Von der Gewerbeschule zur Fachhochschule - Andreas de Vries - E-Book

Von der Gewerbeschule zur Fachhochschule E-Book

Andreas de Vries

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Beschreibung

In diesem Buch wird die ereignisreiche 200-jährige Geschichte der anwendungsorientierten höheren Bildung in Hagen umrissen. Sie begann 1824 mit der Gründung der Königlichen Gewerbeschule in einer Schule an der Springe, war mehrere Jahrzehnte im Hagener Rathaus und zog dann über den Standort des heutigen Rathauses an der Volme an die Haldener Straße. Sie wurde im Laufe der Zeit immer wieder anders genannt, sie war Gewerbeschule, Fachschule, Höhere Maschinenbauschule und Staatliche Ingenieurschule, bevor sie zur heutigen Fachhochschule wurde. Das Buch ist eine Chronik der Ereignisse, Personen, Lehrenden und Lernenden, die die die Entwicklung der Hochschule geprägt haben oder von ihr geprägt wurden, soweit heute bekannt.

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Prof. Dr. Andreas de Vries Fachhochschule Südwestfalen Haldener Straße 182 D-58095 Hagen

A generation which ignores history has no past – and no future.

Robert A. Heinlein, Time Enough for Love (1973)

Nescire autem quid ante quam natus sis acciderit, id est semper esse puerum. (Aber nicht zu wissen, was geschehen ist, bevor man geboren wurde, heißt immer ein Kind zu sein.)

Cicero, M. Tulli Ciceronis Ad M. Brutum (46 v.u.Z.)

Wer die Enge seiner Heimat ermessen will, reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.

Kurt Tucholsky, „Interessieren Sie sich für Kunst?“, in Zürcher Student, Nr. 2, 1. Mai 1926, S. 64

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

824–1832: Anwendungsorientierte Bildung für die beginnende Industrialisierung

1832-1894: Gewerbeschule im Rathaus

2.1 Die Deutsche Revolution 1848/1849

2.2 Die Reform der Gewerbeschulen von 1850

2.3 Die Bildungsreformen 1872 und 1878

1894-1943: Im Prachtbau zur Ingenieurschule

3.1 Neuordnung des Bildungswesens 1933 bis 1938

1945-1971: Wiederaufbau

1971-1988: Fachhochschule Hagen

1988-2002: Die Märkische Fachhochschule

Seit 2002: Fachhochschule Südwestfalen

7.1 1999 – 2007: Der Bologna-Prozess

7.2 2006 – 2010: Studiengebühren

7.3 Hochschulfreiheit seit 2007

7.4 2018: Geplanter Neubau

7.5 2020–2022: Die Pandemie und Online-Lehre

7.6 2021: Der erste englischsprachige Studiengang

Epilog

Literaturverzeichnis

Anhang

10.1 Zeittafeln

10.2 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Vorwort

Es macht einen lebenden Organismus aus, trotz Umbrüchen und Veränderungen eine Identität zu erhalten oder neu zu schaffen. Das gilt auch für soziale Konstrukte wie Institutionen, Firmen oder Kulturen. Zur Identität eines sozialen Konstrukts gehört immer auch ein mehr oder weniger expliziter Gründungsmythos. Ein Mythos prägt eine Identität. Er schafft das Verbindende zwischen den Mitgliedern einer Institution, indem er erzählt, wie die Gegenwart in der Vergangenheit begründet ist. Ein Mythos impliziert allerdings immer auch Abgrenzung und kann in übersteigerter Form zu blindem Größenwahn führen. Am Ende ist ein Mythos eine Erzählung, weniger eine Erklärung.

Umbrüche und Veränderungen, Hochphasen und Krisen prägten auch die lange Geschichte der anwendungsorientierten höheren Bildungsstätte in Hagen. Seit zwei Jahrhunderten wurden in Hagen die für die jeweilige Zeit modernsten anwendungsorientierten Hochschulformen angeboten, von der Gewerbeschule Mitte des 19. Jahrhunderts über die Maschinenbauschule um die Jahrhundertwende und die Ingenieurschule Mitte des 20. Jahrhunderts, bis hin zur Fachhochschule seit den 1970er Jahren. Auch die Örtlichkeit dieser Bildungseinrichtung änderte sich, erst in der städtischen Schule am Kirchhof der Johanniskirche in den 1820er Jahren, dann – ein sicher absolutes Unikum in der deutschen Bildungsgeschichte – im Rathaus für die darauf folgenden sechs Jahrzehnte, danach die Maschinenbauschule an der Volme und seit 1964 das Gebäude an der Haldener Straße. Jedoch sind auch die den jeweils aktuellen Bedarfen und Gegebenheiten angepassten Studienformen zu erwähnen: Der „Organisationsplan“ des Jahres 1824 für eine einjährige Ausbildung und der Start mit 9 Gewerbeschülern haben nicht mehr viel gemein mit den Curricula der siebensemestrigen Bachelor- und dreibis viersemestrigen Masterstudiengänge in Vollzeit und berufsbegleitenden Modellen für die knapp 2.200 eingeschriebenen Studierenden des Standorts Hagen der Fachhochschule Südwestfalen im Jahr 2023.

