Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels - Susanne Scheibler - E-Book

Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels E-Book

Susanne Scheibler

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Beschreibung

Eine urkomische Erzählung aus ungewohnter Perspektive, die kein Auge trocken lässt.Der schon etwas betagte Rauhaardackel Julius muss ein halbes Jahr getrennt von seinem Frauchen leben und verbringt dieses bei ihrem Sohn Michael und dessen Frau Sabine. In Form von Briefen berichtet er seinem Frauchen, was er tagtäglich erlebt. Dabei brüskiert er sich immer wieder über die junge Dackeldame Tessy, die ebenfalls in seiner vorübergehenden Behausung residiert. Sie ist nicht nur äußerst frech und hält sich für emanzipiert, sie hat es außerdem gewagt, ihn einen "reaktionären Trottel" zu nennen. Ob sich Julius und Tessy doch noch aneinander gewöhnen können?-

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Susanne Scheibler

Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels

 

Saga

Vier Pfoten hat das Glück - Memoiren eines Dackels

 

Vier Pfoten hat das Glück. Memoiren eines Dackels

Copyright © 2021 by Michael Klumb

vertreten durch die AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Die Originalausgabe ist 1986 im Goldmann Verlag erschienen

Coverbild/Illsutration: Shut

Copyright © 1986, 2021 Susanne Scheibler und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726961270

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

1

Mein liebes Frauchen!

Kann ein Hund der Hund von einem anderen Hund sein? Tessy behauptet es. Sie sagt, sie sei der Hund von Sabine und Michael und ich ihr Hund.

Ich glaube, Du kennst Tessy noch gar nicht. Wahrscheinlich wird Michael Dir von ihr erzählt haben, aber das war bestimmt gräßlich übertrieben. Dein Sohn ist nämlich dermaßen vernarrt in Tessy, daß ihn seine Frau schon damit aufzieht. Ich bin nun schon über eine Woche hier und komme aus dem Staunen gar nicht heraus, was Tessy alles darf. Jedenfalls bei Michael.

Sie kann ihn verbellen, wenn er versucht, ihr etwas zu verbieten. Sie darf beim Essen auf einem Stuhl am Tisch sitzen und betteln. Sie liegt auf der Fensterbank und schimpft alle Leute auf der Straße aus. Sie klaut die Handtücher aus dem Bad und zerrt sie durch die ganze Wohnung. Sie stiehlt Michael das Taschentuch aus der Hosentasche und wickelt ihre Knochen darin ein – und zu gehorchen braucht sie auch nur ganz wenig.

Sabine ist ein bißchen strenger mit ihr, deswegen sagt Tessy auch, sie sei der Meuteführer, aber Michael ihr, Tessys, Kumpel.

Also sieht so die Rangordnung aus: Erst kommt Sabine, dann kommen Tessy und Michael und zuletzt ich, Dein guter alter Julius. Ich frage Dich nun, liebes Frauchen, muß ein Dackel von zwölf Jahren sich das gefallen lassen?

Zwischen Dir und mir hat es so etwas nie gegeben. Da war von Anfang an alles klar. Du warst mein Frauchen, und ich war Dein Hund. Du hast mir beigebracht, was ein guter Hund darf und was nicht, und ich habe Dir gehorcht – wenn ich wollte.

Wenn ich nicht wollte, habe ich mein melancholischstes Faltengesicht aufgesetzt, Du hast mich einen dickfelligen Köter geschimpft, und dann haben wir einen Kompromiß geschlossen. Der sah dann so aus, daß die Sache im Sande verlief.

Ach ja – und ganz früher, als ich jünger war und einen rosa Bauch und eine Menge Falten mehr hatte, war noch Michael bei uns.

Michael war immer sehr lieb, so ein Mittelding zwischen Herrchen und Kumpel, aber inzwischen ist er doch älter geworden, und ich finde, ein grünes Ding wie Tessy sollte nicht so respektlos von ihm reden. Schließlich ist er jetzt ein Herr Doktor Bernhold und verheiratet.

Aber ich will Dir ausführlicher über Tessy berichten.

Also, sie ist auch ein Dackel, allerdings Langhaar, hat sehr schöne krumme Beine, rote Haare und ist viel kleiner als ich. Wenn sie um mich herumstreicht (und das tut sie oft), wackelt sie schrecklich mit dem Hintern.

Aber bei Tessy bedeutet das nicht wie bei jeder anständigen Hündin, daß sie flirten will, nein! Wenn Tessy mit der Rückseite schlenkert, führt sie was im Schilde. Entweder will sie dann an meinen Futternapf oder in mein Körbchen, oder sie springt mir auf den Rücken und kratzt mich ganz furchtbar. So, wie ich kratze, wenn ich im Garten ein frisches Mauseloch finde.

Für Mauselöcher interessiert sich Tessy gar nicht. Auch nicht für Fuchs- oder Hasenspuren. Sie sagt, sie sei kein Gebrauchshund, und sie dächte nicht daran, sich die Pfoten schmutzig zu machen.

Hast Du so was schon gehört? Diese jungen Hunde heutzutage...

Tessy ist nämlich noch sehr jung, gerade zwei Jahre alt. Aber glaub ja nicht, daß sie deswegen Respekt vor dem Alter hat.

»Traue keinem über fünf«, ist ein Schlagwort von ihr. Und als ich ihr erwiderte, daß sie schließlich auch mal fünf Jahre alt werden würde, meinte sie, daß das etwas ganz anderes sei, weil sie einer anderen Generation angehöre.

Wir zum Beispiel hätten uns kritiklos von dem Wort »pfui« unterjochen lassen. Dabei sei es ein ganz willkürlich angewendeter Begriff, von der Herrchenrasse erfunden, um Hunde zu unselbständigen, knechtischen Wesen zu erziehen.

