Verteidigung der Zivilisation - Chaim Noll - E-Book

Verteidigung der Zivilisation E-Book

Chaim Noll

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Beschreibung

Der Existenzkampf Israels geht dem von Europa voraus. Spätestens seit dem 7. Oktober ist der Kampf der Kulturen in einen Krieg der Barbarei gegen die Zivilisation übergegangen. Er wird nicht nur in der Levante, sondern auch in Zentralasien, der Sahelzone und in Europa ausgetragen. In diesem Sinne sind die Grenzen Israels auch die Grenzen Europas. Auch die territorialen Ansprüche der Palästinenser sind vom Iran und seinen Satrapen längst in den Krieg gegen »die Ungläubigen« transformiert worden. Mit jeder Eskalation des Nahostkonflikts nehmen judenfeindliche Handlungen in Europa in einer Weise zu, wie sie seit 1945 nicht mehr zu beobachten waren. Offene Grenzen und eine ­zügellose Migrationspolitik haben bisher jede angemessene Gegenwehr gegen eine zunehmende Barbarisierung des öffentlichen Lebens verhindert. Die Frage lautet, ob die Europäer überhaupt noch zu kämpfen bereit sind. Sie scheinen oft kaum noch willens, sich als ­eigenen Kulturraum wahrzunehmen. Die größte Schwäche Europas liegt in der Verleugnung der Gefahr durch den global operierenden militanten Islam. Israel ist aber nicht nur ein Menetekel. Es könnte auch ein Modell für eine noch mögliche Selbstbehauptung sein. Die Israelis verstehen sich nicht als »posthero­ische Gesellschaft«, sondern als Kämpfer um die Existenz ihres Landes. Langfristig gilt es, die Kulturkriege in einen Kampf um die Zivilisation zu überführen. Diese Hoffnung fand in den Abraham-Accords zwischen Israel und einigen Arabischen Staaten ihren Ausdruck. Islamisten bedrohen auch die säkularen Staaten in der islamischen Welt. Aus einem besseren Verständnis dieser globalen Bedrohung ergäben sich nicht nur neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit im Nahen Osten, sondern auch zwischen den Weltmächten USA, China und Russland. Bei aller Verschiedenheit sind sie an einer Stabilität der Zivilisation interessiert. In einer multipolaren Weltordnung müssten alle universalistischen Ansprüche in eine Koexistenz der Mächte und Kulturen überführt werden. Erst daraus würde dann auch ein Frieden im Nahen Osten möglich.

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Chaim Noll • Heinz Theisen

Verteidigung der Zivilisation

Chaim Noll • Heinz Theisen

Verteidigungder Zivilisation

Israel und Europa in derislamistischen Bedrohung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage

ISBN 978-3-95768-265-9

eISBN 978-3-95768-266-6

© 2024 by Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek

Lau-Verlag & Handel KG

Kirschenweg 10a

21465 Reinbek

E-Mail: [email protected]

www.lau-verlag.de

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im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Umschlaggestaltung: pl, Lau-Verlag, Reinbek

Umschlagabbildung: © iStock.com/VectorMoon

Satz und Layout: pl, Lau-Verlag, Reinbek

Inhalt

Einleitung

Israel als Menetekel oder Modell?

1. Der revolutionäre Islamismus in der Weltunordnung

»It’s the religion, stupid!« Religion als Grundlage einer kollektiven Weltanschauung Heinz Theisen

Fragmentierung und neue Fronten. Zustandsbeschreibung Nahost Chaim Noll

»Arab Street«: Der globale Flashmob Chaim Noll

Der bekannte Reflex: Schuldzuweisung an Israel Chaim Noll

Fragwürdige Rolle der Medien und der »Wissenschaft« Chaim Noll

Größerer Spielraum für militante muslimische Gruppen Chaim Noll

Export der »Arab Street« Chaim Noll

Der Traum vom Weltreich. Islamischer Imperialismus gestern und heute Chaim Noll

Die am heftigsten umkämpfte Region der Erde Chaim Noll

Desaster des Sechs-Tage-Krieges und Aufstieg der Muslimbrüder Chaim Noll

Das schiitische Pendant: Der Imperialismus der Mullahs Chaim Noll

Türkei: Milli-Görus-Bewegung Chaim Noll

Saudi-Arabien: Doppelstrategie aus Wahabismus und pro-westlichen Bündnissen Chaim Noll

Innerislamischer Krieg Chaim Noll

Das Dilemma des politischen Islam Chaim Noll

Spaltung in arme und reiche Staaten Chaim Noll

Moderne westliche Kommunikationsmittel Chaim Noll

Westliche Arroganz als Ursache verhängnisvoller Fehleinschätzungen Chaim Noll

2. Die Grenzen Israels als Grenzen Europas

Islamismus als Totalitarismus des 21. Jahrhunderts Heinz Theisen

Gehört Israel zum Westen? Heinz Theisen

Der Gaza-Krieg als Kampf um die Weltöffentlichkeit Heinz Theisen

Antisemitismus als Hass auf die westliche Zivilisation Heinz Theisen

Wozu braucht der Westen einen »Palästinenser-Staat«? Chaim Noll

Hilfsgelder oder Tribut? Entwicklungshilfe für die Palästinenser Chaim Noll

Die kompromittierte UNO Heinz Theisen

Deutschlands Rolle Chaim Noll

3. Noch ist Israel nicht verloren

Jüdischer Messianismus als Bedrohung von innen Heinz Theisen

Das flexible Ego der Israelis Chaim Noll

Priorität: Patriotismus Chaim Noll

»Deswegen sind wir hier« Chaim Noll

Scheich Ashraf Ja’abri und das Konzept vom »ökonomischen Weg« Chaim Noll

»Das ehrenhafte Leben der Männer.« Probleme der Beduinenstämme im Süden Israels Chaim Noll

