Vorsicht, frisch verliebt! - Susan Elizabeth Phillips - E-Book
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Vorsicht, frisch verliebt! E-Book

Susan Elizabeth Phillips

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Beschreibung

Gegensätze ziehen sich an, oder doch nicht? Überkorrekte Geschäftsfrau und leidenschaftlicher Hollywood-Schauspieler treffen aufeinander – Eine turbulent-witzige Liebesgeschichte garantiert!

Was passiert, wenn eine im Moment zwar sehr glückliche, doch sonst überaus penible Geschäftsfrau auf einen verführerisch gutaussehenden und leicht chaotischen italienischen Filmschauspieler trifft? Richtig: Es fliegen erst einmal die Fetzen. Als Hollywoodstar ist es Lorenzo Gage gewöhnt, von den Frauen umschwärmt zu werden. Nur die eine allerdings, die junge Geschäftsfrau Isabel Favor, ist weniger von ihm überzeugt. Und bringt ihn schnell zu der Frage: Was ist das nur mit den Frauen? Du kannst nicht mit ihnen und schon gar nicht ohne sie leben …

Mit ihren herzerfrischenden, turbulenten und witzig-frechen Liebesromanen, in denen sich alles um Liebe, Lust und Leidenschaft dreht, erobert Susan Elizabeth Phillips die Herzen ihrer Leser im Sturm.

»Witzig, warmherzig, wunderbar! Die Welt braucht mehr Bücher, wie die von Susan Elizabeth Phillips.« BOOKLIST

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Seitenzahl: 632

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Buch

Isabel Favor dachte, sie hätte die schlimmsten Fehler in ihrem Leben bereits hinter sich. Schließlich ist gerade ihr Buchhalter mit ihrem gesamten Vermögen verschwunden, ihr guter Ruf als Lebensberaterin wurde völlig ruiniert, und ihr Verlobter hat sie sitzen lassen. Für eine eigentlich erfolgreiche Frau sitzt Isabel ganz schön tief in der Tinte. Kurz entschlossen entflieht sie dem ganzen Skandal für ein paar Wochen nach Italien. Dort allerdings begeht sie ihren anscheinend allergrößten Fehler: An einem lauen Sommerabend in Florenz lässt Isabel sich von einem attraktiven Italiener zu einer gemeinsamen Nacht verführen. Am nächsten Morgen, in einem einsam gelegenen Landhaus in der Toskana, steht sie ihrem Verhängnis Aug’ in Aug’ gegenüber: Der attraktive Italiener ist ihr Vermieter. Er ist außerdem ein bekannter amerikanischer Filmschauspieler: Lorenzo Gage machte als der »böse Bube Hollywoods« Karriere beim Film. Hätte es nicht jene besagte Nacht in Florenz gegeben, Lorenzo könnte schwören, dass die kühle Geschäftsfrau Isabel völlig immun gegen ihn und das süße italienische Dolce Vita ist. Doch da irrt er sich gewaltig: Isabel hat ziemlich viele Pläne, was ihr Leben, die Liebe – und Lorenzo – angeht, und daher verführt sie ihn auf ihre eigene Art und Weise …

Autorin

Susan Elizabeth Phillips’ Romane erobern jedes Mal auf Anhieb die Bestsellerlisten in den USA und Deutschland. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in der Nähe von Chicago.

 

Von Susan Elizabeth Phillips ist bereits erschienen

 

Dinner für drei – Verliebt, verrückt, verheiratet – Bleib nicht zum Frühstück – Küss mich, Engel – Träum weiter, Liebling – Kopfüber in die Kissen – Wer will schon einen Traummann? – Ausgerechnet den? – Der und kein anderer

Inhaltsverzeichnis

BuchAutorinWidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24EpilogDanksagungenCopyright

Für Michael Spradlin und Brian Grogan

 

Nur für den Fall, dass ihr beiden nicht wisst, wie sehr ich euch schätze: Jede Autorin sollte das Glück haben, dass ihr beiden auf ihrer Seite steht.

1

Dr. Isabel Favor liebte Ordnung. Die Woche über trug sie maßgeschneiderte schwarze Kostüme, geschmackvolle Lederpumps und eine Perlenkette um den Hals. An den Wochenenden bevorzugte sie dezente Pullover oder Seidenblusen, stets in neutralen Farben. Ein gut geschnittener Bob und eine Reihe teurer Pflegeprodukte zähmten ihre von Natur aus leider wilden blonden Locken, und wenn diese Mühe nicht genügte, legte sie ein schmales Samtband um ihr Haar.

Sie war keine Schönheit, doch ihre hellbraunen Augen hatten genau den richtigen Abstand zueinander, und auch der Rest ihres Gesichts war ansprechend proportioniert. Ihre etwas zu vollen Lippen wurden durch blassen Lippenstift kaschiert, und die kessen Sommersprossen auf der Nase verschwanden unter einer dünnen Schicht gut deckenden Make-ups. Gesundes Essen verlieh ihr einen sanft schimmernden Teint sowie eine schlanke, gesunde Figur, nur ihre Hüften fand sie eine Spur zu breit. Abgesehen von einem leicht ausgefransten rechten Daumennagel war sie eine durch und durch ordentliche Frau. Er war deutlich kürzer als die anderen Nägel, denn als einzige Erinnerung an ihre ungeordnete Kindheit knabberte sie, wenn sie nervös war, unbewusst daran herum.

Als die Lichter im Empire State Building gegenüber ihrem Büro angingen, versteckte Isabel, um nicht wieder der Versuchung zu erliegen, den Daumen in der Faust. Auf ihrem Art-Déco-Schreibtisch lag die Morgenausgabe des beliebtesten Revolverblattes von Manhattan. Der Artikel auf der Titelseite hatte bereits seit dem Vormittag an ihr genagt, doch sie hatte den ganzen Tag zu viel zu tun gehabt, um darüber zu grübeln. Nun jedoch war die Zeit gekommen, in der sie dazu ausreichend Gelegenheit bekam.

AMERIKAS SELBSTHILFE-DIVA IST EINE GETRIEBENE, ANSPRUCHSVOLLE UND SCHWIERIGE PERSON

 

DIE BISHERIGE ASSISTENTIN DER BEKANNTEN AUTORIN VON SELBSTHILFE-RATGEBERN, DR. ISABEL FAVOR, SAGT, DIE ARBEIT UNTER IHRER EHEMALIGEN CHEFIN SEI DIE REINSTE HÖLLE. »SIE IST EIN TOTALER KONTROLL-FREAK«, ERKLÄRT TERI MIT-CHELL, DIE IHREN POSTEN LETZTE WOCHE AUFGEGEBEN HAT …

»Sie hat ihre Arbeit nicht aufgegeben«, erklärte Isabel empört. »Ich habe sie gefeuert, nachdem ich herausgefunden habe, dass sie sich noch nicht einmal die Mühe gemacht hat, die Fanpost von mindestens zwei Monaten auch nur zu öffnen.« Ihr Daumennagel bewegte sich in Richtung ihrer Zähne. »Und ich bin ganz sicher kein Kontroll-Freak.«

»Auch wenn Sie oft so tun.« Carlota Mendoza kippte den Inhalt eines Messingpapierkorbs schwungvoll in die an ihrem Putzwagen hängende Tüte. »Außerdem sind Sie – was hat sie noch über Sie gesagt? – anspruchsvoll und getrieben. Ja, auch damit hat sie Recht.«

»Das bin ich nicht. Stauben Sie bitte auch die Deckenlampen ab, ja?«

»Sehe ich aus, als hätte ich irgendwo eine Leiter unter meinem Kittel versteckt? Und hören Sie auf, auf Ihrem Nagel rumzukauen.«

Isabel steckte den Daumen wieder in die Faust. »Ich habe gewisse Ansprüche, mehr nicht. Aber bin ich jemals unfreundlich, reizbar, neidisch, missgünstig oder gierig? Nein, das bin ich nicht.«

»In der untersten Schublade Ihres Schreibtischs liegt immer eine Tüte mit Schokoriegeln versteckt, aber mein Englisch ist nicht allzu gut, vielleicht verstehe ich das Wort Gier also einfach falsch.«

»Sehr witzig.« Auch wenn Isabel nicht daran glaubte, dass man negative Gefühle durch Essen überwinden konnte, zog sie – weil es ein schrecklicher Tag gewesen war – die Notfallschublade auf, nahm zwei Snicker-Riegel daraus hervor und warf einen davon in Richtung Carlota. Sie würde morgen früh büßen, indem sie etwas länger Gymnastik betrieb als sonst.

Carlota fing den Schokoriegel, lehnte sich gegen ihren Wagen und riss die Folie auf. »Nur aus reiner Neugier … tragen Sie jemals Jeans?«

»Jeans?« Isabel schob sich die Schokolade unter den Gaumen und genoss ein paar Sekunden den tröstlichen Geschmack. »Tja, früher habe ich Jeans getragen.« Sie verstaute den halben Schokoriegel wieder in der Schublade und stand auf. »Lassen Sie mich mal.« Sie nahm Carlota das Staubtuch aus der Hand, trat sich die Schuhe von den Füßen, raffte den Rock ihres Armani-Kostüms, kletterte aufs Sofa und wischte die Wandlampe ab.

