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Nach Jahren des Versteckspiels wagt Dennis einen Neuanfang. Doch sein erster Schritt in eine neue Zukunft führt ihn direkt in die Arme des Bruders seines Erzfeindes. Mit dieser engen Verbindung zu seinem alten Leben scheint es unmöglich, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch Alek ist der Einzige, der Dennis eine Chance gibt. Eine Chance, die Dennis will. Nach einem verheerenden Unfall schafft es Alek nicht, seine Schuldgefühle abzulegen. Als er Dennis trifft, reißt ihn der junge Mann mit dem eisernen Willen, sich zu ändern, aus seinem Trott. Entgegen den Warnungen seines Bruders vertraut Alek auf sein Herz. Er ist überzeugt, dass Dennis nicht der ist, für den ihn alle halten. Schnell reicht Alek die Rolle des verständigen Zuhörers nicht mehr. Er will Dennis ganz. Doch manchmal reicht der Wille, sich zu ändern, nicht. Um eine gemeinsame Zukunft zu haben, müssen beide nicht nur den anderen akzeptieren, sondern etwas schier Unmögliches tun: sich selbst verzeihen.
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Seitenzahl: 522
Lili B. Wilms
© dead soft verlag, Mettingen 2022
http://www.deadsoft.de
© the author
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© Petrenko Andriy – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-540-4
ISBN 978-3-96089-541-1 (epub)
Nach Jahren des Versteckspiels wagt Dennis einen Neuanfang. Doch sein erster Schritt in eine neue Zukunft führt ihn direkt in die Arme des Bruders seines Erzfeindes. Mit dieser engen Verbindung zu seinem alten Leben scheint es unmöglich, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Doch Alek ist der Einzige, der Dennis eine Chance gibt. Eine Chance, die Dennis will.
Nach einem verheerenden Unfall schafft es Alek nicht, seine Schuldgefühle abzulegen. Als er Dennis trifft, reißt ihn der junge Mann mit dem eisernen Willen, sich zu ändern, aus seinem Trott. Entgegen den Warnungen seines Bruders vertraut Alek auf sein Herz. Er ist überzeugt, dass Dennis nicht der ist, für den ihn alle halten. Schnell reicht Alek die Rolle des verständigen Zuhörers nicht mehr. Er will Dennis ganz.
Die Ohrfeige hallte wie ein Schuss durch den gesamten Innenhof. Das Eisentor fiel zu. Die darin eingebrachte Glasscheibe klirrte nach. Etwas leise – der Schlag hatte auch sein Ohr getroffen und der Klang drang dadurch nur dumpf hindurch.
Seine Freunde hatten wohl erfolgreich das Weite gesucht. Dennis war allein. Besser so. Er fühlte noch jeden einzelnen Finger seines Vaters auf seiner Wange. Diese glühte. So müsste es sich anfühlen, wenn er sein Gesicht ganz nah an den Holzofen ranhielt.
Schlimmer noch als der Schlag war die Scham. So war das wohl, von innen heraus zu verbrennen. Ganz sicher würde sein Kopf innerhalb kürzester Zeit verglühen. Oder zerplatzen.
Sein Vater packte ihn an seinem Ohr und zog ihn zu sich heran, so dass sich das Loch darin dehnte. Er konnte es genau spüren. So als würde der Gehörgang größer und länger. Er konnte auch wieder besser hören. Das Ziehen ließ nicht nach und seine Ohrmuschel würde jede Sekunde abreißen.
»Nie wieder gibst du dich mit diesem Gesocks ab!«
Der Gestank von Alkohol schlug ihm entgegen. Er war neun, aber nicht doof. Sein Vater war im Stüberl gewesen. Wieso war er so früh am Nachmittag zurück?
»Herr Beierlein!«
Dennis’ Herz drohte, zu zerspringen. Nilas war noch da? Warum war er nicht mit den anderen weggelaufen? Sein Vater hielt sein Ohr so fest, dass Dennis den Kopf nicht drehen konnte und Nilas nicht sah.
»Herr Beierlein! Lassen Sie Dennis los! Erwachsene dürfen keine Kinder schlagen!«
Endlich ließ sein Vater sein Ohr los. Dennis sackte erleichtert zusammen. Bis er bemerkte, dass sein Vater auf Nilas losging. »Du kleine Schwuchtel hast mir nichts zu sagen! Du verpisst dich jetzt, bevor ich dir den Hintern versohle.«
Dennis war versucht, sich vor Nilas zu stellen. Doch er schaffte es nicht. Die Angst vor seinem Vater hing wie Blei an seinen Beinen und hielt ihn an Ort und Stelle gefesselt. Und Nilas war eigentlich selbst schuld, wenn er Dennis’ Vater Widerworte gab. Oder? Aber gleichzeitig hatte Dennis so furchtbare Angst um Nilas. Dieser hatte erzählt, dass er nie von seinen Eltern geschlagen wurde. Und, dass das auch nicht erlaubt sei. Dennis hatte ihm nicht geglaubt und er würde wieder einmal recht behalten.
Wahrscheinlich lag Nilas auch damit falsch, dass sich Jungs küssen können. Aber seine Schwester hatte heute auch Elsa geküsst. Gut, seine Schwester hatte alle geküsst, außer ihn und Nilas. Sie hatten sich wie immer hinter den Hecken im Innenhof versteckt. Noch nie hatte sie ein Erwachsener erwischt. Noch nie war sein Vater dort aufgetaucht.
Seine Schwester war schuld. Es gab immer nur Ärger mit ihr. Nie hielt sie sich an die Regeln. Dennis konnte sich kaum eine Minute sicher fühlen, wenn sie ihn gegen ihren Vater verteidigte, weil sie jedes Mal übertrieb und alles noch schlimmer machte. Es war wie immer die Idee dieser blöden Kuh gewesen!
Als jeder Junge ein Mädchen geküsst hatte und kein Mädchen mehr für Dennis übriggeblieben war, hatte Nilas gesagt, dass Jungs sich auch küssen könnten.
Für Dennis war dies der einzige Trost in diesem dämlichen Spiel gewesen. Er wollte gar niemanden küssen. Küssen war einfach nur eklig. Und wenn er schon musste, dann wenigstens einen Freund. Und nur auf die Wange. Und ganz sicher kein Mädchen.
Nilas war sein Freund. Er war erst vor Kurzem in die Klasse gekommen. Und er war ganz anders. Er trug ganz seltsame Sachen. Mädchenklamotten. Obwohl er sagte, es gibt keine Mädchenklamotten. Er behauptete, Lila zu mögen. Und er hatte lange Haare. Er sah ja fast selbst wie ein Mädchen aus. Aber das war er nicht, denn Dennis wusste sofort, dieser Junge war sein neuer bester Freund. Bis jetzt. Jetzt hatte er ihm mit dieser blöden Idee Ärger eingebracht.
Dennis hätte sich verziehen sollen, als seine Schwester mit ihren dämlichen Freunden daherkam. Aber Nilas war geblieben. Also hatte auch Dennis bei diesem ätzenden Spiel ausgeharrt.
»Ich sag es meinen Eltern.«
Dennis’ Blick schnellte erneut zu Nilas. Wollte Nilas seinem Vater drohen? War Nilas lebensmüde?
Sein Vater ging einen Schritt auf Nilas zu und mit ihm Dennis. Nilas musste abhauen!
»Hör mal zu, du Früchtchen, du verziehst dich jetzt zu deinen Hippie-Eltern, sonst setzt es was. Und halte dich von meinem Sohn fern. Wenn ich euch zwei noch einmal miteinander erwische, dann setzt es was, dass euch beiden Hören und Sehen vergeht! Warme haben hier nichts verloren.«
Dennis wusste nicht, wovon sein Vater sprach. Ihm war nicht nur warm. Ihm war heiß.
Nilas setzte erneut an, etwas zu sagen, doch Dennis’ Vater begann zu brüllen, dass die Spucke in Fetzen bis in sein Gesicht flog. »Hau ab!«
Als Nilas durch das Tor verschwunden war, drehte sich sein Vater nochmals Dennis zu und holte mit der flachen Hand aus. Dennis riss schützend den Unterarm hoch und rollte sich in sich zusammen.
Der erwartete Schlag blieb aus. Was blieb, war der Herzschlag, der Dennis’ Brustkorb zu sprengen drohte. Die Knie, die bald unter ihm versagen würden. Das Rauschen in den Ohren. Alles schwarz vor seinen Augen.
»Ich will dich nie wieder mit so jemandem sehen! Hast du mich verstanden? Mein Sohn gibt sich nicht mit so was ab! Du bist nicht nur ein Schwächling. Du bist die reinste Enttäuschung. Als ob es mir nicht reichen würde, ein Mädchen in der Familie zu haben. Wenn du weibisch werden willst, werde ich es aus dir raus prügeln. Jeden einzelnen Tag. Hast du mich verstanden?«
Dennis wagte nicht, sich zu rühren. Doch anscheinend erwartete sein Vater eine Antwort, da er ihn noch einmal anbrüllte. »Ob du mich verstanden hast?«
Hastig begann Dennis zu nicken.
»Dann nimm die Hand runter.«
Er hatte den Arm immer noch vor seine Augen gedrückt. Langsam senkte er ihn und öffnete vorsichtig die Augen. Vor ihm wankte sein Vater leicht und sah ihn aus roten wütenden Augen an.
