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Sie üben einen pastoralen Dienst aus sagen die deutschen Bischöfe. Dass die Pastoralreferent/innen kirchliche Amtsträger/innen sind, sagen sie aber nicht. Warum? Welches theologische Konzept steht hinter diesen und anderen (vergessenen) Aussagen? Welche Auswirkungen hat das in der Praxis? Fachleute aus Theorie und Praxis aus dem deutschen Sprachraum wenden sich den aktuellen Herausforderungen zu. Mit Beiträgen von Sabine Bieberstein, Gebriele Bungart, Eva-Maria Faber, Sabine Demel, Christian Domes, Frederike Dostal, Leo Karrer, Werner Kleine, Georg Köhl und Barbara Kückelmann.
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Seitenzahl: 398
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Sabine Demel (Hg.)
VergesseneAmtsträger/-innen?
Die Zukunft der Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Verlag Herder
ISBN (E-Book) 978-3-451-34564-7
ISBN (Buch) 978-3-451-32596-0
Inhalt
Einführung
Ekklesiologischer Ausgangspunkt
Sabine DemelKirche als Volk Gottes und die Berufung der Laien zur eigenen Verantwortung - Die theologischen Grundlagen für die Berufe der Gemeinde- und PastoralreferentInnen
Fachtheologische Perspektiven
Sabine Bieberstein„Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12,7) - Überlegungen zu den Rahmenstatuten aus biblischer Perspektive
Eva-Maria FaberDringliche Fingerübungen theologischer Erkenntnislehre - Zu ungeklärten Fragen hinter den Rahmenstatuten aus dogmatischer Perspektive
Sabine Demel„Wahrt das Recht und sorgt für Gerechtigkeit …“ (Jes 56,1)! - Ein Blick auf die Theologische Präambel der Rahmenstatuten aus kirchenrechtlicher Perspektive
Leo Karrer„Laien“ im pastoralen Dienst: Sackgasse oder Weg in die Zukunft? - Erfahrungen und Reflexionen aus pastoraltheologischer Perspektive
Klaus-Gerd Eich und Georg Köhl„Rolle rückwärts und Spagat“ - Die Rahmenstatuten von 2011 im Vergleich mit dem Statut im Bistum Trier aus pastoraltheologischer Perspektive
Berufspraktische Perspektiven
Christian DomesEingrenzen – Ausgrenzen – Entgrenzen - Gedanken und Erfahrungen aus der pastoralen Praxis
Werner KleineJetzt schon den Weg der Zukunft gehen - Grenzüberschreitungen der Citypastoral
Claudia GuggemosMystagogie als Berufsprofil - Die Theologische Präambel als Fremdkörper im beruflichen Selbstverständnis der Pastoralreferent/innen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart?
Monika TremelKein ekklesiologischer Irrtum, sondern eine Frucht des Heiligen Geistes - Das Amt der Pastoralreferenten/-innen und seine Bedeutung für die Pastoral
Friederike DostalRealität und Zukunftsperspektiven von Laientheologen in der Seelsorge - Österreichische Einblicke und Erfahrungen
Barbara KückelmannNichts Neues unter der Sonne - Gedanken zu den deutschen Rahmenstatuten aus Schweizer Sicht
Hinweise und Abkürzungen
Sachregister
AutorInnen
Anhang: Rahmenstatuten für Gemeindereferenten/-referentinnen und Pastoralreferenten/-referentinnen von 2011 (Auszug)
Fußnoten
Was für ein Titel? Damit kann ich mich gar nicht identifizieren: ich fühle mich weder „vergessen“ noch als „AmtsträgerIn“ – so war die Reaktion der Einen. Was für ein Titel! Endlich wird es einmal auf den Punkt gebracht: unsere Berufsgruppe ist mehr oder minder vergessen; bis heute gibt es von uns kein klares Berufsprofil, sondern nur ein Hin- und Herschieben unserer Einsatzmöglichkeiten. Ganz zu schweigen davon, dass uns jemand als kirchliche Amtsträger betrachtet – so war die Reaktion der Anderen. Was für ein Titel?! Ich weiß zwar nicht genau, was er aussagen will, aber er klingt interessant und regt zum Nachdenken an – so war die Reaktion einer dritten Gruppe. Diese Bandbreite an Reaktionen zeigt, dass die Wahl des Buchtitels gelungen ist.
Den Ausgangspunkt dieses Titels bilden die neuen „Rahmenstatuten und -ordnungen für Gemeinde- und Pastoral-Referenten/Referentinnen“, die im Oktober 2011 von den deutschen Bischöfen vorgelegt worden sind. Diese verstehen sich als Anpassung der entsprechenden Rahmenstatuten und Rahmenordnungen von 1987 an die neuen Anforderungen und Herausforderungen, die sich in den letzten Jahren ergeben haben. Das Hauptaugenmerk der Rahmenordnungen richtet sich dabei vor allem auf die Ausbildung, Berufseinführung und die Fortbildung der beiden Berufsgruppen, das der Rahmenstatuten insbesondere auf die Einsatzorte und -möglichkeiten der Gemeinde- und PastoralreferentInnen sowie deren theologischen und spezifisch kirchenrechtlichen Grundlagen. Für die Idee, den Titel und den Inhalt des vorliegenden Buches sind die Rahmenstatuten maßgeblich. Schließlich geben die Bischöfe als Zielgröße für die Neufassung der Rahmenstatuten an, dass diese „den theologischen Ort eines hauptberuflichen Dienstes von Laien in der Kirche beschreiben und die veränderten Herausforderungen an diese Dienste aufgrund der pastoralen Neuordnungen in den (Erz-)Bistümern berücksichtigen“ sollte (RSt Vorwort, S. 8). Diesem Anliegen sollte vor allem mit drei Maßnahmen Rechnung getragen werden:
Erstens sind die für die Gemeinde- und PastoralreferentInnen getrennt verfassten Rahmenstatuten von 1987 zu einem gemeinsamen Rahmenstatut zusammengefasst worden, weil sie vom Aufbau und Inhalt fast parallel gestaltet waren. Den inhaltlichen Grund für diese formale Maßnahme sehen die Bischöfe darin, dass „der theologische Ort der beiden Berufe identisch ist“ (ebd., S. 9).
