Verdorbene Asche - Thomas Michalski - E-Book

Verdorbene Asche E-Book

Thomas Michalski

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Beschreibung

Ein alter Brauch birgt ein finsteres Geheimnis Jedes Jahr pilgern die Leute aus dem ganzen Umland in ein kleines Eifeldorf, um einem ganz besonderen Osterritus beizuwohnen: Große Räder aus Holz werden mit Stroh und Reisig versehen, entfacht und eine kleine Steilklippe nahe der Siedlung hinabgeschickt, um die bösen Geister zu vertreiben. Ein Brauch, vielleicht so alt wie das Dorf selbst. Doch als der ansässige Pfarrer während der Karfreitagsprozession ums Leben kommt, gerät das ganze Fest aus den Fugen. Weder der junge, vor kurzem erst zugezogene und unerwartet an sein Amt gekommene Bürgermeister, noch eine Journalistin, die eigentlich nur für einen Brauchtumsbericht angereist ist, können sich auf die Vorgänge einen Reim machen. Als jedoch schon am Tag nach dem Mord ein Ersatz für den verstorbenen Priester eintrifft, angeblich direkt aus der Heiligen Stadt, ist den beiden eines klar: Hier geht es um mehr, als es zunächst den Anschein hat.

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Jedes Jahr pilgern die Leute aus dem ganzen Umland in ein kleines Eifeldorf, um einem ganz besonderen Osterritus beizuwohnen: Große Räder aus Holz werden mit Stroh und Reisig versehen, entfacht und eine kleine Steilklippe nahe der Siedlung hinabgeschickt, um die bösen Geister zu vertreiben. Ein Brauch, vielleicht so alt wie das Dorf selbst.

Doch als der ansässige Pfarrer während der Karfreitagsprozession ums Leben kommt, gerät das ganze Fest aus den Fugen. Weder der junge, vor kurzem erst zugezogene und unerwartet an sein Amt gekommene Bürgermeister, noch eine Journalistin, die eigentlich nur für einen Brauchtumsbericht angereist ist, können sich auf die Vorgänge einen Reim machen.

Als jedoch schon am Tag nach dem Mord ein Ersatz für den verstorbenen Priester eintrifft, angeblich direkt aus der Heiligen Stadt, ist den beiden eines klar: Hier geht es um mehr, als es zunächst den Anschein hat.

Über den Autor

Thomas Michalski, Jahrgang 1983, verbrachte seine Kindheit und Jugend in der schroffen Landschaft der Eifel. 2003 zog er nach Aachen und absolvierte dort an der RWTH ein Studium der Germanistischen und Allgemeinen Literaturwissenschaft sowie der Philosophie.

Er war dort mehrere Jahre als Journalist tätig, veröffentlicht Artikel in verschiedenen Fachmagazinen und ist der Autor mehrerer Bücher aus den Bereichen Sachbuch und Belletristik.

Heute ist er in die Eifel zurückgekehrt, arbeitet dort als Layouter und Grafiker und widmet sich nebenher weiterhin seinen Büchern.

Weitere Bücher von Thomas Michalski

Belletristik

Verfluchte Eifel

Schleier aus Schnee

Pollenläufer (geplant)

Weltenscherben (geplant)

Sachbücher

Einfach Filme machen

Für meine Mutter. Sie war meine erste Leserin.

Für meinen Vater. Seine Geschichten waren mein Tor in die Welt des Erzählens. Ihr werdet mir immer fehlen.

Triggerwarnungen findet ihr auf Seite → dieses Buches.

Inhaltsverzeichnis

Funken: Gründonnerstag

Prolog

Glut: Karfreitag

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Flammen: Karsamstag

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Asche: Ostersonntag

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Rauch: Ostermontag

Epilog

Nachwort

Funken.
Gründonnerstag.
Prolog

Die Flammen drängten die Dunkelheit zurück. Langsam, aber beständig schob sich der Fackelzug den Abhang hinauf. Wie jedes Jahr hatten sie die Feuer am Fuß des Felsens entzündet, dort, wo in der Osternacht die brennenden Räder aufschlagen würden. Und nun trugen sie das Licht den halben Weg hinauf, bis in das Dorf.