4. Noch ist Europa nicht verloren

Die offenen Grenzen Europas Heinz Theisen

Universalismus und Relativismus zerstören sich gegenseitig Heinz Theisen

Islamische Migration als Bedrohung Heinz Theisen

Migration und Terrorismus Heinz Theisen

Die Selbstbehauptung Mitteleuropas am Beispiel Ungarns Heinz Theisen

Europas Zukunft: Vielfalt nach innen – Einheit nach außen Heinz Theisen

Vom Wunschdenken zum Realismus Heinz Theisen

5. Zivilisierung und Selbstbehauptung

Kultur – Zivilisation – Barbarei Heinz Theisen

Israel als wissensbasierte Zivilisation Heinz Theisen

Die Wüste und der Frieden Chaim Noll

Kooperation mit Israel: Die Zukunft der arabischen Staaten Chaim Noll

Zwei verfeindete muslimische Machtblöcke Chaim Noll

Sympathien der Eliten, Aversion im Volk Chaim Noll

Vor einer Re-Zivilisierung des Iran? Heinz Theisen

»Mehr Bildung« ist kein Heilmittel Heinz Theisen

Die Palästinenser müssen sich entscheiden Heinz Theisen

Zivilisation als Leitkultur Heinz Theisen

6. Europa und der Nahe Osten in einer multipolaren Welt

Iran: Bündnis mit China, Russland und Nordkorea Chaim Noll

Der falsche Feind: Russland statt Islamismus Heinz Theisen

Europa als Objekt oder Subjekt des Weltgeschehens Heinz Theisen

Die Weltmächte sind zur Kooperation verurteilt – eine Chance für den Nahen Osten Heinz Theisen

Anmerkungen

Einleitung

Israel als Menetekel oder Modell?

Die These dieses Buches lautet, dass der Existenzkampf Israels dem von Europa vorausgeht. Es ist derselbe Krieg, in dem die Zivilisation gegen die zur Barbarei verkommene Kultur des Islamismus verteidigt werden muss. Für Israel zeigt er sich vor allem in einer offenen Konfrontation mit von außen eindringenden islamischen Milizen, die von verschiedenen Nachbarstaaten aus operieren, für Europa zunächst in einer von innen kommenden Bedrohung einer schleichenden Barbarisierung.

Wenn an einem deutschen Gymnasium die Teilnahme am Schulchor verdammt und von der örtlichen islamischen Geistlichkeit »Musik als Sünde« gegeißelt wird, ist der Übergang von der Kultur zur Barbarei fließend geworden. Wo immer die Pluralität der modernen Lebenswelten, von Religion, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, verworfen wird, sind Kultur und Zivilisation in Gefahr.

Unter »Zivilisation« fassen wir jene Gesellschaften zusammen, in denen – unabhängig von den jeweiligen eher ideell motivierten Kulturen – ein Minimum an humaner, struktureller und auch technischer Entwicklung gegeben ist. Dieses Minimum kann es auch jenseits von demokratischen Gesellschaften geben, wodurch die – zumal im Nahen Osten – nicht mehr haltbare Teilung der Welt nach demokratischen und undemokratischen Staaten in konkreten Prozessen der Zivilisierung auf einer anderen Ebene aufgehoben wird. Die vor dem 7. Oktober anvisierten »Abraham Accords« zwischen Israel und verschiedenen Arabischen Staaten sind das wichtigste Beispiel dafür.

Wie heute vor allem in Europa lebt die Zivilisation oft auch dann noch weiter, wenn schon wesentliche Inhalte der eigenen Kultur und Religion verfallen sind. Aber auch dieses Minimum sollte gegenüber einer drohenden Barbarei verteidigt werden. Wenn hingegen weder Kultur noch Zivilisation bewahrt werden, droht nicht weniger als der Verlust jeder Humanität und gesellschaftlichen Ordnung. Große Teile des Nahen Ostens sind davon schon betroffen. Dieser Zivilisationsbegriff erlaubt uns die im Schlussteil des Buches beschworene Hoffnung auf eine multipolare Weltordnung, in der die Kämpfe der Kulturen zugunsten ihrer Koexistenz bei gleichzeitiger wirtschaftlicher und technischer Konnektivität überwunden werden könnten.

Die konsequente Verteidigung zumindest der Zivilisation erfolgte – selbst in Israel – erst nach dem 7. Oktober, nach dem schrecklichen Geschehen, das dann eine aggressive Verteidigung unvermeidlich machte. Die Verteidigung der Zivilisation muss gewissermaßen zur Leitkultur von Staat und Gesellschaft werden. Die Alternative dazu liegt in jener Bereitschaft zur Selbstauflösung, die Europa – noch – von Israel unterscheidet.

Diese These versuchen wir aus historischen, kulturellen und strukturellen Zusammenhängen zwischen beiden Kulturen zu beleuchten. Sie ist heftig umstritten. In den gängigen »Postcolonial Studies« wird genau das Gegenteil behauptet. Der »weiße Westen« habe mit Israel eine weitere Speerspitze gegen den globalen Süden in die Wüste gerammt, um seine Herrschaft über fremde Völker zu befestigen.

Hierzu muss in offener Diskussion Klarheit gewonnen werden und dazu wollen wir einen Beitrag leisten. Nach unserer Überzeugung ist Israel ein Frontstaat des Westens, der seine innere Vielfalt gegen die heilige Einfalt von Gotteskriegern verteidigen muss. Während die Israelis wissen, dass eine erste Niederlage im Krieg gegen den Islam auch ihre letzte sein würde, verstehen die meisten Europäer nicht einmal, dass sie sich in einem Kampf der Kulturen befinden. Dieser Realitätsverlust zeigt heute fatale Auswirkungen in der Sicherheits- und Migrationspolitik.

Um zu erkennen, was für Europa auf dem Spiel steht, genügt ein Blick zurück. Die Städte in der heutigen Türkei waren einst von Griechen, Armeniern, Assyrern und anderen nicht türkischen Völkern gebaut und bereichert worden. Nach ihrer gewaltsamen Islamisierung gibt es in diesen Städten heute fast keine Christen mehr, nur noch 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung der Türkei sind Christen und Juden. Dies ist das Ergebnis der jahrhundertelangen Unterdrückung von Nicht-Muslimen mittels Zwangskonversionen, Massakern, Pogromen, Deportationen und diskriminierenden Gesetzen.1

Im Kampf des Islamismus gegen den Westen erfüllt sich die Prognose von Samuel Huntington vom »Kampf der Kulturen« auf erschreckende Weise. Dieses Buch wurde in den 90er-Jahren millionenfach gekauft, aber offenkundig nur von wenigen verstanden. Als Huntington seinerzeit den Zusammenprall der Kulturen als Übergang zum Kulturkrieg beschwor, setzte er noch voraus, dass sich der Westen diesem Kampf auch stellen würde.2 Heute droht Europa weniger ein Clash mit seinen von innen operierenden Zerstörern als eine freiwillige Selbstauflösung mangels Selbstbehauptungswillen. Andere Kulturen lehnen die Relativierung des Eigenen entrüstet ab und nützen zugleich die Autoimmunerkrankung des Westens zu ihrem Vordringen aus.

