WaBe. Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse - Rahel Dreyer - E-Book

WaBe. Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse E-Book

Rahel Dreyer

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Beschreibung

Das Wohlbefinden junger Kinder ist Voraussetzung, dass sich Kinder auf die vielfältigen Bildungsimpulse in Einrichtungen einlassen und von ihnen profitieren können. Die Wahrnehmung kindlichen Wohlbefindens ist somit die Grundlage jeglicher pädagogischen Arbeit. Die Autorinnen stellen ein auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und in der Praxis erprobtes Beobachtungsverfahren vor, das explizit das Wohlbefinden junger Kinder in den Blick nimmt. Es unterstützt pädagogische Fachkräfte in der Wahrnehmung und Förderung kindlichen Wohlbefindens. Dabei wird eine Verknüpfung praktischer Anfragen mit einer fundierten Rezeption der vorliegenden Theorie- und Forschungslage mit vielen Praxistipps, Beispielen und Handlungsempfehlungen ermöglicht.

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E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN Print 978–3-451–39430–0

ISBN E-Book (EPUB) 978–3-451–83273–4

ISBN E-Book (PDF) 978–3-451–83226–0

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil I

1. Theoretische Einbettung des Beobachtungsverfahrens

1.1 Verschiedene Konzepte des kindlichen Wohlbefindens

1.2 Das StimtS-Forschungsprojekt & StimtS Transfer-Projekt als Basis

Das StimtS-Forschungsprojekt

Das StimtS Transfer-Projekt

1.3 Vom Konstrukt des Wohlbefindens zum Blick auf die Grundbedürfnisse

1.4 Beobachtung der jungen Kinder im pädagogischen Alltag

Teil II

2. Die Module des Verfahrens zur Wahrnehmung des Wohlbefindens junger Kinder

2.1 Beobachtungsmodul A: Physiologische Bedürfnisse

2.2 Beobachtungsmodul B: Sicherheitsbedürfnisse

2.3 Beobachtungsmodul C: Soziale Bedürfnisse („Wir“-Bedürfnisse)

2.4 Beobachtungsmodul D: Individuelle Bedürfnisse („Ich“-Bedürfnisse)

2.5 Beobachtungsmodul E: Bildungsbedürfnisse

Teil III

3. Aufbau und Anwendung des Beobachtungsverfahrens WaBe

3.1 Aufbau des Beobachtungsverfahrens

3.2 Durchführung des Beobachtungsverfahrens

3.3 Auswertung und Interpretation

3.4 Gütekriterien

Dank

Literaturverzeichnis

Anhang

Beobachtungsverfahren WaBe. Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse

Einleitung

Der Anteil an Kindern, die bereits in ihren ersten drei Lebensjahren eine Kindertageseinrichtung oder eine Kindertagespflege besuchen, ist in den letzten Jahren stark gestiegen. Kinder im Krippenalter verbringen sogar mehr Zeit in einer Kindertagesbetreuung als über Dreijährige (Destatis 2021). Das ist ein Trend, der sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen wird. Gleichzeitig fragen sich viele Fachkräfte und auch Eltern, ob sich die Kinder in der Kita wirklich wohlfühlen und ob ihre Bedürfnisse wahrgenommen und befriedigt werden.

Im Vordergrund steht hier die Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse. Dazu gehört nicht nur die Sicherstellung eines körperlichen Versorgtseins, sondern ebenso, Sicherheit und Trost zu erfahren, wenn man zum Beispiel ängstlich oder traurig ist. Und dazu gehört auch, dass ausreichend Spielpartner:innen und Spielmaterialien zur Verfügung stehen, mit denen ein Kind in Kontakt treten und explorieren kann (Dreyer et al. 2021; Viernickel et al. 2018).

Auch wenn Beobachtung und Dokumentation inzwischen zum zentralen Bestandteil der pädagogischen Arbeit geworden sind, gibt es bisher kaum Beobachtungsverfahren in der Praxis, welche explizit das Wohlbefinden junger Kinder in den Blick nehmen. Das Verhalten der Kinder und ihre emotionalen Ausdruckssignale sind Indikatoren für ihr Wohlbefinden. Wohlbefinden ist die Voraussetzung, dass sich Kinder auf die vielfältigen Bildungsimpulse in Kitas und in der Kindertagespflege einlassen und von ihnen profitieren können.

Die Wahrnehmung des kindlichen Wohlbefindens ist die Grundlage jeglicher pädagogischen Arbeit.

Dass dies selbst in Einrichtungen mit einer mittleren bis guten Qualität nicht bei allen Kindern optimal gelingt, zeigten Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt „Stimulation oder Stress? Wohlbefinden von Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr in Kindertageseinrichtungen (StimtS)“. Auch wenn sich die Mehrzahl der Kinder (80 %) wohlfühlte, zeigten manche Kinder (20 %) deutliche Anzeichen von Anspannung, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit oder traten kaum in sozialen Kontakt mit den pädagogischen Fachkräften oder anderen Kindern (ebd.).

