Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz -  - E-Book

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz E-Book

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Beschreibung

Das Kurzlehrbuch Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz macht Sie zunächst mit allgemeinen Strukturen sowie Grundbegriffen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Rechtsschutzmöglichkeiten vertraut. Durch die Arbeit mit dem Skript erlernen Sie die verschiedenen Klagearten der VwGO sowie Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes. In einem separaten Kapitel widmet sich das Skript demVor- bzw. Widerspruchsverfahren. In einem praktischen Teil zeigen wir, wie man Klageanträge und Klageabweisungen sowie Widerspruchs- und Abhilfebescheide formuliert. Dieses Kurzlehrbuch ermöglicht aber nicht nur eine Wiederholung des erlernten Wissens in komprimierter Form. Die ausformulierten Fälle erlauben es Ihnen, ihr Wissen für den Ernstfall zu testen und bieten Formulierungsbeispiele, die Sie für die Klausur nutzen können.

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Einführung

Über uns - der SVP Verlag stellt sich vor!

Wir sind der Begleiter für ein erfolgreiches Studium an den Hoch- und Fachhochschulen für die öffentliche Verwaltung! Unser Konzept für beste Klausurergebnisse in den juristischen und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern besteht aus der Kombination aus theoretischem Wissen und der Anwendung in Klausuren.

Alle Inhalte beruhen auf den Modulbeschreibungen der jeweiligen Studiengänge und sind nach umfassender Auswertung bisheriger Prüfungen entstanden.

Mit unseren Kurzlehrbüchern haben Sie die Möglichkeit, sich das notwendige Klausurwissen in kompakter Form anzueignen. Wir haben uns auf das Notwendigste beschränkt, weil wir wissen, dass Sie ihre Zeit für viele verschiedene Fächer einteilen müssen. Unser Schwerpunkt liegt auf verständlichen Erklärungen, Prüfungsschemata und Definitionen, die Sie in der Klausur nutzen können.

In jedem Kurzlehrbuch finden Sie im Anschluss an den theoretischen Teil Klausuren mit vollständig ausformulierten Lösungen. Zusätzlich haben wir nach Möglichkeit die notwendigen Vorüberlegungen und die Lösungsskizze formuliert, damit Sie nicht nur das fertige Ergebnis sehen, sondern auch die Entwicklung der Lösung nachvollziehen können.

Über dieses Skript

Das Kurzlehrbuch Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz macht Sie zunächst mit allgemeinen Strukturen sowie Grundbegriffen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Rechtsschutzmöglichkeiten vertraut. Durch die Arbeit mit dem Skript erlernen Sie die verschiedenen Klagearten der VwGO sowie Möglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes. In einem separaten Kapitel widmet sich das Skript dem Vor- bzw. Widerspruchsverfahren. In einem praktischen Teil zeigen wir, wie man Klageanträge und Klageabweisungen sowie Widerspruchs- und Abhilfebescheide formuliert.

Dieses Kurzlehrbuch ermöglicht aber nicht nur eine Wiederholung des erlernten Wissens in komprimierter Form. Die ausformulierten Fälle erlauben es Ihnen, ihr Wissen für den Ernstfall zu testen und bieten Formulierungsbeispiele, die Sie für die Klausur nutzen können.

Inhalt

Teil 1: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit

I. Der Instanzenzug

II. Prozessmaximen

Teil 2: Das Hauptsacheverfahren

A. Die Anfechtungsklage

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit

II. Objektive Klagehäufung, § 44 VwGO

III. Streitgenossenschaft, § 64 VwGO i.V.m. §§ 59 ff. ZPO

IV. Beiladung, § 65 VwGO

V. Begründetheit der Klage

B. Die Verpflichtungsklage

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit

II. - IV. Objektive Klagehäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit der Klage

C. Die Fortsetzungsfeststellungsklage

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit der Klage

II. - IV. Objektive Klagehäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit der Klage

D. Die allgemeine Leistungsklage

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit der Klage

II. - IV. Objektive Klagehäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit der Klage

E. Die Feststellungsklage

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit der Klage

II. - IV. Objektive Klagehäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit der Klage

F. Die prinzipale Normenkontrolle

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit des Antrags

II. - IV. Objektive Antragshäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit des Antrags

Teil 3: Vorläufiger Rechtsschutz

A. Die Anträge nach § 80 V 1 VwGO

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit

II. - IV. Objektive Antragshäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit

B. Die Anträge nach § 80a VwGO

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit

II. - IV. Objektive Antragshäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit

C. Der Antrag gem. § 123 I VwGO

Prüfungsschema

I. Zulässigkeit des Antrags

II. - IV. Objektive Antragshäufung, subjektive Antragshäufung, Beiladung

V. Begründetheit des Antrags

Teil 4: Das Rechtsmittelverfahren

Berufung und Berufungszulassung, §§ 124 ff. VwGO

A. Einleitung

B. Prüfungsschema

C. Die Prüfung im Einzelnen

I. Zulässigkeit

II. - IV. Objektive Klagehäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit

Revision, §§ 132 ff. VwGO

A. Einleitung

B. Prüfungsschema

C. Die Prüfung im Einzelnen

I. Zulässigkeit

II. - IV. Objektive Klagehäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit

VI. Entscheidung des BVerwG

Beschwerde, §§ 146 ff. VwGO

A. Einleitung

B. Prüfungsschema

C. Die Prüfung im Einzelnen

I. Zulässigkeit

II. - IV. Objektive Antragshäufung, Streitgenossenschaft, Beiladung

V. Begründetheit

Teil 5: Das Widerspruchsverfahren

A. Prüfungsschema: Aufbau der Prüfung eines Widerspruchs

B. Systematik und Vertiefung

I. Zulässigkeit des Widerspruchs

II. - IV. Objektive und subjektive Widerspruchshäufung, Hinzuziehung

V. Begründetheit des Widerspruchs

Teil 6: Klageund Bescheidpraxis

A. Der Bescheid

I. Der Erstbescheid

II. Bescheide im Widerspruchsverfahren

Prüfungsschema

III. Begründung

IV. Die Rechtsbehelfsbelehrung

B. Die Klageerwiderung

I. Allgemeines

II. Muster

Klausur: Ehe und Familie – Sachverhalt und Lösung

Klausur: Das Opferlamm – Sachverhalt und Lösung

Klausur: Der Hahn ist tot – Sachverhalt und Lösung

Klausur: Der Querulant – Sachverhalt und Lösung

Klausur: Flitzen – Sachverhalt und Lösung

Klausur: Karneval – Sachverhalt und Lösung

Teil 1: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nach Art. 95 I GG eine von fünf Gerichtsbarkeiten in Deutschland. Alle haben jeweils ihre eigene Prozessordnung (wobei das GVG eine gewisse Klammerwirkung entfaltet) und ihren eigenen Instanzenzug mit einem obersten Bundesgericht an der Spitze:

