Von Rollstühlen, Hotelzimmern und Mosaiksteinen - Lisbeth Born - E-Book

Von Rollstühlen, Hotelzimmern und Mosaiksteinen E-Book

Lisbeth Born

0,0

Beschreibung

Die Autorin blickt in diesem Buch auf ein vielfältiges, abwechslungsreiches Berufsleben zurück. Ist sie nun Sozialarbeiterin, Innenarchitektin, Hotelfachfrau oder Unternehmerin? Der Titel deutet es an: Sie lässt sich nicht in eine Schublade zwängen. Dank ihrer unerschöpflichen Neugier und Lust an neuen Herausforderungen taucht sie immer wieder in neue Arbeitsfelder ein. Und so entsteht vor uns ein bunter Reigen spannender Geschichten aus dreissig Jahren beruflichem und ehrenamtlichem Engagement.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 69

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für meine KinderThomas, Selina und David

INHALTSVERZEICHNIS

Flüchtlinge unterstützen

Neues lancieren

Politisch tätig sein

Personal führen

Bauen und wohnen

Ökologischer Fussabdruck minimieren

Die Tourismusbranche

Ausblick und Dank

Flüchtlinge unterstützen

Soziales Engagement wurde mir gewissermassen in die Wiege gelegt. Zeitlebens kümmerte sich meine Mutter, neben vier angenommenen und fünf eigenen Kindern, zusätzlich um Pflege- und Gastkinder, ältere Menschen, Flüchtlinge und Beeinträchtigte. Immer stand das Wohl der anderen im Vordergrund und ihre persönlichen Bedürfnisse mussten zurückstehen. Ihr beispielhaftes Vorbild war sicher mitverantwortlich dafür, dass ich die Ausbildung zur Sozialarbeiterin absolvierte.

Während des Balkankrieges* erreichte das soziale Engagement meiner Mutter seinen Höhepunkt. Da meine Familie seit den Siebzigerjahren die Ferien oft auf der ehemals jugoslawischen Insel Brač verbrachte, hatten wir dort mittlerweile viele Freunde und Bekannte. Für diese sammelte meine Mutter Kleider- und Geldspenden, richtete für bosnische Flüchtlinge, die auf der kroatischen Ferieninsel gestrandet waren, Patenschaften ein oder organisierte private Hilfstransporte ins Kriegsgebiet, um die Menschen vor Ort mit Medikamenten und dem Lebensnotwendigsten zu versorgen.

Die Wohnung meiner Eltern glich über eine lange Zeit einem Materiallager. Rundherum türmten sich Kleider, Schulmaterial, Spielzeug, haltbare Lebensmittel und wichtige Haushaltartikel, welche meine Mutter fein säuberlich zu Hilfspaketen zusammenstellte.

*Die Jugoslawienkriege, auch Balkankriege genannt, waren eine Serie von Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, die von 1991 bis 2001 geführt wurden und mit dem Zerfall des Staates verbunden waren.

Nach Volksabstimmungen erklärten im Juni 1991 die jugoslawischen Teilstaaten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit. Im Laufe der Konflikte versuchte die Jugoslawische Volksarmee diese Unabhängigkeitsbestrebungen militärisch zu vereiteln. Dadurch kam es 1991 zum 10-Tage-Krieg in Slowenien, sowie zum bis 1995 dauernden Kroatienkrieg. Nach der Unabhängigkeitserklärung von Bosnien und Herzegowina im März 1992 begann der bis 1995 dauernde Bosnienkrieg.

Infolge des beginnenden Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien sowie der damit verbundenen kriegerischen Auseinandersetzungen besonders in Kroatien wuchsen in den Jahren 1990 und 1991 auch die Spannungen zwischen den Ethnien in Bosnien und Herzegowina. Während große Teile der serbischen Bevölkerung für einen Verbleib in der jugoslawischen Föderation und einen engen Verbund mit Serbien plädierten, gab es insbesondere bei den Bosniaken den Wunsch, einen eigenen unabhängigen Staat zu bilden. Kroaten aus der westlichen Herzegowina wollten sich stärker an Kroatien anlehnen beziehungsweise sich dem neuen kroatischen Staat anschließen. Die Spannungen eskalierten nach der Ankündigung eines Referendums über die Unabhängigkeit der Republik Bosnien und Herzegowina und der Ausrufung einer bosnisch-serbischen Republik. Es begann die vier Jahre dauernde militärische Eskalation zwischen den Konfliktparteien, in deren Folge viele Flüchtlinge, vor allem aus Bosnien, in die Schweiz kamen. (aus Wikipedia)