Die Nacht war kalt. Das Feuer spendete Licht und hüllte den Wald doch in tiefe Schatten. Für die Bewohner von Eschenfeld gehörte es dazu. In vergangenen Jahren hatte es zu Ostern auch schon geschneit, eine sternklare Nacht war insofern milde zu nennen. Wer auch immer den Ort einst begründet hatte, hatte seine Wurzeln an der Wetterseite des Tales geschlagen und die Bewohner hatte dies ebenso geformt wie die Häuser. Trotzig, nannte man sie.

Die Prozession verlief schweigend. Ein Schniefen oder Husten hier, das Rascheln der Kleidung dort, aber niemand sprach. Wenn, dann wäre das die Aufgabe des Pfarrers gewesen, doch die Tradition sah vor, dass er sie im Ort erwartete. Dort bereitete er auf dem Kirchplatz eine kleine Feuerstelle vor, die dann von der Gemeinde entfacht wurde. Eine Glutwache würde die zarte Flamme behüten – und manchmal, das wusste stillschweigend jeder im Ort, auch wieder neu entfachen, wenn der Wind es schlecht mit ihnen meinte –, um sie dann am Abend des Ostersonntag feierlich zu den Feuerrädern zu bringen. So, wie sie es jedes Jahr machten.

Eine Thermoskanne mit dampfendem Kaffee machte die Runde, Leute dankten einander stumm und langsam schwerer atmend. Eschenfeld lag im Hang, schmiegte sich in das steile Gelände. Es gab Häuser, die zum Tal hin drei Stockwerke mit Fenstern zeigten, doch zugleich zum Hang gerade eben mit dem Giebel über die Erde ragten. Aber sie waren ohnehin alle hier aufgewachsen, sie kannten ihren Heimatort nicht anders.

Plötzlich brach Unruhe aus. Der Schein oben im Dorf nahm an Intensität zu. Das waren nicht mehr die Straßenlaternen, das war ein Feuer. Hatten sich irgendwelche Kinder davongestohlen und das Feuer an der Kirche vor ihnen entfacht? Aber selbst dafür war es viel zu hell.

Dann ertönte die Sirene. Manchmal wurde sie noch getestet, aber es war Jahrzehnte her, dass man sie ernsthaft genutzt hatte. Auf- und abschwellend hallte ihr schriller Ton über die Prozession hinweg ins Tal.

Bewegung kam in die Leute. Sie mühten sich schneller die steile Straße hinauf, traten die Fackeln aus oder übergaben sie den Älteren, die ohnehin nicht Schritt halten konnten. Sie stürmten in das Dorf, passierten die ersten Grundstücke, kürzten durch den kleinen Park ab und hielten auf die Kirche zu. Aber es war nicht die Feuerstelle, die brannte.

Wie in Zeitlupe wandten die Bewohner ihre Blicke zur Seite. Ihre Augen folgten dem tanzenden Flug der Funken. Sie sahen Flammen aus Fenstern schlagen, sich züngelnd nach dem alten Fachwerk des Hauses verzehren. Sie spürten die Hitze, hörten das Prasseln und die dröhnende Sirene. Und jeder, einer nach dem anderen, begriff, was er sah.

Es war das Pfarrhaus, das in Flammen stand.

Glut.
Karfreitag.
1

Anton erreichte die äußeren Grenzen von Eschenfeld, gerade als es der Sonne gelang, sich über die umliegenden Hügel zu erheben. Der goldene Schimmer des Morgens hüllte die gesamte Bergflanke in ein märchenhaftes Licht. Anton genoss den Anblick – er hatte ihn schon immer sehr gemocht.

Er fuhr das Fenster seines Wagens ein wenig herab und ließ die kühle Morgenluft hinein. Es war wirklich kalt, sein Atem stieg augenblicklich auf, aber es roch nach Natur, nach Morgentau und Frühling. Doch noch etwas anderes lag da in der Luft. Er bemühte sich, es zuzuordnen, aber sicher war er sich nicht. Es roch wie Rauch.