Carlota seufzte. »Jetzt werden Sie mir bestimmt gleich wieder erzählen, wie Sie sich das Studium als Putzfrau finanziert haben, nicht wahr?«

»Und als Aushilfe im Büro, als Kellnerin und am Fließband in der Fabrik.« Isabel schob ihren Zeigefinger zwischen die Schneckenverzierungen der Lampe. »Während der gesamten Unizeit habe ich als Kellnerin oder Tellerwäscherin gejobbt – Himmel, hab ich diese Arbeit gehasst! –, und während ich meine Doktorarbeit geschrieben habe, habe ich durch Botengänge für faule, reiche Leute meinen Lebensunterhalt verdient.«

»Und jetzt sind Sie selber, wenn auch bestimmt nicht faul, so doch zumindest reich.«

Lächelnd staubte Isabel einen Bilderrahmen ab. »Genau das versuche ich Ihnen zu erklären. Mit harter Arbeit, Disziplin und Glauben können die Menschen dafür sorgen, dass ihre Träume wahr werden.«

»Wenn ich all das hören wollte, würde ich mir eine Eintrittskarte für einen Ihrer Vortragsabende kaufen.«

»Hier müssen Sie nicht mal was dafür zahlen.«

»Hab ich ein Glück. Sind Sie eventuell endlich fertig? Ich muss heute Abend nämlich auch noch durch andere Büros.«

Isabel kletterte vom Sofa, reichte Carlota das Staubtuch und ordnete die Reinigungsmittel auf dem Wagen so, dass Carlota an die Flaschen, die sie häufig brauchte, möglichst bequem herankam. »Warum haben Sie vorhin nach den Jeans gefragt?«

»Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie das aussieht.« Carlota schob sich den Rest des Snickers in den Mund. »Sie sehen immer so chic aus, als wüssten Sie nicht mal, wo ein Klo ist, ganz zu schweigen davon, dass Sie wissen, wie man es putzt.«

»Ich habe ein Image, das ich aufrechterhalten muss. Als ich die Vier Ecksteine eines positiven Lebens geschrieben habe, war ich gerade achtundzwanzig. Wenn ich mich nicht konservativ gekleidet hätte, wäre ich damals garantiert nicht ernst genommen worden.«

»Und jetzt sind Sie wie alt, zweiundsechzig? Sie brauchen Jeans.«

»Ich bin vierunddreißig, das wissen Sie genau.«

»Jeans und eine hübsche rote Bluse, eine von diesen engen Dingern, in denen man Ihren perfekten Busen nicht nur ahnt. Und ein paar hochhackige Schuhe.«

»Da Sie gerade von Prostituierten sprechen, habe ich Ihnen erzählt, dass die beiden jungen Damen, die dauernd unten auf der Straße stehen, gestern wegen des neuen Arbeitsbeschaffungsprogramms vorstellig geworden sind?«

»Und spätestens nächste Woche stehen sie wieder unten auf der Straße. Ich verstehe nicht, warum Sie Ihre Zeit mit ihnen vergeuden.«

»Weil ich sie mag. Sie arbeiten echt hart.« Isabel warf sich wieder in ihren Sessel und zwang sich, sich auf etwas Positives zu konzentrieren statt auf den sie schmähenden Artikel. »Die vier Ecksteine funktionieren bei jedem, von der Hure bis zum Heiligen, das kann ich mit Tausenden von Beispielen belegen.«

Carlota schnaubte und beendete durch Einschalten des Staubsaugers das Gespräch. Isabel warf die Zeitung in den Papierkorb und lenkte den Blick auf die erleuchtete Nische in der Wand zu ihrer Rechten, in der eine prächtige Lalique-Kristallvase auf einem kleinen Sockel stand. Darin eingraviert waren vier miteinander verbundene Rechtecke, das Logo ihres Unternehmens. Jedes Rechteck stand für einen der vier Ecksteine eines positiven Lebens:

Gesunde Beziehungen

 

Stolz auf den Beruf

Verantwortungsbewusster Umgang mit dem Geld

 

Spirituelle Kraft

Ihre Kritiker griffen die vier Ecksteine als allzu simplizistisch an, und mehr als einmal war ihr vorgeworfen worden, gleichermaßen selbstgefällig wie scheinheilig zu sein. Doch sie nahm nichts von dem, was sie verdiente, je als selbstverständlich, weshalb sie bestimmt nicht selbstgefällig war. Und was die angebliche Scheinheiligkeit betraf, war sie alles andere als ein Scharlatan. Sie hatte sich ihr Unternehmen und ihr Leben auf der Grundlage dieser Prinzipien aufgebaut, und es erfüllte sie mit Freude, dass ihre Arbeit auch anderen Menschen half. Sie hatte vier Bücher geschrieben (das fünfte käme in ein paar Wochen auf den Markt), es gab von ihr mindestens ein Dutzend Kassetten, sie war als Rednerin bereits auf Monate im Voraus ausgebucht und verfügte inzwischen über ein beachtliches Vermögen. Nicht schlecht für ein unscheinbares kleines Mädchen, das in emotionalem Chaos aufgewachsen war.

Sie musterte die ordentlichen Stapel auf ihrem blank geputzten Schreibtisch. Außerdem hatte sie einen Verlobten, auch wenn sie zu der seit einem Jahr versprochenen Planung ihrer Hochzeit aus Zeitmangel nicht kam, und vor sich einen Berg Papiere, den es, ehe sie nach Hause gehen könnte, abzuarbeiten galt.

Als Carlota den Putzwagen aus dem Zimmer rollte, winkte Isabel ihr zum Abschied und griff dann nach einem dicken Umschlag vom Finanzamt. Eigentlich hätte sich Tom Reynolds, ihr Buchhalter und gleichzeitig Manager, darum kümmern sollen, doch er hatte sich gestern krank gemeldet, und sie ließ nicht gerne etwas liegen.

Was jedoch echt nicht hieß, dass sie getrieben, anspruchsvoll oder gar schwierig war.

Sie schlitzte den Umschlang mit einem mit ihrem Monogramm versehenen Brieföffner auf. Den ganzen Tag über hatten Medienvertreter bei ihr angerufen, um sie zu einer Stellungnahme zu dem Artikel zu bewegen, doch sie hatte sich geweigert, öffentlich auf diese Schmähung einzugehen. Trotzdem rief die negative Presse ein gewisses Unbehagen in ihr wach. Ihr Geschäft basierte auf dem Respekt und der Zuneigung ihrer Fans, weshalb sie sich so angestrengt bemühte, ihr Leben beispielhaft zu gestalten. Dieser Artikel täte ihrem Image sicher Abbruch. Die Frage war nur, in welchem Maß.

Sie zog das Schreiben aus dem Umschlag und begann zu lesen. Nach der Hälfte der Lektüre schossen ihre Brauen in die Höhe, und sie zog ihr Telefon zu sich heran. Sie hatte gedacht, der Tag könnte schlimmer nicht mehr werden, und nun hatte sie plötzlich noch ein Problem mit dem Finanzamt  – was allerdings sicher nichts weiter als ein Missverständnis war. Eine nachträgliche Forderung in Höhe von 1,2 Millionen Dollar konnte nichts anderes als ein Missverständnis sein.

Sie füllte ihre Steuerformulare stets peinlich ehrlich aus, also war es eindeutig ein ärgerlicher Fehler des Computers. Trotzdem schaffte sie ihn besser umgehend aus der Welt. Auch wenn sie Tom nur ungern störte, wenn er krank im Bett lag, müsste er diese Sache doch sofort am nächsten Morgen klären.

»Marylin, ich bin es, Isabel. Ich muss dringend mit Tom sprechen.«

»Tom?«, fragte die Frau ihres Buchhalters mit einer Stimme, als hätte sie getrunken. Isabels eigene Eltern hatten regelmäßig derart schrecklich gelallt. »Tom ist nicht da.«

»Freut mich, dass es ihm wieder besser geht. Wann erwarten Sie ihn denn zurück? Ich fürchte, wir haben einen Notfall.«

Marylin schniefte. »Ich – ich hätte mich längst bei Ihnen melden sollen, aber …« Sie begann zu weinen. »Aber ich – ich konnte es einfach nicht …«

»Was ist passiert? Erzählen Sie mir, was passiert ist.«

»Es ist wegen T-Tom. Er ist – er ist –« Die Schluchzer ratterten durch ihre Kehle wie ein Presslufthammer durch Asphalt. »Er ist … m-m-m-mit meiner Sch-sch-schwester nach S-s-s-südamerika durchgebrannt!«

Und zwar nicht nur mit der Schwester seiner Ehefrau, sondern, wie sie weniger als vierundzwanzig Stunden später genau wusste, auch mit Isabels gesamtem Geld.

 

Während der Gespräche mit der Polizei und der langen Reihe schmerzlicher Termine beim Finanzamt stand Michael Sheridan ihr treu zur Seite. Er war nicht nur ihr Anwalt, sondern der Mann, den sie liebte. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sie eine größere Dankbarkeit dafür empfunden, dass es diesen Menschen gab. Doch nicht einmal seine Nähe reichte, um die Katastrophe abzuwenden, und Ende Mai, acht Wochen nach Erhalt des schicksalhaften Schreibens, sah Isabel ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

»Ich werde alles verlieren.« Sie rieb sich die Augen und warf ihre Tasche auf den antiken Stuhl im Wohnzimmer ihres in der Upper East Side gelegenen Apartments. Die warme Kirschholzvertäfelung des Raumes und die handgeknüpften Orientteppiche schimmerten im weichen Licht der Frederick-Cooper-Lampen. Sie wusste, dass irdische Besitztümer vergänglich waren, dass sie jedoch so vergänglich wären, hätte sie nicht gedacht.

»Ich werde die Wohnung verkaufen müssen – meine Möbel, meinen Schmuck, meine Antiquitäten.« Ebenso musste ihr Wohltätigkeitsfonds aufgelöst werden, mit dem sie so viel Gutes auf unterster Ebene hatte bewirken können. Alles wäre fort.