Zweitens ist eine „Theologische Präambel“ eingeführt worden, „die den ekklesialen und ekklesiologischen Ort eines hauptberuflichen Dienstes von Laien in der Pastoral beschreibt“ (ebd., S. 10).
Drittens wird mit den neuen Rahmenstatuten (= RSt) „ein sowohl realistischer wie weit gefasster Rahmen für den hauptberuflichen pastoralen Dienst von Laien mit unterschiedlichen Ausbildungsabschlüssen aufgezeigt und es werden den (Erz-)Bistümern vielfältige Umsetzungsmöglichkeiten angeboten. Die unterschiedliche Entwicklung in den deutschen (Erz-)Bistümern zeigt, dass es keine überdiözesan verbindlichen Berufsbezeichnungen mehr gibt. Es ist darum Sache der (Erz-)Bistümer, die Berufsbezeichnungen, Gemeindereferent und/oder Pastoralreferentin, auf die unterschiedlichen Ausbildungsabschlüsse anzuwenden und – falls erforderlich – innerhalb des vorgegebenen Rahmens eine weitere Profilierung der Berufe vorzunehmen“ (ebd., S. 10).
Liest man unter besonderer Berücksichtigung der Neuerungen und der damit verfolgten Intentionen die Rahmenstatuten von 2011, so fällt auf, dass die deutschen Bischöfe – durchaus in Kontinuität zu den früheren Rahmenstatuten und deren Vorgängern – durchgängig betonen, dass die Gemeinde- und PastoralreferentInnen einen pastoralen Dienst ausüben. Dass sie kirchliche AmtsträgerInnen sind, erwähnen sie dagegen nicht. Warum? Welches theologische Konzept steht hinter diesen und anderen (vergessenen) Aussagen? Und welche Auswirkungen hat das in der Praxis?
Um diesen Fragen nachzugehen, setzen sich Fachleute aus Theorie und Praxis mit deutscher, österreichischer und deutsch-schweizerischer Erfahrung mit den Rahmenstatuten von 2011 aus biblischer, dogmatischer, kirchenrechtlicher und pastoraltheologischer Sicht auseinander und prüfen diese auf ihre Praxistauglichkeit: Wo sind die theologischen Grenzen dieses Rahmenstatuts? Wo die faktischen? Und wo die visionären? Welche Grenzziehungen gilt es aus welchen Gründen einzuhalten und welche zu überschreiten? Da die Antworten auf diese Fragen vermutlich in der Theologischen Präambel grundgelegt sind, bildet diese sowohl den Ausgangs- als auch den Mittelpunkt für die im folgenden vorgestellten Überlegungen der AutorInnen.1
Ein sehr konkretes Thema aus verschiedenen Blickwinkeln von mehreren AutorInnen beleuchtet – das bringt es mit sich, dass die eine wissenschaftlich-abstrakt, der andere persönlich-konkret, die eine induktiv von ihren eigenen Erfahrungen her, der andere deduktiv analytisch, die eine von Skepsis geprägt, der andere von Hoffnung erfüllt schreibt.
Ich danke allen AutorInnen, die sich auf die Auseinandersetzung mit dieser Thematik eingelassen und so zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben!
Für die Hilfe bei der redaktionellen Zusammenführung der Beiträge, dem Korrekturlesen und dem Erstellen des Stichwortverzeichnisses danke ich meinen MitarbeiterInnen am Lehrstuhl, Herrn Michael Pfleger (wissenschaftlicher Mitarbeiter) sowie Clarissa Kraus, Teresa Kammerlander und Stefan Knott (studentische Hilfskräfte).
Sabine Demel
Sabine Demel
Kirche als Volk Gottes und die Berufung der Laien zur eigenen Verantwortung
Die theologischen Grundlagen für die Berufe der Gemeinde- und PastoralreferentInnen
„Der Reichtum der Kirche sind Menschen mit ihren je unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen. Alle sind begabt, niemand ist unbegabt. Die Kirche … tut gut daran, mit diesem Reichtum zu wuchern. Sie wird dazu von den Erfahrungen der frühen Kirche inspiriert (vgl. 1 Kor 12). Alle haben die gleiche Würde, jede und jeder aber die eigene Begabung zu Gunsten des kirchlichen Lebens“ – so treffend und einladend war im Pastoralplan 2000 der Diözese Passau formuliert gewesen.2
Was für wohlklingende Töne, insbesondere für die Laien in der Kirche! Es sind noch relativ neue Töne in der langen Geschichte der katholischen Kirche, und deshalb sind es auch Töne, die noch nicht immer und noch nicht überall in der Kirche zum Erklingen gekommen sind. Doch gäbe es diese Töne nicht, gäbe es auch nicht die LaientheologInnen und Laienämter in der Kirche! Denn für die Laien hat das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1965) eine neue Ära in der Kirche eingeleitet, ohne die sich die LaientheologInnen und die Laienämter in der Kirche wohl kaum zu dem entwickelt hätten, was sie heute sind.
