Alles okay?‹, fragte Kristin und spürte, dass die Göttin lächelte. Es war schwer zu beschreiben, doch sie schienen die Emotionen zu teilen, wenn Lilith in Kristins Geist eintauchte.
›Ich habe überlebt. Jetzt müssen wir dich retten.‹
Lilith´ Gestalt zeichnete sich langsam vor ihr ab und Kristins Augen erfassten zuerst das strahlend hellblonde Haar. Die Göttin war eine echte Schönheit.
»Ich muss mich nur kurz ausruhen«, keuchte sie nun und ließ sich zu Boden sinken.
Kristin bemerkte den roten Fleck auf dem sonst gleißend weißen Gewand. Lilith war verletzt.
»Oh Gott! Was ist passiert?« Ohne darüber nachzudenken, beugte sich Kristin über die Göttin und untersuchte die Wunde.
»Es blutet schon nicht mehr«, wandte Lilith milde lächelnd ein.
Als Kristin die Haut berühren wollte, schlug die Göttin ihre Hände jedoch weg.
»Nicht! Du würdest dir Verbrennungen holen. Der Fluch ist selbst hier unten gültig.«
Was für einen Fluch Lilith meinte, erfuhr Kristin nicht. Nachdem sich die Gottheit gesammelt hatte und erneut auf den Beinen war, rieb sie sich die Hände. Sie warnte Kristin, sie sollte sich wappnen. Der Schmerz ins Leben zurückzukehren wäre nicht ohne. DAS sollte sich als Untertreibung des Jahrhunderts herausstellen! Brennender, alles verzehrender Schmerz riss Kristin beinahe das Herz aus der Brust. Ihre Lunge füllte sich mit lodernden Flammen, die ihr das Atmen unmöglich machten. Ein Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, Tränen rannen ihr über die Wange, wurden von der Hitze allerdings sogleich getrocknet.
›Halte nur noch ein wenig durch. Du hast es gleich geschafft‹, versuchte Lilith, sie zu ermutigen.
Kristin tat ihr Bestes, obwohl es unerträglich wurde. Sie kämpfte gegen den Wunsch zu sterben an.
›Nicht mehr lang‹, wiederholte die Göttin, doch ihre Stimme drang nur noch dumpf durch den Schmerz und die Hoffnungslosigkeit. ›Kristin ... Bleib bei mir!‹
Schwarze Leere hüllte sie plötzlich ein, ertränkte Kristin nun, ließ ihre Glieder steif werden, als wäre sie schockgefrostet. Wie konnte das nur sein?
›Noch ein bisschen.‹
Als sie die Augen öffnete, lag sie nackt und frierend auf kaltem Steinboden. Kristin keuchte.
»Endlich wach?«, knurrte eine männliche Stimme in ihrer Nähe und eine alte Decke wurde über Kristins nackte Gestalt geworfen. »Komm rein. Du musst essen, denn morgen beginnt dein Training.«
»Mein Training?«, stammelte Kristin verdattert und starrte den Mann an, der sich nun dem Haus zuwandte.
»Dafür bist du hier. Jeden Tag mindestens sechzehn Stunden Training und das so lange, bis du mir die Stirn bieten kannst. Wir kämpfen ohne Pause, bis einer von uns beiden stirbt. Und ich kann dir versprechen, dass ich es nicht sein werde ...« Der Kerl grinste und bleckte die ausgefahrenen Fänge. Kristin erstarrte. Ein Vampir?!
»Du bist«, ächzte sie.
»Mein Name ist Oz! Ich bin ein gefallener Gott, nicht mehr und nicht weniger. Also pass auf, was du sagst, denn es könnte dich das Leben kosten.«
›Na, was für glänzende Aussichten‹, dachte Kristin und folgte Oz ins Haus. ›Und ich ging davon aus, der Hölle entkommen zu sein.‹
1
Stille herrschte im Haus. Kristin atmete ruhig, kontrollierte ihren Herzschlag. Der Besitzer war ein Vampir und konnte es spüren, wenn sie sich aufregte.
»Willst du hier Wurzeln schlagen?«, brummte Oz neben ihr und Kristin seufzte.
Wieso musste dieser Typ unbedingt mitkommen? Er würde ihr nur wieder einen Strich durch die Rechnung machen! Die letzten fünfzehn Jahre hatten sie im Grunde jeden Tag miteinander verbracht, gemeinsam trainiert und Kristin war regelmäßig gestorben, weil Oz ein egoistischer Scheißkerl war ...
»Ich kann deine Nettigkeiten erahnen, die dir im Kopf herumspuken. Tu uns beiden einen Gefallen und halt die Klappe«, knurrte der gefallene Gott und zückte sein schwarzes Schwert.
»Wir sollen hier nur etwas besorgen, mehr nicht«, gab Kristin zu bedenken, als plötzlich die Hölle losbrach. Oz hatte wohl den Alarm ausgelöst – ob absichtlich oder per Zufall, konnte sie nicht sagen.
»Scheiße!«
Stimmengewirr war zu hören. Die Wachleute kamen rasch auf sie zu.
›Prima! Das hat mir gerade noch gefehlt. Das sind allesamt Vampire‹, schoss es der Phönixkriegerin durch den Kopf und zückte einen ihrer Kristalldolche und die kleine Axt.
»Besorg du Lilith´ Krempel! Ich kümmere mich um die Wachen.« Oz zeigte seine ausgefahrenen Fänge. Er schien sich auf den Kampf zu freuen.
›Also doch Absicht. Scheißkerl!‹
Kristin rannte los. Die Schatulle, die sie besorgen sollte, befand sich im oberen Stockwerk in einem Tresor. Von Lilith hatte sie die Kombination erhalten. Alles wäre so einfach gewesen, wäre nicht dieser blutrünstige Irre dabei!
Das Licht ging an, als Kristin das Arbeitszimmer des Hauseigentümers betrat. Sie starrte den Vampir an, der hinter dem Schreibtisch saß und sie wütend anfunkelte.
»Wer sind Sie und was machen Sie in meinem Haus?«, donnerte er wütend los.
»Ich bin hier, um einen Auftrag zu erfüllen.« Kristin machte sich zum Kampf bereit, doch der Vampir bewegte sich nicht.