Damit erzählte sie ihrem Verlobten nichts, was er nicht bereits wusste. Dadurch, dass sie es aussprach, versuchte sie lediglich, es real werden zu lassen, damit sie sich daran gewöhnte. Als keine Antwort von ihm kam, bedachte sie ihn mit einem entschuldigenden Blick. »Du bist den ganzen Abend so still. Ich habe dich mit meinem Gejammer sicherlich erschöpft.«

Bisher hatte er aus dem Fenster hinunter auf den Park gesehen, nun aber wandte er sich ihr zu. »Du bist keine Frau, die jemals jammert, Isabel. Du versuchst lediglich, dich neu zu orientieren.«

»Taktvoll wie immer.« Sie verzog den Mund zu einem reuevollen Lächeln und rückte eins der Kissen auf der Couch zurecht.

Sie und Michael lebten nicht zusammen – von so etwas hatte sie noch nie etwas gehalten –, aber manchmal hätte sie doch gerne ein gemeinsames Heim gehabt. Getrennte Wohnungen bedeuteten, dass sie einander nur selten sahen. In letzter Zeit hatten sie Glück gehabt, wenn Samstagabend ein gemeinsames Essen klappte. Und was den Sex betraf … sie konnte sich nicht daran erinnern, wann zum letzten Mal einem von ihnen danach zumute gewesen war.

Als Isabel Michael Sheridan getroffen hatte, war ihr sofort klar gewesen, dass es eine tiefe Seelenverwandtschaft zwischen ihnen beiden gab. Sie beide kamen aus nicht funktionierenden Familien und hatten sich ihr Studium durch harte Arbeit selbst verdient. Er war intelligent und ehrgeizig und ebenso ordentlich und seiner Karriere verpflichtet wie sie selbst. Er hatte ihr bei der endgültigen Fassung ihrer Vorträge über die vier Ecksteine geholfen und hatte, als sie vor zwei Jahren ein Buch über gesunde Beziehungen geschrieben hatte, in einem Kapitel die männliche Sichtweise erklärt. Ihre Anhänger wussten alles über ihre Beziehung und fragten pausenlos, wann denn endlich der Termin für ihre Hochzeit wäre.

Außerdem empfand sie sein nettes, dezentes Äußeres als tröstlich. Er hatte ein schmales, längliches Gesicht und sorgfältig geschnittenes, mittelbraunes Haar. Er war nur einen Meter fünfundsiebzig groß, sodass er kein Unbehagen in ihr wachrief, indem er sie um Haupteslänge überragte. Er war ausgeglichen, dachte logisch und war vor allem stets beherrscht. Bei Michael waren niemals irgendwelche Stimmungstiefs oder plötzliche Ausbrüche zu erwarten. Er war ihr vertraut und durchgehend freundlich, etwas steif auf eine durchaus nicht unangenehme Art und somit für sie schlichtweg der perfekte Partner. Sie hätten bereits vor einem Jahr heiraten sollen, aber sie beide hatten zu viel zu tun gehabt und kamen auch ohne Trauschein so gut miteinander zurecht, dass in Isabels Augen kein Grund zur Eile bestand. Vor allem drohte selbst bei der organisiertesten Hochzeit ein gewisses Chaos.

»Ich habe heute die Verkaufszahlen meines neuen Buchs bekommen.« Entschlossen verbannte sie jede Bitterkeit aus ihrem Ton.

»Das war nur ein unglückliches Timing.«

»In den Talkshows reißen sie schon Witze über mich, was sich ja wirklich anbietet. Schließlich ist, während ich ein Buch über den verantwortungsbewussten Umgang mit Geld geschrieben habe, mein Manager mit einem Großteil meines Geldes durchgebrannt.« Sie streifte sich die Schuhe ab und schob sie, um nicht später darüber zu stolpern, sorgsam unter einen Stuhl. Wenn ihr Verleger die Auslieferung des Buches hätte stoppen können, hätte ihr das zumindest diese letzte öffentliche Erniedrigung erspart. Ihr vorheriges Buch war sechzehn Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times gewesen, dieses Werk hingegen staubte ungelesen in den Regalen der Geschäfte vor sich hin. »Wie viele Exemplare habe ich bisher verkauft? Hundert?«

»So schlimm ist es bestimmt nicht.«

Und ob es so schlimm war. Ihr Verleger rief sie schon längst nicht mehr zurück, und der Kartenverkauf für ihre sommerliche Vortragsreihe war derart schleppend angelaufen, dass die Tournee gezwungenermaßen abgeblasen worden war. Sie verlor also nicht nur all ihren materiellen Besitz an das Finanzamt, sondern obendrein ihren über Jahre hinweg mühsam aufgebauten guten Ruf.

Sie atmete tief durch, um die in ihr aufsteigende Panik zu verdrängen, und versuchte, das Ganze positiv zu sehen. Endlich hätte sie alle Zeit der Welt für die Planung ihrer Hochzeit. Allerdings: Wenn Michael sie gerade jetzt zur Frau nahm, müsste er sie unterstützen, bis sie beruflich wieder auf eigenen Beinen stünde. Falls ihr das überhaupt jemals gelang …

Doch die vier Ecksteine verboten, dass man sich von negativen Gedanken lähmen ließ. Also spräche sie das Thema am besten sofort an. »Michael, ich weiß, dass es schon spät ist und dass du gesagt hast, du wärst müde, aber wir müssen über unsere Hochzeit reden.«

Er drehte die Lautstärke der Stereoanlage etwas höher. Er hatte im Büro jede Menge Stress, und ihre Probleme machten es nicht besser. Sie streckte die Hand nach seinem Arm aus, doch er trat einen Schritt zurück. »Nicht jetzt, Isabel.«

Sie erinnerte sich daran, dass sie nie besonders zärtlich miteinander umgegangen waren, und versuchte, nicht traurig über diese Zurückweisung zu sein, vor allem, da ihre Misere in den letzten Wochen auch für ihn eine große Belastung gewesen war. »Ich möchte dir das Leben nicht noch schwerer, sondern leichter machen«, sagte sie leise. »Du hast in den letzten Wochen nicht mehr von der Hochzeit gesprochen, aber ich weiß, dass du wegen meiner Terminschwierigkeiten sauer auf mich bist. Jetzt bin ich bankrott, und der Gedanke, auf Kosten eines anderen zu leben, selbst wenn dieser andere du bist, ist mir schier unerträglich.«

»Isabel, bitte …«

»Ich weiß, du wirst sagen, dass das doch egal ist – dass dein Geld auch mein Geld ist –, aber ich kann das nicht so sehen. Ich stehe, seit ich achtzehn bin, finanziell auf eigenen Beinen und –«

»Isabel, hör auf.«

Er wurde so gut wie niemals laut, aber da sie ihn mit ihrer Rede so überfuhr, konnte sie es ihm nicht verdenken, wenn er die Geduld verlor. Ihre Direktheit war eine ihrer Stärken und gleichzeitigen Schwächen.

Er blickte wieder aus dem Fenster. »Ich habe jemanden kennen gelernt.«

»Wirklich? Wen?« Die meisten seiner Freunde waren Anwälte wie er, wunderbare, doch etwas langweilige Menschen. Deshalb wäre es nett, wenn jemand Neues in diese Runde käme.

»Sie heißt Erin.«

»Kenne ich sie?«

»Nein. Sie ist älter als ich, fast vierzig.« Er wandte sich ihr wieder zu. »Sie ist total chaotisch – ein bisschen übergewichtig und lebt in einer irrwitzigen Wohnung. Make-up und Klamotten sind ihr völlig egal, und nichts, was sie anhat, passt jemals auch nur annähernd zusammen. Sie hat nicht einmal einen Collegeabschluss.«

»Na und? Wir sind doch keine Snobs.« Isabel trug das Weinglas, das Michael auf dem Couchtisch hatte stehen lassen, in die Küche. »Und ehrlich gesagt sind du und ich manchmal womöglich ein bisschen steif.«

Er folgte ihr und erklärte, erfüllt von einer Energie, wie Isabel sie schon seit Monaten nicht mehr an ihm hatte erleben dürfen: »Sie ist der impulsivste Mensch, den ich je getroffen habe. Sie flucht wie ein Müllkutscher und liebt die allerschlimmsten Filme. Sie erzählt mir fürchterliche Witze, sie trinkt jede Menge Bier und … aber sie ist mit sich im Reinen. Sie« – er atmete tief durch – »sie gibt auch mir das Gefühl, mit mir im Reinen zu sein und … es ist Tatsache, dass ich sie liebe.«

»Dann werde ich sie sicher ebenfalls lieben.« Isabel lächelte. Sie lächelte und lächelte, bis ihr Gesicht erstarrte, denn solange dieses Lächeln hielt, wäre alles gut.

»Sie ist schwanger, Isabel. Erin und ich bekommen ein Baby. Wir werden nächste Woche standesamtlich heiraten.«

Das Weinglas fiel krachend in die Spüle.

»Ich weiß, dass dies nicht gerade ein guter Zeitpunkt ist, um es dir zu sagen, aber …«

Ihr Magen verknotete sich. Sie wollte, dass er aufhörte. Sie wollte, dass die Zeit stehen blieb und zurückwanderte, dorthin, wo nichts von alledem passiert war.

Er wirkte kreidebleich und elend. »Wir beide wissen, dass es zwischen uns beiden auf Dauer nicht funktioniert.«

Zischend entwich die Luft aus ihrer Lunge. »Das ist nicht wahr. Es war – es ist –« Sie drohte zu ersticken.