Ordentliche Gerichtsbarkeit (bestehend aus Zivil- und Strafgerichten) Oberstes Bundesgericht: BGH

Prozessordnungen: ZPO, StPO

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Oberstes Bundesgericht: BVerwG

Prozessordnung: VwGO

Finanzgerichtsbarkeit

Oberstes Bundesgericht: BFH

Prozessordnung: FGO

Arbeitsgerichtsbarkeit

Oberstes Bundesgericht: BAG

Prozessordnung: ArbGG

Sozialgerichtsbarkeit

Oberstes Bundesgericht: BSG

Prozessordnung: SGG

Welche Gerichtsbarkeit zuständig ist, richtet sich nach der jeweiligen Rechtswegzuweisung. Sofern nicht eine besondere Regelung existiert, ist gem. § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist daher nur zuständig, wenn dies besonders geregelt ist.

Gleichzeitig bedeutet die Existenz verschiedener Gerichtsbarkeiten und Prozessordnungen, dass die Prozessordnung einer anderen Gerichtsbarkeit nicht ohne Verweis in der eigenen Prozessordnung angewendet werden darf.

Beispiel: § 173 S. 1 VwGO verweist pauschal auf ZPO und GVG, soweit die VwGO keine eigenen Regelungen enthält. Ohne diesen Verweis wären die dortigen Regelungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht anwendbar. Weitere spezielle Verweisnormen existieren (z.B. §§ 57 II, 64 VwGO).

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist gem. § 40 I 1 VwGO zuständig für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist. Sie verfolgt drei Hauptziele:

Die Umsetzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV 1 GG in einfaches Recht (subjektive Komponente).

Die Kontrolle der Verwaltung durch die Rechtsprechung (objektive Komponente). Die Gerichte können Verwaltungsentscheidungen aufheben und die Verwaltung zur Vornahme von Handlungen oder zum Erlass eines Verwaltungsakts zwingen. Zudem sind rechtskräftige Gerichtsurteile bindend.

Die Fortbildung des (Verwaltungs-)rechts. In nicht wenigen Fällen hat die richterliche Kompetenz zur Rechtsfortbildung das Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht entscheidend geprägt.

I. Der Instanzenzug

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht aus drei Instanzen: Verwaltungsgericht (VG), Oberverwaltungsgericht (OVG) bzw. Verwaltungsgerichtshof (VGH) und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG).

Unterste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist das VG. Hier beginnen gem. § 45 VwGO - von Ausnahmen nach §§ 47, 48, 50 VwGO abgesehen - alle Streitigkeiten im ersten Rechtszug.

Beim Verwaltungsgericht werden Kammern gebildet, § 5 II VwGO. Diese sind mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern besetzt, § 5 III VwGO, wobei es allerdings Ausnahmen gibt, wie die Entscheidung durch den Einzelrichter, § 6 VwGO. Verwaltungsgerichte existieren in allen Bundesländern, wobei ihre Sitze und Zuständigkeitsbezirke landesrechtlich geregelt sind.

Beispiel: In NRW existieren gem. § 17 JustizG NRW sieben Verwaltungsgerichte: Aachen, Arnsberg, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Köln, Minden und Münster.

Das OVG ist gewöhnlich die Mittelinstanz. In jedem Bundesland existiert genau ein OVG, § 2 VwGO. Es entscheidet gem. § 46 VwGO über Berufungen und Beschwerden gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte. Allerdings gibt es hiervon Ausnahmen: Einerseits kann die Mittelinstanz im Wege der sog. „Sprungrevision” nach § 134 VwGO übergangen werden, andererseits kann das OVG nach §§ 47, 48 VwGO auch Eingangsinstanz sein.

Beim OVG heißen die Spruchkörper Senate, § 9 II VwGO. Sie sind gewöhnlich mit drei Berufsrichtern besetzt, wobei die Länder nach § 9 III 1 2. Hs. VwGO eine Besetzung von fünf Richtern vorsehen können, von denen wiederum zwei ehrenamtliche Richter sein können. Ebenso regeln die Länder in ihren Ausführungsgesetzen den Sitz des jeweiligen OVG. Gemäß § 184 VwGO können sie ferner bestimmen, dass das OVG „Verwaltungsgerichtshof” (VGH) heißen soll.

Höchste und damit letzte Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist das BVerwG mit Sitz in Leipzig, § 2 VwGO. Das BVerwG ist Revisionsgericht, § 49 Nr. 1, 2 VwGO, wobei auch hier Ausnahmen existieren, namentlich die Beschwerdezuständigkeit nach § 49 Nr. 3 VwGO und die erstinstanzliche Zuständigkeit nach § 50 VwGO. Beim BVerwG werden Senate gebildet, die mit fünf Berufsrichtern besetzt sind, § 10 II, III VwGO.

II. Prozessmaximen

Der Verwaltungsprozess läuft nach Verfahrensregeln ab, die er z.T. mit anderen Gerichtsbarkeiten teilt, die ihn aber auch von jenen unterscheiden.