1 Die Unterordnung der Laien unter die Hierarchie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Nahezu zwei Jahrtausende lang waren die Laien in der Kirche darauf festgelegt, den Anordnungen der Hierarchie bzw. Kleriker zu gehorchen und für deren finanzielle Absicherung zu sorgen. Denn bereits am Ende des dritten Jahrhunderts besteht die „typisch laikale Aufgabe … neben der Teilnahme am Gemeindeleben und einem christlichen Leben in der ‚Welt‘ fortan darin, für die finanzielle Grundlage der kirchlichen Arbeit, insbesondere für die Armenpflege und für den Unterhalt des Klerus zu sorgen, der alle mit der Leitung, der Lehre und dem Gottesdienst verbundenen Aufgaben an sich zieht. Damit ist im Wesentlichen die Entwicklung einer kirchlichen Hierarchie abgeschlossen […].“3 Die Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien wird in den folgenden Jahrhunderten in keiner Weise in Frage gestellt, sondern im Gegenteil zu einer Trennung hin gesteigert, mit der parallel eine Aufspaltung in den kirchlich-kultischen und den rein weltlichen Aufgabenbereich einhergeht. So schärft im 11. Jahrhundert Kardinal Humbert von Silva Candida ein:
„Wie die Kleriker nicht Weltliches, so sollen die Laien nicht Kirchliches sich anmaßen … Die Laien sollen nur ihre Dinge, nämlich das Weltliche, die Kleriker aber nur die ihren, nämlich die kirchlich-geistlichen, betreiben.“4
Ganz in dieser Tradition verhaftet bringt schließlich Papst Pius X. zu Beginn des 20. Jahrhunderts das herrschende Kirchenverständnis auf den Punkt, wenn er auch noch 1906 in einer Enzyklika problemlos erklären kann:
„Nur die Versammlung der Hirten hat das Recht und die Autorität, zu lenken und zu regieren. Die Masse hat kein anderes Recht, als sich regieren zu lassen, als eine gehorsame Herde, die ihren Hirten folgt.“5
2 Die Wiederentdeckung des Selbstverständnisses der Kirche als Volk Gottes auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Hauptanliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils war es, das Selbstverständnis und Wesen der katholischen Kirche neu zu bestimmen. Dies ist ihm vor allem mit Hilfe des Bildbegriffes vom „Volk Gottes“ gelungen, der in Rückbesinnung auf die biblische Tradition und auf die Urkirche wieder neu entdeckt, ausgelegt und entfaltet worden ist. Dadurch brachte das Zweite Vatikanische Konzil wie in vielen anderen Bereichen so auch in der so genannten Laienfrage eine wichtige Neuorientierung. Die Besinnung auf den biblischen Gedanken des Volkes Gottes führte nämlich dazu, wesentlich stärker als bisher die grundsätzliche Gleichheit aller Glieder dieses einen Volkes Gottes wahrzunehmen. Durch diesen Perspektivenwechsel wurde schließlich sogar erkannt und daher fortan zum Ausdruck gebracht, dass das Gemeinsame wichtiger ist als das Unterscheidende. Der Ausdruck „Volk Gottes“ wird daher auf und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil verstanden als die Gemeinschaft aller Gläubigen, unter denen kraft der Taufe eine wahre Gleichheit besteht. Und diese Gleichheit ist grundlegender als alle Unterschiede, die es natürlich auch gibt. Was das genauerhin heißt bzw. wie Gleichheit und Unterschiedlichkeit sich zueinander verhalten, wird vor allem in den zwei zentralen Konzilslehren über das gemeinsame und amtliche Priestertum und über den Glaubenssinn aller Gläubigen deutlich. Was besagen diese beiden Lehren?
• In den Ausführungen über das gemeinsame und amtliche Priestertum (LG 10) legt das Konzil dar, dass nicht nur einzelne Glieder des Volkes Gottes zum Priestertum in der Kirche berufen sind, sondern alle Glieder. Denn kraft der Taufe werden alle Gläubigen – wie das Konzil sagt – zu „einem heiligen Priestertum geweiht“ (LG 10,1) und sind dadurch befähigt wie auch beauftragt, die göttliche Heilsbotschaft allen Menschen kundzutun. Gemeinsames Priestertum heißt also, dass jedes einzelne Glied des Volkes Gottes in, mit und durch die Taufe berufen ist, an der Sendung der Kirche mitzuwirken. Das ist die erste entscheidende Aussage des Zweiten Vatikanischen Konzils. Auf ihrer Grundlage wird dann das zweite Element, die Lehre vom „geweihten Priestertum“ wie folgt entwickelt: Wie alle Gläubigen kraft Taufe zum gemeinsamen Priestertum gehören, so sind einige darüber hinaus kraft der Weihe zum amtlichen Priestertum bestellt, das auch als das hierarchische oder besondere Priestertum bezeichnet wird. Dieses amtliche Priestertum hat die Aufgabe, dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen Christus, das priesterliche Haupt des Volkes Gottes und damit den eigentlichen Priester, zu repräsentieren und zu vergegenwärtigen. Dadurch soll allen Gläubigen immer wieder neu ins Bewusstsein und in Erinnerung gerufen werden, dass die Kirche nicht einfach ein Produkt der Menschen oder der Natur ist, sondern eine Gemeinschaft eigenen Wesens, aus eigenem Grund, zu eigenem Zweck. Und Wesen, Grund und Zweck der Kirche ist einzig und allein Jesus Christus mit seinem göttlichen Sendungsauftrag.6 Aufgabe und Funktion des amtlichen Priestertums machen somit deutlich: Das amtliche Priestertum ist für das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen da und nicht umgekehrt; ja man kann sogar sagen: Gäbe es das gemeinsame Priestertum nicht, gäbe es auch das amtliche Priestertum nicht! Als Augustinus einst zum Bischof bestellt wurde, kleidete er diese Tatsache in die treffenden Worte: ‚Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof‘.7 Ähnlich hat es Joseph Ratzinger unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert: „Für sich gesehen und auf sich allein hin gesehen ist jeder Christ nur Christ und kann gar nichts Höheres sein … Bischof (und entsprechend Presbyter) ist man immer ‚für euch‘ oder man ist es nicht.“8
Eine Aussage des Konzils in der Zuordnung und Abgrenzung von gemeinsamem und amtlichem Priestertum bereitet allerdings bis heute Auslegungsschwierigkeiten. Wie ist die Feststellung zu verstehen, dass sich das amtliche Priestertum „dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach“ vom gemeinsamen Priestertum unterscheidet (LG 10,2)? Sie wird zu Recht als „missverständlich“ kritisiert; denn sie „suggeriert die zumindest hier unangebrachte Alternative von Wesen und Funktion. Das Wesen Christi war seine Funktion, sein Dasein für andere.“9 Deshalb ist hier zu betonen: „Der geweihte Priester ist also nicht dem Laien graduell übergeordnet, er ist nicht einige Grade heiliger, frömmer oder mehr von Gott geliebt. Vielmehr liegt sein Priestertum auf einer wesensmäßig ganz anderen Ebene – wobei ‚dem Wesen nach‘ nicht meint, dass der Amtsträger durch die Weihe seinsmäßig verändert würde [andernfalls könnte nicht für zwei verschiedene Wesen der gemeinsame Begriff sacerdotium verwendet werden]. Mit dieser Formulierung wird vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass die Inhaber des Amtspriestertums eine wesentlich andere Berufung und Sendung haben.“10 Das Konzil umreißt diese andere Berufung und Sendung in dreifacher Hinsicht:
„Der Amtspriester nämlich bildet aufgrund der heiligen Vollmacht, derer er sich erfreut, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar“ (LG 10,2).