»Wir sehen uns doch fast nur geschäftlich.«

Sie atmete mühsam und legte die Finger um das goldene Armband, das sie stets trug. »Wir hatten … halt sehr viel zu tun, das ist alles.«

»Wir haben schon seit Monaten nicht mehr miteinander geschlafen!«

»Das ist … das ist nur eine Phase.« Sie hörte eine Spur von Hysterie in ihrer Stimme und kämpfte verzweifelt darum, dass sie nicht vollends die Kontrolle über sich verlor. »In unserer Beziehung ging es … niemals nur um Sex. Darüber haben wir gesprochen. Es ist – es ist nur eine Phase«, wiederholte sie.

Er trat dichter an sie heran. »Rede keinen Unsinn, Isabel! Lüg dir nicht selber derart in die Tasche. Solange unser Liebesleben nicht in deinem verdammten Terminkalender steht, ist es doch gar nicht existent.«

»Komm mir ja nicht mit meinem Kalender! Schließlich nimmst du deinen Kalender sogar mit ins Bett!«

»Zumindest ist er warm!«

Sie hatte das Gefühl, als hätte er ihr eine Ohrfeige versetzt.

Er senkte reuevoll den Kopf. »Entschuldigung. Das war nicht nötig. Und es ist auch nicht wahr. Meistens war es zwischen uns durchaus in Ordnung. Es ist nur so …« Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich habe mich nach Leidenschaft gesehnt.«

Sie umklammerte den Tisch. »Leidenschaft? Wir sind erwachsene Menschen.« Sie musste sich beruhigen. Musste wieder Luft bekommen und sich umgehend beruhigen. »Wenn du mit unserem Liebesleben unzufrieden bist, können wir ja zu einer … Paarberatung gehen.« Sie wusste, es gäbe keine Beratung. Diese Frau trug Michaels Kind unter dem Herzen. Das von Isabel für irgendwann nach der Hochzeit geplante Kind.

»Ich will keine Beratung.« Seine Stimme wurde leise. »Nicht ich, sondern du hast damit ein Problem.«

»Das ist nicht wahr.«

»Es ist … wenn es um Sex geht, bist du wirklich schizophren. Manchmal bist du echt heiß. Andere Male hingegen hatte ich das Gefühl, als tätest du mir lediglich einen Gefallen und könntest es gar nicht erwarten, dass es vorbei ist. Wieder andere Male hat es sich sogar so angefühlt, als wärst du gar nicht vorhanden.«

»Die meisten Männer wüssten eine gewisse Abwechslung bestimmt zu schätzen.«

»Du musst dauernd alles unter Kontrolle haben. Möglicherweise hast du deshalb keinen besonderen Spaß am Sex.«

Der mitleidige Blick, mit dem er sie bedachte, war mehr, als sie ertrug. Sie sollte ihn bemitleiden. Er verließ sie wegen einer schlecht gekleideten, älteren Frau, die schreckliche Filme liebte, Bier trank … und in Bezug auf Sex offenbar nicht schizophren war.

Ihre Stimme wurde schrill. »Du irrst dich. Du liegst völlig falsch. Ich liebe Sex! Ich lebe dafür, mit einem Mann zu schlafen! Sex ist alles, woran ich denke!«

»Ich liebe sie, Isabel.«

»Das ist keine wahre Liebe. Es ist –«

»Verdammt, sag mir nicht, was ich empfinde. Das hast du unablässig getan. Du meinst, du wüsstest alles, aber das ist nicht wahr.«

Das war gemein. Sie wollte nur den Menschen helfen.

»Das hier kannst du nicht kontrollieren, Isabel. Ich brauche ein normales Leben. Ich brauche Erin. Und ich brauche das Baby.«

Am liebsten hätte sie sich in einer Ecke zusammengerollt und nur noch geheult. »Dann nimm sie und werde mit ihr glücklich. Ich will dich nie mehr sehen.«

»Versuch doch bitte zu verstehen. Bei ihr fühle ich mich – ich weiß nicht – sicher. Normal. Du bist mir einfach zu viel! Zu viel von allem! Du machst mich krank.«

»Gut. Hau ab.«

»Ich hätte gehofft, dass wir das Ganze wie zwei zivilisierte Menschen klären und dass wir Freunde bleiben können.«

»Können wir leider nicht. Verschwinde aus meiner Wohnung.«

Was er ohne ein weiteres Wort und ohne sie noch einmal anzuschauen tat.

Sie begann zu würgen. Stolperte zur Spüle, drehte das kalte Wasser auf und meinte zu ersticken. Sie wankte Richtung Fenster, kämpfte mit dem Riegel und hielt den Kopf schließlich hinaus. Es regnete, doch das war ihr egal. Sie rang keuchend nach Luft und suchte vergeblich nach einem passenden Gebet.

Stattdessen kam ihr ein Gedanke.

Gesunde BeziehungenStolz auf den BerufVerantwortungsbewusster Umgang mit GeldSpirituelle Kraft

Die vier Ecksteine des positiven Lebens waren nacheinander eingestürzt und hatten sie unter sich begraben.

2

Lorenzo Gage verfügte über eine verderbte Attraktivität. Er hatte dichtes, samtig dunkles Haar und silberblaue Augen, die so kalt und stechend blickten wie die eines wilden Tieres. Seine schmalen schwarzen Brauen schossen pfeilgleich in die Höhe, und mit seiner hohen Stirn wirkte er aristokratisch, doch zugleich korrupt. Seine Lippen waren grausam sinnlich, und seine Wangenknochen sahen aus, als hätte er sie mit dem Messer, das er in der Hand hielt, meisterhaft geschnitzt.

Gage verdiente seinen Lebensunterhalt mit dem Töten anderer Menschen. Vorzugsweise Frauen. Wunderschöner Frauen. Er schlug sie, quälte sie, missbrauchte sie und brachte sie am Ende um. Manchmal schoss er ihnen geradewegs ins Herz. Manchmal jedoch wurden sie regelrecht zerstückelt. Augenblicklich war Letzteres der Fall.

Das rothaarige Mädchen, das in seinem Bett lag, trug nur noch seine Dessous. Seine Haut hob sich schimmernd von dem schwarzen Satintuch ab. »Du hast mich betrogen«, erklärte er mit ruhiger Stimme. »Ich mag es nicht, wenn Frauen mich betrügen.«

Ihre grünen Augen füllten sich mit Tränen des Entsetzens. Umso besser, dachte er.

Er beugte sich ein wenig vor und schob mit der Spitze seines Dolchs die Decke von ihrem Schenkel. Schreiend rollte sie sich auf die Seite, sprang vom Bett und schoss in Richtung Tür.

Er mochte es, wenn sie sich wehrten, und ließ sie deshalb die Tür erreichen, ehe er sie wieder einfing. Sie versuchte verzweifelt, sich ihm zu entwinden, doch als ihr Widerstand ihn nicht mehr reizte, schlug er ihr mit dem Handrücken mitten ins Gesicht. Der kräftige Schlag schleuderte sie zurück aufs Bett. Sie fiel rücklings auf die Matratze und lag keuchend und mit weit gespreizten Schenkeln völlig wehrlos da. Abgesehen von einem leisen erwartungsvollen Flackern seiner Augen zeigte er nicht die geringste Regung. Dann verzog er seine Lippen zu einem brutalen Lächeln und öffnete mit einer Hand die silberne Schnalle seines Gürtels.

Gages Magen zog sich zusammen. Er konnte Grausamkeiten einfach nicht ertragen und wusste, anders als die anderen Kinogänger, was als Nächstes kam. Er hatte gehofft, die italienische Synchronisation lenke ihn genügend von dem Gemetzel auf der Leinwand ab. Doch die Überreste eines schlimmen Katers hatten sich zusammen mit einem ernsten Fall von Jetlag gegen ihn verschworen. Es war einfach ätzend, Hollywoods beliebtester Psychopath zu sein.

Früher hatte John Malkovich den Part innegehabt, doch sobald die Öffentlichkeit Ren Gage gesehen hatte, hatte sie mehr von diesem Schurken mit dem Gesicht, für das man sterben würde, begehrt. Bis heute Abend hatte er Die Allianz des Schlachtens weiträumig gemieden, da sein Film jedoch von der Kritik nur leicht verabscheut worden war, hatte er beschlossen, so schlimm könnte es nicht sein. Was eindeutig eine Fehleinschätzung gewesen war.

Vergewaltiger, Serienmörder, Auftragskiller. Dies waren echt keine angenehmen Jobs. Neben den zahllosen Frauen, die er missbraucht und am Schluss getötet hatte, hatte er bereits Mel Gibson gefoltert, Ben Affleck einen Wagenheber in die Kniescheibe gerammt, Pierce Brosnan eine beinahe tödliche Brustverletzung zugefügt und Denzel Washington in einem atomar betriebenen Hubschrauber gejagt. Er hatte sogar Sean Connery ermordet. Wofür er sicher in der Hölle schmoren würde. Niemand tat Sean Connery ungestraft etwas an.

Doch vor Ende des jeweiligen Films zahlten ihm die Stars seine Attacken für gewöhnlich doppelt und dreifach heim. Ren war bereits erdrosselt worden, verbrannt, geköpft, kastriert  – wobei er von Letzterem besonders betroffen gewesen war. Und jetzt wurde er, weil er Amerikas Filmschätzchen in den Selbstmord getrieben hatte, öffentlich gevierteilt. Nur – einen Augenblick – das war das wahre Leben, oder etwa nicht? Sein ureigenes, allzu reales, total beschissenes Leben.

Von dem Geschrei auf der Leinwand dröhnte ihm der Schädel. Er hob gerade rechtzeitig den Kopf, um das Blut spritzen zu sehen, als der Rotschopf endgültig ins Gras biss. Pech gehabt, Schätzchen. Das ist eben der Preis, den man dafür zahlt, dass man sich von einem hübschen Gesicht den Kopf verdrehen lässt.

