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In ihrem augenzwinkernden Bericht über stürmische Liebeshochzeiten, abgeklärte Ehen, fröhliche Singles und unverbesserliche Romantiker rechnet Felicitas von Lovenberg ab mit dem Traum in Weiß – und liefert den Beweis, dass wahre Liebe heißt: Ich trau mich – auch ohne Trauschein.
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Seitenzahl: 397
Felicitas von Lovenberg
Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie?
Die Sehnsucht nach der romantischen Liebe
Knaur e-books
Das glückliche Paar vor dem Traualtar, Happy End, und dann der Abspann. So funktioniert die Liebe im Kino. Nur: Was kommt eigentlich danach? Man ahnt, dass es künftig bergab geht mit der Romantik, spätere Scheidung nicht ausgeschlossen. Aber warum dann überhaupt heiraten?Am Beispiel von Romeo und Julia, Charles und Camilla und anderen großen Liebespaaren zeigt Felicitas von Lovenberg, warum sich Liebe und Ehe so oft nicht vertragen. Und kommt zu dem Schluss, dass es auf jeden Fall klüger ist, nicht zu heiraten.Also ein Buch für Beziehungsmuffel? Nein, vielmehr eine Anleitung zum Glücklichsein und der Beweis, dass wahre Liebe heißt: Ich trau mich – auch ohne Trauschein.
Für Patrick, natürlich – in inniger nachehelicher Freundschaft
»Wann überzeugt Sie die Ehe als Einrichtung mehr:
wenn Sie diese bei andern sehen oder in Ihrem eigenen Fall?
Welche Probleme löst die gute Ehe?
Hätten Sie von sich aus die Ehe erfunden?«
Max Frisch, »Fragebogen«
Don’t marry, be happy?
»Nachdem sie zahlreiche Romane über die Ehe gelesen hatte, von einigen wissenschaftlichen Büchern ganz zu schweigen, wusste sie nicht nur, wie unglücklich sie war, sondern auch, wie unglücklich sie noch werden konnte.«
Elizabeth Bowen, »Die Fahrt in den Norden«
Alle Menschen sind klug – die einen vorher, die anderen nachher. Vor allem in einer Hinsicht sind sie es meistens nachher. Vorher denken sie, dass sie ganz gewiss verschont bleiben, dass die Statistik des Scheiterns niemals von ihrem Fall gefüttert wird. Also tun sie es! Geschwister, Freunde und Kollegen, Nachbarn, Kronprinzen und Fußballer. Arme wie Reiche, Junge und Alte. Picasso, Hemingway und Gerhard Schröder haben es gleich mehrfach getan, Claudia Schiffer hat es getan, und selbst Hugh Grant, Daniel Radcliffe und Prinz Harry werden es wohl eines Tages noch tun. Die eigenen Eltern haben es in der Regel getan. Man selbst tut es meistens auch irgendwann. Die Reue kommt später. Obwohl doch eigentlich schon jedes Kind es besser wissen könnte: Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie!
Um es gleich zu sagen: Ich habe mich nicht an diesen Ratschlag gehalten. Und wie fast alle Menschen, die heiraten, war auch ich eine Überzeugungstäterin. Bis es dann im statistisch fatalen vierten Jahr gehörig schiefging. Gerade dreißig, lebte ich in Scheidung, wiederum aus Überzeugung. Und begann, mir über die Liebe und die Ehe Gedanken zu machen und darüber, warum beides auf Dauer für die meisten Menschen so schwer unter einen Hut zu bringen ist – und weshalb wir dennoch von dem Konzept nicht loskommen.
Wer immer beschlossen hat, zu dem zarten, empfindlichen und kapriziösen Gefühl der Liebe müssten zwangsläufig Heirat, Leidenschaft und Ewigkeit gehören (und über diese Entwicklung und ihre Notwendigkeit wird noch zu reden sein), hat der Menschheit keinen Gefallen getan. Aber wie sollten wir denn nicht von der Ehe träumen? Literatur und Kino, Magazine und Fernsehserien stellen sie nach wie vor als das romantische Ziel schlechthin dar – obwohl sie sich vor ihrer Darstellung drücken. Beschrieben wird vor allem das Davor, nicht das Danach. Das strahlende Paar, das sich endlich gekriegt hat, wird dezent vor dem Traualtar verlassen. Happy End? Man stelle sich diese ganzen selig lächelnden Händchenhalter nur einmal fünf Jahre später vor. Eine der wenigen Ehen, bei der die Liebe nicht flöten ging, war die von Romeo und Julia – weil diese beiden nicht mehr dazu kamen, sie im leidigen Alltag zu verschleißen. Aber Warnungen sind gerade in der romantischen Domäne nicht willkommen. Wir hegen eine Idealvorstellung von der Liebe als einem totalen Gefühl – und tun uns mit der Verwirklichung schwerer denn je. Doch gerade weil es mit der Umsetzung dieser Phantasie so hapert, träumen wir weiterhin von ihrer Erfüllung.
Eine Antwort auf diese maßlose, aberwitzige Sehnsucht ist die ständige Erfindung von immer neuen Verhaltensratschlägen, die jedoch nie eine kohärente Gebrauchsanweisung für die Liebe ergeben. Dass Männer anders sind und Frauen auch, haben wir zur Genüge erfahren. Und doch sind schon Adam und Eva irgendwie miteinander ausgekommen, ohne Ehering und trotz Schlange und Apfel, und die trieb- und zweckorientierten Sippschaften von der Eiszeit bis zum Mittelalter waren offenbar auch nicht ganz unglücklich. Über Jahrhunderte war die Ehe als ökonomisches und soziales Zweckbündnis fest etabliert. Doch dann brach mit der Literatur die Liebe über uns herein, und seither regiert das Chaos.
Es scheint mir an der Zeit, die Verstiegenheit der emotionalen Ansprüche nicht nur in Frage zu stellen, sondern sie, wo immer möglich, auch zu kurieren. Es gibt zahllose menschliche Verbindungen, die eigens dazu geschlossen scheinen, den anderen irrezumachen – und die, spätestens nachdem sie durch die Ehe gesellschaftlich sanktioniert sind, auch harmlose Zaungäste in Mitleidenschaft ziehen. Erstaunlicherweise werden in einer Zeit, die für ihr Sicherheitsstreben bekannt ist, die Gefahren, die mit der Hochzeit beginnen, lächelnd ignoriert. Dabei drohen die schlimmsten Entgleisungen nicht im Rotlichtmilieu, sondern in der Reihenhaussiedlung, im Einfamilienheim mit Vorgarten, in Hinterhofwohnungen und Etagenbehausungen. Glaubt man Kriminalstatistiken und Psychologen, ist die Ehe eine geradezu lebensbedrohliche Angelegenheit. Dennoch hat man vor die Zulassung zur Hochzeit noch immer keine Prüfung gesetzt, bietet keine Eherücktrittsversicherung an und lässt keine Fragebogen ausfüllen, anhand deren festgestellt wird, ob die Partner überhaupt zueinander passen.
Zugegeben: Es hat auch Vorteile, verheiratet zu sein. Verheiratete Männer leben angeblich länger und gesünder, die Ehe verschaffte schon manchem die notwendigen Sozialpunkte, um von der Kündigung verschont zu bleiben, der Ehering steht Dicken wie Dünnen, und die allgemeine Vorliebe für Possessivpronomen verleiht den Begriffen »mein Mann« und »meine Frau« den Klang süßer Musik. Man mag vielleicht ab und zu einsam sein zu zweit, aber jedenfalls ist man in Gesellschaft. Über die Vorzüge der Ehe ließe sich ein ganzes Buch schreiben – nicht dieses.
