Vom Potenzial kultureller Bildung - Katrin Oldenburg - E-Book

Vom Potenzial kultureller Bildung E-Book

Katrin Oldenburg

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Beschreibung

Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche bedeutet heute weit mehr, als ein Klassenausflug ins Theater oder ins Museum. Das Entdecken der persönlichen Potenziale, der eigenen Kreativität und der kulturellen Vielfalt gehören zu den weiter gesteckten Zielen kultureller Bildung. Dabei hält sich hartnäckig die Meinung, dass der ländliche Raum wegen seiner Entfernung zu den Kulturhochburgen weniger Möglichkeiten für kulturelle Bildung biete. In diesem Buch analysiert die Autorin ihren persönlichen Erfahrungsschatz am Beispiel der ländlichen Region Eichsfeld, ergänzt durch Stellungnahmen weiterer Fachleute auf dem Gebiet der kulturellen Bildung. Dabei geht es auch um Ressourcen, Strukturwandel, Mobilität und Netzwerke. Katrin Oldenburg hat als Sozialpädagogin, Kulturagentin für kreative Schulen und Supervisorin weitreichende Erfahrungen in der Kulturbildung gesammelt. Als Waldpädagogin und schließlich Leiterin des KulturKlosters in Duderstadt hat sie vor allem das Ziel verfolgt, Kultur in ihrer vielfältigen Form jungen Menschen im ländlichen Raum nahezubringen, und diesen gleichermaßen mit einzubeziehen.

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Für Klaus Gries, meinen Opa mit Eichsfelder Wurzeln

Katrin Oldenburg

Dipl. Sozialpädagogin/Dipl. Sozialarbeiterin

Schwerpunkt: Sozialmanagement

Kulturagentin für kreative Schulen

Supervisorin, Coach, systemische Beraterin

Danksagung

Ich danke allen Weggefährt*innen, die dieses Buchvorhaben ermöglichten. Ganz besonderer Dank gilt meinem Mann, der mir mit Geduld zur Seite stand und meinen Kindern. Danke an Schwester Ingeborg, ohne die es das KulturKloster nicht gäbe, Steffi Kowalski und Mandy Scheffler als Lektorinnen, Bettina Bartel für die Gestaltung und Danke vielen anderen hier nicht Genannten.

Inhalt

Danksagung

Vorwort

Kapitel 1

1.1 Einleitung

1.2 Begriffliche Grundlagen

1.2.1 Kultur

1.2.2 Bildung

1.2.3 Ländliche Räume

1.2.3.1 Kulturpolitik in ländlichen Räumen

1.2.3.2 Demografischer Wandel, Sozialstruktur und Kultur in ländlichen Räumen

1.2.4 Relevanz Kultureller Bildung

1.2.4.1 Das Sozialraumkonzept

1.2.4.2 Erschließung und Gestaltung von Bildungslandschaften im Sozialraum junger Menschen

1.2.4.3 Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen

1.2.5 Selbstbildung, Bildungsbiografie und Persönlichkeitsentwicklung durch kulturelle Bildung

1.2.6 Kultur- und Kreativwirtschaft

1.2.7 Klöster, Kirchen und Kulturarbeit in ländlichen Räumen

Kapitel 2

2.1 Beschreibung Gesamtgebiet Eichsfeld

2.2 Vorstellung der ländlichen Räume im Eichsfeld

2.3 Duderstadt

2.4 Das Ursulinen-Kloster Duderstadt

2.5 Das KulturKloster und ausgewählte Projekte

2.6 Interview mit Schwester Ingeborg Wirz

2.7 Heilbad Heiligenstadt

2.8 Das Bergkloster in Heilbad Heiligenstadt

2.9 Gespräch mit Schwester Pia Elisabeth

2.10 Die Bergschule

2.11 Tagebuch Heilbad Heiligenstadt

2.12 Gespräch mit Dr. Werner Henning

2.13 Eindrücke zum ökumenischen Festgottesdienst – 30 Jahre Grenzöffnung

Kapitel 3

3.1 Zukünftige Gestaltung von „Räumen“ durch Partizipation

Anhang

Auswahl von Studien zur kulturellen Bildung

Gesetzliche Grundlagen kultureller Bildung

Bildungs-Legende

Verzeichnisse

Literaturverzeichnis

Quellen, Material, Internet

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Foto-Übersicht

Abkürzungsverzeichnis

Impressum

Vorwort

„Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, um zu verstehen. Ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden.“