Skeptisch blickte er die Straße weiter hinauf. Hatten sie die Osterfeuer früher entzündet? Das konnte er sich nicht vorstellen. Aber sein Haus lag am Fuße der Steigung, auf der sich irgendwo weiter oben der eigentliche Ortskern befand, und im Morgendunst ließ sich nicht ausmachen, ob dort schon ein Feuer brannte. Jemand hatte Anton mal erzählt, dass es hier oft gar kein Morgennebel, sondern eigentlich tiefhängende Wolken wären, die sich in den Wäldern verfingen. Er wusste nicht, ob das stimmte, aber der weißgraue Kranz, der sich weiter oben um den Berg schmiegte, machte es leicht, daran zu glauben.

Er lenkte seinen Wagen in die Einfahrt, stieg aus und trat noch einmal an die Straße zurück. Ja, es roch nach Rauch. Aber die Quelle ließ sich wirklich nicht ausmachen. Er würde sich später noch mal schlau machen müssen.

Das Gebäude war eigentlich ein alter Bauernhof, doch Anton hatte sich sofort in das Fachwerkhaus verliebt. Das war genau das gewesen, was er sich erhofft hatte, als er beschlossen hatte, in die Eifel zurückzukehren. Tiefe Decken und kleine Fenster, Holzöfen anstelle einer modernen Zentralheizung. Es gab keinen vollständigen Keller, nur einen Verschlag unter der Küche, in dem er im Sommer Bier und Gemüse kühl lagern konnte. Er schloss auf und die uralte Türe knarzte vernehmlich, als er sie aufstieß. Er wohnte nun ein Jahr hier, aber der Geruch von altem Holz dominierte noch immer im Inneren.

Anton durchquerte das Wohnzimmer, ging durch die Küche hinters Haus und griff sich einen Eimer mit Holzscheiten. Irgendein Tier schien in seiner Abwesenheit hinter dem Haus gewütet zu haben, aber offenbar war nur einer der Holzstapel in Bewegung geraten. Er würde sich die Tage darum kümmern müssen, aber es eilte nicht. Wieder drinnen befeuerte er zunächst den großen Ofen in der Küche, dann den kleineren im Wohnraum. Die Böden des Hauses waren mit Teppichen ausgelegt, Schicht um Schicht. Die Kälte kroch beständig durch das Erdreich und mehrere Monate lang hatte Anton im Grunde jeden Teppich gekauft, den er im Internet oder auf Flohmärkten billig finden konnte. Nun war es gedämmt und gemütlich, erinnerte aber auch etwas an eine Räuberhöhle.

Auf dem Weg nach draußen warf er einen Blick in den Spiegel. Der Urlaub hatte ihm nur unwesentlich etwas von seinem bleichen Hautton genommen, der Dreitagebart hingegen gefiel ihm. Vielleicht würde er den tatsächlich so belassen, wenn er nach Ostern wieder ins Büro ging. Aber das hatte ja noch ein paar Tage Zeit.

Er trat wieder hinaus, genoss noch einmal in einigen tiefen Zügen die Morgenluft und ging dann zum Auto, um seine Koffer auszuladen. Ein Geräusch aber ließ ihn innehalten. Ein Wagen kam die Straße entlang. Das war um diese Zeit ohnehin selten, an Karfreitag aber geradezu absurd. Neugierig trat er an die Straße und blickte erstaunt auf den Streifenwagen, der gerade den Blinker setzte, um in die Einfahrt einzubiegen. Anton machte ihm Platz und folgte dem Wagen dann wieder auf sein Haus zu.

Es war der neue Streifenwagen, den sie gerade erst erhalten hatten. Neues Modell, moderner Bedruck und eine dieser neuen Sirenen, die zwar versuchten, wie alte Martinshörner zu klingen, es aber irgendwie nicht ganz schafften.

Die Fahrertür öffnete sich und ein dicker, bärtiger Polizist wuchtete sich – unter beträchtlicher Anstrengung – ins Freie.

»Erich«, grüßte Anton ihn. Er kannte ihn, natürlich, so wie sich hier doch jeder irgendwie kannte. Zwar war Eschenfeld größer als man meinte und versteckte in seinen diversen Auslegern entlang der Bergflanke einige Hundert Bewohner, aber den Polizisten kannte man natürlich.

