Wagnis auf den zweiten Blick - KC Burn - E-Book

Wagnis auf den zweiten Blick E-Book

KC Burn

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Beschreibung

Vor zwei Jahren stand Will Dawson vor den Scherben seines Lebens. Nach einem Umzug und mit einem neuen Job wollte er in dem Pornostudio Idyll Fling noch mal von vorne anfangen. Doch jetzt zwingt ihn sein Chef, jemand Neues einzustellen: Dallas Greene, der Mann, wegen dem er damals sowohl seinen Job als auch seinen Partner verloren hat. Trotz aller Abneigung entwickelt Will Gefühle für Dallas, die sogar auf Gegenseitigkeit beruhen, aber Dallas war wieder einmal nicht ganz ehrlich zu Will. Kann eine Beziehung, die auf Lügen aufgebaut ist, überhaupt funktionieren? Band 2 der "Tartan Candy"-Reihe. Buch ist in sich abgeschlossen.

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EPUB

Seitenzahl: 384

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Deutsche Erstausgabe (ePub)August 2018

Für die Originalausgabe:

© 2016 by KC Burn

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Plaid versus Paisley«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2018 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

ISBN-13: 978-3-95823-707-0

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Vanessa Tockner

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

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Klappentext:

Vor zwei Jahren stand Will Dawson vor den Scherben seines Lebens. Nach einem Umzug und mit einem neuen Job wollte er in dem Pornostudio Idyll Fling noch mal von vorne anfangen. Doch jetzt zwingt ihn sein Chef, jemand Neues einzustellen: Dallas Greene, der Mann, wegen dem er damals sowohl seinen Job als auch seinen Partner verloren hat. Trotz aller Abneigung entwickelt Will Gefühle für Dallas, die sogar auf Gegenseitigkeit beruhen, aber Dallas war wieder einmal nicht ganz ehrlich zu Will. Kann eine Beziehung, die auf Lügen aufgebaut ist, überhaupt funktionieren?

Danksagung

Tausend Dank an meinen Mann Alex, der als Betaleser schnell wie der Blitz war, und an Dottie, Chudney, Tara Lain, Z.A. Maxfield, Lex Valentine, Dolorianne, meinen wunderbaren Buchclub und mein fantastisches Straßenteam für die Unterstützung. Besonderer Dank geht an Chad, einen Kollegen beim Brotjob, der mir mit einigen technischen Aspekten geholfen hat. Da er ein schlauer Kopf ist, sind eventuelle Fehler allein meine Schuld.

Kapitel 1

Dallas Greene stellte den Motor ab und sank über dem Lenkrad zusammen. So sollte das Leben nicht sein. Er war bereits seit vierundzwanzig Stunden unterwegs, ein paar Nickerchen auf Raststätten miteingeschlossen. Bitte lass das keinen Fehler sein. In letzter Zeit hatte er nur Fehler gemacht, als wäre das sein größtes Talent: jedem Fehler eine weitere schlechte Entscheidung hinzuzufügen. Aber wenn er im Auto sitzen blieb, schob er nur das Unvermeidliche hinaus.

Mit zitternden Fingern zog er den Schlüssel aus dem Zündschloss und stieg aus. Mehrere Gelenke knackten und seine Muskeln protestierten. Andere Vierundzwanzigjährige fühlten sich bestimmt nicht, als wären sie gerade von einem Sattelzug überrollt worden, aber andererseits war er seit zwei Jahren nicht mehr in Bestform gewesen.

Er starrte das Haus an. Es war anders, als er erwartet hatte. Größer. Schöner. Andererseits wusste er, dass seine Eltern gelogen hatten, als sie ihm erzählt hatten, dass sein Halbbruder Stefan verarmt, verseucht, verkommen und zum Tode verdammt war. Es war eine überraschend poetische Tirade gewesen, vor allem dank der Alliterationen, aber dieses Haus unterschied sich durch nichts von denen, an denen er nach der Abfahrt von der Interstate vorbeigekommen war. Keine Absperrungen, keine Demonstranten. Kein verleumderisches Graffiti. Keine Junkies oder Gangster. Nur ein Haus wie jedes andere in einer wohlhabenden Nachbarschaft, wenn auch nicht ansatzweise so wohlhabend wie die Wohngegend seiner Eltern.

Nachdem er das Auto abgesperrt hatte – zusammen mit dem Inhalt stellte es seinen gesamten Besitz dar –, marschierte er die Auffahrt hinauf. Bei jedem Schritt rumorte sein Magen protestierend. Wenn er während des letzten Tages irgendetwas gegessen hätte, hätte er sich Sorgen gemacht, dass er sich übergeben müsste.

Die helle Nachmittagssonne brannte auf ihn herab und nach der klimatisierten Kühle im Auto war die schwüle Feuchtigkeit beinahe brutal. Allerdings war es Monate her, seit ihm bis in die Zehen hinein warm gewesen war, daher konnte er sich nicht beschweren. Vielleicht hätte er noch einmal darüber nachdenken sollen, auf seiner spontanen Fahrt nach Florida im September einen Anzug zu tragen. Wer hätte schon ahnen können, dass es hier so heiß sein würde, wenn er vor wenigen Stunden noch an Herbstlaub vorbeigefahren war?

Der Großteil seiner Garderobe bestand aus Berufskleidung und er wollte einen guten Eindruck hinterlassen. Außerdem hatte er Connecticut gestern im Anzug verlassen und zu dem Zeitpunkt noch nicht gewusst, dass er eine Achtzehn-Stunden-Fahrt plus Pausen unternehmen würde, weil sein Leben noch ein Stück beschissener geworden war.

Er klingelte an der Tür. Links daneben gab es ein breites Fenster mit dekorativen und zweckmäßigen Metallstäben, die sich durch das Glas schlängelten. Blickdichte, weiße Vorhänge verbargen das Innere und Dallas vermutete, dass niemand auch nur Schatten erkennen würde, wenn sich dahinter Leute bewegten.

Nervös und ängstlich strich er mit den Händen über die Ärmel seiner grauen Anzugjacke, bevor er an sich herabsah. Sein Anzug war so faltig wie das Gesicht einer Bulldogge.

Wenn er die Energie dafür hätte, würde er zu seinem Auto sprinten und davonfahren, um sich weniger zerknitterte Kleidung anzuziehen, aber die Chancen, dass er sein Auto erreichen würde, bevor jemand die Tür öffnete, standen schlecht. Im Gegenteil, vielleicht fiel er sogar vorher in Ohnmacht.

Nach einer oder zwei Minuten klingelte er wieder. Dann runzelte er die Stirn.

Scheiße. Es war Donnerstag. Anders als er selbst hatte Stefan einen Job. Nicht, dass Dallas viel über Stefans Unternehmen wusste, aber es war nur logisch, dass er um diese Zeit nicht zu Hause sein würde.

Fuck. Dallas lehnte sich gegen das Fenster mit den schützenden Metallschnörkeln und sank auf den Beton hinab. Was sollte er jetzt tun? Einen Coffeeshop suchen und wie ein Zombie bis zum Abend dort herumlungern? Aber was, wenn Stefan gar nicht hier, sondern im Urlaub war? Fuck, er war so dumm.