»Jetzt heult er. Er heult! Wie ein Gör!«
Dennis hatte gar nicht bemerkt, dass er zu weinen begonnen hatte. Schnell wischte er sich über die Augen. Doch die Tränen wollten nicht versiegen. Jeder fortgewischten Träne folgte eine neue. Er rieb und rieb, bis sein ganzes Gesicht wund war.
»Ich will dich nie wieder heulen sehen! Du führst dich ab sofort wie ein richtiger Bub auf! Und wenn ich sowas wie heute nochmal sehe, werde ich dir helfen. Ich werde dir jeden Tag den Hintern blau schlagen, bis du weißt, dass du ein Mann bist! Ein Mann! Hast du mich gehört?! Und jetzt enttäusche mich nie wieder!«
Nachdem die gläserne Tür zum Treppenhaus hinter seinem Vater ins Schloss gefallen war, lief Dennis, so schnell er konnte, in das Versteck hinter den Hecken. Er zitterte am ganzen Körper. So sehr, dass er die Zweige kaum aus seinem Gesicht halten konnte, als er hindurch brach und sich auf den Boden setzte. Mit aller Kraft drückte er die Knie gegen seine Rippen – gegen sein Herz, um das Schütteln, das ihn durchfuhr, zu stoppen.
Die Tränen mussten aufhören. Das Zittern musste aufhören. Das schamvolle Brennen in ihm musste aufhören.
Er musste ein Mann sein. Er durfte seinen Vater nicht enttäuschen. Nie wieder wollte er seinen Vater enttäuschen. Die Angst vor den Konsequenzen, wenn er es wieder täte, war untragbar. Nie wieder würde er seinen Vater enttäuschen. Das schwor er sich, zwischen den lila Veilchen und blauen Vergissmeinnicht, die unter dem Holunder wuchsen. Auf die er und seine Freunde nie achteten, wenn sie sich hierhin verkrochen. Er trat auf die Blumen in Nilas’ Lieblingsfarbe. Und genauso würde er auf seine Tränen und sein Zittern trampeln. Sonst würde sein Vater dies in die Hand nehmen.
Und sein Einsatz hatte Erfolg. Egal, was er im Laufe der Zeit anstellte, nie wieder musste Dennis bei der Reaktion seines Vaters darauf das Gefühl haben, vor Scham zu sterben. »Jungs eben«, wurde dessen Standardantwort auf alles, was Dennis anstellte.
In den Jahren, die kamen, fand sein Vater kaum einen Grund, Dennis zu schlagen. Obwohl es nicht leicht war, diesen Zustand zu erhalten.
Immer wieder kamen in Dennis schreckliche unkontrollierbare Gefühle auf. Mit Mühe und Not konnte er sie im Zaum halten, indem er es denen, die sie hervorriefen, heimzahlte.
Dennis
Er war schwul. Jeder in diesem Raum wusste das. Denn ein Mann, der eine Schwulenbar besuchte, war schwul, oder?
Panik schoss durch ihn. Selbst nach über einem Jahr seit seinem Selbsteingeständnis und dem x-ten Besuch in einer Schwulenbar kämpfte er immer noch mit sich. Was wenn er jemanden ansprach, der gar nicht schwul war? Das altbekannte Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben, das ihn ein Leben lang begleitet hatte, zehrte an ihm. Die Hände wurden feucht, sein Pulsschlag erhöhte sich. Im Nullkommanichts war der berühmte Knoten in seinem Magen da und schnürte den Ort ab, an dem gute Gefühle ihm manchmal die Ehre erwiesen und auf einen Abstecher vorbeischauten. War das leichte freudige Flattern bei der Entscheidung, die Pinke Tür zu besuchen, noch vor ein paar Minuten dagewesen, war es verschwunden.
Falsch. Alles fühlte sich falsch an. Sein Rücken verspannte und seine Schultern wanderten zu seinen Ohren. Er zog den Kopf ein. Ein Regenwurm, der sich einrollte, um nicht mehr gesehen zu werden. Ein Wurm. Das war er.
Dennis atmete tief durch. Sah auf seine Füße. Die waren noch da. Sie standen fest auf dem Boden. Wenn er wollte, konnten sie ihn sofort wegtragen. Aber es bestand kein Grund, zu laufen. Er atmete noch einmal durch und sah langsam wieder nach oben. Auf die Bar. Die Gläser.
Sein Outing vor sich selbst hatte keinen rosaroten Glitterregen aus Einhornärschen mit sich gebracht. Es hatte eigentlich nur mehr Fragen aufgeworfen. Was wollte er? Wie sollte er leben? Wie konnte er leben?
Diese Fragen konnte er auch nur sich selbst stellen, da niemand sonst über ihn Bescheid wusste.
Außer den paar wenigen Typen, mit denen er auf diversen Toiletten in diversen europäischen Schwulenbars verschwunden war. Aber mit denen hatte er meistens nicht geredet, während sie ihn geblasen hatten. Mit denen hatte er sicher keine existentiellen Fragen seines Lebens besprochen.
Und wie immer, wenn er im letzten Jahr von einer internationalen Baustelle zur nächsten umgezogen war, waren die Fragen, die ihn nun quälten, nicht zurückgeblieben, sondern waren mit ihm in die nächste Handwerkerunterkunft gereist.
Von dort war er heute mit dem Vorsatz losgefahren, ein richtiges Gespräch zu führen, bevor es zur Sache ging. Und dem Typen, wer immer er sein würde, wollte er vielleicht sogar ein Getränk ausgeben. Nur um mal zu wissen, wie es sich anfühlte.
Dass, nachdem wie immer auf der Toilette abgespritzt wurde, nichts mehr mit einem Typ passieren würde, war klare Sache. Dennis konnte sich nie dazu bringen, ein weiteres Treffen zu erfragen. Egal, wie verständnisvoll sein Partner des Abends war, nachdem er von ihm nur flüchtig mit der Hand befriedigt worden war, Dennis konnte sich nicht zu mehr durchringen. Bis jetzt.
Doch in dem Moment, als er die Bar betreten hatte, wusste er, dass all seine Überlegungen für den Arsch waren. Die Bude war voller grässlicher Studenten.
Typen in Klamotten, die mehr kosteten als sein Jahresgehalt. Söhnchen, die glaubten, die Welt läge ihnen zu Füßen. Die nichts als Ansprüche stellten. Und die meinten, wenn sie ihm über den Mund fuhren, würde er sich einschüchtern lassen und kuschen.
Er hasste Studenten.
Vorsichtig ließ er den Blick über die tanzenden Köpfe streifen.
Jemand wie ein Bauer aus einem Kaff in der Nähe, so jemanden brauchte er. Jemand, der mindestens genauso verunsichert war wie er selbst. Jemand, der auch Angst haben musste, dass der CSU-Ortsvorstand des heimischen Dorfs ausgerechnet in Regensburg unterwegs war.
Nicht diese Pride-Idioten, die so taten, als gäbe es keine Probleme in der Welt, wenn man es nur genug wollte. Arschlöcher allesamt.
Nur Grüppchen. Was war heute los? Als er die Woche zuvor da gewesen war, war das Publikum deutlich gemischter gewesen. Viele einzelne Besucher. Junge, alte, Leute, die sich nicht so wichtig nahmen, ein paar Anzugtypen. Heute stach nur er in seiner Jeans und seinem Hemd heraus wie ein wunder Daumen. Underdressed – so nannte man das wohl.
Er musterte einen Twink. Wären sie kompatibel in dem, was sie jeweils wollten? Was er wollte? Konnte! Was er wollte, konnte ihn im Moment nicht interessieren. Er war ganz darauf konzentriert, was ihm überhaupt möglich war. Und das war kein Blowjob. Sein einziger Versuch eines solchen war so kläglich gescheitert, dass er auf diese Art von Erlebnis verzichten konnte.
Das Magenstechen wurde nicht besser. Er nahm einen großen Schluck aus seiner Bierflasche. Alkoholfrei. Wenn er wenigstens Alkohol trinken könnte, würde ihn das locker machen. Aber sein Tiefpunkt von vor einem Jahr und die Erkenntnis, dass er zu seinem Vater mutierte, hatten ihn tief erschüttert. Seither hatte er keinen Tropfen mehr angerührt.
Keine Twinks. Lieber Pornos auf dem Handy und ein ordentlich abgeschlossenes Zimmer im Gasthaus.
Er setzte die Flasche entschieden auf dem Tresen ab, um zu gehen, als ein Schatten darauf fiel. Ein Mann mit angegrauten Schläfen und passendem Drei-Tage-Bart setzte sich neben ihn und nickte ihm zu. »Noch eins? Ich geb’ dir eines aus.«
»Äh.« Kannst du nur einmal in deinem Leben schnell denken, Dennis? »Ja?« Der Typ sah zu gut aus. Gott, sah der gut aus. Dessen klaren Augen sahen Dennis forschend an, während er sich über den ausdrucksstarken Unterkiefer und das markante Kinn strich.
Mit einem süffisanten Grinsen winkte der Kerl die Bedienung heran. »Yunis, nochmal dasselbe für den Herrn und mich, bitte.« Dabei hielt er ein leeres Cocktailglas hoch.