»Willst du mich töten?«
»Hatte ich nicht vor. Ich brauche etwas aus Ihrem Tresor«, gab sie zurück. Der Vampir hob erstaunt eine Augenbraue. Er schien zu überlegen, ob Kristin die Wahrheit sagte oder nicht. »Ich will wirklich nur die Schatulle aus dem Safe. Dann bin ich weg.«
»Die Schatulle ...«
Diese Erwähnung schien wohl falsch gewesen zu sein, denn nun wandelte sich das Äußere des Mannes zu dem Monster, das in ihm steckte. Die Fänge verlängerten sich, der Ausdruck in seinem Gesicht wurde mörderisch. Er sprang auf und stürzte sich geradezu auf Kristin, die ihn mit Dolch und Axt abwehrte. Das Reißen von Stoff war zu hören und ein Zischen, als sich die Klingen durch das Fleisch ihres Gegners zogen. Hass flammte in Kristin auf, nachdem der Kerl weiter auf sie einstürmte. Sie hatte es friedlich lösen wollen, aber wenn es dieser Idiot nicht anders verstand ... Er heulte auf vor Schmerz, nachdem sie ihm einen weiteren tiefen Schnitt verpasst hatte. Das Monster bekam Kristin zu fassen, grub die Fingerspitzen tief in ihr Handgelenk, sodass es wie Feuer brannte. Der Kerl wollte ihr wohl den Knochen brechen.
»Lass los!«, fauchte Kristin und führte den nächsten Streich mit dem Dolch aus. Sie erwischte ihn am Arm und er zog sich hastig zurück. Ihr Angreifer schrie Verwünschungen, brachte sich jedoch in Sicherheit, woraufhin Kristin den Tresor ins Auge fasste. Er war so nah.
»Nicht! Es wird jemanden töten!«, protestierte der Eigentümer des Hauses, als sie die schwere Tür des Safes aufwuchtete.
»Ich bin nur zur Beschaffung zuständig. Was damit passiert, ist mir egal!«
Es stimmte. Seit fünfzehn Jahren tat sie, was die Göttin ihr auftrug. Anfangs hatte Kristin Fragen gestellt, jedoch nie Antworten darauf erhalten, aus denen sie schlau geworden wäre. Lilith hatte einen Plan und den mussten sie umsetzen. Es war notwendig, um ihre Familie zu schützen.
»Das kann ich nicht zulassen!« Zu Kristins Entsetzen hatte der Kerl eine Waffe gezogen und zielte auf sie.
›Na klasse! Jetzt heißt es wohl er oder ich‹, dachte die Kriegerin und ließ den Dolch durch die Luft schnellen. Er grub sich tief in den Oberkörper des Vampirs, der nach Luft schnappte. Sein Blick wanderte langsam zu seiner Brust hinab.
»Du wirst Verderben bringen«, keuchte er und brach zusammen.
»Vielleicht. Aber ich bin keine Mörderin. Du wirst es überleben«, murmelte Kristin, ehe sie den Kristalldolch aus seiner Brust zog. Die lähmende Wirkung hatte glücklicherweise sofort eingesetzt.
So schnell sie konnte, durchsuchte sie den Tresor nach der Schatulle, die Lilith haben wollte und nahm sie an sich. Es war ein unscheinbares Holzkästchen mit goldenem Griff. Neugierig öffnete sie es.
›Echt toll! Ich riskiere mein Leben für zwei Armreifen‹, kam es ihr in den Sinn, als sie das kunstvoll geschwungene Geschmeide betrachtete. Sie ließ einen Finger darüber gleiten und fluchte. Das Zeug war scharf, schnitt ihr problemlos die Haut von der Fingerkuppe. ›Wer sollte sowas nur tragen wollen?‹
Kopfschüttelnd steckte sie die Holzkiste in ihre Jackentasche. Jetzt hieß es nur noch einen Weg nach draußen zu finden.
»Oz! Es geht nach Hause«, schrie sie und stürzte sich aus dem Fenster. Ziel war der Baum davor, an den sie sich klammerte, um nicht ungebremst auf die Erde zu knallen. Der Phönix grinste. Adrenalin strömte durch ihre Adern und belebte den Geist. Kristin liebte die Gefahr vermutlich genauso sehr, wie ihr seltsamer Begleiter.
Vor der Haustür angekommen, stürmte der gerade heraus, gleich mehrere Angreifer folgend.
»Wolltest du mir noch was mitbringen oder wieso sind die nicht außer Gefecht?«, fragte Kristin spöttisch und Oz knurrte.
Ein extrem helles Licht drang aus seinem Körper und die Wachen gingen zu Boden. Oz fletschte die Zähne.
»Ich dachte, das solltest du endlich mal sehen. Und nun ...« Kristin japste, als sich seine schwarze Klinge in ihr Fleisch bohrte. Oz, dieser Scheißkerl, hatte sie tatsächlich erstochen.
2
Lilith wurde des Verhaltens ihres Bruders allmählich müde. Wieso hatte er nur so einen Spaß daran, Kristin zu quälen?
›Wieso auch nicht? Sie hat sich ungebührlich benommen‹, antwortete Oz in ihrem Kopf und Lilith seufzte.
›Sie ist unsere Verbündete. Du lebst nun schon seit über fünfzehn Jahren mit ihr zusammen. Kannst du Kristin nicht wenigstens in Ruhe lassen?‹
›Sie ist deine Verbündete, nicht meine!‹, gab er zu bedenken.
Natürlich! Oz vertraute keiner Menschenseele mehr. Durch ihren Verrat würde er wohl auch Lilith nie wieder über den Weg trauen. Sie nahm Kontakt zu Kristin auf. Aus irgendeinem Grund wurde dies von Jahr zu Jahr schwieriger. Ob es an Kronos lag, der seine Macht spielen ließ oder an der Kriegerin, sie sich vor ihr verschloss, konnte sie nicht sagen. Traurigkeit erfasste die Göttin. Sie hatte nicht beabsichtigt, dass es so kommen würde. Eigentlich sollte ihr Bruder längst gestürzt sein. Ihr rannte die Zeit davon!
›Und erneut hast du deine Geheimnisse. Wieso rückst du nicht einfach damit heraus, wozu du uns benutzt?‹ Oz´ Gedanken verletzen sie.
Natürlich hatte sie einen Plan und war auf Hilfe angewiesen, doch benutzen wollte Lilith niemanden dafür. Es klang, als wären ihr Bruder und Kristin Spielzeuge, mit denen man eine Zeit lang Spaß hatte und sie danach wegwarf.
›Manchmal hasse ich euch Götter! Ich vermisse mein altes Leben. Meinen Bruder. Meine Freundinnen‹, schnappte sie auch Gedanken Kristins auf und erstarrte. Sie hasste Lilith?
›Kristin‹, begann sie, es war jedoch kein Durchkommen möglich. Ihre tapfere Kriegerin befand sich im Regenerierungsschlaf.
›Oz, ich möchte nicht, dass du sie weiterhin aus Spaß tötest. Kristin wird nicht mehr angerührt, verstanden? Es ist unrecht!‹, wandte sich die Gottheit stattdessen an ihren Bruder, der schnaubte.