»Herr Bürgermeister«, grüßte er zurück. Nun gut, ihn kannte man wohl auch, räumte Anton in Gedanken ein, und schüttelte die Hand des Uniformierten.

»Was führt dich hier heraus?«, fragte er. Erich schüttelte verbissen den Kopf.

»Es ist furchtbar«, brachte er schließlich heraus. »Es ist alles so furchtbar.«

2

Die gelb getönten alten Glasfenster ließen an diesem Morgen kaum Licht in den Gastraum. Anatolia, stand in geschwungenen, gusseisernen Buchstaben über der Türe, aber die Einrichtung im Inneren war definitiv eher die eines Eifler Landhauses, und weniger die einer anatolischen Gaststätte. Auch die schwächelnde Raumbeleuchtung konnte nicht verhindern, dass der Raum schummrig dalag.

Eine einzige Lichtquelle schnitt jedoch kalt und wie ein Fremdkörper durch das Dunkel. Die junge Frau hatte sich an einen der Fensterplätze gesetzt, den Laptop aufgeklappt und begonnen, ein paar Zeilen zu schreiben. So recht fand sie aber noch nicht die geeigneten Worte. Sie fuhr sich durch die blonden Haare und trommelte dann mit den Fingern ihren Undercut entlang, wie sie es immer tat, wenn sie nachdachte. Die dampfende Tasse Kaffee, in weißer Keramik mit Floralmotiv gereicht, die vor ihr auf dem fast schwarzen Massivholz stand, hatte bisher auch keine Erleuchtung gebracht.

Als das Smartphone daneben aufleuchtete, griff sie danach und hatte den Anruf angenommen, bevor es eine Chance hatte, zu vibrieren.

»Sperber«, meldete sie sich mit Nachnamen.

»Anna«, antwortete ihre Gesprächspartnerin. »Ich hab deine SMS bekommen.«

»Ja, sorry«, erklärte Anna sich. »Ich wollte gestern Abend nicht mehr anrufen, und Wifi ist ein rares Gut.«

»Was gibt es denn?«, fragte die Anruferin weiter. Johanna Meyer war nun seit einem Jahr ihre Chefredakteurin, betreute den Kulturteil eines lokalen Radiosenders. Das Aufregendste, was bisher mal nicht nach Plan verlaufen war, war ein Bericht über einen Kaninchen-Wettbewerb gewesen, bei dem sich in der Nacht vor der Auszeichnung ein Fuchs den Favoriten geholt hatte. Diesmal war es ernster.

»Es hat hier gestern Nacht einen Brand im Ort gegeben«, setzte sie an. »Es hat das Pfarrhaus getroffen, und vermutlich seine Bewohner. Der Pfarrer und seine Haushälterin, sagt man. Ich hab keine Ahnung, ob die hier mit ihrem Osterbrauch weitermachen.«

»Da würde ich mir an deiner Stelle keine Gedanken machen.«

»Johanna, der Pfarrer, der das alles veranstaltet, ist tot.« Sie merkte, dass sie lauter geworden war, und obwohl nicht mal hinter dem Tresen jemand zu sehen war, senkte sie ihre Stimme. »Er ist noch dazu verbrannt. Meinst du wirklich, hier im Dorf hat morgen Nacht jemand Ambitionen, brennende Strohräder über die Klippe zu schicken?«

»Zum einen, Anna, ja, ich denke, dass sie das tun werden. Die Leute dort nehmen das Brauchtum ernst und wenn es überhaupt etwas ändert, würde ich vermuten, dass sie es ›jetzt erst Recht‹ durchziehen werden.« Sie räusperte sich. »Aber das meinte ich gar nicht.«

»Was denn?«

»Anna, aus deiner Folklore-Reportage ist gerade eine Story geworden.«

»Aber es ist doch gar nicht unser Ressort«, antwortete sie halbherzig, obwohl sich in ihrem Kopf bereits Räder in Bewegung setzten.