Die Amtspriester sind also „berufen und gesandt zum Dienst am Volk Gottes und zur Christusrepräsentation in Verkündigung, Gemeindeleitung und Sakramentenspendung. Dieser Dienst ist etwas grundlegend anderes als die Ausübung des gemeinsamen Priestertums; beide haben unterschiedliche Aufgaben und eine unterschiedliche Sendung wahrzunehmen.“11 Und dafür sind sie auch unterschiedlich zugerüstet: Der amtspriesterliche Dienst gründet in der heiligen Vollmacht (sacra potestas), die mit der Weihe verliehen wird, der priesterliche Dienst der Gläubigen im „königlichen Priestertum“ (regale sacerdotium), das mit der Taufe empfangen wird.
• Die Lehre vom Glaubenssinn des ganzen Volkes Gottes, vom sog. sensus fidelium (LG 12), besagt, dass nicht nur das amtliche Priestertum die Gabe der Wahrheitsfindung besitzt, sondern auch jeder und jede einzelne Gläubige. Denn das Konzil sagt klar:
„Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben, kann im Glauben nicht fehlgehen, und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie mittels des übernatürlichen Glaubenssinns des ganzen Volkes dann kund, wenn sie von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert“ (LG 12,2).
Hervorzuheben ist hier, dass Adressat des Glaubenssinnes nicht primär der/die einzelne Gläubige ist, sondern das Gottesvolk in seiner Gesamtheit. Damit wird zum Ausdruck gebracht: Der Glaubenssinn kann sich erstens nur in der Gemeinschaft der Glaubenden wesensgerecht entfalten und er ist zweitens wesentlich Sinn der Gläubigen, so dass das Miteinander das entscheidende Medium seiner Verwirklichung ist. Aus dieser Tatsache sind zwei Schlussfolgerungen zu ziehen, die schon Paulus seinerzeit treffend auf den Punkt gebracht hat (vgl. 1 Kor 12,4 –31; Röm 12,3 – 8): Erstens ist offensichtlich jedes Glied des Gottesvolkes mit dem Geist begabt; und zweitens hat genauso offensichtlich kein einzelnes Glied den Geist in Fülle. Konsequent zu Ende gedacht ist daher der Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes auch als Synonym für die Wesens-Notwendigkeit von Kommunikation, Miteinander und Zusammenarbeit in der Kirche zu verstehen.12
Allerdings sorgt auch in dieser Lehre eine Aussage bis heute für Diskussionen über ihr Verständnis. Es wird betont, dass der Glaubenssinn des Gottesvolkes auf die Leitung des kirchlichen Lehramtes angewiesen ist. Doch es wird nichts über die Zuordnung des Glaubenssinnes des ganzen Gottesvolkes zu der spezifischen Funktion des kirchlichen Lehramtes im Hinblick auf den Glaubenssinn ausgesagt. Als zwei Eckdaten können wohl gelten, dass das kirchliche Lehramt einerseits den Glaubenssinn nicht erst bewirkt, sondern vielmehr ermitteln muss, und andererseits als kritische Instanz die verschiedenen Glaubensäußerungen auf die Identität und Authentizität des Glaubens hin zu überprüfen hat (vgl. LG 12,2). Somit ist der Glaubenssinn einerseits neben Lehramt und Theologie eine eigenständige Erkenntnis- und Bezeugungsinstanz des Glaubens und ist zugleich auf die Überprüfung seiner Echtheit durch Lehramt und Theologie angewiesen. Auch wenn bisher letztendlich noch nicht geklärt ist, wie das Verhältnis von Glaubenssinn und Lehramt genau zu bestimmen ist, wird dennoch eindeutig in LG 12 hervorgehoben, dass das amtliche Priestertum als Lehrautorität nicht über, sondern innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft der Gläubigen steht und dem Glaubenssinn, dem Glaubensbewusstsein dieser Gemeinschaft, verpflichtet ist; seine Lehrautorität ist auf jeden Fall an die Wahrnehmung und Beachtung des Glaubenssinnes im Gottesvolk gebunden.
Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil versteht sich die katholische Kirche nicht mehr primär als die ständisch geordnete Gesellschaft von Klerikern und Laien, sondern als die Gemeinschaft aller Gläubigen, unter denen kraft der Taufe eine wahre Gleichheit besteht, die grundlegender ist als die Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien. Nicht mehr die zwei Klassen der Kleriker und Laien bilden den Ausgangspunkt und das Zentrale, sondern die grundsätzliche Gleichheit aller Glieder des Volkes Gottes. Deshalb wird seitdem immer wieder hervorgehoben, dass nicht nur die Kleriker bzw. die Hierarchie von Papst, Bischöfen, Priestern und Diakonen die Sendung der Kirche erfüllen, sondern auch die Laien. Alle, Laien und Kleriker, sind gemäß ihrer je eigenen Stellung in der Kirche zur Ausübung der Sendung berufen, die Gott der Kirche zur Erfüllung in der Welt anvertraut hat – so ist wiederholt in kirchlichen Dokumenten zu lesen.