Die Dispositionsmaxime besagt, dass die Beteiligten den Streitgegenstand bestimmen, d.h. sie legen durch ihr prozessuales Verhalten fest, worüber und in welchem Umfang gestritten wird. Dies gilt zunächst und vor allem für den Kläger, denn nach § 88 VwGO ist das Gericht an das Klägerbegehren gebunden. Dies hat zwei Konsequenzen: Erstens darf das Gericht nicht über den Antrag hinausgehen („ne ultra petita”, § 88 1. Hs. VwGO). Zweitens muss das Gericht den wahren Willen des Klägers ermitteln, darf also nicht am Wortlaut seiner Erklärung haften, § 88 2. Hs. VwGO. Weil das Klägerbegehren den gesamten Streitgegenstand bestimmt, muss es besonders sorgfältig analysiert werden. Weitere Folgen der Dispositionsmaxime sind z.B., dass der Kläger seine Klage zurücknehmen (§ 92 VwGO), ändern (§ 90 VwGO) oder für erledigt erklären kann. Aber nicht nur dem Kläger, sondern auch den anderen Prozessbeteiligten i.S.v. § 63 VwGO kommt die Dispositionsmaxime in bestimmten Fällen zugute: Ohne ihr Einverständnis kommt kein Vergleich zustande, § 106 VwGO. Änderung gem. § 90 I VwGO und Rücknahme gem. § 92 I VwGO der Klage können ebenfalls von ihrer Einwilligung abhängen.

Gem. § 86 I VwGO erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Insoweit herrscht Kongruenz zum verwaltungsbehördlichen Verfahren, in dem die Behörde nach § 24 I VwVfG den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt. Zwar kann und muss das Gericht nicht von selbst auf Ideen kommen, für die der Sachvortrag der Beteiligten keinen Anhaltspunkt bietet; das Gericht ist jedoch berechtigt und verpflichtet, von selbst solchen Umständen nachzugehen, die es nach Aktenlage für streitentscheidend hält, auch wenn die Beteiligten diesen rechtsirrig keine Bedeutung beigemessen haben. Dies gilt für Tatsachen und rechtliche Erwägungen gleichermaßen.

Nach § 101 I VwGO entscheidet das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung, soweit nichts anderes bestimmt ist. Dieser Mündlichkeitsgrundsatz kennt jedoch zahlreiche Ausnahmen, z.B. den Verzicht nach § 101 II VwGO oder die Möglichkeit, nach § 101 III VwGO in Beschlussverfahren oder nach § 84 I 1 VwGO im Gerichtsbescheidsverfahren von der mündlichen Verhandlung abzusehen.

Selbstverständlich ist der Mündlichkeitsgrundsatz kein Selbstzweck. Er sollte vielmehr historisch einer Geheimratsjustiz vorbeugen und durch Transparenz das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerichte stärken. Deshalb hat die Öffentlichkeit nach § 55 VwGO i.V.m. §§ 169 ff. GVG grundsätzlich Zutritt zu allen mündlichen Verhandlungen.

Mit dem Mündlichkeitsgrundsatz untrennbar verbunden ist ferner der Unmittelbarkeitsgrundsatz, wonach zum Gegenstand der Urteilsfindung nur gemacht werden darf, was Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Der Beschleunigungsgrundsatz ist in der VwGO nicht explizit kodifiziert (im Gegensatz etwa zu § 10 S. 2 VwVfG). Jedoch ist auch der Verwaltungsprozess einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Eine Reihe von Normen der VwGO dienen diesem Ziel.

Auch das Grundgesetz enthält für den Verwaltungsprozess gewisse Leitlinien. Zu nennen sind in erster Linie das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 I 2 GG, der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG und das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 IV 1 GG. Diese haben nicht nur verfassungsrechtliche Bedeutung, sondern prägen auch das fachgerichtliche Verfahren. Abschließend sind an dieser Stelle die Bindung der Gerichte an Recht und Gesetz aus Art. 20 III GG und die richterliche Unabhängigkeit aus Art. 97 I GG zu nennen, auch wenn es sich dabei streng genommen nicht um Verfahrensgrundsätze handelt. Aber sie leiten und prägen das gesamte deutsche Gerichtswesen und damit auch die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Teil 2: Das Hauptsacheverfahren

Mit dem Begriff „Hauptsacheverfahren” ist die gerichtliche Entscheidung in der Sache selbst, d.h. über die Klage gemeint. Deshalb kann das Hauptsacheverfahren auch als Klageverfahren bezeichnet werden. Es grenzt sich einerseits ab vom Vorverfahren/Widerspruchsverfahren, das bei der Verwaltung durchzuführen ist und als Vorstufe vor dem gerichtlichen Verfahren abläuft. Andererseits ist das Hauptsacheverfahren vom vorläufigen Rechtsschutz zu trennen, der keine endgültige Entscheidung des Rechtsstreits bringt, sondern nur - wie der Name es schon sagt - eine vorläufige Klärung, indem entweder Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 80 V, 80a VwGO) oder eine vorläufige Sachentscheidung (§ 123 VwGO) begehrt wird. Die nachfolgenden Erläuterungen zum Hauptsacheverfahren erfolgen getrennt nach den Klagearten der VwGO.

A. Die Anfechtungsklage

Das Schema gilt für eine vollständige Prüfung der Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage. Primär gilt es jedoch, sich an der Fallfrage zu orientieren. Die in kursiv gefassten Prüfungspunkte müssen zudem nur angesprochen werden, wenn der Sachverhalt dies erfordert.

PrüfungsschemaZulässigkeit der KlageVerwaltungsrechtswegStatthafte KlageartKlagebefugnisVorverfahrenKlagefristKlagegegnerBeteiligungs- und ProzessfähigkeitWeitere Zulässigkeitsvoraussetzungena) Ordnungsgemäße Klageerhebungb) Rechtshängigkeit und Rechtskraftc) Rechtsschutzbedürfnisd) Rechtsbehelfe gegen behördliche VerfahrenshandlungenObjektive KlagehäufungStreitgenossenschaftBeiladungBegründetheit der KlageRechtswidrigkeit des Verwaltungsaktsa) Ermächtigungsgrundlageb) Formelle Rechtmäßigkeitaa) Zuständige Behördebb) Verfahrencc) Formc) Materielle Rechtmäßigkeitaa) Tatbestand der Ermächtigungsgrundlagebb) Rechtsfolge der Ermächtigungsgrundlage2. Rechtsverletzung

Der „klassische” Obersatz in einer verwaltungsrechtlichen Klausur lautet: „Die Klage hat Erfolg, soweit sie zulässig und begründet ist”.