›Unrecht? Ich lasse mir tagtäglich ihre flapsige Art gefallen. Ist das nicht Strafe genug? Außerdem bin ich dir nichts schuldig. Wieso sollte ich also deinen Befehlen folgen?‹
Selbstverständlich stieß sie auf Widerstand. Oz würde sich niemals unterordnen und schon gar nicht dem schwachen Geschlecht gegenüber. Lilith überlegte, ob sie ihn in die Vision einweihen sollte. Es war kein Spiel und es stellte meist eine Gefahr dar, wenn andere von Visionen erfuhren. Sie zu verändern benötigte Fingerspitzengefühl.
›Sagen wir es so: Ich habe gesehen, dass sich alles zum Guten wenden wird, wenn wir zusammenhalten. Dazu müsstest du allerdings über deinen Schatten springen‹, bearbeitete sie ihren Bruder, der abermals schnaubte.
›Ich habe mit eurer Welt nichts mehr zu schaffen.‹
Leere erfüllte sie. Oz hatte sich komplett von ihr zurückgezogen. Wie sollte sie es nur fertigbringen, diese beiden Sturköpfe zu vereinen? Insgeheim hatte sie gehofft, eine Partnerin für ihren Bruder gefunden zu haben. Die Einsamkeit zerfraß ihn innerlich. Kristin war willensstark und nun auch eine tapfere Kriegerin. Wieso konnte die Liebe so kompliziert sein?
Ein Rascheln war hinter ihr zu hören. Ob es neue Verfolger geschafft hatten, sie zu finden? Lilith wandte sich um und suchte nach dem Eindringling. Ihre Finger schlossen sich um den Griff des kleinen schwarzen Dolchs. Eine dunkle Gestalt trat aus dem Schatten. Sie sah einen Kristalldolch aufleuchten und spürte Wut in sich. Kronos hatte einen Phönix geschickt, um sie zu töten? Aber wer war es?
»Du bist hier«, hörte sie die Stimme, die sie beinahe besser kannte, als ihre eigene.
»Bist du gekommen, um mich umzubringen?«
»Ich bin hier um eine Schuld zu begleichen«, raunte er und Lilith´ Herz wurde schwer. Eine Schuld? Was schuldete er Kronos?
Eine weitere Gestalt kam aus ihrem Versteck. Erschrocken stellte die Göttin fest, dass es ein weiterer Krieger ihres Bruders war. Sie umklammerte den Dolch. Gegen zwei Phönixe antreten zu müssen, würde sie ihre letzten Kraftreserven kosten.
»Kronos will sie lebend«, knurrte der andere. »Ich glaube aber nicht, dass er etwas dagegen hat, wenn wir sie verletzen. Sie muss nur noch atmen können.«
Mit gezückter Klinge marschierte er auf sie zu. Der Phönix ließ ihren ehemaligen Verbündeten hinter sich und kam näher.
»Ich denke, da hast du wohl recht. Aber dennoch kann ich es nicht zulassen.«
Die weiche Stimme hallte in ihrem Inneren wider und der Angreifer keuchte plötzlich. Lilith sah die Spitze des Kristalldolchs, die nun aus der Brust von Kronos´ Diener ragte. Sie atmete erleichtert aus.
Seine blaugrauen Augen betrachteten sie abschätzend. Der Blick ging tief, direkt in ihre Seele. Wie sehr sie ihn vermisst hatte.
»Ich danke dir«, hauchte sie, aber seine Haltung wurde steif.
»Die Schuld ist hiermit beglichen.« Seine Worte klangen kalt. Er wandte sich ab und wollte gehen, doch Lilith konnte es nicht zulassen.
»Bitte«, flehte sie, aber er fluchte leise, sodass sie verstummte.
»Was willst du von mir? Du bist verschwunden! Ich habe dir Jahrhunderte lang treu gedient, dich vergöttert und geliebt. Durch deinen kleinen Krieg gegen Kronos hast du alles weggeworfen, was mir etwas bedeutete. Dieser Fluch wird niemals gebrochen werden.« Damit ließ er sie allein und Lilith sank zu Boden. Tränen füllten ihre Augen und die Sicht verschwamm. Sie hatte nur einmal im Leben geliebt ... und dieser Mann verschwand nun ohne einmal über seine Schulter zu schauen.
3
Oz kochte vor Wut. Seine Schwester hatte in all den Jahrhunderten wohl nichts dazu gelernt. Die ständige Manipulation brachte ihn auf die Palme. Er würde das nervige Gör so oft umbringen, wie er wollte. Es war doch nicht schlimm, denn sie stand immer wieder auf. Die Kleine war nicht unterzukriegen. Kristin lag noch immer auf dem eisernen Feldbett der Trainingshalle. Sie brauchte dieses Mal lang, um aufzuerstehen. Vermutlich war Lilith´ Stärke das Problem. So sehr seine kleine Schwester auch rebellierte: Die Macht konnte sie nicht ergreifen. Liebe war dafür zu schwach. Sein Bruder war Herr über den Hass, Oz hatte die Sünde für sich als Kraft entdeckt. Welch Ironie, dass ihm diese keinen Spaß mehr machte. Früher hatte er sich in den Sünden der anderen geradezu gesuhlt und es genossen, ihnen selbst zu frönen. Mittlerweile nahm er es mit Ekel hin. Sein früheres Leben bereitete ihm Übelkeit.
»Suchst du Spaß, mein Hübscher? Ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst«, warf sich ihm eine Prostituierte an den Hals.
Sie riss ihn aus den Gedanken und Oz sah auf. Die Frau vor ihm war mager, die Augen glanzlos und ihr aufgesetztes Lächeln keinen müden Penny wert. Die Hure stank nach Drogensucht und Krankheiten. Er gönnte sich einen Blick in ihr Leben. Irgendwann in der Pubertät war etwas schrecklich schief gelaufen und daraufhin hatten sich die Ereignisse überschlagen.
»Komm schon ... Für fünfzig bekommst du alles, was du willst. Ich mache alles mit«, lallte sie und Oz nickte.
»Fünfzig gehen klar.«
Er zückte das Geld und sie schenkte ihm ein weiteres falsches Strahlen, ergriff seine Hand und zog ihn hinter sich her. Das Ziel war die Nische neben einem Hauseingang. Hier wollte sie sich ihm also hingeben.
»Du hast ein paar Minuten, bis wir verscheucht werden. Also? Wie willst du es haben?« Die Prostituierte machte sich an Oz´ Hose zu schaffen, aber er wehrte sie ab. Ihre Miene wurde auf einmal argwöhnisch.
»Alles was ich will, hast du gesagt«, knurrte er und sie nickte verunsichert. Ihre Wortwahl würde sie sicherlich bald bereuen. »Dreh dich um.«
Sie tat es, wenn auch bibbernd vor Anspannung. Sie schien nun endlich die Gefahr zu spüren, die von ihm ausging. Seine Finger strichen ihr das matte Haar zur Seite und er schnupperte. Die Hure war noch immer high und dachte über den nächsten Trip nach. Dafür also die fünfzig Euro.