Hieraus sind zumindest drei Schlussfolgerungen zu ziehen. Erstens darf es in der Kirche nicht um Betreuung der einen durch die anderen gehen, sondern es muss auf die wechselseitige Hilfe im Christsein ankommen. Zweitens darf es keine Zweiteilung von aktiven Entscheidungsträgern hier und passiven Empfängern dort geben, sondern alle Gläubigen müssen die kirchliche Gemeinschaft aktiv mitgestalten. Drittens darf Kirche der Gesellschaft und Welt nicht nur gegenüber stehen, sondern muss vielmehr auch und gerade in ihrer Mitte tätig sein, nämlich als das wirkmächtige Instrument Gottes für das Heil der Welt, also als Sakrament des Heils für die Welt.
3 Die Anerkennung der Laien durch die Hierarchie auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Die Wiederentdeckung des Selbstverständnisses der Kirche als Volk Gottes führt auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu einer neuen Sicht und Bewertung der Laien. Die Konzilsväter erkennen und anerkennen, dass die Kirche ohne die Laien gar nicht existieren kann. Es ist nun sogar davon die Rede, dass die Hirten die Erfahrung der Laien und ihre Unterstützung in kirchlichen und weltlichen Angelegenheiten brauchen. So heißt es nun in der dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“:
„Die heiligen Hirten haben nämlich wohl erkannt, wie viel die Laien zum Wohl der ganzen Kirche beitragen. Die Hirten wissen nämlich, dass sie von Christus nicht eingesetzt sind, um die ganze heilmachende Sendung der Kirche gegenüber der Welt alleine auf sich zu nehmen, sondern dass es ihre vornehmliche Aufgabe ist, die Gläubigen so zu weiden und ihre Dienstleistungen und Gnadengaben so zu prüfen, dass alle auf ihre Weise zum gemeinsamen Werk einmütig zusammenwirken“ (LG 30,1).
„Die Hirten der Kirche sollen, dem Beispiel des Herrn folgend, sich gegenseitig und den anderen Gläubigen dienen, diese aber sollen eifrig den Hirten und Lehrern ihre gemeinsame Bemühung zur Verfügung stellen. So geben in Vielfalt alle Zeugnis von der wunderbaren Einheit im Leibe Christi: denn gerade die Verschiedenheit der Gnaden, Dienstleistungen und Tätigkeiten sammelt die Kinder Gottes, weil ‚dies alles der eine und gleiche Geist wirkt‘ (1 Kor 12,11)“ (LG 32, 3).
Nicht mehr von „weltlichem“ Bereich hier und „geistlichem“ Bereich dort, nicht mehr vom „Regieren“ der Einen und vom „Gehorchen“ der Anderen ist die Rede, sondern vom „Wissen“ der Hirten über den „Beitrag der Laien zum Wohl der Kirche“ und vom „Zusammenwirken“ der Laien und Kleriker, ja sogar davon, dass „die Hirten den anderen Gläubigen dienen sollen“.
Was für eine kopernikanische Wende! Aus den Laien als Sprachrohr der kirchlichen Autorität sind Laien mit einer eigenen Berufung und Stimme in der Kirche geworden. Waren die Laien zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch von päpstlicher Seite ermahnt worden, dass sie sich führen zu lassen und als gehorsame Herde ihren Hirten zu folgen haben,13 so wird nun den Hirten gesagt, dass sie die Würde, Freiheit und Verantwortung der Laien in der Kirche anzuerkennen und zu fördern haben, sowie gerne deren klugen Rat benutzen und ihnen vertrauensvoll Aufgaben in der Kirche übertragen sollen (LG 37).
4 Die Entdeckung der eigenen Berufung der Laien im Dekret über das Laienapostolat „Apostolicam actuositatem“
Der neuen Stellung der Laien als aktive und mündige Glieder in der Kirche entsprechend wird gleich zu Beginn des Laiendekretes „Apostolicam actuositatem“ erklärt:
„Das Apostolat der Laien, das in deren christlicher Berufung selbst seinen Ursprung hat, kann in der Kirche niemals fehlen“ (AA 1).
Hier wird eine wuchtige Grundaussage, gleichsam eine unaufgebbare Prämisse formuliert: Das Laienapostolat kann in der Kirche niemals fehlen! Die Mitwirkung der Laien an der Sendung der Kirche ist also unverzichtbar!
War der Begriff „Apostolat“ als Ausdruck für die Sendung der Kirche über Jahrhunderte ausschließlich den Klerikern reserviert, wird er nun auch auf die Laien angewendet. Sie werden dadurch zu aktiven Gliedern in der Kirche, deren apostolische Tätigkeit auf der gleichen Stufe steht wie die apostolische Tätigkeit der Kleriker. Insofern sind die Begriffe „Laienapostolat“ und „Apostolat“ der Kleriker synonym und umschreiben alle Bemühungen, die christliche Botschaft in Kirche und Gesellschaft präsent zu machen und sind damit wiederum Synonyme für den Ausdruck „Evangelisierung“.