Natürlich ist jede Ehe anders. Und auch wieder nicht. Wenn man sich aufmerksam umschaut, fallen unterschiedliche Typen auf. Da gibt es beispielsweise den Partner, der sein Glück, geliebt zu werden, gar nicht fassen kann und den anderen argwöhnisch und eifersüchtig überwacht, ob er nicht doch ein Zeichen von Untreue findet. Jeder kennt den entzauberten Prinzen, der zum Rüpel wird, oder die Prinzessin, die sich plötzlich als Zicke entpuppt, sobald sie sich nach der Hochzeit sicher wähnt. Es gibt die smarte Schöne, die ihres Ehemanns, kaum dass sie ihn sich geangelt hat, überdrüssig ist, und den eingefleischten Junggesellen, der keinen Grund sieht, sein Single-Verhalten nach Verlassen des Standesamts zu ändern, getreu dem Motto: »Festhalten und weitersuchen!« Es gibt Eheleute, die wie siamesische Zwillinge auftreten, und solche, die anscheinend nur heiraten, damit sie sich dank der Hochzeitsvorbereitungen endlich einmal wieder etwas zu erzählen haben.
Aber nicht nur die Beteiligten, auch ihre Partnerschaften unterliegen bestimmten Mustern. Ob Künstler oder Schauspieler, Schriftsteller oder Philosophen, geschichtliche Gestalten oder Romanfiguren: An ihren Ehen lässt sich die Macht des Begehrens, die Gewalt der Leidenschaft, die Hoffnung auf Vereinbarkeit des Feuers der Liebe mit dem Wasser des Alltags ablesen – spannender und lehrreicher als in der Illustrierten beim Friseur. Zwar entspricht der Weg zur Ehe noch immer dem traditionellen Muster: verlieben, verloben, Heirat, Kinder – zusammen sein, »bis dass der Tod euch scheidet«. Aber in zwei von drei Fällen ist es nicht mehr der Tod, der Ehen scheidet, sondern der Alltag, eine andere Frau oder ein anderer Mann, der Beruf, Langeweile, der Traum von der Selbstverwirklichung, Eifersucht, Unzulänglichkeit oder schlicht unheilbare Inkompatibilität. Die Liebe ist der Versuch der Natur, den Verstand aus dem Weg zu räumen; die daraus nicht selten resultierende Ehe ist der Versuch des Menschen, zu zweit mit Problemen fertigzuwerden, die man alleine nie gehabt hätte. Sebastian Haffner befand, wer einmal geheiratet hätte, habe nur noch die Wahl, Schurke oder Trottel zu werden. Alle Beobachtungen des ungeheuren Ehealltags geben dem Historiker recht. Die Taktiken und Strategien der Liebe, ob im Taumel der Verliebtheit, im Glück der Zweisamkeit, in der Marter des Zweifels oder im Drama der Trennung, machen Ehepaare interessant.
Und siehe da: Es lässt sich nicht nur eine tröstliche Wiederkehr des Immergleichen, sondern auch eine Weiterentwicklung des Paarverhaltens beobachten! Diese Weiterentwicklung vollzieht sich in sieben Stadien bis hin zur Krönung der Zweisamkeit, dem, was sich als ideale Beziehung beschreiben lässt. Doch folgen diese sieben Stadien keiner zwangsläufigen Chronologie, im Gegenteil: Manche Menschen machen im Laufe ihrer Lieben und ihres Lebens alle sieben durch, manche erleben nur zwei oder drei davon. Alle jedoch werden sich an der einen oder anderen Stelle wiederfinden.
Und so führt die Evolution der Ehe, die dieses Buch beschreibt, nicht linear vom dritten Kellergeschoss in den siebten Himmel, sondern sie ist ein Kreislauf, in dem sich jeder mal ganz oben und mal ganz unten befindet. Die gute Nachricht ist: Kein Stadium ist permanent. Und jedes lässt sich individuell zur idealen Beziehung ausbauen.
Innerhalb dieser Evolution der Zweisamkeit ist die weitverbreitete Liebesheirat ganz unten anzusiedeln: Sie trägt das unwägbare Gefühl, auf das sie gründet, bereits im Titel. Doch was für Paare wie Romeo und Julia, Napoleon und Joséphine oder Ingrid Bergman und Roberto Rossellini gut genug war, taugt allemal noch als Vorbild: Längst ist die Liebesheirat nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Da Leidenschaft jedoch bekanntlich nie von langer Dauer ist, nimmt die Verbindung, falls sie nicht ohnehin zerbricht, rasch den klassischen Verlauf und mündet im ruhigeren Fahrwasser der konventionellen Ehe.
Diese Eheform setzt auf die patriarchalische Arbeitsteilung. Die Frau bleibt zu Hause bei Kindern, Küche, Kühlschrank, der Mann zieht in die Welt hinaus und schafft das Geld heran. Wo Hausfrauen verzweifeln, ist das Frustrationspotenzial indes für beide Seiten hoch. Nicht jeder fühlt sich so sehr zum Dasein als bessere Hälfte berufen wie einst Denis Thatcher, der auf die Frage, wer in dieser Ehe eigentlich die Hosen anhabe, souverän antwortete: »Ich, und ich wasche und bügle sie auch.« Und so scheitert auch die konventionelle Ehe gern und oft.
Wenn man schon auf die Dauerhaftigkeit des Gefühls und die vermeintliche Sicherheit der klassischen Ehe nicht bauen kann, dann vielleicht auf die pure Vernunft? Zweckbündnisse, geschlossen aus solider Liebe zur Macht oder zum Geld, für die Dynastie oder als Alibi, sind auch in unseren liebestollen Zeiten keineswegs so selten, wie man vermuten könnte. Sie bilden das dritte Stadium der Ehe-Evolution. Die relative Haltbarkeit solcher Vernunftehen beweist, dass das Gefühl dem Verstand durchaus folgen kann – solange dem beschaulichen Glück nicht Langeweile oder eine plötzliche Leidenschaft in die Quere kommen.
Gemäß dem Motto »Neue Runde, neues Glück!« suchen denn auch immer mehr Menschen unverdrossen mit einem neuen Partner jene Erfüllung, die der alte nicht mehr bot. Und so bildet die Mehrfach-Ehe das vierte Stadium der Evolution der Zweisamkeit. Aber sind all jene, die zum zweiten, dritten oder vierten Mal heiraten, wirklich glücklicher als die idealistischen Anfänger? Haben sie aus Fehlern und Scheidungen gelernt, oder sind die Unterschiede zwischen den Ehegatten doch so gering, dass man besser gleich beim ersten geblieben wäre?
Wer an seinem Ehestand festhalten möchte und doch nach Abwechslung trachtet, kommt vielleicht wie schon Alexandre Dumas senior zu dem Schluss, das Joch der Ehe sei so schwer, dass man nicht nur zwei Personen brauche, um es zu tragen, sondern drei. Die Ehe zu dritt, diese fortschrittliche und in vieler Hinsicht zeitgemäße Eheform, steht daher an fünfter Stelle der Evolution. Dass sich solche Ménages à trois trotz gewisser Vorteile für beide Gatten nur selten als haltbar erweisen, liegt vor allem daran, dass diese eigentlich ehrlichste Eheform meistens als Lüge gelebt wird – und so wird manch stabiler Ehe die verdeckte Affäre zum Verhängnis. Am Ende gehen oft alle drei Beteiligten getrennte Wege.