Drei Jahrzehnte nach Huntington stehen wir vor einem längst globalisierten Krieg von Islamisten, der neben dem Westen auch Staaten wie Russland und China und zugleich die säkularen Akteure in der islamischen Welt bedroht. Im Kern kämpft ihr religiöser Fundamentalismus weltweit gegen die Ausdifferenzierungen der modernen Zivilisation an. Aus dem Verständnis dieser globalen Bedrohung ergäben sich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Weltmächten, den USA, China und Russland, die bei aller Verschiedenheit ihrer Strukturen und Ideologien an einer Stabilität der Zivilisation interessiert sein müssen.

Die größte Schwäche Europas liegt in der Verleugnung der Gefahr durch den global operierenden militanten Islam. Während der Westen meint, sich im Krieg zwischen dem nationalen Souveränitätsanspruch der Ukraine und den imperialen Ansprüchen Russlands auf die Seite der Ukraine stellen zu müssen, scheut er schon den Kampf, geschweige denn den Krieg mit dem Islamismus. Das alte Europa vermochte den Islam vor Wien zurückzuschlagen. Im 20. Jahrhundert war der Westen noch in der Lage, sich gegen Nazismus und Sowjetkommunismus zu behaupten. Heute sind große Teile der westlichen Welt kaum willens, sich als eigenständiger Kulturraum wahrzunehmen. Statt ihre eigenen Interessen zu verteidigen, verlieren sie sich in der verschwommenen Ferne globaler Ziele.

Zur Vermeidung von Kulturkriegen hatte Huntington für die Selbstbegrenzung und Zurückhaltung des Westens geworben und zugleich den Schutz und die Abgrenzung des Westens vor anderen Kulturen gefordert. Geschehen ist genau das Gegenteil. Während sich der Westen immer weiter selbst relativiert, hat der Übergang von Kulturkämpfen zu Kulturkriegen durch die Ausbreitung des politischen Islam – von Ayatollahs, Taliban, Islamischer Staat, Hamas, Hisbollah, Boko Haram, Muslimbruderschaft und ihre weltweiten Außenposten und Unterstützer – schon die Form eines neuen Weltkriegs angenommen.

Israels Kampf um seine Existenz verlängert sich durch die offenen Grenzen Europas zum Kampf sowohl um die christliche als auch um die relativistische Kultur Europas. Die Kämpfe und schließlich der Krieg der Kulturen müssen in einen Kampf um die Zivilisation übergehen. Diese Hoffnung fand in den Abraham-Accords ihren Ausdruck. Der 7. Oktober hat jedoch gezeigt, dass der Kulturkampf stellenweise schon in einen Kampf der Barbarei gegen die Zivilisation übergegangen ist. Die Sympathien, die dem Kampf der Hamas auch im Westen entgegengebracht werden, zeigen an, dass die Barbarei auch im Kulturverfall des Westens Anziehung ausübt.

Israel ist der Frontstaat im Ringen zwischen der säkularen Zivilisation und dem religiösen Totalitarismus. Das Land befindet sich in einem entsetzlichen Dilemma zwischen Humanität gegenüber den eigenen Geiseln und dem notwendigen Kampf gegen den Untergang. Bei der Durchsuchung des Tunnelsystems am letzten Augusttag 2024 stießen die israelischen Soldaten auf die Leichen von sechs nach Gaza verschleppten Geiseln. Sie wurden vor dem Eintreffen des Kommandos erschossen. Manche glauben, dass die Geiseln noch leben könnten, hätte die Regierung ein – notfalls strategisch ungünstiges, für den Fortbestand Israels riskantes – Waffenstillstandsabkommen getroffen.

Israel, ein Land so groß wie Hessen, muss seit Jahrzehnten gegen genozidale Versuche kämpfen, es zu vernichten. Es wird zugleich von der Hamas aus dem Gazastreifen, der Hisbollah aus dem Libanon, den Huthis aus dem Jemen und den iranischen Revolutionsgarden aus dem Irak und Syrien angegriffen – alle befeuert und finanziert vom Iran und anderen Unterstützern. Das NATO-Mitglied Türkei droht Israel mit dem Einmarsch. Zugleich bedrohen weltweit militante Muslime jüdische und christliche Einrichtungen. Die territorialen Ansprüche der Palästinenser sind längst in den Glaubenskampf gegen »die Ungläubigen« transformiert worden. Und dieser Kampf wird nicht nur in der Levante, sondern auch in Zentralasien, der Sahel-Zone und in Europa ausgetragen. In diesem Sinne sind die Grenzen Israels auch die Grenzen Europas.

Die in Europa lebenden Juden braucht niemand über den Zusammenhang der islamistischen Bedrohung gegenüber Israel und gegenüber Europa aufzuklären. Sie spüren ihn unmittelbar und bewegen sich teilweise schon hilflos von einer Gefahr in die andere. 2024 erwartet Israel rund 3000 neue Einwanderer aus Frankreich, mehr als das Dreifache als im vergangenen Jahr.3 Die deutsche Zuwanderungspolitik gefährdet jüdisches Leben in der Bundesrepublik. In den vergangenen Jahren sind über 70 Prozent aller Erstanträge auf Asyl von Muslimen gestellt worden. Der Anteil von Personen mit judenfeindlichen Einstellungen ist in dieser Bevölkerungsgruppe bekanntermaßen am höchsten. Mit jeder Eskalation des Nahostkonflikts nehmen judenfeindliche Äußerungen und Handlungen in Europa zu, bis hin zu Ausmaßen, wie sie seit 1945 nicht mehr zu beobachten waren.

