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Maja ist 10 Jahre alt und hat einen Lieblingssatz: "Ich hasse Schule." Sie und ihre Familie erleben eine Schule, welche die kindliche Kreativität hemmt, den Verlust von Neugier und Freude am Lernen hinnimmt und die Kinder häufig unter Druck setzt. In Tagebuchaufzeichungen notiert Aja Reeh, selbst Lehrerin, diese verstörenden, mitunter geradezu absurden Begebenheiten aus Majas Schulalltag, der mit all seinen Unwägbarkeiten zunehmend auch das Familienleben bestimmt. Herausgekommen ist ein Buch, das sich wie ein Roman liest: sinnfällig erzählt, bissig und voller Humor. Ein Buch für alle, die mit der Schule in Berührung kommen: für Lehrer/innen, die nicht Fächer, sondern Kinder unterrichten wollen, für Eltern, die ihre Kinder liebevoll durch die Schulzeit begleiten möchten, und für diejenigen, die es in der Hand haben, die Schule zu einem freudvollen Ort zu machen.
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Seitenzahl: 326
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Mein inniger Dank gilt meiner warmherzigen, feinfühligen und vertrauensvollen Lektorin Andrea Stangl, Paderborn.
Keiner der Dialoge und keine der Begebenheiten ist erfunden. Jede Ähnlichkeit mit realen Personen ist jedoch rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die Behörden zwingen nämlich die Bürger nicht zu unnötiger Arbeit; denn die Einrichtung dieses Staates hat das eine Hauptziel im Auge, soweit es die dringenden Bedürfnisse des Staates erlauben, den Sklavendienst des Körpers nach Möglichkeit einzuschränken, damit die dadurch gewonnene Zeit auf die freie Ausbildung des Geistes verwendet werden kann.
Darin liegt nämlich nach ihrer Ansicht das Glück des Lebens.
THOMAS MORUS (1478 – 1535) in Utopia
SONNTAG, 3. APRIL 2016
ERINNERUNGEN
AUGUST 2015
SEPTEMBER 2015
OKTOBER 2015
ERINNERUNGEN
NOVEMBER 2015
DEZEMBER 2015
JANUAR 2016
FEBRUAR 2016
MÄRZ 2016
DIENSTAG, 5. APRIL
FREITAG, 15. APRIL
Dienstag,26. April
DONNERSTAG, 28. APRIL
FREITAG, 29. APRIL
SONNABEND, 30. APRIL
SONNTAG, 1. MAI
DIENSTAG, 3. MAI
MITTWOCH, 4. MAI
SONNABEND, 7. MAI
SONNTAG, 8. MAI
MONTAG, 9. MAI
DIENSTAG, 10. MAI
MITTWOCH, 11. MAI
DONNERSTAG, 12. MAI
FREITAG, 13. MAI
MONTAG, 16. MAI
DIENSTAG, 17. MAI
MITTWOCH, 18. MAI
MONTAG, 23. MAI
ERINNERUNGEN
DIENSTAG, 24. MAI
ERINNERUNGEN
MITTWOCH, 1. JUNI
DONNERSTAG, 2. JUNI
SONNABEND, 4. JUNI
SONNTAG, 5. JUNI
SONNTAG, 12. JUNI
MONTAG, 13. JUNI
DONNERSTAG, 16. JUNI
SONNTAG, 19. JUNI
MITTWOCH, 22. JUNI
FREITAG, 24. JUNI
SONNTAG, 26. JUNI
MONTAG, 4. JULI
SONNTAG, 24. JULI
SONNTAG, 31. JULI
DIENSTAG, 2. AUGUST
SONNTAG, 7. AUGUST
MONTAG, 8. AUGUST
MITTWOCH, 10. AUGUST
FREITAG, 12. AUGUST
SONNTAG, 14. AUGUST
MONTAG, 15. AUGUST
SONNABEND, 20. AUGUST
SONNTAG, 21. AUGUST
MITTWOCH, 24. AUGUST
MONTAG, 29. AUGUST
MITTWOCH, 31. AUGUST
FREITAG, 2. SEPTEMBER
MONTAG, 5. SEPTEMBER
MITTWOCH, 7. SEPTEMBER
MONTAG, 12. SEPTEMBER
FREITAG, 16. SEPTEMBER
SONNABEND, 17. SEPTEMBER
SONNTAG, 18. SEPTEMBER
DIENSTAG, 20. SEPTEMBER
MITTWOCH, 21. SEPTEMBER
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SONNABEND, 24. SEPTEMBER
SONNTAG, 25. SEPTEMBER
MONTAG, 26. SEPTEMBER
DONNERSTAG, 29. SEPTEMBER
SONNABEND, 1. OKTOBER
DIENSTAG, 4. OKTOBER
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MITTWOCH, 19. OKTOBER
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MITTWOCH, 26. OKTOBER
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MITTWOCH, 2. NOVEMBER
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MONTAG, 7. NOVEMBER
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SONNTAG, 13. NOVEMBER
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SONNTAG, 20. NOVEMBER
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SONNTAG, 19. FEBRUAR
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DONNERSTAG, 6. APRIL
SONNTAG, 9. APRIL
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MITTWOCH, 26. APRIL
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SONNTAG, 30. APRIL
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SONNABEND, 24. JUNI
SONNTAG, 25. JUNI
MITTWOCH, 28. JUNI
FREITAG, 30. JUNI
JULI 2017
MONTAG, 31. JULI
SONNABEND, 5. AUGUST
SONNTAG, 6. AUGUST
MONTAG, 7. AUGUST
FREITAG, 11. AUGUST
SONNABEND, 26. AUGUST
DONNERSTAG, 21. SEPTEMBER
MÄRZ 2020
NOVEMBER 2020
Mein Kind ist ein zartes Geschöpf mit großen, grünlich grauen Augen voller Lebendigkeit und langen glatten Haaren in der Farbe reifer Kastanien. Sie liebt es, auf Bäume zu klettern, Treppengeländer herunterzurutschen und barfuß durch die Wellen am Ostseestrand zu rennen. Sie hat seit einigen Tagen eine neue Brille mit einem schmalen, dunkelblauen Rand, ist einen halben Zentimeter größer als ich und sagt, sie möchte Schornsteinfeger werden. Sie ist heute dreizehn Jahre, zwei Monate und 24 Tage alt. Ihr Lieblingsessen ist Eis, und wenn es nach ihr ginge, würde sie überhaupt nicht ins Bett gehen oder wirklich nur dann, wenn sie zugeben müsste, abgrundtief müde zu sein.