I. Zulässigkeit

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Klage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht oder, wenn eine solche nicht stattfindet, der Zeitpunkt des Erlasses der gerichtlichen Entscheidung. Somit kann eine unzulässige Klage nachträglich noch zulässig bzw. eine zulässige Klage unzulässig werden.

1. Verwaltungsrechtsweg

Im Rahmen der Prüfung, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, ist bei Bedarf zunächst zu klären, ob die Streitigkeit überhaupt der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt sowie grundsätzlich justiziabel ist (justizfreier Hoheitsakt). Sodann ist zu prüfen, ob der Verwaltungsrechtsweg über eine Spezialvorschrift eröffnet ist (aufdrängende Sonderzuweisung). Sollte dies nicht der Fall sein, ist abschließend auf die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO einzugehen.

a) Deutsche Gerichtsbarkeit

In seltenen Fällen kann es einmal an der Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit fehlen (vgl. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 18, 19 GVG). Dieser Prüfungspunkt ist bei der Erstellung der Lösungsskizze kurz zu bedenken. Sollte er, was zu erwarten ist, für die Klausurlösung keine Rolle spielen, ist er mit keiner Silbe zu erwähnen. Im Prüfungsaufbau kann dieser Punkt alternativ auch vor dem Verwaltungsrechtsweg geprüft werden.

b) Justizfreie Hoheitsakte

Bestimmte Hoheitsakte können gerichtlich gar nicht überprüft werden, sind somit „justizfrei”. Wegen der Rechtsweggarantie des Art. 19 IV 1 GG können dies aber nur seltene Ausnahmen sein.

Beispiele: Verfahrensabschließende Beschlüsse von Untersuchungsausschüssen gem. Art. 44 IV 1 GG; nach h.M. ablehnende Gnadenentscheidungen, weil sie außerhalb der Rechtsordnung stünden („Gnade vor Recht”). Auch die justizfreien Hoheitsakte sind in einer Klausur nur zu erwähnen, wenn sie ernsthaft in Betracht kommen.

c) Aufdrängende Sonderzuweisungen

Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist zunächst dann eröffnet, wenn eine aufdrängende Sonderzuweisung greift. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie bestimmte Rechtsstreitigkeiten ausdrücklich den Verwaltungsgerichten zuweist. Eines Rückgriffs auf die Generalklausel des § 40 I 1 VwGO bedarf es dann nicht mehr. Relevante aufdrängende Sonderzuweisungen finden sich nur in Bundesgesetzen. Die wichtigsten aufdrängenden Sonderzuweisungen sind § 54 I BeamtStG für Landesbeamte (vgl. § 1 BeamtStG) und § 126 I BBG für Bundesbeamte (vgl. § 1 BBG). Eine Klage aus dem Beamtenverhältnis i.S.v. § 54 I BeamtStG und § 126 I BBG liegt vor, wenn Rechte in Streit stehen, die dem Beamtenverhältnis eigen sind oder in ihm wurzeln. Wegen des Sinns und Zwecks der Vorschriften, beamtenrechtliche Fragen einheitlich der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, werden sie weit ausgelegt und erfassen auch Streitigkeiten um die Anbahnung eines Beamtenverhältnisses, d.h. um die Ernennung zum Beamten.

d) Generalklausel, § 40 I 1 VwGO

Gem. § 40 I 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Es handelt sich um eine Generalklausel, weil die Vorschrift Rechtsschutz gegenüber allen Formen hoheitlichen Verwaltungshandelns gewährt.

aa) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit

Das Tatbestandsmerkmal der öffentlich-rechtlichen Streitigkeit dient der Abgrenzung zu den zivilrechtlichen Streitigkeiten, für welche gem. § 13 GVG die ordentlichen Gerichte zuständig sind.

Die Abgrenzung der öffentlich-rechtlichen von zivilrechtlichen Streitigkeiten richtet sich nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird. Die Natur des Rechtsverhältnisses bemisst sich wiederum nach dem Ziel der Klage und dem zugrunde liegenden Sachverhalt. Maßgeblich kann auf die streitentscheidende Norm abgestellt werden. Zur Bestimmung der Rechtsnatur der Rechtsstreitigkeit werden im Wesentlichen drei Theorien angeboten: die modifizierte Subjektstheorie, die Subordinationstheorie und die Interessentheorie. Es handelt sich um die aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht bekannten Theorien. Zu folgen ist daher grds. der modifizierten Subjektstheorie.

Die darüber hinaus angewandten Abgrenzungsmethoden wie Zweistufentheorie und Sachzusammenhang spielen im Rahmen der Anfechtungsklage keine Rolle und werden daher erst bei den Klagearten erörtert, bei denen sie relevant sind.

Abschließend ist zu beachten, dass es für die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges ausreichend ist, wenn nur eine der streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich ist.

bb) Nichtverfassungsrechtlicher Art

Gem. § 40 I 1 VwGO muss die Streitigkeit nicht nur öffentlich-rechtlich, sondern auch nicht-verfassungsrechtlicher Art sein.

Eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art liegt nach h.M. vor, wenn unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte um Rechte und Pflichten streiten, die unmittelbar in der Verfassung geregelt sind (sog. doppelte Verfassungsunmittelbarkeit). Sobald somit ein privater Rechtsträger (natürliche Person oder juristische Person des Privatrechts) am Rechtsstreit beteiligt ist, liegt eine Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art vor.

cc) Fehlen einer abdrängenden Sonderzuweisung

Wie § 40 I 1 2. Hs. VwGO zu entnehmen ist, kann die Streitigkeit trotz grundsätzlicher Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges einem anderen Gericht durch Bundesgesetz zugewiesen sein (sog. abdrängende Sonderzuweisungen). Unter „Bundesgesetz” sind allerdings nur formelle Bundesgesetze zu verstehen, es kann mithin nicht eine Rechtswegzuweisung durch Rechtsverordnungen oder Satzungen erfolgen.

Eine relevante abdrängende Sonderzuweisung für den Bereich des Staatshaftungsrechts beinhaltet § 40 II 1 VwGO.