Wer nach all dem Tumult einmal vom Liebeskarussell absteigt, ist in der Regel froh, einige Runden auszusetzen: Diese Solisten befinden sich im sechsten und vorletzten Stadium der Ehe-Evolution. Die zunehmenden Single-Raten sind ein wichtiges Indiz für die fortschreitende Liebesweisheit unserer Gesellschaft, denn es handelt sich dabei vor allem um Menschen, die lieber allein bleiben als in einer Beziehung, die sie nicht erfüllt.
Den Singles geht es nicht anders als allen anderen auch: Sie träumen von der idealen Beziehung – nur sind sie näher dran als jene, die sich noch auf einer niedrigeren Stufe der Ehe-Evolution abplagen. Doch beruhigenderweise steht die ideale Beziehung jedem offen, den Singles ebenso wie den leidenschaftlich oder auch schon abgekühlt Verheirateten, eine romantische Liebe wie zwischen Abaelard und Heloïse oder Katharine Hepburn und Spencer Tracy. Aber was macht eine ideale Beziehung aus? Das erfahren Sie im siebten Kapitel dieses Buches.
»Wenn nun jemand rechte Ursache anzeigen kann, warum sie nicht miteinander verbunden werden sollten, so spreche er jetzt oder schweige für immer.« Warum folgt auf diesen Satz am Traualtar stets allgemeine Stille? Weshalb springen nicht gleich mehrere Freunde auf und erheben die Stimmen zum Protest? Dieses Buch will auf eigene Weise sprechen, laut und deutlich, um all diese stummen Momente zu füllen, um all die Ehen zu verhindern, die trotz besseren Wissens, aus Langeweile, Pragmatismus oder aus Konvention geschlossen werden, und damit zahllose Liebesbeziehungen zu retten, bevor es zu spät ist. Es versteht sich als eine Einladung zum Spiel – mit Möglichkeiten, Bedürfnissen und Sehnsüchten. Ein Gedankenspiel, das als Phänomenologie um die Ehe kreist und von ihren erstaunlichen Varianten erzählt. Vor allem aber handelt es davon, warum es in jeder Hinsicht klüger, gesünder, freudvoller und lohnender ist, NICHT zu heiraten – und wie sich die romantische Zweisamkeit dennoch bewahren lässt. »Ich habe die Ehre, nicht um deine Hand anzuhalten«, sang schon Georges Brassens. Ein Plädoyer also gegen die Ehe? Im Gegenteil. Vielmehr der gut begründete Vorschlag, alles miteinander zu tun – außer zu heiraten. Denn wer sich traut, auf die Annehmlichkeiten der Ehe zu verzichten, wird reich belohnt. Die wahren Romantiker sind heute diejenigen, die auf Sicherheit, Steuervorteile und Ehevertrag pfeifen. Sie haben begriffen, dass Liebe eine Sisyphusarbeit ist, bei der es nicht genügt, den richtigen Menschen zu finden, denn man muss auch selbst der richtige Mensch sein. Es gilt, sich guten Mutes auf eine lebenslange Anstrengung ohne Erfolgsgarantie und Haltbarkeitsversprechen einzustellen – mit phänomenalen Folgen für Leib und Seele. »Lieben belebt«, versprach schon Goethe, der es wissen musste. Worauf warten wir noch?
Vom siebten Himmel ins dritte Kellergeschoss
»Ich bin für Liebe auf den ersten Blick. Das spart enorm viel Zeit.«
Jenny McPhee, »Der Kern der Dinge«
»Aber Mortimer, du liebst doch hoffentlich auch meine Seele?« –
»Alles zu seiner Zeit.«
Elaine Harper und Cary Grant in »Arsen und Spitzenhäubchen«
Beim Gedanken an eine Liebesheirat schlagen die Herzen unweigerlich höher. Hier haben wir sie: die prickelnde Ehe! Die Hochzeit als Krönung einer amour fou! Lebenslange Liebe und Leidenschaft mit Amtsstempel! Anders gesagt: Totaler Wahnsinn?
Die Beispiele sind so zahlreich wie inspirierend: allen voran Romeo und Julia, Orpheus und Eurydike, Napoleon und Joséphine, Tamino und Pamina, Richard und Cosima Wagner, Roberto Rossellini und Ingrid Bergman, Richard Burton und Liz Taylor, John Lennon und Yoko Ono … Die meisten dieser Liebespaare sind so berühmt, dass schon die Erwähnung ihrer Vornamen ausreicht, um Geschichten von wilder, wahnsinniger, hingegebener und hoffnungsloser Passion ins Gedächtnis zu rufen. Fasziniert betrachten wir ihre Bilder und lauschen ihren Schicksalen. »Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!«, sagte schon Faust zu Gretchen. »Ich habe keinen Namen dafür.«
Tatsächlich haben die meisten dieser berühmten Liebesgeschichten ein schlechtes Ende genommen. Auf manche große Liebe folgte die große Beschimpfung wie bei Mia Farrow und Woody Allen; andere Leidenschaften endeten mit Mord (Othello und Desdemona; Gert Bastian und Petra Kelly); Selbstmord (Antonius und Kleopatra; Werther und Lotte; Amedeo Modigliani und Jeanne Hébuterne), mentaler Zerrüttung (Frida Kahlo und Diego Rivera; Zelda und F. Scott Fitzgerald; Ted Hughes und Sylvia Plath) oder völliger Selbstaufgabe und Verzweiflung. Auch in Mythologie und Fiktion gehen große Lieben gern tragisch aus, von Tristan und Isolde über Siegmund und Sieglinde, Hero und Leander, Aida und Radames bis hin zu Filmpaarungen wie in Vom Winde verweht, Casablanca oder Jenseits von Afrika.
Von solchen real oder fiktiv Liebenden wird noch die Rede sein, ebenso wie von einem anderen Paar: Leonard und Sophie. Die beiden sind sich vor einiger Zeit auf der Geburtstagsparty eines gemeinsamen Bekannten begegnet, und der Funkenflug zwischen ihnen ähnelte einem Feuerwerk. Fragt man Sophie, schaut sie verzückt und erklärt, es sei eben »Liebe auf den ersten Blick« gewesen. Er grinst und sagt: »Sie ist einfach hinreißend.« Wenn sie zusammen sind, was in jeder freien Minute der Fall ist, können sie die Hände nicht voneinander lassen. Sind sie getrennt, verzehren sie sich nacheinander. Im Büro kann Sophie sich kaum konzentrieren, weil sie dauernd an Leonard denken muss. Und Leonards Kollegen fällt auf, dass sein Gang plötzlich so elastisch ist und er immer wieder ohne erkennbaren Grund vor sich hin lächelt. Als Leonard und Sophie sich an einem lauen Sommerabend im Gartenlokal gegenübersitzen und noch während des Essens immer wieder Händchen halten, bemerkt ein Tischnachbar ironisch: »Da haben sich aber zwei gesucht und gefunden.« Seine Begleiterin schaut versonnen und seufzt: »Bei denen stimmt einfach die Chemie.« Leonard und Sophie kriegen davon nichts mit. Sie bitten lieber um die Rechnung, um sich möglichst rasch wieder ungestört in die Arme sinken zu können. Kurzum: Leonard und Sophie sind verliebt. Und in diesem wonnevollen Zustand lassen wir sie erst einmal zurück.