Die innere Sicherheit in Deutschland erodiert. Nach jedem der allmählich zum Alltag gehörenden Messerattentate wartet die Öffentlichkeit auf das Eingeständnis eines Totalversagens der Grenz-, Migrations- und Integrationspolitik. Deren tiefere Ursachen liegen in der Verleugnung eines »Kampfes der Kulturen«. Die Verleugnung dieser Realität hat Ausmaße angenommen, die nur noch aus der psychologischen Sphäre von »Trauma« und »Verdrängung« zu erklären sind.

Seltsam jene Bekundungen, denen zufolge »das Motiv« des Täters unklar gewesen sei. Bezeichnend für die Unfähigkeit, sich den Ernst der Lage und ihres eigenen jahrzehntelangen Versagens einzugestehen, war etwa die Rhetorik von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nach dem Messerattentat von Solingen am 23. August 2024. »Reul warnte vor Spekulationen«, heißt es auf dem Internet-Portal des WDR. »Aus dem Nichts sticht jemand wahllos auf Menschen ein. Man kann noch nichts sagen zur Person und zum Motiv.« So ist die Lage aus Sicht der Regierenden gut zusammengefasst: Man ignoriert die Hintergründe, schweigt und wartet, bis die erregten Gemüter sich wieder beruhigt haben.

Bei dem Mörder aus Syrien handelte es sich um einen Migranten, dessen rechtlich gebotene Ausweisung unterlassen worden war. Zugleich stellte sich ein Bekennerschreiben des »Islamischen Staates« ein, der seinen Terrorismus längst so weit globalisiert hat, dass sich jeder Messerstecher als Soldat im weltweit operierenden Heiligen Krieg fühlen kann. Beim »Islamischen Staat« handelt es sich um einen locker gefügten globalen Zusammenschluss von Islamisten, der möglichst viele Ungläubige töten und den Westen destabilisieren will. Auch die Hassprediger in ihren Internet-Medien agieren losgelöst in einer Art Franchise-System, in dem sich jeder selbstständig um Hass, Gewalt und Einschüchterungen bemüht. Dabei verschwimmen religiöser und politischer Hass ineinander.4

Falls Israel als Frontstaat der Europäer fallen sollte, bliebe Europa nur noch der Rückzug auf eine immer kleiner werdende Wagenburg. Eine Übernahme zumindest von Teilen Europas durch islamische Mächte wäre – nach heutigem Stand der Dinge – das wahrscheinlichste Schicksal unserer Nachfahren.

Mit diesen traurigen Ausblicken wird die Frage nach der Selbstbehauptungsfähigkeit Europas und des Westens gestellt, nach seiner Dekadenz, die im »Nicht-kämpfen-Wollen« besteht, und nach seinen verbleibenden Chancen, sich auch diesmal gegen die Feinde der offenen und säkulardifferenzierten Gesellschaft zu behaupten. Auf der anderen Seite: Wie solidarisch oder feindlich fragmentiert sind die verschiedenen Strömungen des militanten Islam? Zeichnet sich nach Jahrzehnten der Fanatisierung des Islam möglicherweise ein Tendenzwechsel ab in Richtung Pragmatismus und Überleben? Könnte eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Israel, Europa und moderaten islamischen Staaten Israel und Europa retten?

Der Islam ist seit dem 6. Jahrhundert in sich zerstritten, mit Neigung zu inneren Kriegen. Außerdem sind die meisten islamischen Staaten wirtschaftlich schwach, auch die reichen basieren auf Monokultur (Förderung fossiler Rohstoffe) und müssen fast alles, was sie benötigen, importieren. So wäre der militante Islam für ein starkes und selbstbewusstes Europa kein bedrohlicher Gegner. Stark ist er nur angesichts der Schwäche der Europäer, die nicht einmal zur Sicherung ihrer Grenzen in der Lage oder willens sind.

Veraltete Begriffe wie »Links und Rechts« hindern uns am Begreifen. Heute prallt in der westlichen Welt vielmehr eine Regenbogenkultur von »weltoffenen« Globalisten mit denjenigen zusammen, die das Eigene und Partikulare, vom Sozial- und Rechtsstaat bis hin zur eigenen Kultur, bewahren wollen. In dieser Auseinandersetzung werden zunehmend die elementaren Werte der westlichen Gesellschaften infrage gestellt und aggressiv bedroht. Auch der Kampf der Palästinenser gegen Israel ist den Dekonstruktivisten des Westens ein willkommenes Vehikel zum Kampf gegen die westliche Kultur. Aus dieser Perspektive ist der Kampf um Israel nicht nur ein Menetekel, sondern auch ein Modell möglicher Selbstbehauptung für Europa und den Westen.

Die entscheidende Frage ist, wie weit die Staaten des Westens für ihre Werte zu kämpfen bereit sind. An der Kampfbereitschaft Israels ist jedenfalls nicht zu zweifeln. Israelis verstehen sich nicht als eine postheroische Gesellschaft, sondern als aktive Kämpfer um die Existenz ihres Landes. Täglich einfliegende Raketen islamischer Terrorgruppen machen in diesem Land jede Selbsttäuschung unmöglich. Wenn also die Grenzen Israels gemäß unserer These auch die Grenzen Europas sind, gilt es den gemeinsamen Kampf gegen den Islamismus ins Auge zu fassen. Hat Israel allein überhaupt eine realistische Chance in seinem Mehrfrontenkrieg gegen den militanten Islam? Oder müssen sich hier die anderen westlichen Staaten durch rechtzeitigen Beistand verantwortlich zeigen?

Israels Kriege waren stets gekennzeichnet durch eine tiefe Spaltung im Innern und Ablehnung aus dem Ausland. Seit 1948 ist Israels Bevölkerung von Krieg zu Krieg gewachsen, ebenso seine Hightech-orientierte Wirtschaft.5 Israels erfolgreiche Kriege beruhen neben zahlreichen anderen Ursachen auf einer besonderen Eigenart, die sich aus Israels Demografie ergibt. So ragt der jüdische Staat auch deshalb unter den Industrienationen heraus, weil seine Frauen im Schnitt mehr als drei Kinder zur Welt bringen. Insgesamt ist die Familienstruktur der meisten Israelis stabil; auch im größeren Rahmen – über Mutter, Vater, Kind hinaus – zeigen die Familien Zusammenhalt. Solche elementaren Strukturen, auf die es in Kriegs- und Krisenzeit ankommt, sind in vielen anderen westlichen Staaten degeneriert.

