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Beschreibung

Die Zunahme der Häufigkeit und Schwere von Hitzeextremen ist eine der greifbarsten Folgen des Klimawandels mit unmittelbaren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Der Herausgeberband informiert über die physiologischen und pathophysiologischen Abläufe bei Hitze im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Entwicklungs- und Alterungsprozessen, Medikation, Erkrankungen und Beeinträchtigungen sowie über notwendige Interventionen in den Settings der Gesundheitsversorgung und der Pflege unter Berücksichtigung der Evidenz. Dabei greift das Werk auch Fragen der Anpassung von Gebäuden sowie des Arbeitsschutzes auf, um Krankenhäuser sowie Pflege- und Versorgungseinrichtungen in die Lage zu versetzen, einen umfassenden Hitzeaktionsplan für ihre Einrichtung zu entwickeln.

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Seitenzahl: 378

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Die Herausgeberinnen

Prof. Dr. med. Henny Annette Grewe, Professorin i. R. für Medizinische Grundlagen an der Hochschule Fulda. Gründete 2008 die Forschungsgruppe Klimawandel und Gesundheit an der Hochschule Fulda und arbeitet seitdem zu Fragen der Anpassung von Kommunen, Ländern und Gesundheitseinrichtungen an die Folgen des Klimawandels, insbesondere an die gesundheitlichen Auswirkungen von Hitze.

Prof. Dr. phil. Beate Blättner (verst.), Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Fulda, war seit 2008 Mitglied der Forschungsgruppe Klimawandel und Gesundheit an der Hochschule Fulda. Ihre Arbeiten fokussierten Fragen der Beziehung zwischen sozialer Benachteiligung und der gesundheitlichen Gefährdung durch Hitze sowie der Anpassung von gesellschaftlichen und organisationalen Rahmenbedingungen für einen wirksamen Hitzeschutz.

Henny Annette Grewe/Beate Blättner (Hrsg.)

Vor Hitze schützen

Ein Handbuch für Pflege- und Gesundheitseinrichtungen

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2024

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-040844-9

 

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-040845-6

epub:    ISBN 978-3-17-040846-3

Vorwort

Als der Kohlhammer Verlag mit seiner Idee auf uns zukam, ein Buch zum Hitzeschutz für Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen zu schreiben, haben wir gerne zugesagt. Diese Zustimmung resultierte aus unserer jahrelangen Beschäftigung mit Hitzeaktionsplänen und den sich in diesem Kontext immer wieder stellenden Fragen nach der wissenschaftlichen Fundierung einer Vielzahl von Empfehlungen, die in derartigen Plänen und Konzepten zu finden sind. Unser Anliegen war und ist es, den Sachstand mit all seinen Lücken aus dem Blickwinkel der Anwendung, d. h. derjenigen, die Hitzeschutzpläne erstellen, umsetzen und verantworten, darzustellen.

Beim Schreiben dieses Buches wurden wir immer wieder in unserer Annahme bestätigt, dass die Wissenslücken auch zentrale Fragen betreffen – angefangen von einer für meteorologische Laien handhabbaren Definition von Hitze über Fragen der »richtigen« Ernährung, tolerable Innenraumtemperaturen oder die Sinnhaftigkeit verschiedener Methoden zur Kühlung von Räumen oder Personen. Neben Wissenslücken adressiert das Buch auch Lücken in den vorhandenen Regelwerken, unter anderem zur Gebäudeanpassung und im Arbeitsschutz. Die Aufbereitung dessen, was uns an wissenschaftlichen Erkenntnissen und normativen Vorgaben zur Verfügung bzw. nicht zur Verfügung steht, soll dazu ermutigen, adressatenorientiert und kreativ in der Entwicklung eigener Hitzeschutzpläne zu sein, ihre Umsetzung systematisch zu evaluieren und neue Erkenntnisse für ihre Weiterentwicklung zu gewinnen.

Wir hoffen, dass das Beispiel eines seit Jahren in einer stationären Pflegeeinrichtung gelebten Hitzeschutzplans unser Anliegen illustriert, und danken Debora Janson für die Aufbereitung der Daten. Unser Dank gilt weiterhin dem Kohlhammer Verlag, insbesondere Alexandra Schierock-Aberle und Anne-Marie Bergter für ihre geduldige und konstruktive Begleitung dieses Vorhabens.

Beate Blättner hat die Konzeption dieses Buches maßgeblich verantwortet, die Entstehung der ersten Kapitel begleitet und einige selbst verfasst. Die Theoriefundierung präventiven Handelns war ihr immer wichtig und spiegelt sich auch in diesem Buch, dessen Erscheinen sie nicht mehr erleben konnte. Wir hoffen, Verantwortlichen und Mitarbeitenden in den unterschiedlichen Settings der Gesundheitsversorgung und der Pflege einen Orientierungsrahmen für einrichtungsspezifische Hitzeschutzkonzepte geben zu können, den aktuellen Erkenntnisstand für Lehrende, Auszubildende und Studierende nutzbar zu machen und nicht zuletzt Forschende anzuregen, zur Schließung der bestehenden Wissenslücken für einen umfassenden und evidenzbasierten Hitzeschutz beizutragen.