Meine Tochter hat zwei ältere Schwestern, die sie sehr liebt, wobei die Zuneigung zur älteren der beiden, Linda, nicht immer feinsinnig ist, während sie Clara auf eine kesse und doch innig zugeneigte Art liebt.
Sie liest und puzzelt gern, kann in altdeutscher Schrift schreiben und hasst Schule.
Mit diesem Satz steht sie morgens auf und schläft sie abends ein: Ich hasse Schule.
Die einen machen es so und die anderen so, pflegt Vater immer zu sagen. Maja zitiert diesen Lieblingssatz ihres Großvaters gern.
Vielleicht aber gibt es ein paar Dinge, die man GANZ ANDERS machen müsste.
Muss.
Ich sammle Erinnerungen – Bilder, Gedanken und Worte. Wann hat es angefangen, dass Maja sich zu dieser inzwischen strapazierten Aussage bekennt – Ich hasse Schule?
Bis Maja in der ersten Klasse den Weg zur Schule durch die Gärten und am Feldrain entlang allein bewältigen konnte, begleitete ich sie morgens und oft auch mittags nach dem Unterricht. Selbst an Schneetagen wäre sie am liebsten mit dem Rad gefahren.
Wenn im späten Frühjahr der Raps blühte, sagte Maja immer: »Der Raps stinkt«, worauf ich entgegnete: »Aber nein, er duftet nur streng.«
Auch damals gab es Dinge, die mich beschäftigt und mir Kopfzerbrechen bereitet haben. Aber damals ging Maja gern zur Schule. Noch.
Am ersten Schultag in der fünften Klasse wartete ich mit Maja und vielen anderen Kindern und Eltern auf dem Schulhof des Gymnasiums auf die Klassenlehrer der neuen fünften Klassen. Maja war still und ernst und blickte mir immer wieder in die Augen. Obwohl sie die meisten Mädchen und Jungen um mindestens einen halben Kopf überragte, kam sie mir klein, schutzlos und ein wenig verlassen vor.
Nach einer flüchtigen Umarmung und einem geflüsterten »Bis dann« verließ ich den Schulhof, wissend, dass Maja den Weg in die neue Schule allein gehen musste und auch wollte. Maja würde die Musik-Klasse besuchen, eine Klasse mit mehr Mädchen als Jungen, die alle ein Instrument spielten und auch im Chor mitsingen sollten.
Als Maja nach Hause kam, war sie fröhlich und gelöst und erzählte atemlos von ihrer Banknachbarin Laura, von der Kennenlern-Fahrt in der zweiten Schulwoche und wie nett ihre Klasse sei.
»Und deine Klassenlehrerin, gefällt sie dir auch?«
»Ja, Frau Wolf ist so richtig freundlich, sie hat uns alles genau erklärt und gezeigt«, antwortete sie.
So begann der Alltag in der neuen Schule, zu der ich morgens mit Maja zusammen mit dem Rad fuhr, bis sie sich zutraute, den Weg allein zu radeln. Ihren Lieblingssatz Ich hasse Schule sagte Maja damals noch nicht.
Vielleicht begann es mit dem Fabelwesen, das die Kinder in der Schule zeichnen sollten. Maja kam eines Tages im Spätherbst nach Hause und erzählte davon.
»Wir sollen zu Hause schon mal ein paar Ideen dazu sammeln«, sagte sie und setzte sich sogleich mit Malblock, Bleistiften und Radiergummi an den Küchentisch. Später zeigte sie mir ihre Entwürfe. Was für Wunderwerke waren da unter ihren Händen entstanden! Vogelartige Elfenwesen mit zartem Federkleid, mehrköpfige Drachentiere mit groben Gliedmaßen und langem Schweif, fischartige Gestalten mit Flügeln und Flossen …
Als Maja nach dem nächsten Kunst-Unterricht nach Hause kam und ich mich nach ihrem Fabelwesen erkundigte, verfinsterte sich ihre Miene.
»Ich durfte gar nicht so zeichnen, wie ich wollte, Frau Maler hat gesagt, die drei Köpfe von meinem Fabelwesen sind zu mickrig, wir müssen die zu einem großen zusammenfassen, und dann hat sie einfach aus den drei Köpfen einen gemacht.« Ein wenig ungläubig schaute ich sie an.
»Jetzt ist es ihr Fabelwesen, nicht mehr meins, außerdem ist es jetzt nicht mehr fabelhaft, denn einen Kopf hat schließlich jeder«, sagte Maja.
Vielleicht auch begann es mit der Arbeit in Biologie, für die Maja eines Tages im Winter anfing zu lernen.
»Ich kann mir das einfach nicht merken«, schimpfte sie, und später: »Wozu muss ich überhaupt 14 Körperteile eines Haushuhns kennen?«
Als ich sie am Abend vor der Arbeit abfragen sollte, gab sie mir ein Arbeitsblatt mit einem schematisch abgebildeten Huhn. Maja konnte alle gekennzeichneten Körperteile zuordnen, wusste über Ernährung und Fortpflanzung des Haushuhns Bescheid und konnte natürlich praktische Erfahrungen aus Dörfchenomas Hühnergarten in unseren Lernabend einbringen.
Maja schüttelte den Kopf, als ich sie fragte, ob Frau Wolf auch etwas über Massentierhaltung und Legebatterien gesagt habe.
Ganz sicher fiel Majas Lieblingsausspruch, als sie gegen Ende des Schuljahres für eine Musikarbeit lernen musste.