»Pfui ist eine Pauschalverdammung, die wir nicht mehr hinnehmen«, sagt Tessy. »Wir verlangen Differenzierungen, damit unsere individuellen Entfaltungsmöglichkeiten nicht manipuliert werden.«

Du siehst, liebes Frauchen, Tessy kennt unheimlich viele Fremdwörter, die ich nicht alle verstehe. Deshalb fragte ich sie auch, was sie mit Differenzierungen meine, und das hat sie mir so erklärt:

»Es gibt Leute, die schreien schon ›pfui‹, wenn ein Hund mal schnuppert. Andere tun das erst, wenn er sich in einer schmutzigen Pfütze wälzt, oder bei Sachbeschädigungen wie dem Anknabbern von Teppichen und Stuhlbeinen. Oder bei Mundraub oder beim Zubeißen in Waden und Hosenböden. Hier in der Nachbarschaft ist ein Kind, das kreischt sogar schon ›pfui‹, wenn ich nur ein bißchen Nachlaufen mit ihm spiele. Verstehst du das?«

»Natürlich«, sagte ich. »Pfui ist eben alles, was den Menschen nicht gefällt, und wir müssen uns danach richten. Wo kommt man hin, wenn man seiner Obrigkeit nicht gehorcht!«

Daraufhin hat mich Tessy einen reaktionären Trottel geschimpft, der die ihm auferlegten Verhaltenszwänge liebe, statt sie abzustreifen. Und weil ich genauso geschwollen daherreden wollte wie sie, habe ich Tessy eine progressive Gans genannt und bin auf den Balkon in die Sonne gegangen.

Daß mir ein Wort wie progressiv überhaupt eingefallen ist, hat mich mächtig stolz gemacht. Ich hatte es gerade am Vorabend in der Fernsehsendung »Aspekte« gehört.

Übrigens war dies mein erster richtiger Krach mit Tessy. Sie war noch den ganzen Nachmittag über beleidigt, aber das war mir wurst.

Du siehst, liebes Frauchen, es ist nicht ganz leicht mit Tessy. Aber eines muß man ihr lassen: Sie riecht gut. Das habe ich schon gemerkt, als Michael mich bei Dir abgeholt hat. Sein ganzes Auto riecht nämlich nach Tessy, und das hat mich ein bißchen über den Abschiedsschmerz von Dir hinweggetröstet.

Ist es wirklich wahr, daß ich ein halbes Jahr bei Michael, Sabine und Tessy bleiben soll? Michael hat es mir erzählt, als wir wegfuhren. Da hat er mir den Rücken geklopft und gesagt: »So, alter Junge, jetzt bleibst du für die nächsten sechs Monate bei uns in Düsseldorf. So lange ist dein Frauchen nämlich in England. Wegen der Quarantänebestimmungen kannst du nicht mit. Aber ich denke, daß es dir bei uns gefallen wird.«

Es gefällt mir auch wirklich ganz gut, schon weil Michael hier ist. Und gegen Sabine kann ich auch nichts sagen. Manchmal setzt sie sich zu mir auf den Boden und schmust mit mir. Ich glaube, sie hat es gern, wenn ich meinen Kopf in ihre Hand drücke. Und einen Schlecker darf ich ihr auch geben.

Doch meist taucht dann Tessy von irgendwoher auf, drängelt sich dazwischen, und ich muß zusehen, daß ich mich verkrümele. Sonst fängt sie wieder das Kratzen an.

Sie läßt mir wirklich wenig Ruhe, aber sie riecht fabelhaft. Zweimal ist sie auch schon zu mir ins Körbchen gekommen. Nur so, ohne mich zu ärgern, und hat sich zusammengerollt und getan, als ob sie schliefe.

Aber sie hat nicht geschlafen, denn als ich ihr ganz vorsichtig an die Ohren gekommen bin, hat sie gesagt: »Nase weg, du Lustgreis. Vielleicht war es in deiner Jugend ›in‹, wenn sich alte Knaben junge Freundinnen anlachten. Heutzutage gilt das als dekadent.«

Trotzdem ist sie noch eine ganze Weile im Körbchen geblieben, und das fand ich sehr nett.

So, für heute will ich Schluß machen. Ich schreibe Dir wieder, wenn es etwas Wichtiges zu erzählen gibt.

Bis dahin viele Grüße, mein liebes Frauchen, von Deinem Julius.

2

Mein liebes Frauchen!

Diesen Brief bekommst Du nicht aus Düsseldorf, denn Michael, Sabine, Tessy und ich sind verreist – in ein Dorf am Niederrhein. Es heißt Hinterwiesen, und Michael und Sabine haben dort ein Bauernhaus gekauft.

Sie sagen zwar, daß es ziemlich alt und verkommen ist und daß sie noch jahrelang mit dem Umbau zu tun hätten, aber ich fand es hier auf Anhieb Spitze. Später gefiel es mir weniger; warum, wirst Du gleich erfahren. (Spitze ist übrigens ein Ausdruck von Tessy. Sie hat ihn in einem Fernsehquiz aufgeschnappt und benutzt ihn seitdem dauernd.)

Abends sehen wir meist fern, weil es draußen regnet. Ich schlafe oft darüber ein, und Sabine sagt dann, es ginge den Hunden wie den Menschen, bei dem Programm.

Mit dem Fernsehprogramm ist es komisch. Alle Leute schimpfen darauf, trotzdem sitzen die meisten Abend für Abend vor dem Bildschirm. Ob sie immer noch hoffen, zwischendurch mal eine gute Sendung zu erwischen?