Wenn die Liebe eine Himmelsmacht ist, dann ist die Verliebtheit ihr Erzengel, der gegen Bedenken, Furcht und Zweifel ankämpft wie Michael gegen den Drachen. Verliebtheit verleiht die inbrünstige und rührende Hoffnung, dass das Glück dauern wird, wenn man es nur genug will. Sie suggeriert ein Idealbild des anderen, ein magisches Einverständnis und eine gemeinsame Zukunft.
Die Liebe strapaziert unsere Vorstellung des Menschen als eines rationalen Wesens aber nicht nur in den vernunftwidrigsten Bindungen. Schon der große philosophische Trübsalblaser Arthur Schopenhauer wunderte sich über die peinliche Realität der Leidenschaft, die »die ernsthaftesten Beschäftigungen zu jeder Stunde unterbricht, bisweilen selbst die größten Köpfe auf eine Weile in Verwirrung setzt …, ihre Liebesbriefchen und Haarlöckchen sogar in ministerielle Portefeuilles und philosophische Manuskripte einzuschieben versteht, … bisweilen Leben oder Gesundheit, Reichthum, Rang und Glück zu ihrem Opfer nimmt«. Jedem kann sie zustoßen, überall und zu jeder Zeit – es sei denn, er ist gerade frisch infiziert. Denn Verliebtheit ist das Einzige, was vor neuer Verliebtheit schützt.
Galt die Liebe früher als das menschliche Echo der göttlichen Liebe, hat sie sich im Zuge der zunehmenden Verweltlichung und der nachlassenden Glaubensbereitschaft immer mehr vom Heiligen gelöst, um zum profanen Hauptspielplatz für die Suche nach dem Lebenssinn zu werden. Auf die Frage: »Was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung?«, antwortete schon Marcel Proust, stellvertretend für uns alle: »Lieben.« Inzwischen würde er wohl eher sagen: mich verlieben. Denn in das Gefühl der Verliebtheit sind wir heute mindestens so verliebt wie in den jeweiligen Partner: Die Macht der Leidenschaft ist zum Maßstab für Beziehungen geworden. Liebe wird immer mehr erfahren als eine Gewalt, die der konkret Liebenden bedarf und sich ihrer bedient, um real und erfahrbar zu werden. Gleichzeitig übersteigt sie die Wirklichkeit des jeweiligen Paars jedoch und wirkt in ihrer heftigsten Aufwallung gegen die Kälte und Entseelung der Welt.
Warum aber lässt sich dieser beglückende Zustand dann nicht konservieren? Die Antwort ist so einleuchtend wie bedauerlich: weil wir es nicht aushalten würden. Evolutionspsychologen, Neurobiologen und Hormonforscher sind dem Phänomen mit Kernspintomographie, Hirnstrommessung und Blutanalysen zu Leibe gerückt. Sie haben herausgefunden, dass starke Verliebtheit Hirnregionen abschaltet, in denen negative Gefühle wie Angst, Trauer und Aggression beheimatet sind, also etwa das rechte Stirnhirn und Teile des Mandelkerns. Schon der Anblick des geliebten Menschen kann so die Wirkung eines Aufputschmittels oder Antidepressivums haben, den Espresso ersetzen und den Nachtisch dazu. Mehr noch: Hochgradige Verliebtheit und eine Zwangsneurose sind im Gehirn kaum voneinander zu unterscheiden – kein Wunder, sind Verliebte doch wie besessen vom Objekt ihrer Begierde. Gehirnschaltkreise, die für Planung und die kritische Bewertung anderer zuständig sind, werden in Hinblick auf das geliebte Wesen ausgeschaltet. Zugleich sinkt der Serotonin-Level, der in ausgewogener Mischung für die geschwinde Kommunikation im Gehirn zuständig ist, auf ein krankhaft niedriges, geradezu depressives Niveau: Darum leiden Verliebte oft regelrecht an ihrem Gefühl. Der vermeintlich freie Liebeswille ist also nichts als biologischer Determinismus, bei dem das Schicksal nur insofern die Hand im Spiel hat, als dass sich zwei Menschen erst einmal begegnen müssen, um mit Hilfe der richtigen Aufmerksamkeitssignale und anziehender Duftstoffe den hormonellen Dominoeffekt auch tatsächlich auszulösen.
Ist ein Paar hochgradig verliebt, verändern sich die Testosteron-Spiegel, die bei Männern im Normalzustand höher sind als bei Frauen. Beim intensiven Flirt, einem komplizierten unbewussten spiegelbildlichen Ritus, den Forscher bis ins letzte Detail der Körperhaltung und Gestik nachweisen können, gleichen sich auch die Hormonlevel der Partner an: Beim Mann sinkt der Testosteron-Spiegel, bei der Frau steigt er an. So lässt die Natur die störenden Unterschiede zwischen den Geschlechtern verschwinden, damit wir uns ganz auf den einzig wesentlichen, nämlich den körperlichen, konzentrieren können. Im Zuge der hormonellen Werbung wird der Mann einfühlsamer, die Frau reagiert entgegenkommender auf seine Wünsche. Die so entstehende Harmonie wird noch verstärkt durch eine deutlich erhöhte Ausschüttung von Dopamin und Noradrenalin: Diese Belohnungsstoffe übertölpeln das Gehirn auf ähnliche Weise wie Drogen und schaffen durch jenes starke Glücksgefühl die Voraussetzung für eine mögliche längere Bindung. In diesem Zustand sind wir geradezu süchtig nach einander. Dopamin weckt zusätzlich Aufmerksamkeit und Konzentration; Noradrenalin lässt Herzen rasen und Hungergefühle verschwinden. Zusammen ergibt sich so das typische Bild des Verliebten, der an nichts anderes denken kann als an den Partner, und dabei allein von Luft und Liebe zu leben scheint. »Verknallt« nennt man diesen Zustand bei Teenagern, worin bereits die leise Skepsis der Großen mitschwingt: Wer sich so benimmt, muss einen Knall haben.
Wer behauptet, er habe sein Herz verloren, meint oft genau das Gegenteil: den Verstand. Verliebtheit ist lediglich die freundliche Umschreibung für totale, wenn auch vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit. Diese Anfälle können von einigen Monaten bis hin zu wenigen Jahren dauern. Mit der Rückkehr zum biochemischen Urzustand beginnen oft die Beziehungsprobleme, die dann in vielen Fällen schon handfeste Ehekrisen sind.
Belege für das, was Hormone in Aufruhr mit den Menschen anrichten können, finden sich in jeder Illustrierten. So amüsiert der Leser über die ungleiche Paarung von Prinz und Busenwunder, Schriftsteller und Aktrice, Reitlehrer und Erbin sein mag, sind es doch gerade solche Geschichten, die immer wieder aufs Neue beweisen, dass Leidenschaft sich nicht um Sinn und Verstand schert. Colette sagte: »Sobald ein Mann anfängt, sich lächerlich zu benehmen, weiß man: Er meint es ernst.« Dass dieser Satz auch für den weiblichen Part gilt, bewies die Schauspielerin Ingrid Bergman, als sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Hollywood-Karriere dem italienischen Regisseur Roberto Rossellini hingab. Die Empörung war kolossal: Eine der berühmtesten Schauspielerinnen ihrer Zeit verließ Hals über Kopf ihr Kind, ihren Mann und die Traumfabrik, um in Italien mit einem kleinen, hässlichen, intellektuellen Macho zusammenzuleben! Die Schuldigen mussten erst heiraten, drei Kinder in die Welt setzen und gemeinsam mehrere bedeutende Filme drehen, bevor ihnen vergeben wurde.