§ 23 I 1 EGGVG weist die Überprüfung von sog. Justizverwaltungsakten den ordentlichen Gerichten zu. Bedeutsam ist die Norm insbes. bei einem Handeln der Polizei, die nicht nur gefahrenabwehrend (präventiv) nach dem Polizeirecht, sondern auch strafverfolgend (repressiv) tätig wird

Bedeutsam ist weiterhin die Öffnungsklausel des § 40 I 2 VwGO. Sie erlaubt dem Landesgesetzgeber die Schaffung abdrängender Sonderzuweisungen auf dem Gebiet des Landesrechts.

2. Statthafte Klageart

Entscheidend für die Bestimmung der statthaften Klageart ist gem. § 88 VwGO das Begehren des Klägers. Die Anfechtungsklage ist gem. § 42 I 1. Fall VwGO statthaft, wenn der Kläger die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt.

Liegt nicht bereits der äußeren Form nach ein Verwaltungsakt vor, ist dessen Existenz anhand der Legaldefinition des § 35 VwVfG zu prüfen, die wegen des engen Zusammenhangs zwischen materiellem Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozessrecht auch im Bereich der VwGO gilt.

Die Statthaftigkeit der Anfechtungsklage setzt nicht nur voraus, dass ein Verwaltungsakt vorliegt. Dieser darf sich auch noch nicht erledigt haben. Das folgt aus § 113 I 4 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist im Falle der Erledigung eines Verwaltungsaktes nicht die Anfechtungsklage, sondern die in § 113 I 4 VwGO normierte Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK) statthaft.

3. Klagebefugnis

Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Anfechtungsklage gem. § 42 II 1. Fall VwGO nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Diese sog. Klagebefugnis dient einerseits dazu, Popularklagen auszuschließen, d.h. Klagen, mit denen ein Einzelner sich zum Hüter des Gemeinwohls zu machen versucht. Andererseits schließt der Gesetzgeber mit dem Erfordernis der möglichen Verletzung eigener Rechte die sog. gewillkürte Prozessstandschaft aus, bei welcher der Kläger aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Ermächtigung fremde Rechte im eigenen Namen ausübt. Möglich ist hingegen wegen der Formulierung „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist …” die gesetzliche Prozessstandschaft.

a) In seinen Rechten

§ 42 II VwGO verlangt eine mögliche Verletzung des Klägers „in seinen Rechten”. Da er sich in einem Verwaltungsprozess gegen ein hoheitliches Handeln wehrt, müssen sich diese Rechte aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben. Es muss ihm ein sog. subjektiv-öffentliches Recht zustehen. Die Herleitung eines subjektiv-öffentlichen Rechts erfolgt am Maßstab der sog. Schutznormtheorie. Danach verbürgt eine öffentlich-rechtliche Vorschrift ein subjektives Recht, wenn sie zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen dient und der Kläger zum geschützten Personenkreis gehört.

Daneben können sich subjektiv-öffentliche Rechte auch aus Einzelakten ergeben. Subjektiv-öffentliche Rechte aus dem einfachen Recht gehen als die konkreteren Bestimmungen den Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten vor. Subjektiv-öffentliche Rechte aus Einzelakten gehen wiederum den Rechten aus dem einfachen Recht vor.

Ein subjektiv-öffentliches Recht scheidet (nur) aus, wenn eine gesetzliche Bestimmung ausschließlich dem Allgemeininteresse dient.

aa) Sog. Adressatentheorie

Die Klagebefugnis ist unproblematisch zu bejahen, wenn der Kläger eine natürliche Person oder eine juristische Person des Privatrechts ist und sich gegen einen an ihn adressierten belastenden Verwaltungsakt wehrt. In diesem Fall kommt stets eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 2 I GG in Betracht, da die in Art. 2 I GG verbürgte allgemeine Handlungsfreiheit jedes menschliche Verhalten vor staatlichen Eingriffen schützt. Handelt es sich bei dem Kläger hingegen um eine juristische Person des öffentlichen Rechts, ist Art. 2 I GG nicht anwendbar, da sie als Grundrechtsverpflichtete nicht zugleich Grundrechtsberechtigte sein können. Es muss dann nach einer anderweitigen subjektiven Rechtsposition gesucht werden. Klagt der Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes, ist in einer Klausur nur kurz festzuhalten, dass er möglicherweise in seinem Grundrecht aus Art. 2 I GG verletzt und somit klagebefugt ist. Weiterhin ist angesichts des unproblematischen Vorliegens der Klagebefugnis kein Wort über die Schutznormtheorie zu verlieren.

bb) Drittanfechtung

Probleme im Rahmen der Klagebefugnis treten auf, wenn die Anfechtungsklage nicht vom Adressaten des belastenden Verwaltungsaktes erhoben wird, sondern von einem Dritten.

Beispiel: Nachbar greift die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung an.

Die sog. Adressatentheorie greift hier nicht. Erforderlich ist vielmehr eine Norm, die auch den klagenden Dritten schützt, eine sog. drittschützende Norm. Sie wird, wie jedes subjektiv-öffentliche Recht, durch Anwendung der Schutznormtheorie ermittelt. Folglich muss die jeweilige Norm zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen dienen und der anfechtende Dritte muss zum geschützten Personenkreis gehören. Hier hat die Schutznormtheorie ihren eigentlichen Anwendungsbereich. Drängt sich nämlich ein Dritter in die Rechtsbeziehung Verwaltung - Adressat, besteht in besonderem Maße die Gefahr einer Popularklage, sodass genau zu untersuchen ist, ob dem Dritten überhaupt eine Rechtsposition zusteht, die er per Anfechtungsklage geltend machen kann.

b) Geltendmachung einer Rechtsverletzung

Die Klagebefugnis setzt gem. § 42 II VwGO neben der Existenz eines subjektiv-öffentlichen Rechts weiterhin voraus, dass der Kläger geltend macht, in diesem Recht verletzt zu sein. Dafür ist es ausreichend, dass der Kläger hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass der angefochtene Verwaltungsakt das dem Kläger zukommende subjektiv-öffentliche Recht verletzt (sog. Möglichkeitstheorie). An dieser Voraussetzung fehlt es nur, wenn eine Rechtsverletzung eindeutig ausscheidet. Das dürfte in einer Klausur kaum einmal der Fall sein. Daher genügt in einer Klausur die kurze Feststellung, dass das subjektiv-öffentliche Recht des Klägers möglicherweise verletzt ist.

c) Ausnahmen von der Klagebefugnis

Gem. § 42 II 1. Hs. VwGO ist eine Klagebefugnis nur erforderlich, „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist”. Der Gesetzgeber kann also vom Erfordernis der Klagebefugnis absehen. Das gilt sowohl für den Bundesgesetzgeber als auch für den Landesgesetzgeber.