Dallas starrte in den hellen Nachmittag hinaus. Florida war verdammt noch mal zu fröhlich für seine Stimmung. Seine Augen begannen zu brennen und er rieb mit den Handrücken darüber. Auch ohne rote Augen sah er schlimm genug aus – wenn er sich in ein Café setzte, würde der benommene Meth-Junkie-Look niemanden dazu bringen, ihn zum Preis eines Kaffees längere Zeit dort zu tolerieren.

Neben ihm schwang die Tür auf und ein dunkelhaariger Mann streckte den Kopf heraus.

Dallas erstarrte. Doppelte Scheiße. Wie hatte er es geschafft, vor dem falschen Haus zu landen? Vielleicht würde der Kerl die Tür schließen, wenn er sich nicht bewegte, und dann könnte Dallas dieser neuen Peinlichkeit unbemerkt entgehen.

Im Inneren des Hauses rief jemand: »Wer ist es?«

»Ich weiß nicht, Liebling, aber er hat eine vollgeräumte Schrottkarre in der Einfahrt geparkt.«

Dallas' Wangen wurden heiß vor Verlegenheit, aber er brachte trotzdem kein Wort heraus. Allerdings musste er irgendein Geräusch gemacht haben, denn der Mann sah herab und hob die Augenbrauen.

»Oh, hallo.«

»Ähm, hi.« Nicht gerade die beste Antwort, aber wie genau rettete man sich taktvoll aus einer Situation wie dieser? Wenn seine Mutter das angemessene Verhalten je erwähnt hatte, hatte er in dem Moment wohl nicht aufgepasst.

»Wenn Sie für ein Bewerbungsgespräch hier sind, dann ist jetzt keine gute Zeit. Sie sollten wirklich besser ins Büro kommen.« Der Mann hielt inne und sah genauer hin. »Und ich bin nicht sicher, ob Sie genug Ausdauer für den Job haben, mein Lieber.«

Dallas' Wangen wurden noch heißer – er wusste, dass er schrecklich aussah. Und was den Rest seiner Aussage betraf, nun ja, die spielte kaum eine Rolle. Die Verurteilung in seinem Tonfall gab Dallas genug Energie, um auf die Füße zu kommen.

»Wer ist es denn?« Die Stimme von drinnen klang näher, aber noch gedämpft. »Was für ein Bewerbungsgespräch?«

Ein weiterer Mann stolperte zur Türschwelle, während er sich ein T-Shirt über den Kopf zog.

Dallas räusperte sich. »Verzeihung. Ich gehe schon.«

Der Kopf des zweiten Mannes kam oben aus dem T-Shirt heraus und trotz der zerzausten, sandfarbenen Haare und sommersprossigen Haut, die offensichtlich von Barthaaren gerötet war, war er unverkennbar.

»Stefan?«, fragte Dallas.

Stefan blinzelte. »Dallas? Was tust du denn hier?«

Dallas öffnete den Mund, fand jedoch keine Worte. Mit einem kleinen Hicksen brach der Damm. Zwischen der Erleichterung darüber, das richtige Haus gefunden zu haben, und der reinen Hoffnungslosigkeit seines Lebens verlor er die Kontrolle über die Tränen, die er schon seit Stunden unterdrückte.

»Ach Gott.« Stefan streckte einfach die Arme aus und zog ihn in eine feste Umarmung, um ihn lautlos weinen zu lassen.

Der andere Mann ging ins Haus zurück und gab ihnen so viel Privatsphäre, wie sie mitten am Tag auf der Türschwelle von Stefans Haus haben konnten.

Als Dallas sich schließlich ausgeweint hatte, ließ Stefan ihn los. »Komm rein.«

Dallas sah zu seinem Auto zurück, das in der noblen Nachbarschaft auffiel wie ein Schandfleck.

»Deine Sachen sind sicher. Keine Sorge.« Stefan führte ihn hinein, als wäre er ein alter Mann. Diese Annahme war nicht allzu abwegig und Dallas hatte nichts gegen die Hilfestellung. Er balancierte schon viel zu lange auf einem metaphorischen Drahtseil über einem Sumpf voller Krokodile.

In der modernen, weiträumigen Küche führte Stefan ihn zu einem Stuhl am Tisch. »Setz dich. Alles wird gut werden.«

Der dunkelhaarige Mann war nirgendwo zu sehen, wofür Dallas unendlich dankbar war. Jetzt sah er bestimmt noch schlimmer aus und war nicht imstande, Smalltalk mit einem Fremden zu führen. Es war schon schlimm genug, dass er Stefan kaum kannte.

Benommen und erschöpft gehorchte er und war auch zu müde, um zu widersprechen, dass es unmöglich gut werden konnte. Sobald er den Nerv gefunden hatte, um es zu erklären, würde Stefan ihm zustimmen.

Dieser setzte sich auf den Stuhl neben ihn, stellte eine Wasserflasche auf den Tisch und reichte ihm einen kühlen, feuchten Waschlappen.

Dallas blinzelte mit schweren, geschwollenen Lidern und konnte sich nicht entscheiden, was er zuerst nehmen sollte. Im Moment war er nicht koordiniert genug, um beides gleichzeitig zu tun. Stefan hatte Mitleid mit ihm und nahm den Waschlappen zurück. »Trink die Flasche halb aus.«

Sobald er damit fertig war, legte Stefan ihm den Waschlappen wieder in die Hand. Dafür brauchte Dallas keine Anweisungen, er legte ihn auf seine schmerzenden Augen. Wenn er genug Feuchtigkeit in seinem Körper gehabt hätte, hätte er wieder zu weinen angefangen. Stattdessen ließ er zu, dass die Kühle die Schwellung milderte und tat wie ein Kind so, als könnte er niemanden sehen und niemand könnte ihn sehen.

Unglücklicherweise dauerte diese Gnadenfrist nur an, bis der Waschlappen Raumtemperatur angenommen hatte. Seufzend ließ er ihn auf den Tisch fallen und wagte einen Blick zu seinem Bruder. Er trank noch etwas Wasser, denn selbst hier, im feuchtesten Staat der Welt, kündigte der Druck in seinem Kopf die kurz bevorstehende Dehydrierung an.

»Du siehst beschissen aus.«

Dallas lachte halb und wimmerte halb über die unverblümte Feststellung. »Ich weiß.« Seine Stimme klang nicht nach ihm – kratzig, weil er sie lange nicht benutzt hatte. Er räusperte sich, bevor er es erneut versuchte. »Ich wusste nicht, wohin ich sonst gehen sollte.«

Es war knappe drei Jahre her, seit er seinen Bruder zuletzt gesehen hatte, und mindestens sechs Monate, seit er mit ihm telefoniert hatte. Er war so dumm gewesen, hatte sich davor gefürchtet, irgendjemandem zu zeigen, wie gründlich sein Leben den Bach hinuntergegangen war. Jetzt hatte er keine andere Wahl, als alles zu erklären, wenn er heute nicht in seinem Auto schlafen wollte.

»Ich... ich...« Dallas wusste nicht einmal, wo er anfangen sollte, aber Stefan schüttelte den Kopf.