Yunis nickte nur und Mr. Salt and Pepper wandte sich wieder Dennis zu. »Und? Bist du das erste Mal hier? Ich hab dich hier noch nie gesehen.«
»Äh, nein.«
»Nein? Du warst schon mal hier? Bist du aus Regensburg?«
»Kelheim.« Dass er dort nur in einer Handerwerkerunterkunft war, ging den Typ nichts an. Auch nicht, dass Regensburg weit genug weg war, dass für Dennis kein Risiko bestand, einen Kollegen zu treffen, schon gar nicht am Wochenende, wenn alle ausgeflogen waren. Und klein genug, dass niemand aus München, den er kennen könnte, hierherkam, um auszugehen. Irgendwie schien das Gespräch den Typ zu amüsieren, während Dennis nicht wusste, wohin er schauen sollte.
Der Kerl legte seine Hand in Dennis’ Nacken und begann, ihn leicht zu massieren. »Entspann dich, Süßer. Ich beiß schon nicht. Nur, wenn du das willst.«
Dennis schaffte es nicht, bei dem billigen Anmachspruch die Mundwinkel zu verziehen. Er war völlig auf die Hand in seinem Nacken konzentriert. Auch nach einem Jahr, in einer Kneipe, die voller Männer war, die sich auf der Tanzfläche engumschlungen bewegten, wollte sich Dennis am liebsten schütteln. Die Hand abschütteln. Sicherstellen, dass keiner sah, dass er die Berührung eines Mannes genoss.
Genießen könnte. Im Moment war er nur damit beschäftigt, den Drang, sich aus der Berührung zu winden, zu unterdrücken. Die Stimme seines Vaters in seinem Kopf auszublenden. Sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Ein richtiger Mann …, dröhnte die Stimme seines Vaters in seinen Gedanken.
Er war so ein Wrack.
»Gael, mein Gott, lass den armen Jungen los. Wieso musst du jedes Frischfleisch, das hier aufschlägt, sofort vergraulen?« Lachend drückte sich ein anderer Typ an Gael, während dieser die Augen verdrehte und mit Blick zu Dennis leicht den Kopf schüttelte.
Ihm war dieses ganze Tamtam nur recht. Solange die beiden mit sich beschäftigt waren, konnte er durchschnaufen. Langsam stand er auf.
Der Randrücker richtete sich auf und sah Dennis mit strahlenden blauen Augen an. Und der Knoten in Dennis’ Magen brach durch. Glühender Eiter drohte, seine Innereien zu verätzen. Mark. Mark? Was machte sein alter Vorarbeiter hier? Wie?
Schnell trat Dennis einen Schritt zurück und stieß gegen einen Barhocker. Er hatte keine Gelegenheit mehr zu atmen oder auf seine Füße zu starren. Er musste nur weg.
Mark neigte leicht den Kopf und streckte seine Hand nach ihm aus. »Bleib hier. Ich mach nur Spaß.«
War der dicht? Vielleicht konnte Dennis diesen Umstand nutzen und sich einfach verpissen.
Und Mark würde morgen überlegen, ob er geträumt hatte. Von ihm. Von Dennis. Innerlich schnaubte er vor sich hin. Ein Alptraum – das war er.
Als er zurückwich, um die Flucht anzutreten, zog Mark seinen Arm zurück. »Schon gut. Ich lass euch alleine. Wenn du mich brauchst, ich bin da drüben.«
»Ja, ja, Alek, du kannst gehen …« Gael schob Mark mit einem Grinsen von sich weg.
Alek?
»Mark?«
Auf Marks/Aleks Gesicht zeigte sich so etwas wie Erkenntnis. »Ah. Du kennst meinen Bruder.«
Dennis betrachtete Marks Bruder. Oder war das ein Trick seines alten Chefs? Wollte dieser ihn hochnehmen? Ihn auffliegen lassen, nachdem, was sich Dennis auf ihrer gemeinsamen Baustelle geleistet hatte? Hatte ihm das Strafverfahren, in dem er so bereitwillig als Zeuge gedient hatte, nicht gereicht? Aber woher wusste Mark überhaupt, dass er hier war?
Panisch ließ er seinen Blick über den Raum huschen. War sonst jemand da, der ihn kannte? Nein, es war Wochenende. Alle Kollegen waren sonst wo bei ihren Familien.
Mit einem Herzschlag, der ihm in den Ohren dröhnte, versuchte Dennis, sich wieder in den Griff zu kriegen.
Die Worte des Mannes vor ihm hallten nach. Bruder. Er hatte von Bruder gesprochen.
Sie sahen sich so ähnlich. Bei näherer Betrachtung wurden aber Unterschiede deutlich. Alek sah wie eine Version von Mark aus, die seit einem Jahr nicht mehr ins Fitnessstudio ging. Eine Version, deren Gesicht weicher war. Und die Augen hatten nichts von dessen eiserner Arroganz – oder was auch immer es war, was der Typ mit sich rumschleifte. Der Ausdruck um die Augen war nicht selbstherrlich, sondern … gewissenhaft. Erfahrung spiegelte sich darin, mit der nicht leichtfertig umgegangen wurde. Eine Erfahrung, die wie eine unsichtbare Last wirkte. Und trotz Last zeigte sich in den Lachfältchen eine freundlichere, fröhlichere Version von Mark. Eine Version, die ihn nicht mit jedem Blick, mit jeder Geste verurteilte, sondern wartete, was er zu sagen hatte. Die ihm überhaupt eine Chance gab, zu denken, zu reden, zu sein. Also überhaupt nicht wie Mark.
»Dein Bruder?«
Unter einem Seufzen erhob sich Gael und deutete über seine Schulter. »Ich bin hier wohl nicht mehr gefragt. Das wird mir hier zu tief. Und nicht das Tief, das mich heute interessiert. Wenn ihr fertig seid, findest du mich dort drüben, Süßer.« Wen von ihnen beiden er damit meinte, war Dennis nicht klar.
Alek winkte ab, als wollte er Gael verscheuchen, und schenkte Dennis ein verspieltes Lächeln. »Bist du erleichtert, dass ich nicht er bin, oder enttäuscht, oder …? Ich bin mir nicht sicher, was dieser Gesichtsausdruck soll.« Aleks Mimik selbst hatte etwas Spöttisches angenommen.
Schnell fuhr sich Dennis über das Gesicht. Wie sah er denn bitte drein? »Erleichtert?« Scheiße, hatte er das gesagt?
Aleks Grinsen wurde breiter und breiter, bis er schallend loslachte. Aleks breite Schultern, seine Ellenbogen, der Bauch, der gegen das enge T-Shirt drückte, die kräftigen Oberschenkel, seine Knie, die den ganzen lachenden Kerl kaum mehr zu halten schienen – der ganze Mensch lachte.
»Das versteh ich!« Glucksend deutete er auf Dennis. »Der selbstgefällige Penner kann einem nur auf die Eier gehen, oder?« Es lag so viel Wärme in seinen Worten, dass sie jegliche Schärfe verloren.
Dennoch wusste Dennis nicht, wie er reagieren sollte. »Äh …«
»Immer raus damit! Mark weiß alles, hat zu allem eine Meinung, kann dir immer sagen, was du zu tun hast …« Alek fuhr sich durch das Haar. Sein Lachen verrutschte leicht für einen kurzen Augenblick und fand doch schnell wieder seinen Platz um seine Lippen.
»Na ja …« Was sollte er dazu sagen? Mark war sein Chef gewesen. Er hatte ihn vom ersten Tag an auf den Kicker gehabt. Dennis hatte ihn verabscheut. Durch seine ganze Art hatte er Dennis klein gemacht. Seine Moralpredigten hatten nur gezeigt, wie wenig Ahnung er vom wirklichen Leben – von Dennis’ Leben – hatte.
»Oder ist da was zwischen euch …?«
»Oh, nein, auf keinen Fall. Wir waren … Kollegen.« Was er mit Sicherheit sagen konnte, war, dass sich Mark und er niemals in einer wie auch immer freundschaftlichen Art näherkommen würden. Niemals.
»Okay.«
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Die Getränke, die Gael bestellt hatte, standen zwischen ihnen auf der Bar.
»Dann …« Dennis drehte sich halb um, doch Alek trat einen Schritt auf ihn zu.
»Willst du noch was trinken? Du kannst mir erzählen, wieso du meinen Bruder, den goldenen Jungen, nicht magst oder einfach was dich hierher verschlagen hat.«
Die Realität dessen, was passieren konnte, wenn er blieb, wurde Dennis unmittelbar bewusst. Wenn Alek über ihn Bescheid wusste, wusste es bald jemand, der Dennis auch kannte.
»Du … Könntest du deinem Bruder nicht sagen, dass wir uns getroffen haben?« Er hörte sich wie ein kleines Kind an. Warum hatte er das nur gesagt?
»Was sollte ich denn sagen? Ich kenn ja noch nicht mal deinen Namen.«
»Ah …«
Fragend neigte Alek den Kopf.
»Dennis.« Scheiße! Er wollte Alek nicht antworten. Doch wie dieser ihn angesehen hatte, hatte seinen Namen aus Dennis herausgezogen. Es lag kein Urteil in diesen blauen Augen. Das war eine schwache Erklärung für seinen Patzer und sein einziger Trost.
Aleks Lächeln blendete ihn nahezu. »Freut mich, Dennis. Ich muss Mark gar nichts sagen.«
»Gut.« Unschlüssig sah er um sich. »Ich denke, ich geh jetzt lieber.«
Mit einem kurzen Nicken schnappte sich Alek Gaels Getränk, hob es kurz an und prostete Dennis zu.