Fulda und Frankfurt, im Juni 2023,

Henny Annette Grewe

Anna Grundel

Vanessa Holt

Dea Niebuhr

Katharina Rathmann

Hendrik Siebert

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1         Grundlagen

1.1      Klimawandel, Hitze und Gesundheit

Beate Blättner und Henny Annette Grewe

1.1.1     Klimawandel

1.1.2     Hitzeextreme und gesundheitliche Folgen

1.1.3     Fazit

1.2      Physiologische Veränderungen bei Hitze

Henny Annette Grewe

1.2.1     Physikalische und physiologische Grundlagen

1.2.2     Temperaturerfassung und zentrale Temperaturverarbeitung

1.2.3     Autonome Antworten auf thermische Reize

1.2.4     Thermoregulatorisches Verhalten

1.2.5     Beanspruchung und Gewöhnung

1.2.6     Pathophysiologie der Überhitzung

1.2.7     Fazit

1.3      Präventionsstrategien

Beate Blättner

1.3.1     Informiert sein ist nur eine Voraussetzung für Handeln

1.3.2     Klimaanpassung erfordert komplexe Interventionen

1.3.3     Hitzeaktionspläne von Ländern und Kommunen

1.3.4     Entwicklung einrichtungsspezifischer Maßnahmenpläne

1.3.5     Fazit

2         Praxis des Hitzeschutzes

2.1      Das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes

Henny Annette Grewe und Dea Niebuhr

2.1.1     Hitzewellen und Hitzewarnsysteme

2.1.2     Wärmebelastung als Warnkriterium

2.1.3     Das Phänomen der Schwüle

2.1.4     Fazit

2.2      Vor dem Sommer

Henny Annette Grewe und Vanessa Holt

2.2.1     Die räumliche Umgebung vorbereiten

2.2.2     Die Vulnerabilität der betreuten Personen verringern

2.2.3     Die gesundheitliche Versorgung anpassen

2.2.4     Fazit

2.3      Akutmaßnahmen

Henny Annette Grewe und Hendrik Siebert

2.3.1     Hitzebedingte Erkrankungen erkennen und richtig handeln

2.3.2     Räume kühl halten

2.3.3     Für gute physiologische Verhältnisse sorgen

2.3.4     Die Körpertemperatur regulieren

2.3.5     Fazit

2.4      Langfristige Maßnahmen

Henny Annette Grewe und Hendrik Siebert

2.4.1     Rechtsrahmen für den sommerlichen Wärmeschutz

2.4.2     Sommerlicher Wärmeschutz

2.4.3     Gebäudekühlung

2.4.4     Begrünung

2.4.5     Fazit

2.5      Monitoring und Evaluation

Hendrik Siebert

2.5.1     Monitoring als Element von Hitzeaktionsplänen

2.5.2     Monitoring auf der Ebene der einzelnen Einrichtung

2.5.3     Datenerfassung als anspruchsvoller Prozess

2.5.4     Indikatoren als Kern eines Monitorings

2.5.5     Monitoring als Instrument der Evaluation

2.5.6     Fazit

3         Spezielle Settings und Betroffenengruppen

3.1      Hitzeaktionspläne für stationäre Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser

Anna Grundel und Henny Annette Grewe, unter Mitarbeit von Debora Janson

3.1.1     Einen Hitzeaktionsplan erarbeiten und implementieren

3.1.2     Kontextfaktoren der Einrichtung berücksichtigen

3.1.3     Hitzeschutzmaßnahmen planen

3.1.4     Personengruppen, die im Hitzeaktionsplan berücksichtigt werden sollten

3.1.5     Fallbeispiel einer stationären Pflegeeinrichtung in Hessen

3.1.6     Fazit

3.2      Hitzeschutz und Beratung in ambulanten Settings

Henny Annette Grewe und Anna Grundel

3.2.1     Merkmale ambulanter Versorgung

3.2.2     Hitzeschutz in der Häuslichkeit vulnerabler Personen

3.2.3     Hitzeschutz in ärztlichen und therapeutischen Praxen

3.2.4     Beratung zum Hitzeschutz

3.2.5     Fazit

3.3      Betreuung von Schwangeren und jungen Familien

Vanessa Holt und Beate Blättner

3.3.1     Risiken von Hitzeextremen für Schwangere, Neugeborene und Säuglinge

3.3.2     Besonderheiten der Thermoregulation in der Schwangerschaft, bei Neugeborenen und Säuglingen

3.3.3     Beratung und Begleitung werdender und junger Eltern

3.3.4     Fazit

3.4      Hitzeschutz für Menschen mit Beeinträchtigungen

Katharina Rathmann und Henny Annette Grewe

3.4.1     Beeinträchtigung und Behinderung

3.4.2     Prävalenz und Wohnsituation von Menschen mit Beeinträchtigung und Behinderung

3.4.3     Kindertageseinrichtungen, (Förder-)Schulen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM)

3.4.4     Vulnerabilität gegenüber Hitze durch Beeinträchtigung oder Behinderung

3.4.5     Inklusion im Hitzeschutz

3.4.6     Fazit

3.5      Arbeitsschutz bei Hitzeextremen

Henny Annette Grewe und Dea Niebuhr

3.5.1     Hitze und Leistungsfähigkeit

3.5.2     Arbeitsschutz und Hitzeperioden: Der rechtliche Rahmen

3.5.3     Arbeitsschutz und Hitzeperioden: Regeln, Informationen, Normen

3.5.4     Arbeitsschutz und Hitzeperioden: Die Umsetzung

3.5.5     Fazit

Literatur

Zusatzmaterial zum Download

Die Autorinnen, die Autoren

Stichwortverzeichnis

Einleitung

In seinem Gutachten 2023 kritisiert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR Gesundheit) die »im internationalen Vergleich inakzeptabel hohen, hitzebedingten Todeszahlen« in Deutschland und empfiehlt »die Umsetzung von Maßnahmen, um das Thema Hitzefolgen und Hitzeschutz in verschiedenen gesundheitlichen, gesellschaftlichen und politischen Bereichen verstärkt einzubeziehen« (SVR Gesundheit 2023, S. 568). Mit seinen Empfehlungen reiht sich der Sachverständigenrat in eine Abfolge von Positionspapieren, Beschlüssen und Empfehlungen ein, die in den letzten Jahren erschienen sind und in diesem Sommer in die Erklärung des Bundesgesundheitsministeriums mündeten, den Hitzeschutz in Deutschland verbessern zu wollen. Als ein Schlüsseldokument auf dem Weg dahin können die 2017 veröffentlichten Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit, erarbeitet von einer Ad hoc-Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern des Bundes und der Länder, gelten. Sie übertrugen die Empfehlungen der WHO Europa aus dem Jahr 2008 auf den deutschen Kontext. Sowohl die WHO-Empfehlungen als auch die deutschen Handlungsempfehlungen schreiben den Institutionen im Gesundheits- und Sozialwesen eine zentrale Bedeutung für einen umfassenden und nachhaltigen Hitzeschutz zu, weisen in diesem Zusammenhang jedoch ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer adäquaten Vorbereitung aller Beschäftigten hin. Dazu will dieses Buch einen Beitrag leisten, der sich nicht auf die Empfehlung von Maßnahmen beschränkt, sondern einen kritischen Blick auf ihre jeweilige wissenschaftliche Basis wirft.

Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert. Die ersten drei Kapitel führen mit Hintergrundinformationen zum Klimawandel und hier explizit zum Phänomen der Hitzewellen, zur Thermophysiologie des Menschen unter Fokussierung innerer und äußerer Wärmebelastung und zu den Strategien und Konzepten präventiven Handelns in die Dimensionen des Hitzeschutzes im Gesundheitswesen ein. Bewusst haben wir uns dafür entschieden, alle Themen aus dem Blickwinkel der Praxis der Pflege- und Gesundheitsversorgung zu beleuchten. Die jeweilige Relevanz für das präventive Handeln ist somit bei allen dargestellten Aspekten leitend. Dass Strategien und Konzepte des Hitzeschutzes, in welcher Einrichtung auch immer sie entwickelt werden, Erkenntnisse der Präventionsforschung berücksichtigen, ist uns ein besonderes Anliegen, weil es sich beim Hitzeschutz um komplexe Interventionen handelt, die sorgfältig geplant, verlässlich umgesetzt, regelmäßig evaluiert und kontinuierlich weiterentwickelt werden müssen (Kap. 1.1, Kap. 1.2, Kap. 1.3).

Um Hitzewarnungen, vorbeugende Maßnahmen für die Sommerzeit, das akute Handeln in Hitzeperioden und bei Notfällen, die mittel- oder langfristig angelegte Gebäudesanierung und die Evaluierung dessen, was man kurz-, mittel- oder langfristig tut, geht es im zweiten Teil des Buches (Kap. 2). Die Gliederung dieses Abschnitts lehnt sich an die Empfehlungen der WHO Europa und die bundesdeutschen Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänenan. Zu den Kernelementen beider Empfehlungen gehört die Nutzung eines Hitzewarnsystems. Der Deutsche Wetterdienst bietet nicht nur ein auf einem bioklimatischen Index beruhendes Hitzewarnsystem an, sondern darüber hinaus Vorwarnungen und andere Informationen, die in der Vorbereitung auf Hitzeereignisse wertvoll sind und im Kapitel 2.1 vorgestellt werden (Kap. 2.1).

Zu welchen Zeitpunkten welche Vorbereitungen sinnvoll sind und was in der Akutsituation einer Hitzeperiode zu tun ist, wird in den Kapiteln 2.2 und 2.3 diskutiert (Kap. 2.2, Kap. 2.3). Dabei wird in der Zusammenstellung des Erkenntnisstandes deutlich, wie lückenhaft die Datenlage noch ist, wie viele Aspekte allgemein empfohlener Maßnahmen noch auf den Beweis ihrer Wirksamkeit warten und dass viele Maßnahmen, abgeleitet vom physikalischen und thermophysiologischen Erkenntnisstand, dennoch als sinnvoll eingeschätzt werden können. Auch wird deutlich, dass der Reduktion der Exposition eine Schlüsselrolle im Hitzeschutz zukommt bzw. zukommen müsste, und dies sinnvollerweise auf Dauer. Auf Dauer angelegte Interventionen zur Reduktion der Exposition gegenüber Hitze führen unweigerlich zu Überlegungen, wie die Aufenthaltsorte der betreuten Personen und der Beschäftigten, d. h. die Gebäude und Außenbereiche, zu einem besseren Hitzeschutz ertüchtigt werden können.