Weder sein Schädel noch sein Magen hielten es länger aus, und so schlich er lautlos aus dem dunklen Kino. Seine Filme waren internationale Renner, und als er sich unter die Menschen mischte, die die milde Abendluft genossen, sah er sich vorsichtig um. Niemand schien ihn zu erkennen, denn Einheimische und Touristen waren ganz auf den Genuss des fröhlichen Florentiner Treibens konzentriert.

Gut. Das Letzte, was er wollte, war ein Gespräch mit irgendwelchen Fans. Also hatte er sich, obgleich er in der letzten Nacht kaum Schlaf bekommen hatte, vor Verlassen seines Zimmers extra Zeit genommen, um sein Aussehen zu verändern. Seine berühmten silberblauen Augen hatte er hinter braunen Kontaktlinsen versteckt, und seine dunklen Haare – die er für die zwei Tage zuvor in Australien beendeten Dreharbeiten zu seinem jüngsten Film hatte wachsen lassen müssen – hingen offen über seine Schultern. Außerdem hatte er sich absichtlich nicht rasiert, weil er hoffte, dass unter den Stoppeln das fein gemeißelte Kinn – ein Erbteil seiner Vorfahren, der Medici – nicht zu erkennen war. Zwar hätte er lieber abgewetzte Jeans getragen, hatte sich aber mit der eleganten Kleidung eines wohlhabenden Italieners kostümiert: schwarzes Seidenhemd, dunkle Hose, elegante Slipper, von denen einer einen Kratzer hatte, weil er in Bezug auf Kleidung ebenso nachlässig wie in Bezug auf andere Menschen war. Das Verlangen, unerkannt zu bleiben, war eine relativ neue Erfahrung. Normalerweise stand er gern im Rampenlicht. Nur halt jetzt gerade nicht.

Er sollte zurückkehren ins Hotel und bis zum nächsten Mittag schlafen, doch dazu war er zu rastlos. Wenn seine Kumpel hier gewesen wären, hätte er vermutlich irgendeinen Nachtclub aufgesucht, na ja, vielleicht auch nicht. Selbst die Kneipenszene hatte ihren Reiz verloren. Unglücklicherweise jedoch war er ein Nachtmensch und hatte bis jetzt noch nicht herausgefunden, wie sich die Zeit bis zum morgendlichen Dämmer anders als mit wilden Partys herumbringen ließ.

Aus dem Schaufenster eines Metzgers starrte ihm ein ausgestopfter Wildschweinkopf entgegen, und hastig wandte er sich ab. Die letzten Tage waren fürchterlich gewesen. Karli Swenson, seine Ex und zugleich eine der beliebtesten Jungschauspielerinnen Hollywoods, war letzte Woche in ihrem Haus am Strand von Malibu tot aufgefunden worden. Karli hatte lange Kokain genommen, also nahm er an, dass ihr Selbstmord Folge ihres Drogenmissbrauchs war, was ihn derart wütend machte, dass er immer noch keine echte Trauer um sie empfand. Eins wusste er hundertprozentig – seinetwegen hatte sie sich nicht umgebracht.

Selbst als sie noch ein Paar gewesen waren, hatte sich Karli viel mehr für das Koksen als für ihren Partner interessiert. Doch das Publikum hatte sie vergöttert, und die Revolverblätter wollten eine aufregendere Story als die von dem jungen Mädchen, das an Drogen zugrunde gegangen war. Also waren sie zu dem Schluss gekommen, dass er der Grund für ihren Selbstmord gewesen war. Hollywoods böser Bube, dessen herzloser Umgang mit Frauen die liebreizende Karli in ihr Grab getrieben hatte.

Da derartige Geschichten seine Karriere vorangetrieben hatten, konnte er den Medien dieses Vorgehen nicht verdenken. Trotzdem war es störend, plötzlich wegen einer derart unangenehmen Story im Mittelpunkt zu stehen. Deshalb hatte er beschlossen, sich etwas im Hintergrund zu halten, bis er in sechs Wochen mit den Dreharbeiten zu seinem nächsten Film begann.

Ursprünglich hatte er geplant, eine alte Freundin anzurufen, mit ihr in die Karibik zu fliegen und sein Sexualleben, das bereits seit ein paar Monaten auf Eis lag, wieder auf Vordermann zu bringen. Doch der Aufruhr wegen Karlis Tod hatte ihn dazu bewogen, größeren Abstand zu Amerika zu suchen, weshalb er stattdessen lieber nach Italien geflogen war. Es war nicht nur das Land seiner Vorfahren, sondern auch der Ort, an dem die Arbeit zu seinem nächsten Film begann. Also konnte er sich gleichzeitig schon mal an die hiesige Atmosphäre gewöhnen und in die Haut des Mannes schlüpfen, den er während der nächsten Dreharbeiten darstellen würde. Zu diesem Zweck war es auch von Vorteil, dass er ohne irgendeine publicitysüchtige Exfreundin hier war.

Verdammt. Bis der Aufruhr wegen Karlis Selbstmord in ein paar Wochen verklungen wäre, hielte er es ja wohl ein paar Wochen ohne Frau und ohne irgendwelche Kumpel aus. Der Gedanke, unerkannt herumzureisen, war noch derart neu, dass er ihn als durchaus anregend empfand.

Er hob den Kopf und merkte, dass er ins Zentrum von Florenz gelaufen war und sich inzwischen mitten auf der belebten Piazza della Signoria befand. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal allein gewesen war. Er schlenderte über das Kopfsteinpflaster hinüber zu Rivoire und fand einen Tisch unter der Markise. Der Ober erschien, um seine Bestellung aufzunehmen. Um seinen mächtigen Kater zu pflegen, hätte er ein Sodawasser bestellen sollen, doch er tat nur selten, was die Vernunft ihm riet, weshalb er prompt eine Flasche des besten Brunello bei dem Mann in Auftrag gab. Der Ober brauchte eine Ewigkeit, bis er mit dem Wein zurückkam, und Ren musterte ihn sauer, als er endlich wieder auftauchte. Es gab allerdings viele Gründe für seine schlechte Laune: Schlafmangel, Alkohol, die Tatsache, dass er hundemüde war, den Tod der süßen, unglücklichen Karli und das allgemeine Gefühl, dass das Rampenlicht, in dem er stand, lange noch nicht hell genug war, dass all das Geld, das er verdiente, und all der Ruhm, der ihm inzwischen zuteil geworden war, immer noch nicht reichten. Er war übersättigt, rastlos, und er wollte mehr. Mehr Ruhm. Mehr Geld. Mehr … von etwas, das er nicht benennen konnte.

Er sagte sich, dass sein nächster Film ihm dieses Etwas gäbe. Sämtliche Schauspieler Hollywoods waren versessen auf den Part des bösen Kaspar Street, doch nur Ren war die Rolle angeboten worden. Es war die Rolle seines Lebens, die Chance, dass er endlich ganz nach oben kam.

Langsam nahm seine Anspannung ein wenig ab. Night Kill bedeutete monatelange harte Arbeit. Bis die Dreharbeiten begännen, würde er Italien genießen. Gut essen, gut trinken, sich entspannen und tun, was er am besten konnte. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, nippte an seinem Wein und wartete darauf, dass ihn das Leben unterhielt.

 

Isabel blickte auf die rosagrüne Kuppel des Duomo, die sich leuchtend vom Abendhimmel abhob, und kam zu dem Ergebnis, dass ihr das berühmteste Bauwerk von Florenz statt prachtvoll eher protzig und abstoßend erschien. Sie mochte diese Stadt nicht. Selbst abends war sie laut und voll. Auch wenn es stereotyp hieß, Italien wäre der reinste Balsam für die Seelen unglücklicher Frauen, wäre sie doch besser in New York geblieben.

Sie versuchte sich zu beruhigen. Schließlich war sie erst gestern Abend angekommen, und Florenz war nicht ihr eigentliches Ziel. Das eigentliche Ziel hatten das Schicksal und ihre Freundin Denise für sie bestimmt. Seit Jahren hatte Denise von einer Reise nach Italien geträumt. Endlich hatte sie einen zweimonatigen Urlaub bei ihrer Firma an der Wall Street eingereicht und für die Monate September und Oktober ein Haus in der Toskana gemietet, um dort mit der Arbeit an einem Buch über Investment-Strategien für allein stehende Frauen zu beginnen. »Besser als in Italien werde ich nirgends inspiriert«, hatte Denise Isabel über einem Endiviensalat und glasierten Birnen bei Jo Jo’s, ihrem gemeinsamen Lieblingsrestaurant, erklärt. »Ich werde tagsüber schreiben und abends fantastisch essen und hervorragende Weine dazu trinken.«

Kurz nachdem Denise jedoch den Mietvertrag für ihr Traumhaus in der Toskana unterzeichnet hatte, hatte sie den Mann ihrer Träume kennen gelernt und erklärt, sie könne New York derzeit auf keinen Fall verlassen. Weshalb am Ende Isabel zu dem kostengünstigen Bauernhaus aufgebrochen war.

Einen besseren Zeitpunkt hätte es für sie nicht geben können. Das Leben in New York war unerträglich. Ihr Unternehmen war aufgelöst, ihr Büro geschlossen, ihre Angestellten hatten sich einen anderen Job suchen müssen. Sie hatte keinen neuen Buchvertrag, keine Termine für Vortragsreisen und nur noch sehr wenig Geld. Die Wohnung hatte sie zusammen mit fast allem anderen, was sie besaß, versteigert und von dem Erlös einen Teil ihrer Steuerschuld bezahlt. Selbst die Lalique-Vase mit dem eingravierten Firmenlogo war sie inzwischen los. Alles, was sie jetzt noch hatte, waren ihre Kleider, ein zerstörtes Leben und zwei Monate in Italien, um sich zu überlegen, was sie tun konnte.