»Dann gute Nacht.«
Dennis verließ die Bar, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Würde es eine gute Nacht werden? Der Knoten in seinem Magen wollte sich nicht lösen. Aber er hatte sich nicht weiter festgezurrt. Obwohl die Sache mit Mark im Raum stand, fühlte er sich besser als schon lange nicht mehr.
Dennis vertraute kaum jemandem und befürchtete grundsätzlich zunächst das Schlimmste. So konnte er Enttäuschungen abfedern. Enttäuschungen, die unweigerlich eintreten würden. Doch etwas an Alek versicherte ihm, dass er ihn nicht bei Mark verraten würde. Es war nicht nur dessen Versprechen gewesen, das ihn überzeugt hatte. Es war dessen gesamte Art.
Alek hatte nicht versucht, Dennis zu irgendetwas zu überreden. Alek hatte ihm ein Angebot gemacht und er hatte Dennis’ Ablehnung ohne Widerspruch akzeptiert.
Er ließ Dennis und dessen Meinung völlig unvoreingenommen neben sich bestehen. Das war außergewöhnlich. Dennis konnte kaum verstehen, was dies bedeutete. Das Ganze, untermalt mit diesem Lachen, ließ Dennis ganz warm werden. Obwohl seine Erfahrung ihn mahnte, wachsam zu sein, seine Schutzschilde nicht runterzufahren, keimte ein Funken Vertrauen in ihm, dass Alek sein Wort halten würde. Das Gefühl war so unvertraut, dass seine ganze Aufmerksamkeit darauf gerichtet war.
Und wenn Aleks Verwandtschaft zu Mark irgendein Indikator war, dann konnte sich Dennis auf dessen Wort verlassen. Mark war ein selbstgerechter Arsch, aber er hatte immer sein Wort gehalten.
Vielleicht war es die äußerliche Ähnlichkeit. Auch, wenn Dennis sich nie mit Mark verstanden hatte, Alek hatte dessen vertraute Züge und vermittelte Dennis zumindest die Sicherheit, dass das, was gesagt wurde, galt.
Auf eine absurde Art und Weise hatte sich der Abend zu einer Art Erfolg gewandelt. Ein minimaler unerwarteter Erfolg. Für die meisten Menschen war das, was vorgefallen war, höchstens ein schräges Gespräch.
Aber Alek hatte eine Tür geöffnet und Dennis eingeladen, durchzugehen. Dennis war zwar wieder davongelaufen. Ohne vorher Sex zu haben. Aber zum ersten Mal in seinem Leben war die Neugierde, was sich hinter diesem Eingang zu einem anderen, neuen, freien Leben befand, genauso groß wie die Angst davor.
Auf dem Weg durch die Regensburger Altstadt hallte dieses Gefühl genauso nach wie die Gespräche und das Lachen der nächtlichen Besucher zwischen den engen Wänden der mittelalterlichen Gassen. Trotz der Uhrzeit war es immer noch angenehm warm.
Die weiten Glastüren, Menschen, die er dort mit ihren Gläsern sitzen sah, die vielen kleinen Lichter, die seinen Weg zum Parkhaus säumten, bemerkte er erst jetzt. Auf dem Weg zur Bar hatte er die Angst und Aufregung wie Scheuklappen getragen. Die Stadt schien zu vibrieren, wie ein Bienenstock. Voller Leben und Geschäftigkeit, obwohl es mitten in der Nacht war. Und irgendwie hatte er das Gefühl, Teil dieses bunten Lebens zu sein.
Als er schließlich die Tür zu seinem Auto zuschlug und es startete, verband sich das Radio über Bluetooth mit seinem Handy.
Der Podcast, den er regelmäßig hörte, begann sofort zu spielen. Professorin Eva N. Gonzales erzählte etwas von Epigenetik. Unverständliches Zeug. Schnell rief Dennis das Menu auf und wählte seine Lieblingsfolge aus. Die Notwendigkeit der Selbstliebe.
Als er vor einem halben Jahr auf seiner Reise durch Europa jeden erdenklichen True Crime-Podcast durchgehört hatte und auch alle Profiler-Podcasts in- und auswendig kannte, waren ihm vom Anbieter weitere Formate vorgeschlagen worden. Er hatte den Podcast Das verletzte Kind in uns einer Psychologin auf den ersten Blick für einen weiteren Verbrechens-Podcast gehalten. Erst nach einigen Minuten hatte er erkannt, dass es sich um ein ganz anderes verletztes Kind handelte, als er anfänglich gedacht hatte.
Zu dem Zeitpunkt hatte Professorin Gonzales aber bereits einen Leserbrief eines vierzigjährigen Mannes vorgelesen, der seine Familie verlassen wollte, da er sich selbst endlich eingestehen konnte, dass er schwul war. Dieser Mann hatte sein Leben lang die Stimme seines Onkels gehört, der ihm in den schlimmsten Farben schilderte, wie er zugrunde gehen würde, wenn er schwul wäre.
Und Dennis hatte nicht mehr aufhören können, zuzuhören. Die Folge hatte schmerzliche Erinnerungen in ihm hervorgerufen. Dennoch war es ihm nicht möglich gewesen, auszuschalten.
Heute wollte er sich die zuversichtlichen Worte gönnen, die er manchmal nicht ertrug. Die eine Sehnsucht in ihm hervorriefen, die unerreichbar war.
Dennis
Darüber, wieso er am nächsten Freitag erneut in der Pinken Tür aufschlug, wollte sich Dennis lieber keine Gedanken machen. Die Panik, die ihn die ganze Woche über verfolgt hatte, genügte ihm eigentlich.
Zwischen den Gedanken ich packe besser meine Sachen und suche mir eine neue Stelle und schau, was passiert lagen teilweise nur Sekunden. Jakob, sein Vorarbeiter, hatte gefragt, ob er krank war.
War er nicht. Aber gut ging es ihm auch nicht. Die Zweifel und die Sorge, ob er sich richtig verhalten hatte, hatten seine Gedanken in jede erdenkliche Richtung getrieben.
Jetzt offensichtlich wieder hierher.
Erneut stand er in der Tür und sah auf den spärlich besuchten Innenraum der Bar. Er war viel zu früh da. Sicher eine Stunde früher als in der Woche zuvor.
Ein flaues Gefühl im Magen ließ ihn unruhig herumblicken. Schnell versuchte er, zu entscheiden, ob er lieber abhauen oder warten sollte.
Warten. Auf …? Dennis machte sich keine Illusionen. Er war nicht zufällig wieder hier gelandet. In einer Ecke sah er Gael mit einem viel jüngeren Kerl auf seinem Schoß.
Nicht derjenige, den er sehen wollte.
Seine Unruhe konnte ihn aber nicht dazu bringen, die Bar zu verlassen. Ohne einen weiteren Blick auf Gael setzte er sich an die Theke und bestellte wie in der Woche zuvor ein alkoholfreies Bier. Doch allein mit seinen Gedanken, übermannten ihn die Zweifel. Fraßen sich durch sein Gehirn wie Raupen, die von Vernunft und Zuversicht lebten.
Warum hatte er Alek nur seinen Namen verraten? Er hätte dieses Risiko nicht eingehen müssen. Dürfen. Was hatte er sich nur gedacht, hierher zu kommen? Wieso war er sich so sicher gewesen, Alek wäre hier? Hatte er sich wirklich gedacht, dass dieser Wert auf seine Gesellschaft legen würde? Wahrscheinlich hatte er Mark von ihm erzählt und dieser hatte sicher nicht mit Details über Dennis’ abscheulichen Charakter zurückgehalten.
Dennis setzte die Flasche an und versuchte, sie in einem Satz zu leeren. Das gelang nicht. Zuviel Flüssigkeit versuchte, in einem Schwall durch seine Speiseröhre in seinen Magen zu gelangen. Sein Hals brannte. Er stellte die Flasche ab und stand auf.
»Nicht so schnell, nicht so schnell.« Genau wie die Woche zuvor hatte Aleks Stimme etwas Amüsiertes an sich. Nicht so, als würde er sich über ihn lustig machen, sondern, als hätte er permanent gute Laune. Nein, keine gute Laune. Als wäre seine innere Stimmung gehoben. Seine Grundeinstellung durch und durch positiv.
Anders als seine eigene. Stimme und Stimmung. Negativ. Dunkel. Düster.
Alek legte seine Hand kurz auf Dennis’ Schulter, dieser verspannte und er nahm sie sofort weg. Augenblicklich erfüllte Dennis Bedauern über den Verlust des Kontakt. Er musste seine blöden Reaktionen in den Griff kriegen.
Auch Aleks Geruch war irgendwie fröhlich. Blumig. Nicht wirklich süß, jedoch definitiv kein Duft, den Dennis für sich selbst gewählt hätte. Aber er wickelte ihn irgendwie ein. Hoffentlich ging Alek nicht weg. Hatte Dennis ihn durch seine dumme abweisende Art vergrault? Er hatte immer noch keinen Pieps gesagt. Wie ein … total unfähiger … Unfähiger.