»Nicht, Dallas. Einen Teil kann ich erraten, aber als ich gesagt habe, dass du beschissen aussiehst, da habe ich das auch so gemeint. Du siehst aus, als wärst du krank, und ich wünschte, du hättest etwas gesagt, bevor es so schlimm geworden ist, aber ich bin froh, dass du hier bist.«

Dallas runzelte die Stirn. Froh? Er musste sich verhört haben. »Aber ich... bin arbeitslos.«

Stefan lächelte milde. »Das habe ich mir gedacht. Und auch obdachlos, wenn ich daran denke, was ich in deinem Auto gesehen habe.«

»Ähm. Ja.«

»Partner?«

»Nein.« Nicht mehr und er würde nicht auch noch seine gescheiterte Beziehung mit Hugh erklären.

»Das tut mir leid. Was ist mit Mom?«

Dallas schüttelte den Kopf. »Ich wollte gerade nach Hause zurückziehen. Dann hat Dad herausgefunden, dass ich auch schwul bin.«

Stefans Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Bestimmt verbiss er sich bittere Worte über seinen Stiefvater, der ihn aus demselben Grund hinausgeworfen hatte, als er sechzehn und Dallas neun gewesen war. Damals hatte Dallas keine Erklärung bekommen, warum sein älterer Bruder nicht mehr da war. Dallas war zu jung und zu verängstigt von der ganzen Sache gewesen, um Fragen zu stellen. Als er später die Wahrheit herausgefunden hatte – genau um die Zeit herum, als er seine eigene Sexualität hinterfragt hatte –, hatte er klugerweise beschlossen, sich nicht zu outen, aber tief im Inneren hatte er gedacht, dass sein Dad bei ihm nachsichtig sein würde, wie er es bei Stefan nicht gewesen war, da Stefan das Kind aus der vorherigen Ehe ihrer Mutter war. Aber die Blutsverwandtschaft hatte nicht gereicht und Dallas hatte die Katastrophe nicht kommen sehen.

Er hätte sie sehen sollen. Alles andere in seinem Leben war den Bach hinuntergegangen, der Rauswurf war der metaphorische letzte Tropfen gewesen.

Anstatt die Beherrschung zu verlieren, drückte Stefan nur seinen Arm. »Wir packen dein Gepäck morgen aus, vorerst solltest du gehen und deine Toilettenartikel und Kleidung zum Wechseln herausholen, während ich das Gästezimmer herrichte.«

Das Weinen musste etwas mit seinen Ohren angestellt haben, denn so einfach konnte es gar nicht sein. Stefan stellte ihm schon nach ein paar Fragen sein Haus zur Verfügung?

»Auspacken? Bist du sicher?«

Stefan setzte einen strengen Gesichtsausdruck auf und starrte ihm in die Augen. »Du weißt doch, dass ich noch Idyll Fling manage, oder?«

»Ja, ich schätze schon.« Die Gründung des Pornostudios war zu viel für die Greenes gewesen. Stefan war so endgültig enterbt worden, wie es nur möglich war. Fünf Jahre später, als Dallas sich allmählich gefragt hatte, warum Jungen attraktiver waren als Mädchen, hatte er den Kopf noch mehr eingezogen – sein Vater war monatelang in schlechter Stimmung gewesen, während er versucht hatte, Stefan davon abzuhalten, mit der Erbschaft seiner Großmutter Idyll Fling zu gründen. Dallas hatte nicht einmal den Mut gefunden, ein paar der Videos anzusehen, die Idyll Fling produzierte, zum Teil weil er nicht wusste, ob sein Bruder darin mitspielte – denn das hätte ihn richtig traumatisiert.

»Ich würde ja gerne so tun, als wären Pornos ein ganz normaler Beruf«, sagte Stefan. »Aber ich kann nicht leugnen, dass ich mehr als genug Kerle gesehen habe, die damit anfangen, weil es ihre letzte Option ist, um sich ihren Lebensunterhalt und ein Dach über dem Kopf zu verdienen. Bei einigen sieht man sofort, dass sie nur etwas Unterstützung brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen, und die lasse ich dann im Gästezimmer wohnen. Wenn ich das für meine Angestellten tun würde, warum nicht für meinen kleinen Bruder?«

»Halbbruder.«

Stefan verdrehte die Augen. »Du weißt, dass mir das immer egal war.«

»Mir auch«, flüsterte Dallas. »Bist du sicher?« Vor Erleichterung fielen ihm beinahe die Augen zu und er fragte sich, ob er direkt hier am Tisch einschlafen würde.

»Natürlich bin ich sicher. Es würde mich freuen, wenn du mir irgendwann die ganze Geschichte erzählst, aber im Moment brauchst du vor allem Schlaf. Komm schon.«

Stefan half ihm auf die Beine und führte ihn zur Treppe. »Was ist mit meinem Zeug? Der Kleidung zum Wechseln?«

»Damit beschäftigen wir uns, wenn du wieder wach bist. Ich lege ein paar von meinen Sachen für dich heraus – wenn du wieder aufstehst, kannst du duschen oder runterkommen und essen.«

Jede Stufe erschien höher als die vorige und als er den oberen Treppenabsatz erreichte, Stefan dicht hinter ihm, atmete er bereits schwer, als wäre er einen Marathon gelaufen.

Der dunkelhaarige Mann, der die Tür geöffnet hatte, kam mit einem mitfühlenden Lächeln im Gesicht aus einem der Zimmer. »Ich habe frische Handtücher auf die Kommode gelegt.«

Stefan gab dem Mann einen schnellen Kuss. »Danke, Paul. Ich wollte das Zimmer gerade herrichten.«

Paul. Natürlich. Stefan hatte ihn flüchtig erwähnt, aber Dallas' Erinnerung an die letzten zwei Jahre war verschwommen und Stefan würde ihm hoffentlich verzeihen, dass er sich nicht an seinen Freund erinnerte. Oder seinen Ehemann? Er glaubte nicht, dass Stefan geheiratet hatte, ohne ihm etwas zu sagen, aber in letzter Zeit war er so abgeschottet von allem gewesen, dass er nicht einmal das mit Sicherheit sagen konnte.

»Es war ziemlich offensichtlich, dass er ein weiterer deiner Findlinge ist, ich habe nur nicht gleich bemerkt, dass er dein Bruder ist.«

Dallas gefiel es nicht besonders, ein Findling genannt zu werden, auch wenn es stimmte, aber wenigstens klang Paul nicht beleidigt oder abfällig. Trotzdem streckte er die Hand aus. »Es ist nett, dich kennenzulernen, Paul.«

Paul ignorierte die Hand und zog ihn in eine Umarmung. »Es freut mich, Stefans Bruder zu treffen. Du bist hier willkommen, solange du bleiben willst.«

Genau wie Stefan klang er aufrichtig und trotz Dallas' vorherigem Ausbruch begannen seine Augen schon wieder zu brennen.

»Hey, Babe, lass ihn los. Er hält sich kaum noch auf den Beinen. Ihr zwei könnt euch besser kennenlernen, nachdem er etwas geschlafen hat.« Stefan befreite ihn und schob ihn zum Gästezimmer.