Jemand rempelte sie an, und sie zuckte zusammen. Es waren nicht mehr ganz so viele Menschen unterwegs, und da sich die New Yorkerin in ihr nicht länger sicher fühlte, ging sie die Via dei Calzaiuoli hinunter zur Piazza della Signoria. Sie sagte sich wie ein Mantra vor, dass sie sich richtig entschieden hatte. Nur durch einen sauberen Bruch mit dem Vertrauten würde sie imstande sein, um an Neues denken zu können, das Tal der Tränen hinter sich zu lassen. Sie wäre in der Lage, wieder nach vorn zu sehen.

Sie hatte einen genauen Plan, wie sie diesen Prozess in Angriff nehmen würde. Abgeschiedenheit. Erholung. Nachdenken. Und schließlich handeln. Vier Schritte, genau wie die vier Ecksteine ihres bisherigen positiven Lebens.

»Kannst du nicht einmal impulsiv sein?«, hatte Michael sie irgendwann gefragt. »Musst du immer alles planen?«

Es war etwas über drei Monate her, seit Michael sie wegen einer anderen Frau verlassen hatte, doch selbst jetzt noch hörte sie im Geiste so häufig seine Stimme, dass sie schier verrückt wurde. Letzten Monat hatte sie ihn zufällig im Central Park gesehen. Er hatte den Arm um eine schlecht gekleidete Schwangere gehabt, und selbst aus der Entfernung von über fünfzehn Metern hatte Isabel ihr, wenn vielleicht auch etwas blödes, so doch glückliches Lachen gehört. In ihrer ganzen gemeinsamen Zeit hatten er und Isabel kein einziges Mal miteinander gealbert, und Isabel hatte den Eindruck, gar nicht mehr zu wissen, wie man so etwas tat.

Auf der Piazza della Signoria herrschte das gleiche Gedränge wie im restlichen Florenz. Touristen scharten sich um die Statuen, und neben dem Neptunsbrunnen stimmten zwei Musiker ihre Gitarren. Der düstere Palazzo Vecchio mit seinem Uhrenturm und den mittelalterlichen Bannern ragte ebenso bedrohlich aus dem abendlichen Treiben auf wie schon im vierzehnten Jahrhundert.

Die Lederpumps, die sie sich letztes Jahr dreihundert Dollar hatte kosten lassen, brachten sie allmählich um. Doch der Gedanke an die Rückkehr ins Hotel war allzu deprimierend, und so kämpfte sie sich, als sie die beige-braune Markise des Rivoire entdeckte, eines in ihrem Touristenführer erwähnten Cafés, durch eine Gruppe deutscher Touristen und setzte sich erschöpft an einen freien Tisch.

»Buona sera, signora …« Der Kellner war mindestens sechzig, doch das hielt ihn nicht davon ab, mit ihr zu flirten, als er ihre Bestellung entgegennahm. Neben einem Wein hätte sie gern auch einen Risotto bestellt, doch die Preise waren noch höher als die in dem Gericht enthaltene Zahl an Kalorien, und so beließ sie es bei dem Getränk. Wie lange war es her, seit sie sich zum letzten Mal über den Preis eines Gerichts hatte Gedanken machen müssen?

Als der Ober ging, rückte sie Salz- und Pfefferstreuer in die Mitte ihres Tischtuchs und schob den Aschenbecher an den Rand. Michael und seine Frau hatten so glücklich ausgesehen.

»Du bist mir einfach zu viel«, hatte er gesagt. »Von allem zu viel.« Weshalb also hatte sie das Gefühl, als wäre sie von allem viel zu wenig?

Sie leerte ihr Glas viel schneller, als sie es sollte, und bestellte umgehend noch einen Wein. Der Hang ihrer Eltern zu persönlichen Exzessen hatte sie in Bezug auf Alkohol sehr vorsichtig gemacht, aber sie war in der Fremde, und die Leere, die seit Monaten in ihrem Inneren herrschte, wäre beschwipst besser zu ertragen.

»Nicht ich, sondern du hast ein Problem …«

Sie hatte sich geschworen, heute Abend nicht schon wieder darüber zu grübeln, doch offensichtlich verfolgte sie ihr Scheitern unendlich.

»Du musst immer alles kontrollieren. Vielleicht hast du deshalb keinen besonderen Spaß am Sex.«

Das war einfach unfair. Sie hatte Spaß am Sex. Sie hatte sogar erwogen, sich zum Beweis für ihre Freude an sinnlichen Vergnügungen einen Liebhaber zu nehmen, war dann jedoch vor dem Gedanken an Sex außerhalb einer festen Beziehung wieder zurückgeschreckt. Auch das war sicher eine Folge der Fehler ihrer Eltern, deren jahrelange Zeugin sie gewesen war.

Sie wischte die Lippenstiftspur von ihrem Glas. Auch beim Sex ging man am besten stets partnerschaftlich miteinander um, doch das hatte Michael wohl vergessen. Wenn er nicht zufrieden gewesen war, hätte er mit ihr darüber sprechen sollen, statt sich nach einer anderen Gespielin umzusehen.

Beseelt von ihrem Unglück, leerte sie zügig auch ihr zweites Weinglas und gab die Bestellung für ein drittes Glas auf. Eine ausschweifende Nacht würde sie bestimmt nicht zur Alkoholikerin machen.

Am Nebentisch saßen zwei Frauen, rauchten, gestikulierten mit den Händen und rollten, sicher, weil das Leben so absurd war, ständig mit den Augen. Eine Gruppe amerikanischer Studenten tat sich an Eis und Pizza gütlich, während ein älteres Paar einander gegenüber beim Aperitif in Gläsern von der Größe zweier Fingerhüte saß.

»Ich habe mich schon lange nach Leidenschaft gesehnt«, hatte Michael gesagt.

Die Bedeutung dieses Satzes war zu schmerzlich, um darüber nachzudenken. Also bewunderte sie die Statuen auf der anderen Seite der Piazza, Kopien vom Raub der Sabinerinnen, Cellinis Perseus, Michelangelos David. Dann fiel ihr Blick mit einem Mal auf das erstaunlichste männliche Wesen, dessen sie jemals angesichtig worden war …

Er saß drei Tische weiter und wirkte in dem Hemd aus zerknautschter schwarzer Seide, mit dem unrasierten Kinn, den langen, glatten Haaren und den La-Dolce-Vita-Augen wie die Personifizierung italienischer Dekadenz. Zwei lange, schmale Finger einer ebenso schmalen Hand lagen lässig um den Stiel eines Glases. Er wirkte reich, verwöhnt, gelangweilt und erinnerte sie an Marcello Mastroianni in seinen besten Zeiten.

Etwas an dem Mann war ihr seltsam vertraut, obgleich sie wusste, dass sie ihm nie zuvor begegnet war. Sein Gesicht hätte von einem der alten Meister – Michelangelo, Botticelli, Raphael – gemalt worden sein können. Das war sicherlich der Grund, weshalb ihr war, als hätte sie ihn irgendwo zuvor schon mal gesehen.

Noch während sie ihn sich genauer ansah, wurde ihr bewusst, dass er sie seinerseits einer gründlichen Musterung unterzog …

3

Ren beobachtete sie schon seit ihrer Ankunft im Café. Erst der dritte ihr angebotene Tisch hatte ihr gefallen, und nachdem sie endlich Platz genommen hatte, hatte sie als Erstes Salz- und Pfefferstreuer sowie den Aschenbecher nach ihren Wünschen arrangiert. Eine penible Frau. Ihre Intelligenz war so deutlich zu erkennen wie die teure Eleganz ihrer italienischen Schuhe, und selbst aus der Ferne verströmte sie eine ernsthafte Zielgerichtetheit, die ebenso sexy war wie ihre vollen Lippen.

Sie schien Anfang dreißig zu sein, war dezent geschminkt und trug die schlichte, doch kostspielige Kleidung, wie sie elegante, weltgewandte Europäerinnen mochten. Ihr Gesicht war weniger schön als vielmehr faszinierend. Sie war nicht so mager, wie es in Hollywood modern war, aber ihr Körper wirkte durchaus attraktiv – die Brüste und die Hüften waren ansprechend proportioniert, sie hatte eine gertenschlanke Taille, und unter ihrer schwarzen Hose zeichneten sich phänomenale Beine ab. Die Strähnchen in ihren blonden Haaren waren sicher nicht natürlich, doch er würde wetten, dass sonst alles an ihr echt war. Sie hatte weder falsche Fingernägel noch künstliche Wimpern. Und wenn diese Brüste mit Silikon vergrößert worden wären, würde sie ganz sicher damit protzen, statt sie unter ihrem adretten schwarzen Pullover zu verstecken.

Er sah zu, wie sie ihr Weinglas leerte, ein weiteres bestellte und dabei unbewusst an ihrem Daumennagel kaute. Diese Geste war total unpassend bei einer derart beherrschten Frau, weshalb er sie als seltsam verführerisch empfand.

Er betrachtete auch die anderen Frauen in dem Café, immer wieder jedoch wanderte sein Blick zu ihr zurück. Er nippte nachdenklich an seinem Wein. Die Frauen liefen ihm in Scharen hinterher – niemals war er es, der den ersten Schritt tat. Doch es war ziemlich lange her, seit er zum letzten Mal mit einer Frau im Bett gewesen war, und irgendetwas an der Frau dort drüben an dem Tisch zog ihn an.