Tessy meint, alle, die mit dem Programm unzufrieden sind, sollten ihren Fernseher für ein Vierteljahr abmelden und in den Keller stellen. Das hätte eine Menge Auswirkungen – nicht nur auf die Programmacher. Beispielsweise würden viel mehr Leute abends mit ihren Hunden oder Kindern spielen. Und vielleicht würden sich manche auch mehr Hunde oder Kinder anschaffen.

Es ist ja alles eine Frage der Zeit.

Ich finde, die Menschen haben viel zu wenig Zeit. Oder sie nehmen sich keine. Dauernd müssen sie was zu tun haben, sogar am Wochenende. Es tut mir sehr leid, Dir das schreiben zu müssen, aber Dein Sohn und Deine Schwiegertochter bilden darin keine Ausnahme.

Da haben sie sich nun ein Haus gekauft, um am Wochenende oder in ein paar Urlaubstagen wie jetzt im Grünen zu sein – und was tun sie? Sie bauen um.

Dabei wäre das meiner Meinung nach gar nicht nötig. Aber Sabine findet die Zimmer zu klein und will aus dem angebauten Stall ein großes Wohnzimmer machen. Daran soll sich eine Terrasse anschließen. Und einen Garten will sie auch anlegen, wo sich jetzt ein wundervoller Hofraum befindet, mit einer Kastanie in der Mitte und lauter Huflattich, Löwenzahn und Brennesseln drumherum.

Mir gefällt der Hofraum besser. Man weiß ja, wie das ist mit einem Garten. Da darf man nur auf den Wegen laufen, auf dem Rasen darf man kein Bein heben und in den Beeten nicht kratzen. Für Hunde ist das gar nichts. Aber uns fragt ja keiner.

Liebes Frauchen, weißt Du, was ein Schwarzarbeiter ist? Ich weiß es jetzt. Michael und Sabine haben nämlich einen engagiert. Er heißt Herr Wetzke und stammt aus dem Nachbardorf.

Vorgestern abend war er hier, und Michael hat ihm erklärt, was er tun soll. Eine Tür zum Stall durchbrechen, im Stall Fensterlöcher schlagen und das große Stalltor zumauern. Dafür wird dann am anderen Ende eine Terrassentür angebracht.

»Dann müssen wir natürlich noch eine Balkendecke ziehen, Herr Wetzke, und Fußboden verlegen«, hat Michael gesagt. »Und hier soll der offene Kamin hin. Es gibt jetzt ganz fabelhafte Modelle in Fertigbauweise zu kaufen.«

Herr Wetzke hatte einen Zollstock mit, und Michael mußte alles aufschreiben, was er für den Umbau brauchte. Zement, Kalk, Sand, Rotband, Steine und Hölzer zum Verschalen. Wegen der Türen und Fensterrahmen wollte Herr Wetzke einem Vetter Bescheid sagen, der Schreiner ist. Aber die Baumaterialien müßte Michael besorgen.

Dein Sohn hat immer nur genickt. »Mach ich, Herr Wetzke, mach ich. Gleich morgen haben Sie die Sachen da. Sie fangen doch um acht an?«

»Lieber wäre mir um sieben. Dann schaffe ich mehr.«

Das war der Punkt, wo Sabine leise aufseufzte. Sie steht nämlich nicht gern früh auf. Das hat sie Herrn Wetzke auch sagen wollen, aber Michael hat sie mit einem beschwörenden Ausdruck angesehen und den Kopf geschüttelt. Da hat sie den Mund gehalten.

Hinterher hat der Schwarzarbeiter Bier und Korn gekriegt. Michael hat ihm immer wieder nachgeschenkt, und darum ist es ein sehr langer Abend geworden.

Tessy und ich haben Sabine schon angemerkt, daß sie wütend war, und richtig, hat Michael, nachdem Herr Wetzke endlich weggefahren ist, von Sabine ein paar warme Worte zu hören gekriegt.

Wenn sie schon um sechs Uhr aufstehen müßte, wollte sie wenigstens vor Mitternacht schlafen gehen. Sie hätte ja nichts dagegen, Herrn Wetzke etwas zu trinken anzubieten, aber ihn gleich mit einer ganzen Flasche Korn zu traktieren, ginge doch zu weit. Schließlich würde er für seine Arbeit bezahlt.

Michael hat heftig widersprochen.

»Wir müssen froh sein, daß Herr Wetzke überhaupt kommt. Deshalb muß man ihn ein bißchen hofieren. Was glaubst du, was los ist, wenn ihm die Arbeit hier nicht mehr paßt und er alles stehen und liegen läßt. Dann können wir eine Firma beauftragen, und das kostet das Fünffache. Außerdem war es Deine Idee, den Stall ausbauen zu lassen. Dafür mußt du schon ein paar Opfer bringen.«

Am nächsten Morgen hat uns also der Wecker um sechs Uhr wachgeklingelt. Aber wer um sieben nicht kam, war Herr Wetzke. Er tauchte erst um zehn nach neun auf und sagte, daß ihm das Bier und der Korn gar nicht bekommen seien.

»Meine Frau hat gemeint, daß ich im Bett bleiben soll. Aber ich wollte Sie nicht im Stich lassen.«

Sabine und Michael waren vorher mächtig aufgebracht gewesen, vor allem, weil sie beide noch müde waren. Aber jetzt nickten sie nur noch und erwiderten, daß das wahnsinnig nett, ja geradezu rührend von Herrn Wetzke sei. Sabine bot sich sogar an, ihm ein Katerfrühstück zu machen – mit gepfeffertem Tomatensaft und sauren Heringen.

»Lieber wäre mir ein Bier«, hatte Herr Wetzke gesagt. »Und vielleicht ein Körnchen dazu. Es heißt ja, daß man morgens mit dem anfangen soll, womit man abends aufgehört hat.«

Er hat beides bekommen.