4. Vorverfahren

Da die §§ 68 ff. VwGO nach der amtlichen Überschrift des 8. Abschnitts der VwGO besondere Voraussetzungen für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage normieren, sind sie im Prüfungsaufbau erst nach der Bestimmung der statthaften Klageart zu prüfen.

a) Grundsätzliches Erfordernis des Vorverfahrens

Gem. § 68 I 1 VwGO sind vor der Erhebung der Anfechtungsklage Recht- und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Mit dieser Regelung verfolgt der Gesetzgeber mehrere Ziele. Einerseits geht es um eine Selbstkontrolle der Verwaltung, die ihre Entscheidung überdenken und ggf. korrigieren soll. Andererseits sollen die Gerichte entlastet werden. Denn wenn der Widerspruch keinen Erfolg hat, besteht die Möglichkeit, dass der Widerspruchsführer die Aussichtslosigkeit seines Ansinnens einsieht und auf die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage verzichtet. Schließlich stellt das Vorverfahren für den Betroffenen einen zusätzlichen Rechtsbehelf neben der Klage dar, der kostengünstiger als das Klageverfahren ist und zudem eine Kontrolle der Zweckmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bietet. Letzteres bedeutet, dass eine Ermessensentscheidung vollständig kontrolliert wird. Demgegenüber prüft das Verwaltungsgericht gem. § 114 S. 1 VwGO nur das Vorliegen eines Ermessensfehlers, übt das Ermessen also nicht selbst aus.

Zu beachten ist, dass der Kläger das Vorverfahren nicht nur erfolglos, sondern auch ordnungsgemäß durchgeführt haben muss. Ist sein Widerspruch unzulässig, führt dies auch zur Unzulässigkeit seiner Anfechtungsklage.

Beispiel: Hat der Kläger seinen Widerspruch nicht form- und fristgerecht nach § 70 I VwGO erhoben, ist grds. auch die Anfechtungsklage unzulässig.

Nicht zurechnen lassen muss sich der Kläger natürlich Fehler, die ihre Ursache in der Sphäre der Verwaltung haben.

Beispiel: Über den Widerspruch entscheidet eine unzuständige Behörde.

Hier ist das Vorverfahren zwar auch nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, nur ist dies dem Widerspruchsführer nicht zuzurechnen. Der Fehler führt nicht zur Unzulässigkeit des Widerspruchs und der Klage, sondern zur Rechtswidrigkeit des Widerspruchsbescheids und erlaubt dessen isolierte Anfechtung gem. § 79 II 2 VwGO.

b) Beschränkungen bzw. Erweiterung des Anwendungsbereichs des Vorverfahrens

Gem. § 68 I 2 VwGO bedarf es eines Vorverfahrens nicht, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Mit dem Begriff „Gesetz” sind nicht nur Bundesgesetze gemeint, sondern auch Landesgesetze. Das folgt aus der Überlegung, dass sich der Bund nicht selbst ausdrücklich dazu ermächtigen muss, von seinem eigenen Gesetz, der VwGO, abzuweichen. Das könnte er auch, ohne dies im § 68 I 2 VwGO zu normieren.

Gem. § 68 I 2 Nr. 1 VwGO findet ein Vorverfahren weiterhin nicht statt, wenn der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde oder von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist. Die oberste Behördenebene ist die Ministerialebene. Auch hier muss jedoch gem. § 68 I 2 Nr. 1 VwGO ein Vorverfahren durchgeführt werden, wenn ein Gesetz dies vorschreibt.

Beispiel: § 54 II 2 BeamtStG.

Gem. § 68 I 2 Nr. 2 VwGO ist ein Vorverfahren weiterhin unstatthaft, wenn der Abhilfebescheid (vgl. § 72 VwGO) oder der Widerspruchsbescheid (vgl. § 73 I VwGO) erstmalig eine Beschwer enthält. Mit dieser Formulierung bezieht sich die Vorschrift auf die Bestimmung des Klagegegenstandes in § 79 I Nr. 2 VwGO. Darüber hinaus ist § 68 I 2 Nr. 2 VwGO auch auf die Fälle des § 79 II VwGO anwendbar. Denn der Grundgedanke des § 68 I 2 Nr. 2 VwGO ist, dass immer nur ein Vorverfahren durchzuführen ist. Somit entfällt das Vorverfahren insbesondere auch bei einer reformatio in peius.

Gem. § 75 S. 1 VwGO muss das Vorverfahren schließlich auch dann nicht erfolglos durchgeführt worden sein, wenn über den Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden wurde. Mit dieser sog. Untätigkeitsklage soll verhindert werden, dass die Verwaltung den Bürger dauerhaft an einer Klageerhebung hindern kann, indem sie einfach untätig bleibt. Erste Voraussetzung der Untätigkeitsklage ist die fehlende Sachentscheidung der Verwaltung. Weiterhin muss eine angemessene Frist verstrichen sein. Diese wird von § 75 S. 2 VwGO für den Regelfall auf 3 Monate festgelegt. Länger kann die Frist sein, wenn ein sachlicher Grund dafür besteht. Eine kürzere Frist ist gem. § 75 S. 2 VwGO wegen der besonderen Umstände des Falles möglich.