Das Sammellager im Bastelraum

Natürlich unterstützten auch meine Geschwister und ich diese Aktionen, wo wir konnten. 1994 wollte ich nach zehnjähriger Familienpause wieder ins Berufsleben einsteigen. Dabei verhalfen mir wohl vor allem der persönliche Bezug zum ehemaligen Jugoslawien und das familiäre Engagement für Flüchtlinge zu der Stelle als Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsbetreuung.

*

Als auf dem Balkan der Krieg ausbrach, kamen innerhalb kürzester Zeit viele Flüchtlinge aus Bosnien in die Schweiz und erhielten hier den Flüchtlingsstatus.

Die Flüchtlingsdienste der Zürcher Hilfswerke, die im Auftrag des Bundes die anerkannten Flüchtlinge* betreuten, hatten weder die personellen noch die räumlichen Kapazitäten, plötzlich so viele neue Personen zu übernehmen.

*Anerkannte Flüchtlinge (Ausweis B) sind Personen, deren Flüchtlingseigenschaft anerkannt wird und die in der Schweiz Asyl erhalten. Mit dem positiven Asylentscheid erhält die Person die Aufenthaltsbewilligung B und nach 5 Jahren automatisch die Niederlassung, den Ausweis C.

Die Plattform der Zürcher Hilfswerke beschloss daher, die Betreuung der bosnischen Flüchtlinge im Kanton Zürich zentral und ausgelagert zu organisieren. Zu diesem Zweck wurde Mitte 1993 der Flüchtlingsdienst Bosnien gegründet.

Anfangs in einem kleinen Büro mit fünf Mitarbeitenden, wurde die Fachstelle sehr schnell ausgebaut. Dies war meine Chance, denn ich war per sofort verfügbar und erhielt trotz fehlender Berufserfahrung die Stelle.

Drei Jahre und zwei Umzüge später, auf dem Höhepunkt der Krise, beschäftigte der Flüchtlingsdienst vierzehn Personen, welche die rund tausend dem Kanton Zürich zugeteilten Männer, Frauen und Kinder aus Bosnien begleiteten und in allen Lebenslagen unterstützten.

Diese Hilfswerk-übergreifende Betreuung war neu und den vielen in kurzer Zeit ankommenden Flüchtlingen geschuldet. Die Arbeit mit einer einzigen Ethnie ermöglichte unserem Team, besondere Arbeitsweisen anzuwenden und zusammen mit den Betroffenen Gruppenangebote zu entwickeln.

Unsere Begleitung ging weit über das damals übliche Mass hinaus. Wir organisierten beispielsweise jährlich ein Sommerlager für die Kinder, boten Computerkurse für die Stellensuchenden an oder entwickelten besondere Berufsvorbereitungskurse für die Jugendlichen. Ausserdem gaben wir eine interne Zeitung heraus. Alle Mitarbeitenden des Flüchtlingsdienstes Bosnien engagierten sich zusätzlich zur Einzelfallhilfe in einer der spezifischen Arbeitsgruppen.

Die innovativen Ansätze und die Projektarbeit wirkten sich auch auf unsere Zusammenarbeit und den Teamgeist aus. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, die auch ausserhalb der Büros einen persönlichen Austausch pflegte und viel Spass hatte.

Für mich als Berufseinsteigerin war diese Stelle ideal und ermöglichte mir vielfältige Erfahrungen. Sozialarbeit ist in der Regel auf eine einzelne Zielgruppe oder eine ganz spezifische Problematik ausgerichtet. Im Gegensatz dazu war ich in der Begleitung von Flüchtlingen für das ganze Altersspektrum, vom Kleinkind bis zu Pensionierten zuständig. Ausserdem hatte ich mit Themen zu tun, die einen Querschnitt durch alle Lebensbereiche darstellten: Schule, Arbeit, Gesundheit, Finanzen, Freizeit und Beziehung.