Doch Alek verschwand nicht. Er pflanzte sich auf den Platz neben Dennis. Und Erleichterung ersetzte die Sorge. Ein gutes Gefühl. Das unsägliche Drücken, das Dennis mit sich herumgeschleppt hatte, seit er in sein Auto gestiegen war, ließ nach. Er konnte jetzt viel besser durchatmen. Und so roch er Alek besser. Die Bedienung stellte vor Alek ein Getränk ab, das er anscheinend bestellt hatte. Zögerlich lehnte sich Dennis zurück.
Alek grinste ihn an. »Na, mit dir hatte ich ja nicht nochmal gerechnet.«
Der Satz war ein Schlag ins Gesicht.
Sofort beschwichtigte Alek. »Aber umso schöner ist die Überraschung.«
Mit einem leichten Nicken entspannte sich Dennis wieder. Die Stille zwischen ihnen war für ihn fast unerträglich. Er zupfte an dem Label seiner Bierflasche herum. »Ich wollte nur wissen, ob du Mark irgendwas gesagt hast.«
Mit leicht geneigtem Kopf sah ihn Alek an. »Obwohl du nichts mit ihm zu tun hast und ihn nicht magst? Es könnte dir also eigentlich total egal sein.« Alek lächelte ihn an. »Ich habe nichts gesagt und ich werde nichts sagen. Darauf kannst du dich verlassen.«
Dennis schüttelte sich leicht. Auch wenn er nicht wusste, was er hier eigentlich tat und ihm das Gespräch langsam über den Kopf wuchs, freute er sich insgeheim, dass er sich nicht in Alek getäuscht hatte. Dennoch … das Bedürfnis, sich zu verkrümeln, wurde immer stärker.
»Dennis?« Er sah Alek ins Gesicht. »Ist alles okay?«
Er nickte. Einmal. Schnell und mit Nachdruck. »Ja, alles okay. Es ist nur alles … neu. Überwältigend.«
In Aleks Gesicht zeigten sich Verständnis und Vorsicht. Falls ihn Dennis’ Antwort überraschte, versteckte er dies gut. »Bist du out?« Die Frage kam leise. Vorsichtig. Dennoch hatten die zarten Worte eine gewaltige Schlagkraft auf Dennis.
Diesmal schüttelte er den Kopf. Heftig. Plötzlich hielt er inne. Die alte Stimme aus seiner Kindheit und Jugend in seinem Kopf, die ihn auslachte, die ihm sagte, dass er riesige Probleme bekommen würde, wenn er sich outete, und er ein Nichts war, wurde lauter. Brüllte gegen seinen Verstand an. Schluss!
Dennis stellte die Füße auf den Boden und atmete tief durch. Er zwang sich, die Stimme in ihre dunkle Ecke zu schieben. Er war stärker als sie. »Nein. Nicht wirklich. Und es macht keinen Unterschied, ob Mark es weiß oder nicht. Ich würde nur einfach gern …«
»Es ist okay, wirklich. Du musst mir nichts erklären. Und ich würde Mark oder irgendjemanden niemals etwas sagen.«
Dennis nickte. »Es ist nur einfach seltsam. Er war quasi mein Vorgesetzter. Und ich hab furchtbaren Mist gebaut. Mich wie ein Arschloch aufgeführt. Die Dinge, die ich abgezogen habe, kannst du und willst du dir nicht vorstellen. Danach bin ich abgehauen und wollte einfach vergessen. Und vor allem hoffe ich, dass er mich vergessen hat. Ich weiß wirklich nicht, was er sagen würde, wenn er wüsste, dass ich hier bin. … Und, dass ich schwul bin.« Ihm stockte der Atem. Er schnappte nach Luft.
Alek legte seine Hand auf dessen Unterarm. »Hey? Alles okay?«
»Ja.« Mit einem Ruck zerriss Dennis das komplette Etikett. »Ich habe das zum ersten Mal laut gesagt.« Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
Ein sanfter Schubs von Alek schüttelte ihn leicht. Dennis schob mit seiner Schulter leicht zurück.
»Irgendwann ist immer das erste Mal.«
»Ha, ha!«
Alek lachte. Und die Welt brach nicht über Dennis zusammen. Interessant. Er wippte mit seinem Fuß.
»Wie fühlt es sich an?«
»Es ist überraschenderweise kein Drama. Normal.«
»Ich fühle mich gerade sehr geehrt.«
Dennis sah zu Alek. »Warum?«
»Weil ich der erste Mensch bin, dem du das erzählt hast …«
»Stimmt.« Obwohl er Alek nicht kannte. Wieso fühlte es sich so richtig an, mit ihm darüber zu reden? Woher kam dieses Vertrauen, das er in ihn hatte? Vielleicht weil er ihn nicht wirklich kannte? Alek hatte keine Vorstellungen davon, wer oder was Dennis war. Er wusste nicht, was er sich in seinem Leben schon geleistet hatte. Für ihn war er nur irgendein Kerl. In irgendeiner Bar. Oder auch nicht.
»So, jetzt darf ich dir aber einen ausgeben.«
Immer noch von seinen eigenen Worten beflügelt, stimmte Dennis zu. Er blieb jedoch bei alkoholfreien Getränken.
Und als wäre nicht gerade ein bahnbrechendes Ereignis passiert, sprach Alek über banale Dinge wie München, Kelheim, seine Pläne. Dennis hatte Mühe, ihm zu folgen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er die Wahrheit über sich selbst laut ausgesprochen.
»Möchtest du nicht wieder zurück zu deiner Familie nach München?«
»Ich weiß nicht so recht. Sicher nicht zu meiner Familie. Aber München … vielleicht. Ehrlich gesagt, habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Ich lebe so ein bisschen von einem Tag zum nächsten.«
»Ist vielleicht die beste Entscheidung. Den nächsten Tag haben wir eh nicht in der Hand. Egal, was wir uns einbilden.«
Zum zweiten Mal, seit er Alek kennengelernt hatte, legte sich ein grauer Schleier über dessen Stimmung. Dies war am Freitag zuvor schon passiert, als dieser über Mark gesprochen hatte. Erneut verdüsterte sich Aleks Gesicht. Doch bereits im nächsten Moment schüttelte er seine beklemmenden Gedanken ab. Etwas davon blieb aber haften. Vielleicht waren es nicht die düsteren Gedanken, vielleicht war es die gute Laune, die Alek als Maske aufzog. Die Augen blieben aber gleich. Voller vertrauensvoller Wärme. »Aber was soll’s. Du machst das schon richtig.«
»Na, ich weiß nicht so recht.« Dennis zuckte mit den Schultern. »Es fühlt sich nicht so an, als ob ich eine Wahl hätte. Ich wurschtle so vor mich hin und muss rausfinden, was ich will. Wie ich es will.« Aus dem Augenwinkel warf er Alek einen kurzen Blick zu. »Wieso ich mit dir einfach reden kann, ist mir selbst ein Rätsel. Liegt vielleicht daran, dass Sex nicht zur Debatte steht.« Er wusste, dass es so war. Bisher war jeder Versuch, vernünftige Gespräche und sexuelles Interesse zu kombinieren, kläglich gescheitert. Dieser Umstand würde sich nicht auf magische Art und Weise plötzlich geändert haben, da war sich Dennis ziemlich sicher. Irritiert schüttelte er den Kopf. Wie kam er dazu, von Sex zu reden? Einfach so.
Mit komplett entgeisterter Miene setzte sich Alek auf. Er wirkte komplett irritiert und starrte Dennis mit weit aufgerissenen Augen an. »Wie du darauf kommst, weiß ich nicht. Für dich steht Sex vielleicht nicht zur Debatte. Ich habe sehr wohl Interesse. Du bist nach wie vor der heißeste Typ hier drinnen. Und der geheimnisvollste. Niemand kennt dich. Außer mir.« Mit einem Grinsen hatte sich Alek während seiner Rede vor Dennis’ Gesicht geschoben. Der Blick, den er ihm jetzt zuwarf, hatte die Intensität einer Berührung und Dennis wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Er wollte mehr. So viel war sicher. Hatte er Aleks Interesse bisher übersehen?
Was er mit Sicherheit bemerkte, war die Hitze, die ihm in die Wangen stieg. Hoffentlich sah man dies nicht in dem schummrigen Licht. Nach seinem Gestammel war er sich sicher gewesen, hätte Alek jemals einen Funken Interesse an ihm gehabt, war dieses nun komplett in Flammen aufgegangen.
»Aber ich will dich zu nichts zwingen. Wir können einfach reden. Ich wollte das nur klarstellen. Da deine Annahme diesbezüglich schlicht falsch ist.«
»Okay, dann … war die Annahme wohl doppelt falsch, da ich durchaus, ähm, auch Interesse habe.« Dennis senkte den Blick auf die Bar. Ganze Sätze. Noch ein Novum. Sonst waren es eher Blicke, Grunzen, Halbsätze, eindeutig zweideutige Gesten, die er sich aus den Rippen leierte, und die Sache war geritzt.
»Ist das so?« Mit einem fröhlichen Grinsen rutschte Alek näher an ihn heran und schaffte es fast, Dennis mit seiner Fröhlichkeit anzustecken. Er konnte beinahe einen Hauch von freudiger Aufregung in sich nachfühlen.