Aus diesem Grund wurde in einem Folgeprojekt „Stimulation oder Stress? Beobachtung des Wohlbefindens junger Kinder (StimtS Transfer)“ ein Beobachtungsverfahren zur Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse (WaBe) in einem partizipativen und dialogischen Prozess zwischen Wissenschaftler:innen und pädagogischen Fachkräften entwickelt und in Kitas implementiert, welches die Wahrnehmung und Förderung der kindlichen Bedürfnisse als Grundlage der pädagogischen Arbeit intensivieren soll und in diesem Buch anwendungsbezogen vorgestellt wird:

In Kapitel 1 erfolgt eine theoretische Einbettung des Beobachtungverfahrens. Es werden zunächst unterschiedliche Definitionen und Verständnisse von Wohlbefinden präsentiert und diskutiert. Im Anschluss werden zentrale und praxisrelevante Forschungsergebnisse auf der Grundlage von Erkenntnissen aus der StimtS-Studie sowie Ergebnisse aus dem StimtS Transfer-Projekt vorgestellt. Darauf aufbauend wird das Modell der kindlichen Bedürfnisse erläutert. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung der Bedeutung von Beobachtungen im pädagogischen Alltag und warum es so wichtig ist, die kindlichen Bedürfnisse wahrzunehmen und zu fördern.

In Kapitel 2 werden die einzelnen Module des Beobachtungsverfahrens zur Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse (WaBe), die die verschiedenen Bereiche der kindlichen Grundbedürfnisse darstellen, ausführlich beschrieben. Die Module sind gegliedert in physiologische Grundbedürfnisse, Sicherheitsbedürfnisse, soziale Bedürfnisse, Ich-Bedürfnisse und Bildungsbedürfnisse.

Jedes Modul ist in sich geschlossen und kann auch für sich eigenständig bearbeitet werden. Somit können die Anwender:innen die Beobachtungen und Auswertungen verteilt über einen längeren Zeitraum vornehmen, was die Nutzerfreundlichkeit und Praxistauglichkeit des Verfahrens erhöht. Außerdem ist jedes Modul identisch aufgebaut und enthält neben einer theoretischen Einführung, verschiedenen Beobachtungsfragen, Reflexionsfragen sowie einer Auswertung mit Schlussfolgerungen für die Praxis auch konkrete pädagogische Handlungsempfehlungen.

In Kapitel 3 wird der Aufbau des Beobachtungsverfahrens anwendungsorientiert erläutert. Unterstützende Hinweise zur Durchführung sowie zur Auswertung und Interpretation folgen. Das Kapitel schließt mit Hinweisen zu den Gütekriterien des Beobachtungsverfahrens.

Teil I

1. Theoretische Einbettung des Beobachtungsverfahrens

Der Begriff Wohlbefinden wird in Wissenschaft und Praxis nicht einheitlich verstanden. Verschiedene Wissenschaftsdisziplinen arbeiten mit individuellen Definitionen und unterschiedlichen Untersuchungsgegenständen, um dem Phänomen näherzukommen (Ben-Arieh et al. 2014; Reker & Spiekermann 2021; Minkkinen 2013; Viernickel 2022; Lewis & Rees 2018; Pollard & Lee 2003).

Dabei wird zwischen dem habituellen und aktuellen sowie dem objektiven und subjektiven Wohlbefinden unterschieden. Das habituelle Wohlbefinden bezieht sich auf den längerfristigen Zustand. Kinder treffen Aussagen über ihren Gemütszustand der letzten Wochen oder Monate. Bekannte Untersuchungen sind hier zum Beispiel das LBS-Kinderbarometer (Müthing & Hülster 2020) oder der regelmäßig erscheinende UNICEF-Bericht (Bertram 2021) zur Lage der Kinder in Deutschland, die sich mit der allgemeinen Lebenszufriedenheit oder dem subjektiv empfundenen Glück von Kindern befassen. Das aktuelle Wohlbefinden hingegen beschreibt das kurzfristige, momentane Gefühl. Es kann sich auf Situationen, Personen oder auch Gegenstände beziehen und wird durch spontane Emotionen untermauert. Während der Corona-Pandemie wurde zum Beispiel mittels Befragungen im Rahmen der KiCo- oder COPSY-Studie mehrfach das aktuelle Wohlbefinden von Kindern und Eltern erfragt (Völkerling 2022).

Untersuchungen zum subjektiven Wohlbefinden von Kindern sind bis heute rar. Sie bedingen einen direkten Einbezug der Sichtweisen der Kinder auf ihre individuelle Bedürfniswahrnehmung, ihre Emotionen und Bewertungen. Erwähnt sei hier der Kinderperspektivenansatz von Nentwig-Gesemann et al. (2021; Nentwig-Gesemann 2022). Es geht darum, die pädagogische Qualität auf Grundlage der Sicht der Kindergarten- und Schulkinder zu erheben und weiterzuentwickeln. Im partizipatorischem Dialog bringen Kinder über Befragungen, Zeichnungen oder Fotos ihre Erfahrungen und Ansichten im Hinblick auf den pädagogischen Alltag ein. Ergebnisse der Kinderperspektivenstudien weisen auf, dass Kinder sich vor allem Freunde wünschen, kindgerechte Orte zum Spielen haben wollen und ihnen zugewandte Bezugsfachkräfte sehr wichtig sind. Des Weiteren brauchen sie Lerngelegenheiten, an denen sie wachsen können sowie Mitbestimmung auf verschiedenen Ebenen in ihrer Kindertageseinrichtung oder Schule, um sich wohlzufühlen. Auch die Teilhabe in einer Gemeinschaft wurde als ein bedeutender Punkt von den Kindern genannt (ebd.).