»Richtig, Anna, aber wenn du dich umschaust, siehst du dann jemanden, der näher an der Sache dran ist? Ich meine, du bist schließlich schon vor Ort. Denk nicht an Nachrichten, das kommt und geht. Aber stell dir eine True-Crime-Reportage vor, ungefilterte O-Töne, die Reporterin von der ersten Stunde an dabei. Teil der Ereignisse.«

In diesem Moment flog die Türe der Kneipe auf und eine riesenhafte Gestalt trat ein. Es dauerte einen Moment, bis Anne begriff, was sie sah, als der schwarze Schemen, umhüllt vom kalten, weißen Licht des frühen Morgens, in den Raum trat. Erst als die Türe mit einem lauten Schlag hinter ihm wieder zufiel und er vollständig durch die dicken Vorhänge getreten war, die seitlich davon ein wenig halfen, die Kälte draußen zu halten, erkannte sie es. Der Mann war von der Feuerwehr, trug noch die schwere Schutzkleidung, hatte sogar den Helm noch auf.

»Else!«, rief er in den Küchenbereich. Seine Stimme klang fast hysterisch, und es dauerte nur einen Augenblick, bis die ältere Wirtin erschien.

»Else«, sagte der Feuerwehrmann, nun gefasster, »gib mir’n Schnaps. Egal was für einen. Mach’n Doppelten.«

Die Bedienung tat wie geheißen, die beiden wechselten noch ein paar leise Worte und dann ließ sie den Feuerwehrmann allein.

»Ich ruf wieder an«, flüsterte Anna noch ins Handy, steckte es dann weg, klappte den Laptop zu und schälte sich aus ihrer Ecke. Sie strich den gestreiften Wollpulli glatt, schob die Haare noch mal aus ihrem Gesicht und trat dann an den Tresen.

Es hatte nach Winter gerochen, als die Türe aufgegangen war, doch hier, neben dem Mann, roch es nur nach Rauch. Nach kaltem, unangenehmen Rauch. Sie lehnte sich an den Tresen, dann blickte sie in das Gesicht neben ihrem. Es war ein jüngerer Mann, höchstens Mitte 30 und damit grob in ihrem Alter. Sein Schnurrbart ließ ihn älter wirken, aber noch mehr zeichneten ihn der Schrecken in seinen Augen und die mahlenden Kiefer.

»Hey«, eröffnete sie so unaufdringlich sie konnte. Er blickte sie an, schien sie erst gar nicht richtig zu sehen, brachte dann nur ein Nicken hervor.

»Was ist denn passiert?«, fragte Anna weiter. Sie konnte sehen, wie es in ihm arbeitete, wie er abwog, was er tun sollte, aber auch, wie es raus musste. Sie legte den Kopf ein wenig schief und brummte noch einmal aufmunternd – und es brach regelrecht aus ihm hervor.

3

Anton musste die Worte einen Moment sacken lassen. Zu unvorstellbar war in ihrer kleinen Gemeinde, was Erich ihm da berichtet hatte. Er blinzelte sich in die Wirklichkeit zurück, schluckte und blickte den Polizisten ernst an.

»Und du bist dir absolut sicher?«

»Ja. Ja, leider.« Der bärtige Mann wirkte verloren und hilflos, wie er dort auf dem für seine Leibesfülle viel zu kleinen Schemel saß und seine Mütze mit beiden Händen knetete. Er blickte angestrengt aus dem Fenster. Entweder er suchte nach den richtigen Worten, oder wünschte, er wäre schon wieder draußen in der Kälte. Anton beugte sich zu ihm vor.

»Fang noch mal vorne an.«

»Also«, tat er wie gebeten, »wir sind gestern vom Fackelumzug hochgekommen und da brannte das Pfarrhaus schon. Wir haben sofort versucht zu löschen, erst mit Eimern, dann mit einer kleinen Pumpe. Aber das war zwecklos. Das Feuer schien nicht mal zur Kenntnis zu nehmen, was wir an Wasser aufbringen konnten. Als dann der Leiterwagen endlich da war, brannte schon das ganze Haus so lichterloh, dass die Feuerwehr meinte, das sei aussichtslos.«

»Also haben die nichts getan?«, fragte Anton, doch Erich schüttelte den Kopf.