Der Legende nach war es Rossellinis Film Rom, offene Stadt, welcher der Bergman die Augen öffnete – und das Herz. Jedenfalls schickte sie 1948 folgende Zeilen an den ihr unbekannten Regisseur: »Wenn Sie Verwendung für eine schwedische Schauspielerin haben, die auf Italienisch nur ti amo sagen kann, bin ich bereit, zu kommen und mit Ihnen einen Film zu drehen.« Ein unwiderstehliches Angebot, nicht allein in künstlerischer Hinsicht. Was folgte, muss geradezu ein Tango der Hormone gewesen sein: Ingrid Bergman und Roberto Rossellini drehten Stromboli auf der gleichnamigen Vulkaninsel – und wie der Ausbruch eines Vulkans mutete auch die leidenschaftliche Beziehung zwischen Regisseur und Darstellerin an. Aber bei aller magnetischen Anziehung zwischen den beiden waren die Dreharbeiten auch anstrengend, zumal Ingrid Bergman bald entdeckte, dass sie schwanger war. Ihr schwedischer Ehemann Petter Lindström verlangte, sie solle zu ihm und der Tochter Pia nach Hollywood zurückkehren, wenigstens, um sich scheiden zu lassen. Ingrid Bergman blieb in Italien. Wie zur Strafe wurde Stromboli zum finanziellen Misserfolg. Die Liebenden schweißte das nur noch stärker zusammen. Nachdem beide ihre jeweiligen Ehen gelöst hatten, stand der Heirat nichts mehr im Wege. Doch so aufregend es für Ingrid Bergman auch gewesen sein mochte, einen Vulkan zum Ausbruch zu bringen, umso anstrengender entpuppte es sich, dauerhaft mit ihm zu leben. Die Lava erkaltete zusehends. Als das Paar die Dreharbeiten wieder aufnahm, war die Bergman konsterniert über die chaotische Arbeitsweise ihres Mannes, der sich an kein Drehbuch hielt, immer wieder zu spät kam oder ohne Erklärung verschwand. Die ostentative Ablehnung des Publikums machte die Sache nicht besser: Alle sechs Filme, die Rossellini und Bergman zusammen drehten, waren Kassengift. Liebe ist stärker, der von einer Trennung handelt, wurde unversehens zum autobiographischen Bekenntnis. Sie wollte zurück nach Hollywood, er forderte die Scheidung: »Ich möchte nicht Herr Bergman werden.« Rossellini behielt das Sorgerecht für die Kinder, sie nahm ihre Karriere in Amerika wieder auf.
Wenn die Menschen heute überhaupt heiraten, gibt es dafür zumeist nur einen allseits akzeptierten Grund: Sie tun es aus Liebe. Wo früher wirtschaftliche, familiäre und gesellschaftliche Gründe die Heirat notwendig machten und diese nicht zuletzt dazu diente, der subversiven Kraft der Leidenschaft entgegenzuwirken, ist es heute umgekehrt: Das Gefühl schleift die Vernunft hinter sich her. Liebe ist unser Lebenselixier. Dank ihrer wird Leid halbiert und Freude verdoppelt. Der geliebte Mensch erscheint als Retter aus Stumpfsinn und Gleichgültigkeit; das eigene Gefühl für ihn als höchste Auszeichnung.
Nun werden Liebe und Verliebtheit gern in denselben Topf geworfen, weil man hofft, dass das eine auf das andere folgt. Damit es dazu aber tatsächlich kommen kann, müssen wiederum die richtigen Hormone mitspielen, und zwar solche, die Vertrautheit, Wohlgefühl und Nähe auslösen: die Moleküle Vasopressin und Oxytocin. Was das im Idealfall bedeuten kann, haben nordamerikanische Präriewühlmäuse den Forschern vorgemacht. Sobald da ein Mäuserich und ein Weibchen festgestellt haben, dass sie sich gut riechen können, fallen sie regelrecht übereinander her. Nach vierundzwanzigstündiger Leidenschaft sind die Wühlmäuse so aufeinander fixiert, dass sie fortan für immer zusammenbleiben. In der Nacht der Nächte werden die Mäusehirne mit den Liebeshormonen Oxytocin und Vasopressin derart überflutet, dass die Tierchen vom Ohr bis in die Pfote auf Einehe eingestellt sind. Die Weibchen werden dank Oxytocin zu treu sorgenden Mäusefrauen, die Männchen mit Hilfe von Vasopressin zu Vorbildvätern. Und schon ist die Monogamie nicht Anstrengung, sondern beglückender Reflex.
Leider funktioniert das beim Menschen, der nicht nur ein wesentlich größeres Gehirn als eine Präriewühlmaus, sondern auch eine längere Lebensdauer hat, längst nicht so gut. Bei uns spielt vor allem Oxytocin eine Rolle, das Männer wie Frauen bei körperlichem Kontakt ausschütten. Doch das Bindungshormon, das Stress und Anspannung bekämpft, erreicht beim Menschen nicht annähernd mäuseartige Pegel. Mit anderen Worten: Nimmt die Verliebtheit ab, lassen uns die biochemischen Abläufe im Stich. Kein Hormon souffliert uns, wie wir uns weiter verhalten sollen. Nun sind wir selbst dafür verantwortlich, die Liebe als lohnendes Erlebnis zu bewahren.
Das größte Geheimnis der Liebe kann selbst die Wissenschaft nur teilweise lüften: Warum ausgerechnet ich? Oder: Warum ausgerechnet er? Weshalb suchen wir uns gerade diesen einen Menschen aus, wo es doch so viele mögliche Kandidaten gibt? Weshalb ist uns ausgerechnet dieser eine so lieb, obwohl er weder umwerfend schön ist noch besonders originell oder gewandt? Und wieso vermögen wir dann trotz beherzter Anstrengung kein erotisches Interesse an bestimmten anderen zu entwickeln, die objektiv womöglich attraktiver sind und mit denen es sich vielleicht sogar angenehmer leben ließe?
Dass wir angesichts unüberschaubarer Wahlmöglichkeiten eine gewisse Dummheit an den Tag legen, überrascht die Philosophen so wenig wie die Wissenschaftler. Doch während Erstere noch versuchen, uns die Gründe unseres Paarverhaltens sinnstiftend zu vermitteln, winken Letztere müde ab. Es steht uns nicht frei, uns in den besten Nächsten zu verlieben, weil unsere Hormone und unser Instinkt ein gehöriges Wort mitzureden und bereits festgestellt haben, dass er mit uns keinen guten Gencocktail ergeben würde. Der weibliche Instinkt prüft strenger als der männliche, denn im Vergleich zu den Millionen Spermien, die Männer täglich produzieren, sind die weiblichen Eizellen Mangelware, deren Befruchtung keiner x-beliebig dahergeschwommenen Kaulquappe überlassen werden sollte – zumal die Folgen langwierig und anstrengend sind.