»Ich kann mir diese ganzen Gitarren-Namen nicht merken!«, sagte sie ein wenig verzweifelt. »Wozu muss ich überhaupt Gitarren-Arten aufzählen können?«
Nach einer Weile meinte sie: »Warum muss ich beschreiben können, wie man eine Gitarre spielt, ich kann doch Gitarre spielen. Außerdem kann ich mir die Namen von diesen fremdländischen Musikinstrumenten nicht einprägen.«
»Dann hör doch jetzt einfach auf zu lernen. Pack deinen Musikhefter ein, du warst so fleißig, es wird morgen schon alles klappen.«
»Und wenn ich morgen nichts weiß und mir diese blöden Namen nicht einfallen?«, zweifelte Maja.
»Dann schreibst du einfach, dass es dir im Moment nicht einfällt, dass du aber weißt, wo es steht.«
Maja lachte, packte ihren Musikhefter in den Ranzen und hopste nur wenige Augenblicke später mit einem Eis in der Hand durch den Garten.
»Weißt du, was ich heute gemacht habe?«, fragte Maja, als sie am nächsten Tag aus der Schule kam. »Ich habe wirklich das geschrieben, was du gesagt hast, die Arbeit war schrecklich schwierig!« Und nach einem kurzen Moment: »Bist du jetzt sauer?«
»Aber nein, ich habe es dir doch selbst vorgeschlagen«, beruhigte ich sie.
Als Maja die Musik-Arbeit mit nach Hause brachte, stand neben Majas Bewertung der Zensurenspiegel der Klasse. Es gab keine 1 und keine 6, aber bei 26 Kindern 14-mal eine 4 oder 5, der Klassendurchschnitt lag bei 3,4.
»War Frau Bachmann denn zufrieden mit dem Ergebnis?«, fragte ich.
»Nein, wir müssen uns unbedingt verbessern und vor allem gründlicher lernen, wenn wir eine Arbeit schreiben, hat sie gesagt. Aber sie hat mir ein Smiley hinter meinen Satz gemalt und etwas dazu geschrieben«, sagte Maja.
Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wo es steht, hatte Maja geschrieben. Unter das Smiley hatte Frau Bachmann Das ist toll, aber es hilft dir leider nicht im Test notiert.
Am ersten Schultag in der sechsten Klasse kam Maja mit der Nachricht nach Hause, dass sich nun alles ändern würde.
»Frau Wolf hat gesagt, dass wir jetzt groß sind und es nun richtig losgeht«, verkündete sie.
Das erfuhren wir auch am ersten Elternabend, wo es neben einigen organisatorischen Dingen auch um die beiden Großprojekte in Bio ging – die Waldmappe und das Herbarium. Für die Waldmappe sollte sich jedes Kind einen Baum auswählen und ihn im Lauf der Jahreszeiten beobachten, diese Beobachtungen schriftlich und fotografisch dokumentieren und in einer Mappe zusammenfassen.
»Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Frau Wolf zu uns, »ich arbeite das ganze Jahr mit den Kindern daran und kontrolliere die Ergebnisse ständig, die Arbeit verteilt sich also auf eine lange Zeit.«
Da unser Hausbaum, eine weitkronige, im Herbst goldbelaubte Birke, nicht in einem Wald steht, beschlossen wir an einem sonnigen Sonnabend Anfang Oktober, in den Cottaer Busch zu fahren. Alle unsere Baumvorschläge lehnte Maja ab, eine Birke wolle sie nicht beobachten, einen Nadelbaum auch nicht, die Kastanie würde nicht im Wald stehen und hätte Minier-Motten, der Ahorn wäre zu klein und die Esche zu gewöhnlich.
Endlich entdeckte sie auf einer Lichtung mitten im Wald eine riesige Rotbuche mit einer ausladenden Krone und einem dicken Stamm, in die sie sich sofort verliebte.
»Ein stattlicher Baum«, meinte Martin.
»Erhaben und äußerst respektabel«, begrüßte ich Majas Wahl.
Bald darauf sollten die ersten Blätter für die Waldmappe bei Frau Wolf abgegeben werden, die Seite über das Waldgebiet und der Steckbrief des gewählten Baumes. Da der Cottaer Busch nicht unbedingt zu den bekannten Wäldern gehört, suchten wir Karten in verschiedenen Maßstäben und kopierten sie. Als wir feststellten, dass ein Blatt viel zu klein für die Karten und den Text sein würde, schlug ich Maja vor, doch zwei Blätter zu nehmen.
»Das dürfen wir nicht«, lehnte Maja meinen Vorschlag ab, »Frau Wolf hat gesagt, wir müssen uns genau an die Vorgaben halten!« So schnitten wir an den kopierten Karten herum, versuchten verschiedene Anordnungen, verkleinerten die Schrift ein wenig und schafften es am Ende tatsächlich, alles auf ein Blatt zu bekommen.
»Na, war Frau Wolf mit deinen ersten Blättern für die Waldmappe zufrieden?«, fragte ich Maja, als sie einige Tage später die Mappe auf den Tisch legte.
»Nicht besonders«, antwortete Maja und schlug ihren Hefter auf. Eine Wellenlinie war an der rechten Seite des Blattes über das Waldgebiet zu sehen, daneben stand ein einziges Wort: Rand!
Maja war natürlich nicht damit einverstanden, die Bemerkung und die Wellenlinie einfach wegzuradieren. Auch die säuberlich aufgeklebten Kopien ließen sich nicht ohne Knitter und Risse vom Papier lösen.
»Dann müssen wir wohl oder übel mit der ganzen Arbeit von vorn beginnen«, sagte ich. Maja nickte seufzend.
Als Maja mit der Arbeit an den Tier-Steckbriefen und den Blättern zu den Jahreszeiten begann, zeigte sie mir die vorgegebene Gliederung für die Waldmappe. Einige Gliederungspunkte hatten nur einen Unterpunkt, was in schriftlichen Arbeiten weder inhaltlich noch formal gerechtfertigt ist. Lange überlegten Martin und ich, ob wir Frau Wolf darauf hinweisen sollten, und entschieden uns im Hinblick auf all die Arbeiten, die die Kinder während der Schulzeit und des Studiums noch schreiben würden, dafür.