»Soll ich mich ausziehen?«, säuselte die Kleine und Oz betrachtete den Hauch von nichts, den sie am Leibe trug. Er hatte im Grunde bereits alles gesehen, was sie ihm anbot.
»Verrate mir eins. Was würdest du tun, könntest du noch einmal von vorn beginnen?« Seine Stimme war leise und angespannt.
Dieses gefallene Wesen vor ihm zitterte wie Espenlaub. Natürlich hatte sie Angst, doch ihre Antwort war ihm wichtig.
›Verrate es mir‹, drang er in ihren Geist ein.
›Ich würde meine Ausbildung beenden und mich mit meinen Eltern versöhnen. Sie haben keine Ahnung, dass ich noch am Leben bin.‹
Eine Ausbildung und Versöhnung mit den Eltern? Nicht gerade eine gewöhnliche Überlegung einer Sünderin. Seine Fänge bohrten sich in ihren Hals. Die Kleine erstarrte, während er begierig ihr Blut in sich aufnahm. Schluck um Schluck trank Oz sich satt, genoss das Gefühl von Macht und spürte, wie ihr Lebensfunke allmählich erlosch.
›Gott! Ich will noch nicht sterben‹, schoss es ihr panisch durch den Kopf. Ihre Finger krallten sich in seinen Arm, der sich um den knochigen Körper gelegt hatte. Sie unternahm keinen Versuch zu schreien, ließ es trotz der Panik geschehen.
›Bald hast du es geschafft.‹
Der letzte Herzschlag klang wie ein langsamer Trommelwirbel. Ihre Finger lösten sich von Oz’ Arm und die Hand glitt hinab. Sie war tot.
›Sei ab jetzt ein besserer Mensch. Wiederhole deine Fehler nicht‹, dachte Oz, drehte das Mädchen zu sich um und schloss sie in die Arme. ›Komm zurück!‹
Ein Ruck ging durch den Körper. Sie schnappte nach Luft. Rasch verschloss Oz die Wunde an ihrem Hals und ließ sie los.
»Geh jetzt!«, fuhr er sie an, woraufhin die Frau stolpernd davonrannte, ohne sich noch ein letztes Mal umzudrehen. Es war ein fairer Tausch. Ihr Blut hielt ihn am Leben und er gewährte ihr eine zweite Chance.
›Ich hoffe, du wirst sie nutzen, Silvia.‹
Er wandte sich zum Gehen. Die Nacht war noch jung und vielleicht fand er ja den einen oder anderen Sünder, den er bestrafen konnte, ehe die Realität ihn erneut einholte.
4
Kristin öffnete die Augen und hoffte im ersten Moment, einen Albtraum gehabt zu haben.
»So viel Glück hast du nicht«, sagte sie zu sich selbst und betrachtete die Stahlträger des Gebäudes.
Wie oft hatte Oz sie in all den Jahren wohl dagegen geschmettert? Unzählige Male! Mehrere, um sie danach zu töten. Die eine oder andere Gelegenheit brach vorher ihr Genick. Ihr schauderte, wenn sie daran dachte. Kristin rappelte sich auf und griff zum Kleiderstapel neben sich. Ihre Aufmachung hatte sich seit etwa fünf Jahren stark verändert, war regelrecht sexy geworden. Dies schien bei Gegnern für Verwirrung zu sorgen. Bei allen, bis auf Oz. Mit einem leisen Ächzen stand die Kriegerin auf. Sie fühlte sich ausgelaugt und kraftlos. Dagegen half leider nur eins: Ein neuer Auftrag musste her!
›Lilith? Ich benötige eine neue Mission‹, nahm sie sogleich Kontakt auf und marschierte in Richtung Haus. Es dauerte etwas, bis die Göttin auf ihre Forderung reagierte.
›Morgen Nachmittag. Ein Überfall mit mehreren Toten. Du musst den Angreifer stoppen.‹
›Vor oder nach seinem Mord?‹, erkundigte sich Kristin. Eine weitere Sache, die sie in der Zwischenzeit gelernt hatte: Auch Lilith war gewillt, einzelne Personen zum Wohl des Ganzen zu opfern.
›Du wirst alle retten können. Sie werden nur verwundert. Ein Hinterhalt.‹
Lilith´ Worte machten Kristin Mut. Dieser ständige Tod vor Augen zermürbte sie. Wie sollte man da die Hoffnung aufrecht erhalten? Nachdem sie im Badezimmer heiß geduscht hatte, starrte sie lang in den Spiegel und betrachtete das blasse Gesicht. Sie brauchte eine Veränderung! So durfte sie nicht bleiben. Kurzentschlossen griff sie nach der Schere auf dem kleinen Schränkchen neben sich. Die langen Haarsträhnen wichen und machten einem frechen Kurzhaarschnitt Platz. Das war ihr allerdings heute nicht genug.
›Ich brauche Farbe!‹, schoss es ihr durch den Kopf und kramte in den Schränken. ›Irgendwo hier war es doch. Ich hab das Zeug gekauft.‹
Sie wurde ziemlich weit hinten fündig. Aus irgendeiner Laune heraus hatte sie eine Packung mit Haarfärbemitteln gekauft, nachdem sie von einer ihrer letzten Missionen zurückgekehrt waren. Jetzt würde der perfekte Zeitpunkt sein, es einzusetzen. Rasch überflog sie die Erklärung. Es war recht leicht zu handhaben und mischte sich praktisch von selbst. Kristin hoffte, dass Oz noch eine Weile außer Haus sein würde. Vermutlich suchte er sich das neueste Frischfleisch in der Stadt oder im Umkreis. Es war Zeit dafür. Wahrscheinlich hatte er deshalb erneut seine Launen nicht unter Kontrolle gehabt.
Kristin wusste schon lange, dass sie diesem Mann nicht vertrauen konnte. Er war unbeherrscht, schnell wütend und erinnerte manchmal an einen Größenwahnsinnigen. Dennoch hatte es Momente gegeben, in denen etwas Menschliches durch das Monster schimmerte. Die Frage war nur, wie viele Jahrhunderte es brauchte, diese Nuss zu knacken. Schätzungsweise länger, als sie auf dieser Welt sein würde, kam es Kristin in den Sinn und verzog die Mundwinkel zu einem Schmunzeln. Zumindest hatte sie ihren Sinn für Humor noch nicht gänzlich eingebüßt. Während sie die Farbe auftrug, dachte sie an das erste Mal, als sie diese Prozedur hinter sich gebracht hatte. Ihre Freundin Alison war ihr dabei zur Hand gegangen und es hatte sich als Katastrophe herausgestellt. Ihr Bruder Jonas war ziemlich wütend gewesen und brachte die beiden danach zum Friseur, der zu retten versuchte, was Elly und Kristin zerstört hatten. Sie schmunzelte erneut bei dem Gedanken. Als die Farbe überall verteilt war, marschierte sie in die Küche, um sich etwas zu Essen zu holen. Im Kühlschrank fand sie nichts bis auf zwei Tüten Milch und einer Flasche Wein, die Kristin einmal zu einer Pizzabestellung dazu bekommen hatte. Seufzend zog sie die Packung Müsli zu sich heran und füllte es in eine Schüssel. Sie musste dringend mal wieder einkaufen, denn ständig Müsli zu futtern war auf Dauer unbefriedigend.