Tja, warum eigentlich nicht …

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und bedachte sie mit seinem erprobten verführerischen Blick.

Isabel spürte, dass er sie ansah. Alles an ihm war Sex. Das dritte Glas Wein hatte ihre Stimmung ein wenig gehoben, und sein unverhohlenes Interesse hob sie noch ein wenig mehr. Dies war eindeutig ein Mann, der etwas von Leidenschaft verstand.

Er rutschte unmerklich auf seinem Stuhl herum und zog eine dunkle, kantige Braue in die Höhe. Derart unverblümte Avancen war sie nicht gewohnt. Attraktive Männer wollten Ratschläge von Dr. Isabel Favor, ganz sicher keinen Sex. In der Regel schüchterte sie die Männer nämlich ein.

Sie rückte den Pfefferstreuer einen Zentimeter nach rechts. Er sah nicht aus wie ein Amerikaner, und da sie keine internationale Fangemeinde hatte, hatte er sie sicher nicht erkannt. Nein, dieser Mann hatte kein Interesse an Dr. Favors Weisheiten. Er wollte schlicht und einfach Sex.

»Nicht ich, sondern du hast damit ein Problem.«

Sie hob den Kopf, er verzog den Mund zu einem Lächeln, und ihr verletztes, vom Wein betäubtes Herz machte einen Satz.

Dieser Mann hält mich nicht für schizophren, Michael. Dieser Mann hat einen Blick für leidenschaftliche Frauen, und deshalb sieht er mich mit diesem Lächeln an.

Er sah ihr in die Augen, und als er sinnlich mit dem Knöchel seinen Mundwinkel berührte, breitete sich eine angenehme Wärme in ihrem Innern aus. Fasziniert verfolgte sie, wie der Knöchel leicht in Richtung seiner Unterlippe glitt. Die Geste war so unverhohlen sexy, dass sie sie als beleidigend hätte empfinden sollen, doch sie nippte erneut an ihrem Wein und wartete gespannt sein weiteres Vorgehen ab.

Er erhob sich, griff nach seinem Glas und schlenderte auf sie zu. Die beiden Italienerinnen vom Nachbartisch unterbrachen ihr Gespräch, hoben interessiert die Köpfe, eine stellte ihre zuvor gekreuzten Beine eilig nebeneinander, und die andere rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Sie waren jung und wunderschön, doch dieser gefallene Renaissance-Engel interessierte sich tatsächlich ausschließlich für sie.

»Buonasera?« Er deutete auf den freien Platz ihr gegenüber. »Posso farle compagnia?«

Obgleich eine innere Stimme ihr streng befahl, den Kopf zu schütteln, merkte sie, dass sie nickte. Also glitt er, verführerisch wie ein Laken aus schwarzem Satin, geschmeidig auf den Stuhl.

Aus der Nähe betrachtet, war er nicht minder attraktiv, auch wenn die Augen ein wenig blutunterlaufen waren und sein unrasiertes Kinn anscheinend weniger ein Zeichen seines Modebewusstseins als vielmehr die Folge einiger durchzechter Nächte war. Seltsamerweise jedoch wurde seine Sinnlichkeit durch diese Unvollkommenheit noch erhöht.

Sie erklärte auf Französisch: »Je ne parle pas l’italien, Monsieur.«

Wow … Ein Teil ihres Hirns erklärte barsch, sich auf der Stelle zu erheben und zu gehen. Der andere Teil jedoch flüsterte, sie hätte keine Eile. Rasch überlegte sie, ob etwas an ihr sie als Amerikanerin verriet, doch Europa war voll mit blonden Frauen, einschließlich solcher mit künstlichen Strähnen. Genau wie ihr Gegenüber war sie ganz in Schwarz gekleidet – schmal geschnittene Hose und ärmelloser Rollkragenpullover  –, und ihre unbequemen Schuhe stammten aus Italien. Einziges Schmuckstück war ein schmales goldenes Armband, auf dessen Innenseite das Wort atme eingraviert war, um sie daran zu erinnern, sich auf ihr Innerstes zu konzentrieren, weil nur dort echte Kraft und Ruhe zu finden waren. Sie hatte nichts gegessen, und so hatte sie sich nicht dadurch verraten, dass sie wie alle Amerikaner die Gabel beim Schneiden des Fleischs von der Linken in die Rechte wandern ließ.

Weshalb ist das wichtig? Weshalb lässt du dich überhaupt auf diesen Typen ein?

Weil die ihr bekannte Welt um sie herum zusammengebrochen war. Weil Michael sie nicht liebte, weil sie zu viel Wein getrunken hatte, weil sie es leid war, ständig Angst zu haben und weil sie sich endlich wie eine Frau fühlen wollte, statt wie eine Institution, der das Versagen offiziell bescheinigt worden war.

»Peccato.« Er zuckte italienisch-lässig mit den Schultern. »Non parlo francese.«

»Parlez-vous anglais?«

Er schüttelte den Kopf und strich sich über die Brust. »Mi chiamo Dante.«

Er hieß Dante. Wie passend in dieser Stadt, die einst die Heimat des Dichters Dante Alighieri gewesen war.

Auch sie tippte sich auf die Brust. »Je suis … Annette.«

»Annette. Molta bella.« Er hob sein Glas und prostete ihr zu.

Dante … Der Name wärmte ihren Magen wie ein Löffel heißen Sirups, und plötzlich lag ein Moschusduft in der abendlichen Luft.

Er berührte ihre Hand. Sie blickte auf seine Finger, hob jedoch, statt sich der Berührung zu entziehen, erneut ihr Weinglas an den Mund.

Er begann mit ihren Fingerspitzen zu spielen und machte ihr dadurch deutlich, dass dies mehr war als ein netter, beiläufiger Flirt. Dies war eine Verführung, doch die Tatsache, dass sie sorgsam kalkuliert war, störte sie nur einen flüchtigen Moment. Sie war zu demoralisiert, um von seinem unverblümten Vorgehen abgestoßen zu sein.

Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er schien sich in seinem Körper rundum wohl zu fühlen, und sie beneidete ihn um seine physische Arroganz.

Gemeinsam verfolgten sie, wie sich die amerikanischen Studenten lärmend miteinander unterhielten. Er bestellte ein viertes Glas Wein für sie, und sie klapperte, statt den Kopf zu schütteln, tatsächlich mit den Wimpern! Siehst du, Michael, ich weiß durchaus, wie diese Dinge gehen. Und weißt du, warum? Weil ich wesentlich sinnlicher bin, als du jemals gedacht hast …

Sie war froh, dass eine Unterhaltung wegen der Sprachbarriere einfach nicht möglich war. Ihr bisheriges Leben war total mit Worten angefüllt gewesen – mit Interviews, mit Videos, mit Vorträgen, mit Büchern. Sie hatte geredet, geredet und geredet. Und wohin hatte all das Reden sie letztendlich gebracht?

Einer seiner Finger glitt unter ihre Hand und strich lüstern über ihren Ballen. Savonarola, der Feind aller sinnlichen Freuden, war im fünfzehnten Jahrhundert genau hier auf dieser Piazza auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ginge es ihr am Schluss genauso?

Schön, jetzt stand sie in hellen Flammen, und alles schien sich in ihrem Kopf zu drehen. Trotzdem war sie noch nicht zu betrunken, um nicht zu bemerken, dass sein Lächeln nie bis zu seinen Augen kam. Er hatte so etwas schon Hunderte von Malen gemacht. Hier ging es nicht um Ehrlichkeit, sondern um puren Sex.

In diesem Moment kam ihr eine Erkenntnis. Er war ein Gigolo.

Sie sollte ihm ihre Hand entreißen, doch weshalb? Auf diese Weise wäre alles völlig klar, und sie schätzte Klarheit über alles. Mit ihrer freien Hand hob sie ihr Weinglas erneut an die Lippen. Sie war nach Italien gekommen, um ein neues Leben zu beginnen. Doch wie sollte sie das tun, ehe sie nicht das hässliche innere Tonband mit Michaels Anschuldigungen löschte, das ständig in ihrem Kopf ablief und das ihr das Gefühl gab, alt, verschrumpelt und schlichtweg mangelhaft zu sein. Hastig unterdrückte sie die aufsteigende Verzweiflung.

Vielleicht war Michael ja verantwortlich für ihre sexuellen Probleme? Hatte nicht Dante, der Gigolo, ihr in wenigen Minuten mehr über Sinnlichkeit gezeigt als Michael in vier Jahren? Womöglich konnte ein Profi ja erreichen, was einem Amateur anscheinend nicht gelang? Zumindest könnte sie darauf vertrauen, dass ein Profi die richtigen Knöpfe zu drücken verstand.

Die Tatsache, dass sie auch nur darüber nachdachte, hätte sie schockieren sollen, doch das letzte halbe Jahr hatte sie regelrecht betäubt. Als Psychologin war ihr klar, dass niemand ein neues Leben beginnen konnte, indem er die alten Probleme ignorierte. Die tauchten nämlich unweigerlich ständig wieder auf und plagten einen weiter.

Sie wusste, sie sollte eine solch wichtige Entscheidung nicht betrunken treffen. Andererseits jedoch zöge sie, wenn sie nüchtern wäre, einen solchen Schritt nie in Erwägung, was ihr plötzlich wie der größtmögliche Fehler erschien. Was könnte sie Besseres mit dem wenigen Geld, das sie noch hatte, tun, als einen endgültigen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen? Genau dieser Schritt hatte ihr in ihrem Plan zur Neuerfindung ihres Lebens bisher noch gefehlt.

