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Wie man verheiratet und trotzdem glücklich bleibt
Muss man verrückt sein, um heutzutage zu heiraten? Das Zusammenleben funktioniert schließlich auch ohne Trauschein. So dachten Amelie Fried und Peter Probst auch einmal. Dann haben sie geheiratet. 20 Jahre später schreiben sie nun ein wunderbares und sehr zeitgemäßes Buch über die Ehe. Herrlich selbstironisch und höchst unterhaltsam schildern sie die Herausforderungen des alltäglichen Zusammenlebens und beleuchten die Ehe von allen romantischen und unromantischen Seiten. Eine Liebeserklärung an die Ehe!
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Seitenzahl: 278
Amelie Fried und Peter Probst
Verliebt, verlobt– verrückt?
Warum alles gegen die Ehe spricht und noch mehr dafür
Über die Liebe lächelt man so lange, bis sie einen selber erwischt.
Eleonora Duse
»Alle Romane, alle Komödien hören mit der Heirat auf, weil das ewige Einerlei des Ehestandes keine Dinge abwirft, die einer Beschreibung wert wären.«
Theodor Gottlieb von Hippel, Über die Ehe, 1774–1793
Verheiratet zu sein ist anstrengend genug – müssen wir wirklich ein Buch darüber schreiben?
Als wir uns kennen lernten, waren wir uns einig: Wir hielten die Ehe für ein bourgeoises Instrument der Unterdrückung, einen unzulässigen Eingriff des Staates in die Privatsphäre, eine restlos überholte Konvention, der wir uns niemals beugen würden. Fünfzehn Monate später waren wir verheiratet. (Über die Gründe, die uns dazu bewogen haben, wird noch zu lesen sein.)
Mittlerweile sind wir schon ein »älteres« Ehepaar und fragen uns gelegentlich, was bei uns anders lief als bei jenen Paaren, die ungefähr gleichzeitig mit uns ins Ehe-Rennen eingestiegen, inzwischen aber ausgeschieden sind, oder auf den letzten Streckenmetern dahin taumeln, meist in Begleitung eines Therapeuten oder einer außerehelichen Affäre (oder beidem). Haben wir irgendwas richtig gemacht, und wenn ja, was? Oder hatten wir einfach nur Glück?
Was immer die Gründe dafür sind, dass wir es bisher geschafft haben, die vergleichsweise lange Dauer unserer Beziehung macht uns in unserem Freundeskreis allmählich zu etwas Besonderem. Manchmal werden wir angestaunt wie seltene Versteinerungen und gefragt, was das Geheimnis unserer Ehe sei. Ratlos blicken wir uns dann an und wissen es auch nicht so genau. Klar, es gibt ein paar Sachen, die sich als nützlich erwiesen haben. Miteinander reden, zum Beispiel. Über sich selbst lachen können. Nachsichtig mit den Schwächen des Anderen umgehen (man selbst hat ja zum Glück keine).
Wenn uns Freunde sagen, wir würden ihnen »den Glauben an die Ehe wiedergeben«, freut uns das einerseits, andererseits spüren wir auch die Last der Verantwortung. Der Erfolg produziert die Erwartung des Erfolges. Und wenn ein Paar einmal als »glücklich« gilt, fallen seine Mitmenschen aus allen Wolken, wenn das Bild sich als trügerisch erweist, oder die Verhältnisse sich ändern. Eigentlich, so denken wir manchmal, können wir es uns gar nicht mehr leisten, zu scheitern. Wir sind dazu verdammt, ein glückliches Paar zu bleiben und allen zu beweisen, dass man es schaffen kann.
Die Frage nach unserem »Geheimnis« hat uns auf die Idee gebracht, uns eingehender mit dem Thema Liebe und Ehe zu befassen. Wir haben uns gefragt, was überhaupt eine »gute« Ehe ist, warum Männer und Frauen darüber oft so unterschiedlicher Meinung sind, und wie man damit umgeht. Wir haben uns selbst beobachtet und unser Verhalten analysiert. Wir haben andere beobachtet, haben Fragen gestellt und Vergleiche angestellt. Und wir haben eine Menge Literatur zum Thema gelesen, darunter sehr kluge, aber auch sehr skurrile Werke, aus denen wir Kostproben liefern.
So, wie es niemals nur einen Grund für das Scheitern einer Beziehung gibt, so gibt es auch nicht die eine Antwort auf die Frage nach dem Gelingen. Auch wir können kein Patentrezept liefern. Aber wir haben einiges an Erfahrungen, Erkenntnissen und Tipps zusammengetragen, das nützlich sein könnte, vieles davon ist ziemlich lustig oder überraschend.
Ein Buch zu schreiben, ist ein bisschen so als baue man ein Haus. Nicht wenige Paare zerstreiten sich während des Hausbaus so, dass sie nicht mehr zusammen ins fertige Haus einziehen. Es gibt Leute, die uns davor gewarnt haben, gemeinsam ein Buch zu schreiben, und auch wir selbst wurden zwischendurch von Zweifeln geplagt. Einen Gegenstand genau zu analysieren, bedeutet immer auch, mögliche Schwächen und Konstruktionsmängel offenzulegen. Und dabei erfährt man vielleicht Dinge, die man so genau gar nicht wissen wollte. Wir haben es dennoch gewagt, und die Konstruktion hat zwar hie und da geknirscht, aber am Ende gehalten.