Dallas hoffte nur, dass der Schlaf ihn nicht meiden würde wie in den letzten Wochen. Er hörte, wie Paul leise etwas zu Stefan sagte, bevor er die Treppe hinablief, aber Dallas interessierte sich mehr für das Bett. Er war nicht sicher, ob es ein Doppelbett oder noch größer war, aber das weiche Bettzeug zog ihn an wie ein superstarker Magnet. Das frische, weiße Laken – gerade erst gewaschen, dem Duft von Weichspüler nach zu schließen – leuchtete in der Sonne, die durch das Fenster schien. Stefan kam herein und zog blickdichte Vorhänge vor die zwei großen Fenster. Dadurch wurden sie zwar nicht gerade in Dunkelheit gehüllt, aber wenn die Tür zu war, käme es dem verdammt nahe.

»Das Badezimmer ist hinter der nächsten Tür rechts auf dem Gang. Ich hole dir schnell Kleidung zum Wechseln.«

Sobald Stefan das Zimmer verlassen hatte, streifte Dallas seine Schuhe ab, zog seinen mitgenommenen Anzug aus und ließ ihn neben dem Bett zu Boden fallen. Er kroch unter die Decke und ließ die weiche Geborgenheit auf sich wirken. Sofort fielen ihm die Augen zu, als hätte der Schlaf nur darauf gewartet, dass er nach Florida fuhr, um ihn zu finden.

Dallas erwachte in Stille und mit Kopfschmerzen, die hinter seinen Schläfen pochten. Er wusste nicht, ob er eine Stunde oder acht geschlafen hatte – das Licht, das durch die Vorhänge drang, reichte nicht als Antwort. Wenn er länger in diesem Zimmer blieb, würde er einen Wecker besorgen oder sich daran erinnern müssen, den Alarm auf seinem Handy zu stellen. Wenigstens fühlte er sich etwas besser, was allerdings nicht viel hieß, wenn er an seinen Gesundheitszustand in letzter Zeit dachte.

Er streckte sich ein wenig auf der gemütlichen Matratze. Mehrere Tage lang weiterzuschlafen klang gleichzeitig toll und leicht machbar, aber er würde die Gastfreundschaft seines Bruders nicht derartig strapazieren. Stefans herzliches Willkommen war wundervoll gewesen, aber Dallas musste... eine Erklärung liefern. Oder etwas in der Art. Vorzugsweise ohne sich wie gestern in ein weinendes Häufchen Elend zu verwandeln. Stefan hatte es bestimmt nicht ernst gemeint, als er gesagt hatte, dass Dallas bleiben konnte, solange er wollte, das wäre einfach lächerlich. Dallas hatte die feste Absicht, einen Job und eine eigene Wohnung zu finden. Wenn er Stefan und Paul wissen ließ, dass er so bald wie möglich wieder gehen würde, wären sie bestimmt erleichtert.

Sich selbst zu erniedrigen, indem er Stefan – oder irgendjemandem – erzählte, wie idiotisch er sich benommen hatte und dass diese schreckliche Situation zum Großteil seine Schuld war, war nicht gerade etwas, worauf er sich freute.

Als er sich erneut bewegte, diesmal etwas vehementer, traf ihn ein Lufthauch, der unter der Decke herauskam, und er zog die Nase kraus. Heilige Scheiße, er stank. Da er vor Schmutz starrte und einen Geschmack im Mund hatte, als hätte er Luzifers Arsch geleckt, würde er Stefans Einladung annehmen, die Dusche zu benutzen, bevor er sich sehen ließ. Ein paar weitere Minuten, um den letzten Rest seines Muts zusammenzukratzen, würden ebenfalls nicht schaden.

Stöhnend stemmte er sich in eine sitzende Position hoch. Wenn er seinem Arzt glauben wollte, würde er sich bald wieder wie sein altes Selbst fühlen. Er schnaubte. Er fühlte sich bereits alt – er wollte sich wieder wie sein junges, vierundzwanzigjähriges Selbst fühlen. Oder wenigstens so jung, wie man sich mit vierundzwanzig fühlen sollte. Er konnte sich nicht vorstellen, dass man sich kurz vor der Vierteljahrhundertmarke tagtäglich wie der Tod fühlte.

Die ungeöffnete Wasserflasche auf dem Nachttisch und der Stapel gefalteter Kleider und Handtücher auf dem Stuhl neben dem Schrank verrieten, dass Stefan wieder ins Zimmer gekommen war, nachdem Dallas weggedriftet war. Dank der Erleichterung darüber, ein Dach über dem Kopf zu haben – egal wie kurzfristig –, das nicht sein Auto war, hatte er so tief geschlafen wie schon lange nicht mehr.

Der Schmerz hinter seinen Schläfen pochte und er nahm das Wasser und stürzte es in wenigen Schlucken herunter. Er hatte Schmerzmittel in seinem Auto, aber er hoffte, dass es nur an der Dehydrierung lag und nicht wieder ein Vorbote von Spannungskopfschmerzen war. Wenn Wasser und eine Dusche nicht halfen, würde er seine neuen Medikamente holen. Er konnte es sich nicht wirklich leisten, sie leichtfertig zu nehmen. Während er sich zum Stuhl schleppte, fragte er sich, was mit dem Anzug geschehen war, den er zuvor getragen hatte.

Er drückte die Kleider und Handtücher an seine Brust und machte sich auf die Suche nach dem Badezimmer, ohne sich darum zu kümmern, dass er in Retropants im Haus seines Bruders herumlief.

Eine Stunde später war er sauber, hatte sich rasiert und fühlte sich größtenteils erfrischt. Wenn das Wasser zusammen mit dem Schmutz noch einige Tränen weggespült hatte, gab es dafür keine Zeugen. Auf geschwächten, zitternden Beinen stieg er ins Erdgeschoss hinab. Hunger nagte zum ersten Mal, seit er das Krankenhaus verlassen hatte, an seinem Magen. Er musste etwas essen, bevor er ohnmächtig wurde, was bedeutete, dass er sich demjenigen stellen musste, den er in der Küche herumklappern hörte.

Paul stand vor einem offenen Küchenschrank und starrte auf den Inhalt, aber sobald Dallas die Küche betrat, wirbelte er herum.

»Oh, gut, du bist wach.«

Dallas lächelte schwach. Die Uhr über dem Herd zeigte 6:12 an, aber sie waren in den Tropen. Es konnte Donnerstagabend oder Freitagmorgen sein. Er hatte nicht daran gedacht, auf seinem Handy nachzusehen, aber er erinnerte sich nicht daran, es ans Ladegerät angeschlossen zu haben, bevor er eingeschlafen war, daher war es ungefähr so nützlich wie ein schimmernder, länglicher Stein.

»Wie lange habe ich geschlafen?«

»Verdammt lange. Mann, du musst richtig erschöpft gewesen sein.«

Das beantwortete die Frage nicht, andererseits hatte er ja auch keine Arbeit, bei der er rechtzeitig auftauchen musste. Dallas zuckte mit den Schultern. Er war die letzten zwei Jahre durchgehend erschöpft gewesen. Er erinnerte sich nicht daran, wie sich ausgeruht anfühlte, aber er hoffte es herauszufinden.