Was nun aber ist die Identität, die sich aus dieser zweihundertjährigen, von Krisen nicht verschonten Erfolgsgeschichte ergibt? Sie ist Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, bereits leise untergeschoben worden: Die Identität lautet moderne, anwendungsorientierte und bedarfsgerechte höhere Bildungsstätte in Hagen. Das ist der Geist, die Konstante seit 1824, trotz aller Namensänderungen, Umstrukturierungen, Bildungsreformen, Weltkriege und Wirtschaftskrisen. Was ist ihr Mythos? Es ist, was sonst, die Erzählung ihrer Entstehung zur Zeit der beginnenden Industrialisierung Europas kurz nach den Napoleonischen Kriegen.

Warum aber eigentlich Hagen? Eine Kurzantwort: Die geografische Lage Hagens als Handelsstadt zentral zwischen der traditionellen Metallverarbeitung an den Gebirgsflüssen des Sauer- und Siegerlands und dem aufstrebendem Ruhrgebiet einerseits, andererseits die stetige und entscheidende Unterstützung der Hagener und der Menschen in der Region, vor allem der hiesigen Wirtschaft und der Stadt Hagen. Dennoch war diese Entwicklung, wie so Vieles, nicht zwangsläufig und immer auch revidierbar. Oft spielte der Zufall eine Rolle, und der immerhin bietet Platz für einen Mythos. Zufall, also Unerklärliches, ist schließlich immer notwendige Bedingung für einen Mythos.

Es sind vor allem vier Männer, ohne deren Ideen, Visionen und Kühnheit der heutige Fachhochschulstandort in Hagen nicht existieren würde: Peter Beuth,1 der als preußischer Ministerialbamter die Gewerbeschule ins Leben rief, Peter Dietrich Grothe und Gustav Holzmüller, die als Direktoren der Gewerbe- bzw. Maschinenbauschule zukunftsweisende curriculare Reformen umsetzten, und Hellmut Cramer, der als Kanzler der Fachhochschule Hagen deren Auflösung durch politisches Geschick zwar nicht verhindern, den Erhalt des Standorts Hagen jedoch de facto unverändert sichern konnte. Seitdem (also seit 1989) stand der Standort Hagen nie wieder zur Disposition, sondern konnte die Studierendenzahl im Gegenteil durch attraktive und innovative Studiengänge wie Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftsinformatik, Medieninformatik, Medizintechnik und Wirtschaftsingenieurwesen Energie und Gebäude erhöhen.

Das Gespenst der Schließung der Institution in Hagen ging bis 1989 immer wieder um. Ironischerweise war es anfangs ihr Erfolg, der ihr Ende heraufbeschwor, etwa 1830 oder 1844, als die Räumlichkeiten jeweils zu klein wurden; 1945 dagegen waren es die schweren Kriegsschäden, und in den 1980er Jahren die Konzentrationsmaßnahmen des Wissenschaftsministeriums des Landes, die die Schließung der Fachhochschule Hagen vorsahen.

In einem Brief an Robert Hooke schrieb Isaac Newton am 5. Februar 1676: “If I have seen further it is by standing on ye shoulders of giants.” („Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe.“)2 Wie nahezu jede kulturelle Leistung baut auch dieses Buch auf vorherig Erreichtes auf. In diesem Falle sind es die Beiträge von Gustav Holzmüller und Heinz Saager, zwei Dozenten der Vorgängereinrichtungen der heutigen Standorts der Fachhochschule Südwestfalen, die als Chronisten deren Geschichte erforschten und dokumentierten. Der Autor maßt sich nicht an, ihre Leistungen auch nur annähernd zu erreichen. Mein eigener Beitrag ist einerseits ein Upgrade, wie es in der mir vertrauten Ausdrucksweise der Informatik heißt, also eine Anpassung und Erweiterung an die neueren Entwicklungen. Es ist andererseits eine Hommage an diese beiden Chronisten, deren Andenken stellvertretend für all die vielen Studierenden, Lehrenden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachhochschule in Hagen und ihrer Vorgängereinrichtungen betrachtet werden soll.

Danksagung. Für die persönliche, immer wieder ermutigende und inspirierende Unterstützung danke ich Hermann Klein und Klaus Sandmann, ehemals Vorsitzender bzw. Geschäftsführer des Verein der Freunde des Standorts Hagen der Fachhochschule Südwestfalen, und Prof. Dr. Jörg Liese.