»Rein konnten sie nicht. Haben sie versucht, aber es war wohl zu heiß, selbst mit der Schutzkleidung. Aber die haben die ganze Nacht gearbeitet, damit das Feuer nicht übergreift. Das haben sie auch geschafft. Einige der Nachbarhäuser sind schwarz vor Ruß und Asche, aber Feuer gefangen hat keins von denen.«

Anton nickte. Rein rational war ihm klar, dass das gut und wichtig war. Manches kleine Dorf war früher das Opfer eines einzigen Wohnungsbrandes geworden. Dennoch konnte er noch nicht glauben, dass Pastor Wollseifer tot sein solle. Vor allem, wenn es stimmt, was Erich sagte.

»Heute früh dann, da sind die Feuerwehrleute ins Haus. War noch dunkel, so früh war es, aber es war endlich kalt genug darin, damit das ging. Henning war der erste, der ging.«

Wieder nickte Anton. Henning Wallenberg war jung, vielleicht in seinem Alter, aber auch mutig. Kein Draufgänger, manchmal dennoch etwas zu mutig, erzählte man sich, aber in Situationen wie dieser brauchte man wohl auch solche Leute.

»Er war ’ne Weile drin. Ist viel rumgelaufen«, erklärte Erich. »Konnten wir sehen, weil seine Taschenlampe nach draußen schien. Dann hat er geschrien, einige andere Feuerwehrleute sind hinterher. Und dann kamen sie raus und haben’s berichtet. Der Herr Pastor sei tot, sagten sie. Verbrannt, aber nicht bis zur Unkenntlichkeit. Deshalb konnten sie auch berichten, dass man ihm die Kehle durchgeschnitten habe.«

»Kann das irgendwie beim Brand passiert sein?«

»Ein glatter Schnitt, Herr Bürgermeister. Schnurgerade durch die Kehle, sagt Henning. Ist natürlich noch nicht untersucht worden, aber wenn er das sagt, wird’s schon irgendwie wahr sein.«

Anton rieb sich mit den Händen durchs Gesicht, legte den Kopf in den Nacken und seufzte tief. Die wohligen Erinnerungen an seinen Urlaub schienen begraben unter einer unerträglichen, neuen Last. Ein Mord? In Eschenfeld? Brandstiftung?

Wäre das Pfarrhaus in Brand geraten, weil der Pfarrer mit einem Kandelaber gestolpert wäre, käme das einer Tragödie gleich, die das Dorf über Jahre zeichnen würde. Ein Mord aber? Anton glaubte nicht, dass irgendjemand in ihrer kleinen Gemeinde bereit wäre, so etwas zu verkraften.

»Ich will es sehen«, sagte er schließlich.

Der Polizist blickte ihn verdattert an. »Den Brand?«

»Alles«, sagte Anton, während er sich seine Jacke griff und einen prüfenden Blick auf den Ofen warf. »Ich will alles sehen.«

4

Verkohlte Stümpfe ragten in den wolkenfreien Himmel empor und ließen nur noch erahnen, wie die Front des Hauses einmal ausgesehen hatte. Die Morgensonne hätte idyllisch wirken sollen, doch erschien sie fahl beim Anblick der Ruine des Pfarrhauses.

Das Feuer schien vor allem vorne gewütet zu haben. Hinten konnte Anna erkennen, dass mehr von den Räumen übrig war als verkohlte Schlacke, aber dorthin gab es momentan kein Durchkommen. Noch immer sicherten Polizei und Feuerwehr das Gebäude ab, und der einzige Ordnungshüter, mit dem sie hier nun Kontakt gehabt hatte, saß in diesem Augenblick im Anatolia und ertränkte seinen Kummer.

Anna ließ den Blick einmal weiterschweifen. Von hier hatte man eine gute Sicht auf weite Teile des Tals, an dessen Flanke Eschenfeld lag. Die Ausläufer des Ortes erstreckten sich in alle nur denkbaren Klüfte. Wo immer die Menschen hier die Chance gesehen hatten, ein Haus in die Landschaft zu treiben, schienen sie es zumindest versucht zu haben. Überall hielt sich noch der Nebel zwischen den Bäumen.