Sie hing sehr lange ihren Gedanken nach, dachte an ihren Bruder, seine Freundin Isabel und an das Leben, das sie nie geführt, aber immer geplant hatte.
›Meine Güte, was bist du für ein optimistisches Schnuckelchen! Vielleicht müsstest du mal zu einem Doc und dir ein paar Happypills verschreiben lassen‹, tadelte sie sich selbst, spülte die Schüssel ab und räumte sie weg.
Der Phönix musste sich bewegen, am besten trainieren. Und so schritt sie entschlossen zur alten Halle zurück. Ein paar Runden in ihrem Trainingsprogramm und sie kam auf andere Gedanken. Das hoffte sie zumindest.
5
Sie saß in ihrer dunklen Zelle und lauschte. Bald würde man kommen und sie abholen. War heute wirklich der Tag der Anhörung? Sie hatte die Zeit vergessen. Fünf zusätzliche Jahre als Strafe für Aufbegehren und ihre aggressive Art hatte man Raffaele aufgebrummt. Sie musste es hinnehmen. Glücklicherweise hatte es aber auch jemand gegeben, die sie verstand. Die rothaarige Rätin war es gewesen, die es Raffy ermöglicht hatte, einer Art Kampftraining nachzugehen. Ohne das wäre sie vermutlich verrückt geworden.
»Bereit?«, knurrte ihre Wache und sie zuckte mit den Schultern.
Ihr war es mittlerweile gleich. Sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben und würde alles annehmen, was man anbieten konnte.
»Guten Morgen, Sonnenschein!«, foppte sie die zweite Wache. Dieser Typ wusste ganz genau, dass sie diese Anrede hasste, doch er liebte es, sie zu ärgern. Er schob ihr einen Teller hin. »Lass es dir schmecken.«
Es war eine undefinierbare Masse, die sie angeekelt anstarrte. Er lachte.
»Okay, ich bin kein Spitzenkoch, gebe ich zu. Das soll eigentlich Milchreis sein.«
»Ich denke, das Kochen solltest du anderen überlassen. Können wir gleich noch eine Runde trainieren, ehe es losgeht? Oder haben wir dafür keine Zeit?«, erkundigte sich Raffy und der Vampir, sein Name war Brice, feixte.
»Ich weiß nicht, ob ich unbedingt Lust habe, mich gleich noch von dir verprügeln zu lassen. Aber meinetwegen können wir rüber in die Gummizelle gehen.«
Sie war erleichtert. Ein geregelter Tagesablauf musste bei diesem Irrsinn sein, denn die Realität war, dass sie sonst zerbrach. Kämpfen war alles, was Raffaele kannte.
»Ich hoffe, ihr beiden übertreibt es nicht. Wir müssen in spätestens einer Stunde los. Die Fahrt dauert sehr lang und ich habe keine Lust, ständig anhalten zu müssen, weil irgendwelche Wehwehchen ziepen«, ermahnte sie die andere Wache, ein Vampirermittler mit dem Namen Lincoln. Seine streng dreinblickende Miene brachte sie beide dazu, zu nicken.
»Keine Sorge. Heute werde ich es ihr ausnahmsweise zeigen. Ich habe geübt«, strahlte Brice und Raffy schnaubte.
Obwohl sie ihre Wachen sein sollten, schienen die beiden Männer ihr nicht allzu misstrauisch gegenüber zu stehen. Die Vampire verhielten sich manchmal mehr wie Zellennachbarn, die ebenfalls eine Strafe absaßen und Raffaele verstehen konnten. In der Zelle, die sie zum Trainieren hergerichtet hatten, herrschte kein Licht. Sie kämpften ohne Waffen, was es für Raffy etwas Schwieriger machte. Brice grinste breit und zeigte dabei seine Fangzähne.
»Kann es losgehen?« Er zog eine Grimasse.
Raffaele schüttelte den Kopf. Was für ein kindisches Verhalten! Aber es tat irgendwie gut. Brice hatte ihr die letzten fünf Jahre als Trainingspartner zur Seite gestanden und einiges an Prügel bezogen, dennoch freute er sich wie ein Kind an Weihnachten darauf. Früher hätte sie so eine Freude nicht ernst genommen.
»Du darfst anfangen!«
Sie war älter geworden und wusste, dass sie mit den Kräften haushalten musste. Mit ihren beinahe vierzig Jahren hatte sie nicht mehr die Energie von damals, doch Technik brachte sie oft weiter. Brice näherte sich ihr mit schneller Bewegung und holte zum ersten Schlag aus. Raffaele lächelte und wich ihm aus. Frustriert brummte der Vampir. Er hatte sich diese Aktion anders vorgestellt.
»Wie kannst du nur immer vorhersehen, was ich machen will?«, klang seine Stimme ziemlich frustriert, was Raffy zum Lachen brachte.
»Du bewegst dich viel zu offensichtlich. Versuch es doch einmal so ...« Sie machte einen Ausfallschritt und verpasste ihm einen raschen Schwinger in die Magengegend. Er stöhnte.
»Eins zu Null für das Weib!«, verkündete Lincoln vor der Gummizelle und lachte bellend. »Du schwächelst mal wieder, mein Freund.«
»Wir können gern tauschen, wenn du möchtest.« Brice warf der Tür einen bösen Blick zu.
»Ihr beide könnt euch auch prügeln. Ich verrate es keinem«, feixte nun auch Raffaele und ging erneut zum Angriff über.
Der Vampir war schnell, allerdings nicht schnell genug. Freude durchströmte sie während des Kämpfens. Das war ihre Natur. Sie war eine geborene Kriegerin!
6
Jetzt ist sie komplett verrückt geworden‹, schoss es Oz durch den Kopf, während er Kristin beobachtete, die sich wohl im Schlamm gewälzt hatte. In lilafarbenem Schlamm, der einen ekelhaften Geruch verströmte. Sie schien ihn nicht bemerkt zu haben und trainierte weiter. Das Piepen eines Handys erschreckte Oz und er fuhr herum.