Eines der Geheimnisse unserer Ehe sei an dieser Stelle verraten: Wir sind beide ziemlich ehrgeizig. Keiner von uns hätte gern die Schuld für das Scheitern des Buchprojektes auf sich genommen. Ebenso, wie keiner verantwortlich für das Scheitern unserer Ehe sein will. So kann man vielleicht sagen, dass wir wohl auch aus sportlichen Gründen so lange zusammengeblieben sind: Wir wollen gern gemeinsam ins Ziel kommen!
Amelie Fried und Peter Probst
Bild 1
»Jetzt weiß ich endlich, was ich dir bieten kann, Marge! Völlige und nie endende Abhängigkeit!«
Homer Simpson
Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?
(Version des Ehemannes)
Der Sommer 1989 war für mich ein Herbst. Meine Freundin hatte mich nach fünf Jahren verlassen. Ihren kleinen Sohn, der mich längst Papa nannte, würde ich wohl nicht wieder sehen. Ich wollte sie nicht zurück, wirklich nicht, aber das änderte nichts an meiner Trauer. Die meiste Zeit lag ich auf dem Bett und hörte Blues. Ich hatte Magenschmerzen, Kopfschmerzen und tat mir hauptberuflich leid. Als zwei ältere Freunde vorbeischauten, um mich zu einer Preisverleihung ins Alte Rathaus mitzunehmen, lehnte ich ab. Was interessierte mich schon eine Ehrung von Menschen mit Zivilcourage? »Wenn statt der Löwenpfote der goldene Jammerlappen verliehen würde, kämst du sicher mit«, sagten die Freunde. Dieser Appell an meine Männlichkeit erreichte mich dann doch. Ich feuchtete meine Haare an und föhnte sie in die Senkrechte. Mein Sakko war raffiniert, mit großen Karos in Orange und Azurblau, und stammte aus einer, für das damals Not leidende Polen bestimmten und von der Mutter meiner Exfreundin organisierten, Kleidersammlung. Ich fand es sehr schick, hatte es mir »geborgt« und wegen der Trennung nicht mehr zurückgeben können.
Leider verließ mich bereits auf der Freitreppe zum Rathaussaal wieder jede Energie. Warum hatte ich mich von meinen Freunden provozieren lassen? Zu Hause könnte ich jetzt »Poor me« von Charley Patton lauschen. Während Münchener Bürger für ihr unerschrockenes Eintreten für die Bürgerrechte ausgezeichnet wurden, dämmerte ich in der hintersten Stuhlreihe melancholisch vor mich hin. Dann allerdings war ich der Erste am Bierausschank– ich brauchte dringend Trost, setzte mich mit meinem Krug auf eine steinerne Brüstung und betrachtete angewidert die Festgesellschaft. Lauter schöne und glückliche Menschen. Ekelhaft.
Da stand sie plötzlich neben mir. Sie war klein. Das kam daher, dass ich sie aus dem Fernsehen kannte, wo jeder größer wirkt. »Wie fanden Sie die Veranstaltung?«, fragte sie. Ich rutschte sportlich von der Brüstung, um mit ihr auf Augenhöhe zu sein. »Peter«, sagte ich. »Peter Probst.« Sie musterte mich, sagte kühl »Amelie Fried«, und entschied gleichzeitig, ob es sich lohnte, einen zweiten Satz an mich zu richten. Ich versuchte, interessant zu wirken, Standbein, Spielbein, linke Hand in der Hosentasche. Mit der rechten führte ich den Bierkrug zu den Lippen, weil mein Mund trocken geworden war. Da merkte ich es. Mein Nacken war betonsteif und würde es nicht zulassen, dass ich den Kopf nach hinten neigte. Aber nur so kann man gefahrlos trinken. Da ich mich vor ihr nicht mit Bier übergießen wollte, ließ ich den Krug auf halber Strecke sinken. »Ich hasse warmes Bier«, sagte ich und frecher: »Gehen Sie öfter zu solch langweiligen Preisverleihungen?« Sie lächelte. »Ich war in der Jury.«
Dann war sie weg, und ich wie betäubt. Ich vergaß meine Freunde und stolperte allein aus dem Alten Rathaus. Ich lief ziellos durch die Fußgängerzone. Vor der Internationalen Apotheke stellte ich fest, dass ich zum ersten Mal seit Wochen völlig schmerzfrei war. Plötzlich schämte ich mich meiner Trauer und Wehleidigkeit. Ich war jung, ich war vital und– ich war Amelie begegnet! Immer wieder flüsterte ich ihren Namen, ich kannte keinen schöneren, keinen wohlklingenderen. Ich kritzelte ihn auf Zeitungen und Buchcover und sogar an die Wand neben meinem Kopfkissen. Das allerdings benutzte ich während der nächsten drei Nächte nicht. Ich schaffte es nicht, mich hinzulegen, geschweige denn zu schlafen. Ich konnte nicht einmal ruhig sitzen. Ich musste mich ständig bewegen, um wenigstens einen Teil der unermesslichen Energie, die sich in mir aufbaute, loszuwerden. Ich begann, durch die Stadt zu wandern. Nicht sinnlos, sondern gezielt.