Der Wille, unsere genetische Signatur zu hinterlassen, mag uns einander zwar in die Arme treiben, dann jedoch werden strengere Kriterien angelegt, denn der Fortpflanzungstrieb ist dem Überlebenswillen überlegen und die sexuelle Auslese daher kein Luxus, sondern bittere Notwendigkeit. Jeder ist von der Natur dazu gehalten, sich einen Partner zu suchen, mit dem er überlebensfähige Nachkommen produzieren kann. Schon bei der ersten Begegnung sondiert das Unbewusste beider Beteiligter, ob eine Verbindung lohnend wäre. So erschnuppern Frauen auf der Suche nach der passenden Hälfte Männer, deren Immungene, die sogenannten MHC-Moleküle, sich von ihren eigenen möglichst unterscheiden. Auf diese Weise wollen sie sicherstellen, dass ihr Kind ein besonders effektives Abwehrsystem erhält. Auch Männer haben eine Nase für Partnerinnen, deren MHC-Profil stark von ihrem eigenen abweicht. Da dieses gegenseitige Ausschnüffeln aber in der fruchtbaren Zyklusphase der Frau zu einem anderen Ergebnis führen kann als während der übrigen Tage und da Hormonpräparate wie die Pille diese natürlichen Instinkte beim weiblichen Geschlecht ganz erheblich stören können, ist nicht immer darauf Verlass.
Neben diesen naseweisen Duftstoffen sind aber noch andere Faktoren ausschlaggebend bei der Partnerwahl. Forscher wissen inzwischen, dass Frauen an unterschiedlichen Tagen ihres Monatszyklus ganz unterschiedlich auf Männer reagieren: Während sie an fruchtbaren Tagen testosteronstarke, oft besonders männlich wirkende Typen bevorzugen, weil sie instinktiv deren Genpool plündern wollen, sind ihnen an allen anderen Tagen, also an gut 23 von 28, feminine Männer lieber, deren Testosteronspiegel niedriger ist, mithin sanfte, fürsorgliche und treue Partner. Mit diesen gehen sie eine feste Bindung ein, was jedoch nicht verhindert, dass sie sich vor allem in der Zeit des Eisprungs zu den Testosteronhengsten mit Muskeln und gutem Immunsystem hingezogen fühlen. So versucht die Frau, von beiden Männertypen das Beste zu bekommen: Für den Alltag hat sie den netten Kümmerer, für die Zeugung des Nachwuchses hält sie zur richtigen Zeit nach guten Genen Ausschau. Der schmähende Begriff »Samenraub« könnte durch diese Erkenntnisse der Naturwissenschaftler eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Verglichen mit den zwischen Gen-Profilen und Männertypen hin- und hergerissenen, hochkomplexen Frauen, sind Männer simpel zu entschlüsselnde Kreaturen, was niemanden ernstlich erstaunen wird. Die Befunde bestätigen denn auch, was alle Welt seit je wusste: Das Auge des Mannes ist besser entwickelt als sein Verstand. Männer lieben zu jeder Stunde Gleichmaß und alle Attribute der Weiblichkeit; außerdem liegt es in ihrer Natur, sich jüngeren Frauen zuzuwenden, weil diese Fruchtbarkeit verheißen. Zwar lassen sie sich ebenfalls nicht allein von optischen Signalen leiten, sondern auch von olfaktorischen: Darauf, ob Männer eine Frau gut riechen können, haben selbst die raffiniertesten Duft-Kreationen der Kosmetikkonzerne nur geringen Einfluss, denn da sind subtile Körperaromen gefragt. Doch während Frauen genau zwischen männlichen Eigenschaften abwägen, bevor sie sich die Mühe der Schwangerschaft und Geburt aufhalsen, schätzen die zeugungswilligen Herren der Schöpfung vor allem eine ansprechende Präsentation. Schon Karl Kraus wusste: »Es kommt gewiss nicht bloß auf das Äußere einer Frau an. Auch die Dessous sind wichtig.«
Hier stößt die Euphorie jedoch an ihre Grenzen. Denn selbst durch die Trüffelschwein-Methode des Ausgleichs ist noch lange nicht gewährleistet, dass eine Person, die zum Sinnesrausch zwecks gemeinsamen Kinderzeugens genetisch hervorragend geeignet ist, auch in charakterlicher Hinsicht zu uns passt.
Ausgerechnet die Literatur, die sich sonst so oft durchschlagende Wirkungslosigkeit im Hinblick auf den gesellschaftlichen Alltag nachsagen lassen muss, trägt die Hauptschuld am Siegeszug der Liebesheirat. Über Jahrhunderte hinweg heiratete man aus Nützlichkeitserwägungen ganz im Sinne Kants, der die Ehe als »die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenslangen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften« erklärte. Dem Königsberger ging es um die gesunde Regulierung der Triebe: Innerhalb der Ehe war Sex regelrecht vorgeschrieben, außerhalb verboten. Zweck eines solchen Bündnisses sei es, so der Philosoph weiter, »Kinder zu erzeugen und zu erziehen«. Von Liebe hingegen ist nicht die Rede. Kirchenvater Hieronymus hielt die glühende Liebe zur eigenen Frau sogar für einen Verstoß gegen Sinn und Zweck der Ehe, und noch mehr als tausend Jahre später postulierte Michel de Montaigne, man müsse unterscheiden zwischen der ruhigen, moderaten Zuneigung der Ehegatten und dem Gefühlsexzess außerehelicher Beziehungen: »Eine gute Ehe, falls es das gibt, lehnt es ab, sich mit der Liebe gemein zu machen.« Für Ehefrauen, so damals der Konsens der denkenden Herrenschaft, sei es ohnehin gesünder, wenn sie die heftigsten Aufwallungen der Erotik gar nicht erst kennenlernten. Man wollte wohl keine schlafenden Hunde wecken.
Schon der französische Barockdichter La Rochefoucauld meinte, wenige Menschen würden lieben, wenn sie nicht von der Liebe gelesen hätten. Die leidenschaftliche Liebe haben insofern nicht die ersten Menschen, sondern die ersten Dichter erfunden, als sie in leuchtenden Worten davon erzählten; was wir einander zuflüstern, sind romantische Ohrwürmer, beflügelt vom Hohelied Salomons, Tristan und Isolde, Romeo und Julia. Umgekehrt kann manche Lektüre die Abwesenheit von leidenschaftlichem Sinn im eigenen Leben schmerzlich fühlbar machen, wie die Selbstmordwelle zeigt, die Goethes Werther auslöste. Wenn das richtige Buch zur richtigen Zeit auf den richtigen Leser trifft, lassen sich Risiken und Nebenwirkungen nach wie vor nicht ausschließen. So wurde mir, einer Offenbarung gleich, das unwiderrufliche Ende meiner Ehe bewusst, als ich in einem Roman Sätze las wie diese: »Eines Tages aufwachen und ›diese Ehe ist zu Ende‹ denken. Ich wache eines Tages auf und denke, meine Ehe ist zu Ende, das denke ich, ohne das Lieben aufgehört zu haben. Das Erschrecken hierüber. Eine durch permanente Abwesenheit beendigte Ehe, deren Ende noch nicht ausgesprochen ist.«
Literatur, Musik und Kunst handeln aber nicht so sehr von der Zufriedenheit eines glücklichen Paares, sondern vielmehr von der wilden Sehnsucht jener, die nicht gleich zusammenkommen können. Wer mitfiebert, bekommt so einen Eindruck davon, dass ein intensiv erlebtes und gefühltes Leben möglich ist. Bei unserer Parteinahme für die Verliebten ignorieren wir geflissentlich die uralte Lektion, nämlich dass Leidenschaft, wenn ausgelebt, immer auch Unglück, Zerstörung, Egoismus und in neun von zehn Fällen Betrug bedeutet. Was bleibt, ist das Paradox, dass niemand, der dieses Leid mit seiner Leidenschaft auslöst, dies je beabsichtigt hat oder auch nur hat kommen sehen wollen.