»Oh, du bist hier. Ich hatte gehofft, vor dir fertig zu sein«, meinte das junge Gör und deutete auf ihre Haare.
»Hast du einen Kampf verloren oder wieso ist dein Haar so kurz?« Zu seiner Überraschung lächelte sie.
›Wieso ist sie nicht stinksauer? Sie müsste eigentlich wütend auf mich sein‹, dachte Oz und ging etwas auf Abstand, als Kristin an ihm vorbei marschierte. »Was ist das für ein Zeug?«
»Ist eine Blondierung.« Das brachte Oz leider auch nicht weiter. Er konnte sich nicht vorstellen, wozu man sich lila Pampe ins Haar schmieren sollte. Als er die Kriegerin weiterhin irritiert anstarrte, biss sie sich auf die Lippe und überlegte. Vermutlich suchte sie nach passenden Worten, um nicht erneut zu sterben. »Es ist eine Creme, um meine Haare blond zu machen.«
»Wozu?«
An ihrem Verhalten fehlte nur noch das Augenrollen. Sie entgegnete, dass ihn das im Grunde nichts anging. Er war schon der Meinung, schließlich musste er mit ihr zusammenleben und sich diese Katastrophe täglich ansehen. Kristin verschwand im Bad und Wasser rauschte. Zumindest blieb dieses Zeug nicht für immer drin. Allein der Gestank hätte ihn wahnsinnig gemacht.
»Ich werde nie verstehen, wieso Weiber so auf ihr Äußeres fixiert sind. Als ob Farbe etwas daran ändert«, knurrte er, ehe sich die Tür öffnete.
Er blinzelte.
»Ich finde, es steht mir.« Kristin stand vor ihm, ein Handtuch in Händen und rubbelte sich die Haare trocken. In der Tat sah sie verändert aus, irgendwie Erwachsener.
»Du siehst nicht mehr ganz so wie ein Kindskopf aus«, bestätigte er und Kristin gluckste.
»Ich muss aufpassen, dass mich deine Komplimente nicht umbringen.« Sie schaffte es tatsächlich, ihn sogar in dieser Situation zu verspotten. Oz runzelte die Stirn. »Mensch, das war ein Witz!«
Zu seinem Entsetzen kam sie auf ihn zu und tätschelte ihm die Schulter im Vorbeigehen.
»Ach ja: Wir jagen morgen. Eine neue Mission. Wir retten Leben.«
»Aha«, brummte Oz und rieb sich die Stirn. Das hatte ihm noch gefehlt. Jetzt verdonnerte ihn Lilith erneut zu guten Taten? Was für ein Quatsch! Schließlich wusste sie doch, dass er nicht der Typ dafür war. »Ich muss nochmal weg.«
Bevor Kristin noch etwas erwidern konnte, war Oz zur Tür und durch den Flur gerauscht. Er musste einen klaren Kopf kriegen! Was sollte das nach fünfzehn Jahren? Die Kleine färbte sich blond und ihm fehlte die Sprache? Das ging überhaupt nicht! Er war ein Gott, verdammt nochmal!
»Hey, Kumpel ... Wie wäre es mit deinem Geldbeutel?«, rempelte ihn plötzlich jemand an und er sah das Messer aufblitzen.
Seine Fänge kribbelten im Zahnfleisch. Der Vollidiot kam ihm gerade recht.
»Wie wäre es mit deinem Leben?«, knurrte Oz und gab dem Kerl einen Stoß, der ihn an die nächste Hauswand beförderte.
Der Fremde japste, rappelte sich daraufhin jedoch mühsam auf und zückte erneut sein Messer. Solche Idioten hatten es wirklich nicht verdient weiterzuleben. Oz entwaffnete ihn rasch und biss kräftig in dessen Halsschlagader. Das Blut seines Angreifers schmeckte um Längen besser als das der Hure zuvor. Es kostete Oz große Anstrengung, ihn nicht leer zu saugen.
»Wenn wir uns noch einmal begegnen, bist du tot, verstanden?« Mit blanker Angst in den Augen nickte sein Opfer und er ließ von ihm ab. »Gut. Und nun hau ab!«
7
Der nächste Nachmittag war endlich da und Kristin konnte es kaum erwarten. Das neue Outfit und das veränderte Äußere brachte ihr neues Selbstvertrauen.
»Bereit?«, meinte Oz neben ihr und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Er hasste es, mit ihr zusammen im Wagen auszuharren.
»Noch etwa zehn Minuten.« Er seufzte. »Und denk daran: Halte dich an den Plan. Wir sollen die Opfer retten, keine Angreifer bestrafen.«
»Ich kenne Lilith´ Worte«, antwortete er störrisch. Kristin hoffte inständig, dass alles gutgehen würde.
Plötzlicher Tumult im Haus vor ihnen machte Oz und Kristin klar, dass der Angreifer gerade zuschlug. Hastig stiegen sie aus und rannten los.
›Das hätte doch erst in fünf Minuten losgehen sollen! Lilith hat sich bisher noch nie geirrt‹, ging es der Kriegerin durch den Kopf und bemerkte den verbissenen Gesichtsausdruck auf Oz´ Miene. Ihm schien etwas Ähnliches durch den Kopf zu gehen.
Zwei Opfer lagen bereits auf dem Boden, als sie in den Raum stürmten, ein weiteres ging gerade in die Knie. Der Angreifer, ein hageres Kerlchen in einem Kapuzenshirt, das er sich ins Gesicht gezogen hatte, stach auf die Brust des Mannes ein. Er registrierte sie und machte sich fluchtartig davon, was Kristin beruhigte. Sie mussten sich um die Opfer kümmern.
»Bleib hier«, befahl Oz.
Obwohl Lilith eine andere Anweisung gegeben hatte, musste der Kerl natürlich wieder sein eigenes Ding durchziehen. Kristin hätte ihn dafür erwürgen können!
»Oz! Wir sollen ihn nicht verfolgen!«, schrie sie ihm hinterher, doch es half nichts. Hektisch untersuchte sie den Verwundeten vor sich. Er war ein Vampir. Die Schnitte verheilten bereits und der Phönix fragte sich, wieso Lilith sie geschickt hatte. Sie eilte zu den anderen beiden Opfern. Der Mann hatte sich schützend über eine Frau geworfen. Beide waren vom Schwert verwundet worden, doch auch hier schien zumindest bei ihm eine Heilung einzusetzen.
›Kristin, du musst Oz verfolgen. Er ist in Schwierigkeiten!‹, hörte sie Lilith´ Stimme und rannte sogleich los.