Ich ging systematisch Straße für Straße alle Viertel ab, in denen ich einen Menschen wie sie vermutete, vor allem Schwabing. Ich hoffte, ihr, wenn ich nur lang genug unterwegs wäre, über den Weg zu laufen. (Ich konnte nicht ahnen, dass sie nur siebenhundert Meter Luftlinie entfernt in meinem unspektakulären Viertel wohnte).
Nach einer dreitägigen Stadtwanderung, während der ich nichts, außer ab und zu einem Schluck Wasser, zu mir nahm, zwang mich die Erschöpfung, über einen Strategiewechsel nachzudenken. Hatte ich nicht im Alten Rathaus beobachtet, wie Amelie meine gute Bekannte Barbara grüßte? Ich rief Barbara an und log, Amelie einen Talkshow-kritischen Text von mir versprochen zu haben. Leider hätte ich in der Eile vergessen, nach ihrer Adresse zu fragen. Barbara gab sie mir. Ich schrieb Amelie eine Postkarte. Als Motiv wählte ich Sigmund Freud, der mit seinem Chow-Chow kurz vor dem Gang ins Exil auf einer Bank in Grinzing sitzt. Ich fand das irgendwie bedeutsam. Auch meine knappen Zeilen hielt ich bewusst geheimnisvoll. Ich bekam keine Antwort, was aber nicht an der rätselhaften Botschaft lag, sondern daran, dass ich meine Adresse nicht vermerkt hatte. Das änderte ich bei der nächsten Postkarte, auch mein Text war weniger kryptisch, aber immer noch sehr poetisch. Ich brauchte sieben Karten, bis ich schlicht »Ich würde dich gern treffen« schreiben und ihr meine Telefonnummer verraten konnte. Da meine Geschäfte als freischaffender Dichter gerade nicht so gut liefen, musste ich mir von einem Freund Geld für einen der damals noch nicht sehr verbreiteten Anrufbeantworter leihen. Ich besprach ihn auf Deutsch und Italienisch, um mir eine kosmopolitische Note zu verleihen. Dann setzte ich mich daneben und wartete …
»Wenn man begriffen hat, dass man den Rest des Lebens zusammen verbringen will, dann will man, dass der Rest des Lebens so schnell wie möglich beginnt.«
Aus: »Harry und Sally«
Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?
(Version der Ehefrau)
Im Dezember2010 wachte ich eines Morgens auf und stellte zu meiner Überraschung fest, dass ich seit zwanzig Jahren verheiratet bin. Ich? Zwanzig Jahre? Verheiratet? Wie war das nur möglich? Schließlich scheitert fast die Hälfte aller Ehen, und wenn es sonst um fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeiten geht, setze ich eigentlich immer aufs falsche Pferd.
Als ich jung war, hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können, es so lange mit einem Mann auszuhalten. Na ja, um der Wahrheit die Ehre zu geben: Vor allem konnte ich mir damals nicht vorstellen, dass ein Mann es so lange mit mir aushalten würde. Ich galt als »kompliziert«, und da ich mich schon auf Urlaubsreisen mit Freunden zu verkrachen pflegte, hielt ich mich bald selbst für einen schwierigen Fall. Eine auf Jahrzehnte angelegte Zweisamkeit schien mir ein unerreichbares Ziel zu sein, und so hatte ich mich in Gedanken auf ein Leben als Single mit wechselnden Liebhabern eingestellt, und auf ein Dasein als alleinerziehende Mutter. Denn dass ich Kinder wollte, wusste ich schon sehr früh. Allerdings wusste ich auch, dass man mit nichts einen Mann schneller in die Flucht schlagen kann als mit der Erwähnung dieses Wunsches. Also hielt ich schön meinen Mund, pflegte mein Image als komplizierte Liebende und suchte mir mit sicherem Griff Männer aus, die nicht zu mir passten und mich leiden ließen. Offenbar gefiel mir das, denn ich hielt ziemlich lange an diesem Beuteschema fest.
Als mein dreißigster Geburtstag näher kam, wurde ich nervös. Ich begann mich zu fragen, ob ich wirklich so weitermachen wollte, oder ob es vielleicht an der Zeit wäre, etwas an meiner Jagdstrategie zu verändern. So richtig prickelnd fand ich die Vorstellung, Kinder ohne Vater aufzuziehen und selbst ohne festen Partner zu bleiben, dann doch nicht.