Der profanierte Westen wird sich so weit rekultivieren müssen, dass er die gegebene Multikulturalität im Sinne einer ausdifferenzierten und funktionsfähigen Zivilisation zusammenhalten kann. Die gemeinsame Leitkultur Israels und Europas ist eine Zivilisation mit dem Willen zur Differenzierung und zur Vielfalt. Insofern sie zumindest Religion und Politik trennen, gilt dies auch noch für autoritäre Regimes wie China und Russland, mit denen wir langfristig zumindest wieder in Koexistenz leben müssen.

In einer islamischen oder auch nur stark vom Islam beeinflussten Gesellschaft sind Ausdifferenzierung und Vielfalt bedroht – zu dieser generellen Einsicht müssen die Mehrheiten in den westlichen Staaten gelangen. Meist geschieht es nur durch böse Erfahrung. Eine Rückkehr zum Wertekanon des christlichen Abendlands ist zwar nirgendwo in Sicht, aber eine Selbstbehauptung zumindest seiner wichtigsten Strukturen und zivilisierten Funktionen sollte in dem Maße konsensfähig werden, in dem das Bewusstsein für die Gefahren wächst.

Es bleibt die Hoffnung, dass sich in den westlichen Nationen die Minima der Selbstbehauptung ihrer Zivilisation zumindest durch die blanke Not ihrer wachsenden Bedrohung einstellen werden. Mit der Bedrohung sollte der Sinn für Notwendigkeiten wachsen. Dazu gehören vor allem die zivilisatorischen Qualitäten von Wissenschaft, Technik und Ökonomie, die Israel und Europa in die Verhandlungsmasse werfen können. Dazu gehört aber auch ein robuster Schutz der jeweiligen Grenzen, der in Europa seit Längerem vernachlässigt wird und den auch Israel vor dem 7. Oktober glaubte vernachlässigen zu dürfen.

Die Konflikte und Kriege im Nahen Osten werden sich nur aus der Einbettung in eine multipolare Weltordnung lösen lassen, aus dem Minimum an Koexistenz zwischen den drei Weltmächten USA, Russland und China. Sofern es dem Westen gelingt, einen ihm angemessenen Platz in der multipolaren Welt zu finden und zu behaupten, könnte die Koexistenz zumindest in spezifischen Funktionssystemen zur Konnektivität übergehen. Die Verteidigung Europas und des Westens erfordert zunächst deren Selbstbegrenzung: auf eigene Angelegenheiten und Territorien, zu denen wir Israel ausdrücklich rechnen. Sie erfordert darüber hinaus – jenseits der gegebenen Multikulturalität – die Verteidigung der Zivilisation.

Beide Autoren haben an vielen Orten zu diesen Themen publiziert.6 Unsere Urteile müssen wir nicht ändern, aber aktualisieren, verdeutlichen, fortschreiben. Wir legen hier unsere wichtigsten Erkenntnisse zusammen, um für die Verteidigung Israels und Europas zu werben.

Chaim Noll

Heinz Theisen

Beer Sheva, Israel

Köln, Deutschland

November 2024

1. Der revolutionäre Islamismus in der Weltunordnung

»It’s the religion, stupid!« Religion als Grundlage einer kollektiven WeltanschauungHeinz Theisen

Die politischen Diskurse zum Nahen Osten sind festgefahren. Sie enden in den endlosen Verstrickungen der Argumente über Territorien und historische Ansprüche. Es bleibt bei jenen Kausalkettendiskursen, wonach Israel und die Palästinenser dies getan und jenes nicht getan haben, ein endlos geflochtenes Band der diskursiven Ausweglosigkeit.

Verbleibt man auf der territorialen politischen Ebene, bleibt es beim gegenseitigen Täter-Opfer-Spiel und ist der Nahostkonflikt schlichtweg unlösbar. Der Islam ist aber eine Religion und der Islamismus ist eine totalitäre religiöse Bewegung, die alle säkularen Gesellschaften in ihren unterschiedlichen Freiheitsgraden bedroht. Im Kampf Israels um seine Existenz handelt es sich um einen Kulturkampf, genauer gesagt um einen Religionskrieg des islamischen Glaubens gegen einen als illegitim geltenden Staat der Juden, der durch seine bloße Existenz das Supremat der koranischen Lehre infrage stellt.

Die tiefer liegende Rolle der Religion wird von Materialisten geleugnet. Ihre Analysen bemühen stattdessen etwa die Erhöhung der Erdölpreise, die in der Tat das Aufkommen des Islamismus erleichtert haben. Ebenso gestrig sind die Atlantiker, die immer noch in Russland die eigentliche Gefahr für den Westen wittern, obwohl seit Afghanistan geklärt ist, dass der Islamismus sowohl gegen die marxistische als auch liberaldemokratische Ordnung gerichtet ist. Als Beispiel für die Verkennung des Paradigmenwandels im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert sei hier der amerikanische Politologe Zbigniew Brzezisnki erwähnt, der keinerlei Bedauern über die Niederlage Russlands und des dafür aufkommenden globalen Islamismus zeigte. Er hatte als Sicherheitsberater von Präsident Carter durch die Förderung der Taliban dabei mitgemischt. Auf die Frage nach der neuen weltweiten Bedrohung durch den Islamismus fiel ihm nichts anderes ein, als diese schlichtweg zu leugnen. »Es heißt auch, der Westen müsse eine globale Politik im Hinblick auf den Islamismus entwickeln. Das ist dumm. Es gibt keinen globalen Islamismus.«1

Die Staatsgründung Israels ist trotz des zugrunde liegenden UN-Teilungsplans von 1947 in erster Linie aus georeligiösen Gründen umkämpft. Es beginnt bereits damit, dass man die Existenz der modernen arabischen Nationalstaaten im Nahen Osten – Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Irak, Syrien und Libanon – für selbstverständlich und natürlich hält, während man Israel bestenfalls ein ominöses »Existenzrecht« zugesteht, mit dem Zusatz, dass es nach wie vor umstritten sei. Dabei sind alle diese Staaten etwa im gleichen Zeitraum entstanden, und wie es vor 1920 keinen neuzeitlichen jüdischen Staat gab, so auch keinen einzigen arabischen.2