Auf dem Weg zückte sie eins ihrer Wegwerfhandys und wählte die Nummer der Polizei. Sie gab eine kurze Meldung durch und legte auf, ehe man ihr Fragen stellen konnte. Fieberhaft suchte Kristin nach einer Spur, die sie zu Oz führte. Dieser verdammte Idiot! Wieso konnte er nicht einfach die Anweisungen befolgen? So schwierig war es schließlich nicht!
Ein Schrei führte den Phönix in eine Seitengasse. Sie kam gerade dazu, als der Angreifer ihrem Partner erneut das Kristallschwert ins Fleisch jagte.
»Oz!«, schrie sie und stürmte auf die beiden zu.
Der Typ im Kapuzenshirt ging zum Angriff über, dieses Mal war allerdings die Kriegerin das Ziel. Auch sie zückte ihre Dolche. Eine der Klingen des Unbekannten steckte noch in Oz´ Brust. Sie musste sich beeilen, denn wer wusste schon, welchen Befehl der Kerl dem Kristallschwert gegeben hatte. Die Waffen, von den Göttern erschaffen, hatten die Möglichkeit schnell oder langsam zu töten, Qualen zu bereiten oder sogar überhaupt keine bleibenden Verletzungen zurückzulassen. Was sie anrichteten, entschied allein ihr Träger.
»Eine weitere Verräterin«, raunte der Junge, als die Waffen aufeinandertrafen. Kristins Herz raste plötzlich und sie wusste, dass es nun um ihr eigenes Leben ging. Sie spürte die Klinge, als diese sie streifte und ihr einen Schnitt beibrachte. Die Wunde brannte wie Feuer und machte ihr klar, dass sie wohl mit Gift getränkt war.
›Scheiße!‹, dachte sie.
›Duck dich!‹ Lilith gab Anweisung, Kristin folgte. Mehrere Ausfallschritte und einer ihrer Dolche drang tief in den Angreifer ein, der ein Keuchen von sich gab. ›Egal, was geschieht: Zieh auf keinen Fall an der Kapuze.‹
›Ist das ein Befehl?‹ Kristin befreite Oz vom Schwert und hoffte inständig, es war nicht zu spät. So sehr sie der Kerl auch gequält hatte, so war er dennoch ihr einziger Verbündeter gegen diese Welt.
›Es ist ein gutgemeinter Ratschlag.‹
Lilith´ Worte irritierten Kristin. Was sollte es bezwecken? Immer diese Geheimnisse ...
Als sie sicher war, dass es Oz überleben würde, schritt sie auf die zusammengesunkene Gestalt zu. Der Kerl atmete noch und gab röchelnde Laute von sich.
›Kristin‹, ermahnte Lilith sie, als die Kriegerin die Hand ausstreckte und nach der Kapuze griff.
›Ich dachte, es wäre kein Befehl.‹
Die Göttin schwieg, zog sich aus ihrem Bewusstsein zurück und Kristin spürte die übliche Leere, die hinterlassen wurde. Das Röcheln wurde lauter. Ganz offensichtlich kämpfte der Vollidiot um sein Leben, statt einfach aufzugeben. Sie riss ihm die Kapuze vom Gesicht und erstarrte.
»Mein Vater wird mich rächen. Er ist ein mächtiger Mann. Sie werden dich aufspüren«, keuchte der Junge und Kristin blickte wie versteinert ins Antlitz, das dem ihren wie ein Spiegelbild glich. Er war gerade mal vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Was zum Teufel?!
»Wer ist dein Vater?«
Wollte sie die Antwort tatsächlich hören? Der Junge krampfte und Kristin bemühte sich, ihn festzuhalten.
»Wer sind deine Eltern?«, hakte sie erneut nach und erschauderte, als der Teenager Blut spuckte.
Wieso hatte sie dem Dolch den Befehl zum Töten gegeben? Verzweifelt drückte Kristin auf die Wunde. Es brachte jedoch nichts, denn seine Lunge war bereits verletzt. Er erstickte an seinem eigenen Blut.
»Verdammt!«
»Mikail und Seraphina. Bitte ...« Angst war auf einmal zu erkennen und die Worte brachten Kristin eine bittere Wahrheit: Der Junge war ihr Bruder. Ihr sterbend vor ihr liegender Bruder.
»Es tut mir so leid«, stammelte sie, doch es war zu spät. Das Leben in ihm erstarb. Er war tot.
»Ich hoffe, du erhältst einen Platz an der Seite der großen Helden, mein Bruder. Deine Loyalität blieb ungebrochen, selbst im Angesicht deiner Feinde. Der Frieden ist dir sicher«, flüsterte Kristin, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. Diese Worte wurden stets für die Gefallenen des Ordens gesprochen, doch sie gaben der Kriegerin keinen Trost.
Sie hatte ihren eigenen Bruder getötet, wusste noch nicht einmal seinen Namen, um ihn begraben zu können. Wie hatten ihre Eltern dies nur zulassen können? Er war schließlich noch ein Kind gewesen!
8
Oz hatte beobachtet, wie sich Kristin über den Leichnam des Jungen gebeugt und mit ihm gesprochen hatte. Er konnte es noch immer nicht fassen. Sie hatte ihren Bruder getötet, um ihn zu retten? Es wollte einfach nicht in seinen Kopf!
»Wir müssen ihn begraben. Mir ist egal, was du davon hältst. Hilf mir«, sagte Kristin nun und Oz nickte.
Er zog den Jungen hoch und legte ihn sich über die Schulter. Ein schlechtes Gewissen machte Oz zu schaffen, denn er konnte der Kriegerin keine Linderung geben. Sie weinte, trauerte wegen des Verlusts, obwohl der Junge ein Fremder für sie gewesen war.
»Ich denke, ich weiß da einen Platz. Dort kann er in Frieden ruhen«, raunte Oz und Kristin stimmte zu.
Leider hatte er keine Kraft, um ihren Bruder zurückzuholen. Die war dabei aufgebraucht worden, als er Silvia das neue Leben schenkte. Sie fuhren zusammen zu einem See, den Oz gut kannte. Es gab dort einen Platz, an dem nie jemand war, denn die Normalsterblichen nannten es ein Naturschutzgebiet. Dort gab es wunderschöne Blumen und es herrschte eine friedliche Stimmung.
»Es ist perfekt«, schniefte seine Begleiterin, als er ihr die Stelle zeigte.
Er half ihr, den Jungen zu begraben, danach zogen sie sich schweigend zurück. Der Raum zwischen ihnen schien sich weiter auszudehnen, bis Oz die Entfernung nicht mehr aushielt. Er musste etwas sagen, ihr versichern, dass alles gut werden würde oder so etwas. Wieso hatte er sich nur nie um solche Sachen, wie das Zwischenmenschliche gekümmert? Jetzt fiel es ihm unheimlich schwer.
»Ich werde mich jetzt zurückziehen. Das Training muss heute ausfallen«, flüsterte Kristin, kaum waren sie nach Hause zurückgekehrt.