Das Ermitteln des subjektiven Wohlbefindens von Kleinkindern hingegen gestaltet sich als schwierig, da ein bestimmter Entwicklungsstand Voraussetzung für die genannten Verfahren ist Erstmals wurde diese Zielsetzung für die Altersgruppe der unter Dreijährigen im Forschungsprojekt „StimtS – Stimulation oder Stress? Der Einfluss von Gruppenkonzepten auf das Verhalten und Wohlbefinden junger Kinder in Kindertageseinrichtungen“ in Angriff genommen, dessen Ergebnisse die Basis des in diesem Buch vorgestellten Beobachtungsverfahrens zur Wahrnehmung kindlicher Bedürfnisse (WaBe) bilden (Dreyer et al. 2021; siehe Kapitel 1.2).

Im Gegensatz dazu wird das objektive Wohlbefinden mittels bestimmter Faktoren eingeschätzt. Zum Beispiel bewertete die OECD im Jahr 2021 externe Umstände wie die Wohnsituation, die finanzielle Ausstattung, den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten, Gesundheitsrisiken und die familiäre Situation als ausschlaggebende Einflüsse (Ecarius et al. 2017; Mashford et al. 2012; Waters 2009). Im Krippenbereich hat sich die Leuvener Engagiertheitsskala etabliert, um Wissen über das kindliche Wohlbefinden zu erlangen. Auf Grundlage einer intensiven Beobachtung des Kindes beurteilen pädagogische Fachkräfte das Spiel- und Sozialverhalten des Kindes im Kontext der jeweiligen Bildungs- und Kompetenzbereiche (Laevers 2007, S. 8). Wohlbefinden wird dabei anhand der Ausdrucks- oder Verhaltensmerkmale „Genießen können“ (enjoyment), „Entspannung und innere Ruhe“ (relaxing and inner peace), „Vitalität“ (vitality), „Offenheit“ (openness), „Flexibilität“ (spontaneous) „Selbstvertrauen“ (selfconfidence) und „Im Einklang mit sich selber sein“ (being in touch with oneself) eingeschätzt.

Abhängig von Ziel und wissenschaftlicher Perspektive der Untersuchung kann das Verständnis und damit einhergehend die Messung von kindlichem Wohlbefinden variieren.

1.1 Verschiedene Konzepte des kindlichen Wohlbefindens

Dennoch ist allen Konzepten zur Erfassung des kindlichen Wohlbefindens gemein, dass sie mehrdimensional sind. Das heißt: Wohlbefinden ist ausschließlich durch mehrere Beobachtungskategorien inklusive vielfältiger Indikatoren abbildbar (Minkkinen 2013; Viernickel 2022). Einigkeit besteht auch darüber, dass sowohl positive als auch negative Emotionen zur Beschreibung des Wohlbefindens dazuzählen, wobei die Erforschung positiver Gelingensfaktoren seit der Gründung der Positiven Psychologie zentral ist. Es geht insbesondere darum, nicht nur zu wissen, was zum kindlichen Wohlbefinden beiträgt, sondern vor allem wie man diese Gelingensfaktoren erzeugen bzw. unterstützen kann. Schließlich werden bestimmte Erfahrungen in verschiedenen Kulturen – milieuspezifisch oder global betrachtet – unterschiedlich gedeutet und können somit das emotionale Wohlbefinden positiv oder negativ beeinflussen. Gleichzeitig zeigt dieser Aspekt die Bedeutsamkeit von Umweltfaktoren auf, wenn man das kindliche Wohlbefinden in den Blick nimmt. Das Zusammenwirken von Kind und seiner Umwelt gilt es daher, genauer zu betrachten. Oftmals kann das kindliche Wohlbefinden auch zwischen den einzelnen Lebensbereichen variieren, was bei der Analyse berücksichtigt werden muss. Ein Kind, das sich bei seinen Eltern geborgen und sicher fühlt, kann selbst unter der Voraussetzung höchster Qualitätsansprüche nicht automatisch mit der Situation in der außerfamilialen Betreuung zurechtkommen (Dreyer 2017; Keller 2019).

Im Folgenden werden ausgewählte Konzepte zum kindlichen Wohlbefinden vorgestellt. Bei der Auswahl wurden die am häufigsten publizierten Theorien im Zusammenhang mit dem kindlichen Wohlbefinden berücksichtigt.