Auf den ersten Blick arbeitet die Demografie in Kombination mit den religiösen Kräfteverhältnissen gegen Israel. Den fast 8 Millionen Juden Israels (bei knapp 10 Millionen Einwohnern und 16,8 Millionen Juden weltweit3) stehen knapp zwei Milliarden Muslime gegenüber, die schon von ihrer religiösen Grundlagenschrift, dem Koran, angehalten sind, »Ungläubige« zu töten. Der Nahe Osten befindet sich inmitten heftiger Kulturkämpfe, nicht nur zwischen Muslimen und Juden, sondern auch im konfessionellen Rahmen zwischen Sunniten und Schiiten, zudem in ethnischen Kategorien etwa zwischen Türken und Kurden. In jedem Fall geht es in diesem Kulturalismus um kollektive Identitäten, die sich im Nahen Osten vor allem aus religiösen oder ethnischen Herkünften speisen und sich zu ihrer Behauptung oder Ausdehnung mit politischer Macht verbinden.

Aus islamisch-religiöser Sicht spielt es keine Rolle, wie viele Generationen Muslime im Kampf gegen die Juden geopfert werden, denn alle Gefallenen genießen einen sorglosen Aufenthalt im islamischen Jenseits. Der Ausgang des großen Finales ist von der Schöpfung her gewiss: Mohammed und Allah werden triumphieren. Was am 7. Oktober in den israelischen Grenzdörfern verübt wurde, waren rituelle Massaker von Mördern im religiösen Delirium. Die jungen Männer schienen davon überzeugt, dass das massenhafte Abschlachten von Juden kein Verbrechen ist, sondern eine Weihe des Propheten. Den Juden wollte die Hamas demonstrieren, was sie erwarten wird, wenn sie in Israel bleiben: Verstümmelung, Vergewaltigung, Verbrennung.

Der in seiner Konsequenz auch selbstmörderische Anschlag vom 7. Oktober verweist auf den religiösen Märtyrerkult. Der Islam verfügt über ein einzigartiges Kampfinstrument. Im Dschihad, dem »Heiligen Krieg« gegen Ungläubige, winken entweder weltliche Früchte oder die Wonnen des Paradieses. Und für jeden ist ein spezifischer Weg dabei: Der Dschihad kann durch den Kampf, durch Auswanderung und eine damit verbundene Mission und vorbereitend durch Geburtenreichtum geführt werden.

Der buchstabengetreue Islam gebietet auch den Hass auf Christen. Zugleich aber auch den konfessionellen Konflikt zwischen dem schiitischen Iran und dem Sunnitentum und weiteren religiösen Spaltungen. Der »Islamische Staat« begeht seit 2014 einen Völkermord an den Jesiden im Sindschat-Gebirge: 5000 bis 10000 Jesiden wurden ermordet und 7000 Kinder und Frauen entführt und versklavt, die für schlimmer als Ungläubige, nämlich für Teufelsanbeter erklärt werden. Auch autoritäre, eher säkular gesinnte arabische Staaten müssen ihre zivilisatorischen Fortschritte gegen eine totalitäre Inanspruchnahme der Einheit von Religion und Politik verteidigen.

Während die arabische Staatenwelt auf dem Weg war, Israel als Zivilisationspartner jedenfalls vorübergehend zu akzeptieren, erklärt der vor allem vom Iran genährte Islamismus Israel den offenen Krieg. Wie die Christen wurden Juden in der islamischen Welt als Schutzgeldzahler geduldet. Sofern sie die Kopfsteuer nicht zu erbringen vermochten, wurden sie versklavt. Mit dem westlichen Kolonialismus endete diese Praxis, aber nach dessen Ende brach der Hass auf die widerständig gewordenen Ungläubigen umso stärker hervor.

Im Nahen Osten ist Religion die Hauptgrundlage einer kollektiven Weltanschauung. Dies gilt selbst für das weitgehend säkulare jüdische Israel. Der Mensch ist am stärksten durch seine Weltanschauung geprägt. Und auch diejenigen, die glauben, nichts zu glauben, ergehen sich unbewusst umso mehr in ersatzreligiösen Gesinnungen. Es ist nicht möglich, nichts zu glauben. Da Materialisten und Kulturrelativisten dies aber behaupten, fehlt ihnen jeglicher Sinn für die geokulturellen Bruchlinien, welche die Welt und zunehmend auch unsere multikulturellen Städte durchziehen.

Die saudische Macht legitimiert sich schon mangels freier Wahlen durch den wahhabitischen Islam und die Ajatollahs im Iran durch die schiitische Konfession. Auch der Großgrundbesitz der Ajatollahs lässt sich am besten religiös legitimieren. Viele orthodoxe Juden verbinden ihren Glauben mit der Macht des Staates Israel. Sie erwarten das Kommen des Messias infolge der jüdischen Herrschaft über das gelobte Land, einschließlich Judäa und Samaria, wie sie die palästinensische Westbank nennen. Sie sind als Mehrheitsbeschaffer in Jerusalem unverzichtbar geworden.

Die Verstrickung von Religion, Politik und Wirtschaft macht die Konflikte im Nahen Osten nahezu unlösbar. Wenn sich religiöse Absolutheitsansprüche mit dem Anspruch auf ein heiliges Stück Land oder religiöse Herrschaft verbinden, sind territoriale Kompromisse oder Gewaltenteilung in weiter Ferne. Absolute Wahrheit und relative Kompromisse passen nicht zueinander. Von demokratisch gewählten Muslimbrüdern geht eine größere Gefahr für die Freiheit des Einzelnen aus als von säkularen Diktaturen, die jenseits der Machtfrage Individuen und Funktionssystemen Freiräume lassen. Sie gewähren wenigstens Wirtschafts- und Bewegungsfreiheiten und kümmern sich weniger um das Privatleben der Menschen. Der Westen hat auch autoritär-säkulare Mächte bekämpft, was sich in einigen Fällen als kurzsichtig erwies und religiöse Fanatiker begünstigte.