(Paul Auster)

Die Motivation, dieses Buch zu schreiben, bekam ich durch meine persönlichen Erfahrungen hinsichtlich kultureller Bildung und als Leiterin des KulturKlosters Duderstadt. Aufgrund meines Lebensweges in der Auseinandersetzung mit kultureller Bildung ist es mir ein Anliegen, mein Wissen und meine Erfahrungen zu teilen. Aus einer musikalischen, kreativen Familie im Harz kommend, gab es immer wieder verschiedene Lebensstationen, an denen ich mich mit meiner eigenen Kultur, meiner Herkunft und kulturellen Bildung auseinandersetzen musste. So wuchs ich im beschaulichen ländlichen Mittelgebirge Harz sehr naturverbunden, mit musikalischer Früherziehung, zwischen Singe-Bewegung und christlicher Jugendbewegung auf. Allein das, eine staatliche Singe-Bewegung und eine kirchlich-christliche Jugendbewegung waren zwei Lebenswelten, die mich sehr beeinflusst haben. Später, bei meinem Studium der Sozialpädagogik/Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Sozialmanagement und gleichzeitiger Gesangsausbildung an der Musikhochschule Dresden, den Praxiserfahrungen im Kammerchor der Philharmonie, mit geschnupperter Opernluft vor und hinter der Bühne, ergaben sich immer wieder Zusammenhänge, die für mein systemisches Denken und Handeln prägend gewesen sind. Ebenso konnte und kann ich hierdurch noch immer Gemeinschaftserfahrungen erleben, die anderswo kaum möglich sind.

Das vorliegende Buch hat einen persönlichen Bezug. Von Januar 2018 bis Mai 2021 arbeitete ich als Kinder- und Jugendreferentin des KulturKlosters in Duderstadt, das zum ländlichen Raum Eichsfeld gehört und die kulturelle Bildung junger Menschen fördert. Potenziale zu wecken, diese zu entdecken und sichtbar zu machen - das war die Aufgabenstellung des KulturKlosters. Mein Ziel war es, mit unterschiedlichen Netzwerkpartner*innen, junge Menschen jeglicher Herkunft, die mit Kultur bisher wenig oder keine Berührung hatten, an kulturelle Bildung sämtlicher Formen heranzuführen – sei es durch Tanz, Theater, Radio, Musik, Lesungen, Ausstellungen, etc. Nachdem Vorschüler*innen bis Schüler*innen zum 27. Lebensjahr aus dem breiten Spektrum unserer Bildungslandschaft kulturelle Projekte im schulischen Kontext kennen lernen konnten, entstanden eigene Arbeitsgemeinschaften (Bsp. Tanz-AG, Foto-AG), Aufführungen und Ausstellungen.

Erfahrungsgemäß findet kulturelle Bildung im schulischen und kommunalen außerschulischen Kontext in ländlichen Räumen immer noch zu wenig Beachtung. Daher stellt sich die Frage für einen zukünftigen Unterstützungsbedarf für die heranwachsenden jungen Bewohner*innen in ländlichen Räumen immer wieder neu. Im Folgenden versuche ich, diese Frage aus meiner Perspektive auf die Region Gesamteichsfeld, der ich persönlich sehr verbunden bin, zu beantworten. Neben fachlichem Input zur kulturellen Bildung fließen ebenso meine persönlichen Erfahrungen in Duderstadt und Heilbad Heiligenstadt in die hier dargestellte Bestandsaufnahme zur kulturellen Bildung im ländlichen Raum mit ein, so dass schließlich meine persönliche Lesart anregen möchte, über ländliche Räume mit ihrer kulturellen Bildung und dem Potenzial der dort lebenden jungen Bewohner*innen nachzudenken.

Kapitel 1

1.1 Einleitung

Die Wahrnehmung der ländlichen Region ist gespalten: Eine Sehnsucht nach dem Land belegen Zeitschriften mit idyllischen Bildern wie „Landlust“ oder „Mein schönes Land“ sehr anschaulich. Die andere Wahrnehmung vom „Land“ ist die einer zusammenbrechenden strukturschwachen Region mit überalterter Bevölkerung, abgelegenen Gebieten, abwandernden jungen Menschen und scheinbar ohne jegliche Kultur. Fehlende Nahversorgung, lange Schulwege, schlechte Straßen und eine Region, die von Landwirtschaft dominiert ist, sind tatsächliche Kennzeichen ländlicher Räume. Landläufige Verallgemeinerungen greifen natürlich zu kurz; die Realität stellt sich selten so schwarz-weiß dar wie die Schilderungen suggerieren mögen (vgl. Bundesministerium für Ernährung, Nov. 2011:7).