Er hatte nichts dagegen. Oz musste sich ebenfalls ausruhen, die Verletzung heilen lassen und er wollte auch dem Phönix ein wenig Ruhe gönnen. Der Auftrag war schließlich erfüllt worden, wenn auch zu einem hohen Preis.
›Ich spüre, dass sie mir entgleitet. Die Sache mit ihrem Bruder war zu viel für sie.‹ Lilith´ Traurigkeit drohte ihn zu ertränken. Seine Schwester litt mit ihrem Schützling. Es war für ihn nicht auszuhalten.
›Wundert es dich?‹, entgegnete Oz frostig und spürte ihr Zaudern. Sie hatte nie gewollt, dass die beiden Geschwister gegeneinander kämpften. Es war ja auch seine Schuld. Er hatte es zu verantworten. Eine Sache, die er sich so schnell nicht würde vergeben können. Oz wurde wütend und ballte die Hände zu Fäusten.
›Ich denke, wir sollten ihr etwas Zeit geben.‹
›Zeit verstreichen zu lassen, wird nichts bringen. Sie hat ihren Bruder verraten und wird darüber nicht hinweg kommen. Du solltest es wissen, denn dir ergeht es ähnlich‹, gab Oz bissig zurück und bedauerte es sogleich, denn eine neue Welle an Traurigkeit, Bedauern und Schuld überrollte ihn. Er hatte seinen Frieden damit gemacht, verbannt zu sein und mit sich selbst klarzukommen, dann hatte Lilith ihm das Mädchen geschickt. Er atmete einmal tief durch, suchte nach passenden Worten. ›Versteh mich nicht falsch, Schwester. Ich bin dir dankbar, dass du über mich wachst. Du bist nur auf dem falschen Weg, wenn du meinst, dass du es hiermit wieder gutmachen kannst.‹
Lilith verschwand ohne eine Entgegnung. Sie kämpfte bereits so lange, dass sie wusste, wann sie verloren hatte. Oz ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder. Sein Blick wanderte umher und betrachtete das, was mittlerweile sein Zuhause geworden war. Hübsch und prachtvoll konnte man es nicht nennen. Er war einfach, zweckmäßig und so anders, als er es einst gekannt hatte. In seinem damaligen Reich hatte es für ihn keinen Durst gegeben, keinen Schmerz und erst recht keine Zweifel. Die hatte er erst hier auf Erden kennengelernt.
Ob er das Richtige tat? Er dachte an das Mädchen, das er ebenfalls beschützen wollte. Sie lebte mittlerweile im Hause seines Feinds und nannte ihn Vater. Das Leben war manchmal sehr kompliziert, hatte Oz feststellen müssen. Die kleine Veruca, ihrer Mutter so ähnlich, hatte ihr bisheriges Leben mit einer Lüge bestritten. Sie hasste Wesen, wie er es war und half dabei, sie zu vernichten. Es war so falsch ...
9
Bleib hier«, keuchte Brice und machte sich von Raffy los. Sie zitterte am ganzen Leib. Man hatte tatsächlich jemanden geschickt, um sie zu töten? Sie konnte es allerdings nicht fassen, dass der Vampir sie mit seinem Körper beschützt hatte. Kopfschmerzen dröhnten in ihrem Schädel. Sie war hart auf dem Boden aufgeschlagen, ehe der Kampf losgegangen war. Was für eine Kriegerin!
»Wer sind Sie?«, hörte sie Brice fragen, der die Tür geöffnet hatte und kurz darauf sein vor Schmerz herausgepresstes Stöhnen.
»Ich bin der Tod.«
Raffaele gefror das Blut in den Adern. Sie kannte diese Stimme! Brice ging erneut zu Boden. Raffy, die ihm taumelnd zu Hilfe kommen wollte, wurde plötzlich hinterrücks niedergeschlagen. Ihre Welt wurde schwarz.
Wie lange sie bewusstlos gewesen war, wusste Raffy nicht.
»Scheiße, was für ne Sauerei!« Eine Männerstimme drang durch den dumpfen Schmerz in ihrem Kopf. Das Gewicht auf ihr wurde entfernt und ein Pfiff durchschnitt die Stille. »Wow! Was für eine Zuckerpuppe. Schade, dass sie nach Schaschlik aussieht.«
Er zerrte an ihr. Raffaele hielt den Atem an, versuchte herauszubekommen, wer oder besser was er war. Sollte er sie auch umbringen? Und was war mit ihren Freunden? Sie schluckte, denn der Gedanke war ihr auf einmal gekommen.
›Sie sind deine Wachen, nicht mehr!‹
Eine Hand schob sich langsam in ihre Bluse und sie erstarrte. Dieser Kerl hatte sie doch wohl nicht mehr alle.
»So schade«, murmelte er.
Ihre Finger schlossen sich um Brice´ Waffe. Er hatte die Pistole fallen lassen, als er sie schützte. Kein Wunder, dass er sich nicht verteidigen konnte.
»Lass die Finger bei dir, du Drecksack!«, zischte sie nun und öffnete die Augen.
Sie stockte. Ihr Blick fiel direkt auf den Typen, der sie erstaunt musterte. Er sah verdammt gut aus, doch das Grinsen in seinem Gesicht kam ihr unheimlich vor. Was dachte sich der Typ.
»Ich wusste, dass du lebst. Entschuldige, ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.« Er zeigte eine Reihe schneeweißer Zähne und sie schluckte. Noch so einer dieser Vampire. Sie schien ihnen nicht entkommen zu können.
»Wie geht es den beiden?«, flüsterte sie und blickte auf das, was einmal Lincolns Gestalt gewesen war. Raffy biss sich auf die Unterlippe, um keinen Laut von sich zu geben. Der Vampir war geradezu zerstört worden, sodass keine Regeneration mehr möglich gewesen war. Die Stücke seines Fleischs lagen überall zerstreut. Sie keuchte.
»Die beiden sind leider Geschichte. Sieht nicht sehr appetitlich aus.« Der Typ vor ihr legte den Kopf schief und starrte sie eindringlich an. »Dein Name ist Raffaele, nicht wahr?«
Sie nickte automatisch, ehe sie es wirklich registrierte. Was war nur in sie gefahren? Raffy kannte den Kerl schließlich überhaupt nicht! Zu ihrer Überraschung streckte er ihr die Hand entgegen.
»Hi, mein Name ist Sinner.«
»Werden sie mich wieder wegsperren?«, hauchte sie, statt auf seine Unterhaltung einzugehen. Er verzog amüsiert die Mundwinkel.
»Du bist tot, Sexy.« Ein noch fröhlicheres Grinsen machte sich auf seiner Miene breit. »Ich habe den Ermittlern vorhin den Schein mitgegeben.«