Nach der nächsten Bio-Stunde fragte ich Maja, ob Frau Wolf die Gliederung für die Waldmappe noch einmal mit der Klasse besprochen habe.
»Ach, sie hat nur gesagt, wir lassen die Gliederung so, wir sind doch keine Wissenschaftler«, antwortete sie.
Der Wintertag, an dem wir wieder zu Majas Baum wanderten, war schneebleich und frostig. Unter der Buche, die uns, nun fast laublos, die verzweigte Gestalt ihrer Krone offenbarte, tranken wir Glühwein und Kinderpunsch und knabberten Zimtplätzchen, während uns die vollkommene Stille des Winterwaldes umfing. Die Sonne sank schon in die Wipfel der Bäume, als wir durch den Schnee zurückstiefelten.
Als wir an einem sonnigen Sonntag Ende April wieder in den Cottaer Busch zogen, um das Gedeihen der Buche im Frühjahr zu dokumentieren, bemerkten wir schon von Weitem eine Veränderung auf der Waldlichtung, die im ersten Moment ungewöhnlich licht und weit wirkte, bis Maja mit entsetztem Gesicht stehen blieb, entgeistert sagte: »Mein Baum ist weg«, und in Tränen ausbrach.
Es gab einfach kein Argument, das Maja trösten konnte, sie war der Überzeugung, dass alle Arbeit umsonst gewesen ist, weil sie ja nun nichts über ihren Baum im Frühling schreiben könne.
»Frau Wolf bringt mich um, und ich muss die sechste Klasse wiederholen«, schniefte Maja. Dann war sie doch einverstanden, den Baumstumpf, das im Wald gestapelte Buchenholz und die Buchensprösslinge und -bäumchen auf der Lichtung zu fotografieren.
»Das ist der Gang der Dinge«, sagte ich.
»Es ist wirklich unglaublich, da steht der Wald voller Bäume, und ausgerechnet unser Baum wird gefällt«, meinte Martin.
An dem Tag, an dem Maja die Waldmappe bei Frau Wolf abgeben musste, fuhr sie ein wenig verzagt und ziemlich unruhig zur Schule.
»Na, hat Frau Wolf dich umgebracht?«, fragte ich Maja, als sie am Nachmittag aus der Schule kam. Da musste selbst Maja lachen.
»Nein, nein, sie hat gesagt, das ist der Gang der Dinge und eigentlich eine großartige Geschichte, denn so etwas hat es noch nie in einer Waldmappe gegeben.«
Jetzt lächelte ich.
Nur wenige Tage später begann Maja mit der nächsten großen Hausaufgabe in Biologie, dem Herbarium. Auf dem Blatt mit der Anleitung für das Herbarium war genau aufgelistet, wie viele Pflanzen welcher Familien zu sammeln waren und wie die Beschriftung aussehen sollte.
Mit meinem Naturführer, einem alten Buch, Zeitungsbögen und Schreibzeug im Gepäck fuhren wir an einem windigwarmen Sonnabend auf die Frühlingswiesen im Osterzgebirge. Als wir Rotklee, Wiesenschaumkraut und Löwenzahn gefunden und gepflückt hatten, sagte Maja plötzlich: »Wir müssen doch die Wurzeln mit pressen.«
»Die Wurzeln?«, fragte Martin skeptisch.
Also suchten wir neue Pflanzen, die wir versuchten auszugraben, was wegen der Trockenheit recht schwierig war, probierten das Pressen der Pflanzen mit den Wurzeln, was wegen der Dicke und Größe überhaupt nicht ging, und kamen schließlich auf die Idee, die Wurzeln mit dem Taschenmesser längs zu halbieren, auch das ein ziemlich kompliziertes Unterfangen.
Im Osterzgebirge gibt es naturbelassene Wiesen von seltener Vielfalt, fernab der allgemein bekannten und begangenen Wanderwege, inmitten der Steinrücken, kleiner Waldgebiete und beschaulicher Dörfer. Während Maja an jenem Sonnabend barfuß über die blühenden Wiesen lief und immer wieder neugierig nach den Namen verschiedener Wildkräuter und Blumen fragte, erzählte ich ihr von dem Herbarium aus meiner Schulzeit, für das ich einen Karton gebraucht hatte, weil die über 80 gesammelten und gepressten Pflanzen nicht in einen Hefter gepasst hatten.
»So viele Pflanzen würde ich auch gern sammeln«, sagte sie mit einem verträumten Blick über die blumenbunten Wiesen.
»Aber das könntest du doch machen«, antwortete ich, »was meinst du, wie viele Pflanzen ich damals durch mein Herbarium kennen gelernt habe.«
»Nein, das dürfen wir nicht!«, rief Maja, »Frau Wolf hat gesagt, wir müssen uns genau an die festgelegte Anzahl halten, sonst gibt es Punktabzug.«
Einige Wochen später kontrollierte Maja ihre gepressten Pflanzen, die inzwischen getrocknet waren und nun aufgeklebt und beschriftet werden mussten. Auf dem Aufgabenblatt für das Herbarium waren für die Beschriftung sechs Unterpunkte vorgegeben: Pflanzenart, Pflanzenfamilie, Standort, Fundort, Sammeldatum und Name des Sammlers.
»Den lateinischen Namen der Pflanze müsstest du auch mit notieren, denn viele Pflanzen haben verschiedene deutsche Namen«, riet ich Maja. »Das Gänseblümchen heißt beispielsweise auch Maßliebchen. Durch den lateinischen Namen Bellis perennis weiß man genau, welche Pflanze zu sehen ist.«
»Das dürfen wir nicht«, sagte Maja, »Frau Wolf hat gesagt, wir sollen uns genau an die Aufgaben halten.«
Eines Abends in jenem Frühjahr sagte Maja:
»Heute muss ich noch ein Interview mit euch machen, wir müssen in Englisch ein Plakat über die musikalischen Interessen unserer Familie gestalten.«
Als sie wenige Tage später Martin ihr fertiges Konzept zeigte, fragte er: »Sollt ihr darüber einen Aufsatz schreiben, oder wird es eher ein Vortrag?«
»Wir müssen einen Vortrag halten und ein Plakat im Format A2 mit Bildern und dem Text gestalten. Hast du so ein großes Blatt, Mama?«
Natürlich hatte ich kein A2-Blatt vorrätig, so dass ich Maja auf den nächsten Abend vertrösten musste.