Abgeschiedenheit. Erholung. Nachdenken und sexuelle Gesundung – dies waren die vier Schritte, die am Schluss zum fünften Schritt, dem Handeln, führen würden. Ohne dass sie dabei die vier Ecksteine des positiven Lebens völlig aus dem Blick verlor.

Er leerte genüsslich sein Glas, strich weiter über ihren Ballen und schob schließlich seinen Finger unter das goldene Armband und tastete nach ihrem Puls. Doch nun schien das Spiel ihm langweilig zu werden. Er warf eine Hand voll Scheine auf den Tisch, stand auf und streckte langsam seine Hand in ihre Richtung aus.

Dies war der Moment, in dem sie sich entscheiden musste. Sie bräuchte nur ihre Hand auf dem Tisch liegen zu lassen und den Kopf zu schütteln. Ein Dutzend anderer Frauen saßen in unmittelbarer Nähe, und er würde sich bestimmt, ohne Aufhebens zu machen, umdrehen und gehen.

»Sex kann das, was in einem Menschen zerbrochen ist, nicht heilen«, hatte Dr. Isabel Favor in ihren Vorträgen gepredigt. »Sex ohne tiefe, anhaltende Liebe macht einen unglücklich und klein. Also lösen Sie erst Ihre Probleme. Lösen Sie erst Ihre Probleme, und denken Sie dann erst an den Sex! Denn wenn Sie nicht erst Ihre Probleme lösen – wenn Sie versuchen, Ihre Probleme hinter dem Sex zu verstecken, durch Sex die Menschen zu treffen, die Ihnen ein Unrecht angetan haben, oder mit Sex Ihre Unsicherheit zu überwinden, um sich wieder ganz zu fühlen – dann wird das, was in Ihnen zerstört ist, noch stärker schmerzen als zuvor …«

Aber Dr. Favor hatte elendig versagt, und die Blondine heute in diesem Café brauchte nicht mehr auf sie zu hören. Isabel erhob sich und ergriff die angebotene Hand.

Mit weichen Knien folgte sie ihm über die Piazza und durch eine Reihe enger, gewundener Straßen. Sie fragte sich, wie viel ein Gigolo für seine Dienste nähme, und hoffte, sie hätte genügend Bargeld in ihrem Portemonnaie. Wenn nicht, müsste sie halt ihre Kreditkarte noch einmal strapazieren. Sie gingen in Richtung des Flusses. Welcher der alten Meister hatte dieses Gesicht so treffend gemalt? Doch ihr Hirn war zu umnebelt, als dass sie darauf kam.

Er zeigte auf ein Wappenschild der Medici, das in die Wand eines Gebäudes eingelassen war, und wies dann zu einem winzigen Hof mit einem Brunnen, um den herum ein Meer aus weißen Blumen wogte. Touristenführer und Gigolo in einem. Die Welt hielt doch tatsächlich herrliche Überraschungen für eine Frau bereit. Und heute Abend bot sie ihr das bisher fehlende Glied in ihrem Plan zur Schaffung eines neuen Lebens.

Sie mochte es nicht, wenn ein Mann sie überragte, und er war einen guten Kopf größer. Doch bald befänden sie sich in der Horizontale, also wäre das nicht lange ein Problem. Sie unterdrückte die in ihr aufflackernde Panik. Vielleicht war er verheiratet, doch er wirkte kaum zivilisiert und absolut nicht gezähmt. Eventuell war er ein Massenmörder, doch trotz der Mafia schienen Italiens Kriminelle eher auf Diebstahl als auf das Schlachten von Menschen spezialisiert zu sein.

Er verströmte einen teuren Duft – sauber, exotisch und erregend. Möglicherweise kam dieser Duft nicht aus der Flasche, sondern direkt aus seinen Poren. Sie stellte sich vor, wie er sie gegen eins der alten Steingebäude presste, ihren Rock an ihr heraufschob und sie an Ort und Stelle nahm, nur dass es dann zu schnell gegangen wäre und dass es nicht darum ging, die Sache möglichst eilig hinter sich zu bringen. Es ging darum, endlich Michaels Stimme verstummen zu lassen und ein neues Leben zu beginnen.

Der Wein machte sie unaufmerksam, und sie geriet ins Stolpern. Oh, sie war wirklich eine weltgewandte Frau … Er fing sie geschickt auf und deutete auf den Eingang zu einem kleinen, teuren Hotel.

»Vaole venire con me in allbergo.«

Auch wenn sie die Worte nicht verstand, war die Einladung deutlich.

»Ich habe mich schon lange nach Leidenschaft gesehnt«, hatte Michael gesagt.

Tja, weißt du was, Michael Sheridan? Ich mich auch.

Sie schob sich an Dante vorbei und marschierte in das winzige Foyer. Die eleganten Samtvorhänge, die vergoldeten Stühle und der gepflegte Steinboden wirkten beruhigend. Zumindest hätte sie ihren schmutzigen Sex auf einem sauberen Laken. Und dies war bestimmt nicht der Ort, den ein Verrückter wählen würde, um eine naive, sexuell ausgehungerte Touristin zu ermorden.

Der Angestellte am Empfang reichte ihm einen Schlüssel, also schien er Stammgast in diesem Haus zu sein. Ein Edelgigolo. In dem engen Fahrstuhl berührten sich ihrer beider Schultern, und sie wusste, dass die Hitze in ihrem Magen nicht nur eine Folge des Weins und ihres Unglücks war.

Schließlich traten sie in einen schwach beleuchteten Flur, und als sie ihn von der Seite her musterte, tauchte vor ihrem geistigen Auge unvermittelt das Bild eines total in Schwarz gekleideten Mannes mit einer Maschinenpistole auf.

Wie kam sie nur auf so was? Auch wenn sie sich in seiner Nähe nicht vollkommen sicher fühlte, hatte sie auch nicht den Eindruck, als wäre sie tatsächlich in Gefahr. Wenn er sie hätte ermorden wollen, hätte er es in einer der dunklen Gassen getan, durch die sie gelaufen waren, und ganz sicher nicht in einem Fünfsternehotel mit einer Maschinenpistole.

Er führte sie zum Ende des schmalen Gangs. Seine Hand auf ihrem Arm war ein stummes Signal dafür, dass die Kontrolle über ihr Zusammensein auf ihn übergegangen war.

O Gott … was hatte sie hier bloß verloren?

»Bei gutem, bei wunderbarem Sex muss es nicht nur um unseren Körper gehen, sondern auch um unseren Geist.«

Dr. Isabel hatte Recht. Aber hier ging es nicht um wunderbaren Sex. Hier ging es um geiles, verbotenes, gefährliches Treiben in einer fremden Stadt mit einem Mann, den sie nie wieder sehen würde. Darum, den Kopf frei zu bekommen und ihre Ängste zu verjagen. Darum, sich zu vergewissern, dass sie noch eine Frau war. Darum, endlich zu gesunden, um ein neues Leben anfangen zu können.

Er öffnete die Tür und machte Licht. Seine Frauen schienen ihn sehr gut zu bezahlen. Dies war kein schlichter Raum, sondern eine elegante, wenn auch etwas unaufgeräumte Suite, in der seine Kleidung aus einem offenen Koffer quoll und ein Paar teurer Schuhe achtlos inmitten des Zimmers lag.

»Voi un po’ di vino?«

Sie erkannte das Wort »vino« und wollte gerade annehmen, dann jedoch schüttelte sie so vehement den Kopf, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor.

»Va bene.« Mit einem kurzen, höflichen Nicken ging er an ihr vorbei ins Schlafzimmer hinüber. Er bewegte sich wie ein dunkles, geschmeidiges Wesen der Verdammnis. Oder vielleicht war sie selbst verdammt, weil sie nicht wieder ging, sondern ihm zur Tür des Zimmers folgte und beobachtete, wie er vor die Fenster trat.

Er beugte sich hinaus, um die Klappläden zu schließen, und die warme Brise zerzauste sein langes, seidig weiches, in silbriges Mondlicht getauchtes Haar. Ehe er die Läden schloss, winkte er sie einladend neben sich. »Vieni a vedere. Il giardino è bellissimo di notte.«

Ihre Füße fühlten sich an wie alkoholgetränkte Lumpen, als sie ihre Tasche auf ein kleines Tischchen legte, neben ihn trat und hinunterblickte auf ein halbes Dutzend Tische unter für die Nacht zusammengeklappten Schirmen in einem mit Blumen übersäten Hof. Hinter der Mauer hörte sie den Lärm der Straße, und sie meinte, dass ihr der Geruch des Arno in die Nase stieg.

Seine Hand glitt sanft in ihren Nacken. Er hatte den ersten Schritt getan.

Immer noch könnte sie gehen. Sie könnte ihm deutlich machen, dass alles ein großer, ein riesengroßer, ein monumentaler Fehler gewesen war. Wie viel Geld gab man einem Gigolo, der seine Arbeit nur angefangen hatte? Und, gab man auch ein Trinkgeld? Wenn sie ginge –

Doch er hielt sie einfach nur fest. Das war gar nicht so übel. Es war sehr lange her, dass sie von einem Menschen auf diese Art festgehalten worden war. Und er fühlte sich anders an als Michael. Das lag natürlich zum einen an seiner unangenehmen Größe, zum anderen jedoch an seiner durchaus angenehmen muskulösen Gestalt.

Er neigte seinen Kopf, und sie machte, weil sie zum Küssen noch nicht bereit war, hastig einen kleinen Schritt zurück. Dann jedoch sagte sie sich, dass dieses Zusammensein für sie eine Art reinigendes Fegefeuer war, und blieb reglos stehen.