Ökosystemische Theorie

Eine der wohl bekanntesten Theorien zur kindlichen Entwicklung ist der sozialökologische Ansatz von Bronfenbrenner. Diese Theorie fasst das Wissen um die Bedeutung des Einflusses der Umweltfaktoren auf das subjektive Empfinden eines Menschen zusammen. Mit der menschlichen Umwelt sind die sozial wirksamen Einflussfaktoren gemeint, die das menschliche Handeln sowohl direkt als auch indirekt (bewusst und unbewusst) steuern können. Diese Umwelt besteht aus verschiedenen Lebensbereichen und Erfahrungsräumen, die übergreifend als Systeme bezeichnet werden.

Die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lebensbereichen, die auch untereinander in Beziehung stehen und sich im steten Wandel befinden, definiert Bronfenbrenner (1981, S. 19) als Entwicklung. Dabei spielt insbesondere das subjektive Erleben des Menschen eine tragende Rolle. Neben den Eigenschaften der jeweiligen Systeme füllt der Mensch verschiedene Rollen in den Systemen aus, die im Rahmen seiner subjektiven Wahrnehmung Entwicklungsprozesse in Gang setzen.

Im Mittelpunkt der Systeme steht das Individuum, das sich mit ihnen im wechselseitigen Austausch befindet. Der unmittelbare Lebensbereich eines Menschen wird als Mikrosystem bezeichnet, in dem kurzfristige, leichte Interaktionen zustande kommen. Bezogen auf ein Kind sind das zum Beispiel seine Eltern, Geschwister und die Kontaktpersonen in der Kita. Das Mesosystem umschließt das Mikrosystem und beschreibt den Beziehungskontext der Interaktionspartner:innen des Kindes im Mikrosystem. Das bedeutet, dass der Lebensbereich Kita zum Beispiel in Bezug zum Lebensbereich Familie tritt, indem die Beziehung zwischen Eltern und Fachkräften einen Einfluss auf das subjektive Empfinden des Kindes hat. Die verschiedenen Akteure im Mesosystem sind demnach über Beziehungen untereinander verbunden und beeinflussen die Entwicklung des Kindes. Das Exosystem wiederum hat lediglich indirekten Einfluss auf die Entwicklung des Menschen. Dazu zählen zum Beispiel die Arbeitswelt der Eltern, die räumliche Ausstattung der Kita und des Sozialraums. Diese Faktoren wirken sich über die Akteur:innen des Mikrosystems auf das Kind aus. Wenn es zum Beispiel keinen Park oder kaum Naturerholungsräume im nahen Lebensumfeld des Kindes gibt, ist es für seine Eltern mit mehr zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden, solche Orte aufzusuchen. Somit sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind täglich Freizeit in grüner Umgebung verbringt.

Alle drei Systeme sind schlussendlich in das Makrosystem eingebettet. Das Makrosystem besteht aus den gesellschaftlichen Werten und Orientierungen, kulturellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, die einen indirekten Einfluss auf das Kind haben. Die Faktoren des Makrosystems stehen in Beziehung zum Chronosystem, welches zeitlich bedingte Veränderungen umfasst. Das kann der Übergang von der reinen Familienbetreuung zur außerfamilialen Betreuung in einer Kita sein, denn er stellt einen bedeutenden Schritt im Lebenslauf des Kindes dar. Es lernt die Kultur der frühkindlichen Bildung kennen, setzt sich mit neuen Interaktionspartner:innen auseinander, die fortan seine Entwicklung und sein Wohlbefinden beeinflussen. Daher ist es unabdingbar, Wohlbefinden kontextuell und gesamtheitlich zu betrachten. Die Lebenswelt eines Menschen im Wachstum ist vielfältig, veränderbar und unterliegt der subjektiven Einschätzung der Wirkfaktoren.

Folglich orientiert sich auch die UNICEF in ihrem Verständnis über eine gesunde Entwicklung und das kindliche Wohlbefinden an Bronfenbrenners ökosystemischer Theorie (Gromada et al. 2020). Der regelmäßig veröffentlichte „Bericht zur Situation der Kinder der Welt“ hat auf dieser Grundlage die bedeutsamen Ebenen des kindlichen Wohlbefindens in „die Welt des Kindes“, „die Welt um das Kind herum“ und „die Welt als Ganzes“ zusammengefasst (UNICEF 2021, S. 52) und untersucht weltweit das psychosoziale Wohlbefinden von Kindern aller Altersstufen.

Schwerpunkte der Erhebung bilden die Rollen und Aufgaben der Betreuungspersonen des Kindes und der damit verbundene Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung. Ziel ist es, verschiedenen Entscheidungsträgern in den jeweiligen Ländern die Effekte von Präventionsarbeit zu verdeutlichen und Investitionen in frühkindliche Bildung zu erhöhen.

Neben dem psychosozialen Wohlbefinden der Kinder steht dabei auch immer die körperliche Gesundheit im Fokus, da Wohlbefinden und Gesundheit unmittelbar zusammenspielen (Ravens-Sieberer et al. 2009).