In Kapitel 2.4 werden die rechtlichen Rahmenbedingungen und prinzipielle Ansätze für eine Verbesserung des sommerlichen Wärmeschutzes von Gebäuden aufgezeigt, nicht ohne die unter Klimaschutzgesichtspunkten kontrovers zu diskutierende Gebäudekühlung zu thematisieren (Kap. 2.4). Kapitel 2.5 gibt Anregungen, wie die Wirkung von Maßnahmen zum Hitzeschutz in Indikatoren gefasst und diese in ein Monitoring- bzw. Evaluationskonzept eingebunden werden können (Kap. 2.5).

Der dritte Teil des Buches beleuchtet zunächst die Settings der pflegerischen und gesundheitlichen Versorgung, unterteilt in stationäre und ambulante Versorgungskonstellationen. In den Kapiteln 3.1 und 3.2 geht es um die spezifischen Herausforderungen und Lösungsansätze, die sich für die Umsetzung von Hitzeschutzkonzepten in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und in ambulanten Betreuungsarrangements wie ärztlichen und therapeutischen Praxen, der ambulanten Pflege, aber auch in der Beratung Betroffener und ihrer Angehörigen ergeben (Kap. 3.1, Kap. 3.2).

Deutlich wird, dass das vermeintlich immer Gleiche doch immer anders ist, dass alleine das korrekte Lüften im Gelingen von vielen Kontextfaktoren abhängt und zu einer komplexen Einzelmaßnahme wird, sobald das Setting, in dem es stattfinden soll, genauer betrachtet wird. Als komplexe Herausforderung erweist sich Hitzeschutz auch in der Betreuung von Säuglingen und in der Begleitung von Schwangeren, die die Fürsorge für das ungeborene Leben einschließt, und nicht zuletzt in der Betreuung der heterogenen Gruppe der Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Die Kapitel 3.3 und 3.4 gehen auf den Erkenntnisstand zu ihren besonderen Risiken ebenso ein wie auf die Möglichkeiten, trotz des gegenwärtig begrenzten Wissens sinnvolle Schutzstrategien zu entwickeln und umzusetzen (Kap. 3.3, Kap. 3.4).

Diese Schutzstrategien umfassen auch den Arbeitsschutz, dem das Kapitel 3.5 gewidmet ist (Kap. 3.5). Maßnahmen des Arbeitsschutzes bei Hitze in den Einrichtungen der Pflege und der Gesundheitsversorgung finden ihre Legitimation bislang nur in wenigen staatlichen Verordnungen oder Regelungen der zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger, und auch diese sind vage formuliert und bilden die Vielschichtigkeit der Arbeitsanforderungen und der potentiellen Hitzebelastungen in den unterschiedlichen Versorgungssettings nicht ab. Dennoch können Arbeitsschutzregeln wie die technische Regel ASR A 3.5 als wichtige Referenzen für Grenzwertsetzungen und für gestaffelte Schutzmaßnahmen in den Einrichtungen der Pflege und der Gesundheitsversorgung gelten und ihre Weiterentwicklung könnte zu einer Verbesserung des Hitzeschutzes auch außerhalb ihres gesetzlichen Zuständigkeitsbereiches beitragen.

Der kritische Blick auf die wissenschaftliche Basis bestehender Empfehlungen zum Hitzeschutz hat viele offene Fragen zutage gebracht, die in den einzelnen Kapiteln diskutiert werden. Zur schnellen Auffindung der Textstellen, die sich mit grundsätzlichen Fragen zu einzelnen Maßnahmen auseinandersetzen, wurde eine Abbildung mit entsprechenden Kapitelverweisen aufgenommen (siehe letzte Seite dieses Buches).

Bei einer Herangehensweise, die Wissenslücken thematisiert und doch handlungsorientiert ist, bleibt es nicht aus, trotz ungesicherter Erkenntnislage hin und wieder Position zu beziehen. Eine dieser ungesicherten Erkenntnislagen betrifft den Nutzen von Ventilatoren zur Unterstützung der Körperkühlung bei vulnerablen Personen, d. h. zur Forcierung ihrer evaporativen Wärmeabgabe. Entgegen der verbreiteten Lehrmeinung, dass Ventilatoren bis zu einer Umgebungstemperatur von 35 °C auch bei pflegebedürftigen Personen problemlos eingesetzt werden können, halten wir eine derartige Nutzung für voraussetzungsvoll und nur unter Kenntnis der damit verbundenen Risiken und der Kopplung mit gegensteuernden Maßnahmen für vertretbar. In verschiedenen Kapiteln dieses Buches finden sich weitere der Literatur entnommene Empfehlungen, die vor dem Hintergrund der ihnen zugrundeliegenden dünnen Erkenntnisbasis kontrovers diskutiert werden können. Wir hoffen daher, dass die Beiträge in diesem Buch nicht nur als Zusammenstellung von Fakten gelesen werden, sondern eine Diskussion anregen, die den Hitzeschutz weiterbringt.

Digitales Zusatzmaterial

Zum Buch gibt es zahlreiche Materialien, die kostenfrei im Internet heruntergeladen werden können. Den Weblink und den QR-Code, unter dem die Zusatzmaterialien zum Download verfügbar sind, finden Sie unter Kap. Zusatzmaterial zum Download.

1         Grundlagen

1.1       Klimawandel, Hitze und Gesundheit

Beate Blättner und Henny Annette Grewe

Um was geht es?

Der Sommer 2003 war in weiten Teilen Europas einer der bis dahin wärmsten Sommer, mit anhaltenden Hochdruckwetterlagen, einer deutlich überdurchschnittlichen Sonnenscheindauer und einem erheblichen Niederschlagsdefizit. In Freiburg am Breisgau beispielsweise wurden an 53 Tagen Temperaturen von mehr als 30 Grad gemessen. In diesem ohnehin warmen Sommer brachte das Hoch Michaela zwischen dem 1. und 14. August 2003 ein Extremwetterereignis mit sich, das von heißen Tagen, teilweiser Windstille und nur geringer nächtlicher Abkühlung gekennzeichnet war. Besonders von der Hitze betroffen waren Italien, Frankreich, die Schweiz, Teile Deutschlands, Österreichs und Spaniens.

Am 14. August 2003 informierte das Robert Koch-Institut in Deutschland die Bundesländer über das Auftreten von ungeklärten Todesfällen in einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen und einem Altenpflegeheim in Baden-Württemberg. Auch in Hessen und Rheinland-Pfalz war es zu einer Häufung ungeklärter Todesfälle in Heimen gekommen. Gemeinsame Merkmale der Krankheitsverläufe waren plötzlich auftretendes Fieber und Exsikkose ohne Durchfälle. Eine gemeinsame infektiöse Ursache konnte ausgeschlossen werden. Die Untersuchungen kamen schließlich zum Ergebnis, dass die Todesfälle auf das Hitzeereignis zurückzuführen waren.

In Frankreich wurde die Situation zu einem Politikum: Als die Temperaturen erstmals 39 Grad überstiegen, brachen allein auf den Straßen von Paris 40 Menschen leblos zusammen. Kliniken waren überlaufen, es fehlte überall an Krankenbetten, versorgt wurden viele Hitzeopfer notdürftig in den Gängen. Die hohe Zahl der Toten führte dazu, dass in den Leichenhallen kein Platz mehr war, da man die Leichen wegen der beträchtlichen Hitze nicht in ungekühlten Räumen lagern konnte. Ein großes Kühllager im Logistikzentrum für Lebensmittel eines Pariser Vorortes wurde zur Leichenhalle umfunktioniert. Am 24. August gab es immer noch 300 Leichen in Paris, für die sich keine Angehörigen gemeldet hatten und die im Großmarkt und in Kühllastern ihrer Beisetzung harrten.

Der Generaldirektor für Gesundheit, Abteilungsleitung im Sozialministerium, Lucien Abenhaim, trat aufgrund dieser Ereignisse zurück, die Frankreich wie auch andere europäische Staaten unvorbereitet getroffen hatten. Staatspräsident Jacques Chirac wies zwei Wochen nach Ende der Krise in einer Erklärung die Verantwortung der Exekutive für die Ereignisse zurück und kritisierte stattdessen die fehlende Solidarität der Bürgerinnen und Bürger. Vor allem klagte er über die schwächer werdende soziale Bindung besonders gegenüber älteren Menschen. Zugleich kündigte er die Überprüfung der Frühwarnsysteme wie auch der Hilfs- und Notfalldienste an.