Ein ganzes Stück weiter, einige Mulden und ein weites Waldstück entfernt, ragte ein eigentümliches Gebäude auf. Es sah ein bisschen aus wie eine Wohnbaracke, oder ein Bürogebäude, jedoch irgendwie finster. Als ducke es sich in Wald hinein. Sie kam jedoch nicht dazu, weiter zu fragen, was sie dort sah. Ein Polizist trat von der Ruine fort und kam auf sie zu. Er war kräftig gebaut, bärtig, bewegte sich schwerfällig, aber bemühte sich zumindest um ein Lächeln.

»Guten Morgen«, grüßte er. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Guten Morgen«, erwiderte sie und reichte ihm die Hand. »Anna Sperber. Ich bin freie Journalistin und wollte eigentlich über Ihren Osterbrauch berichten.«

Der Polizist nickte betroffen.

»Hab mir gleich gedacht, Sie sehen nicht aus wie eine von hier. Nichts für ungut.«

Sie blickte ihn neugierig an, schluckte einen Kommentar jedoch herunter.

»Können Sie mir sagen, was hier vorgefallen ist?«

»Ich fürchte nicht.«

»Ach kommen Sie«, setzte sie nach, doch der Polizist schüttelte den Kopf.

»Daran liegt es nicht. Keiner weiß bisher, was hier vorgefallen ist. Und ich? Ich kann da nicht einfach spekulieren.«

Sie nickte, begann, sich weiter umzusehen, ob ihr noch etwas ins Auge fiele.

»Sie könnten aber mal mit dem Bürgermeister reden, wenn Sie denn wollen«, fuhr er fort.

»Den kannste doch vergessen«, knurrte ein weiterer Polizist und trat langsam zu dem Gespräch hinzu. Er wirkte wie die Kehrseite ihres Gesprächspartners, fit und muskulös.

»Er ist in Ordnung«, wehrte sich der beleibte Polizist kraftlos.

»Der soll mal nicht dauernd vergessen«, grollte der andere und betonte jedes Wort dadurch, dass er mit seinem Finger vorstieß, »dass den hier keiner gewählt hat. Die Leute haben gegen den anderen gestimmt, nicht für ihn.« Zwei andere Helfer an der Brandruine murrten zustimmend. An Anna gewandt folgte noch ein knappes »Guten Morgen« und der zornige Polizist setzte seine Runde fort.

»Der Bürgermeister ist in der Kirche«, erklärte der andere milde. »Ins Pfarrhaus konnten wir noch nicht, solange die Feuerwehr dort am Werk ist. Wenn Sie wollen, versuchen Sie ihr Glück.«

Anna bedankte sich und nahm sofort Kurs auf die Kirche. Das wurde ja immer besser. Normalerweise musste sich die Presse in solchen Situationen verbiegen, um überhaupt eine offizielle Stellungnahme zu bekommen. Hier bekam sie erst diese Darbietung und konnte nun noch mit dem offenbar umstrittenen Bürgermeister reden. Ein kurzer Blick in ihre Jackentasche zeigte ihr, dass das Aufnahmegerät lief. Gut. Sie würde sich da später um Freigaben kümmern müssen.

Die Chance war zu gut, um sie vergehen zu lassen. Dennoch hielt sie zumindest einen Moment inne, um das Gebäude zu begutachten. Die Kirche von Eschenfeld war kein gotischer Bau wie manche Eifler Schlosskirche, aber sie war definitiv größer als eine übliche Kapelle und schien gleich eine ganze Reihe großer, alter Buntglasfenster zu besitzen. Anna beschloss jedoch, sie sich lieber von innen anzusehen, trat zum Eingang, zog das schwere Eichenportal auf und betrat die Kirche.

Es war in der Tat ein imposanter Bau. Säulen trugen die hohe Decke, die ihrerseits mit kunstvollen Mustern verziert war. Die Bänke wiesen in zwei Reihen den Weg zu einem kleinen, erhöhten Altar, neben dem auch, wie früher üblich, eine Kanzel über der Gemeinde aufragte. Der Boden war in steinernen, grauen Fliesen gehalten, aber allem haftete dennoch ein wenig Farbe an durch das Licht, das gebrochen durch die Fenster in den Raum fiel. Nun aber blieb Annas Blick an der einzigen Person hängen, die sich neben ihr in der Kirche aufhielt.

