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Zugegeben: Wie bei vielen Pilgerschwestern und -brüdern fing die Inspiration auch bei mir mit Hape Kerkeling an. Sein Buch kam zum richtigen Zeitpunkt. Als ich es verschlungen hatte, wurde mir klar, dass auch ich bald mal weg auf dem Camino sein würde. Schon seit Monaten suchte ich beharrlich nach einem Weg aus der Krise. Der Jakobsweg hat mir die Augen für einiges Unverstandene geöffnet. Er hat mir vieles abverlangt, mich immer wieder herausgefordert, sowohl mental, wie auch physisch, sodass ich mich manches Mal gefragt habe: Warum tue ich mir das an? Wenn ich es mir dann angetan habe, hat der Camino mich zuversichtlich gemacht. Mehr noch: Er hat mir neuen Mut verliehen. Ohne diesen wäre mein weiterer Lebensweg nicht so entstanden. Jeder, der ihn gepilgert ist, weiß, dass neben der Meditation die Begegnungen mit anderen Menschen in den Herbergen oder unterwegs einen erheblichen Teil der Faszination Jakobsweg ausmachen. Wunderschöne, abwechslungsreiche, zuweilen aber auch sehr einsame, öde Landstriche durfte ich durch die Jakobswege kennenlernen. Ich bin eingetaucht in die Geschichte Spaniens und Portugals, die mir aus Schulzeiten nur rudimentär bekannt war und habe in den Dörfern das andere Spanien jenseits von Mallorca und Barcelona erfahren. Gerade das Ankommen und Leben in den kleinen Ortschaften Spaniens und Portugals mit ihren archaischen Strukturen war sehr prägend und hat zur Ruhe und Gelassenheit beigetragen, die mir (zumindest vorübergehend) zuteil wurde.
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Seitenzahl: 76
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Stationen der Vía de la Plata
Es war an einem dieser wolkenverhangenen, schneetreibenden Tage Ende Januar 2015 auf dem pädiatrischen Kongress in Obergurgl, an dem ich mich gefragt habe, ob ich mich dem unfreundlichen Wetter auf der Piste aussetzen oder besser die Pause auf dem Sofa ausdehnen soll. Gut, dass ich mich nach inneren Ringkämpfen für die erste Variante entschieden habe. Das Liftfahren hatte auch in den letzten Jahren immer mal wieder etwas Meditatives. So kam mir, allein auf der beheizten Gondelbank sitzend und über dieses und jenes sinnierend der Gedanke, Carlo einzuladen, mich auf meiner für Juni geplanten Fortsetzung der Vía de la Plata - Wanderung zu begleiten.
Noch vor ein paar Monaten wäre es sicher nicht mehr als eine Schnapsidee gewesen. Im letzten halben Jahr hatte Carlo jedoch einen enormen Entwicklungssprung gemacht, der in mir die Hoffnung nährte, es könne ihm ebenso wie seinem Bruder Luca vor 3 Jahren gefallen, mir ein paar Etappen Gesellschaft zu leisten. Ich schlug vor, dass er von Calzada de Bejár nach Salamanca mitwandern und dann nach Deutschland zurückkehren sollte, während ich noch eine Woche allein weiter laufen würde.
Es gab nur ein Problem. Konnte ich Carlo zumuten, allein von Salamanca zurück nach Madrid zu fahren und von dort aus nach Deutschland zu fliegen? Er war ja erst siebzehn und bisher noch nicht einmal allein mit dem Zug gereist. Ich war schon etwas überrascht, als er sagte, er traue es sich zu und sähe darin eine Herausforderung. Das bestätigte mich noch einmal in meiner Wahrnehmung hinsichtlich seines gesteigerten Selbstbewusstseins. Was aber blieb, waren meine eigenen Bedenken. Genaugenommen nicht nur meine, sondern auch die seiner Mutter.