Angefangen zu arbeiten hat er gegen zehn. Da waren auch schon die Baumaterialien geliefert worden, die Michael morgens um halb acht bestellt hatte. Zwei Lastwagen haben Sand und Steine einfach in die Einfahrt gekippt, daneben das Bauholz und die Zement- und Kalksäcke.

Michael hat den halben Tag gebraucht, um alles an die Seite zu räumen, sonst hätte er mit dem Wagen gar nicht mehr wegfahren können.

Inzwischen hat Herr Wetzke mit dem Preßlufthammer die Tür gebrochen. Ich bin froh, liebes Frauchen, daß ich schon ein bißchen schlecht höre, sonst hätte ich den Krach gar nicht ausgehalten. Er war fürchterlich.

Tessy hat sich nach oben ins Schlafzimmer verzogen und ist unter Sabines Bettdecke gekrochen. Sie ist bis zum Mittagessen nicht mehr zum Vorschein gekommen, worüber ich doch recht erleichtert war.

Ich schrieb Dir ja schon, daß Tessy anstrengend ist. Herrn Wetzkes Preßlufthammer und Tessy – das wäre mir entschieden zuviel geworden.

Sabine hat dann die Steine und das Geröll, das Herr Wetzke aus der Wand gehämmert hat, mit einer Karre nach draußen gefahren. Eigentlich sollte Michael das tun, aber der war noch mit dem Wegräumen des Baumaterials beschäftigt.

Am Nachmittag kam der Schreiner, um die Tür einzusetzen. Aber das konnte er noch nicht, weil Herr Wetzke erst die Mauern verfugen und Estrich auf den Boden streichen mußte.

Die beiden hatten deswegen eine ziemlich lautstarke Meinungsverschiedenheit. Ich habe nur die Hälfte verstanden, weil sie niederrheinisches Platt redeten. Aber soviel war sicher: Herr Wetzke behauptete, seinen Vetter erst für übermorgen bestellt zu haben, und der Vetter bestritt das.

Das ging so lange hin und her, bis Sabine eingriff. Sie war ziemlich nervös – wahrscheinlich, weil Herr Wetzke gar nicht mehr arbeitete, sondern sich nur noch mit seinem Vetter zankte. Und Herr Wetzke bekommt doch Stundenlohn ...

»Aber meine Herren«, sagte Sabine und lachte. Ich fand, daß es ziemlich unnatürlich klang. »Die ganze Sache war eben ein Mißverständnis. Natürlich muß der Zement – oder was immer Sie, Herr Wetzke, da angerührt haben, erst trocknen, bevor Herr Sievert den Türrahmen und die Tür anbringen kann. Also kommen Sie morgen wieder, und die Angelegenheit ist ausgestanden.«

Herr Sievert ist kein Schwarzarbeiter. Deshalb hat er auch weder Bier noch Korn gekriegt, sondern nur eine Tasse Kaffee, die Sabine gerade aufgebrüht hatte.

Ein Schwarzarbeiter ist also etwas Besonderes.

Er kann bei der Arbeit trinken, soviel er will. Er kann zu spät kommen, und alle freuen sich, wenn er endlich da ist. Er kriegt das beste Essen (zwei Schnitzel zu Mittag und hinterher jede Menge Eis), und die Leute, die ihn bezahlen, sind seine Handlanger.

Sabine hat Steine gekarrt, Michael mußte den Speis anrühren und Herrn Wetzke alles anschleppen, was er brauchte.

Das war ganz schön anstrengend, und am Abend hat Dein Sohn Blasen an den Händen gehabt und behauptet, daß sein Kreuz durchgebrochen sei.

Um sechs hat Herr Wetzke noch mal Würstchen mit Kartoffelsalat gekriegt. Aber glaub ja nicht, daß er Tessy und mir auch nur einen Wurstzipfel abgegeben hätte. Dabei haben wir die ganze Zeit neben ihm gesessen und auf seinen Mund gestiert.

Tessy hat sogar Männchen gemacht, aber Herr Wetzke hat nur gesagt: »Wat will denn dä liebe Jung?« und weitergekaut. Woraus Du erkennst, daß er – obwohl er etwas Besonderes ist – von Hunden keine Ahnung hat. Tessy sieht man doch schon am Gesicht an, daß sie ein Mädchen ist – vom Bauch ganz zu schweigen.

Sie war auch ziemlich beleidigt, deshalb ist sie hinterher über den frisch aufgetragenen Estrich getappt. Dort sind jetzt Tessys Pfotenabdrücke für immer zu sehen.

Herr Wetzke war schwer aufgebracht, aber Michael hat gesagt: »Machen Sie sich nichts draus, mein Lieber, später kommt da sowieso Teppichboden drüber.« Er nimmt Tessy ja immer in Schutz.

Sabine hat ihr hinterher die Pfoten gebadet, was eine ziemlich eklige Prozedur war, und seitdem kann Tessy Schwarzarbeiter nicht mehr leiden.

Sie sagt, es sei ausnahmsweise mal richtig von der Regierung, daß sie gegen solche Leute schärfere Maßnahmen angekündigt habe. Nur würde leider zwischen einer Regierungsankündigung und der tatsächlichen Ausführung immer unheimlich viel Zeit vergehen. Deshalb müßte man damit rechnen, daß Herr Wetzke Michael und Sabine noch monatelang ungestraft herumkommandieren und fässerweise Bier und Würstchen konsumieren darf.

Dabei hat er schon einen mächtigen Bauch. Beim Essen hat er erzählt, daß er früher auf dem Bau gearbeitet hat.