Die Lebensweisen in der ländlichen Region sind ebenso vielfältig wie die sozialen Verhältnisse. Der „Abwärtsspirale“ wirken in einigen Gebieten Bewegungen entgegen und nutzen den entstandenen Freiraum z. B. für kulturelle Bildung, Kunst, Kultur und Wirtschaft, den die ländliche Region bietet, als neues Feld. Die vorliegende Lektüre soll helfen, jene Vielfalt der ländlichen Regionen sichtbar werden zu lassen und in die Öffentlichkeit hinein zu vermitteln.

Im Mittelpunkt steht hierbei die kulturelle außerschulische bzw. schulergänzende Bildung im Eichsfeld, da insbesondere die Kultur- und Bildungsarbeit in ländlichen Räumen als Thema in der gesellschaftlichen wie politischen öffentlichen Wahrnehmung kaum präsent ist. Vor allem junge Menschen in ihren ländlichen (kulturellen) Räumen und deren kulturelle Bildung selbst sollen hier in den Blick genommen werden: Das vorliegende Buch schildert Projekte der jungen Bewohner*innen des ländlichen Raums mit ihren Potenzialen und fragt danach, welche Rolle Kultur für junge Menschen im ländlichen Raum spielt. Kulturelle Bildung aus sozialpädagogischer Sicht kann einen Brückenschlag zwischen Kunst und Kunstwerk, Betrachter*in und Zuhörer*in oder einen Perspektivwechsel auf die vielschichtige Zielgruppe ermöglichen. Durch eigene Partizipation der jungen Menschen in ländlichen Räumen mit ihrem Kulturverständnis ließe sich darüber hinaus der Zweig der Kulturvermittlung durch Sozialpädagogik in der kulturellen Bildung idealer Weise ergänzen.

1.2. Begriffliche Grundlagen

Mit der empirischen Sozialforschung etablierte sich erst in den 1970er Jahren das Themenfeld der kulturellen Bildung und seiner dazu gehörigen Forschung in Deutschland. Im Zuge dessen wurden neue kulturpädagogische Konzepte wie bspw. Jugendkunstschulen und soziokulturelle Jugendzentren erarbeitet und etabliert. Dies bedeutete einen weiteren Aufschwung für die Kultur- und Kreativwirtschaft (vgl. Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 1980 in: Keuchel, 2013). Seit dieser Zeit bildeten sich immer mehr kommerzielle Kultur- und Freizeitanbieter heraus. Ebenso kam es in den vergangenen Jahren, auch aufgrund der so genannten Neuen Medien, zu einem veränderten Freizeitverhalten junger Menschen. Dem steht die Überalterung des klassischen Kulturpublikums gegenüber.

„Persönlichkeitsbildung“ und zukunftsweisende „Schlüsselqualifikationen“ gehören zu allgemeinbildenden Kompetenzen, die im Blick der außerschulischen kulturellen Bildung liegen. Den Fokus dieser Schlagwörter zeigen bildungspolitische Diskurse und kognitive Lernziele: 2007 verabschiedete die Kultusministerkonferenz ihre Empfehlung zur Kinder- und Jugendbildung. Darin betrachtet sie kulturelle Bildung als unverzichtbaren Beitrag zur Persönlichkeitsbildung junger Menschen, die demnach stärker an Kultur herangeführt werden sollen: „Kulturelle Bildung vermittelt kognitive und nichtkognitive Kompetenzen, sie trägt zur emotionalen und sozialen Entwicklung zu der Integration der Gemeinschaft bei.“ (Kultusministerkonferenz der Länder, 2007). Der Bildungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 nimmt erneut darauf Bezug und fordert, junge Menschen zu einem selbstbestimmten Leben und zur aktiven Teilnahme an Kultur zu befähigen. Demzufolge wird kulturelle, musische bzw. ästhetische Bildung als wichtige Voraussetzung für autonome und kritische Teilhabe an Gesellschaft und Politik verstanden (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2012). Kulturelle Bildung als Menschenrecht benötigt einen entsprechenden gesetzlichen Rahmen.