Familienhausaufgaben.
Während Martin mit Maja noch einmal den Text am PC durchging, schrieb ich die Überschrift My family’s interest in music vor und suchte in alten Programmheften und Zeitschriften nach passenden Bildern.
An diesem Abend ging Maja spät ins Bett, aber ihre Hausaufgabe war fertig geworden.
Einige Tage später brachte Maja ihr A2-Blatt wieder mit nach Hause, knallte es wütend auf den Tisch und sagte: »Ich hasse Schule!«
»Nanu«, fragte ich, »habt ihr das Plakat schon zurückbekommen?«
»Wir müssen bis morgen alle Fehler verbessern und es dann wieder abgeben! Stell dir mal vor, was Laura jetzt machen soll, sie hat alles direkt auf das große Blatt geschrieben! Ich muss wenigstens alles nur neu ausdrucken!«
Und ausschneiden und aufkleben, dachte ich.
Wir saßen in der Küche und zerstörten die Arbeit von Tagen, als Martin nach Hause kam. Ungläubig schüttelte er den Kopf; noch mehr ärgerte er sich darüber, dass er beim Korrigieren einzelne Fehler übersehen hatte.
»Was will Frau Engel denn eigentlich mit so vielen großen Plakaten anfangen?«, fragte er.
»Sie hat gesagt, alle halbwegs ordentlichen Arbeiten stellt sie im Englisch-Zimmer aus«, antwortete Maja.
Damals lernten in Majas Klasse 24 Kinder. Maja war unter den sieben Kindern, die ihre Arbeiten aushängen durften.
An einem der hellen Tage im Juni, wenige Wochen vor Schuljahresende, begrüßte mich Maja mit ihrem Lieblingssatz, als ich aus der Kindervilla, ein Familienzentrum in unserem Stadtgebiet, nach Hause kam.
»Ich hasse Schule und ich will, dass morgen die Ferien beginnen«, stöhnte sie und schob ihren Bio-Hefter weit von sich.
»Bald hast du es geschafft«, tröstete ich sie, »es sind nur noch ein paar Wochen. Was jammerst du denn?«
Maja holte ihren Hefter von der äußersten Tischkante zurück und schlug ihn auf.
»Ich weiß ja, was der Kopf von einem Käfer ist, aber warum muss ich den Unterschied zwischen Deck- und Hautflügeln kennen, es reicht doch, dass ich weiß, ob ein Insekt Flügel hat oder nicht.«
»Im Prinzip schon«, antwortete ich.
»Siehst du!«, sagte Maja triumphierend. »Und ich muss morgen 16 Körperteile eines Maikäfers oder einer Stubenfliege oder von sonst was benennen können. Ich hab einfach keine Lust, das zu lernen.«
An diesem Abend saßen wir zusammen am Küchentisch und Maja benannte alle Körperteile des Käferschemas, konnte mir die Unterschiede von Lauf- und Schwimmbeinen erklären und ausführlich das Leben in einem Tierstaat schildern.
»Hast du schon jemals einen echten Maikäfer gesehen?«, fragte sie mich, als wir im blauen Licht des Abends auf der Treppe hinter dem Haus standen und ein Glühwürmchen beobachteten, das still durch den Garten schwebte.
Abschied vom Sommer – von den hellen Abenden, den Ferien, von der gelebten Freiheit zeitloser Urlaubstage.
Maja hat mit strahlenden Augen ihre kleine Zuckertüte ausgepackt und ist wegen des Augustregens mit Martin zur Schule gefahren. Clara hat sich für ein paar Tage auf den Weg zu einem Freund begeben, so ist die erste Woche des neuen Schuljahres eine dreisame Woche, ein Zustand, an den wir uns erst gewöhnen müssen.
Auch zu Beginn des siebten Schuljahres kommt Maja mit der Nachricht nach Hause, dass Frau Wolf gesagt hat, nun seien sie groß und es würde jetzt richtig losgehen, was sich auch bewahrheitet, denn nach kaum zwei Schulwochen soll das erste Plakat in Englisch angefertigt werden.
»Gestalte ein Plakat zum Thema Die Interessen meiner Familie für Sport«, liest Maja mir die Aufgabenstellung vor.
Meine Vorschläge, diese Hausaufgabe doch witzig zu gestalten und zu schreiben, Papa interessiere sich für Rhythmische Sportgymnastik und Synchronschwimmen, sie für asiatische Kampfsportarten und ich für Boxen und Wrestling, lehnt Maja kopfschüttelnd und mitleidig lächelnd ab.
Frau Engel begleitet die Arbeit der Kinder diesmal mit mehr Bedacht, denn Maja sagt: »Aber keine Angst, ich muss erst mal nur den Text abgeben, für das Plakat haben wir fast zwei Wochen Zeit.«
Abends, als Maja schon schläft und Martin mit dem Korrigieren von Majas Text fertig ist, sage ich zu ihm: »Maja hasst Schule und ich hasse diese ewigen Plakate.«
An einem nebelsonnigen Sonnabendmorgen fahren Maja und ich mit dem Zug Richtung Spreewald.
Martin erwartet uns schon, wir mieten uns zwei Boote und paddeln lange Stunden durch die schattigen Fließe und die Spree entlang, den Ortschaften ausweichend, um ganz in die lichtdurchflutete, rauschende Stille dieser besonderen Landschaft einzutauchen.
Als wir durch das warme Licht des Spätsommerabends nach Hause fahren, schlummert Maja erschöpft ein.
Wochen später frage ich Maja: »Was ist eigentlich aus deinem Plakat über deine sportinteressierte Familie geworden?«
»Ach, wir haben eine Zensur bekommen und Frau Engel hat die meisten Plakate im Englisch-Raum aufgehängt«, antwortet sie.
