Von hier nach dort - Peter Rosei - E-Book

Von hier nach dort E-Book

Peter Rosei

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Beschreibung

Gemeinsam mit H.C. Artmann unternahm Peter Rosei von Salzburg aus zahllose Motorradausfahrten. Die beiden ließen sich treiben, einmal sogar bis Venedig. Aus diesem Geist von Rastlosigkeit und der Sehnsucht nach Freiheit ist der Roman "Von hier nach dort" entstanden. 1978 erschienen, erzählt er skizzenhaft von einem jungen Mann, der auf dem Motorrad durch Europa zieht. Bewusstseinszustände zwischen Realität und Traum bestimmen die Atmosphäre in "Von hier nach dort". Kurze Beschreibungen eines flüchtigen und intensiven Glücks blitzen auf in einer Erzählung von der ständigen Bewegung als Leitmotiv. Die Neuauflage greift das Kult-Cover von Walter Pichler auf und macht einen Roman, der oft zu Peter Roseis besten gezählt wird, wieder für ein breites Lesepublikum zugänglich!

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Peter Rosei

Von hier nach dort

Roman

Residenz Verlag

Wir danken für die Unterstützung

© 1978 by Residenz Verlag, Salzburg

Neuauflage © 2023 Residenz Verlag GmbH Salzburg – Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

www.residenzverlag.com

Alle Rechte, insbesondere das des auszugsweisen Abdrucks und das der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten.

Umschlaggestaltung: buero 8/Thomas Kussin unter Verwendung eines Motivs von Walter Pichler

Lektorat: Jessica Beer

ISBN Print 978 3 7017 1768 2

ISBN eBook 978 3 7017 4702 3

Der Tod? Den gibt es gar nicht. Wenn wir kein Bewusstsein haben, hört die Welt eben auf. Was wissen wir darüber?

Marcel Duchamp

Für Artmann

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

REISEPASS, WASCHZEUG, GELD: Ich hatte alles beisammen. Ordentlich lagen die Dinge vor mir. Da weinte ich. Ich legte mich auf das Bett und weinte. Dann lag ich eine Weile reglos. Wieder wollte diese Traurigkeit über mich kommen, doch ich widerstand. Das Unglück ist schön. Ich sah einen großen Felsen; er fiel zum Meer hin ab. Ich stand auf dem Felsen und winkte. Ich war glücklich. Ich versuchte zu fliegen, und es gelang.

Jetzt kramte ich aus dem Kasten ein paar Hemden hervor, einen Pullover, Tennisschuhe. Manchmal zeigt man Dingen gegenüber eine Zuneigung, die man sich selbst stets versagen würde. Es ist schön, so zu hantieren. Ich mag das gern.

Während ich zusammenpackte, klopfte es an der Tür. Eine Frau guckte herein und fragte, ob ich nicht zufällig ihre Brille im Flur oder auf der Treppe aufgelesen hätte. Als ich verneinte, sah ich, wie bekümmert die Frau war. Sie nickte nur und schloss dann die Tür. Ich hörte noch, wie sie nebenan klopfte. Gegen Mittag verließ ich das Bahia, es regnete ein wenig, ich stand auf der Straße und sagte: So! – als ob das etwas bedeutet hätte.

Ziemlich rasch fuhr ich aus der Stadt hinaus. Über den Hügeln, die die Stadt im Westen einfassen und deren Anblick mir so vertraut war, sah ich einen Regenbogen stehen. Schön und deutlich in all seinen Farben stand er gegen den Hintergrund. Auf den Hügeln waren Windräder, die sich drehten. Wein wuchs dort. Einmal erhob sich eine Wolke von Vögeln aus einem Rebberg und spielte in der Luft. Ganz golden war die Luft über den Rebbergen, die braun waren. Die Sonne wartete, halb versteckt von den Wolken.