Dann geschah etwas Unerwartetes. Beim Empfang des Löwenpfoten-Preises lernte ich einen Mann kennen. Er trug ein grässlich gemustertes Sakko und eine Werner-Lorant-Frisur (für Nicht-Münchner: Werner Lorant war in den 90er-Jahren Trainer des TSV1860München), saß auf einer Steinbrüstung und umklammerte ein Bierglas. Früher hätte ich den Typ keines Blickes gewürdigt. Ich nahm eigentlich nur Männer wahr, auf deren Stirn geschrieben stand, dass sie narzisstisch, egozentrisch und beziehungsunfähig sind und mich garantiert unglücklich machen würden. Je offensichtlicher ein Mann diesem Prototyp zuzurechnen war, desto anziehender fand ich ihn.
Dieser Mann sah überhaupt nicht so aus. Im Gegenteil, er wirkte eher ein bisschen unsicher und auf jeden Fall völlig ungefährlich. Trotzdem sah ich ihn mir genauer an. Unsere Blicke trafen sich. Und etwas in mir sagte überrascht: »Das ist ja der Mann, den ich heiraten werde!«
Es war kein Blitzschlag, keine Liebe auf den ersten Blick. Sondern die klare Gewissheit, dass ich »ihn« gefunden hatte. Wir unterhielten uns ein bisschen und ich fragte mich, warum er den Kopf so merkwürdig schief hielt. Ich dachte, er hätte sich beim Sport eine Zerrung zugezogen. Später erfuhr ich, dass ihn vor lauter Schreck, mich leibhaftig vor sich zu sehen, eine Genickstarre befallen hatte. Er kannte mich aus dem Fernsehen und stritt immer mit seinem Vater, der mich hasste und der Meinung war, schlimmer als ich seien eigentlich nur Jutta Ditfurth und Ulrike Meinhof. Als wir schon zusammen waren, aber Peters Eltern noch nichts von uns wussten, stellten wir uns vor, wie das für seinen Vater sein würde, wenn er es erführe. Wir fürchteten ernsthaft, er könnte eine Herzattacke erleiden, und schoben meinen Antrittsbesuch immer weiter hinaus. Irgendwann war ein Kennenlernen nicht mehr zu vermeiden, schließlich waren wir inzwischen verlobt! Mein Schwiegervater in spe und ich begrüßten uns voller Argwohn– und liebten uns sofort. Bis zu seinem Tod verband uns große Zuneigung.
Als ich ausgetrunken hatte, verabschiedete ich mich von Peter, um auf eine Party zu gehen, die als großer Event angekündigt war– Gloria von Thurn und Taxis sollte dort singen. Jetzt, wo ich den Mann gefunden hatte, den ich heiraten würde, herrschte ja keine Eile, fand ich. Da konnte ich mich ebenso gut noch ein bisschen amüsieren.
Es bedurfte dann noch einiger Anstrengung von ihm, mich endgültig zu erobern. Kampflos wollte ich mein Single-Dasein, das ja auch durchaus vergnügliche Aspekte hatte, dann doch nicht aufgeben. Außerdem musste ich erst einmal testen, ob er überhaupt der Richtige war. Zu diesem Zweck setzte ich eine Zeit lang alles daran, ihn wieder zu vertreiben. Ich behandelte ihn schlecht, machte ihn eifersüchtig und entzog mich ihm. Wenn er aufgäbe, wäre das nur eine Bestätigung meiner Überzeugung, dass es ohnehin kein Mann mit mir aushalten könne. Würde er allerdings diesen Härtetest überstehen und bleiben, so dachte ich, hätten wir vielleicht eine Chance.
Er ist geblieben.
In manchen Momenten frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn Peter an diesem 13.September1989 nicht zu dieser Preisverleihung gegangen wäre, sondern den Abend zu Hause vor dem Fernseher verbracht hätte. Liebende glauben ja gern, es sei Fügung, dass sie einander begegnet sind. Sie mögen den Gedanken, irgendeine höhere Macht hätte ihre Finger im Spiel gehabt, als ihre Lebenswege sich kreuzten. Ich persönlich glaube nicht an Fügung. Peter und ich sind uns zufällig begegnet. Aber wir haben wohl beide die Chance gespürt, die in dieser Begegnung lag, und wir haben sie ergriffen.
Viele unserer Freunde, meine Mutter, meine Brüder, unsere Kinder und die meisten Leute, die uns sonst noch kennen, sind der Meinung, es könne nur an der engelgleichen Geduld meines Mannes liegen, dass unsere Ehe wider alle Erwartungen bisher gehalten hat. Ich weiß wirklich nicht, wie sie zu dieser Einschätzung kommen. Vielleicht liegt es ja an meiner charismatischen Persönlichkeit, meinem hohen Unterhaltungswert und meinem umwerfenden Sex-Appeal? Nein, im Ernst: Was immer die Gründe dafür sind, dass mein Mann bisher bei mir geblieben ist– am meisten überrascht darüber bin ich selbst.