Ein zweiter Aspekt ist hervorzuheben: Das Apostolat der Laien hat nach den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils „seinen Ursprung“ in ihrer „christlichen Berufung selbst“. Mit dieser Formulierung wird bereits angedeutet, was im Dekret noch mehrmals in aller Klarheit hervorgehoben wird: Das Laienapostolat ist nicht (mehr wie früher angenommen und gelehrt) von den Klerikern als den Inhabern des geweihten Amtes abzuleiten, sondern direkt von Christus bzw. von der Vereinigung der Laien „mit Christus, dem Haupt“, und ist „Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst“ (AA 2; vgl. auch AA 3). Demzufolge haben nicht mehr nur die Kleriker auf ihre Weise am dreifachen Amt Christi, des Priesters, Propheten und Königs, teil, sondern auch die Laien sind auf ihre Weise durch die Taufe des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig geworden (AA 10; LG 31). Mit Recht ist hieraus die Schlussfolgerung zu ziehen: Darin „darf man die pointiertesten Aussagen des Dekretes zum Apostolat sehen. Offener und universaler kann dieses nicht mehr werden, keines der Glieder der Kirche kann nun mehr davon ausgeschlossen werden oder sich davon dispensiert fühlen.“14
Mit der neuen Sicht des Laienapostolats hatten die Konzilsväter auch die Aufgabe, den Kurs der Kirche neu auszurichten und dabei die Mitte zu halten zwischen der Skylla zu weitgehender Autonomie der Laien in ihrem Apostolat und der Charybdis zu großer Abhängigkeit der Laien von der kirchlichen Autorität.15 Das war kein leichtes Unterfangen; sie mussten der Eigenständigkeit des Laienapostolats auf der einen Seite und dessen Einordnung ins Gesamt der Kirche auf der anderen Seite Rechnung tragen. Diese doppelte Perspektive sahen sie dadurch gewährleistet, dass sie die geweihten Amtsträger in die Pflicht nehmen, das Laienapostolat zu fördern und zu unterstützen sowie angemessen zu ordnen und zu koordinieren (AA 23 –25). Der Spannungsbogen von selbständigem Engagement der Laien einerseits und Leitung dieses Engagements durch die kirchliche Autorität andererseits wird treffend wie folgt umschrieben:
„Es ist die Aufgabe der Hierarchie, das Apostolat der Laien zu fördern, Grundsätze und geistliche Hilfen zu geben, seine Ausübung auf das kirchliche Gemeinwohl hinzuordnen und darüber zu wachen, dass Lehre und Ordnung gewahrt bleiben.
Freilich lässt das Apostolat der Laien, je nach seinen verschiedenen Formen und Inhalten, verschiedenartige Beziehungen zur Hierarchie zu. In der Kirche gibt es nämlich sehr viele apostolische Werke, die durch freie Entschließung der Laien zustande kommen und auch nach ihrem klugen Urteil geleitet werden. Durch solche Werke kann die Sendung der Kirche unter bestimmten Umständen sogar besser erfüllt werden. Deshalb werden sie auch nicht selten von der Hierarchie gelobt und empfohlen … Gewisse Formen des Apostolats der Laien werden, wenn auch in unterschiedlicher Weise von der Hierarchie ausdrücklich anerkannt“ (AA 24).
Umso überraschender wirkt es – zumindest auf den ersten Blick –, dass das Konzil an einigen Stellen explizit hervorgehoben hat, dass den Laien „der Weltcharakter ganz besonders zu eigen“ sei (LG 31,1; vgl. AA 2, 4, 7, 29). Wie ist diese Aussage zu verstehen?
Legen die einen sie eher als theologisch-normative Definition des Laie-Seins in der Kirche aus,16 so sehen die anderen darin lediglich eine soziologisch-deskriptive Umschreibung dessen, was ist, aber nicht unbedingt sein muss.17 Und eine dritte Gruppe problematisiert den Inhalt dieser Zuschreibung durch Nach- und Anfragen folgender Art: Wieso soll nur den Laien ein besonderer Weltcharakter eigen sein? Leben denn die Kleriker woanders als „inmitten der Welt“ (AA 2)? Haben es nicht auch die Kleriker mit den weltlichen Dingen zu tun? Und haben nicht auch sie, wie die Kirche überhaupt, die Aufgabe, der Verwandlung der Welt in Gottes Herrschaft zu dienen?18 Zumindest werden die Priester auch im Dekret über den Dienst und das Leben der Presbyter „mitten in der Welt“ gesehen (PO 17,1), und in der Kirchenkonstitution wird treffend formuliert: „Mit einem Wort: ‚Was die Seele im Leibe ist, das sollen in der Welt die Christen [nicht „nur“: die Laien!] sein‘“ (LG 38,1).
Letztendlich kann in dieser gelegentlichen Hervorhebung des besonderen Weltcharakters der Laien „die Ambivalenz so vieler konziliarer Formulierungen beobachtet werden: Einerseits wird die Möglichkeit offen gehalten, in die grundlegende Sendung der Kirche doch wieder eine ‚ständische‘ Differenz (zwischen Laien und Klerus) einzutragen; andererseits findet eine formale Würdigung der Eigenständigkeit der Laien im Volk Gottes statt.“19 Der „konziliaren Ambivalenz“ in der Laienfrage kommt aber noch eine viel tiefer gehende Bedeutung zu. Sie trägt nämlich eine Dynamik in sich, die geradezu als prophetisch bezeichnet werden kann. Denn die besondere Zuschreibung des Weltcharakters an die Laien führt dazu, dass die „Konzilstexte sich gewissermaßen selbst überholen. Wenn [in AA 2] … das Apostolat der Laien inhaltlich durch ‚ihr Bemühen um die Evangelisierung und Heiligung der Menschen und um die Durchdringung und Vervollkommnung der zeitlichen Ordnung mit dem Geist des Evangeliums‘ bestimmt wird, und wenn man bedenkt, dass genau darin die Sendung der Kirche insgesamt besteht, dann wird faktisch ausgesagt, dass die Laien in suffizienter Weise Träger der Sendung der Kirche in der Welt sind.“20 Oder noch pointierter ausgedrückt: „Streng genommen leben Christen … nicht in der Kirche, sondern in der Welt, wohl als Kirche in der Welt. Die Kirche nach ihrer empirischen Dimension (vgl. LG 8) hin ist aber ‚Welt‘ – unterwegs, um ins Reich Gottes hinein vollendet zu werden […]. Die Materie des sacramentum salutis ist ‚Welt‘; worin die Kirche sich von der Welt unterscheidet, ist ihre göttliche Dimension des Glaubens, aus der ihr die Gabe geschenkt wird und die Aufgabe erwächst, sich selbst in ihren Gliedern und deren Lebenswelt zu ‚heiligen‘ – nach dem einen Heilsplan Gottes.“21 Deshalb darf hier mit Recht die provozierende Frage gestellt werden: „Ist es zu viel gesagt, dass die Kirche des II. Vatikanums mit Apostolicam actuositatem bekennt, dass sie die Gewinnung eines schöpferischen Welt-Verhältnisses – und damit die Gewinnung ihrer eigenen Sendung – den Laien verdankt?“22