Angesichts des grenzüberschreitenden Terrors, des Drogen- und Menschenhandels kann die Freiheit durch den Verfall staatlicher Macht noch stärker gefährdet sein als durch Autoritarismus. Wenn der Westen dann wie in Libyen auf Nation Building verzichtet, endet alles in einer Anarchie, die Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa unter entsetzlichen Bedingungen möglich gemacht haben.

Die Demokratie ist das Dach, welches erst auf errichtete Stockwerke aufgesetzt werden kann. Ohne diese Stockwerke wie Säkularität, Rechtsstaatlichkeit, korrekte Verwaltung, ausreichende Bildung endet der demokratische Wettbewerb im Bürgerkrieg und das Mehrheitsprinzip in der Unterdrückung von Minderheiten.

Derzeit sind etwa 50 von 195 Ländern der Welt mehrheitlich muslimisch. Es gibt 1,9 Milliarden Muslime auf der Welt und es ist die am schnellsten wachsende Religion. Muslimische Länder erstrecken sich von Marokko bis Indonesien. Während bis zu 90 Prozent der Muslime Sunniten sind, ist der Iran die Heimat einer schiitischen Mehrheit und wird von einem gefährlichen, radikalisierten Regime regiert, das nicht nur für den Westen, sondern auch für die sunnitischen Länder in der Region und das eigene iranische Volk eine Bedrohung darstellt.

Laut Fondapol, einer französischen Denkfabrik, gab es zwischen 1979 und 2019 etwa 34000 »islamische Terroranschläge« mit Schusswaffen, Sprengstoff, Klingen und Brandwaffen, die weltweit mehr als 167000 Menschenleben forderten. Ein von Dschihadisten geführtes Kalifat bedeutet potenzielle Unterdrückung der Massen, Diskriminierung anderer Religionen und sexueller Orientierungen, Einschränkung von Bildung und Gedankenfreiheit, Auferlegung strenger Kleidervorschriften, unter Umständen Zwangskonversionen und körperliche Bestrafungen wie öffentliche Auspeitschungen, Erhängen, Enthauptungen, Verbrennungen und Steinigungen. Der Weg zur Herrschaft folgt einer mehrfachen Strategie, zu der auch Täuschung und Subversion gehören. Blumenthal hat folgende Kategorien unterschieden:4

Einwanderungskrieg

Die illegale Einwanderung in die USA und nach Europa hat zu einer Invasion einer Stadt nach der anderen und eines Landes nach dem anderen geführt. Es ist mittlerweile eine gängige Erscheinung, dass viele dieser Migranten die Orte, die sie jetzt ihre Heimat nennen, angreifen, niederbrennen und plündern.

Bildungskrieg

In ähnlicher Weise hat die radikale islamistische Ideologie unser Bildungssystem infiltriert, das von sympathisierenden Alt-Left-Liberalen und wokistischer Indoktrination dominiert wird, die Schüler einer Gehirnwäsche unterzieht und sie in eine Fantasiewelt entführt. Sie werden dazu erzogen, dem modernen westlichen Kolonialismus und Imperialismus mit allen Mitteln (einschließlich brutaler Gewalt) Widerstand zu leisten.

Ideologischer Krieg

Radikale Dschihadisten versuchen, ihre Ziele und Ideologie mit anderen Ideologien wie Antifa, Marxisten und selbst LGBTQ zu vermischen, um eine Allianz der Unterdrückten zu bilden, mit der sie die Welt für ihre »Freiheit« und kollektiven Rechte zu bekämpfen trachten. Im Widerspruch dazu lehnen diejenigen, die der Hamas nahestehen, beharrlich Verhandlungen, Kompromisse, die Anerkennung Israels und dessen großzügige Friedensangebote ab. Sie übernehmen markige Sprüche wie »keiner von uns ist frei, bis wir alle frei sind« und benutzen heimlich andere Menschen und Gruppen für ihre Zwecke.

Kommunikationskrieg

Radikale Dschihadisten und ihre Unterstützer nutzen Kommunikationsmittel einschließlich sozialer Medien, um ein Narrativ westlicher Unterdrückung, Besatzung und »Völkermord« zu zeichnen. Anstatt sich auf ihr Volk, ihre Siedlungen, ihre Wirtschaft oder ihre Bildung zu konzentrieren, geben sie anderen die Schuld für ihre missliche Lage und suchen nach unaufhörlichen humanitären Almosen und heben damit die Selbstversorgung auf.

Psychologische Kriegsführung

Radikale Dschihadisten wehren sich gegen westliche Initiativen zur Bekämpfung des Terrorismus und eines Kalifats, indem sie bei fast jeder Gelegenheit eine »Islamophobie« ausrufen.

Lawfare

Wenn alles andere fehlschlägt, werden die Befürworter des radikalen Dschihad Verfassungsgesetze gegen uns verwenden, indem sie sich auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit berufen.

Fragmentierung und neue Fronten. Zustandsbeschreibung NahostChaim Noll

Im vergangenen Jahrzehnt kam es im Nahen Osten zu langen, in einigen Fällen bis heute anhaltenden Bürgerkriegen und Konflikten, zu Regime-Wechseln, neuen Allianzen und anderen drastischen Veränderungen. Seit Längerem aktive Terror-Organisationen wie Hamas und Hisbollah, dazu vergleichsweise neue, aus den Tiefen nahöstlicher Wüsten auftauchende Milizen wie der Daula al-islamiya (»Islamischer Staat«), die in Ägypten operierenden Ansar bait al-Maqdis (»Kämpfer des Heiligen Hauses«), die nigerianischen Boko Haram (»Verwestlichung ist Sünde«), die Huthi im Jemen und andere schrecken die westliche Hemisphäre durch Beweise ihrer Grausamkeit und unerschrockenen Kampfbereitschaft. Doch auch ein weithin anerkannter Herrscher wie der syrische Diktator Assad zeigte sich zu immer neuen Bluttaten gegen die eigene Bevölkerung bereit.