Paul kam herüber und nahm sein Kinn in die Hand, um ihm prüfend in die Augen zu starren. Dallas versuchte zurückzuweichen, da er nicht sicher war, was los war, aber Paul lächelte nur und ließ ihn los.

»Sieht aus, als hätte eine Nacht Schlaf Wunder gewirkt, obwohl du immer noch ein gutes Stück Weg vor dir hast.«

Okay. Es war definitiv Freitag, aber ob Morgen oder Abend, stand immer noch in den Sternen.

Paul war noch nicht fertig. »Ich bin nur erstaunt, dass du das Abendessen gestern verschlafen hast. Wir haben Pizza bestellt und der Duft von Pizza würde mich von den Toten auferwecken.«

Schon bei der Erwähnung von Pizza merkte Dallas' Magen auf und sein Grummeln hing zwischen ihnen in der Luft.

»Tut mir leid.« Dallas' Wangen wurden heiß. Er glaubte nicht, dass sein Magen schon bereit für Pizza war, aber es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seit er zum letzten Mal eine gegessen hatte.

»Du musst dich nicht entschuldigen.« Pauls Ton war neutral, nicht mitleidig. »Setz dich und ich mache uns ein paar Eier.«

Eier bedeuteten Morgen, oder? »Oh, das musst du nicht. Ich kann mich selbst um mein Frühstück kümmern.« Bei seinem momentanen Schneckentempo würde das zwar ewig dauern, aber er konnte es schaffen.

»Mein Lieber, du siehst aus, als würde ein kräftiger Windstoß dich umhauen und du bist während der Hurrikansaison in Florida. Setz dich und ich kümmere mich um das Essen. Dieses Wochenende hast du mehr als genug Zeit, um alleine zurechtzukommen.«

»Alleine zurechtkommen?« Dallas beschloss, Pauls Anweisungen zu befolgen, da er den Eindruck hatte, dass es keine andere Option gab, und ignorierte den Teil mit der Hurrikansaison. Er hatte schon genug Sorgen, ohne Mutter Natur zu seiner Liste hinzuzufügen.

»Sieh mal einer an, wer von den Toten auferstanden ist.« Stefan marschierte in die Küche und küsste Paul, bevor er zum Tisch zurückkam. Er zog Dallas in eine halbe Umarmung und setzte sich dann.

»Paul hat etwas davon gesagt, dass ich alleine klarkommen soll? Ich will euch keine Umstände machen. Ich kann gehen, wenn ihr zu tun habt.« Allerdings wollte er nicht und der Gedanke daran, wieder in sein Auto zu steigen, könnte ihm tatsächlich den Rest geben.

Glücklicherweise sah Stefan ihn an, als wäre er ein Idiot. »Sei nicht blöd. Wir haben für den Dreh am Wochenende ein Haus am Strand gebucht. Ich bin nur froh, dass du aufgewacht bist, bevor wir los müssen.«

Dallas blinzelte – die Tatsache, dass sein Bruder das ganze Wochenende lang attraktive Männer beim Sex filmen würde, während er selbst immer noch keine Ahnung hatte, was er tun oder wohin er gehen sollte, traf ihn völlig unvorbereitet. »Und du hast nichts dagegen, dass ich hierbleibe?«

Stefans fröhliches Lächeln verschwand, er wirkte streng und sah ihrer Mutter dabei überraschend ähnlich. »Dallas, ich kann nicht leugnen, dass ich genau wissen will, was mit dir los ist. Wenn auch nur, weil ich mir Sorgen um deine Gesundheit mache. Aber du bist mein Bruder und was mich betrifft, der einzige Blutsverwandte, den ich noch habe. Bleib hier, solange du willst. Lass mich dir helfen.«

Dallas' Augen brannten bei dem vorbehaltlosen Angebot. Stefan hatte etwas Ähnliches gesagt, als er angekommen war, aber es hatte sich so perfekt angehört, dass Dallas beinahe überzeugt gewesen war, es nur geträumt zu haben.

»Danke.« Seine Stimme kratzte, als er versuchte, mit zugeschnürter Kehle zu sprechen. Während er versuchte, weitere Worte zu finden, stellte Paul einen Teller vor ihn. Das fluffige Rührei und der perfekt gebräunte Toast sahen aus, als wären sie von einem professionellen Koch zubereitet worden.

»Ich kann noch etwas Speck oder Würstchen braten, wenn du willst, aber ich dachte, etwas Schnelles wäre besser, als ein richtiges Frühstück zusammenzustellen, während du wahrscheinlich am Verhungern bist.«

Dallas konnte kaum glauben, dass Stefans Freund ihm Frühstück gemacht hatte und fragte, ob er noch mehr wollte. »Nein, danke. Das ist perfekt.« Speck und Würstchen standen ohnehin noch nicht auf seinem Speiseplan, aber Eier und Toast waren ideal.

»Orangensaft? Kaffee?«

Einen Moment lang drehte sich sein Magen bei der Vorstellung von Kaffee um. »Wasser wäre gut.«

Paul holte eine Flasche aus dem Kühlschrank, während Dallas vorsichtig zu essen begann. »Das ist köstlich. Danke.«

Für das Kompliment bekam er ein weiteres warmes Lächeln. Paul war vermutlich ebenso viel älter als Stefan, wie Stefan älter als Dallas war, wahrscheinlich ungefähr so alt wie Hugh, aber abgesehen von dem Alter gab es keine offensichtlichen Ähnlichkeiten zwischen Dallas' bisher einzigem und Stefans momentanem Freund.

»Ich fürchte, wir haben den Kühlschrank mehr oder weniger geleert, aber in den Küchenschränken sind eine Menge Dosen und in der Speisekammer und Gefriertruhe ist auch einiges. Wir gehen groß einkaufen, wenn wir zurück sind, und dann können wir herausfinden, welche Lebensmittel für uns alle in Ordnung sind.« Während er sprach, deutete Paul auf die jeweiligen Teile der Küche – die beinahe so groß war wie die in Dallas' Elternhaus.

Dallas seufzte. Bei seiner eingeschränkten Ernährung – einfach, gesund und leicht zu verdauen – würde es nicht schwierig sein, Lebensmittel einzukaufen. Sein Magen protestierte selbst bei einigen Dingen, die sein Arzt ihm wieder erlaubt hatte.

»Hast du einen Computer oder ein Handy oder irgendetwas?«, fragte Stefan. Traurig, dass er überhaupt fragen musste, normalerweise waren diese Dinge selbstverständlich. Dallas hatte sich nicht in eine so schlimme Lage gebracht, dass er beides verloren hatte, aber wenn er nicht bald Arbeit fand, würde er seine Handynutzung noch weiter einschränken müssen. Der Laptop war für seine Arbeit unentbehrlich – wenn er einen Punkt erreichte, an dem er ihn verkaufen müsste, wären all die Jahre am College und die Streitereien mit seinem Vater über sein Studienfach eine komplette Verschwendung gewesen.

»Ich habe beides. Mein Laptop ist im Auto.«

Stefan nickte und schob ihm einen Zettel hin. »Das ist das WLAN-Passwort und der Name des Netzwerks. Und denk nicht daran, dein Auto auszupacken.«

Bei diesen Worten sackten Dallas' Schultern nach unten . Warum sollte er auch auspacken? Er würde ja nicht lange genug hier bleiben.