5 Das Laienapostolat im kirchlichen Alltag
Wird die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Laienapostolat, also über die eigene Verantwortung und Sendung der Laien in der Kirche wirklich ernst genommen, dann folgt daraus die Notwendigkeit, unser kirchliches Leben grundlegend umzugestalten: Aus unserem klerikerzentrierten Kirchenalltag muss ein laienorientierter Kirchenalltag werden. Wir müssen die Vorstellung überwinden lernen, nur das als kirchlich relevant anzusehen und zu akzeptieren, was von den Priestern, Pfarrern und Bischöfen gesagt und getan wird. Denn „kirchlich“ ist eben nicht nur das, was weiheamtlich oder bischöflich gesetzt oder anerkannt ist, sondern auch jedes Handeln von KatholikInnen, das sozusagen „nur“ aus der christlichkatholischen Verantwortung kraft Taufe und Firmung heraus erfolgt. Auch das, was von den Laien geredet und getan wird, ist als „kirchlich“ und als „kirchliches Handeln“ zu bewerten. Die Grundlage dafür ist die Tatsache, dass nicht nur die Kleriker, namentlich die Bischöfe, kraft ihrer Weihe an der Vollmacht Christi teilhaben, sondern auch alle Gläubigen kraft Taufe und Firmung in abgestufter Form ebenso daran teilhaben. Deshalb umfasst „kirchliches Handeln“ drei verschiedene Formen:
Kirchliches Handeln im Allgemeinen: kraft Taufe und Firmung (Allgemeine Teilhabe an der Vollmacht Christi).
Kirchliches Handeln im Namen und Auftrag der Kirche: kraft Taufe, Firmung und kirchenamtlicher Sendung (autoritative Teilhabe an der Vollmacht Christi).
Kirchliches Handeln in der Person Jesu Christi, des Hauptes der Kirche: kraft Taufe, Firmung und Weihe zusammen mit einer kirchenamtlichen Sendung (Fülle der Teilhabe an der Vollmacht Christi).
Dieses gestufte kirchliche Handeln als theologische Konsequenz aus den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche ist aber bis heute immer noch nicht hinreichend, zum Teil sogar noch überhaupt nicht im Bewusstsein vieler KatholikInnen angekommen. Nahezu 50 Jahre nach Abschluss des Konzils ist bei Klerikern wie Laien so gut wie gar nicht präsent, welches Recht, aber auch welche Pflicht, welches Maß an Freiheit, aber auch Verantwortung für die Sendung der Kirche den Laien mit der Lehre des Laienapostolats zukommt.
6 LaientheologInnen und Laienämter als Konsequenzen des Laienapostolats
„Alle sind begabt, niemand ist unbegabt“ ist eine treffende Umschreibung der Tatsache, dass seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil alle Gläubigen die kirchliche Gemeinschaft aktiv mitgestalten, dass es also keine Zweiteilung von aktiven Entscheidungsträgern hier und passiven Empfängern dort gibt, dass es in der Kirche nicht um Betreuung der einen durch die anderen geht, sondern um wechselseitige Hilfe im Christsein. Und genau das ist der Ausgangspunkt und die Grundlage für das, was vor gut 50 Jahren noch nahezu undenkbar war, heute aber zur Alltagserfahrung gehört: Laien sind seelsorglich tätig, sei es in der Sakramentenvorbereitung, der Predigt oder der Sterbebegleitung, sei es als Religionslehrer, Pastoralassistentin, Pfarrgemeinderatsmitglied oder in vielen anderen ähnlichen Funktionen. Waren die Laien früher ausschließlich die Objekte der Seelsorge, so sind sie heute auch zu Subjekten der Seelsorge geworden.
6.1 Die kirchliche Berufsgruppe der LaientheologInnen
Das neue Selbstverständnis der katholischen Kirche hat auch dazu geführt, dass bereits in den 1970er Jahren im Bereich der Deutschen (wie auch der Schweizer und Österreichischen) Bischofskonferenz zwei neue Berufe entstanden sind, die speziell von Laien ausgeübt werden können und in deren Mittelpunkt verschiedene Seelsorgsaufgaben stehen: der/die Gemeinde- und PastoralreferentIn. Da die Grundvoraussetzung für diese Berufe eine theologische Fachausbildung ist, werden die Gemeinde- und PastoralreferentInnen auch „LaientheologInnen“ genannt – gleichsam in Anspielung darauf, dass es nicht mehr wie früher nur Kleriker sind, die Theologie studieren bzw. Theologen sind, um in der Seelsorge eingesetzt zu werden, sondern auch Laien. Im Falle des Gemeindereferenten besteht die theologische Ausbildung in der Regel in einem sechssemestrigen Fachhochschulstudium der Religionspädagogik, im Falle der Pastoralreferentin in einem zehnsemestrigen Universitätsstudium der Theologie.
Wer als Gemeindereferent oder Pastoralreferentin tätig ist, wirkt nach Maßgabe des Rechts in allen drei Aufgabenbereichen des Verkündigungs-, Heiligungs- und Leitungsdienstes mit und ist jeweils einem Priester zugeordnet, der für die Leitung der Seelsorgsaufgaben (= für die Hirtensorge) in einer Pfarrei verantwortlich ist. Während aber der Gemeindereferent vor allem im Bereich der Gemeinde und Pfarrei tätig ist und das priesterliche Weiheamt beim Aufbau und der Bildung lebendiger Gemeinden und Pfarreien unterstützt, ist die Pastoralrefentin sowohl auf der Ebene der Gemeinde und Pfarrei wie auch auf übergemeindlicher bzw. überpfarrlicher Ebene eingesetzt, um den weihepriesterlichen Dienst dadurch zu ergänzen, dass sie bestimmte pastorale Arbeitsgebiete mit eigener Sachkompetenz übernimmt und eigenverantwortlich ausübt.