Hagen, im September 2024 Andreas de Vries

1 An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass Beuth trotz seiner Verdienste insbesondere für die anwendungsorientierte höhere Bildung und für die wirtschaftliche Entwicklung in Preußen als überzeugter Deuschnationalist und Antisemit Mitglied der Deutschen Tischgesellschaft war und von den Stein-Hardenberg’schen Reformen 1807 bis 1815 das Judenedikt von 1812 ablehnte; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Tischgesellschaft

2 So ansprechend das Zitat auch ist, so sollte nicht übersehen werden, dass Newton sich in misanthropischer Konkurrenz zu dem weltoffenen und den wissenschaftlichen Diskurs fördernden Hooke sah. In Newtons bedeutendstem Werk, den Principia Mathematica von 1687, wird der wahrscheinlich maßgebliche Einfluss von Hooke auf Newtons Ideen an keiner Stelle gewürdigt: Bereits in einem Brief vom 6. Januar 1680 schrieb Hooke an Newton, „my supposition is that the attraction always is in duplicate proportion to the distance from the center reciprocall“ (http://www.archive.org/stream/anessayonnewton00ballgoog#page/n159/mode/1up), was damit die erstmalig dokumentierte Formulierung des Newton’schen Gravitationsgesetzes darstellt. Das obige Zitat über Riesen stammt aus einem Brief vom 5. Februar 1676 ausgerechnet an Hooke, und mancher sieht darin eine bewusste Beleidigung des kleinwüchsigen und gebückten Hooke (S. Hawking: On the Shoulders of Giants, Running Press, Philadelphia 2002, S. 725, https://books.google.de/books?id=pb6HR4DAEeMC&pg=PA725). Sei’s drum: Große Worte bleiben groß, egal wer sie ausspricht.

1 1824–1832: Anwendungsorientierte Bildung für die beginnende Industrialisierung

Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.

Johann Wolfgang von Goethe (1821), Wilhelm Meisters Wanderjahre, Kap. 63

Auch wenn in Europa das Jahr 1824 nicht den Beginn oder das Ende einer großen Ära markierte, so fanden dort damals doch kulturell und wissenschaftlich bedeutende Ereignisse statt: Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wurde in Anwesenheit des ertaubten Komponisten uraufgeführt, Caspar David Friedrich vollendete sein Gemälde „Das Eismeer“, der greise Goethe begann sein Spätwerk Faust II, und Alexander von Humboldt arbeitete in Paris an der Veröffentlichung seiner Amerika-Expedition; der Informatikpionier Charles Babbage erhielt die erste Goldmedaille der Royal Astronomical Society; dem genialen Mathematiker Niels Henrik Abel wurde ein staatliches Stipendium für Aufenthalte in Berlin und Paris gewährt und er veröffentlichte einen Beweis über die Unlösbarkeit von Gleichungen fünften Grades durch eine geschlossene Formel, der eine der Grundlagen für die moderne Algebra markieren sollte; Carl Friedrich Gauß forschte über das Parallelenaxiom der Geometrie und bereitete damit die mathematischen Grundlagen für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie 90 Jahre später vor; der Mathematiker und Physiker Joseph Fourier veröffentlicht einen Artikel, in dem er einen Treibhausgaseffekt als mögliche Erklärung zur Erderwärmung beschreibt; es wurden der Physiker Gustav Robert Kirchhoff, der Schriftsteller Alexandre Dumas, der Architekt Martin Gropius und der Komponist Anton Bruckner geboren. Weltpolitisch markierte das Jahr 1824 mit den Siegen des Freiheitskämpfers Simon Bolivar in den Schlachten von Junín am 6. August 1824 und bei Ayacucho am 9. Dezember 1824 in Peru das Ende der spanischen Kolonialherrschaft in Südamerika.

Im Europa des Jahres 1824 herrschte eine Zeit des Aufbruchs, nach den gewaltigen Turbulenzen der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und der ein Jahrzehnt davor auf dem Wiener Kongress neu austarierten Machtbalance. Auch wenn durch die politische Ordnung in Europa damals die Monarchien wieder gestärkt und republikanische Bestrebungen zurückgedrängt wurden: Demokratisches, aber auch oft nationalistisches, Gedankengut lebte und gedieh in breiten gesellschaftlichen Kreisen und den seit 1815 sich bildenden Burschenschaften. Es war zudem die Zeit einer bedeutenden wirtschaftlichen Revolution, der beginnenden Industrialisierung vor allem im Montanbereich. Insbesondere in Preußen wurden die Veränderungen spürbar, der Merkantilismus und der damit verknüpfte wirtschaftliche Protektionismus wichen den neuen wirtschaftsliberalen Prinzipien, die Adam Smith 1776 veröffentlicht hatte. Preußen sollte wettbewerbsfähig gemacht werden für den damals von England dominierten Weltmarkt.

Abbildung 1. Christian Peter Wilhelm Friedrich Beuth (1781 – 1853), in Kleve geborener hoher preußischer Ministerialbeamter und Mitglied des Staatsrats. Durch sein Konzept der anwendungsorientierten Gewerbeschulen ebnete er Preußen den Weg aus dem protektionistischen Merkantilismus in den Smith’schen Freihandel und die Industrialisierung. Diesem erfolgreichen Konzept verdankt Hagen seine Bildungsstätte. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Beuth