Auf der Suche nach einem Spiegel für Claras Wohnheimzimmer steige ich zur Abstellkammer auf den Spitzboden unterm Dach. Maja muss vor nicht allzu langer Zeit eine der wohlverpackten Kisten geöffnet haben, denn in einem Winkel entdecke ich ihre Spielecke: Puppenstubenmöbel, die zu einem Wohnzimmer aufgebaut sind, in den Sesseln die Püppchen, auf dem Tisch eine verstaubte Papierblume, das Puppenbaby in der Wiege.
Ich denke in diesem Augenblick, dass Maja wirklich noch ein Kind ist.
In den verbleibenden sieben Schultagen bis zum Beginn der Herbstferien schreibt Maja noch vier Tests in Mathe, Englisch, Musik und Ethik und eine Klassenarbeit in Mathe, dazu kommen Hausaufgaben, eine mündliche Leistungskontrolle in Deutsch und ein Liedtext, den sie für den Musikunterricht lernen muss.
An diesem Abend erzählt Maja, dass sie schon wieder ein Plakat anfertigen muss, und verdreht dabei die Augen.
»Aber diesmal ist es kein Plakat, Frau Müntzer hat gesagt, wir sollen eine Schautafel machen«, informiert uns Maja.
»Wo soll denn da der Unterschied sein«, sagt Martin seufzend.
Maja übergeht diese Bemerkung, öffnet ihr Hausaufgabenheft und erklärt uns: »Wir sollen die Entdeckungsfahrten von acht Seefahrern beschreiben, die Wege auf einer Karte darstellen, Kurzbiografien entwerfen, den Auftraggeber für die Fahrten notieren und die Bedeutung der Fahrten mit aufschreiben, außerdem sollen der Maßstab und eine Legende auf das Plakat, die Kreativität wird auch bewertet.«
Martin wirft mir einen verzweifelten Blick zu und schüttelt langsam den Kopf, ich frage Maja, wie viel Zeit wir denn dafür haben.
»Am Donnerstag nach den Ferien müssen wir das Ding abgeben«, antwortet sie.
»Na, dann erholsame Ferien«, sagt Martin.
Durch einen sonnigen Tag fahren wir in den Hainich, wo uns ein kleines, urgemütliches Fachwerkhaus für die erste Ferienwoche aufnimmt und, wie Maja sagt, zu einem Kurzzuhause wird. Wir radeln durch eine herbstliche Landschaft, deren Farben verschwenderisch leuchten und die uns freimütig ihre Schätze offenbart; Äpfel, Birnen, Kastanien und Bucheckern wandern in unsere Taschen. Maja sammelt Blätter in Rot-, Gelb- und Braunschattierungen, die wir in einem alten Buch pressen und am Abend unter Martins großen Koffer auf den Schrank legen.
Eines Morgens erwache ich und spüre schon im ersten Augenblick, dass sich etwas verändert hat – großflockiger Schnee sinkt lautlos am Fenster vorbei und lässt die Oktoberfarben verblassen.
Ich gehe zum Bäcker und fange den Herbstwinter mit meiner Kamera ein: Rosen mit Spitzenhäubchen, verblühende Kräuter im Wintermantel, das Warmgelb des Buchenlaubteppichs unter einem Schneeschleier …
Kaum sind wir wieder zu Hause, wird Maja unruhig.
»Ich muss noch das Plakat über die Seefahrer machen«, sagt sie.
»Hat Frau Müntzer denn gesagt, wo genau ihr euch informieren sollt, steht vielleicht etwas in eurem Buch darüber?«
»Nein, sie hat nur gesagt, wir finden alles im Internet«, antwortet Maja.
Als Schulmädchen in der sechsten und siebten Klasse saß ich mit Falk in einer Bank, er war ein stiller, an vielen Dingen interessierter Schulfreund, der viel las und in derselben Straße wohnte wie ich. Wir hatten eine gemeinsame Leidenschaft – die Seefahrt. Falk besaß zahlreiche Bücher, die er mir mit in die Schule brachte, ich holte Bücher aus der Bibliothek, die wir beide lasen. So wurde uns die Welt von Kolumbus und Magellan vertraut, wir fieberten mit Amundsen und Scott um die Erreichung des Südpols und kannten uns mit Methoden zur Wassergewinnung auf See und mit dem Krankheitsbild von Skorbut aus. Wir sammelten Bilder und Zeitungsartikel, schauten in der Flimmerkiste Robinson Crusoe, Die Schatzinsel und Der Seewolf und tauschten uns während der Pausen über unsere neuesten Erkenntnisse aus. Für uns war diese Welt lebendig.
Viele Stunden bringt Maja vor dem PC zu, flucht allenthalben über die Technik, verzweifelt fast an der Unmenge unsortierter Informationen, kann sich nicht für die Bilder entscheiden und fragt, wie das jemals alles auf ein Blatt passen soll.
Mutti ruft an und fragt: »Will Maja vielleicht noch für zwei oder drei Tage zu uns kommen?« Ich reiche das Telefon weiter.
»Ich will so gern«, sagt Maja seufzend zu ihr, »aber mir sitzt dieses blöde Plakat im Nacken, das muss ich erst fertig machen.« Trotzdem versprechen wir Mutti, übermorgen zu kommen.
Lange sitzen Maja und ich zusammen vor dem Bildschirm und korrigieren und kürzen das Geschriebene, wählen die letzten Fotos aus und suchen nach einer geeigneten Karte für die Darstellung der Entdeckungsfahrten. Während ich die Überschrift schreibe und die Bilder ausschneide, schreibt Maja noch die Legende für die Karte.
Abends kommt Martin und stellt fest: »Ihr sitzt ja immer noch an eurem Plakat.«
»Euer Plakat ist gut«, antworte ich und frage ihn, ob er sich den Text auch einmal durchlesen will. Martin will. So sitzt er wenig später vor dem Computer und liest, während ich Kürbissuppe koche.