Eine dieser Satellitensiedlungen, halb städtisch, halb in Felder und öde Flächen hineinverloren: Vor einem Italienerlokal machte ich halt. Ich stellte mich gleich an die Theke und bestellte Spaghetti. Die Fliegen, die herumkrochen, waren wie betrunken vom Küchendunst. Dem Koch rann der Schweiß unter seiner weißen Mütze hervor. Mit dem Schöpfer fasste er in den Kessel, hob die Nudeln aus dem brodelnden Wasser. Dann spritzte er Tomatensoße über die Nudeln, die eingeringelt in dem Plastikteller lagen, warf Reibkäse darüber und stellte mir den Teller hin. Ich esse gerne Spaghetti, ich esse sie jeden Tag.

Der Koch nahm dann eine Handvoll aus der Masse des Teiges, der auf dem Brett war. Und während er den Teig geschickt zu einem Fladen auswalzte und -zog, sank die Masse des Teiges auf dem Brett fast unmerklich zusammen, blähte sich wieder, und zuletzt konnte man kaum noch die Stelle erkennen, an der der Koch in den Teig gegriffen hatte.

Es waren nur wenige Leute in dem Lokal, so dass die Kellner, wenn nichts zu tun war, müßig an der Theke lehnten und miteinander plauderten. Einer von ihnen tanzte zu der Schlagermusik, die aus dem Automaten kam. Ancora tu. Ich dachte an eine Liebesgeschichte, die ich einmal erlebt hatte. Der Koch goss sich ein Glas Wein ein und trank es leer. Ich konnte meine Gedanken nicht festhalten. Man kann nichts festhalten; so viel trägt keiner. Ich legte das Geld neben meinen Teller und trat auf die Straße hinaus. Akazienbäume mit grauen Blättern säumten die Fahrbahn. In einem Hof neben dem Lokal stand eine Schaukel neben anderen Turngeräten für Kinder. Das war wohl einmal ein Kinderspielplatz gewesen.

Am späten Nachmittag kam ich an einem Atomkraftwerk vorbei. Ringsum waren grüne Wiesen, auf denen Schafe weideten. Seltsam sah das aus. In der Tiefe des umzäunten Geländes standen aufgereiht die Kühltürme aus hellem Beton. Wie vergessenes Spielzeug waren sie anzuschauen. Der Schatten des ersten fiel auf den zweiten, schnitt in exakter Kurve die fehlerlose Rundung. Ein rosiger Schimmer lag über den besonnten Flächen: so freundlich. Geschorene Rasenflächen bedeckten die zentralen Abschnitte des Geländes; Fahrwege, die in rechtwinkeligem Raster angelegt waren, durchschnitten sie. Nirgends war ein Mensch zu sehen. Ein Schlot rauchte.

Ich fuhr auf das breite Tor zu, das durch Stahlschranken gesichert war. Jetzt trat ein Mann aus dem Flachbau neben dem Tor, der wohl den Wachmannschaften als Unterkunft diente. Hallo! Was kann ich für Sie tun?

Ich wollte mir die Anlage bloß aus der Nähe …

Würde Sie interessieren? Leider: Ich darf Sie nicht hereinlassen.

Interessieren, ja, sagte ich, ein bisschen einsam hier draußen.

Man gewöhnt sich, antwortete der Mann und wandte sich wieder der Tür des Flachbaues zu.

Dann drehte er sich noch einmal um.

Mein Junge fährt auch so ein schweres Rad wie Sie, sagte er, geben Sie acht, es passiert so viel auf den Straßen.

Als ich wieder in die Hauptstraße einbog, schaute ich zu dem Kraftwerk zurück. Der Schlot rauchte. Die Schatten standen unverändert. Der Mann, oder war es ein anderer, ging jetzt an dem Beet an dem Flachbau entlang und begoss es aus einer Gießkanne. Der Himmel war blau, wolkenlos. Ich blickte kurz auf die Uhr; es war fünf Uhr. Ich überlegte: Ich hatte eine schöne Strecke zurückgelegt.