»Dallas. Mein Gott.« Bei Stefans gereiztem Tonfall hob Dallas den Kopf und Paul runzelte die Stirn.

»Was?«

»Hör zu. Du kannst hierbleiben. Solange du willst. Interpretiere keine versteckte Bedeutung in meine Worte hinein. Ich weiß, der Umgang mit Walter und Mom hat dich wahrscheinlich darauf trainiert, zu denken, dass niemand das meint, was er sagt, aber ich habe eine Menge Scheiße durchgemacht, damit sie jetzt keinen Einfluss mehr auf mich haben. Ich bin nicht wie sie und werde es nie sein. Ich will nicht, dass du das Auto auspackst, weil ich verhindern will, dass du dich am Wochenende überanstrengst, wenn wir nicht hier sind, um dir zu helfen.«

Scheiße. Dallas musste noch schlechter aussehen, als er gedacht hatte, wenn Stefan sich Sorgen machte, dass der Kram im Auto ihn umbringen könnte.

»Okay. Klar.«

Stefan hob eine Augenbraue. »Ich hoffe, du lügst mich nicht an. Paul und ich werden dir helfen, das Auto auszuladen, wenn wir zurück sind. Wenn du dir Sorgen wegen der Sicherheit machst, kannst du es in die Garage fahren. Wir sollten irgendwann am Dienstag zurück sein.«

»Danke.« Dallas hatte eine Ahnung, dass dieses Wort in nächster Zeit sehr oft zum Einsatz kommen würde. »Ich fange sofort mit der Arbeitssuche an. Damit ich wenigstens etwas Miete zahlen oder zum Budget beitragen kann.«

Ein finsterer Blick, den Dallas seit über zehn Jahren nicht gesehen hatte, traf ihn aus den Augen seines älteren Bruders. »Nein. Das wirst du nicht. Du wirst schlafen, essen und dich entspannen. Setz dich vielleicht hinaus an den Pool. Es hat keine Eile, versprochen. Außerdem habe ich vielleicht ein paar Ideen, was das betrifft. Wir können darüber reden, wenn wir zurück sind.«

»Wirklich?« Dallas biss sich auf die Lippe. »Das klingt gut, schätze ich. Ich sollte nicht Vollzeit arbeiten und es ist nicht einfach, in meinem Bereich Teilzeitjobs zu bekommen.«

Stefans Augen weiteten sich. »Du meinst, du solltest aus gesundheitlichen Gründen nicht Vollzeit arbeiten?«

Dallas nickte.

»Dann sehe ich besser keine Anzeichen, dass du dich auch nur einmal angestrengt hast, wenn ich zurückkomme.«

Als sie noch bei ihren Eltern gewohnt hatten, hatten sie eine seltsame Beziehung gehabt. Dallas hatte seinen älteren Bruder idealisiert, aber da beinahe acht Jahre zwischen ihnen lagen, hatten sie wenig gemeinsam gehabt. Dallas hatte allein dadurch, dass er ein Kind war, seinen Bruder eher genervt. Und er war oft Stefan überlassen worden, damit seine Eltern keinen echten Babysitter brauchten, wenn sie ausgingen. Diese Situation erinnerte ihn an die alten Zeiten und sein innerer Rotzbengel lebte wieder auf.

Er streckte die Zunge heraus. »Sonst was? Wirst du mir Hausarrest geben?« Allerdings stellte er sicher, dass er nur neckisch klang, denn er war über alle Maßen dankbar, dass Stefan noch großzügiger und hilfsbereiter war, als er sich vorgestellt hatte.

Stefan grinste nur. »Oh, ich werde mir eine Strafe einfallen lassen, die genauso schlimm ist. Dallarsch.«

Die kleine Änderung der letzten Silbe seines Namens war eine von Stefans wenigen Racheoptionen gewesen, als sie jünger gewesen waren, da er ständig hatte ausbaden müssen, was Dallas angestellt hatte. So ungleich war die Zuneigung, die Dallas' Vater an sie beide verteilte, und Dallas hatte das nicht einmal bemerkt, bis er älter geworden war und einen objektiveren Blick auf seine Kindheit entwickelt hatte.

»Okay, schon gut. Fang jetzt nicht wieder an, mich so zu nennen!«

Dallas warf einen Blick zu Paul, der die Lippen zusammengepresst hatte, um nicht zu lachen, und an die Decke starrte. Dallas erlaubte sich selbst ein kleines Lächeln. Es sah definitiv nicht mehr trostlos für ihn aus und er würde eine Weile brauchen, um sich daran zu gewöhnen. Jeden Tag voller Widerwillen und Sorge aufzuwachen, war eine Gewohnheit geworden, die er ablegen musste, und jetzt, da er bei seinem Bruder wohnte, hatte er vielleicht endlich die Gelegenheit dazu.

Kapitel 2

Will Dawson fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht. Er war völlig erschöpft und es war erst Mittwoch. Ein verächtliches Schnauben entkam ihm. Jetzt, da er mehr oder weniger jeden Tag bis spät in die Nacht arbeitete, die Wochenenden miteingeschlossen, hatte der genaue Wochentag seine Bedeutung beinahe verloren.

Kyle sah von seinem Computer auf. »Was ist, Boss?«

Will biss die Zähne zusammen. Er hatte vergessen, dass er nicht mehr allein war. Einen Praktikanten zu haben, hätte eine Erleichterung sein sollen, aber er musste sich einfach fragen, ob Kyle vorhatte, ihm seinen Job zu stehlen.

»Oh. Nichts. Nur so ein Gedanke. Wie geht es dir mit den Passwort-Resets?«

»Bin fertig. Wollten Sie, dass ich an diesem Sicherheitspatch arbeite?«

»Nein, nein. Das muss über Nacht gemacht und danach der Server neu gestartet werden. Ich werde es einleiten und dann von zu Hause aus steuern.« Vielleicht. Inzwischen verbrachte er mehr Stunden im Serverraum des Idyll Fling-Studios als je zuvor. Aber das bedeutete nicht, dass er Kyle genug Zugriff geben würde, um Sicherheitspatches zu installieren.

»Was wollten Sie noch erledigt haben?«

»Warum gehst du nicht einfach in die Mittagspause? Es ist zwar früh, aber ich werde etwas anderes für dich haben, wenn du zurückkommst.«

Die tatsächliche Antwort war nichts. Will wollte, dass er überhaupt nichts tat, aber sein Zeitmanagement war ohnehin schon problematisch. Eigentlich sollte er mindestens einen weiteren Vollzeit-Systemadministrator und einen Datenbankadministrator haben, realistisch gesehen eher vier oder fünf weitere Teammitglieder. Stefan, der Besitzer des Studios, fragte immer wieder, ob er mehr Männer brauchte – was ihn immer ein wenig kichern ließ, wenn er daran dachte, dass er für ein Pornostudio arbeitete –, aber abgesehen von Kyle, dem Teilzeit-Praktikanten, hatte Will immer abgelehnt.