Irgendwann kam mir in den Sinn, ich könnte jemanden für zwei Tage nach Salamanca einfliegen lassen, der ihn dann mit zurück nach Deutschland nimmt. Meine erste Wahl fiel auf seinen Patenonkel Marcus aus Köln, der jedoch absagen musste, da er bereits eine Urlaubsreise gebucht hatte. Als nächster fiel mir Carlos Bruder Luca ein. Da er viel und gerne auf Achse ist, nahm er das Angebot mit größtem Vergnügen an und hatte auch schnell bei seiner Filmproduktionsfirma in Köln einen freien Tag ausgehandelt. Ich stellte jedoch eine Bedingung: Auf keinen Fall durfte er Carlo davon in Kenntnis setzen, denn für ihn sollte es eine große Überraschung werden.
Endstation Puebla de Sanabria
Prolog
Kapitel 1 Bocholt – Madrid – Salamanca
Kapitel 2 Salamanca – Calzada de Bejár – Fuenterroble de Salvatierra
Kapitel 3 Fuenterroble de Savateirra – San Pedro de Rozados
Kapitel 4 San Pedro de Rozados - Salamanca
Kapitel 5 Salamanca
Kapitel 6 Salamanca – El Cubo de la Tierra del Vino
Kapitel 7 El Cubo de la Tierra del Vino – Zamora
Kapitel 8 Zamora - Montamarta
Kapitel 9 Montamarta – Granja de Moruela - Tábara
Kapitel 10 Tábara – Santa Croya de Tera
Kapitel 11 Santa Croya de Tera – Rionegro del Puente
Kapitel 12 Rionegro del Puente – Puebla de Sanabria
Kapitel 13 Puebla de Sanabria – Madrid - Bocholt
Carlos‘ Betrachtungen
Sorry, Carlo, dass ich gerade mit dieser Geschichte mein erstes Kapitel beginne, aber mittlerweile können wir ja auch genüsslich darüber schmunzeln. Letztlich aber ist sie der aufregende Start unseres gemeinsamen Abenteuers und wenn´s schlecht gelaufen wäre, hätte sie schon das Ende unserer lang ersehnten Reise sein können.
Am Tag vor dem Abflug waren wir bereits mit unseren fertig gepackten Rucksäcken zu Luca nach Köln gefahren, um am nächsten Tag bequem mit der S Bahn zum Köln Bonner Flughafen zu gelangen. So war der Plan.
Nachdem Luca sich am Mittwochmorgen um 9.00 Uhr zu seiner Arbeit aufgemacht hat, hole ich Brötchen für ein gemütliches Frühstück. Wir haben ja noch viel Zeit bis zum Abflug um 15.30 Uhr. Ich stelle gerade die Kaffeemaschine an, als Carlo plötzlich auffällt, dass er seinen Pilgerausweis in Bocholt liegen gelassen hat. Meine Reaktion ist nicht gerade überschwänglich freundlich, denn die Erfahrung in einer Pilgerherberge zu übernachten, sollte ihm ja nicht fehlen und ohne Pilgerausweis ist es eigentlich unmöglich, dort Einlass zu bekommen.
Ich hatte mich gerade mit dem Verzicht auf Übernachtungen in Pilgerherbergen abgefunden, als Carlo erneut einen Stoßseufzer des Erschreckens von sich gibt: „Papa, ich hab auch meinen Reisepass vergessen.“ Jetzt bedurfte es schon der Gelassenheit eines Dalai Lamas, um nicht aus der Haut zu fahren. Verzweifelt laufe ich wie ein aufgescheuchter Tiger durch die Wohnung, um einen klaren Gedanken zu fassen. Es ist mittlerweile 10.00 Uhr. Kurzfristig schreibe ich die Pilgerreise schon ab und stelle mir als Ersatz ein paar ruhige Tage auf der Nordseeinsel Langeoog vor. Plötzlich erfolgt die Wende und der alte Kampfgeist kommt zurück. Nein, so schnell gebe ich nicht auf! Wenn alles optimal läuft, schaffen wir die 130 Km nach Bocholt und zurück nach Köln noch pünktlich bis zum Abflug. Also heißt es, Kaffeemaschine ausstellen, Rucksäcke schnappen und ab ins Auto!
Wahrscheinlich war es die LAN–Party in der Nacht zuvor, die bei Carlo alles durcheinandergebracht hat. Aber zum Glück erinnert er sich noch, dass er die Ausweise auf seinem Schreibtisch liegen gelassen hat.