Der schmale Mann saß vorne, in einer der ersten Bänke, und blickte tief in Gedanken dem Altar entgegen. Obwohl die Schritte ihrer schweren Schuhe laut in der Kirche widerhallten, blickte er erst zu ihr auf, als sie ihn schon fast erreicht hatte.

Er war jung, keineswegs das, was sie bei einem Bürgermeister erwartet hatte. Sein dreitagebärtiges Gesicht legte sich zunächst in Falten, als er sie sah, wurde dann jedoch von einem leichten Lächeln eingenommen. War sein junges Alter der Grund für die Ablehnung, die sie draußen bei den Helfern gesehen hatte? Wortlos rückte er ein Stück weiter in die Bank hinein und erlaubte ihr so, sich zu ihm zu setzen.

Stumm schauten sie nun beide einen Moment zu dem Altar, bevor er es war, der das Schweigen brach.

»Ich nehme an, Sie sind von der Presse?«

Anna war erstaunt.

»Ja«, gab sie zu. »Ja. Woher wissen Sie das?«

»Sie sind nicht von hier«, murmelte er lächelnd. »So viele Varianten gibt es da nicht, und wie von der Kripo wirken Sie nicht auf mich. Wie haben Sie so schnell Wind von der Sache bekommen?«

»Oh, eigentlich war ich im Ort, um über die Osterfeuer zu berichten. Wäre es in Ordnung, wenn ich dieses Gespräch aufzeichne? Ich arbeite eigentlich an einer Radio-Dokumentation.«

»Wenn Sie möchten. Und Sie wittern nun eine Story?«

»Alles andere wäre gelogen«, gab sie zögerlich zu. »Aber stimmt es, was man sagt? Der Pfarrer wurde ermordet?«

Nun war er es, der erstaunt war.

»Das wissen Sie schon?«

»Ich bin gut.«

»Offensichtlich.«

Wieder verfielen sie beide ins Schweigen. Anna fürchtete schon, dass sie zu forsch aufgetreten sei, dass sie ihn verschreckt habe. Dann aber hielt er ihr die rechte Hand entgegen.

»Anton.«

»Anna.« Sie blickte sich erneut um. »Hast du gebetet, Anton?«

»Nein, ich bin nicht sonderlich gläubig. Aber ich habe mich hier umgesehen. Pastor Wollseifer war so oft hier, hat diese Kirche vielleicht öfter gesehen als irgendeinen anderen Ort außerhalb seiner Wohnung. Ich habe mich gefragt, was ihn beschäftigt haben könnte. Was ihn inspiriert haben könnte, hier.«

Erneut wanderte ihr Blick zu den Buntglasfenstern. Sieben waren es an der Zahl. Links von ihr erkannte sie Jesus, unverkennbar mit dem Kreuz auf seinen Schultern. Doch schon das Fenster daneben war ihr unklar. Ein Altar und ein Thron, von einem Mittelsteg getrennt. War das vielleicht der heilige Stuhl? Und das Bildnis daneben? Eine Person, wohl wieder Jesus, vor dem sich ein Liegender gerade aufbäumte, der scheinbar nur mit einem Lendenschurz bekleidet war. Anton bemerkte ihren fragenden Blick.

»Vielleicht Lazarus?«, riet er. »Jesus, der den Toten gerade wiederbelebt?«

»Das könnte sein«, stimmte sie zu.

Das Fenster über dem Altar zeigte in jedem Fall den Heiland am Kreuz. Die Fenster rechts sagten ihr noch weniger. Das erste zeigte ein Kreuz, aber verziert, mit geschwungenen Haken am Ende der Balken. Das Fenster daneben dann schien eines der Osterräder zu zeigen, mit wild züngelnden Flammen. Und das letzte Fenster zeigte einen Bischof, so viel erkannte sie.

Alles in allem ein recht wilder Mix.