Anmerkung des Ehemanns:
Amelie schreibt, dass sie mich schlecht behandelte, mich eifersüchtig machte und alles daran setzte, mich wieder zu vertreiben. Das stimmt. Aber wieso bin ich nicht einfach gegangen, wieso habe ich mir das bieten lassen? Wo war mein Ehrgefühl, mein Stolz? War ich so blind verliebt? Das war ich natürlich auch, hart an der Grenze zur Unzurechnungsfähigkeit. Aber die Liebe allein hätte als Zauberdroge gegen Amelies Zurückweisungen wahrscheinlich nicht gereicht. Ich erinnere mich an einen Morgen, da stand sie plötzlich vor meiner Tür. Sie war außer Atem, weil die Wohnung im fünften Stock lag, und es keinen Aufzug gab. In der Hand hielt sie eine Ananas. Sie sagte: »Das ist eine Friedenspfeife.« Dann wurde sie rot wie ein junges Mädchen. Drei Tage zuvor hatte ich ihr erklärt, dass die Charta der Menschenrechte auch für Männer in der Werbungsphase gelte, und ich mich nicht weiter von ihr schikanieren lassen würde. Diesmal ist es endgültig, hatte ich betont, denn es war immerhin unsere dritte Trennung in acht Wochen.
Nun aber stand sie da, nannte eine Ananas Friedenspfeife und senkte verlegen den Blick. Hätte ich sie wegschicken sollen? Ich zweifelte keinen Moment daran, dass das verletzliche und scheue Wesen vor mir die wahre Amelie war. In Wirklichkeit wollte sie mich gar nicht vertreiben, sie wollte, dass ich blieb und wir das große gemeinsame Abenteuer wagten. Wenn sie manchmal etwas launisch, abweisend oder sogar gemein war, bedeutete das nur, dass das Ausmaß unserer Liebe sie noch überforderte. Das war nur ein Vorspiel, über das wir später sicher lachen würden.
Die Ananas haben wir übrigens nicht geraucht, sondern uns damit gefüttert– auf meinem selbst gebauten Bett, das wenige Tage später zusammenbrach. Da haben wir uns dann wieder mal getrennt, weil Amelie mit einem handwerklich derart unbegabten Mann auf keinen Fall zusammenbleiben wollte …
Bild 2
»Eine Hauptschwierigkeit der Ehe besteht darin, dass überhaupt zwei Menschen ihr ganzes Leben, Tag und Nacht miteinander leben sollen.«
Theodor Bovet, Die Ehe, ihre Krise und Neuwerdung, 1948
»Der Homo sapiens ist nun mal kein monogamer Typ!«
Interview mit Stefan Woinoff (54), Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, tätig als Paartherapeut, Autor des Buches »Überlisten Sie Ihr Beuteschema«. Er kennt seine Frau seit 23Jahren, ist seit zehnJahren mit ihr verheiratet, hat zweiKinder und lebt in München. Wir wollten von ihm wissen, mit welchen Erwartungen Paare heute in die Ehe gehen, welches die häufigsten Probleme sind, und was mögliche Lösungen sein könnten.
Herr Woinoff, was läuft heutzutage schief bei der Paarbildung?
Es gibt immer mehr Frauen, die eigentlich alles richtig gemacht haben– eine gute Ausbildung, eine erfolgreiche berufliche Karriere– und mit Anfang, Mitte dreißig beginnen, nach einem Mann zu suchen. Nach einer Weile merken sie, dass sie nicht den richtigen finden. Wenn sie dann zu mir kommen, fragen sie mich, warum es nicht klappt und ob sie was falsch machen. Dabei ist es ein systemischer Fehler, denn diese Frauen leben zwar ein anderes, emanzipierteres Leben als ihre Mütter und Großmütter, sind aber in ihrem Beuteschema immer noch traditionell, fast archaisch. Unbewusst suchen sie nach einem Ernährer, einem Mann mit höherem Status und Einkommen, zu dem sie aufschauen können. Je höher sie aber selbst beruflich aufgestiegen sind, desto weniger Auswahl haben sie. Über ihnen sind nur noch wenige Männer, und die sind meist vergeben oder bevorzugen jüngere Frauen– und so bleiben viele allein.
Sie raten diesen Frauen, ihr Beuteschema zu analysieren und bewusst zu durchbrechen, indem sie zum Beispiel einen Künstler oder Freiberufler nehmen, der vielleicht wenig verdient, dafür aber Zeit hätte, sich um die Beziehung und die Kinder zu kümmern. Kann man sich so leicht von seiner genetischen Programmierung lösen?
Die ist ja nicht so festgelegt. Natürlich, Frauen wollen bewundern und Männer wollen bewundert werden. Aber es gibt ja auch andere Dinge als Verdienst oder Status, wofür eine Frau einen Mann bewundern kann. Dafür, dass er toll Klavier spielt, ein interessanter Künstler ist, ein kluger Mann, mit dem sie sich gut unterhalten kann. Da kann man sich als Frau dann auch fragen, ob man unbedingt einen Ernährer will, oder ob es nicht auch wertvoll ist, einen guten Partner, Vater und Kinder-Erzieher zu haben.
Wenn sich ein Paar nun also gefunden hat, was sind dann die häufigsten Probleme?