Salamanca
Wir passieren relativ schnell die langgestreckte Baustelle auf der A3 und kommen auch sonst gut durch. Im Radio berichten sie über Feierlichkeiten anlässlich des 17. Junis, unseres früheren Nationalfeiertages. Ist ja schon fast in Vergessenheit geraten, dass im Juni 1953 ein Volksaufstand in der DDR mit Panzern der Sowjet – Armee brutal zerschlagen wurde. Mindestens fünfzig Menschen verloren dabei ihr Leben.
Kurz nach halb zwölf kommen wir in Bocholt an. Carlo holt schnell seine Dokumente und so sind wir bereits fünf Minuten später wieder im Auto in Richtung Köln. Unsere Stimmung wird zunehmend euphorischer. Ohne Staus oder andere Komplikationen erreichen wir schließlich um 13.30 Uhr den Kölner Flughafen. Glück gehabt!!!
Da wir pünktlich in Madrid landen, erwischen wir noch den 19.00 Uhr - Bus direkt vom Flughafen nach Salamanca. Für unsere erste Übernachtung in Salamanca hatte ich bewusst ein Hotel gebucht, das in der Nähe des Busbahnhofes liegt, um am nächsten Tag schnell nach Calzada de Bejár zu kommen, wo ich im letzten Jahr meine Wanderung beendet hatte. Wir lassen es uns aber nicht nehmen, um 22.00 Uhr noch in die City zu laufen, um einen ersten Blick auf Salamanca bei Nacht zu ergattern. Für mich ist er ja nicht neu, Carlo scheint ähnlich wie ich von dem Flair der Stadt beeindruckt zu sein.
Der Wecker schmeißt uns um sieben Uhr aus den Federn. Gleichzeitig erhalte ich eine WhatsApp Message von Matthias. Wie zum Start meiner früheren Pilgerreisen, wünscht er uns viel Glück auf dem Camino. Die Nachricht bringt mir einen zusätzlichen positiven Schub für die anstehende Wanderung. Eine treue Seele, mein Freund und Kollege Matthias!
Nach einem spanischen Frühstück mit Bocadillo und Milchkaffee in der unserem Hotel direkt gegenüberliegenden Bar des Busbahnhofes, buchen wir den 8.30 Uhr–Bus Richtung Norden nach Bejár. Die Fahrt dauert etwa eine Stunde. Bevor wir uns ein Taxi nach Calzada de Bejár nehmen, dem Ort, an dem ich im letzten Jahr meine Wanderung abgebrochen habe, stärken wir uns noch einmal mit einem Cafe con leche. Wer weiß, wann wir den nächsten bekommen!
Wie so oft in Spanien verwickelt der Taxifahrer uns in ein Gespräch über Fußball. Eine große Überraschung ist es nicht gerade in dieser Region, dass er ein Fan der Königlichen ist. Er könne sich auch vorstellen, mit anderen Vereinen zu sympathisieren, der einzige Verein, bei dem das absolut nicht möglich sei, ist der FC Barcelona.
Da er mit dem VfL Bochum vermutlich nichts anfangen kann, erzähle ich ihm, dass ich in der Bundesliga für Borussia bin und ich eine ähnlich geartete Abneigung zu einem Club in Bayern mit ihm teile.
Kurz vor elf Uhr stehen wir vor der Herberge, in der ich im vergangenen Jahr meine letzte Nacht auf dem Weg von Cáceres nach Salamanca verbracht habe. Fast exakt hier, genau gesagt zehn Kilometer vor Calzada de Bejár endet die autonome Gemeinschaft Extremadura und es beginnt die autonome Gemeinschaft Castilla y León. In ihrem geographisch riesigen Areal wohnen nur etwa 2,5 Millionen Einwohner. Die Comunidad Autónoma de Castilla besteht aus neun Provinzen: Ávila, Burgos, León, Palencia, Segovia, Salamanca, Soria, Valladolid und Zamora. Die Hauptstadt ist Valladolid. Die beiden Königreiche Castilla und León wurden 1230 unter König Fernando endgültig