Anscheinend brauchte er jedoch zu lange für eine Antwort, da Alek hinterhersetzte. »Wirklich, ich bin zufrieden damit, dass wir hier sitzen und du mich von meinem eigenen Mist ablenkst.«
Was immer Alek damit meinte, musste warten. Dennis konnte sich diese einmalige Gelegenheit nicht entgehen lassen. »Nein, wir müssen nicht reden. Wir können sofort …«
»Na, da bin ich ja froh, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Komm mit!« Alek stellte sein leeres Glas auf die Bar und legte einen Schein mit dazu.
Statt den Weg zu den Toiletten einzuschlagen, schritt Alek zum Ausgang. Etwas unsicher ging Dennis hinterher.
Als er nach draußen in die Gasse trat, wartete Alek auf ihn.
»Wo willst du hin?« Dennis’ Stimme war nicht annähernd so fest, wie er es sich gewünscht hätte.
»Wir gehen zu mir.«
Völlig verwirrt schaute er Alek an. »Warum?«
»Weil ich das hier mit dir und all dem« – er sah Dennis bedeutungsvoll einmal von Kopf bis Fuß an – »nicht nur schnell in einer dunklen Ecke machen will und meine Wohnung nur hier entlang und einmal über die Straße ist.«
Wollte er mit Alek mitgehen? Eigentlich nicht. Aber noch mehr wollte er Alek. Nicht das ganze Drumherum, wenn ein einfacher Blowjob auf dem Klo in Reichweite war. Doch Aleks Strahlen schien sämtliche Überlegungen in Nichts aufzulösen. Aleks Vorschlag war sicher in Ordnung.
Gemeinsam gingen sie durch die engen Gassen hinab zur Donau, über die kleinen Plätze, auf denen sich Menschen jeden Alters und Geschlechts tummelten, mit ihren Snacks oder in Gesprächen vertieft. Niemand schenkte ihnen Beachtung. Dennoch hielt Dennis einen ordentlichen Sicherheitsabstand zu seinem Begleiter ein.
Zielstrebig ging Alek auf das rote alte Stadttor zu, das sich über die Steinerne Brücke streckte. So schnell, dass Dennis keine Gelegenheit hatte, sich Sorgen zu machen, schloss Alek die Tür im Gemäuer des Tores auf und verschwand darin im Flur. Ohne sich eine Wahl zu lassen, ging ihm Dennis hinterher.
Ein leicht modriger Geruch zog durch den Flur, der voller Fahrräder war. Alek streckte seine Hand aus. Nach einem kurzen Zögern ergriff Dennis sie und erklomm die Stufen in den zweiten Stock.
Sie betraten die einzige Wohnung des Stockwerks. Durch den dunklen Eingang sah Dennis in den Raum dahinter. Zwei Fenster gaben den Blick auf die Steinerne Brücke, den Biergarten am Ende und die Lichter von Stadt am Hof frei. Berührt von dieser uralten Schönheit ging er in das kleine Zimmer und hielt einen Moment inne, um sich zu sammeln. Seine Aufmerksamkeit war immer noch auf die in Nacht getunkte Stadt gerichtet.
Alek umarmte ihn von hinten, küsste seinen Nacken und flüsterte in sein Ohr. »Hast du es dir anders überlegt?«
»Nein, nein!«, beteuerte Dennis. »Ich habe nur für einen Moment …« durchatmen müssen.
»Wir gehen nur soweit du willst. Alles kann, nichts muss. Bequemer wäre aber wohl mein Bett da drüben.«
Dennis drehte sich zu Alek und sah, wie dieser mit seinem Daumen über seine Schulter zurück in den Flur deutete.
»Okay.« Da stand er nun und wusste nicht so recht, was er tun sollte. Die Sache war zu neu, zu ungewohnt für ihn. Sich einigen, in eine Toilette stürzen, abspritzen, fliehen. Damit kam er zurecht.
Bevor sich Dennis aber noch in eine Gedankenspirale denken konnte, fuhr Alek mit seinen Händen unter dessen T-Shirt, strich über die Flanken und ließ die Fingerspitzen darüber tanzen. Langsam fuhr er über dessen Brust und streifte hauchzart die Brustwarzen. Mit mehr Nachdruck ließ er seine Hände über Dennis’ Bauch wandern. Eine zarte, bestimmte Berührung und Dennis schloss die Augen. Warum auch immer, er vertraute Alek, zumindest hiermit – dass er sich erlauben konnte, diese so intime Berührung zu genießen.
Dennis legte den Kopf mit weiterhin geschlossenen Augen in seinen Nacken und atmete aus. Während Alek ihn immer noch so sanft und gleichzeitig sicher hielt, küsste er dessen Wange, die Kinnlinie entlang, soweit er sie wohl erreichen konnte.
»Na komm.« Aleks Finger auf seiner Haut verschwanden für einen Augenblick, doch sogleich ergriff er Dennis’ Hand.
Die wenigen Meter in Aleks Schlafzimmer legten sie in Sekunden zurück. Wobei Schlafzimmer ein großzügiger Ausdruck war, für ein Bett, um das Wände gezogen worden waren.
»Darf ich?« Alek nahm den Saum von Dennis’ T-Shirt in seine Finger und hob es leicht an.
Dieser nickte. Er beobachtete Alek vor sich. Dessen Blick, wie er über seinen Oberkörper glitt, als er diesen Zentimeter für Zentimeter freilegte.
Alek leckte sich über die Lippen und behielt seine konzentrierte Mimik bei. »Wenn dir was zu schnell geht, wenn du was nicht willst, sag es mir, okay?«
»Es ist alles in Ordnung.« Warum erschreckten Dennis seine eigenen Worte nicht? Es lag an der Wahl, die Alek ihm ließ. Statt ihn zu drängen oder zu fordern, bot er etwas an und überließ Dennis die Wahl, sich zu nehmen, was er wollte. Die Erkenntnis befreite ihn und zog ihn noch mehr zu Alek. Mit den Fingerspitzen strich er über dessen Hals, über die Schultern und zog ihn an den Oberarmen zu sich. Ihre Bäuche streiften leicht aneinander und letztendlich war es das, was Dennis gebraucht hatte – diese einfache Berührung entfachte den notwendigen Mut in ihm. Mut, den er nicht kannte. Mut, der ihn akzeptieren ließ, was er begehrte.
Er wollte Alek auf sich spüren, dessen Hände auf sich haben. Zaghaft begann er, dessen Halsbeuge entlang zu küssen. Die zustimmenden Laute, die Alek von sich gab, spornten ihn weiter an. Bevor er sich jedoch überlegen konnte, was sein nächster Schritt sein würde, schob ihn Alek sachte rückwärts und setzte ihn mit leichtem Druck gegen seine Schultern auf das Bett. »Kann ich?« Mit dem – wie Dennis bereits nach nur zwei Treffen mit Bestimmtheit sagen konnte – für Alek typischen Grinsen trat er zwischen Dennis’ Beine und beugte sich über ihn.
Er legte seine Hände an Dennis’ Kopf und hielt ihn einen Augenblick. Langsam beugte er sich ihm entgegen. Dabei beobachtete er ihn aufmerksam.
Dennis sah nur noch Aleks Lippen. Kurz bevor sie aus seinem Blickfeld verschwanden, schloss er die Augen. Sanft trafen sie auf seine eigenen. Tippten dagegen und forderten Eintritt. Der Atem, der dies begleitete, brachte ein bisschen mehr Alek mit. Einen Geschmack nach Cocktail, Alkohol, Süße. Der Kontakt sicher und bestimmt. Das Nippen spielerisch und verführerisch. Der Kuss überraschte Dennis, dass er gierig seinen Mund öffnete.
Er hatte in seinem Leben schon genügend Menschen geküsst, um zu wissen, dass dieser Kuss besonders war, denn statt zurückzuweichen, wollte er näher an Alek. Wollte ihn spüren, schmecken, fühlen. Er war nicht zufrieden mit dem, was Alek andeutete. Dennis wollte den ganzen Kuss. Alles, was sich dahinter verbarg. Nicht nur schien Alek genau zu wissen, was Dennis brauchte. Ruhe, Sicherheit, Gelassenheit. Mehr. Offensichtlich war sein erklärtes Ziel, ihm dies alles auch zu geben. Seine Zunge ertastete Dennis’ Mundhöhle, strich über dessen Lippen, sog daran, während seine Finger dessen Hinterkopf streichelten. Jede einzelne Bewegung band Dennis näher an Alek. Sie waren mehr als Punkte auf einer abzuarbeitenden Liste. Mehr als eine zu erfüllende Erwartung.
Dennis hielt sich an Aleks Schultern fest und vergrub dabei seine Finger darin. Er zwang sich, den eigenen Griff zu lockern und vertiefte gleichzeitig den Kuss, um Alek einen Grund zu geben, weiterzugehen. Vorsichtig ließ er seine Hände in Aleks Nacken gleiten. Diese Verbindung sollte noch nicht getrennt werden. Dennis wollte Alek kosten, ihn schmecken. Das spüren, was ihn so sehr aufwühlte und – nicht ängstigte.
Es war die Sucht nach Aleks Berührungen, die die Furcht im Zaum hielt. Sie heizte Dennis an und schickte eine Zufriedenheit durch ihn, die er noch nie erlebt hatte. Eine Gewissheit, dass das, was sie taten, richtig war. Dass es nicht nur darum ging, zu kommen, sondern, dass es richtig war, dass sie zusammen waren.