Die erste große Krise entsteht meist, wenn ein Kind kommt. Da passiert oft das Einrasten in die klassische Rollenverteilung, das heißt, der Mann arbeitet noch mehr als vorher, die Frauen sind aus einem oft erfüllenden Arbeitsleben auf die Mutterrolle zurückgeworfen. Diese Triadisierung, also wenn aus einem Paar drei werden, ist eine Riesenumstellung. Aber eines hat sich verändert: Früher haben sich oft die Männer beschwert, dass die Frauen ihnen kaum mehr Aufmerksamkeit schenken– heute erlebe ich es oft, dass die Frauen sich beklagen, die Männer hätten nur noch Augen für das Kind. Heute werden Kinder ja auch auf eine unglaubliche Weise in den Mittelpunkt gestellt– und für das Paar bleibt kaum noch Zeit und Energie. Ich rate dringend, wenigstens einmal die Woche zu zweit auszugehen und möglichst ein paar Tage im Jahr Urlaub ohne Kinder zu machen. Sonst besteht die Gefahr, dass man sich verliert.
Was sind weitere, typische Probleme in Ihrer Praxis?
Eine neue Erfahrung ist die Konkurrenz unter den Ehepartnern. Die erlebe ich immer häufiger, und das kannte ich bisher nicht. Früher hatte der Mann seine Sachen zu tun und die Frau ihre, und man hat gemeinsam geschaut, dass alles klappt. Im besten Fall war die Frau stolz auf die Karriere des Mannes, weil sie die als etwas Gemeinsames empfunden hat. Kürzlich hatte ich ein Paar, beide Biologen, er wurde irgendwann Professor, sie blieb daheim bei den Kindern. Und diese Frau war so neidisch auf ihren Mann, weil sie immer dachte, so eine Karriere wie er hätte sie auch machen können.
Dieser Frust ist doch nachvollziehbar! Frauen sind zunehmend besser qualifiziert und haben mehr berufliche Möglichkeiten als je zuvor– aber sobald es ans Kinderkriegen geht, ist Schluss mit der Gleichberechtigung.
Dieses Paar hätte sich ja auch anders entscheiden können, er hätte zu Hause bleiben und sie Karriere machen können. Nein, es ist eine andere Grundhaltung, die da entstanden ist. Dadurch, dass Männer und Frauen mehr auf Augenhöhe sind, konkurrieren sie jetzt auf allen Gebieten. Im Beruf, aber auch wenn es um Hausarbeit oder familiäre Belastungen geht. Alles muss ausgehandelt werden, weil die Rollenverteilung nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher.
Gehen Paare heute mit anderen Erwartungen in die Ehe als früher?
Grundsätzlich haben sie große Erwartungen an den anderen, der dafür verantwortlich gemacht wird, dass man selbst glücklich ist. Die Erwartungen von Frauen empfinde ich da als noch höher als die von Männern. Die meisten Männer wollen ihre Frauen gern glücklich machen, aber die werden immer anspruchsvoller, und das macht die Männer dann verrückt. Nur wenige wollen sehen, dass man auch ein Stück weit das Leben des anderen mitleben kann, und dass, wenn es dem anderen gut geht, das auch gut für mich ist.
Stellen die Frauen heutzutage nicht genau die Ansprüche an die Männer, die schon seit langem von den Männern an sie gestellt werden? Frauen sollen gute Ehefrauen sein, tolle Mütter und interessante Gesprächspartnerinnen– und meistens sind sie das. Warum sollen sie sich mit Männern zufriedengeben, die weniger zu bieten haben?
Jetzt müssen die Männer auch noch schön sein!
Das mussten die Frauen doch immer schon!– Aber wie steht es denn um den Klassiker aller Eheprobleme, die Untreue? Welche Bedeutung hat sie? Ist Untreue immer ein Krisensymptom oder kann sie sogar stabilisierend wirken?
Ein ganz schwieriges Thema, da gibt es keine Regel. Ich hatte ein Paar, da ist der Mann über Jahre fremdgegangen und hat wechselnde Abenteuer gehabt. Seine Frau war verunsichert, aber erstaunlich verständnisvoll. Er selbst hat es als Sucht bezeichnet, und sie war die Co-Abhängige. So eine Geschichte kann durchaus verbindend sein, aber letztlich geht es darum, welche Abenteuer die beiden noch miteinander erleben können. Dieser Mann dachte, er könnte aufregende Gefühle nur außerhalb der Ehe erleben, dafür sei seine Partnerin nicht die Richtige. Aber wenn eine Ehe Bestand haben soll, muss man die Potenziale, die in der Ehe liegen, erkennen und ausschöpfen.
Was raten Sie, wenn die erotische Anziehung zwischen den Ehepartnern nachlässt, und einer– oder beide– sich den sexuellen Kick außerhalb der Ehe holen?
Wenn es wirklich nur ein Seitensprung ist, es sich also nicht um eine systemrelevante Beziehung handelt– dann sollte man es dem Partner nicht sagen.
Im Ernst? Das würden viele aber als großen Vertrauensbruch empfinden!