»Die Firma hat pleite gemacht, und seitdem gehe ich stempeln.«

Tessy und ich wußten nicht, was das ist – stempeln gehen. Aber wahrscheinlich ist es etwas sehr Nahrhaftes, denn Herr Wetzke hat, wie er behauptet, seitdem zwanzig Pfund zugenommen. Und soviel Geld wie jetzt – durch die Schwarzarbeit und das Stempeln – hätte er auch noch nie verdient.

Heute früh ist er übrigens um sieben hier gewesen, und das gab erst mal ein tolles Durcheinander, weil Michael und Sabine noch schliefen. Niemand hatte erwartet, daß Herr Wetzke pünktlich sein würde.

Dafür ist dann der Schreiner nicht gekommen, und weil es seit heute nacht draußen regnet, zieht es ganz scheußlich durch das offene Türloch. Herr Wetzke sagt, daß man sich auf Handwerker eben nie verlassen könne.

Jetzt will ich aber schließen, denn ich bin todmüde von all dem Hämmern, Klopfen und dem Beobachten der Bauarbeiten. Es ist schlimm für einen alten Hund, wenn er tagsüber um seine Nickerchen gebracht wird.

Also gute Nacht, liebes Frauchen, und viele, viele Schlecker von Deinem Julius.

3

Mein liebes Frauchen!

Wir sind immer noch in Hinterwiesen; es hat zu regnen aufgehört, und das Wetter ist sehr schön. Sabine hat mit Tessy und mir gestern einen langen Spaziergang gemacht, während Michael damit beschäftigt war, eine Regalwand für die Abstellkammer zusammenzubauen.

Zunächst sind wir durchs Dorf gegangen. Das war sehr aufregend, weil in jedem zweiten Haus ein Hund ist, und alle haben zu bellen angefangen, als wir vorbeikamen.

Auf dem Dorfplatz, wo die Haltestelle für den Postbus ist, haben wir uns dann gegenseitig beschnuppert, während Sabine sich mit Frau Hellwig unterhielt.

Frau Hellwig verwaltet die Poststelle; deswegen ist auch ein Briefkasten an ihrer Haustür. Außerdem trägt sie für drei Dörfer die Post aus. Das bedeutet, daß Frau Hellwig so ziemlich alles weiß, was in der näheren Umgebung vor sich geht. Sie kennt alle Leute, und was sie nicht aus den Postkarten, Telegrammen oder den Telefongesprächen, die bei ihr geführt werden, erfährt, das erfragt sie einfach.

Deshalb hat sie sich auch lange mit Sabine unterhalten. Was Michael von Beruf wäre, wo er arbeite, was sie für das Haus bezahlt hätten und wo Du, liebes Frauchen, wärst.

»Meine Schwiegermutter besucht eine Kusine in England«, hat Sabine gesagt. »Außerdem macht sie eine Studienreise. Sie sammelt Material für ein kunstgeschichtliches Buch über die Baudenkmäler der Tudorzeit.«

»Wie interessant!« hat Frau Hellwig geantwortet, aber man merkte ihr an, daß sie Bücherschreiben – noch dazu über Tudorschlosser und -kirchen – für etwas sehr Sinnloses hält.

Wahrscheinlich liest sie nur die Postkarten, die sie austrägt.

Hinterher hat sie Sabine noch eine Menge, über die Dorfbewohner erzählt, was Tessy zu der Feststellung veranlaßte, Frau Hellwig sei eine Ratsche. Aber im Grunde könnten Frauen wie sie gar nichts für ihre Klatschsucht. Es sei eine Ersatzbefriedigung.

»Ersatzbefriedigung? Wofür bitte?« erkundigte ich mich.

»Weil sie nicht emanzipiert ist. Weil sie nicht gelernt hat, ihre Frustrationen abzustreifen und sich selbst zu verwirklichen.«

»Ach, und woher willst du das wissen?«

»Das erkläre ich dir ein anderes Mal«, hat Tessy mich abfahren lassen, weil drei Hunde um sie herumscharwenzelt sind. Und ob emanzipiert oder nicht – sie hat sich dabei genauso aufgeführt wie jede andere Hündin, die mir in meinem langen Leben begegnet ist. Man hätte es mit ihren Worten ein »überaltertes Verhaltensmodell« nennen können.

Am liebsten hätte ich Tessy damit aufgezogen. Aber damit hätte ich sie nur wütend gemacht, und das wollte ich vermeiden. Außerdem fand ich es ganz hübsch, daß sie sich plötzlich genauso benahm, wie ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter es getan hätten.

Offenbar ist, wenn, es ums Gefallen geht, Schluß mit der Emanzipation – jedenfalls bei Tessy. Ich fände es auch schade, wenn sie eine richtige Emanze wäre.

Ich erinnere mich an Frau Schlehmeyer, von der Du das immer behauptest. Frau Schlehmeyer legt es, glaube ich, darauf an, niemandem zu gefallen, weil sie das als weibliche Schwäche ansieht. Und weil sie Männer nicht leiden kann (oder ist es umgekehrt?), kopiert sie sie. Zumindest kopiert sie das, was sie den Männern zur Last legt.

Sie ist sehr dominierend, finde ich, beinahe schon patriarchalisch. Sie raucht wie ein Mann, sie trinkt wie ein Mann, obwohl das bei Männern ihrer Meinung nach Ausdruck charakterlicher Labilität ist, und das einzige, was sie mit Männern nicht gemein hat – sie ist kein bißchen eitel.

Wahrscheinlich geht sie deshalb nie zum Friseur und zieht sich so unvorteilhaft an. Aber ob das ein Zeichen von Emanzipation ist...?

Tessy behauptet, daß ich stockkonservativ in meinen Ansichten bin – der typische Ze-de-uh-Anhänger. Wohingegen sie für die Es-pe-deh und die Grünen schwärmt. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß diese beiden Parteien die nette Geschichte mit dem Apfel und der Verführung in Grund und Boden verdammen. Warum auch? So was ist ein paar tausend Jahre alt und bewährt.