6.2 Gemeinde- und PastoralreferentInnen als AmtsträgerInnen
Das Zweite Vatikanische Konzil unterscheidet klar zwischen kirchlichen Ämtern, die auch Laien wahrnehmen können, und kirchlichen Ämtern, die nur Klerikern übertragen werden können (vgl. z. B. LG 33,3; AA 24,5; PO 20). Diese neue Amtstheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils hat das kirchliche Gesetzbuch von 1983 aufgenommen und – seiner Aufgabe entsprechend – in die kanonistische Sprache übersetzt. Seitdem ist in der katholischen Kirche folgende Definition verbindlich in Kraft gesetzt:
„Kirchenamt ist jedweder Dienst, der durch göttliche oder kirchliche Anordnung auf Dauer eingerichtet ist und der Wahrnehmung eines geistlichen Zweckes dient“ (c.145 §1 CIC/1983).
Darüber hinaus ist vom kirchlichen Gesetzgeber festgelegt worden, dass zur Übernahme eines kirchlichen Amtes ein spezieller kirchlicher Sendungsauftrag, der als kanonische Amtsübertragung bezeichnet wird, notwendig ist:
„Ein Kirchenamt kann ohne kanonische Amtsübertragung nicht gültig erlangt werden“ (c.146 CIC/1983).
Dementsprechend wird auch innerhalb des Katalogs der „Pflichten und Rechte der Laien“ (cc.224 –231 CIC/1983) explizit hervorgehoben:
„Laien, die als geeignet befunden werden, sind befähigt, von den geistlichen Hirten für jene kirchlichen Ämter … herangezogen zu werden, die sie gemäß den Rechtsvorschriften wahrzunehmen vermögen“ (c.228 §1 CIC/1983).
Die kirchlichen Berufe des Gemeindereferenten und der Pastoralreferentin stellen eine konkrete Umsetzung der mit dem Konzil eröffneten und im kirchlichen Recht klar geregelten Möglichkeit dar, auch Laien mit kirchlichen Ämtern zu betrauen. Beide Berufe erfüllen eindeutig die Kriterien eines kirchlichen „Amtes“, wie sie in c.145f normiert sind: sie sind in den Teilkirchen auf kirchliche Anordnung hin dauerhaft eingerichtet worden, dienen dem geistlichen Zweck der Seelsorge und verlangen zu ihrer Ausübung eine kirchenamtliche Sendung des zuständigen Bischofs.
6.3 Kompetenzen- und ressourcenorientiertes Miteinander in der Gemeindepastoral
Empirische Untersuchungen belegen, dass inzwischen „LaientheologInnen im pastoralen Dienst viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede mit den ursprünglichen Monopolisten, also mit den Priestern, in der Rolle des Pastors“ aufweisen.23
Die Unterschiede können im Grunde zusammengefasst werden als Weihe versus kirchliche Sendung; umfassende Amtsbefugnisse versus partielle Zuständigkeit; Befugnis zur Predigt versus eingeschränkte Beauftragung zur Predigt; Enthaltsamkeit versus Möglichkeit zu sexueller Aktivität; Einkommenssicherheit versus Kündbarkeit; exklusiv Männer versus Frauen und Männer.24
Für die Adressaten in der konkreten Pastoral kommen diese Unterschiede aber kaum zum Tragen, da hier das Augenmerk auf den seelsorglichen Tätigkeitsbereich gelegt wird. Dieser aber ist nahezu deckungsgleich. Abgesehen von der Sonderstellung des Priesters bei den drei Sakramenten der Eucharistie, Krankensalbung und Buße „gibt es keine prinzipiellen Unterschiede zwischen Priestern und Laientheologlnnen bei den Schwerpunkten in der Gemeindepastoral, sondern vor allem individuelle Akzentsetzungen und gemeinsame Arbeitsabsprachen.“25 Genau darin liegt eine ebenso große Gefahr wie auch Chance.
Die Gefahr besteht darin, dass die individuellen Akzentsetzungen nur von Seiten des Priesters in der Gestalt des Pfarrers oder übergeordnet vom Bischof festgelegt statt in Zusammenarbeit mit den betreffenden LaientheologInnen vor Ort entwickelt werden. In solchen Fällen kommt es nicht selten dazu, dass Fähigkeiten, die vorhanden sind, nicht entfaltet werden können, und umgekehrt Fähigkeiten abverlangt werden, für die die Eignung fehlt. So entsteht nicht selten die Spannung zwischen Können, aber Nicht-Dürfen und zwischen Müssen, aber Nicht-Können, und zwar auf beiden Seiten, sowohl bei den Priestern als auch bei den LaientheologInnen.26
Die Chance ergibt sich, wenn die individuellen Akzentsetzungen im Miteinander aller SeelsorgerInnen vor Ort abgestimmt werden, und zwar nach den Kriterien der pastoralen Erfordernisse wie auch der vorhandenen seelsorglichen Kompetenzen und Ressourcen vor Ort.
Wenn und wo das gelingt, wird den LaientheologInnen weder nur eine einflusslose Mitwirkung zugestanden noch umgekehrt eine LückenbüßerInnenfunktion für fehlende Priester zugemutet; dann und dort droht auch weniger die Gefahr, den Einheits- und Leitungsdienst der Priester für überflüssig zu erachten oder Ehrenamtliche als HilfsdienerInnern der Hauptamtlichen zu betrachten, dann und dort entsteht ein Raum für gegenseitiges Vertrauen und Zutrauen, für gegenseitiges Anerkennen und Beteiligen an Planung und Verantwortung, für ein koordiniertes und effektives Miteinander zum Wohle der Kirche.
Sabine Bieberstein
„Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt“ (1 Kor 12,7)
Überlegungen zu den Rahmenstatuten aus biblischer Perspektive
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