Um die notwendigen Maßnahmen zu finanzieren, schuf die Regierung ab 2004 einen nationalen »Tag der Solidarität mit den Betagten«. Pro Jahr müssen die Beschäftigten einen Tag arbeiten, der bislang arbeitsfrei war. Arbeitgeber entrichten eine Abgabe von 0,3 % der Lohnmasse an die »Caisse nationale de solidarité pour l'autonomie«, den Nationalen Solidaritätsfonds für die Autonomie der älteren Menschen (LOI n° 2004-626 du 30 juin 2004 relative à la solidarité pour l'autonomie des personnes âgées et des personnes handicapées).

Am 3. September 2003 nahmen Jacques Chirac und der Pariser Bürgermeister an der Beisetzung von 57 Menschen teil, die Anfang August an der extremen Hitze gestorben waren und für die sich keine Angehörigen gemeldet hatten.

1.1.1       Klimawandel

In den Jahrmillionen der Erdgeschichte hat sich das Klima vor allem aufgrund von zyklischen Änderungen der Erdbahn um die Sonne, Veränderungen der Sonnenaktivität und durch die Plattentektonik immer wieder verändert. Kaltzeiten folgten Warmzeiten. Klimaänderungen sind also für das Klimasystem der Erde typisch. Solche Veränderungen erfolgen allerdings langsam. Der aktuelle Temperaturanstieg seit Beginn der Industrialisierung verläuft demgegenüber sehr schnell und ist nur durch eine menschengemachte Verstärkung des Treibhauseffekts in der Lufthülle um die Erde erklärbar (Deutsches Klima-Konsortium et al. 2020).

Der Treibhauseffekt selbst ist ein natürliches Phänomen, das die Erdoberfläche erst bewohnbar gemacht hat. Die Sonne liefert auf der Erde Energie in Form überwiegend kurzwelliger Strahlung. Ein Teil dieser Energie wird in das Weltall zurückreflektiert. Wie hoch dieser Teil ist, hängt von der Albedo der Erdoberfläche ab. Albedo ist das Rückstrahlungsvermögen von nicht selbstleuchtenden, diffus reflektierenden Oberflächen. Die Albedo einer Erdoberfläche mit vereisten Ozeanen wäre aufgrund der dann helleren Oberfläche höher als die der Erde, wie wir sie jetzt kennen. Auch der Bewuchs des Bodens hat einen Einfluss auf die Albedo. Die Erde gibt ihrerseits Energie in Form von langwelliger Wärmestrahlung in den Weltraum ab, und zwar je mehr, umso höher ihre Temperatur ist. Im Zusammenspiel von kurzwelliger Strahlung von der Sonne, Rückstrahlung und langwelliger Wärmestrahlung von der Erde stellt sich eine Gleichgewichtstemperatur ein. Bei einer Albedo von 30 % wäre es ohne Atmosphäre auf der Erde durchschnittlich minus 18 Grad kalt (Abb. 1.1.1).

Die Atmosphäre und die in ihr enthaltenen Treibhausgase verändern diesen Prozess. Die wichtigsten vier natürlich vorkommenden Treibhausgase sind Wasserdampf (H2O), Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Die Treibhausgase behindern die einfallende Sonnenstrahlung, nur etwa die Hälfte kommt am Erdboden an. Kurzwellige Strahlen werden aber weniger von Treibhausgasen absorbiert als langwellige Wärmestrahlen. Über 80 % der vom Erdboden abgegebenen Wärmestrahlung wird von Treibhausgasen in der Atmosphäre am Entweichen gehindert. Würde die Luft unbeweglich über der Erdoberfläche bleiben, wäre es aufgrund dieses Treibhauseffektes an der Erdoberfläche durchschnittlich etwa 90° C warm. Aufsteigende Luftmassen führen aber große Wärmemengen vom Erdboden in höhere Atmosphärenschichten. Diese können dort aus dem Klimasystem entweichen, sodass zu vorindustriellen Zeiten weltweit eine mittlere Temperatur von etwa plus 14 °C herrschte (Abb. 1.1.2).

Abb. 1.1.1:  Erdtemperatur ohne Atmosphäre (eigene Darstellung)

Abb. 1.1.2:  Der Treibhauseffekt der Atmosphäre (eigene Darstellung)

Seit Beginn der Industrialisierung am Ende des 18. Jahrhunderts nimmt die Konzentration von Kohlendioxid, Methan und Lachgas in der Atmosphäre stark zu. Lag die Konzentration von Kohlendioxid vor der Industrialisierung bei etwa 280 Molekülen in einer Million Luftteilchen (ppm), liegt sie heute bei 411 ppm, die von Methan ist von etwa 722 Teilchen pro Milliarde Luftmoleküle (ppb) auf 1.866 ppb gestiegen, die von Lachgas von 270 ppb auf mehr als 330 ppb (Deutsches Klima-Konsortium et al. 2020). Die verschiedenen Treibhausgase haben u. a. aufgrund ihrer Verweildauer in der Atmosphäre einen unterschiedlichen Einfluss auf die Veränderung der Atmosphäre, was durch sogenannte Globale Erwärmungspotentiale oder GWP (Global Warming Potentials) beschrieben wird. Nach internationaler Übereinkunft ist der Effekt von Kohlendioxid hierbei die Referenz, CO2 hat daher definitionsgemäß ein GWP von 1, bezogen auf einen 100-Jahre-Zeitraum. Das GWP100 von Methan beträgt 28, das GWP100 von Lachgas 265 (IPCC 2013, S. 731). Dies bedeutet, dass der Treibhauseffekt von Methan in einem 100-Jahre-Zeitraum 28 Mal höher ist als der von CO2, der von Lachgas 265 Mal höher. Zu den natürlich vorkommenden Stoffen kommen synthetische Treibhausgase, u. a. fluorierte Kohlenwasserstoffe (F-Gase), hinzu, die ein vielfach höheres GWP haben als die natürlich vorkommenden Treibhausgase. Unter anderem werden Treibhausgase mit GWP100 von mehr als 1.000 derzeit noch in »umweltfreundlichen« Technologien wie Wärmepumpen eingesetzt (Kap. 2.4.3).

Abb. 1.1.3:  Menschengemachte Verstärkung des Treibhauseffekts (eigene Darstellung)

Die stärkere Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre führt zu einer deutlich stärkeren Absorption der langwelligen Wärmestrahlen und damit zu einer erheblichen Verstärkung des Treibhauseffektes. Die Folge ist eine globale Erwärmung (Abb. 1.1.3).

Ursachen für die Steigerung der Konzentration von natürlichen Treibhausgasen sind vor allem das Verbrennen fossiler Energieträger und die intensive Landwirtschaft. Fossile Energie ist pflanzlichen Ursprungs – Erdöl und Erdgas entstanden aus Meereskleinstlebewesen, vor allem Algen, Kohle aus Torf. Alles lebende Gewebe ist aus organischen Kohlenstoffverbindungen aufgebaut. Unter Luftabschluss und nach Versenkung in tiefere Bereiche der oberen Erdkruste ist das Gewebe erhöhten Drücken und Temperaturen ausgesetzt, daraus bilden sich Substanzen mit konzentriertem Kohlenstoff. So besteht Kohle zu mehr als der Hälfte seines Gewichtes aus Kohlenstoff (C). Bei der Verbrennung wird Sauerstoff (O2) zugeführt und es entsteht Kohlendioxid (CO2). Erdgas und Erdöl bestehen aus Kohlenwasserstoffen, also Verbindungen von Kohlenstoff (C) und Wasserstoff (H), wie beispielsweise Methan (CH4). Der zusätzliche Ausstoß von Lachgas (N2O) entsteht vor allem durch Viehhaltung, den Einsatz von stickstoffhaltigen Düngemitteln in der Landwirtschaft und durch Verbrennung von Biomasse, z. B. bei Biokraftstoffen. Das Abholzen und Abbrennen großer Waldflächen, das Trockenlegen von Mooren und die Veränderung der Nutzung von Böden tragen ebenfalls zu einer Verstärkung der Freisetzung von Treibhausgasen bei und reduzieren zugleich natürliche Möglichkeiten der Speicherung von Kohlendioxid in Wäldern und Mooren.