In einer Wiese, die frisch gemäht war, stand ein breitkroniger Baum. Ich stellte das Rad ab, lief zu dem Baum hin. Seine Wurzeln traten aus der Erde hervor, sie hatten den Baum gewissermaßen emporgehoben, so dass er nun auf einem Hügelchen stand in der Wiese. Dort war auch das Gras nicht geschnitten worden; das Gras war lang und seidig zwischen den Wurzeln. Ich setzte mich und roch an dem Gras. Ein leichter Wind hatte sich erhoben. Er wehte die Tagwärme herüber, die aus den Feldern stieg. Ein graues Nieseln war in der Luft, die Dämmerung. Ich ließ eine Ameise über meine Hand kriechen, lehnte mich in dem Gras zurück an den Stamm des Baumes. Droben die Blätter, die schaukelten: Wer ließ da Schnüre aus Gold und Perlen herab?

Ist es nicht seltsam, dass die Luft durchsichtig ist? Ich saß mit mir allein, es war niemand da. Ich schaute zu den Bäumen im Garten hinüber, die wuchsen. Da standen sie in dem Laub. Ich grüße euch. Ihr seid mir nahe in der Nachdenklichkeit. Ich vergaß mich. Welch wundersamer Wahnsinn ist das Allein-Sein.

Das Land, die Hügelkette drüben, die bewaldet war. Unten ging ein Fluss in Windungen hin. Dann die Felder, über denen die Luftschichten schwankten und opaleszierten. Dann die gerade Straße, an deren Rand mein Rad stand.

Du fährst eine schwere Maschine, dachte ich, nicht ohne Stolz, und deshalb: Wer die Gefahr liebt, wird in ihr umkommen.

Das Laub des Baumes rauschte. In Gedanken durchschritt ich eine flüsternde Allee. Ich sah mich zu Überlegungen verführt, die mir nur allzu vertraut waren. Ich kannte das. – Das ist ja das Schöne am Leben, dass es vergeht. – Darüber wurde ich traurig. Sollte alles Glück im Unglück liegen? Es schien so.

Ich hatte mein Geld hervorgeholt, einen ganzen Packen von Scheinen. Ich zählte sie durch. Viel Geld: Mann, wenn du Geld hast!

Ich will leben, aber es gelingt mir nicht. Die Sehnsucht, sein eigenes Ziel zu sein oder zu werden: Liegt da der Fehler? Wird das nicht geduldet, nicht erlaubt?

Ich ging dann zu dem Rad hinüber, die Sonne so leicht auf den Schultern, als wär es bloß Staub, startete und fuhr weiter. Ich fuhr schnell, eine Montur umhüllte mich: Unterwegs sein, ich durfte das.

Die Kleinstadt, in der ich schließlich anlangte: Schon brannten die Straßenlampen, die Läden hatten geschlossen. Auf dem langgestreckten Hauptplatz saßen die Leute in den Biergärten vor den Gasthäusern. Ein Murmeln war über dem Platz, ein Reden, an dem auch die Brunnen teilhatten und die Vögel, die aus den Nischen des Platzes zum Himmel aufflogen, der schon hell war vom Mond. Ich staunte. Ich konnte mich gar nicht zurechtfinden, so fremd war mir alles.

Dann setzte ich mich in einen Biergarten, aß und trank. Erst betrachteten die Kinder, deren Augen groß waren in dem späten Licht, mich, danach mein Rad. Sie liefen um das Rad herum, lachten.

Woher ich denn komme, fragte mich eines der Kinder.

Vom Süden, sagte ich.

Er kommt vom Süden, sagten die Kinder und kicherten.

Verschwindet, rief der Wirt den Kindern zu, als er mir ein zweites Bier herstellte.

Mir macht das nichts aus, sagte ich.

Man braucht seine Ruhe, antwortete der Wirt und scheuchte die Kinder mit seiner Serviette fort.

Könnte ich bei Ihnen übernachten, fragte ich.