Erweiterung des § 54 II 1 BeamtStG bzw. § 126 II 1 BBG

Eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des Vorverfahrens ergibt sich aus § 54 II 1 BeamtStG und § 126 II 1 BBG. Danach muss in beamtenrechtlichen Streitigkeiten stets ein Vorverfahren durchgeführt werden. Damit trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass sich der Beamte und sein Dienstherr in einer besonderen Nähebeziehung befinden. Sie sollen ihre Streitigkeiten daher zunächst intern regeln, bevor sie den Klageweg beschreiten.

c) Sonderfälle: Heilung eines Fristverstoßes

Da das Vorverfahren nicht nur erfolglos, sondern auch ordnungsgemäß durchgeführt werden muss, führt ein Verstoß gegen die Widerspruchsfrist zur Unzulässigkeit der Anfechtungsklage. Fraglich ist, ob ein solcher Fristverstoß dadurch geheilt werden kann, dass sich die Widerspruchsbehörde nicht auf den Fristverstoß beruft, sondern in der Sache über den Widerspruch entscheidet.

Die h.M. lässt dies grundsätzlich zu. Die Widerspruchsbehörde habe die umfassende Sachherrschaft über den Streitstoff, sie sei die „Herrin des Vorverfahrens”. Zudem diene die Widerspruchsfrist des § 70 I VwGO nur ihrem Schutz. Es stehe daher in ihrem Ermessen, ob sie sich auf den Fristverstoß berufe oder zur Sache entscheide. Ferner sei es ein übertriebener Formalismus, wenn die Widerspruchsbehörde an die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes gebunden wäre, die Ausgangsbehörde aber den gleichen Verwaltungsakt gem. §§ 48 I, 49 I VwVfG aufheben könne. Demgegenüber hält die Gegenauffassung eine Heilung schon im Grundsatz für verfehlt. § 70 I VwGO diene nicht dem Schutz der Widerspruchsbehörde, sondern dem öffentlichen Interesse an einer Vermeidung von unnötigen Prozessen. Auch nach der h.M. ist jedoch keine Heilung eines Fristverstoßes möglich, wenn infolge des Fristablaufs ein Dritter eine bestandsgeschützte Rechtsposition erlangt hat.

Beispiel: Bauherr B erhält eine Baugenehmigung. Nachbar N erhebt seinen Widerspruch erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist. Hier dient § 70 I VwGO nicht nur dem Schutz der Widerspruchsbehörde, sondern auch dem Schutz des Dritten.

Umstritten ist darüber hinaus, ob ein gänzlich fehlendes Vorverfahren dadurch entbehrlich wird, dass der Beklagte dies nicht rügt, sondern sich inhaltlich auf die Klage einlässt und ihre Abweisung wegen Unbegründetheit beantragt.

Beispiel: A erhält einen belastenden Verwaltungsakt, erhebt jedoch keinen Widerspruch, sondern direkt Klage, weil er sich von einem Widerspruchsverfahren nichts verspricht. Die Beklagte beantragt Klageabweisung, weil sie die Klage für unbegründet hält. Das fehlende Vorverfahren rügt sie nicht.

Die Rechtsprechung hält das Vorverfahren hier für entbehrlich, und zwar selbst dann, wenn der Beklagte die Unzulässigkeit der Klage rügt und sich nur hilfsweise inhaltlich auf die Klage einlässt. Die sofortige Klage ersetze den Widerspruch und der Antrag auf Klageabweisung als unbegründet den Widerspruchsbescheid. Auf die Durchführung des Vorverfahrens zu bestehen sei ein überflüssiger Formalismus, weil sich aus dem Klageabweisungsantrag schon ergebe, dass der Widerspruch keinen Erfolg haben werde. Diese Rechtsansicht wird von einer Gegenauffassung abgelehnt. Zum einen handele es sich bei dem Vorverfahren um eine objektive Zulässigkeitsvoraussetzung, die nicht zur Disposition des Beklagten stehe. Zum anderen sei die Sichtweise der Rechtsprechung inkonsequent. Sie behaupte stets, die Widerspruchsbehörde sei die „Herrin des Vorverfahrens”. Am Klageverfahren ist die Widerspruchsbehörde aber nicht beteiligt, sondern die Ausgangsbehörde. Diese habe folglich gar nicht die Rechtsmacht, auf das Vorverfahren zu verzichten. Zumal damit eine Rechtsschutzebene, nämlich das Widerspruchsverfahren, übergangen werde. Eine Ausnahme soll nach dieser Ansicht jedoch in Betracht kommen, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch sind, vgl. § 73 I 2 Nrn. 2, 3 VwGO.

5. Klagefrist

Gem. § 74 I 1 VwGO muss die Anfechtungsklage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 VwGO ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muss die Anfechtungsklage gem. § 74 I 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes erhoben werden.

a) Bekanntgabe und Zustellung

Die Zustellung ist lediglich eine besonders formalisierte Form der Bekanntgabe, sodass letztere der Grundbegriff ist. Bekanntgabe meint die Eröffnung des Verwaltungsaktes mit Wissen und Wollen der Behörde nach den dafür jeweils maßgeblichen Rechtsvorschriften. Ausführungen zur Bekanntgabe sind in unserem Skript zum Allgemeinen Verwaltungsrecht zu finden, auf das an dieser Stelle ausdrücklich verwiesen wird.

Die Zustellung des Widerspruchsbescheids erfolgt gem. § 73 III 2 VwGO nach den Vorschriften des VwZG. Gemeint ist damit das VwZG des Bundes. Folglich ist auf die Legaldefinition des § 2 I VwZG zurückzugreifen. Zustellung ist gem. § 2 I VwZG die Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Dokuments in der im VwZG bestimmten Form. Die besonderen Zustellungsvorschriften haben gem. § 41 V VwVfG Vorrang vor den Bekanntgabebestimmungen. Das gilt auch, wenn die Zustellung nicht gesetzlich zwingend vorgeschrieben ist, sondern von der Behörde freiwillig gewählt wurde. Daher kann eine rechtfehlerhafte und damit unwirksame Zustellung auch nicht in eine wirksame Bekanntgabe umgedeutet werden. Die Arten der Zustellung sind in §§ 3-5 VwZG normiert.