Vielleicht würden die Grünen motzen, wenn Adam und Eva damals durch Currywurst oder Hamburger mit Pommes frites verführt worden wären (aus Cadmium-verseuchten Kartoffeln, versteht sich, und östrogenhaltigem Fleisch) –, aber gegen einen paradiesisch-ökologisch angebauten Apfel, garantiert ungespritzt, können sie doch eigentlich nichts einzuwenden haben, oder?

Aber Verführung hin, Emanzipation her – Tessy jedenfalls versteht sich ganz toll aufs Kokettieren, das habe ich gemerkt. Und da geht es den Menschen wie den Hunden: Wir fallen allemal gern auf das Zurschaustellen weiblicher Reize herein. Die Emanzen sagen zwar, das sei eine Degradierung der Frau zum männlichen Lustobjekt, aber ich vermute, daß die meisten Politiker – auch von der Es-pe-deh und den Grünen – gar nichts dagegen haben. Jedenfalls inoffiziell. Warum, bitte schön, gäbe es sonst in Bonn so viele Nachtlokale mit Striptease? Und von den Grünen soll ja sogar einer mal einer Bundestagsabgeordneten an den Busen gefaßt haben ...

Wahrscheinlich wirst Du jetzt sagen, ich solle meine Nase nicht in Angelegenheiten stecken, die mich nichts angehen. Das will ich auch gar nicht. Aber wenn man mit Tessy zusammen ist, bleibt es gar nicht aus, daß man über gewisse Dinge nachdenkt. Sie provoziert das.

Irgendwie hat Sabine es dann geschafft, sich von Frau Hellwig loszueisen, und wir sind durch den Wald gewandert, der gleich hinter dem Dorf anfängt.

Du weißt ja, wie gern ich im Wald spazierenlaufe. Tessy hat es zuerst auch gefallen, und wir haben unheimlich viele Spuren gemeinsam beschnuppert und abgebrochene Äste vor uns hergeschleppt. Aber nach einer halben Stunde hat Tessy behauptet, die Pfoten täten ihr weh.

Da sieht man wieder einmal, was für eine verweichlichte Generation das ist! Kein bißchen sportlich gestählt. Offen gestanden habe ich meine steifen Knochen auch gespürt, aber ich hätte mir lieber die Zunge abgebissen, als das zuzugeben.

Statt dessen habe ich Tessy erzählt, wie fit ich in ihrem Alter war, und das hat sie ziemlich kleinlaut gemacht. Wetten, daß sie mich mindestens drei Tage lang nicht mehr »alter Knacker« tituliert?

Auf dem Rückweg hat Tessy dann Streit mit einer Hündin aus dem Dorf gekriegt. Lottchen heißt sie, und sie ist die einzige Hundedame von ganz Hinterwiesen. Deshalb hat sie auch eine Menge zu sagen.

Irgend jemand muß ihr während unseres Spaziergangs gesteckt haben, daß sie Konkurrenz bekommen hat, und so kam es, daß sie vor der Bushaltestelle auf Tessy wartete.

Lottchen war mächtig aufgebracht und ist gleich auf Tessy losgefahren. Ein paar Hunde aus der Nachbarschaft waren auch wieder da, aber Du weißt ja, daß es ein ungeschriebenes Gesetz ist, sich in solche Streitigkeiten nicht einzumischen. Deshalb haben wir alle nur zugesehen.

»Komm her!« hat Lottchen geschimpft. »Komm nur her, du rothaarige Stadtpflanze. Du willst mir meinen Rang streitig machen? Das wollen wir doch sehen!«

Und dann haben sie sich gebissen.

Es hat nicht lange gedauert, nur bis Sabine uns eingeholt hatte. Sie wollte zwischen die beiden Kampfhähne gehen, aber da war sowieso schon alles entschieden.

Tessy hat nur anstandshalber ein paar Bisse zurückgegeben und sich gleich darauf auf den Rücken geworfen zum Zeichen, daß Lottchen gewonnen hätte. Als Sabine Tessy auf den Arm nehmen wollte, hatte Lottchen schon von ihr abgelassen und nur noch schrecklich gekläfft.

Zum Schein hat Tessy zurückgekläfft, aber es waren nur Verbalinjurien, um nicht das Gesicht zu verlieren, und Lottchen ist mit stolz erhobenem Stummelschwanz abgezogen. Die anderen Hunde sind ihr gefolgt, wie sich das gehört, nachdem sie ihren Machtanspruch erfolgreich verteidigt hatte.

Zu Hause hat Tessy dann gesagt, sie hätte mühelos aus Lottchen Hackfleisch machen können, aber sie lege gar keinen Wert darauf, in Hinterwiesen den Ton anzugeben. Ich hielt es für unklug, ihr zu widersprechen ...

Im übrigen kann man aus dem Beispiel von Lottchen und Tessy viel lernen. Es ist schade, daß die Politiker es nicht genauso handhaben, wenn der eine seinen Posten behalten und ein anderer ihn für sich beanspruchen will.

Aber Politiker haben es leider lieber, wenn sich ihre Anhänger prügeln. Ich finde das unfair, denn von denen haben die wenigsten etwas davon, wenn ihr Führer eine Wahl, einen Krieg oder einen Putsch gewinnt.

Auch wäre ein Kampf zwischen zwei Politikern viel schneller erledigt; er kostet nichts, und die Leute wüßten hinterher gleich, woran sie sind. Und vor allem ist es nur recht und billig, daß derjenige sein Fell hinhält, der die Macht ergreifen will. Vielleicht würden sich dann auch weniger Leute an die Regierung drängeln.