Als Alek sein T-Shirt auszog, mussten sie sich zwangsläufig trennen, damit er es über den Kopf bekam. Sofort öffnete er seine Jeans und streifte sie von seinen Beinen.
Nur noch in Boxershorts setzte er sich neben Dennis und fuhr über dessen Brust. »Was sagst du dazu: Ich erkunde diesen unglaublichen heißen Körper und du sagst mir, wie weit ich gehen kann? Ein einfaches Stopp genügt.«
»Könntest du mich nochmal küssen?«
Alek lachte leise und gemeinsam sanken sie auf das Bett. Er zog Dennis in die Mitte, so dass sie beide auf der Seite lagen und sich ansahen. »Das kann ich machen.«
Sofort suchte Dennis erneut den Kontakt und strich über die nackte Haut vor sich. Über die weichen Seiten, das Brusthaar, das sich über den Oberkörper hinab auf die Rundung des Bauches erstreckte, bis es schließlich in einem Pfad in Aleks Unterwäsche verschwand.
Doch die Küsse lenkten Dennis von seiner Erkundungstour ab. Jedes Streichen von Aleks Zunge war sicher, ohne zu drängen. Jedes Greifen seiner Lippen forschend, aber liebevoll. Dennis versenkte sich in die Küsse. Sie waren Umarmungen voll Zärtlichkeit.
Unwillkürlich stieß Dennis mit seinen Hüften an Alek. Die Berührung riss ihn aus dem wohligen Erkunden ihrer Münder. Er schnappte nach Luft und atmete tief ein.
Alek verstand dies wohl als Aufforderung, seine Küsse über Dennis auszuweiten. Er küsste Dennis’ Hals entlang, schob Dennis auf den Rücken, küsste über dessen Schlüsselbeine zu den Brustwarzen. Als er anfing im Wechsel die Nippel zu küssen und zu lecken, streckte Dennis den Rücken durch und atmete laut aus.
Immer wieder spürte er Aleks harten Schwanz an seinem Oberschenkel, wenn der sich an Dennis’ Bein drückte. Wenn Alek an seine Hüfte heranrutschte. Sein ganzes Bewusstsein war auf dieses Gefühl von Härte gerichtet. Ich will …
Alek schien überall zu sein. Die Küsse, die kühle feuchte Spuren auf seiner Haut hinterließen, die Hände, die über seinen Körper fuhren und schließlich auf seiner Erektion landeten, die hart und heiß gegen seine Jeans drückte. Automatisch hob Dennis sein Becken und drückte sich in die Berührung. Ich will mehr …
Mit geschickten Bewegungen öffnete Alek die Hose und Dennis half, sie über seinen Po und schließlich von sich zu ziehen.
Was erwartet Alek überhaupt?
Den sorgevollen Gedanken schob er schnell von sich. Jede einzelne Berührung von Alek hieß Dennis willkommen. Er wollte keine Spur von Unsicherheit zulassen. Alek würde nur so weit gehen, wie Dennis es zuließ. Diese Gewissheit lag in jedem Kuss, in jedem Ertasten seiner Körperstellen. Genau, wie Alek es gesagt hatte. Davon ermutigt, ließ Dennis seine Hände in Aleks Boxershorts gleiten und griff nach dessen Hintern. Ihre Ständer rieben aneinander. Ich will mehr von diesem …
Ein Gedanke verfestigte sich. Es war eine einzigartige Gelegenheit. Dennis wollte Alek in seinem Mund. »Kann ich …?« Jetzt musste nur noch irgendwer diesen Wunsch formulieren.
Doch auch hierbei kam ihm Alek entgegen. »Du kannst alles machen, was du willst.« Er sprach leise gegen Dennis’ Mund und leckte ihm über die leicht geöffneten Lippen.
Bevor die Gelegenheit verstrich, schob er sich Aleks Körper entlang. Dieser sog scharf die Luft ein. Die Freude darüber, dass es ihm gelungen war, Alek zu überraschen, machte Dennis noch mutiger und ohne zu zögern, hakte er seine Finger im Bund der Shorts ein, schob den Stoff zurück und gab die Sicht auf Aleks Schwanz frei. Sein Blick wanderte sofort auf die von Vorsaft schimmernde Eichel. Die Vorhaut war weit zurückgeschoben. Er konnte die Augen nicht von dem Tröpfchen abwenden, das aus dem Schlitz trat.
Dennis hatte nicht die geringste Ahnung, was er eigentlich tat und agierte rein intuitiv. Was er selbst mochte, war für Alek vielleicht nicht so verkehrt.
Er erwartete den ungewohnten leicht bitteren Geschmack, als er Aleks Schwanz ergriff. Zaghaft leckte er darüber.
Aleks Stöhnen ermutigte ihn weiter und er ließ die Spitze zwischen seinen Lippen verschwinden.
Fuck, das war wirklich deutlich besser als in einer beschissenen viel zu engen Toilette oder in einem beklemmenden Raum, in dem er nie wusste, wer letztendlich da war und aus dem Nichts vor ihm stand. Hier war alles besser. Hier gab es Platz, nur Alek und ihn. Diese Kombination machte alles so viel leichter.
Sein Saugen wurde von Aleks Gebrabbel und Lauten begleitet, die Dennis nicht verstand und nur als Hintergrundgeräusche wahrnahm. Als er die Erektion aus seinem Mund gleiten ließ und sie vor sich bestaunte, bemerkte er deren leichte Linkskrümmung.
Abgesehen von seinen Ex-Freundinnen konnte er sich nicht an einen einzigen Namen der Menschen, mit denen er Sex gehabt hatte, erinnern, geschweige denn an irgendwelche Auffälligkeiten, seien sie noch so unbedeutend wie eine Schwanzkrümmung. Diese einfache Beobachtung jagte ein Glücksgefühl durch Dennis.
»Komm her.« Alek riss ihn aus seinen sinnlosen Gedanken.
Shit. Hatte er zu lange gebraucht und die Stimmung versaut?
»Wenn du mich weiter so ansiehst, komme ich einfach so über dein wunderschönes Gesicht und das sollten wir vielleicht vermeiden.«
Anscheinend war die Stimmung noch nicht dahin.
Dennis ließ sich von Aleks verspielter Stimme anstecken und mit einem eigenen Grinsen im Gesicht robbte er Alek entlang. Dieser verschloss, als er bei ihm ankam, sofort seinen Mund mit einem Kuss und erneut hatte Dennis Probleme, einen klaren Gedanken zu fassen. Er half Alek, als dieser ihm die Unterhose über den Hintern zog. Und als Alek zielsicher ihre beiden Ständer gleichzeitig ergriff und in seiner Hand zu reiben begann, flogen die letzten Gedanken und Sorgen aus dem Raum. Die Luft wurde schwer. Sie roch nach Sex und hüllte sie wie eine Decke ein.
Er musste nichts tun. Es reichte, dass er in seinem Tempo in Aleks Faust stieß.
Ihre Küsse wurden von ihrem Stöhnen untermalt, das durch diese hindurchdrang. Dennis leckte über Aleks Mund. Saugte den salzigen Schweiß von dessen Oberlippe auf und genoss, dieses weitere Stückchen von ihm aufzunehmen.
Bis Aleks Bewegungen um sie beide heftiger und schneller wurden und Dennis seine Stirn an dessen anlehnte. Heiß vermischte sich ihr Atem und er versuchte, seinen Orgasmus zurückzuhalten oder ihn endlich zu erreichen – oder beides gleichzeitig. Ich will das hier nicht enden lassen. Aber eine wirkliche Entscheidung war gar nicht mehr möglich.
Als er schließlich in gewaltigen Schüben und unter einem lauten Ächzen über Aleks Hand kam, war er gleichzeitig erleichtert und enttäuscht darüber, dass es vorbei war.
Erschöpft sackte er zusammen, als Alek nur Sekunden später ebenfalls kam, und lehnte sich an diesen. Gemächlich zog Alek seine Finger durch das Spermagemisch und begann, mit seiner anderen Hand sanft über Dennis’ Hinterkopf zu streicheln.
Es war nur Sex, ein bisschen Sperma, ein bisschen Euphorie. Dass es sich so intensiv und heftig anfühlte, lag nur an der Ruhe und diesem Bett und der ganzen nackten Haut.
Nur weil Dennis diesen Ansturm der Gefühle noch nie erlebt hatte, hieß das nicht, dass das nichts Alltägliches war. Alek nämlich schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Langsam wischte er die nasse Hand am Laken trocken.
Doch Dennis war erfüllt mit Energie. Kraft und Tatendrang reckten sich in ihm. Er rappelte sich hoch und sah in Aleks glänzende Augen.