Körperliche Gesundheit und Wohlbefinden

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versteht unter Gesundheit den Zustand des vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens, wobei Gesundheit und Wohlbefinden stets zusammenhängend betrachtet werden müssen und dabei die subjektive Perspektive als hoch relevant erachtet wird (WHO 2012; Ohlbrecht & Winkler 2016). Aus zahlreichen Forschungsarbeiten ist bekannt, dass der Gesundheitszustand im Kindesalter einen Einfluss bis in das Erwachsenenalter haben kann (Inchley et al. 2016). Das gilt sowohl für körperliche als auch für psychische Gesundheitsbeschwerden, die prädiktiv spätere Erkrankungsmuster wahrscheinlich machen (Neuhauser, Poethko-Müller & Kurt 2016). Die persönliche Einschätzung von Gesundheit und Lebenszufriedenheit unter der Angabe psychosomatischer und körperlicher Beschwerden wurde in den Studien zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) und der Health Behaviour in School-aged Children-Studie (HBSC) umfangreich dokumentiert.

Die KiGGS-Studie ist ein deutscher Survey, das der zentralen Information zur gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen dient. In der Längsschnittuntersuchung werden seit 2003 Daten von über 17.000 Proband:innen im Alter von 0 bis 17 Jahren erhoben. Bis dato wurden die Teilnehmenden drei Mal kontaktiert, um persönliche Angaben bezüglich ihrer Gesundheit erheben und den Gesundheitszustand durch die Eltern und Professionelle (Ärzt:innen, Therapeut:innen etc.) einschätzen zu lassen. Zuletzt wurden die familiären Einflussfaktoren auf psychische Störungen, Adipositas und Allergien erforscht (Krause et al. 2021). Ein zentrales Ergebnis ist, dass über einen Zeitraum von zehn Jahren mehr als ein Drittel der Kinder und Jugendlichen weiterhin von Erkrankungsbildern wie Asthma und ADHS betroffen waren und fast die Hälfte unverändert adipös war (ebd.).

Die HBSC-Studie ist international angelegt und ermittelt mithilfe der drei Indikatoren subjektive Gesundheitseinschätzung, Lebenszufriedenheit und psychosomatische Gesundheitsbeschwerden das subjektive Wohlbefinden. Dabei gibt es die beiden Gesamtergebnis-Einteilungen „sehr gut/gut“ und „eher schlecht“ (Ottava et al. 2012). Der Großteil der Jugendlichen bewertete sein Wohlbefinden als gut bis sehr gut, wobei eher Mädchen, ältere und arme Jugendliche von Beeinträchtigungen berichtet haben. Gestresst waren die Jugendlichen auch, wenn die schulische Belastung zu groß wurde.

Zu ähnlichen Ergebnissen kamen Untersuchungen, die aufzeigten, dass Krippenkinder mit einem Wochenstundenbetreuungsumfang von mehr als 30 Stunden – unabhängig von der pädagogischen Qualität und individuellen Merkmalen – Stressverhalten zeigten und sich teilweise kognitiv langsamer entwickelten als Kinder, die geringfügig außerfamilial betreut wurden (Belsky et al. 2007; Coley et al. 2013; Loeb et al. 2007; Lucas-Thompson et al. 2010; Melhuish 2010; NICHD ECCRN 2004; Tietze et al. 2013). Infolgedessen ist es von großer Bedeutung, diese persönlichen Angaben als Grundlage von Präventionsmaßnahmen oder gar strukturellen Veränderungen des Bildungssystems aufzugreifen, um Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich nachhaltige Angebote zur Verbesserung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu offerieren und sie dabei familiär begleiten zu können.

Bindungstheorie

Eine positive Eltern-Kind-Bindung gilt als Basis für eine gesunde körperliche Entwicklung und neurologische Reifung. Kinder, die keine Bezugspersonen haben bzw. von ihren Bezugspersonen vernachlässigt werden, zeigen Entwicklungsdefizite und unter Umständen Verhaltensstörungen (Brisch et al. 2018).

Die Bindungstheorie wurde von Bowlby entwickelt und verbreitete sich rasant seit den 1950er Jahren. Danach entwickelt das Kind im Laufe seines ersten Lebensjahres auf der Grundlage eines biologisch determinierten Verhaltenssystems eine starke emotionale Bindung zu einer Hauptbezugsperson. Das menschliche Bindungssystem ist lebenslang aktiv und beeinflusst den Umgang mit Stresssituationen. Da Kleinkinder sich nicht selbst versorgen können und infolgedessen auf die Unterstützung ihrer Mitmenschen angewiesen sind, sind verfügbare Bindungspersonen für ihr Überleben notwendig. Obwohl ein Kind mehrere Bezugspersonen haben kann, wird es stets nur eine Hauptbezugsperson geben. Diese kann im Laufe der Zeit wechseln, je nachdem, welche Bezugsperson eher die entwicklungsbedingten und individuell variablen Bedürfnisse des Kindes erfüllt. Durch die Trennung von der Bezugsperson wird das sogenannte Bindungsverhalten ausgelöst. Das Kind empfindet plötzlich Angst, beginnt zu weinen oder wird unruhig. Bei einer sicheren Bindung sucht es seine Bezugsperson, läuft ihr nach, klammert sich eventuell kurz an ihr fest und möchte in die Arme genommen werden. Durch den als angenehm empfundenen Körperkontakt bzw. die warme Resonanz der Bezugsperson lässt es sich trösten und beruhigen. Infolgedessen wird das Explorationsverhalten aktiviert. Fühlt das Kind sich weiterhin sicher und geborgen, beginnt es, seine Umgebung zu erkunden. Es hat die Gewissheit, jederzeit auf seine Bezugsperson zurückgreifen zu können.