Bei bestimmten Temperaturschwellen, die noch nicht genau definiert sind, können zudem einige Elemente im Klimasystem der Erde in einen neuen Zustand kippen, der eine Rückkehr zum vorherigen Zustand quasi ausschließt. Ein Beispiel dafür ist das Tauen von Permafrostböden. Passiert dies, so werden dadurch zusätzlich sehr große Mengen an Methan und Kohlendioxid freigesetzt, die wiederum den Treibhauseffekt deutlich verstärken. Andere Beispiele für Kipp-Punkte sind das Schmelzen des antarktischen Eisschildes und des Eispanzers auf Grönland, die u. a. die Albedo verändern, oder die Vernichtung des Amazonas-Regenwaldes (Deutsches Klima-Konsortium et al. 2020).

Bereits seit den 1970er Jahren werden diese Zusammenhänge diskutiert. Anfangs war das Wissen darüber noch mit einigen Unsicherheiten behaftet, die inzwischen Gewissheiten gewichen sind. Das Umweltschutzprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) haben im Jahr 1988 einen »Weltklimarat« gegründet, das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Dieser zwischenstaatliche Ausschuss hat bereits Anfang der 1990er Jahre erste Warnungen veröffentlicht (IPCC 1992). In einem weiteren Bericht Ende der 1990er Jahre (IPCC 1998) wird bereits deutlich davor gewarnt, dass wärmebedingte Todesfälle unter der globalen Erwärmung zunehmen werden und durch die Verschlechterung der Luftqualität in den Städten noch steigen könnten.

Wie viel genau es künftig wärmer wird, hängt davon ab, wie stark die Emissionen an Treibhausgasen reduziert werden können. Verschiedene Szenarien berechnen einen Anstieg der Mitteltemperatur der Erde von +2 °C bis +5 °C. Könnten kurzfristig die Emissionen von Kohlendioxid um mehr als die Hälfte weltweit reduziert werden, wäre ein Anstieg um +2 °C bereits nicht mehr zu verhindern. Das klingt nicht viel, wäre aber das Zweifache des Temperaturanstiegs der letzten 100 Jahre und stärker als alle natürlichen Klimaschwankungen der vergangenen 10.000 Jahre. Dennoch erscheint nach gegenwärtigem Forschungsstand eine Anpassung der Ökosysteme dann gerade noch möglich. Deshalb gilt es nach dem Pariser Übereinkommen (United Nations 2015) als politisches Ziel, die +2 °C-Grenze auf keinen Fall zu überschreiten und idealerweise deutlich unter 1,5 °C zu bleiben.

Das Ausmaß der Erderwärmung wird regional unterschiedlich verteilt sein. Besonders stark werden sich die Antarktis und die Kontinente der mittleren und nördlichen Breiten erwärmen, weniger stark die Ozeane. Einzelne Regionen können sich sogar etwas abkühlen, während die Temperatur in anderen Gegenden deutlich stärker ansteigen wird.

Veränderungen des Klimas sind heute bereits beobachtbar. Die Jahre 2016, 2019 und 2020 waren bis zum Ende der Dekade weltweit die drei wärmsten Jahre seit Messbeginn, das Jahrzehnt 2011 bis 2020 das wärmste Jahrzehnt. Mit dem Beginn der 2020er Jahre liegt die Erwärmung bei etwa 1,2 °C (WMO 2021). Für Deutschland berichtete der Deutsche Wetterdienst (DWD 2020a), dass das Jahr 2020 in Deutschland mit einer Jahresmitteltemperatur von 10,4 °C nach 2018 mit 10,5 °C das zweitwärmste Jahr seit Beginn flächendeckender Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 war. Die Durchschnittstemperatur im Jahr 2022 lag um 2,3 °C über dem Wert der international gültigen Referenzperiode 1961–1990 (DWD 2022). Neun der zehn wärmsten Jahre wurden im 21. Jahrhundert beobachtet, davon die vier wärmsten Jahre in der Dekade 2011 bis 2020. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen hat sich die mittlere Temperatur der bodennahen Luft in Deutschland bereits deutlich erwärmt. Das aktuelle Jahrzehnt war rund 1,9 °C wärmer als die ersten drei Jahrzehnte der Aufzeichnungen. Die Temperaturen in Deutschland sind damit deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Durchschnitt (Deutsches Klima-Konsortium et al. 2020). Ähnlich sind die Daten für Österreich. Hier waren 2020 und 2015 auf den Bergen die beiden wärmsten Jahre der Messgeschichte, das Jahr 2022 das zweitwärmste (ZAMG 2020). In der Schweiz war das Jahr 2020 ebenso warm wie das bisherige Rekordjahr 2018, das Jahr 2022 war bisher das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (MeteoSchweiz 2021, 2023).

Klima ist allerdings nicht mit Wetter gleichzusetzen. Auch in warmen Jahren kann es erheblichen Frost geben und Hitzeperioden können weitgehend ausbleiben. Dennoch sind steigende Jahresmitteltemperaturen mit einer zunehmenden Wahrscheinlichkeit von Extremwetterereignissen wie Hitzeextremen, extremer Trockenheit, aber auch Starkregen, Überschwemmungen oder Stürmen verbunden, die zu körperlichen, aber auch psychischen Folgen für die Gesundheit von Menschen führen können. Dürre wiederum kann zu Problemen bei der Produktion von Lebensmitteln und zu erhöhten Wahrscheinlichkeiten von Flächenbränden führen, was die Luftqualität erheblich beeinträchtigen kann. Die klimatischen Veränderungen können zu neuen Infektionsrisiken (z. B. durch vektorübertragene Infektionskrankheiten) oder einer Zunahme von Allergien (z. B. Pollenallergien) führen, da andere Pflanzen und Tiere auch in Deutschland überleben können und sich die Blühzeiten verlängern. International können Landstriche aufgrund eines Anstieges des Meeresspiegels oder aufgrund von Dürre und Hitze nicht mehr bewohnbar sein, was zu einem erhöhten Migrationsdruck in bewohnbare Länder führen kann. Veränderungen des Klimas können also mit unterschiedlichen direkten und indirekten Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung verbunden sein.

1.1.2       Hitzeextreme und gesundheitliche Folgen

Die Zunahme von Hitzeextremen gilt als eine der spürbarsten Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit der Bevölkerung. Der Special Report des Österreichischen Klimarates APCC (Austrian Panel on Climate Change) »Gesundheit, Demographie und Klimawandel« kommt für Österreich zum Schluss, dass die stärksten Gesundheitsfolgen mit breiter Wirkung durch Hitze zu erwarten sind (APCC 2018). Dabei sind nicht nur die erreichten Temperaturen ein Problem, sondern auch die Länge einer solchen Extremphase.

Eine längere Dauer von stabilen Wetterlagen wie Hitzewellen oder auch Kältephasen im Winter in Europa könnte auf stabile Wellenmuster im Jetstream zurückzuführen sein. Der Jetstream ist ein Windband, das auf der Nordhalbkugel in sieben bis zwölf Kilometern Höhe von West nach Ost strömt, mit bis zu 500 Kilometern in der Stunde. Es wird von der Temperaturdifferenz zwischen den hohen Breiten und der Region um den Äquator angetrieben. In der Arktis steigen die Temperaturen im Zuge der Erderwärmung stärker an als in anderen Teilen des Planeten. Dadurch sinkt dieser Temperaturunterschied. Im Jetstream könnten feste Wellenmuster entstehen, die dazu führen, dass Extremwetterperioden lange anhalten können.