Es sind nur einfache Zimmer, sagte der Wirt, aber Platz haben wir schon.

In dem Zimmer, das sehr groß war und einen gescheuerten Holzfußboden hatte, saß ich dann lange und schaute durch das Fenster auf den Platz hinaus. Hier war alles so anders. Es ist schön, sagte ich. Darin täuschte ich mich. Der Zauber, den das Schöne hervorruft, ist ein anderer. Hier war ich bloß fremd. Ich nahm das Fremde schon für das Schöne; wenigstens täuschte ich mich nicht ganz.

Ich öffnete dann das Fenster, beugte mich hinaus. Auf dem Platz unten war jetzt Stille, die Lampen brannten, warfen Lichtkreise, die zitterten, oder kam mir das nur so vor?

Einmal träumte ich von einem Land, das weit war, grün und weit. Bäche waren darin und Seen. Sie glitzerten. Und es war eine Art von Musik über dem Land, ein Tönen, und Bäume, Gras und Felsen standen darin wie erlöst.

Die Reise geht ans Meer, sagte ich laut in der Stille. Ich wiederholte es. Jetzt war es mir, als käme ein Flüstern aus den Nachtkronen der Bäume. Ich horchte, und ich merkte dann, dass ich mich getäuscht hatte.

Morgens schlief ich, grobbeschuhte Leute polterten durch meinen Schlaf. Ich war lange wach gelegen, hatte aus dem kleinen Lichtbereich der Nachttischlampe ins dunkle Zimmer geschaut: Das Meer? Dort war ich noch nie. Ich werde ans Meer fahren oder doch bis zum Meer.

Der Wirt schlug an die Tür, rief: Aufstehen! Jaja, sagte ich und schlief weiter.

In der Gaststube war man recht unfreundlich zu mir. Man hielt mich wohl für einen Tagedieb, und das war ich ja auch. Es war mir bloß ungewohnt, mich als solcher erkannt zu sehen: In meinem Kopf hörte ich Leute mit groben Schuhen treppauf, treppab steigen; sie polterten. Das war unfreundlich von ihnen. Ein Kind sang ein Lied. Irgendjemand muss der Katze auf den Schwanz gestiegen sein, denn sie jaulte.

Ich trank Kaffee, schaute immer wieder zur Schank hinüber, von wo aus der Wirt immer wieder zu mir herüberschaute.

Sie haben einen prächtigen Schlaf, sagte er.

Ach ja, sagte ich, wenn man Ferien macht …

Aber ich merkte schon, dass mir der Wirt das nicht glaubte. Solchen Leuten macht unsereins nichts vor. Aber ich wollte ihm gar nichts vormachen: In den Gängen meines Kopfes wurden die Fußböden gescheuert. Das kitzelte. Guss um Guss rauschte über die Dielen, ein Eimer schepperte. Das klang und wackelte. Ich ging durch die Gänge, sagte Guten Tag. Ein Kind sang ein Lied. In Töpfen standen Pelargonien. Unachtsam, wie ich war, muss ich einen der Töpfe gestreift haben, er fiel, ging in Scherben. Jetzt jaulte die Katze. Irgendjemand muss ihr auf den Schwanz gestiegen sein. Ein Schlaftrunkener? Ich?

Ich kaufte noch etwas Proviant ein, fuhr aus der Stadt fort. Von einem Hügel, der eine gute Aussicht bot, schaute ich auf ihre Dächer zurück. Ein paar Pappeln standen rund um die Kirche. Sie standen ganz still in der Windlosigkeit. So wunderte es mich nicht, dass ich die Glocken im Turm schwingen sah und doch ihr Läuten nicht hören konnte.

An einer Tankstelle ließ ich das Rad auftanken. Dabei fiel mir ein, dass ich nachschauen könnte, wie weit ich schon gefahren war. Dann kams mir kindisch vor, ich unterließ es.

Der Wind bläst den Straßenstaub über die Tankstellen. Nachts leuchten die Lichter der