Bezugspersonen können Eltern, Geschwister, Großeltern und andere Personen sein. Entscheidend für den Aufbau einer sicheren Bindung ist nicht, wer am meisten Zeit mit dem Kind verbringt, sondern wie mit dem Kind interagiert wird. Erlebt das Kind feinfühlige, responsive Menschen in seinem Umfeld, wird es zu ihnen eine sichere Bindung aufbauen und sich in ihrer Nähe emotional sicher fühlen. Ist dies nicht der Fall, wird es eine unsichere Bindung zu ihnen aufbauen und sich permanent gestresst fühlen, was wiederum sein Explorationsverhalten hemmt (Grossmann & Grossmann 2012). Demnach ist eine sichere Bindung zu mindestens einer Person im nahen Umfeld ausschlaggebend für das emotionale Wohlbefinden des Kindes, da es zunächst den Umgang mit negativen Gefühlen lernen muss, bevor es selbst eine emotionale Stabilität entwickeln kann (ebd.; Holodynski 2006).

Motivationstheorien

Neben dem Grundbedürfnis nach emotionaler Sicherheit gibt es weitere für das Wohlbefinden wichtige Grundbedürfnisse, die in verschiedenen Theorien differenziert erläutert werden. In der humanistischen Psychologie werden sie als Motivationstheorien bezeichnet, da die menschlichen Bedürfnisse mit der Motivation zusammenhängen und sich auf das praktische Handeln auswirken. Es geht also darum, herauszufinden, wie Motive zustande kommen und inwiefern sie das Handeln erklären können. Dabei liegt allen Theorien zugrunde, dass Motive sich aus bestimmten Bedürfnissen herauskristallisieren und die Motivation durch die wahrgenommene Möglichkeit zur Befriedigung entsteht und gesteuert wird.

Dabei wird zwischen Inhalts- und Prozesstheorien unterschieden, die sich primär entweder mit den Bedürfnissen und deren Wirkung auseinandersetzen oder die Entstehung und Auswirkungen von Motivation prozessual beschreiben (Drumm 2008). Für Letztere liegen weitaus mehr empirische Befunde vor (ebd.). Dennoch findet der Bedürfnisansatz in der populärwissenschaftlichen Literatur großen Zuspruch (z. B. Grimm 2021; Roth 2021).

Da eine Auswahl von Motivationstheorien die zentrale Fundierung des vorliegenden Beobachtungsverfahrens darstellen, werden sie an dieser Stelle nicht explizit aufgeführt – dies erfolgt in den Kapiteln (2.2 bis 2.6) zu den einzelnen Beobachtungsmodulen –, sondern nur kurz zusammengefasst. Eine der wohl bekanntesten Theorie stammt von Maslow (1943). Er war einer der ersten, der auf Basis seiner klinischen Arbeit das Modell der menschlichen Grundbedürfnisse skizzierte, das später durch andere Wissenschaftler:innen hierarchisch angeordnet abgebildet wurde. Eine andere, in der Pädagogik sehr populär gewordene Theorie ist die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (1993, 2000). Sie beschreiben darin die menschlichen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenzerleben und sozialer Eingebundenheit, die eine maßgebliche Rolle bei der Entwicklung von Zielen, Motiven und Interessen spielen. Diese drei Grundbedürfnisse können einen erheblichen Einfluss auf das allgemeine Wohlbefinden ausüben.

Jüngere Arbeiten, die sich mit den kindlichen Bedürfnissen befassen, sind unter anderem die Aufsätze von Brazelton und Greenspan (2008) sowie das Fit-Prinzip von Largo (2019). Beide haben zum Ziel, durch Aufklärung der Zielgruppe und den verständlichen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen das Wohlbefinden von Kindern zu steigern.

1.2 Das StimtS-Forschungsprojekt & StimtS Transfer-Projekt als Basis

Für die Entwicklung des Beobachtungsverfahrens WaBe war die Orientierung an der kindlichen Perspektive ausschlaggebend. Es wurde stets das Ziel verfolgt, das subjektive, globale Wohlbefinden möglichst breit und umfangreich erkunden zu wollen. Dabei stand der Nutzen für die pädagogische Praxis im Fokus. In einer engen und intensiven Zusammenarbeit mit pädagogischen Fachkräften wurde in einem dialogischen Prozess eine breite Anwendbarkeit des Verfahrens in den Fokus gestellt. Nach diesem engen Austausch konnte auf Basis der Ergebnisse des Projekts „Stimulation oder Stress? Wohlbefinden von Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr in Kindertageseinrichtungen (StimtS)“ ein Beobachtungsverfahren erarbeitet werden, das den großen Vorteil hat, wissenschaftliche Standards und praktische Kriterien der zeitlichen Ökonomie und des Anwendungsnutzens zu vereinen.