1.2.1 Kultur

Der Begriff Kultur ist in der Alltagssprache und im wissenschaftlichen Diskurs allgegenwärtig. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen haben (wie bspw. die Ethnologie, die Soziologie, die Kulturwissenschaften) eigene Konzepte und Definitionen entwickelt. Sie unterscheiden sich nicht komplett voneinander, erschweren aber interdisziplinär eine Abgrenzung.

Wenn im Folgenden über die kulturelle Bildung zu lesen ist, bedarf es zunächst einer Annäherung an den Begriff der Kultur, mithin den Gegenstand kultureller Bildung: „Wenn es ein bestimmtes Merkmal des Begriffs Kultur gibt, dann die verbreitete Auffassung, dass dieser Begriff nicht zu definieren ist. Wer es trotzdem versucht, zeigt damit nur, dass er dem Begriff nicht gewachsen ist.“ (Baecker, 2001, S. 33)

In Deutschland herrscht Kunstfreiheit. Dies gilt auch kulturpolitisch für alle Bundesländer. Die Zweckfreiheit dient der Kunst, neue Möglichkeitsräume zu erobern, die bisher nicht festgelegt oder definiert sind.

Kultur ist ebenso ein Kommunikationssystem, das der Gesellschaft Raum für Reflexion über deren Sinn und vermittelte Werte bietet. Kultur hat somit eine sozial-integrative Funktion und kann als Bestandteil vielfältiger Entwicklungsprozesse verstanden werden (vgl. Faschingeder, 2003). Kulturentwicklung wird in der Stadt- und Regionalentwicklung politisch festgeschrieben (vgl. Ermert, 2002). Hier wird eine deutliche ökonomische Wirkungszuschreibung der Kultur klar. Kultur dient als Faktor für die Attraktivität von Städten und Regionen.

Ebenso wird Kultur als Grundlage für die Persönlichkeitsentwicklung angesehen, denn Kultur und Kunst dienen der Identitätsbildung. Neben den kulturpolitischen und gesellschaftlichen Zuschreibungen von Kultur ist deren positive Wirkung auf kognitive Fähigkeiten und individuelle Entwicklung nachweisbar (vgl. Bastian, 2007).

Neben sogenannter Hochkultur gilt Kultur im Folgenden als spezifisches Bildungsverständnis im Sinne kulturellen Bildung als Sozialisation im Sozialraum. Ein wesentlicher Bestandteil der Kulturpolitik betont die Rolle der kulturellen Partizipation für ein gelingendes Leben (vgl. Deutscher Bundestag, 2008, S. 58).

Kultur wird – im Allgemeinen – als Hochkultur (Theater, Oper etc.) aufgefasst. Kultur und kulturelle Bildung sind eng verknüpft mit dem Gedanken an den urbanen Raum und die damit verbundenen ihrer Erfahrbarkeit. Bereits Aristoteles formulierte es so: „Des Menschen körperliches und animalisches Dasein mag durch das Land befriedigt sein, seine geistigen Bedürfnisse können nur durch die Stadt erfüllt werden.“ (Reinborn, 1996: 6). Dieses Gedankengut und die Teilung zwischen Stadt und Land sind heute noch gegenwärtig. Landleben wird mit rückständig und langweilig gleichgesetzt, obgleich die Ansicht vorherrscht, dass das Land die Stadt mit Ressourcen wie Wasser und Nahrung versorgt.

In Deutschland ist Kulturpolitik hauptsächlich Stadtpolitik. Die Kommunen, aber auch Stadt und Bund, sind geprägt von Verwaltung und Förderung hauptsächlich städtischer Institutionen (bspw. Theater, Museen). Infolgedessen entstehen Projekte kultureller Art zumeist in Städten und richten sich nach den Bedürfnissen ihrer Zielgruppen und den gegebenen Fördermöglichkeiten. Demzufolge gibt es eine Spaltung der Möglichkeit der kulturellen Teilhabe: Ländliche Räume, einschließlich der städtischen Peripherie, denen bspw. große Distanzen und ein vergleichsweise geringes Angebot an kulturellen Veranstaltungen zugeschrieben werden, erscheinen in diesem Kontext eher als defizitär (vgl. Knüsel, 2007).

1.2.2 Bildung

Im 21. Jahrhundert erstreckt sich der Bildungsbegriff von einer kulturellen und sozialen bis hin zu einer politischen Integrationsformel. Der chronologische Abriss zeigt, dass seit jeher die Bildung mit Selbstfindung zusammenhängt. „Lernen lernen“ als pädagogisches Konzept ist nicht neu, denn bereits Wilhelm von Humboldt beschrieb dies als Methode schulischer Wissensvermittlung. Junge Menschen sollten sich bereits in der Vergangenheit Zugänge zur Welt erschließen – den künstlerisch-ästhetischen, den sprachlich-kommunikativen, den historisch-philosophischen und den mathematisch-naturwissenschaftlichen.