Aber ich will nicht abschweifen, sondern erzählen, was zu Hause los war, als wir von unserem Spaziergang zurückkamen.

Michael wollte doch das Regal im Abstellraum aufbauen, und bevor wir gingen, meinte er, daß er allerhöchstens zwei Stunden dafür brauche.

Er hatte das Regal in einem Laden für Heimwerker gekauft. Es bestand aus lauter kleinen und großen Paketen und einer Bauanleitung. Der Verkäufer hat gesagt, es sei eine kinderleichte Angelegenheit.

Liebes Frauchen, ich habe Deinen Sohn selten so aufgeregt gesehen. Er hatte alle Regalteile auf dem Küchenfußboden ausgebreitet und die beigefügten Schrauben, Nägel und Dübel in die Obstschale getan, die sonst im Wohnzimmer auf der Anrichte steht.

Das war das erste, was Sabine mißfiel. »Die schöne Schale«, sagte sie. »Wenn die nun kaputtgeht! Also wirklich, Michael, warum hast du denn keinen Aschenbecher genommen?«

»Weil ich den zum Rauchen brauche«, antwortete Michael. »Und warum, bitte schön, soll die Schale kaputtgehen? Von den paar Schrauben doch nicht.«

»Aber sie ist zu schade«, beharrte Sabine. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch nicht begriffen, wie dünn Michaels Nervenkostüm bereits war. Nur Tessy hatte es sofort gemerkt und darauf verzichtet, ihn zur Begrüßung anzuspringen. Statt dessen hatte sie sich gleich ins Wohnzimmer auf die Couch verzogen.

»Eine handgemalte Obstschale! Also, Michael, manchmal bist du wirklich dermaßen gleichgültig und unüberlegt...« Sabine ging zum Küchenschrank und wollte die untere Tür aufmachen. Ein paar aufeinandergeschichtete Bretter lagen ihr im Weg, die sie mit dem Fuß zur Seite schob.

In diesem Moment brüllte Michael: »Was tust du da, zum Teufel! Laß gefälligst die Bretter liegen. Ich habe eine Stunde gebraucht, um sie zu sortieren. Auf dieser verflixten Bauanleitung sind sie alle numeriert, nur in Wirklichkeit nicht. Da muß man raten.«

Er sprang auf und fuchtelte Sabine mit einem Stück Papier vor der Nase herum. »Hier, sieh dir das an! Daraus wird doch kein Mensch schlau!«

»Sofort«, sagte Sabine unbeeindruckt. »Ich will dir nur erst eine alte Schüssel für die Schrauben geben.«

»Mach mich nicht wahnsinnig! Die Schrauben bleiben, wo sie sind! Ich plage mich hier herum, und du hast nichts als deine blöde Obstschale im Kopf.«

Langsam wurde auch Sabine wütend. »Das ist keine blöde Obstschale. Die habe ich von Katja Schierberg zum Geburtstag bekommen. Aber für dich sind ja nur deine Sachen wichtig. Weißt du noch, wie du dich aufgeregt hast, als mir dein Fotoapparat heruntergefallen ist?«

»Der ging dabei ja auch kaputt. Eine Kamera für über tausend Mark.«

»Die Reparatur hat aber nur vierzig Mark neunzig gekostet. Und überhaupt ...«

In diesem Augenblick, liebes Frauchen, habe ich mich ebenfalls ins Wohnzimmer verzogen.

Ich will ja nichts gegen Frauen sagen – und schon gar nichts gegen Sabine. Aber wenn sie mit »und überhaupt« anfängt, gibt es meist eine sehr lange Diskussion. Frauen haben, glaube ich, eine Art Register im Hirn. Da speichern sie alles, was sie mal geärgert hat, und holen es je nach Bedarf wieder hervor, ob es nun ein paar Wochen oder zehn Jahre zurückliegt.

Tessy döste auf der Couch und blinzelte mich mit einem Auge an. »Die beiden hatten auch schon bessere Nerven. Das kommt alles von dem blöden Umbau.«

Diesmal hatte sie sicherlich recht.

In der Küche haben Michael und Sabine noch eine Weile gestritten. Dann knallte die Tür, und Sabine ist die Treppe hinaufgelaufen. Sie hat sich im Badezimmer die Haare gewaschen, während sich Michael weiter mit der Regalwand abmühte.

Ich hörte ihn dauernd vor sich hin murmeln, und weil mir das unheimlich war, bin ich nach einer Viertelstunde in die Küche zurückgeschlichen.

Diesmal lag Dein Sohn auf dem Fußboden und hatte zwei lange Leisten nebeneinandergeschoben.

»Das muß die Rückwand sein.« Er zog die Bauanleitung heran und studierte sie mit gerunzelter Stirn. »Rückwand mittels Leiste drei zusammenstecken und die umlaufende Nut an dem Regal einschieben«, las er halblaut, dann fing er an zu lachen. Es klang, ich muß es leider sagen, ziemlich hysterisch.

»Das ist gut. Das ist sogar sehr gut! In die umlaufende Nut am Regal einschieben... Aber wo ist, bitte schön, das Regal? Ich sehe nur lauter Bretter. Also fangen wir noch mal von vorn an. In den oberen genuteten Boden a Dübel einschlagen und mit rechtem und linkem Teil c verschrauben ... Großer Gott, wenn ich nur wüßte, was ein genuteter Boden a ist.«

Er stand auf und begann verzweifelt, zwischen den Holzteilen zu suchen. Er stellte ein paar im Viereck gegeneinander, tauschte sie wieder aus, weil die Längen nicht stimmten, und verschraubte schließlich zwei größere Bretter mit einem dritten.

»Das könnte richtig sein«, sagte er befriedigt und trat auf die Obstschale. Sie zerbrach in drei Teile.