Um die Entwicklung des Beobachtungsverfahrens genau nachvollziehen zu können, werden im Folgenden die Ursprungsprojekte, auf denen das Verfahren basiert, inhaltlich und organisatorisch vorgestellt, bevor anschließend weitere theoretische Ansätze erläutert werden, die die wissenschaftliche Fundierung des Verfahrens vertiefen.

Das StimtS-Forschungsprojekt

Das interdisziplinär angelegte Forschungsprojekt StimtS der Alice Salomon Hochschule Berlin und der Beuth Hochschule Berlin aus den Jahren 2016 bis 2018 versuchte, mit einem Fokus auf die Altersgruppe der ein- und zweijährigen Kinder herauszuarbeiten, welche organisatorischen, materiellen und interaktionalen Bedingungen einen Einfluss auf das kindliche Wohlbefinden haben. Es sollte aufgezeigt werden, welche Bedingungen notwendig sind, damit der Besuch einer Kita Stimulation – und nicht Stress – bedeutet. Ein weiterer Schwerpunkt lag auf der Untersuchung unterschiedlicher Gruppenorganisationsformen. Das heißt, es sollte untersucht werden, welche Erfahrungen Kinder machen, je nachdem, ob sie eher altersgleiche oder auch ältere und jüngere Spielpartner vorfinden und ob sie eher in stabilen, kleinen Gruppen oder aber in sogenannten teiloffenen oder offenen Konzepten betreut werden.

Dazu wurden Daten von 140 Kindern aus 35 verschiedenen Berliner Kindertageseinrichtungen erhoben. Die Kinder (62 Mädchen, 77 Jungen) waren zum Erhebungszeitpunkt zwischen 12 und 36 Monaten alt. Das Durchschnittsalter betrug 24,7 Monate. Über 90 Prozent der teilnehmenden Kinder wurden wöchentlich 35 Stunden oder mehr in der Kita betreut. Die meisten Kinder waren deutscher Herkunftssprache (87,3 %). Der Akademikeranteil der Eltern lag bei 60 Prozent, und Mutter/Vater und Partner:in waren beide zu über 90 Prozent berufstätig (dabei mehrheitlich 30 bis 40 Stunden pro Woche). Die Kinder wurden in Gruppen bzw. Einheiten sehr unterschiedlicher Größe betreut: Die kleinste Gruppe umfasste neun Kinder und eine Einrichtung mit 123 Kindern arbeitete komplett nach dem offenen Konzept (Dreyer et al. 2021; Dreyer, Stammer & Viernickel 2019; Viernickel et al. 2018). Sehr innovativ war, dass die kindliche Perspektive in den Mittelpunkt gestellt wurde.

Zur Konzeptualisierung kindlichen Wohlbefindens wurde ein biopsychosoziales Modell verfolgt, das biologische, psychische und soziale Komponenten umfasst. Alle drei Komponenten wurden mit unterschiedlichen Methoden erfasst (siehe Abb. 1).

Abb. 1: Biopsychosoziales Modell zur Erfassung kindlichen Wohlbefindens in der StimtS-Studie (Dreyer et al. 2021, S. 191)

Der erste methodische Zugang nimmt die Erfassung des biologischen und physiologischen Aspekts kindlichen Wohlbefindens in den Blick. Dazu wurde den Kindern an zwei Tagen morgens, vormittags, nachmittags und abends Speichel entnommen, um das Stresshormon Cortisol zu bestimmen. Sowohl die Höhe der Cortisolausschüttung am Morgen als auch der Grad und die Kontinuität der Absenkung des Cortisolspiegels über den Tag dienen als Hinweise darauf, ob ein Kind physisch gestresst ist oder nicht.

Als zweiter methodischer Zugang zur Erfassung des psychosozialen Wohlbefindens wurde die systematische Verhaltensbeobachtung gewählt, da das subjektive Wohlbefinden sehr junger Kinder aufgrund ihrer noch eingeschränkten sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten nicht mit partizipativen Forschungsansätzen wie Kinderbefragungen oder Gruppendiskussionen (Nentwig-Gesemann et al. 2021) erfasst werden kann und Fremdeinschätzungen (z. B. von pädagogischen Fachkräften) den bekannten Fehlerquellen (z. B. dem Halo-Effekt und Milde-Härtefehlern) unterliegen (Bortz & Döring 1995).

