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Zum neunten Mal zieht es den Autor auf die iberische Halbinsel auf einen Jakobsweg. Der Camino del Norte ist rauher als die bisherigen Wege und hält eine faustdicke Überraschung bereit ...
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Seitenzahl: 75
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Für Kerstin und Josef
Prolog
Kapitel 1 Von Bocholt nach Hondarribia
Kapitel 2 Von Hondarribia nach San Sebastián
Kapitel 3 Von San Sebastián nach Zarautz
Kapitel 4 Von Zarautz nach Deba
Kapitel 5 Von Deba nach Markina – Xemein
Kapitel 6 Von Markina – Xemein nach Gernika
Kapitel 7 Von Gernika nach Bilbao
Kapitel 8 Bilbao
Nachwort
Mal wieder alleine pilgern – das war das Ziel. Nichts gegen meine Begleiter aus den letzten Jahren. Die Zeit mit meinem Bruder Stefan auf dem Camino Inglés und mit meinen Kindern Luca, Lara und Carlo auf dem Camino Portugues beziehungsweise auf der Vía de la Plata habe ich sehr genossen. Aber es ist doch etwas anderes, ohne Begleitung zu reisen; am Anfang nicht unbedingt einfacher, im Laufe der Wanderstrecke aber dafür mit mehr Überraschungen verbunden. Neue Begegnungen ergeben sich eben schneller, wenn man nicht in der Gruppe reist – eine Binsenweisheit. Daher ging ich auch nicht weiter auf die Ausführungen von John, meinem australischen Pilgerbruder aus Melbourne und Begleiter auf der Vía de la Plata von Puebla de Sanabria nach Ourense ein. John schrieb, dass er in diesem Jahr entweder mit seiner Frau Joan den Englischen Weg laufen wolle – wenn sie sich traut – oder wenn nicht, den Camino de la Costa. Im letzten Herbst hatten die Beiden uns in Bocholt besucht. Ich habe John versprochen, ihm meinen Bildband vom Camino Inglés zu schicken, sobald er gedruckt ist. Vielleicht kann ich damit einen Beitrag leisten, dass sein lang gehegter Wunsch, mit seiner Frau zu pilgern, in Erfüllung geht.
Wie aber ist es dazu gekommen, dass mein diesjähriger Jakobsweg mich auf den Camino de la Costa oder anders genannt den Camino del Norte geführt hat? Nun, welche Wege kamen überhaupt in Frage, nachdem ich Teile vom Camino Francés, dem Camino Portugues, der Vía de la Plata und dem Camino Inglés kennengelernt hatte? Vom Camino de Levante, der von Valencia nach Santiago verläuft, habe ich von Mitpilgern erfahren, dass er logistisch nicht besonders gut ausgestattet sei. Motivation erhielt ich allerdings durch den Film, den mir Alois aus Niederbayern (ich begegnete ihm mit Lara in Ponte Ulla auf der Vía de la Plata) von seinem Weg durch die La Mancha geschickt hatte - vor meinem geistigen Auge Rosinante mit ihrem Reiter Don Quichotte. Der Camino Primitivo, der älteste Jakobsweg von Oviedo über die Berge nach Galicien wäre eine Option, eventuell auch der Mozarabische Weg in Andalusien oder eben der Küstenweg von der französischen Grenze aus.
Kerstin und ich hatten schon lange den Wunsch, Josef, ihrem Stiefvater eine Reise seiner Wahl zu ermöglichen. Christel, Kerstins Mutter - obwohl geistig topfit - ist leider körperlich nicht mehr im Stande, ihren Mann auf einer solchen Reise zu begleiten. Josef ist als Verwaltungsbeamter immer mit seiner Heimatstadt Gelsenkirchen verwachsen gewesen. Wenn es ihm möglich war, hat er sie für ein paar Tage oder Wochen verlassen, um Städte und Landschaften in Europa kennenzulernen. Obwohl er selten außerhalb Europas war, kennt er sich in der Welt aus, als hätte er sie ein Leben lang bereist.
So fragten wir Josef, der sich rührend um Christel kümmert, am Heiligen Abend: „Wenn Du einen Herzenswunsch hast, Josef, wohin würdest Du am liebsten reisen?“Er musste nicht lange überlegen: „Bilbao!“, rief er uns zu. „Und wenn wir dann noch die Gelegenheit hätten, den Muschelstrand von San Sebastián zu sehen, wäre mein Reiseglück perfekt.“ Wieder einmal waren wir verblüfft von seinen geographischen Detailkenntnissen. Playa de la Concha? Davon habe ich erstmalig bei der Vorbereitung zu meinen Caminowanderungen gelesen.