Idyll Fling wuchs jedes Jahr und die Belastung der Server, ganz zu schweigen von anfallenden Sicherheitslücken, wurde immer schlimmer. Wenn er um mehr Personal bat, würde er damit mehr Leute in sein kleines Herrschaftsgebiet lassen und er war nicht sicher, ob er das ertragen konnte. Nicht nach dem Fiasko bei seinem vorherigen Job. Idyll Fling war seine Zufluchtsstätte und wenn er Schlaf opfern musste, um sicherzustellen, dass niemand sonst die Server mit seinen dreckigen Pfoten berührte, dann war das ein Preis, den er zu zahlen bereit war.

Wenn irgendetwas aus dem Ruder lief, säße er natürlich tief in der Scheiße, aber seine Mom hatte ihm immer gesagt, dass er das Schicksal nicht herausfordern sollte. Das war ein guter Rat, da die Schwierigkeiten ihn ohnehin immer von selbst zu finden schienen.

Kyle huschte aus dem Serverraum und die Tür fiel mit einem Knall hinter ihm zu. Als Stefan ihn vor zwei Jahren über eine Networking-Seite kontaktiert und ihm scheinbar seinen Traumjob angeboten hatte – und das nicht nur, weil er aus Notwendigkeit zu seinen Eltern zurückgezogen war –, hatte Will beschlossen, sein Büro im Serverraum einzurichten, zum Teil aus Zweckmäßigkeit, zum Teil, weil er gerne seine Privatsphäre hatte, aber vor allem, weil es dort kalt war, was eine willkommene Abwechslung zu der drückenden Hitze in Florida darstellte. Als er zugestimmt hatte, einen Praktikanten zu nehmen, hatte er einen provisorischen zweiten Arbeitsplatz eingerichtet, aber wenn er mehr Leute anstellte? Dann würde er renovieren und ein richtiges Büro schaffen müssen. Das erschien ihm zu große Mühe für nichts zu sein.

Als er wieder allein war, seufzte Will. Egal, wie oft er versuchte umzudenken, Kyle war ein Eindringling und Will konnte sich nur entspannen, wenn er weg war.

Nichtsdestotrotz musste er etwas finden, das Kyle tun konnte. Es wäre noch sinnloser, wenn Stefan Kyle dafür bezahlen würde, ein Türstopper zu sein – und nicht einmal ein besonders interessanter. Sie bekamen eine Menge E-Mails, die mit technischen Problemen zu tun hatten, üblicherweise ging es um Passwort-Resets oder Browserupdates. Aber Kyle studierte Softwareentwicklung und dieser Job füllte nicht einmal drei ganze Tage und war überhaupt keine Herausforderung für ihn. Aber besser er als Will. Dafür waren Praktikanten schließlich da, oder?

Will sank in seinen Sessel und drehte sich herum. Er hatte einen Haufen Arbeit zu tun und das sogar ohne seinen zweiten Job. Oder war es ein Hobby? Denn es machte auf jeden Fall mehr Spaß als seine eigentliche Arbeit, aber die zusätzlichen Pflichten hatten doch Gewicht. Die Ruhe und der Frieden, endlich allein zu sein – das war trotzdem die wenigen Momente wert, die er sich nahm, um es zu genießen.

Als hätte er mit seinen Gedanken den Teufel an die Wand gemalt, erklang ein Klopfen an der Tür und Will verzog das Gesicht. Fuck, es war ja klar gewesen, dass jemand kommen und ihn stören musste, sobald er nur eine Sekunde für sich hatte. Persönliche Besuche bedeuteten normalerweise, dass irgendjemand etwas vermasselt hatte, und verhießen nichts Gutes.

Er stemmte sich aus dem Sessel hoch und riss die Tür auf. »Was?«

Sein bester Freund Raven stand mit erhobener Augenbraue vor der Tür. »Ernsthaft? So begrüßt du Leute jetzt?«

Will schnaubte. »So begrüße ich Leute immer und das weißt du.«

Raven neigte den Kopf zur Seite. »Ja, ich weiß. Kann ich reinkommen? Oder kannst du deine Fesseln abschütteln und mit mir zu Mittag essen gehen?«

Will dachte eine Minute lang darüber nach. Er würde lieber bleiben, aber er wollte sein Gespräch mit Raven nicht abbrechen müssen, wenn Kyle zurückkam. Will hütete seine Freundschaft mit Raven vermutlich ebenso eifersüchtig wie die Server. »Ich schicke Stefan schnell eine Nachricht und hole mein Handy. Hast du ein bestimmtes Lokal im Kopf?« Er musste einfach fragen.

Idyll Fling hatte eine große Gewerbefläche umgebaut, um Sets, Umkleiden und Duschen sowie einige Büros darin einzurichten, aber die Umgebung war größtenteils Niemandsland. Auf dem angrenzenden Land grasten verdammte Kühe. Raven stammte aus Orlando und hatte ihm mehrmals versichert, dass das normal war. Es ging um Flächennutzung oder Steuern oder so etwas, aber für Will, der aus Connecticut zugezogen war, war es trotzdem seltsam. So oder so bedeutete zu Mittag essen gehen mindestens ein paar Kilometer Autofahrt.

»Lust auf Chinesisch?«

Will schauderte. »Auf keinen Fall. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das chinesische Essen hier unten so anders schmeckt, aber nein. Vielleicht Thai? Oder Indisch?«

Raven lachte. »Ich muss mal einen Ausflug in deine Heimatstadt machen und das chinesische Essen dort probieren. Was glaubst du, warum ist nur Chinesisch so anders?«

Das war es nicht. Überhaupt nicht. Will war tatsächlich überrascht gewesen, dass so viele Dinge in Orlando anders waren – abgesehen davon, nie wieder im Schnee fahren zu müssen. Aber mit den meisten Veränderungen konnte er gut umgehen.

»Weiß nicht. Aber es ist einfach nicht richtig.«

»Wie auch immer, essen wir indisch.« Raven drehte sich um und trat als Erster aus dem Serverraum in den Kaninchenbau des Studios hinaus.

Für eine Weile war Will überzeugt gewesen, dass Ravens Unfall auch ihre Freundschaft beendet hatte, aber zu seiner Freude war er eines Besseren belehrt worden. Er hatte Raven vor einigen Wochen dabei geholfen, ein neues Unternehmen namens Tartan Candy zu gründen. Für Raven war es ein Job, für Will ein angenehmes Hobby, bei dem er dafür bezahlt wurde, Zeit mit seinem besten Freund zu verbringen und einen Kilt zu tragen.

Schließlich musste er irgendetwas mit seinen Kilts tun, denn seit dem Umzug nach Florida hatte er noch keine Zeit gehabt, bei irgendwelchen Mittelaltermärkten vorzusprechen.

Im Restaurant bestellten sie schnell und ebenso schnell stand weiches, warmes Naanbrot auf ihrem Tisch, um den Appetit anzuregen.

Will nahm ein ganzes Stück Naan. Er würde nie so schlank und schön sein wie sein bester Freund, und Brot aufzugeben hatte nie einen Unterschied für seine Taille gemacht, daher sah er keinen Grund zur Zurückhaltung.