Der Bildungsbegriff wird vielschichtig und unterschiedlich definiert. Das Wort selbst stammt vom althochdeutschen „bidunga“ ab, was Schöpfung, Bildnis und Gestalt bedeutet. Mehrheitlich wird darunter heute Allgemeinbildung als Zustand wie auch als Erwerbsprozess verstanden.

Für eine geschärfte Bedeutungsdefinition ist jedoch zunächst der Begriff der Bildung vom Terminus der Erziehung im geschichtlichen Kontext zu unterscheiden. Wilhelm von Humboldt beschreibt schon im Jahr 1792 die Wechselwirkung von Selbst und Welt (vgl. Humboldt, 1792/ 1991 in Reinwand-Weiss, 2013). Bildung wird als Selbstfindung durch das lernende Subjekt verstanden, die nie zum Abschluss kommt, solange Wechselbeziehungen zwischen sozialer Umwelt und Individuum stattfinden und demzufolge lebenslang andauert. Bildung ist daher abhängig von der einzelnen Biografie zu verstehen und dem Berliner Historiker Tenorth zufolge ein anarchischer und individueller Prozess (vgl. Die Zeit, 2021).

Hingegen ist Erziehung meist mit einem Lehrplan verbunden. Es gibt diverse Erziehungsstile und Vorstellungen, die an Werte, Normen, Geschmack, Tugenden etc. geknüpft sind (vgl. Reinwand-Weiss, 2013). Erziehung erfolgt meist von einer älteren Generation an eine jüngere. Erziehung ist mit Bildung eng verknüpft und wird als vollendet angesehen, wenn die zu Erziehenden den individuellen Sozialisationsprozess durchlaufen und abgeschlossen haben (vgl. Marotzki et al, 2005).

Zu Bildung gehören die personale Innenperspektive und die gesellschaftliche Außenperspektive des Menschen ebenso wie Selbstreflexion, Sachwissen, praktische Handlungskompetenzen und emotionale Kompetenzen. Bildung – schulische wie außerschulische - und Lernen werden als Aufgabe und Chance verstanden, lebenslang (vgl. Vermehrt, bpb, 2009). Der Zugang zu Bildung, insbesondere kultureller Bildung, wird hier als soziale Frage verstanden.

Rainer Treptow setzt Bildung in den Horizont des „ewigen Friedens“ und definiert: „Bildung – die letzte aller Reserven, um in der Eigendynamik natürlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen mit der Gestaltungskraft des Urteils-, des Handlungs- und vor allem des verständigungsfähigen Subjektes eingreifen zu können: Gegensätze sollten sich artikulieren dürfen, Fremdes vertraut werden, Bestehendes kritisiert und verbessert werden.“ (Treptow, 2012, S. 25).

Der PISA-Schock, die Leipziger Thesen des Jugendkuratoriums (vgl. BJK, 2002) und der 12. Kinder- und Jugendbericht (vgl. bmfsj, 2005) sind Reaktionen auf die gegenwärtige Situation der deutschen Bildungslandschaft. Zur Erklärung: seit dem Jahr 2000 wird aller drei Jahre die sogenannte PISA-Studie - eine internationale Schulleistungsstudie, durchgeführt, die an Schulen die außerkünstlerische Wirkung der Kunst wie Musik, bildende Kunst, Theater, Literatur usw. immer wieder überprüft und fokussiert. Die Lernergebnisse der OECD-Erhebung aus dem Jahr 2000 waren ein Schock, daher die Bezeichnung PISA-Schock. Seitdem begann ein schleichender Prozess zur Förderung von Kompetenzen und dem Ausbau von Ganztagsschulen in allen Bundesländern, der bis heute anhält.

Um bestmögliche Bedingungen für (kulturelle) Bildung in der deutschen Schullandschaft zu schaffen, steht das ganzheitliche Verständnis im Mittelpunkt. Es umfasst formale, non-formale und informelle Bildungsprozesse (vgl. BKJ 2002, bmfsj, 2005). Die Vernetzung der Bildung in der Bildungslandschaft findet inhaltlich zwischen Land und Kommune und der lokalen, regionalen Ebene statt. Bei letzterer ist die Kommunikation, Vernetzung und Zusammenarbeit generell zwischen Akteur*innen vor Ort und der Kommune erforderlich (vgl. Duvaneck, 2016).