»Also, um ehrlich zu sein, ich habe einige der Namen dieser Seefahrer noch nie gehört«, sagt Martin, als wir mit dem Abendessen fertig sind und noch beim Flackern der Kerzen in der Küche sitzen und Tee trinken.
Plötzlich höre ich Maja, die schon wieder am PC arbeitet, weinen.
»Ich hab ganz vergessen, die Bedeutung der Entdeckungsfahrten mit aufzuschreiben, außerdem passen diese ganzen Fahrten nie auf die Karte, vor lauter Strichen sieht man gar nicht mehr durch«, schluchzt sie.
»Die Bedeutung dieser Entdeckungsreisen kannst du für alle Seefahrer zusammenfassen«, schlägt Martin vor und setzt sich mit Maja an den PC, während ich den Tisch abräume.
Die Karte vergrößern wir und drucken sie erneut aus, die Schriftgröße verkleinern wir, Martin formatiert den Text ein wenig anders, ich empfehle Maja, die Namen der Seefahrer farbig zu schreiben, Maja hebt noch die Reisedaten hervor – endlich sind wir fertig und können den Text ausdrucken.
Am nächsten Vormittag zeichnet Maja mit bewundernswerter Akribie und Geduld die zwölf Reisen farbig in die Karte ein, ich drucke noch zwei historische Schiffe zur Gestaltung des Plakates aus und schneide die Texte zurecht, die Maja später farbig umrandet. Zusammen schieben wir die Texte, Bilder und die Karte auf dem Blatt hin und her, bis alles ein eindrucksvolles Gesamtbild ergibt.
»Fertig!«, ruft Maja, als sie alles aufgeklebt hat.
»Na, ist dein Plakat fertig?«, fragt Martin, als er am Abend nach Hause kommt. Er ist sichtlich beeindruckt, als Maja ihm das Blatt präsentiert.
»Das ist ja ein richtiges Kunstwerk geworden!«, sagt er anerkennend.
Später, als Maja ihre Sachen für den Omabesuch gepackt hat und im Bad ist, meint er: »Ich denke, für Kinder in der 7. Klasse ist diese Aufgabe nicht angemessen, was machen denn die Kinder, deren Eltern nicht mithelfen können oder wollen? Und dann noch in den Ferien!«
Ich zucke mit den Schultern. »Jedenfalls hatte Maja wegen der Tests und Klassenarbeiten keine rechte Zeit, vor den Ferien damit zu beginnen.«
Zu dritt fahren wir ins Theater, um uns Wolfgang Herrndorfs Stück Bilder deiner großen Liebe anzuschauen. Andächtig lauschend sitzt Maja neben mir, still lächelnd, manchmal leise kichernd, in ihren Augen den Glanz des Bühnenlichts.
»Einfach hatte es Isa bestimmt nicht, aber sie war so bewundernswert lebensmutig und wirkte einfach so … lebendig«, sagt Maja nachdenklich.
Der Schulalltag hat uns wieder, unbarmherzig klingelt morgens vor Tau und Tag der Wecker, die Müdigkeit ist wieder mein ständiger Begleiter und ich bin bemüht, Maja immer ein wenig froh zu stimmen, ist sie doch so oft verzagt und von Unlust geplagt ob der alltäglichen Schulstunden.
Mild und voller Licht beginnt der November, ich empfange die verklingenden Farben und jenes besondere Herbstlicht als kostbares Geschenk.
Die Voradventszeit beginnt. Feierlich entzünden wir das erste Räucherkerzchen und entfachen am Abend im Garten ein Feuer, mit dem wir den November begrüßen. Maja liebt es, am Feuer zu sitzen, Holz nachzulegen, Stöckchen ins Feuer zu werfen oder sie als Fackeln ins Nachtdunkel zu halten. Es gibt den ersten Glühwein des Winters und Kinderpunsch.
»Wie viele Wochen sind es noch bis zu den Ferien?«, fragt sie.
»Ziemlich viele«, antworte ich und überlege, »ungefähr sieben.«
Maja erzählt, dass sie in Kunst schon wieder ein Plakat gestalten muss: »Über den Hell-Dunkel-Kontrast«.
»Etwa wieder als Hausaufgabe?«, frage ich.
»Nein, wir machen das in der Schule, Frau Maler hat uns sogar den großen Papierbogen dafür gegeben. Wir müssen zu Hause nur ein Gedicht schreiben, das genau zu unserem Baum passt.«
Maja zeigt mir den Baum, den sie im Unterricht gezeichnet und mit verschiedenen Techniken zu Papier gebracht hat – ein starkes, breitwurzliges Wesen mit groben Ästen und kräftigen, spitzen Zweigen.
»Mein Baum sollte nicht schön und nicht romantisch aussehen«, sagt Maja.
»Dann sollte auch dein Gedicht nicht so sein«, antworte
ich.
Maja nennt ihr Gedicht Baumgesichter, mit schwarzem Stift schreibt sie es auf eine Kopie ihres Baumes.
Es ist ein Donnerstag im November, als Maja mit finsterer Miene nach Hause kommt und mich, als ich ihr die Tür öffne, mit dem Satz »Ich hasse Schule!« begrüßt.
Neben ihrem Ranzen steckt eine Papierrolle in ihrem Fahrradkorb, die sich bald schon als ihr Seefahrer-Plakat entpuppt. Achtlos klemmt sie sich die Rolle unter den Arm und lässt sie in ihrem Zimmer zu Boden fallen.
»Man kann denen einfach nichts recht machen, ich hab nur eine 2 bekommen«, sagt sie wütend.
Eingedenk der vielen Arbeit und all ihrer Mühen kann ich dieses nur eine 2 durchaus verstehen.
»Ihr habt doch auf diese Riesenarbeit sicher zwei Zensuren bekommen«, vermute ich, aber Maja sagt aufbrausend:
»Wo denkst du hin! Es gab eine einzige Zensur, und nur eine einzige Arbeit wird ausgestellt, und zwar die von Laura!«
»Was hat Frau Müntzer denn an deinem Plakat nicht gefallen?«
»Erstens ist es eine Schautafel und zweitens hat sie gesagt, ich hätte die Bedeutung jeder einzelnen Fahrt aufschreiben müssen.«
Wie so oft schüttle ich ungläubig den Kopf. Wie kann man eine solche Enttäuschung mildern, mit welchen Argumenten kleinreden, welche plausible Erklärung für diese Entscheidung finden?