Wann genau ist es heiß?

•  Meteorologisch ist ein heißer Tag oder Hitzetag ein Tag, an dem die Temperatur auf 30 °C oder höher steigt. In den 1950er Jahren gab es im bundesweiten Mittel in Deutschland pro Jahr etwa drei solcher Hitzetage. Im Zeitraum 1991–2019 stieg die Anzahl heißer Tage bereits auf durchschnittlich 8,8 Tage pro Jahr. Bei ungebremstem Treibhausgasausstoß wird für den Zeitraum 2021 bis 2050 eine weitere Zunahme um fünf bis zehn heiße Tage in Norddeutschland und um zehn bis fünfzehn Hitzetage in Süddeutschland erwartet (Deutsches Klima-Konsortium et al. 2020).

•  Neben der Erhitzung am Tag ist für die gesundheitliche Belastung die nächtliche Abkühlung relevant. Als Tropennacht wird eine Nacht bezeichnet, in der die Temperatur nicht unter 20 °C sinkt und somit eine nächtliche Abkühlung und Erholung kaum möglich ist. Tropennächte waren in Deutschland in der Vergangenheit sehr selten. An vielen Messstationen wird weniger als eine Tropennacht pro Jahr gemessen, an einzelnen Stationen jährlich zwei bis drei Tropennächte. In Jahren mit sehr heißen Sommern wie 2003 wurden an manchen Stationen allerdings mehr als zehn Tropennächte beobachtet (DWD 2020b).

•  Wüstentage sind Tage, an denen die Temperatur auf 35 °C und höher steigt.

•  Eine Hitzewelle ist eine mehrtägige Periode mit ungewöhnlich hoher thermischer Belastung. International existiert keine einheitliche Definition. Oft werden Schwellenwerte auf Basis von Perzentilen der Tagesmaximumwerte mit einer minimalen Dauer der Tage kombiniert. Der Deutsche Wetterdienst berechnet für jeden Rasterpunkt aus den täglichen Temperaturmaxima der Referenzperiode (1961–1990) einen Schwellenwert, entsprechend dem 98-Perzentil. Um die Datenbasis zu vergrößern, werden auch die 15 Tage vor und nach dem Termin verwendet, was zu einer Glättung führt. Werden an drei Tagen hintereinander diese Klimaschwellenwerte und eine Temperatur von 28 °C überschritten, so liegt für das jeweilige Gebiet definitorisch eine Hitzewelle vor (DWD 2020b).

Da der Mensch in einem gewissen, wenn auch begrenzten Umfang in der Lage ist, sich über die Gestaltung seiner Umgebung, sein Verhalten und sehr bedingt auch über eine Anpassung physiologischer Prozesse (Kap. 1.2) der Hitze anzupassen, ist es nachvollziehbar, dass relative Werte zur Bestimmung von Hitzewellen genommen werden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine Anpassung an Hitze so weit möglich wäre, dass jegliche Temperaturen für den menschlichen Körper zumutbar wären, wenn nur hinreichend Zeit bestünde, sich an sie zu gewöhnen.

Inwieweit aus gesundheitlichen Belastungen durch Hitzeextreme gesundheitliche Folgen für einzelne Menschen resultieren, hängt im Kern von drei Faktoren ab (Abb. 1.1.4):

•  Entscheidend ist die Frage, wie intensiv und wie lange ein Mensch welcher Hitze ausgesetzt ist (Exposition). Die Exposition wiederum ist abhängig von den klimatischen Bedingungen der Region, also wie heiß es dort tatsächlich wird, vom innerstädtischen Mikroklima, also welche Temperaturen bei welcher Luftfeuchtigkeit in dem entsprechenden Wohn- oder Arbeitsgebiet erreicht werden, und davon, welche klimatischen Bedingungen in den Aufenthaltsräumen geschaffen werden. Spätestens hier greifen Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen. So sind Menschen, die im Freien arbeiten, z. B. in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe, während der Arbeit nicht gut vor Hitze geschützt. In Wohnungen ist es ggf. eher möglich, sich in unterschiedlichem Ausmaß vor Hitze zu schützen, allerdings können sich Gebäude auch stark aufheizen und die sich dort aufhaltenden Menschen haben möglicherweise unterschiedliche Kompetenzen und Mittel, mit dieser Situation umzugehen. Obdachlose Menschen haben wenig Chancen, sich vor der Exposition gegenüber Extremwetter zu schützen.

Abb. 1.1.4:  Zusammenhang zwischen Hitze und individuellen gesundheitlichen Folgen (eigene Darstellung)

•  An zweiter Stelle steht die Frage, wie empfindlich Menschen aus persönlichen Gründen, z. B. aufgrund ihres Lebensalters oder ihres Gesundheitszustandes, gegenüber einer Hitzebelastung sind (Sensibilität) und welche Möglichkeiten sie haben, sich den klimatischen Bedingungen anzupassen (Anpassungsfähigkeit). So können sich Säuglinge weder eigenständig einer heißen Umgebung entziehen noch ihre Kleidung anpassen oder für eine größere Trinkmenge sorgen. Ihre Anpassungsfähigkeit ist demnach äußerst gering und unmittelbar von ihrem sozialen Netz abhängig (Kap. 1.3.2). Sie sind daher gegenüber Hitze sehr vulnerabel, ebenso wie ungeborene Kinder, Kleinkinder, ältere Menschen, chronisch kranke Menschen, Suchtkranke, Menschen mit Beeinträchtigungen, akut an bestimmten Krankheiten erkrankte Menschen und Menschen, die bestimmte Medikamente einnehmen müssen (Kap. 2.2). Veränderungen in der Thermoregulation (Kap. 1.2) erhöhen die Sensibilität, während der Grad an Hilflosigkeit vor allem die Anpassungsfähigkeit reduziert.

•  An dritter Stelle steht die Frage der Qualität der Gesundheitsversorgung, die leicht zugänglich sein muss, das Problem hinreichend schnell erkennen und adäquat damit umgehen muss. Alleinlebende Menschen, die die Gesundheitsversorgung nicht schnell genug informieren können, oder Menschen, die in Regionen mit schlechter gesundheitlicher Infrastruktur leben, sind hier im Nachteil.

Die Kenntnis über diese drei Einflussfaktoren und ihre jeweilige Relevanz ist besonders wichtig für die Ableitung von Präventionsstrategien (Kap. 1.3). Gesundheitliche Risiken sind in der Bevölkerung demnach ungleich verteilt. Es liegen eindeutige Hinweise für eine erhöhte Betroffenheit älterer Menschen vor. Studien zur hitzemitbedingten Morbidität und Mortalität bei Kleinkindern kommen zu inkonsistenten Ergebnissen, lassen aber eine höhere Betroffenheit vor allem von ungeborenen Kindern und Säuglingen erwarten (Kap. 3.3). Der Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und einer stärkeren Anfälligkeit gegenüber Hitze lässt sich nicht mit auf Deutschland übertragbaren Studien belegen, ist aber plausibel, da soziale Benachteiligung mit schlechteren Wohnbedingungen und einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber chronischen Erkrankungen verbunden ist (Wöhl et al. 2020). Eine aktuelle Analyse von Krankenhausbehandlungsdaten über 65-jähriger Versicherter der AOK aus den Jahren 2008 bis 2018 unterstreicht diese Hypothese. Die gegenüber Hitze vulnerabelsten Versicherten waren nicht nur älter und kränker, sondern lebten in eher ländlichen Gebieten mit einem hohen Anteil an Altersarmut (Klauber & Koch 2021).

Gesundheitliche Auswirkungen von Hitze werden vor allem an der Sterblichkeit, der Mortalität, gemessen. Dabei gibt es nach wie vor methodische Diskussionen, wie dies genau abzuschätzen ist, da nicht alle Menschen, die im Zusammenhang mit Hitze versterben, eindeutig als an Hitzeerkrankungen (Kap. 1.2.6, Kap. 2.3.1) Gestorbene zu erkennen sind (s. u.).