Dieser nahm sein Kinn zwischen seine Finger. »Alles okay?«
Dennis nickte. Seine Mundwinkel zuckten zu einem Lächeln, das er bis in seine Zehen spürte. »Alles bestens. Ich werde dann mal …«
Er deutete vage um sich herum Richtung Tür und nach kurzer Überlegung kam Alek wohl zum selben Ergebnis und senkte nach einer viel zu langen Sekunde seinen Kopf kurz zustimmend. »Das Bad ist im Flur direkt gegenüber. Kannst du nicht verfehlen, falls du dich kurz frisch machen willst.«
Etwas ungelenk löste sich Dennis von ihm und krabbelte aus dem Bett. Hastig sammelte er seine Klamotten zusammen und sah zu, dass er seinen nackten Arsch ins Bad brachte. Dort angekommen verzichtete er darauf, abzuschließen. Wie die anderen Räume der Wohnung war auch dieser winzig. Toilette, Dusche und ein Miniwaschbecken drängten sich an die drei verbliebenen Wände. Er öffnete den Wasserhahn und stützte sich kurz auf dem Becken ab. Als er seinen Blick hob, sah er in den Spiegel, der darüber hing. Seine Wangen waren rot gefärbt. Seine Augen funkelten ihn fast glasig an. Er wirkte durch und durch zufrieden. Fertig und zufrieden. Noch nie hatte er diesen Ausdruck an sich gesehen. Und ohne die Gefahr, unbekannten Augen ausgesetzt zu sein, fühlte er keinerlei Unsicherheit darüber, was er soeben getan hatte. Es fühlte sich nur ganz und gar richtig an.
Er würde zukünftig seine sexuellen Ausflüge anders gestalten müssen, wenn sie ihn derart zufrieden zurückließen. Die richtige Umgebung war wohl wichtiger, als er gedacht hatte. Den Gedanken, dass es an Alek liegen könnte, verwarf er.
Mögliche Fluchtmöglichkeiten waren nicht zu verachten. Doch die Ruhe und Sicherheit, die er hier bei Alek gespürt hatte, war von einer anderen Welt. So sehr, dass er über seinen eigenen Schatten hatte springen können. Etwas wagen konnte. Das war es, was ihn berauschte.
Draußen hörte er Geräusche in der Küche. Den Wasserhahn dort. Er hielt Alek auf. Nach einer kurzen Katzenwäsche machte er sich schnell fertig und schlüpfte in seine Klamotten.
Als er aus dem Bad trat, kam ihm Alek in seinen Boxershorts entgegen. Mit Katzen bedruckte Boxershorts. Und wieso bemerkte er das erst jetzt?
»Brauchst du noch was? Willst du was trinken?«
»Nein, nein!« Hastig wiegelte Dennis ab. »Ich muss los.« Er musste gar nichts, doch er wusste nicht, was er hier noch verloren hatte. Die altbekannte Unsicherheit kroch langsam aus ihrer Ecke zurück.
Völlig entspannt öffnete ihm Alek die Tür, während Dennis seine Schuhe anzog.
Als er sich aufrichtete, trat Alek einen Schritt auf ihn zu. Er küsste ihn nur ganz leicht auf die Lippen, doch diese prickelten, als hätte ihn jemand stundenlang mit einer Feder traktiert. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, antwortete Dennis automatisch.
Den Weg durch die Stadt zurück nahm er nur verschwommen war. Die Menschen, die von Bar zu Bar torkelten, die Besoffenen, die sich an den jahrhundertealten Steinmauern festhielten, die Paare, die scheinbar den Weg nicht mehr in ihre Wohnungen schafften. All das war nur die Leinwand für Dennis’ eigene Gedanken. Im Parkhaus angekommen, fingerte er mit pochendem Herzen seinen Schlüssel aus der Hosentasche.
Schnell löste er das Parkticket und lief die Treppen ins oberste Stockwerk hoch. Dieses gab den atemberaubenden Blick über die Innenstadt frei: die Geschlechtertürme, die aus den engen Winkeln und Gassen ragten und den Dom, der über die Stadtsilhouette aufstrebte. Hinter all dem erahnte er die Donau. Die Donau, die vor Aleks Fenstern floss. Die Donau, auf die er geblickt hatte, als Alek ihn von hinten umarmt und seinen Hals geküsst hatte.
Es fühlte sich an, als wäre er high. Gepusht von der Nacht, drehte er sich um sich selbst. Die Lichter der Stadt und die Beleuchtung des Parkhauses vermischten sich zu einem irrwitzigen Kreisel aus Blitzen, Glitzern und Blinken. Dennis schloss unter einem Lachen die Augen. Genauso sah es in ihm aus. Wie eine Wunderkerze. Er war gleichzeitig die Kerze und derjenige, der sich mit ihr in der Hand im Kreis drehte. So wie der brennende Stab sich in Sternchen zersetzte, so fühlte sich sein Herz an – als würde es zu tausenden Glühwürmchen zerspringen.
Als er in seinem Zimmer in der Gaststätte ankam, konnte er Aleks Berührungen immer noch spüren. Seine Haut war ein trockener Schwamm, jeder Fingerstrich darüber ein Tröpfchen Wasser. Er hatte gar nicht bemerkt, wie ausgetrocknet er war. Erst Aleks zartes bestimmtes Streicheln hatte ihm etwas gezeigt, was er nicht kannte.
Berührungen hatten in seinem Leben bisher keine Rolle gespielt. In seiner Familie nicht. Selbstverständlich nicht unter seinen Freunden oder Kollegen. Den Berührungen seiner Freundinnen war er eher ausgewichen. Wie ein echter Mann eben.
Das, was er heute erlebt hatte, war neu. Es schürte eine Hoffnung in ihm. Ein Verlangen, von dem er nicht wusste, dass es in ihm steckte. Es verlieh ihm Flügel und machte ihm schreckliche Angst.
War er der einzige Mensch, der so fühlte? Seine Gedanken wanderten zu seiner Schwester. Empfand sie genauso? Sicher nicht Alek oder Mark oder Fabian, seine alten Kollegen. Oder war das das Geheimnis, wieso sie sich um nichts scherten? War das Verlangen nach dieser Art von Berührung so stark, dass man furchtlos wurde?
Was, wenn er es nie wieder erleben durfte? Wenn er nie wieder auf diese Art berührt werden würde?
Es war in Ordnung gewesen, ohne diese Zärtlichkeiten zu leben, da er nicht wusste, dass sie existierten. Aber wie sollte er es jetzt aushalten?
Dieses Bewusstsein kribbelte durch seinen ganzen Körper. Voller überschüssiger Energie sprang er hoch und riss das Fenster auf. Ein kühler Nachthauch strich durch den Raum. Über seine Arme.
In seinem Magen zog sich die Hoffnung zu Bällchen zusammen und sprang wild darin umher. Von einer Ecke in die andere. Schickte ein Kribbeln durch seine Glieder und hielt ihn sicher die ganze Nacht wach. Erschöpft von den Emotionen, ließ er sich auf die kühlen Laken fallen.
Noch nie hatte er etwas so wahrlich wunderbar Gewaltvolles und Schreckliches zugleich gefühlt.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich wirklich allein.
Alek
Er wachte allein auf. Zum Glück.
Alek steckte noch in diesem orientierungslosen Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Die bekannte Rastlosigkeit, die seine Morgen so lange Zeit begleitet hatte, war in der letzten Zeit fast nicht mehr vorhanden gewesen. Bis jetzt. Jetzt war sie in alter Heftigkeit zurückgekehrt und durchtränkte ihn mit Hilflosigkeit. Sein Herz pochte so heftig, dass es ihm die Luft abquetschte. In seinem Kopf bellte immer noch dieser Hund aus seinem Traum. Und seine klammen Hände hatten sich in der Bettdecke verkrallt. Die verkrampften Knöchel schmerzten, als er seine Finger streckte.
Resigniert sah er auf sein Handy, das auf seinem Nachttisch lag. Sieben Uhr morgens an einem Samstag. Spitze! Zumindest war es hell.
Toll. Er hatte gehofft, das angenehme Gefühl der letzten Nacht mitzunehmen und in den Tag zu retten. Aber das hatte er nicht verdient. Also war die miese Stimmung ganz in Ordnung.
Obwohl der Abend zuvor ganz anders verlaufen war, als er hätte vermuten können. Er hatte gedacht, er sah nicht richtig, als er Dennis dort am Tresen entdeckte. Dieser wirkte so unfassbar jung, wie er um sich geschaut hatte. Seine Unsicherheit stellte so einen greifbaren Gegensatz zu seinem Körperbau dar, dass Alek der Kopf schwirrte.
Alek konnte sich noch erinnern, wie sich Mark verändert hatte, als er die schwere körperliche Arbeit auf dem Bau begonnen hatte. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich zu einem Tier entwickelt. Obwohl sie beide gleich groß waren, wirkte Mark viel mächtiger als er selbst, mit einem Kreuz und Schultern, die von Muskelbergen umgeben waren. Und genauso war Dennis. Muskeln über Muskeln. Dazu diese braune Haut, die durch die dauernde Arbeit draußen dunkler war als Aleks eigene, die Dank der Kindergartenkinder, die er betreute, ganzjährig im Bereich Dunkelweiß blieb.
Dennis’ Haut hatte denselben Ton wie sein Haar und seine Augen. Irgendwie erinnerte er ihn an ein Reh. Ein starkes, fittes Reh mit großen, dunklen, forschenden Augen. Augen, die mehr wagen wollten und nicht so recht wussten wie. Augen, die keinen Zweifel daran ließen, dass ihr Besitzer im Zweifel laufen würde, wenn Gefahr drohte.
Seine ganze Zurückhaltung, sein Zögern ließen Dennis jung wirken, aber nicht naiv. Er wusste was er wollte, auch wenn ihn dieses Wissen zu erschrecken schien. Und dennoch hatte er gewagt, Alek zu vertrauen. Das machte diesen fast demütig.
Nachdenklich sah Alek neben sich.
Er hatte überlegt, Dennis zu bitten, die Nacht bei ihm zu verbringen.