Fünf Tage später.
Maja kommt aus der Schule nach Hause und ruft fröhlich: »Ich hab in der Englischarbeit eine 2!«
Ich drücke Maja zur Begrüßung an mich und streiche ihr übers Haar.
»Frau Engel hat mir noch eine 2 gegeben, obwohl mir ein Punkt gefehlt hat«, sprudelt es aus Maja hervor, »aber weil ich statt 150 Wörtern 320 über Manchester geschrieben habe, hat sie Noch 2 und Fleißig! unter meine Arbeit geschrieben.«
»Was für eine kluge Lehrerin«, sage ich.
»Das finde ich auch«, lacht Maja.
Am Abend vor dem Inseltag backen wir die ersten Weihnachtsplätzchen.
Erloschen sind alle Farben des Herbstes, die dunkelsten Wochen des Jahres sind angebrochen, es ist die Zeit der langen Nächte. Überall im Haus stehen Kiefern- und Tannenzweige und rote Kerzen, die Pyramide dreht sich wieder.
Maja sitzt an ihren Deutsch-Hausaufgaben, sie muss zum Thema Umgang miteinander sechs Sprichwörter formulieren und auf einem Blatt bildlich darstellen.
»Kennst du welche?«, fragt sie nach einer Weile. »Mir ist nur Nicht den Kopf in den Sand stecken und Nicht auf der Nase herumtanzen lassen eingefallen.«
Nach langem Überlegen haben wir sechs Sprichwörter gefunden.
»Und wie soll das alles auf ein Blatt passen?«, fragt Maja.
Ich helfe ihr dabei, das Blatt in sechs gleichgroße Felder einzuteilen, und ziehe ihr die Zeilen für die Überschrift vor.
»Du musst eben ziemlich klein schreiben und die Bildchen dazu nur knapp skizzieren«, sage ich.
»Und was meint Frau Germann mit formulieren?«, fragt Maja.
Ich zucke mit den Schultern.
»Vielleicht sollst du dir eine geeignete Form ausdenken, also nicht nur Stichpunkte schreiben. Ich weiß es auch nicht.«
Als Maja fertig ist mit ihrer Hausaufgabe, stehen die Sprichwörter als Fragen, Aufforderungen oder Ausrufe auf dem Blatt, darunter hat sie jeweils in Klammern deren Bedeutung notiert. Die mit Buntstiften gemalten Illustrationen passen trefflich dazu und sind kleine, humorvolle Kunstwerke geworden.
Sonnig und mild sind die Dezembertage. Für ein verlängertes Wochenende fahren Linda, Maja, Martin und ich ins Erzgebirge, für uns eine Auszeit im vorweihnachtlichen Trubel, für Maja ein zusätzlicher Wochenendtag, den Frau Wolf ihr anstandslos gewährt hat.
»Ich hab’s gut«, sagt Maja.
Linda, Maja und ich fahren einen Tag eher als Martin mit dem Zug in einen Lila-Wolken-Abend hinein.
»Urlaub, Urlaub!«, sagt Linda immer wieder. Während der Fahrt durch das dunkle Tal der Zschopau drückt Maja ihre Nase ans Zugfenster, um einen Blick auf die erleuchteten Häuser zu erhaschen, wir spielen Skat, trinken Kaffee und schwatzen miteinander.
Der Zauber des Erzgebirges in der Adventszeit. Wir wandern durch die steilen Straßen und aus der Stadt hinaus zum Pöhlberg, bestaunen die zahllosen Lichterbögen in den Fenstern und bummeln allabendlich über den Weihnachtsmarkt, wo wir heißen Met und Kinderpunsch trinken. Ich zeige Maja und Linda das Fenster mit dem Schwibbogen hoch über dem Markt, aus dem mein Großmütterchen einst wartend schaute, sooft wir zu Besuch kamen.
Ein Ort der Erinnerungen.
In zwei Wochen ist Weihnachten. In jeder freien Minute sitzen wir zusammen am Küchentisch und basteln Sterne.
»Können die Ferien nicht schon morgen beginnen?«, fragt Maja.
Die letzten Schultage vor den Ferien haben es in sich, fast jeden Tag werden Tests und Arbeiten geschrieben. Maja hat das Lernen satt, sie ist müde und hat Husten. Als ich ihr vorschlage, doch einen Tag zu Hause zu bleiben, lehnt sie ab.
»Morgen schreiben wir einen Mathe-Test, wenn ich den verpasse, komme ich nächste Woche mündlich dran«, sagt sie.
Freitagnachmittag.
»Na, mein müdes Mädchen, hast du den Tag geschafft?«, frage ich Maja, als sie aus der Schule kommt. Dämmerlicht hängt im Geäst der Bäume, aus denen es leise tropft.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, was heute in Mathe passiert ist«, sagt sie. »Herr Terme hat am Ende der Stunde Hausaufgabe an die Tafel geschrieben. Wir haben natürlich alle gestöhnt, aber darunter hat er dann Bemerke, dass Advent ist! geschrieben.«
Am letzten Schultag vor Weihnachten kommt Maja zwei Stunden früher nach Hause als sonst.
»Endlich Ferien!«, ruft sie, legt ihre Deutsch-Hausaufgabe auf den Küchentisch und sagt: »Ich hasse Schule, und zwar richtig!«
Ich nehme das Blatt zur Hand. In jedem der sechs Sprichwörter ist das Du, Ich oder Wir rot unterstrichen.
»Frau Germann hat es nicht gepasst, wie ich die Sprichwörter formuliert habe, außerdem hat sie gesagt, ich hätte den Rand breiter machen müssen«, erzählt Maja.
Ich nehme mein Mädchen in die Arme und sage, dass sie die Hausaufgabe in allen Punkten erfüllt hat.
Ob das Maja wirklich tröstet – ich weiß es nicht.