Raven riss ein kleines Stück ab und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Als Raven noch bei Idyll Fling gearbeitet hatte, hatte Will ihn nie Süßigkeiten oder Kohlenhydrate wie Brot essen sehen, aber nach dem Unfall und seinem anschließenden Ruhestand hatte Raven etwas mehr Spielraum in seinem Ernährungsplan und wirkte viel glücklicher damit. Beinahe entkam ihm ein weiteres Schnauben, bevor er es unterdrückte. Wahrscheinlich war es Ravens unglaublich lieber Freund, der ihn so glücklich machte. Der Zucker war nur ein zusätzlicher Bonus.

Raven schürzte die Lippen, eine Geste, bei der vermutlich jeder an Blowjobs denken würde, aber nicht Will. Er hatte Raven nie wirklich auf diese Art gesehen. Objektiv betrachtet wusste er, dass Raven hinreißend war, aber es war definitiv besser für sie, Freunde zu sein.

Als das Schweigen sich in die Länge zog, war Will kurz davor, sich auf seinem Stuhl zu winden. Raven hatte offensichtlich etwas zu sagen und es fühlte sich ein wenig so an, als hätte Will Mist gebaut. Zwischen seiner Arbeit bei Idyll Fling und der Partnerschaft im kleinen, aber blühenden Tartan Candy-Unternehmen konnte er es sich gar nicht erlauben, Mist zu bauen.

Plötzlich beschleunigte sich sein Puls. Was, wenn er etwas vergessen hatte, um das Raven ihn gebeten hatte? Oder noch schlimmer... hatte er eins ihrer Events vergessen?

»Im Ernst, wie geht es dir?« Raven knabberte an seinem Naan.

Seine Panik war vermutlich unbegründet. Will zwang sich zur Entspannung und atmete ein paar Mal tief durch.

»Gut. Wie sollte es mir sonst gehen?« Okay, das klang viel zu abwehrend. »Wie geht's dir? Behandelt Caleb dich gut?«

Ravens rote Wangen, die Will bei ihm nie erwartet hätte, waren ein wunderschöner Anblick. Er freute sich so sehr für seinen Freund und war unglaublich neidisch, obwohl es einen hässlichen Streit auf einem Familientreffen gebraucht hatte, um deren Beziehung zu zementieren. Bevor Will hierher gezogen war... vor dem Vorfall hatte er einen guten Job und einen ganz akzeptablen Freund gehabt. Er hatte gedacht, dass er seine Dreißiger ebenso mühelos beginnen würde, wie es die meisten Leute in seiner Vorstellung taten: mit Luft nach oben und in einer soliden Beziehung, die auf eine Heirat zulief und vielleicht nicht unbedingt auf Kinder, aber wenigstens einen Hund oder zwei. Ein einziges, umwerfendes Arschloch war dafür verantwortlich gewesen, dass Will alles verloren hatte, und er hatte seinen dreißigsten Geburtstag allein in einer leeren Wohnung und einer Stadt verbracht, in der er keine Menschenseele kannte.

Der Job bei Idyll Fling war genau das gewesen, was er gebraucht hatte. Er war aus dem Gästezimmer seiner Eltern herausgekommen, weg von ihrer erdrückenden Sorge, und hatte einen Neuanfang in einem anderen Staat gehabt. Der Mangel an Jahreszeiten war ein kleiner Preis gewesen, den er für die Flucht vor seiner kompletten Blamage gezahlt hatte. Er vermisste seinen Ex nicht wirklich, aber er vermisste es, einen Freund zu haben. Und wenn er wieder einen finden wollte, würde er seinen Hintern aus dem Studio herausbewegen müssen. Nicht, dass er etwas gegen Pornomodels hatte, aber Raven war bei Idyll Fling der älteste gewesen und inzwischen zweiunddreißig – und Will war etwa vier Jahre älter als er. Keins der Models war alt genug, um dasselbe vom Leben zu wollen wie er, wenn sie einen älteren Mann wie ihn überhaupt eines Blickes würdigten.

Als Will endlich aus seinen Überlegungen auftauchte, bemerkte er, dass er völlig überhört hatte, welche Qualitäten seines Freunds Raven gerade gepriesen hatte. Das war nicht schlimm. Caleb war ein guter Fang, aber Fröhlichkeit konnte seinen Neid nur für eine gewisse Zeit verbergen.

»Sind wir bereit für die Konferenz am Wochenende?«

Leichte Falten traten auf Ravens Stirn. »Ich habe darüber nachgedacht, ob ich vielleicht noch jemanden rekrutieren soll.«

Eine weitere Welle der Panik erfasste ihn. »Warum? Wir zwei sind doch bestimmt genug.«

Ravens Stirnrunzeln vertiefte sich. »Ich will nur nicht, dass du wegen mir Stress hast. Ich weiß, dass du gerade bis zum Hals in Arbeit steckst. Hast du Stefan darum gebeten, dass er zusätzlich zu dem Praktikanten noch mehr Leute einstellt?«

Bei der Frage stellten sich Wills Nackenhaare auf. Fuck, niemals würde er Stefan darum bitten. Es war schon schlimm genug, dass er zugelassen hatte, von seinem vorherigen Job gefeuert zu werden – diesmal würde er bestimmt nicht darum bitten. »Bei der Arbeit ist alles in Ordnung. Oder ist das nur eine Ausrede, um mich durch jemand Hübscheren zu ersetzen?«

Scheiße. Will schloss den Mund fest. Er musste sich nicht gleich wie ein Arschloch benehmen, auch wenn er sich manchmal fragte, ob Raven wirklich dachte, dass er eine gute Wahl für Tartan Candy war. Will spielte nicht in Ravens Liga.

Das Schweigen wurde angespannt und drückend und das war allein Wills Schuld. »Raven, entschuldige. Ich schätze, ich bin etwas gestresster, als ich dachte, aber eine gute Mütze Schlaf wird das schon wieder hinbiegen.« Wenn diese gute Mütze Schlaf ungefähr eine Woche andauerte.

»Du weißt, dass ich dich nicht ersetzen will.« Raven lehnte sich vor. Sein Tonfall klang ernst. »Du bist mein bester Freund.«

»Was ist mit Caleb?« Und jetzt spielte Will die jammernde, eifersüchtige Zicke. »Entschuldige, entschuldige. Das war unangebracht.«

»Nur weil ich einen Partner habe, bedeutet das nicht, dass ich keine Freunde haben kann.« Raven runzelte die Stirn. »Das stimmt doch, oder?«

Will unterdrückte ein Lachen, denn Ravens Dilemma witzig zu finden, sollte nicht der Höhepunkt dieses schrecklichen Gesprächs sein. Raven hatte vor Caleb noch nie einen festen Freund gehabt und Will nahm ihm sein Glück wirklich nicht übel.

»Ja, das ist richtig. Gute Freunde vergessen ihre Freunde nicht, wenn sie anfangen, sich mit jemandem zu treffen.« Auch wenn sie dann weniger Zeit für ihre Freunde hatten. Das war nicht das erste Mal, dass Will Raven über Beziehungen und Dates aufklärte. Nicht, dass Will ein Experte war, ganz im Gegenteil, sonst hätte er jetzt auch einen Freund. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass er zwar nicht unbedingt wusste, wie man alles richtig machte, aber er wusste mehr oder weniger, warum all seine Beziehungen schief gelaufen waren.