Die meisten dieser bosnischen Flüchtlinge hatten Schreckliches erlebt. Sie mussten von heute auf morgen ihr gewohntes Leben, ihren Beruf, ihre Liebsten und ihr Hab und Gut zurücklassen und kamen in einem Land an, in dem alles neu für sie war.

Wir Sozialarbeitenden waren oft die ersten Bezugspersonen dieser Familien und halfen ihnen in der Schweiz Fuss zu fassen. Dafür waren sie uns äusserst dankbar, was sie unter anderem damit ausdrückten, dass sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit für uns kochen wollten.

Nicht selten kam ich zu einem Hausbesuch, und auf dem Couchtisch im Wohnzimmer war ein komplettes Menü für mich bereit. Nicht nur, dass ich zu allen möglichen und unmöglichen Tageszeiten essen sollte, war es auch oft so, dass nur das Familienoberhaupt mit mir zusammen ass. Die Frauen und Kinder sassen in gebührendem Abstand. Dies war für mich eine eher peinliche und unangenehme Situation, aber halt dieser Kultur geschuldet.

Ich habe nicht gezählt, wie viele Pitas mit Spinat, Käse oder Hackfleisch (bosnisches Nationalgericht) und Baklavas (sehr süsses Honiggebäck) ich während meinen vier Arbeitsjahren beim Flüchtlingsdienst Bosnien gegessen habe. Es zählte keine Ausrede. Wenn ich nicht alles aufgegessen hatte, wurden die Reste eingepackt und mir für die Familie zu Hause mitgegeben.

Dazu oftmals als besonderes Dankesgeschenk noch ein kunstvoll angefertigtes Spitzendeckchen. Diese traditionell bosnische Handwerkskunst wird von den meist älteren Frauen mit grosser Geduld und Perfektion ausgeübt.

Bosnisches Handwerk

Leider war der Flüchtlingsdienst Bosnien vom Auftrag her auf fünf Jahre befristet. So hiess es denn im Herbst 1998, eine komplette Fachstelle mit Büroräumlichkeiten, Infrastruktur und Personal von hundert auf null aufzulösen. Da der damalige Geschäftsleiter, bereits einige Monate vor Abschluss des Projektes eine neue Stelle fand und wegging, lag es an mir, als seine Stellvertreterin, diese Totalliquidation zu managen.

Über Wochen wurde im ganzen Team geplant, organisiert, wurden Aufgaben verteilt. Mehr als dreihundert Klientendossiers mussten archiviert oder an andere Sozialdienste übergeben werden. Ich kündigte alle Miet-, Service- und Arbeitsverträge, und wir verschenkten oder verkauften sämtliche Möbel und EDV-Geräte, die nicht von den weiterführenden Diensten gebraucht wurden. Ganz zum Schluss veranstalteten wir einen Hausflohmarkt, um auch noch das Büromaterial, die Fachliteratur, Küchenausstattung und weiterer Krimskrams loszuwerden.

Kurzum, am 30. September 1998 schloss ich komplett leer geräumte Büroräumlichkeiten hinter mir ab und beendete damit dieses Kapitel. Diese Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Auflösung waren für mich als Newcomerin noch sehr ungewohnt, nicht immer nur einfach, aber äusserst spannend und lehrreich.

Natürlich wurde das Ende des Flüchtlingsdienstes auch zusammen mit den Klienten gebührend begangen. Wir feierten ein grosses Fest nach «Balkan-Art», mit vielen kulinarischen Spezialitäten, traditioneller Musik und grosser Wehmut von allen Seiten.

*

Ich blieb anschliessend weiterhin im Migrations-und Integrationsbereich tätig. Die nächsten rund sieben Jahre arbeitete ich beim Hilfswerk der evangelischen Kirchen HEKS* in Zürich, zunächst wieder als Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsbetreuung, dann als Leiterin des Flüchtlingsdienstes.

*HEKS ist das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz. Mit seinen Projekten im In- und im Ausland setzt sich HEKS für eine menschlichere, gerechtere Welt und ein Leben in Würde ein. Im Ausland fokussiert HEKS seine Tätigkeit auf die Entwicklung ländlicher Gemeinschaften, die humanitäre Hilfe und die kirchliche Zusammenarbeit. In der Schweiz setzt sich HEKS für die Rechte und die Integration von Flüchtlingen und sozial benachteiligten Menschen ein. (Website HESK)