Im Auftrag der Europäischen Union wurde für den Sommer 2003 die Anzahl der während der Hitzeperioden zusätzlich Gestorbenen in den betroffenen Ländern geschätzt. Dafür wurde für jeden Tag der Referenzperiode 1998 bis 2002 die Sterbeziffer berechnet und ins Verhältnis zur jährlichen Gesamtzahl der Sterbefälle gesetzt. Auf dieser Basis wurden Standardgrenzen definiert. Die Analyse der Daten zeigte für den Sommer 2003 drei Hauptmortalitätsspitzen: für den 13. Juni, für den 16. bis zum 21. Juli und schließlich für den 12. bis 13. August. Auch Ende Juni und im September war eine Übersterblichkeit zu beobachten. In den zwölf Ländern, die von der Hitzewelle betroffen waren, waren im Jahr 2003 über 80.000 zusätzliche Todesfälle zu verzeichnen. 70.000 traten während des Sommers auf, mehr als 7.000 danach. Allein im August wurden fast 45.000 zusätzliche Todesfälle verzeichnet, im Juni über 11.000, im Juli über 10.000 und im September fast 5.000. Die Sterblichkeitsspitze Anfang August erstreckte sich über die zwei Wochen zwischen dem 3. und 16. August. 15.000 weitere Todesfälle wurden in der ersten Woche und fast 24.000 in der zweiten Woche verzeichnet. In der zweiten Woche erreichte die Übersterblichkeitsrate in Frankreich 96,5 % und in Portugal, Italien, Spanien und Luxemburg über 40 %. In Deutschland, der Schweiz und Belgien lag die Übersterblichkeitsrate bei über 20 %, in allen anderen Ländern bei 10 %. Im August wurden in Frankreich 15.251 (+ 37 %) zusätzliche Todesfälle erfasst, 9.713 in Italien (+ 21,8 %), 7.295 in Deutschland (+ 11 %), 6.461 in Spanien (+ 22,9 %) und 1.987 in England und Wales (+ 4,9 %) (Robine et al. 2007).

Für Deutschland schätzen an der Heiden et al. (2020) 9.600 zusätzliche Todesfälle im Jahr 2003, 7.800 im Jahr 2006, 4.700 im Jahr 2010, 2.600 im Jahr 2013 und 5.200 im Jahr 2015. Der Sommer 2018 forderte 8.700 zusätzliche Sterbefälle, im Sommer 2019 starben 6.900 Menschen im Zusammenhang mit Hitze, im Jahr 2020 waren 3.700 zusätzliche Todesfälle zu verzeichnen und im Sommer 2022 4.500 zusätzliche Todesfälle (Winklmayr et al. 2022; Winklmayr & an der Heiden 2022).

Für die Schweiz wurde für den Hitzesommer 2015 eine Zusatzsterblichkeit von 5,4 % geschätzt, 2003 lag sie bei 6,9 %. Die geringere Zusatzsterblichkeit in 2015 könnte auf die Wirkung präventiver Maßnahmen zurückgeführt werden (Ragettli & Röösli 2019). Für Wien wurde für die Jahre 1998 bis 2004 an Hitzetagen ein signifikant erhöhtes relatives Mortalitätsrisiko von 1,13 [95 % Konfidenzintervall 1,09–1,17] errechnet (Hutter et al. 2007).

Anhand von Daten des Augsburger Herzinfarktregisters aus den Jahren 1987 bis 2014 konnte ein erhöhtes hitzeinduziertes Herzinfarktrisiko festgestellt werden, unabhängig davon, ob der Verlauf tödlich war (Chen et al. 2019). In einer Übersicht über systematische Reviews konnte gezeigt werden, dass die Hitzeexposition mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre, zerebrovaskuläre und respiratorische Mortalität verbunden war. Ein Einfluss auf die kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Krankheitslast, die Morbidität, konnte allerdings nicht gezeigt werden (Song et al. 2017). Eine systematische Übersichtsarbeit über den Zusammenhang von psychischen Erkrankungen und Hitzeextremen kam zum Ergebnis, dass ein erhöhtes Risiko für psychisch bedingte Einweisungen und Besuche der Notaufnahme bei hohen Temperaturen besteht. Studien zeigten vor allem ein erhöhtes Suizidrisiko bei Hitze (Thompson et al. 2018).

Ein Indikator für Morbidität sind die Krankenhauseinweisungen, ein anderer Indikator Besuche der Notaufnahme. Während einer Hitzewelle im Jahr 1995 in Chicago wurden 11 % mehr Krankenhauseinweisungen als im Durchschnitt vergleichbarer Wochen und 35 % mehr Krankenhauseinweisungen bei Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter berechnet (Semenza et al. 1999). Im Jahr 2006 kam es in Kalifornien während einer Hitzewelle zu 16.166 zusätzlichen Notaufnahmebesuchen und 1.182 zusätzlichen Krankenhauseinweisungen. Sowohl für Notaufnahmen als auch für Krankenhauseinweisungen konnte ein signifikant erhöhtes relatives Risiko aufgrund von akutem Nierenversagen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Elektrolyt-Störungen, Diabetes und Nephritis festgestellt werden (Knowlton et al. 2009). Lin et al. (2009) berichteten, dass bei steigenden Temperaturen das Risiko für Krankenhauseinweisungen aufgrund von Atemwegserkrankungen um 2,7 % [95 %-Konfidenzintervall (KI) 1,3–4,2] und aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 3,6 % (95 %-KI 0,3–6,9) ansteigt. In einer Studie in Australien berichteten Nitschke et al. (2007) über einen Anstieg der Ambulanztransporte und Krankenhauseinweisungen während der Hitzewelle um 4 % (95 %-KI 1–7) bzw. um 7 % (95 %-KI 1–16) im Vergleich zu Nicht-Hitzewellenperioden. Außerdem stieg die Gesamtzahl der Einweisungen in psychiatrische Kliniken um 7 % (95 %-KI 1–13) und die Gesamtzahl der Einweisungen aufgrund von Nierenerkrankungen um 13 % (95 %-KI 3–25). Bei den 65- bis 74-Jährigen stiegen die Einweisungen wegen ischämischer Herzkrankheiten um 8 % (95 %-KI 1–15).

1.1.3       Fazit

Klimaänderungen sind natürliche Phänomene. Der natürliche Treibhauseffekt der Atmosphäre macht das Leben auf dem Planeten Erde erst möglich. Ursache des gegenwärtigen Klimawandels ist aber eine menschengemachte erhebliche Erhöhung der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas, die vor allem durch die Verbrennung fossiler Energie und die konventionelle Landwirtschaft verursacht wird. Selbst dann, wenn die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch erreicht werden könnten, wäre dies mit einer Zunahme von Extremwetterereignissen und direkten wie indirekten Folgen für die menschliche Gesundheit verbunden.

Hitzeextreme gehören zu den spürbarsten Auswirkungen des Klimawandels, die auch in den gemäßigten Breiten nachweisbar zu zusätzlichen Todesfällen führen und führen werden. Die gesundheitlichen Folgen eines Hitzeextrems sind vom Ausmaß der Exposition gegenüber Hitze, von der Vulnerabilität einer Person gegenüber Hitze und dem Zugang zur und der Qualität der Gesundheitsversorgung abhängig. Vulnerabilität berücksichtigt die biologische Sensibilität und die Anpassungsfähigkeit eines Menschen. Primäres Ziel von Präventionsstrategien muss die Reduktion der Exposition sein, wobei eine gezielte Aufmerksamkeit auf vulnerable Gruppen und eine Vorbereitung der Gesundheitssysteme unverzichtbar sind.

1.2       Physiologische Veränderungen bei Hitze

Henny Annette Grewe

Um was geht es?