»Auch das noch!« stöhnte Michael und schnitt sich in den Finger, als er die Scherben aufhob.

In diesem Augenblick kam Sabine aus dem Bad. Sie hatte ein Handtuch um den Kopf gewickelt und sah natürlich sofort, was passiert war. Aber ehe sie noch einen Kommentar geben konnte, sagte Michael anklagend: »Das hast du davon! Du hast mich so nervös gemacht, daß ich tatsächlich die Schale zerbrochen habe. In diesem Haus weiß man ja nicht mehr, wo einem der Kopf steht.«

»Oh«, machte Sabine. Und dann noch einmal: »Oh!« Es klang schrecklich wütend, aber Michael ließ sie wieder nicht zu Wort kommen.

Er lutschte an seinem blutenden Finger und brüllte: »Und damit du es weißt, ich habe es satt! Es war deine Idee, eine Regalwand in der Abstellkammer zu haben. Also sieh zu, wie du sie zusammenbaust.«

Damit war er aus der Tür, und ich muß sagen, daß ich ihn in diesem Augenblick sehr bewundert habe. Wenn ich es doch auch mal fertigbrächte, mich Tessy gegenüber so zu behaupten!

Übrigens schaffte Sabine es tatsächlich, etwas zusammenzubauen, das der Rohfassung eines Regals glich. Nur als sie es aufstellen wollte, war die eine Seite kürzer als die andere, und die Einlegeböden paßten nicht hinein.

Inzwischen war es Mittag geworden, und ich hatte Hunger. Aber Sabine achtete überhaupt nicht darauf, daß ich mich neben den Kühlschrank gesetzt hatte und sie unverwandt anstierte.

Darin sind die Menschen komisch. Wenn sie irgend etwas Wichtiges zu tun haben, vergessen sie das Essen. Für mich gehört essen zu den wichtigsten Dingen überhaupt. Deswegen könnte mir gar nicht passieren, es zu vergessen schon gar nicht wegen einer Regalwand mit einer Bauanleitung, die niemand versteht.

Als Michael nach einer Stunde zurückkam, wollte Sabine das Regal gerade wieder auseinandernehmen. Es war ihr peinlich, daß er sie dabei erwischte.

»Die Bauanleitung muß falsch sein«, sagte sie. »Ich habe mich Punkt für Punkt daran gehalten, und das ist dabei herausgekommen. Man wird dir in diesem Heimwerkershop die falsche Anleitung mitgegeben haben. Anders kann ich es mir nicht erklären.«

Michael grinste, aber Sabine sah es nicht, weil sie zwischen den Brettern nach der Anleitung suchte.

»Hier, vergleich doch mal. In den oberen genuteten Boden Dübel a einschlagen und mit rechtem und linkem...«

»Hör auf«, unterbrach Michael sie. »Das weiß ich selbst.«

»Ja, aber du bist über den Anfang nicht hinausgekommen. Oder hast du schön die Fußleiste fünf eingesetzt, den unteren Boden sechs eingeschraubt und den verschraubbaren Mittelboden angebracht? Danach habe ich das Regal auf den Kopf gestellt, wie es verlangt wird, und geprüft, ob die Unterkante Rückwand mit Unterkante Boden sechs bündig abschließt.«

»Ja und? Hat sie das getan?« erkundigte sich Dein Sohn interessiert.

Sabine nickte heftig. »Vollkommen bündig. Nur jetzt stimmt es nicht mehr... Ich meine, es ist nicht mehr bündig. Die Einlegeböden passen nicht, und ein bißchen schief ist es auch.«

Michael studierte wieder die Bauanleitung. »Wahrscheinlich liegt es daran, daß die Steckleiste drei nicht parallel zu dem oberen Boden eins steht...«

»Natürlich steht sie das. Sieh doch!«

»Aber das ist nicht die Steckleiste drei. Das ist die Fußleiste fünf, in die du Holzdübel hättest einschlagen müssen.«

Sabines Stimme fing schon wieder an zu vibrieren. »Ach, und woher weißt du, daß das die Fußleiste fünf ist? Ich sage dir, es ist die Steckleiste drei. Das hier ist die Fußleiste fünf!«

»Nein, das ist ein einsteckbarer Bodenträger!«

»Sei doch nicht so rechthaberisch. Oder willst du behaupten, daß du jemals zuvor in deinem Leben einen einsteckbaren Bodenträger gesehen hast.«

»Massenhaft!«

Ich dachte schon, daß sie gleich wieder streiten würden, aber im nächsten Augenblick fing Michael plötzlich furchtbar an zu lachen, und Sabine lachte mit.

Ich war sehr erleichtert darüber, denn Krach in der Familie ist für einen Hund etwas Entsetzliches. Man weiß gar nicht, zu wem man halten soll.

Michael schlug dann vor, Herrn Sievert zu holen. Du erinnerst dich, das ist der Schreiner, der inzwischen auch die Tür eingesetzt hat. Sie klemmt ein bißchen, aber er hat versprochen, sie noch abzuhobeln. Nur wann, hat er nicht gesagt.

Aber wenn er jetzt die Regalwand zusammenbaut, bringt er vielleicht seinen Hobel mit. Wünschenswert wäre es, denn die Tür macht beim Öffnen und Schließen ein Geräusch, daß sich mir jedesmal die Haare sträuben.

Sabine hat mit Herrn Sievert telefoniert, während Michael die Küche aufräumte.

Tessy hatte inzwischen ausgeschlafen und wollte mich überreden, die Bauanleitung zu zerreißen.

»Bauanleitungen sind Zündstoff für Streitigkeiten, das hast du doch gemerkt, Julius. Also ist es besser, sie zu vernichten.«