Das, was durch die Erzählung beim Partner ankommt, wird nie dem entsprechen, was wirklich passiert ist. Selbst, wenn es nur ein harmloses, kleines Strohfeuer war, würde so ein Geständnis den anderen verletzen und womöglich einen Schaden anrichten, der in keinem Verhältnis zum Anlass steht. Außerdem ist es nicht in Ordnung, wenn derjenige, der untreu war, sich mit einem Geständnis die Absolution des Partners holen will. Das soll er schön mit sich selbst ausmachen. Anders ist es natürlich, wenn man sich ernsthaft verliebt hat.
Sexuelle Untreue muss also nicht automatisch zur Krise führen?
Nein. Es gibt ja auch den Fall, dass jemand einfach ein bisschen Bestätigung braucht. Manche Frauen haben den ersten oder zweiten Mann ihres Lebens geheiratet– die wollen vielleicht mal erleben, wie es ist, von einem anderen als dem eigenen Mann begehrt zu werden. Eine Ehe, in der die Partner zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre treu sind– das ist das absolut Besondere. Das Normale ist, dass man in dieser langen Zeit auch mal jemand anderen attraktiv findet und dieser Versuchung vielleicht nicht immer widerstehen kann. Der Homo sapiens ist nun mal kein monogamer Typ.
Was macht eine Ehe haltbar?
Zwischendurch sollte man sich immer mal ansehen, wie die Situation gerade ist, was die positiven Aspekte sind. Dass man sich kennt, dass man weiß, was der andere mag, dass man mit ihm vertraut ist. Man sollte nicht irgendetwas Unrealistisches erwarten, sondern sich und dem anderen zugestehen, dass jeder sich weiterentwickelt, und so entwickelt sich auch die Interaktion, die Beziehung weiter. Eine gewisse Großzügigkeit ist auch wichtig, dass man dem anderen nicht jede kleine Schwäche vorhält oder ihn ständig kritisiert. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass eine Ehe so etwas ist wie ein Lebewesen, das sich weiterentwickelt. Ein Organismus, der gute und schlechte Zeiten hat, der auch mal Krisen hat, und der altert. Dass also bei einer Ehe nichts zementiert ist, und wenn einer der Partner sagt, es ist ja gar nicht mehr so, wie vor fünf Jahren, kann ich nur sagen: Zum Glück!
Das ist ein interessanter Gedanke, dass ein Paar nicht nur zwei sind, sondern gemeinsam etwas Drittes schaffen: die Beziehung. Dass sie also eine gestalterische Aufgabe haben.
Und dass dabei auch Dinge geschehen können, die man nicht erwartet. Wichtig ist auch, dass man beim anderen bestimmte Bedürfnisse abdeckt. Letztendlich sexuelle Bedürfnisse, zumindest. Man kann fast alles ohne große Probleme und sanktionslos mit anderen machen, Tennis spielen, in den Urlaub fahren, Tiefseetauchen– beim Sex kann das schwierig werden. Den sollte man zumindest weitgehend exklusiv mit dem Partner erleben, und man sollte den Sex auch nicht völlig einschlafen lassen.
Die Paare, die ich kenne, die auch nach Jahren und Jahrzehnten noch gut miteinander sind, die haben alle Krisenzeiten gehabt. Diese Phasen haben auch mal zwei, drei oder vier Jahre gedauert, aber die Eheleute haben trotzdem nicht losgelassen. Es geht nicht darum, dass man den anderen auf Händen trägt, sondern erträgt. Man muss in einer Ehe auch mal was aushalten können. Und oft ist die Liebe auch nach einer schwierigen Zeit gar nicht weg, sondern nur verschüttet. Dann muss man eben graben und schauen, was sich da alles drüber gelagert hat.
Die lebenslange Ehe ist also durchaus keine romantische Illusion, sondern ein gemeinsames Projekt, dessen Gelingen die Partner zu einem erheblichen Teil selbst in der Hand haben?
So kann man es sehen. Für mein Gefühl geben viele in der Krise zu schnell auf. Natürlich finden manche auch einen besseren oder passenderen Partner, aber das ist eher die Ausnahme. Paare, die mal einen Berg überwunden haben, stehen nachher ganz anders da. Die haben eben nicht aufgegeben.
Die Ehe ist aber auch kein Abonnement auf immerwährendes Glück, wie viele zu glauben scheinen?
Ja, das ist ein großes Problem, dass viele Singles das glauben. Die projizieren in eine Partnerschaft ihre gesamten Glückssehnsüchte, und wenn es dann nicht funktioniert, sind sie höchst erstaunt. Viele reden sich dann ein, sie seien eben als Single glücklicher, und ich widerspreche ihnen dann auch nicht. In Wahrheit glaube ich aber, dass der Mensch dazu gemacht ist, sich zu verbinden. Und die Ehe ist noch immer der beste aller denkbaren Kompromisse.
Bild 3
»Es ist schon komisch, dass ein Mann, der sich um nichts auf der Welt Sorgen machen muss, hingeht und eine Frau heiratet.«
Eminem
Die Verlobung von Ischia
Nach ein paar Wochen schlug Amelie einen gemeinsamen Urlaub vor. Ich begriff sofort, dass es sich um eine Testreise handeln würde, für uns beide. Wir hatten noch nie mehr als einen Tag und eine Nacht zusammen verbracht. Was würde passieren, wenn wir vier Wochen eine Wohnung und ein Bett teilten? Würden wir uns noch mehr lieben, einander langweilig finden, oder am Ende massakrieren?