Zerbombte Städte wie das seit der Antike bekannte, einst kulturträchtige Aleppo, ruinierte Ökonomien, verwüstete Landschaften, verwilderte, durch tribalistischen Hass zerrissene Bevölkerungen bestimmen unsere Wahrnehmung eines in heftige Bewegung geratenen Nahen Ostens. Immer neue Wellen von Massenflucht aus Nordafrika und Nahost erschüttern Europa, ausgelöst durch Übervölkerung, overgrazing und Desertifizierung einst bewohnbarer Steppengebiete (wie der Sahel-Zone) oder aktuell durch Bürgerkriege und ethnisch-religiös motivierte zwischenstaatliche Konflikte (wie in Syrien, Afghanistan, Libyen, Irak, Jemen oder Libanon).

Dennoch hat die seit 2010 stattfindende Fragmentierung der Region vorerst an Tempo eingebüßt. Sie scheint zu einer neuen, zwar nicht »stabilen«, doch für einige Zeit haltbaren Konfiguration zu führen. Unter anderem zeigt sie sich vor allem in der Entstehung neuer, zum Teil verblüffender Allianzen. So die »Abraham Accord« genannten Bündnisse zwischen Israel und bisher feindlichen arabischen Staaten wie den reichen Golf-Emiraten (Dubai, Abu Dhabi, Bahrain und weiteren) oder in der verstärkten Kooperation zwischenzeitlich verfeindeter sunnitisch-arabischer Staaten wie Saudi-Arabien und Ägypten.

Auf der anderen Seite nutzt der Iran das seit dem 7. Jahrhundert bestehende Schisma des Islam, die religiöse Unvereinbarkeit, zuweilen blutige Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten, um innerhalb der Nachbarländer weitere Fraktionierung voranzutreiben und neue Fronten zu bilden. Sunnitische Muslime stellen die überwiegende Mehrheit innerhalb des Islam (bis zu 90 Prozent), entsprechend wurden die in sunnitisch-arabischen Staaten, etwa im Irak, in Saudi-Arabien oder Bahrain lebenden Schiiten diskriminiert und unterdrückt – sie erweisen sich daher als willige Werkzeuge einer unverhohlen aggressiven Politik des von schiitischen Mullahs regierten Iran.

Schiiten und Sunniten sind jedoch nicht die einzigen religiösen Fraktionen, in die der Islam im Nahen Osten aufgespalten ist, es gibt zahlreiche Minderheiten, zum Teil in Millionenstärke und in einzelnen Ländern von beträchtlichem Einfluss, wie Alawiten, Aleviten, Ahmadiya, Ibaditen, Drusen, Jesiden, Bahai und weitere, wobei einige dieser Richtungen von anderen nicht als Muslime anerkannt und aus diesem Grund gewaltsam verfolgt werden. Selbst Richtungen, die man in Europa unter summarischen Begriffen zusammenfasst wie »Salafismus«, sind in sich in zahlreiche, in religiöser Intransigenz erstarrte Gruppen gespalten, die einander erbarmungslos bekämpfen. Da die Islamisierung des Nahen Ostens zunimmt und sich jede Fraktion in den ihr eigenen Fanatismus hineinsteigert, nimmt auch die Erbitterung zu, in der Staaten und Milizen gegeneinander Krieg führen. Hinzu kommen ethnische Spannungen, etwa die Emanzipationsversuche der Kurden.

Der vorherrschende Konflikt der Region ist heute der zwischen den von Saudi-Arabien angeführten sunnitischarabischen Staaten und dem schiitischen Iran. Historisch ist dieser Bruch nicht nur religiös durch das schiitisch-sunnitische Schisma motiviert, sondern durch die gleichfalls seit Jahrhunderten bestehenden ethnischen Animositäten innerhalb des Islam, vor allem zwischen Arabern und Persern (wie sie etwa in der im 8. Jahrhundert ausgebrochenen, vom unterworfenen Persien ausgehenden arabophoben Bewegung Shu’biya zum Ausdruck kamen). Der Konflikt wurde vertieft durch politische Rivalitäten der vergangenen Jahrzehnte, nicht zuletzt durch das unterschiedliche Verhältnis zum Westen.

Während die radikalen Mullahs in Teheran auf Kamikaze-Kurs gegen die Vereinigten Staaten und Israel gingen und westliche Kultur ostentativ bekämpften, folgten die sunnitischen Staaten einer geschickteren Taktik. Sie blieben, obwohl oft kaum weniger anti-westlich und radikal-religiös, dennoch immer geschäfts- und gesprächsbereit und beherbergen große amerikanische Militärstützpunkte (in Ägypten, Saudi-Arabien, Oman, Jordanien, Jemen, Bahrain, Katar, den Vereinigten Emiraten, Kuwait, Djibouti). Sogar Saudi-Arabien konnte – trotz der schweren Krise nach den Terror-Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und andere amerikanische Ziele (deren Ausführende überwiegend saudische Staatsbürger waren) – durch aktive Mithilfe im von der Bush-Administration ausgerufenen »War on Terror« erneut den Eindruck der Kooperationsbereitschaft erwecken.

Einen Sonderweg versuchte der Emir von Katar, Hamad al-Tani. Obzwar wie Saudi-Arabien dem Wahabismus verpflichtet (einer radikalen sunnitischen Auslegung des Islam, die dem schiitischen Islam keine Legitimation zugesteht), unterhält das kleine, öl- und erdgasreiche, zugleich durch seine Insel-Lage im Persischen Golf angreifbare Land gute Beziehungen zum schiitischen Regime in Teheran. Der von Katar aus operierende Fernsehsender Al Jazeera war eine der treibenden Kräfte hinter dem sogenannten »Arabischen Frühling« 2010, der einige sunnitische Staaten in den Bürgerkrieg trieb oder zum Kollaps ihrer Regimes führte.

Der Emir von Katar gilt als einer der großen Sponsoren des islamischen Terrorismus weltweit. Mit der Finanzierung der Hamas in Gaza führt er einen Stellvertreterkrieg sowohl gegen Israel als auch gegen die sunnitisch-arabischen Staaten, deren Unterstützung der mit Hamas tödlich verfeindeten Palästinenser-Fraktion Fatah gilt. Worauf diese Staaten (Saudi-Arabien, Bahrain, Ägypten, Libyen, die Golf-Emirate und andere) 2017 mit Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Katar und schweren wirtschaftlichen Sanktionen