Alea jacta est... die Würfel sind gefallen. Den Weg von Irun nach Bilbao hatte ich mir schon einige Male in den Reiseführern von Cordula Rabe und Raimund Joos angesehen, war mir aber bisher nicht ganz sicher, ob ich im Stande bin, ihn zu gehen bzw. zu erklettern. „Der Küstenweg ist besonders bis Bilbao anstrengend, da der Pilger größere Höhenunterschiede zu bewältigen hat, als auf allen anderen Jakobswegen. Wer körperlich nicht so fit ist, dem ist anzuraten, nicht mit dem Küstenweg anzufangen“, schreibt Joos. Sicher bin ich mir immer noch nicht, ob ich ihn schaffen kann, aber jetzt muss - nein will ich da durch. War es auf der Vía de la Plata der Kampf mit der Einsamkeit, so ist es jetzt die körperliche Herausforderung, die den Weg auszeichnet. Was soll`s – erstens ist es nicht mein erster Jakobsweg und zweitens fühle ich mich körperlich und mental gut aufgestellt. Survival of the fittest? Mal schauen, ob ich dabei bin! „Auf dem Weg finden sich auch nicht wenige, innerlich jung gebliebene Senioren, welche über genügend Freizeit verfügen und den Weg nutzen, ihren hart verdienten Lebensabend in vollen Zügen zu genießen und so vorwärtsschreitend Rückschau auf ihr langes Leben zu nehmen“, schreibt Joos an anderer Stelle über Jakobswege im Allgemeinen. Ob er Leute, wie mich meint? Einiges kann ich unterschreiben, aber Lebensabend und genügend Freizeit? Nein, das ist hoffentlich noch ein bisschen hin.
Der Plan jedenfalls ist der, dass ich im Juni eine Woche die 140 km von Irun beziehungsweise Hondarribia nach Bilbao pilgere und dann in Bilbao auf Kerstin und Josef treffe. Vielleicht sollte ich mir endlich mal ein paar Stöcke zulegen. Neue Wanderschuhe besitze ich ja schon – diese haben mir die Kinder zu Weihnachten geschenkt. Eines ist klar: Mit dem Profil der alten Botas würde ich nicht mehr weit kommen. Na dann...Ultreia! Auf, immer weiter nach Santiago - wie es seit jeher auf dem Camino heißt.
Der Regionalzug zum Flughafen nach Düsseldorf ist pünktlich. Zu einer christlichen Zeit um acht Uhr startet er von meiner Heimatstadt Bocholt aus. Für eine Woche verabschiede mich am Bahnhof von Kerstin.
Mein Gott, wie oft bin ich mittlerweile schon nach Spanien oder Portugal geflogen, um einen Jakobsweg zu laufen. Ich rechne nach, es ist das neunte Mal. Hört das Kribbeln vor der Abreise irgendwann mal auf? So ein alter Hase wie ich müsste doch allmählich ein solches Projekt etwas ruhiger angehen können. Ich weiß, wenn ich einmal auf dem Weg bin, ist alles gut. Klar – es wird wieder irgendwelche Überraschungen geben, ich werde morgens noch nicht wissen, wo ich abends unterkomme, ich werde mal allein, mal mit mir bisher unbekannten Menschen auf dem Weg sein, ich werde meinen Körper mehr spüren, als üblich und mein Gehirn wird sich mit irgendwelchen Dingen auseinandersetzen, von denen ich jetzt noch nichts ahne. Das nicht Vorhersehbare, diese nicht planbaren, spannenden Momente, – das genau ist es, was mich reizt, was ich immer wieder suche. Das Kribbeln gehört scheinbar dazu, wie die Wellen zum Meer. Kerstin spürt es und gibt mir noch ein paar warme, beruhigende Worte mit auf den Weg.
Im Zug sitzt mir eine Frau in meinem Alter gegenüber, die sich mit ihrer attraktiven Tochter auf eine Shoppingtour auf der Kö in Düsseldorf freut. Junge, ausgelassene und fröhliche Burschen mit ihren originellen, lustig beflockten T–Shirts bereiten sich mit einem Bier in der Hand genüsslich auf ihren Ausflug nach Mallorca vor. Jeder von uns hat sein Ziel, auch wenn es mit völlig unterschiedlichen Erwartungen verbunden ist.
Auf dem Flughafen bin ich gespannt, ob ich mit den neuen Karbonstöcken durch die Kontrolle komme. Sie ließen sich auf die Höhe des Rucksackes zusammenziehen, sodass ich sie problemlos verstauen konnte. Vorherige Recherchen waren nicht ganz eindeutig, ob sie ins Handgepäck dürfen oder nicht. Die Sicherheitskontrolle verläuft schnell und ohne Beanstandungen.