Die heute anerkannte Praxis der Liebesheirat ist ein Produkt erst des achtzehnten Jahrhunderts. Damals begann sich im aufgeklärten Europa die Auffassung durchzusetzen, dass eine Ehe unter Umständen auf gegenseitiger Zuneigung und nicht nur auf praktischen oder materiellen Erwägungen basieren kann. Auch auf dem Theater wurde zunehmend das Ideal der romantischen Liebe vorgestellt. Immer mehr Paare fanden aufgrund persönlicher Entscheidung zueinander, bildeten Wahlverwandtschaften, wie Goethes Bestseller es vorschlug. Mit Sturm und Drang suchten sie das tiefe Gefühl – und fanden es in der eigenen Einbildungskraft. Europa hatte genug vom feudalen Protz, genug von den Galanterien des Rokoko, genug auch von der revolutionären Libertinage zwischen den Geschlechtern. Zum Glücksstreben als menschlichem Urmotiv, wie es auch die amerikanische Verfassung anerkannte, genügte es nicht mehr, wenn zwischen den Partnern wechselseitige Achtung und stilles Einverständnis der gesellschaftlich zu wahrenden Normen herrschte. Die Ehe wurde plötzlich als wichtiges Mittel gesehen, Glück dauerhaft erfahrbar zu machen. So entwickelte sich die Liebe vom neckischen Spiel mit dem Trieb zu einer Sache der reinen Gefühle und des heiligen Ernstes. Mit der Romantik schlug die Stunde der größten Gefühlsduselei in der Geschichte des Abendlandes. So ergriffen waren die Menschen von der Entdeckung ihrer Herzen, dass sie darüber fast vergaßen, dass man sich nicht nur anschauen, schreiben und seufzend nacheinander sehnen, sondern auch umarmen kann.
Während Briten und Franzosen es sich aufgrund dringender Expansionsgelüste und unaufschiebbarer wirtschaftlicher Dynamik nicht erlauben konnten, im Gefühl zu versinken, hatten die bedächtigen Deutschen offenbar nur auf die große Liebe gewartet. Der Rationalismus eines Descartes hatte hier schon im lehmigen Sumpf des Dreißigjährigen Krieges nicht recht Wurzeln schlagen können, und auch anderthalb Jahrhunderte später sehnten sich die nostalgisch veranlagten Bewohner dieses beschaulichen Landes der Fachwerkhäuser, Handwerksstuben und Bauerngärten nicht nach Klarheit und Vernunft, sondern nach Innerlichkeit und Geborgenheit wie einst im Mittelalter. Ausländische Reisende jener Epoche schilderten die Teutonen als liebenswürdige, aufgeschlossene, rührende Leute, die nur beim Essen und Trinken gelegentlich zum Exzess neigten. Über ihren musizierenden, philosophierenden, plaudernden Zusammenkünften braute sich eine Bürgerlichkeit zusammen, deren Biedermeierlichkeit erst hundert Jahre später vorsichtig verspottet werden durfte. Goethes Leser waren so versessen auf starke Gefühle, dass sie sich sogar in ihr eigenes Unglücklichsein verlieben konnten. Doch mit der so schicken wie schicklichen Entsagung wollte man sich auf Dauer dann doch nicht zufriedengeben – allmählich fand man Geschmack an der Liebesheirat.
Diese Entwicklung, die das Gefühlsleben revolutionierte, hatte aber auch eine Kehrseite: Angesichts des neuen seelischen Gleichklangs konnte man sich plötzlich schlechter mit dem natürlichen, aber noch wissenschaftlich unerforschten hormonell-emotionalen Niedergang abfinden, den Männer, aber auch Frauen des Barock und Rokoko durch stete erotische Abwechslung so wacker bekämpft hatten. Plötzlich war die Ehe zum Risiko geworden. Wer wählt, ist schließlich auch für seine Wahl verantwortlich. Und wenn ihm diese nach einiger Zeit schal erscheint, muss er sich fragen, warum dies so ist. Die Nebenwirkung der Liebesheirat: Ehekrisen!
Speziell nach Erscheinen des Werther war die Epoche voll von romantischen Liebesgeschichten mit tragischem Ausgang. So war Clemens Brentano, dessen erste Frau, die Dichterin Sophie Mereau, im Kindbett gestorben war, in seiner zweiten Ehe mit Auguste Bußmann kreuzunglücklich. Er hatte die siebzehnjährige Nichte der Frankfurter Bankiersfamilie Bethmann in einer Gefühlsaufwallung entführt und musste sie daraufhin heiraten. Was folgte, war eine Ehehölle, geprägt von Demütigungen und Selbstmorddrohungen ihrerseits und Flucht- und Trennungsversuchen seinerseits. Clemens schrieb seiner Schwester: »Die heilige Ehe, die mir sonst so wunderbar herrlich erscheint, kommt mir wie ein eisernes Halseisen vor.«
»Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt«: Dieses von Goethe postulierte Wechselbad der Gefühle muss jeder Liebende gewahr werden. Da hilft nur bedingt, dass die Liebesheirat endgültig in allen Bevölkerungsschichten zur Norm geworden ist. Sie scheint die letzte, einzige Lebensform zu sein, die den radikal wechselnden äußeren Verhältnissen überhaupt noch zaghaft standhält. Selbst wenn alles dafür spricht, dass Ehen nach wie vor auch aus Karriere-Kalkül und Ehrgeiz eingegangen werden, klammern wir uns doch verzweifelt an die schöne Idee vom Bund fürs Leben als Bund fürs Lieben. Doch wo der sakrale Charakter des Gelöbnisses weitgehend verschwunden ist, muss die Liebe selbst zum Maß aller Dinge werden. Sie muss zumindest so tun, als stünde sie über allen eigennützigen Interessen, denn schließlich soll sie ihrem Charakter nach selbstlos sein. Daher darf sie keine Begründung außer in sich selbst finden. Ganz nebenbei bleibt so ihr Mythos gewahrt. Nur: Muss man wirklich heiraten, um an dieser Hoffnung teilzuhaben?
Nach dem Zusammenbruch von Kommunismus und Sozialismus ist die romantische Liebe die letzte große Ideologie, die uns geblieben ist. Den Beweis dafür, dass sie keine Utopie ist, strebt jeder Mensch auf persönlicher Ebene an. Öffentliche Zeremonien und Rituale sind die Insignien ihrer Macht. Kino- und Werbebilder aus unserer Alltagskultur haben erotische Modellfunktion. Wir sind der Liebesideologie verfallen, ohne es recht zu bemerken. Ihren Anhängern verspricht sie Erfüllung, Geborgenheit und Kinder, leinwandreife Küsse sind ihr Wahlplakat, und die Hochzeit ist der Schwur auf ihre Verfassung.