§ 3 VwZG gestattet die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde (PZU). Der Postbedienstete übergibt vor Ort das Schriftstück, beurkundet die Zustellung und leitet die Urkunde an die Behörde zurück. Trifft er den Adressaten nicht an, kommt gem. § 3 II 1 VwZG i.V.m. §§ 177-182 ZPO eine Ersatzzustellung in Betracht. Das ist der bedeutsame Vorteil der PZU gegenüber dem eingeschriebenen Brief nach § 4 VwZG, bei dem eine Ersatzzustellung nicht möglich ist. Insbesondere die Ersatzzustellung in der Wohnung nach § 178 ZPO sowie die Zustellungsfiktion bei verweigerter Annahme gem. § 179 VwZG erleichtern der Behörde die Zustellung erheblich.

In Klausuren gängig ist jedoch auch die Zustellung per Einschreiben gem. § 4 VwZG. Das Gesetz akzeptiert gem. § 4 I VwZG nur das Übergabe-Einschreiben sowie das Einschreiben mit Rückschein. Nicht ausreichend ist somit das Einwurf- Einschreiben. Der ordnungsgemäße Zugang liegt vor, wenn die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Postdienstleisters beachtet wurden, da dieser privatrechtlich handelt. Das bedeutet beim Einschreiben, dass das Dokument nur dem Adressaten ausgehändigt werden darf, wenn die Option „eigenhändig” gewählt wurde. Ist dies nicht der Fall, ist auch die Zustellung an einen Ersatzempfänger möglich. Dann ist die Zustellung auch bewirkt, wenn das Dokument den Empfänger später tatsächlich nicht erreicht.

Wählt die Behörde ein Einschreiben mit Rückschein, genügt gem. § 4 II 1 VwZG der Rückschein für den Nachweis der Zustellung. Als Zustellungsdatum gilt also der Tag, der auf dem Rückschein steht. Nur „im Übrigen”, d.h. bei einem Übergabe- Einschreiben gilt das Dokument gem. § 4 II 2 VwZG am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt.

Hat die Verwaltung in einer Klausur per Einschreiben zugestellt, handelt es sich grundsätzlich um ein Übergabe-Einschreiben. Ein Einschreiben mit Rückschein liegt nur vor, wenn dies ausdrücklich im Sachverhalt erwähnt wird.

Schließlich kann die Zustellung auch durch die Behörde selbst gegen Empfangsbekenntnis erfolgen, § 5 VwZG. Die Vorschrift sieht drei Arten dieser Zustellung vor:

Im Falle des § 5 I-III VwZG wird das Dokument in einem grundsätzlich verschlossenen Umschlag dem Empfänger durch einen zustellenden Bediensteten ausgehändigt. Der Empfänger unterschreibt das Empfangsbekenntnis, § 5 I 3 VwZG. § 5 IV VwZG lässt bei bestimmten, abschließend aufgezählten Adressaten eine andere Art der Übermittlung zu. Das Schriftstück wird mit „normaler” Post übermittelt. Beiliegend findet sich ein Empfangsbekenntnis, das der Adressat mit Datum unterschreibt und zurücksendet. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Gesetzgeber den in § 5 IV VwZG genannten Adressaten wegen ihrer beruflichen Stellung ein besonderes Vertrauen entgegenbringt. Schließlich gestattet § 5 V VwZG unter bestimmten Voraussetzungen eine elektronische Übermittlung.

Zuzustellen ist grundsätzlich an den Adressaten des Dokuments, im Fall des § 6 I VwZG an den gesetzlichen Vertreter oder Betreuer. Hat der Adressat eine andere Person bevollmächtigt, muss gem. § 7 I 2 VwZG an diese Person zugestellt werden, wenn sie schriftliche Vollmacht vorgelegt hat. Wird diese Vorgabe missachtet, ist die Zustellung unwirksam.

Beispiel: Der Widerspruchsführer hat einen Rechtsanwalt mandatiert, der seine Bevollmächtigung der Behörde schriftlich nachgewiesen hat. Wird der Widerspruchsbescheid gleichwohl dem Mandanten zugestellt, läuft die Klagefrist nicht.

Anders ist die Rechtslage im Falle einer einfachen Bekanntgabe. Hier geht § 41 I 2 VwVfG dem § 14 III 1 VwVfG als lex specialis vor. Allerdings wird in der Regel die Ausübung des in § 41 I 2 VwVfG eingeräumten Ermessens dazu führen müssen, dass eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten zu erfolgen hat. Ein Ermessensfehler führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, sondern nur dazu, dass die Rechtsbehelfsfristen nicht laufen.

Sind Zustellungsmängel aufgetreten, können sie unter den Voraussetzungen des § 8 VwZG geheilt werden. Empfangsberechtigter i.S.v. § 8 VwZG ist derjenige, an den die Zustellung nach dem Gesetz zu richten war. Tatsächlich zugegangen i.S.v. § 8 VwZG ist ein Dokument, wenn der Adressat die tatsächliche Möglichkeit erhalten hat, von seinem Inhalt Kenntnis zu nehmen.

Beispiel: Ist entgegen § 7 I 2 VwZG an den Mandanten zugestellt worden, legt dieser aber das Schreiben seinem Rechtsanwalt vor, tritt in diesem Moment die Heilung gem. § 8 VwZG ein. Der Rechtsanwalt ist gem. § 7 I 2 VwZG der Empfangsberechtigte und ihm ist das Schreiben nunmehr tatsächlich zugegangen.

Hat der Kläger nicht mit Wissen und Wollen der Behörde, also amtlich veranlasst, Kenntnis vom Verwaltungsakt erhalten, liegt keine Bekanntgabe vor, sodass auch keine Rechtsbehelfsfrist läuft. Die zufällige Kenntniserlangung auf anderem Wege ändert daran nichts. Jedoch gilt im Baurecht eine Besonderheit. Wegen des zwischen Bauherrn und Nachbarn bestehenden besonderen nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses muss sich der Nachbar so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung amtlich bekannt gegeben worden, wenn er von der Baugenehmigung auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt hat oder wenn er von den Baumaßnahmen zuverlässig Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. Es kommt dann eine Verwirkung des Klagerechts in Betracht. Sie setzt zum einen voraus, dass ab diesem Zeitpunkt eine längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment). Zum anderen müssen besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (sog. Umstandsmoment). Als Hilfestellung dient in diesem Zusammenhang § 58 II VwGO, d.h. eine Verwirkung kann in der Regel nicht vor Ablauf eines Jahres eintreten.