Dabei wurden die Zielkinder jeweils 45 Minuten in der Freispielzeit am Vormittag gefilmt. Um das Verhalten im Hinblick auf Anzeichen von Wohlbefinden analysieren zu können, wurde theoriebasiert und zum Teil in Anlehnung an bestehende Verfahren das videobasierte Beobachtungsinstrument Psychosoziales Wohlbefinden von Kleinkindern (PSW 12–36) entwickelt (Dreyer et al. 2021; Viernickel et al. 2018). Es umfasst vier unabhängig voneinander einzuschätzende Dimensionen kindlichen Wohlbefindens, die das videografisch festgehaltene Explorations-, Kommunikations-, Spiel- und Ausdrucksverhalten eines Zielkindes sowie Verhaltensweisen seiner Interaktionspartner:innen (pädagogische Fachkräfte und Peers) differenziert beschreibbar machen. Die vier Dimensionen sind (siehe Abb. 2):

• Emotionaler Ausdruck: Vorhandensein emotionaler Ausdruckssignale (Stimme, Mimik, Körperhaltung/-sprache)

• Emotionale Sicherheit: Suche nach und Erfahrung von Sicherheit vermittelnden Situationen und Interaktionen

• Soziale Teilhabe: Grad und Qualität der Eingebundenheit in soziale Interaktionen

• Aktivierung von Bildungspotenzialen: Vorhandensein von Merkmalen, die auf aktive Aneignungs-/Lernprozesse hindeuten

Abb. 2: Kodierschema des Video-Beobachtungsinstruments „Psychosoziales Wohlbefinden von Kleinkindern“ (PSW 12–36) (Dreyer et al. 2021, S. 192)

Um mögliche Einflussfaktoren auf das kindliche Wohlbefinden zu identifizieren, wurden Daten zum kindlichen Temperament (Inventar zur integrativen Erfassung des Kind-Temperaments – IKT; Zentner 2011), zum Bindungsstatus des Kindes zur pädagogischen Fachkraft (Attachmeht Q Sort – AQS-G; Ahnert et al. 2012), zum elterlichen Stress (Eltern-Belastungs-Inventar – EBI; Deutsche Version des Parenting Stress Index – PSI; Abidin 1995) sowie Informationen zur Gruppenorganisationsform und zur Qualität der pädagogischen Arbeit in der Kita-Gruppe (KRIPS-R; Tietze et al. 2005) erhoben.

Die Ergebnisse aus den Cortisolmessungen sprechen dafür, dass mit zunehmendem Alter die kindlichen Regulationsfähigkeiten steigen, die Kinder dadurch resilienter gegenüber stresshaften Bedingungen werden und der nachmittagliche Anstieg von Cortisol ausbleibt bzw. geringer ausfällt (Dreyer et al. 2021).

Die Befunde aus den Verhaltensbeobachtungen zeigen auf, dass sich die Mehrheit der teilnehmenden Kinder in ihrer Kita wohlfühlt. 20 Prozent der untersuchten Kinder dagegen wiesen während der Beobachtungen im Kita-Alltag deutliche Anzeichen von Anspannung, Teilnahmslosigkeit und Niedergeschlagenheit auf. Dabei lag die Qualität in fast allen teilnehmenden Kitas im mittleren bis guten Bereich (ebd.).

Die ersten Ergebnisse zeigen, dass sich die vier vewendeten Dimensionen kindlichen Wohlbefindens aussagekräftig operationalisieren lassen und grundsätzlich geeignet sind, um kindliche Ausdrucks- und Verhaltenssignale zu beschreiben und zu differenzieren. Das Video-Beobachtungsinstrument PSW 12–36 kann allerdings nur Aussagen zum aktuellen Wohlbefinden des Kindes treffen. Des Weiteren ist es ausschließlich zu Forschungszwecken verwendbar. Aufgrund der Bedeutsamkeit solcher Verfahren für die pädagogische Praxis wurde deshalb in einem anschließenden Transfer-Projekt „StimtS Transfer“ ein entsprechendes für die pädagogische Praxis konzipiertes Beobachtungsverfahren zur Wahrnehmung kindlichen Wohlbefindens entwickelt.

Das StimtS Transfer-Projekt

Im Oktober 2021 startete für 15 Monate das Folgeprojekt StimtS Transfer an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Es verfolgte das Ziel, in einem partizipatorischen Verfahren unter Beteiligung der pädagogischen Fachkräfte und in einem dialogischen Prozess auf Basis der Erkenntnisse aus der StimtS-Studie ein praxistaugliches Beobachtungsverfahren zu entwickeln und zu erproben.

Ausgangslage des Projekts war es, erstmals ein Beobachtungsverfahren in die Praxis zu implementieren, welches das subjektive, globale Wohlbefinden bei unter dreijährigen Kindern explizit in den Blick nimmt und dann der gesamten Fachpraxis zur Verfügung gestellt werden kann.

Das ist von hoher Bedeutsamkeit, denn das kindliche Verhalten und Wohlbefinden sind auch Indikatoren dafür, ob sich die Kinder auf die vielfältigen Bildungsimpulse in Kindertageseinrichtungen einlassen und von ihnen profitieren können.

Es war von Beginn an beabsichtigt, die Expertise der pädagogischen Fachpraxis heranzuziehen und bei der Entwicklung des Verfahrens zu berücksichtigen. Hierfür wurden Trägerleitungen, Fachberater:innen, pädagogische Fachkräfte und Kita-Leitungskräfte regelmäßig konsultiert.