Wo es nicht mehr selbstverständlich ist zu heiraten, kommt dem repräsentativen Charakter des Fests allerhöchste Bedeutung zu. Der schönste Tag ist zwar ganz schön teuer – aber seine Symbolkraft strahlt dafür weit über ihn hinaus. Wer heute heiratet, tut dies immer auch demonstrativ, um zu zeigen, dass er es ernst meint mit seiner Liebe. Nach dem Vorbild aristokratischer Vermählungen lebt die festliche, aufwendige Zeremonie mit zahlreichen Freunden und Verwandten wieder auf. Längst ist die Hochzeit zu einem Statussymbol geworden, wo Gästezahl und Menüfolgen eine zentrale Rolle spielen und verglichen werden. Ab Mai haben Cutaway und Frack, bei den Damen Kostüme, Hüte und Ballkleider Hochsaison. Es gehört zum guten Ton, es zur Feier der Liebe richtig krachen zu lassen – was manchmal die Form eines doppelten Ego-Trips annimmt. Hochzeitslisten, auf denen kein Geschenk weniger als hundert Euro kostet, sind da keine Seltenheit, ebenso wenig wie Einladungen zu Zeremonien auf Berggipfeln oder im Wüstensand, bei denen niemand sagen mag, dass er sich die Reise im Dienst fremder Romantik eigentlich nicht leisten kann. Die Hochzeit, ultimative Huldigung der Liebes-Ideologie, kann aber nicht nur ein kapitalistisches Statement sein, sondern auch ein politisches. »Die Heirat kommt heute auch als Rebellion gegen die Rebellion in Frage«, stellte Benjamin von Stuckrad-Barre 1999 im popliterarischen Manifest Tristesse Royale fest. Die Liebe mag demokratisch sein; die Hochzeit, mit der sich die bestehende Ordnung seit je auch selbst feiert, wird immer ein konservativer Schritt bleiben.
Da die Ehe heute ihre traditionellen Aufgaben größtenteils verloren hat, stellt sie in vielerlei Hinsicht keine Erweiterung mehr dar, sondern eine freiwillige Beschränkung. In Zeiten maximaler Möglichkeiten ist sie eine Absage an die unendliche Vielzahl persönlicher Entfaltungsweisen. Deshalb ist der Einzelne mit der Hochzeitsfrage heute auch ganz auf sich gestellt: Er und nur er selbst kann der Ehe individuellen Sinn verleihen. Die Motive zu heiraten sind daher heute so vielschichtig wie nie zuvor – gerade weil die Religion in dieser zentralen Frage radikal an Einfluss verloren hat und sich die meisten Menschen von den gesellschaftlichen Verhältnissen und Einrichtungen erst recht nicht mehr diktieren lassen, was sie tun und lassen sollen.
Die Liebe ist der letzte Bereich, den wir ganz und gar selbst gestalten können. Das Problem ist nur: Wir müssen es auch selbst tun. Alles andere mag sich aufschieben oder delegieren lassen, doch die Arbeit an der Beziehung bleibt zu jeder Zeit ausschließlich uns selbst und dem Partner überlassen. Um frischen Mutes an die Liebesplanung zu gehen, braucht es eine Initialzündung, die dafür sorgt, dass das Ganze nach Vergnügen und nicht nach Mühe aussieht. Und so setzen wir der Vergänglichkeit der Liebe das Bestandsversprechen der Ehe entgegen – und hoffen das Beste.
Romantische Liebe erzeugt die intensivste Form von Zugehörigkeit, die es gibt. Leider auch oft die kürzeste. Denn die Liebe ist meistens der einzige und letzte Teil unseres Lebens, in dem wir nicht für unsere Taten gemocht, akzeptiert und gelobt werden wollen, sondern schlicht für das, was wir sind. Als stärkste Bestätigung dieses Geliebt-, Gemocht- und Akzeptiertwerdens ist der Heiratsantrag das schönste Kompliment, das ein Mann einer Frau machen kann. Bedauerlicherweise ist es häufig auch das letzte. Denn wie viele Komplimente ist auch dieses häufig stark übertrieben. Manchmal bedeutet es lediglich: Jetzt, in diesem Augenblick, erscheinst du mir begehrenswerter als alle anderen, und ich wünsche mir, dass es die nächste Zeit so bleibt. Nun sind Frauen ihrer Natur nach für Komplimente empfänglich. Aber dass die meisten auf die Frage »Willst du mich heiraten?« lieber mit »ja« als mit »nö, wieso?« antworten, liegt nicht nur an der Nachgiebigkeit und Duldsamkeit der Damenwelt, sondern ebenso sehr an Literatur, Kino und Kunst, an Zeitschriften, Fernsehserien und Werbeclips. Dort wird fortgeführt, was in der Liebe geschehen kann – und soll. Das Happy End trägt fast immer Schleier. Selbst die profane Wettervorhersage wird zur Frühlingszeit mit einem turtelnden Brautpaar als Symbol der Sonnen-Hoffnung aufgepeppt. Illustrierte verbreiten derweil königliches Hochzeitsfieber, und jeder Versandhaus-Katalog enthält einen Hinweis auf Hochzeitslisten. Im Alltag mögen sich diese Hinweise noch standhaft ignorieren lassen, aber im Kino kommt man nicht daran vorbei. In Harry und Sally, einem Kultfilm der späten achtziger Jahre, hieß der zentrale Satz: »Wenn man begriffen hat, dass man den Rest des Lebens zusammen verbringen will, dann will man, dass der Rest des Lebens so schnell wie möglich beginnt.« Einige Jahre später war Schlaflos in Seattle angesagt: »Es waren Millionen winzig kleiner Dinge, und wenn man sie alle zusammenzählt, bedeutet das, dass wir füreinander bestimmt waren. Und ich wusste es. Ich meine, ich wusste es in dem Moment, als ich sie das erste Mal berührt habe. Es war, als würde ich nach Hause kommen.« In Notting Hill waren 1999 die Rollen zwar vertauscht, aber die Botschaft blieb gleich: »Der ganze Ruhm ist nichts wirklich Echtes, weißt du. Vergiss nicht, ich bin auch nur ein Mädchen, das vor einem Jungen steht und ihn bittet, es zu lieben.«
Wo eine ganze Kultur derart vernarrt ins romantische Verliebtsein ist und die letzte Filmeinstellung regelmäßig läutende Kirchenglocken, strahlende Brautpaare oder den zärtlichen Ehealltag ins kollektive Gedächtnis beamt, erscheint die Ehe als Verheißung, nicht als Drohung. Die Hoffnung, dass mit der Heirat alles an seinen Platz fallen könnte, hat sich sogar der misstrauischen Gegenwartsliteratur eingeschrieben, die sonst hinter jedem Gefühl gleich den doppelten Boden wittert. Selbst der kühle Analytiker Michael Lentz kann sich der Sehnsucht nach sinnstiftendem Überschwang im Roman Liebeserklärung (2003) nicht entziehen: »Würdest du mich heiraten, habe ich dich gefragt, obwohl ich verheiratet war, was ich dir sagte, verheiratet und keine Kinder, und abends, bei zahllosem Bier, langtest du über den Tisch und nahmst meine Hand, und ich halte deine Hand fest, würdest du mich heiraten, habe ich dich gefragt, und du hast ja gesagt.«