Je nach Kulturkreis wird Bildung verschieden definiert. Der hier zugrunde gelegte Bildungsbegriff bezieht sich auf das kulturelle Bildungsverständnis im sozialpädagogischen Kontext in Deutschland. Der Begriff Potenzialentfaltung (vgl. Hüther, 2013) wird in diesem Buch als Synonym des Bildungsbegriffs verwendet. Das zugrunde liegende Konzept der Potenzialentfaltung hilft zu verstehen, Bildung auf Augenhöhe zu betrachten und jeden Menschen als selbstbestimmte Person mit ebensolchem Potenzial zu erkennen. In diesem Verständnis wird deutlich, wie Menschen sich wechselseitig ermutigen und inspirieren können und somit zu eignen Gestalter*innen werden – für sich und ihre Mitmenschen, ihrer Umwelt und ihrem (kulturellen) Lebensraum. Wesentlicher Baustein der Potenzialentfaltung ist nur durch selbstbestimmte Subjekte möglich. Somit wird der Gedanke vom Objekt (Fremdbestimmung) zum Subjekt (Selbstbestimmung) verfolgt. Da aus der Hirnforschung bekannt ist, dass das Gehirn lebenslang auf äußere Anforderungen und Einflüsse reagieren kann, ist dadurch lebenslanges Lernen gegeben. Neue Erfahrungen bspw. durch kulturelle Bildung sind wie „Dünger für das Gehirn“. Durch Interaktion und Inspiration ist das am besten möglich (vgl. Pabst u. a., 2021). Dabei geht es nicht nur um Interaktion mit anderen Menschen, sondern ebenso über Versuch und Irrtum. Potenzialentfaltung in der kulturellen Bildung geht von eigenen individuellen Erfahrungen aus, was jeden Menschen zu der Person macht, die sie oder ihn ausmacht. Grenzerfahrungen, Interdisziplinarität u. a. fördern Talente, das Potenzial junger Menschen. Durch Potenzialentfaltung kann bei jedem jungen Menschen ein Bewusstsein für seine eigenen Fähigkeiten und Stärken geschaffen werden. Sich gegenseitig zu inspirieren und zu ermutigen kann kulturelle Bildung durch Potenzialentfaltung (wie bsw. im Theaterspiel, in der Malerei) ermöglichen. Neue Fähigkeiten zu entdecken und kennen zu lernen sind Erfahrungen, die über das eigene Selbstwirksamwerden des Einzelnen in einer Gruppe hinaus gehen können. D. h. das Konzept der Potenzialentfaltung hilft mit experimentellem und gleichzeitig bereicherndem Vorgehen nicht nur Bildung zu gestalten (vgl. Pabst u. a., 2021).

Unsere Gesellschaft reduziert Bildung auf kulturelles Kapital, in deren Verlauf noch der schulfernste Bereich danach abgetastet wird, ob aus ihm zertifizierbare Kompetenz herausgeklopft werden könnte. Dies impliziert, dass Bildung an ein Ziel gebunden ist. In der empirischen Bildungsforschung wird Bildung als Erwerb von Qualifikationen und Kompetenzen verstanden (vgl. Rucker, 2014). Bildung soll erwartbar, erfolgreich, vorhersehbar sowie planbar und steuerbar sein. Demgegenüber wird von Bildungstheoretikern Bildung als Offenheit, Ungewissheit und Nichtplanbarkeit, Nichtsteuerbarkeit gesehen (vgl. Heitger, 2003, S.136, in: Rucker, 2014).

Der sozialpädagogische Blick richtet sich in Bezug auf kulturelle Bildung zum einen auf Chancen und Bildung für Menschen in Armut und in belastenden Lebensverhältnissen, denn soziale Gerechtigkeit schließt Bildungsgerechtigkeit zwingend mit ein. Des Weiteren wird sozialpädagogische Bildung häufig im Zusammenhang mit sozialen Einrichtungen - etwa im Kita-Bereich, in der Schule, der Jugendhilfe, Familienhilfe - gesehen. In diesem Rahmen wird sozialpädagogische Bildung als Bildung außerhalb von Schule, schulergänzend bzw. weiterführend verstanden (vgl. Treptow, 2012, S. 28).