Ich kannte Ischia. Als Junge war ich mit meinen Eltern dort gewesen. Der Urlaub war von der Steuer absetzbar, da auf der Insel ein Ärztekongress stattfand. Nur, den besuchte mein Vater, der Arzt, nicht. Allerdings nicht, weil er ein Steuerbetrüger war, sondern Opfer eines aus dem Hotelpool stammenden Virus. Das heißt, er selbst blieb verschont, aber der Hotelarzt war im Urlaub. So musste mein Vater einspringen und vierzehn Tage lang kotzende und diarrhöische Menschen versorgen. Auch meine Brüder und ich gehörten zu seinen Patienten. Das war meine Erinnerung an Ischia. »Ich liebe diese Insel«, sagte ich zu Amelie, »ich bin dabei.«
Sie hatte bereits gebucht. Die Wohnung war ein Traum. Sie lag im Obergeschoss einer weißen Villa, der Blick auf die Bucht von Lacco Ameno war spektakulär. Nachts zirpten die Grillen, Zypressen und Pinien hüllten uns in ätherische Duftwolken. Einmal luden wir einen Künstler aus Norditalien auf unsere Terrasse ein. Der Mond ging über dem Meer auf, die Lichter des nächsten Hafenstädtchens glitzerten. »Ogni luce é un cornuto«, sagte er. Die Botschaft war eindeutig: Der arme, gerade von seiner Frau verlassene Mann witterte in jedem Haus einen Gehörnten. »Jeder bescheißt jeden, und das nennt man Liebe«, fügte er verbittert hinzu. Wir luden den Künstler nicht noch einmal ein. Er passte nicht zu unserem Glück.
Amelie stellte sich als beinahe unkomplizierte Reisegefährtin heraus. Nur der Weg zum Strand war ihr zu weit und der auf den Inselvulkan zu steil (zu joggen begann sie erst zehn Jahre später…). Ich war nach wie vor rasend in sie verliebt, konnte mir aber nicht vorstellen, dass eine so schöne, intelligente, erfolgreiche und erotische Frau ihr Leben ausgerechnet mit mir teilen wollte. Vielleicht dienten Amelie diese Ferien ja nur dazu, letzte Zweifel auszuräumen, dachte ich. Vielleicht steht das negative Testergebnis eigentlich schon fest. Diese Befürchtung hemmte mich ein wenig bei der Entfaltung meiner Qualitäten. Wenn die Umstände stimmen, kann ich leidenschaftlich sein, oder sogar geistreich. In diesen Tagen aber wurden meine Gedanken zusehends träge und trübe und meine Gefühle wie von Mehltau überlagert. War das die Hitze (33Grad) oder die Angst vor dem Moment der Wahrheit? Nein, es waren die Legionellen. Sie waren von einer Zisterne zu unserem Warmwasserboiler und von dort aus in meinen Körper gewandert. Seltsamerweise war ihr Ziel nicht, wie bei der Legionärskrankheit üblich, meine Lunge, sondern mein Gehirn. Amelie merkte nicht gleich, dass ich wirrer redete als sonst, und meine Aussprache feuchter wurde. Auch der Muskelkater ohne vorherige körperliche Betätigung irritierte sie kaum. Dass bereits ein Schluck Bier zu völliger Trunkenheit führte, verstörte nur mich. Bald gelang es mir nicht mehr, auf geradem Weg zur Toilette zu gehen, ich musste auf allen vieren krabbeln. Die Legionellen sorgten dafür, dass ich meinen Namen nicht mehr wusste, ein– für alle anderen kaum hörbarer– Hund stundenlang unerträglich laut neben meinem Bett bellte, ich nicht mehr schlucken und nur mit größter Mühe atmen konnte. Amelie, die mich aufopfernd pflegte, überlegte bereits, wie sie meinen Eltern, die sie noch nicht kennengelernt hatte, die Todesnachricht überbringen sollte. Ach, Ischia. Hätte damals nicht ein befreundeter Arzt mit uns Urlaub gemacht, wäre ich wohl dort begraben. Und nicht nur ich.
Dann wirkten die Tetracycline. Ich erholte mich rasch und geriet in eine Euphorie, wie sie bei Überlebenden wohl häufiger vorkommt. Ich band mir ein Küchentuch um den Kopf und sang eine Arie im Stile Beniamino Giglis. Meine Stimme war zwar noch ein wenig heiser und der Text deutsch, aber meine Empfindungen unglaublich tief. Ich stieg auf die schmale Brüstung unserer Terrasse und balancierte über dem Abgrund. Ich warf mich Amelie zu Füßen und trug sie auf der Schulter durch die Wohnung. Dabei sang ich unaufhörlich weiter. Es war nur eine Zeile in vielen Variationen: »Willst du mich heiraten?«
Als ich schließlich erschöpft in einen Sessel sank, sagte Amelie: »