Der Mensch bewohnt alle Klimazonen der Erde. Dies wurde ihm im Laufe seiner Entwicklung nur möglich, weil es ihm gelang, sich sowohl an kalte wie an heiße Umgebungen anzupassen. Die körperliche Entwicklung (aufrechter Gang, kaum Behaarung, viele Schweißdrüsen, Pigmentierung) machte vor allem das Überleben in wärmerer Umgebung möglich, die differenzierte Entwicklung des Gehirns hingegen auch besondere Verhaltensanpassungen an Kälte, u. a. durch die Fähigkeit zur Herstellung schützender Kleidung und zum Gebrauch des Feuers.

Die US-amerikanische Paläoanthropologin Nina Jablonski fasst die in der Evolutionsforschung breit akzeptierte Sichtweise auf die Entwicklung des Menschen und der menschlichen Haut in den warmen Klimaten Afrikas folgendermaßen zusammen:

»The emerging consensus view is that the evolution of mostly naked skin in the human lineage probably occurred quite early in the history of the genus Homo in order to facilitate the evaporative cooling of eccrine sweat during extended periods of physical exertion in hot environments« (Jablonski 2021, S. 708, Hervorhebung im Original).1

Im Vergleich zu Menschenaffen verfügt der Mensch über eine ca. zehnfach höhere Anzahl an Schweißdrüsen und entsprechend eine deutlich höhere Kühlungskapazität (Kamberov et al. 2018). Vor diesem Hintergrund müsste man annehmen, dass Hitze für den menschlichen Körper ein beherrschbares Problem darstellt. Dies ist, wie wir wissen, mitnichten so und es gibt auch Unterschiede in der Hitzeempfindlichkeit, die sich an Einflussfaktoren wie Alter, Vorerkrankungen oder Medikamenteneinnahme festmachen. Epidemiologische Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass Hitzeperioden zu Beginn des Sommers stärkere Auswirkungen auf die Mortalität haben als Hitzeperioden im weiteren Sommerverlauf (Basu & Samet 2002, Sheridan & Kalkstein 2010).

Und schließlich ist »Hitze« nicht gleich »Hitze«: In Folge des Sommers 2003 wurde in fünfzehn Städten Europas untersucht, welche Auswirkung Umgebungstemperaturen auf die Sterblichkeit in der jeweilig untersuchten Region hatten (Baccini et al. 2008). Es ließ sich für jede der untersuchten Städte ein Temperaturbereich der geringsten Sterblichkeit identifizieren, jenseits dessen die Sterblichkeit jeweils anstieg. Auffällig war, dass die Sterblichkeit bei steigender Umgebungstemperatur in der Regel deutlich steiler anstieg als bei Temperaturen unterhalb der Tiefpunkttemperatur. Über die mediterranen Städte Athen, Rom, Barcelona, Valencia, Turin, Mailand und Ljubljana gemittelt betrug der Schwellenwert der Tagesmaximaltemperatur zum Anstieg der Sterblichkeit 29,4 °C, über die nördlicher gelegenen Städte Budapest, Prag, Zürich, Paris, Helsinki, Stockholm, London und Dublin gemittelt betrug er 23,3 °C.

Bei der Suche nach Erklärungen für die genannten epidemiologischen Beobachtungen stellt sich immer auch die Frage nach dem Ausmaß der physiologischen Anpassungsfähigkeit des menschlichen Organismus: Kann sich der Körper an Hitze gewöhnen? Wo liegen die Grenzen der Akklimatisationsfähigkeit?

1.2.1       Physikalische und physiologische Grundlagen

Der Mensch zählt zu den homöothermen, d. h. gleichwarmen Lebewesen. Streng genommen ist allerdings nur der Körperkern gleichwarm, während die Körperschale in Abhängigkeit von der selbst produzierten Wärme und dem Wärmegehalt der Umgebung Temperaturschwankungen unterliegt. In thermisch behaglicher Umgebung ist die Hauttemperatur etwa zwei bis drei Grad niedriger als die Körperkerntemperatur, bei hoher Wärmelast kann sich der Gradient zwischen Körperkern und Körperoberfläche verringern.

Zum Körperkern gehören das Zentrale Nervensystem (ZNS) und die inneren Organe. Die Körperschale besteht aus den unter der Haut liegenden Gewebeschichten und ist insbesondere an den Extremitäten sehr stark ausgeprägt. Entsprechend dienen die Extremitäten als Puffer: Wird der Körperkern zu warm, wird Wärme durch Gefäßerweiterung in die Extremitäten geleitet und die Hautoberfläche zur Wärmeabgabe vergrößert sich um bis zu 60 %. Droht der Körperkern zu kühl zu werden, werden die Extremitäten geringer durchblutet, die Oberfläche zur Wärmeabgabe verringert sich entsprechend und Wärme verbleibt im Körperkern.

Wärme ist eine Form von Energie. Sie wird von einer Materie auf die andere übertragen, wenn zwischen beiden eine Temperaturdifferenz besteht. Die Wärmeübertragung erfolgt dabei immer vom wärmeren zum kühleren Ort. Der menschliche Organismus macht da keine Ausnahme, je nach Umgebungstemperatur und Temperatur der Körperschale gibt er Wärme an die Umgebung ab oder nimmt Wärme aus der Umgebung auf. Sowohl die Wärmeaufnahme als auch die Wärmeabgabe des menschlichen Körpers erfolgen mittels der physikalischen Mechanismen elektromagnetische Strahlung, Konduktion und Konvektion. Zusätzlich verfügt der menschliche Körper über einen sehr effektiven Mechanismus der Wärmeabgabe: das Schwitzen.

Die wichtigste Energiequelle für Wärme ist die elektromagnetische Strahlung der Sonne. An einem Wintertag bei kalter Lufttemperatur spüren wir die Wirkung ihrer Strahlen besonders. Aber auch wir strahlen im Infrarotbereich. Elektromagnetische Strahlung ist bei angenehmer Umgebungstemperatur und Ruhe unser überwiegender Wärmeabgabemechanismus, gefolgt von Konvektion. Unter Konvektion versteht man die Abgabe von Wärme an strömende Materie, zum Beispiel an die Luft. Dieses Prinzip funktioniert auch bei Windstille, da die erwärmte Luft vom Körper aufsteigt und durch kühlere Luft ersetzt wird. Wind unterstützt die Wärmeabgabe, sofern die Lufttemperatur unterhalb der Körperschalentemperatur liegt. Wind bei Lufttemperaturen oberhalb der Körpertemperatur heizt dagegen den Organismus auf. Auch Wasser bewegt sich durch Erwärmung. Da Wasser im Vergleich zu Luft eine mehr als 20-fach höhere Wärmeleitfähigkeit besitzt, kühlen wir in 25 °C warmem Wasser deutlich schneller aus als in einer Umgebung gleicher Lufttemperatur.

Bei Gesunden spielt die Konduktion, d. h. der Wärmeaustausch mit fester Materie, eine untergeordnete Rolle. Wärmedecken und Kühlkissen nutzen jedoch diesen physikalischen Mechanismus.

Der Übergang von Wasser in den gasförmigen Aggregatzustand erfordert die Zufuhr von Wärmeenergie. Unbemerkt verlieren Erwachsene täglich ca. 10–15 ml Wasser pro kg Körpergewicht und damit auch Wärme über die wasserdampfgesättigte Ausatemluft sowie die Haut, Säuglinge ca. 50–80 ml pro kg Körpergewicht (Kersting & Przyrembel 2020). Neben dieser sogenannten Perspiratio insensibilis kann der Mensch als effektivste Form der Wärmeabgabe schwitzen, d. h. Wasser auf der Hautoberfläche verdunsten.

Welche physikalischen Mechanismen der Wärmeabgabe jeweils zum Tragen kommen, hängt von mehreren Faktoren ab, u. a. vom Ausmaß der inneren Wärmeproduktion, von der Isolation durch Kleidung, der Umgebungstemperatur und der Luft- bzw. Wasserströmung.