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Auf den Spuren von Cynthia Silverton - das große Vorbild von Detektivin Claire DeWitt
Nehmen wir einmal an, du wärst Detektivin. Nehmen wir an, dein Name ist Cynthia Silverton und du arbeitest gerade an einem sehr wichtigen Fall. Den Bösewicht kennst du gut, er heißt Hal Overton und ist dein Gegenspieler, seit du denken kannst. Du glaubst, dass Hal Overton und seine Gang für die Opiumschwemme verantwortlich sind und dass du dem ein Ende bereiten kannst.
Nun hast du die Wahl. Du könntest Hal Overton verfolgen und an dem Fall dranbleiben. Es wäre nicht ganz ungefährlich. Du riskierst eine Verletzung oder gar dein Leben. Du könntest aber auch nach Hause fahren, den Fernseher einschalten, einen Imbiss aufwärmen und irgendwann schlafen gehen. Du hast die Wahl.
Eine Geschichte, deren Fortgang die Leser selbst bestimmen können.
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Seitenzahl: 64
Zum Buch
Nehmen wir einmal an, du wärst Detektivin. Nehmen wir an, dein Name ist Cynthia Silverton und du arbeitest gerade an einem sehr wichtigen Fall. Den Bösewicht kennst du gut, er heißt Hal Overton und ist dein Gegenspieler, seit du denken kannst. Du glaubst, dass Hal Overton und seine Gang für die Opiumschwemme verantwortlich sind und dass du dem ein Ende bereiten kannst.
Nun hast du die Wahl. Du könntest Hal Overton verfolgen und an dem Fall dranbleiben. Es wäre nicht ganz ungefährlich. Du riskierst eine Verletzung oder gar dein Leben. Du könntest aber auch nach Hause fahren, den Fernseher einschalten, einen Imbiss aufwärmen und irgendwann schlafen gehen. Du hast die Wahl.
Eine Geschichte, deren Fortgang die Leser selbst bestimmen können.
Zur Autorin
Sara Gran schreibt Romane, Drehbücher und gelegentlich auch Essays. Sie lebt im kalifornischen Los Angeles. Bislang hat sie fünf Romane veröffentlicht, darunter mit »Die Stadt der Toten« und »Das Ende der Welt« zwei Romane um die Ermittlerin Claire DeWitt. »Die Stadt der Toten« wurde mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet.
Sara Gran
Wähle dein Unglück selbst: Eine Cynthia Silverton-Story
Erzählung
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Bonné
Wilhelm Heyne Verlag
München
♣
Nehmen wir einmal an, du wärst Detektivin.
Du bist ein Mensch und lebst auf dem Planeten Erde. Du bist alt oder jung, männlich oder weiblich oder beides oder nichts davon. Du warst möglicherweise schon in vielen früheren Leben Detektivin, oder du hast den Beruf gerade erst für dich entdeckt. Du hast Talent und löst die meisten Fälle.
(Nichts davon muss zutreffen.)
Nehmen wir also an, du bist Detektivin.
Nehmen wir an, dein Name ist Cynthia Silverton. Du bist weiblich. Du bist neunzehn Jahre alt und wohnst in einem Vorort von Rapid Falls zusammen mit deiner Haushälterin in einem großen Haus im Rancherstil. Deine Eltern sind bei einem mysteriösen Unfall ums Leben gekommen, als du noch ein Kind warst, kurz vor der Schwelle zu den bewussten Erinnerungen, weswegen du die wenigen Erinnerungen anzweifelst, die du an deine Eltern hast. Die nun folgende Handlung spielt irgendwann zwischen 1959 und jetzt. Draußen ist es weder warm noch sonderlich kalt. Du bist womöglich nur eine Figur in einer Geschichte, oder auch nicht, was allerdings auf jeden zutrifft.
Aber nehmen wir einmal an, du bist Detektivin.
Du bist Detektivin und arbeitest gerade an einem sehr wichtigen Fall. Den Bösewicht kennst du gut, er heißt Hal Overton und ist dein Gegenspieler, seit du denken kannst. Du hast dich schon oft gefragt, wieso Hal Overton sein kriminelles Imperium ausgerechnet vom verschlafenen Rapid Falls aus dirigiert, landest aber immer bei: Tja, wieso nicht? Schließlich muss jeder irgendwo leben, und wahrscheinlich ist Rapid Falls gar nicht so ungeeignet, will man ein kriminelles Imperium leiten. Manchmal denkst du, dass der planlose und alkoholkranke Sheriff Brown schlimmer ist als gar kein Sheriff. Ein oder zwei Mal im Jahr geht er auf eine ausgedehnte, anstrengende Sauftour (eine Abwechslung von seinem täglichen übermäßigen Alkoholkonsum). Danach gelobt er Besserung, aber er bessert sich nie. Heute Abend zum Beispiel hast du ihn angerufen und ihm nicht weniger als vier Nachrichten hinterlassen, aber bislang hat er sich noch nicht zurückgemeldet.
Du bist ganz dicht am Fall des Flüssigen Himmels dran. Du glaubst, dass Hal Overton und seine Gang für die Opiumschwemme verantwortlich sind, die die Halbwelt von Rapid Falls überflutet, doch leider hat Overton das einzige Beweisstück an sich gebracht – einen Lieferschein, der beweist, dass einer seiner Handlanger am Vorabend vom Amtrak Continental Express eine Ladung „Kaffee“ entgegengenommen hat. Das größere Rätsel ist natürlich, warum so viele Einwohner von Rapid Falls so unglücklich sind, dass sie Trost nur noch im Opiumrausch finden; warum wir eine Welt erschaffen haben, in der kaum noch Platz für Zustände der Ekstase oder einfach nur der kleinen Glücksmomente ist; warum wir uns der Einsicht verweigern, dass die Menschen, die uns kaputtmachen, gleichzeitig unsere einzige Hoffnung sind. Aber darüber können wir morgen nachdenken. Heute gibt es ein Verbrechen aufzuklären!
Zurück zu Overton. Das Beweisstück. Der Lieferschein. Du hast gesehen, wie ihm einer seiner Handlanger das Schriftstück in einem Burger-Restaurant im Stadtzentrum übergeben hat. Du hattest dir einen Plan zurechtgelegt, der dir zu dem Zeitpunkt sehr gut erschien: Du wolltest Overton beim Verlassen des Restaurants abpassen, den Lieferschein aus der Innentasche seines abstoßend hässlichen, tweedähnlichen Mantels rupfen und dann das Weite suchen.
Aber irgendwie ist alles schiefgegangen. Du hast dich ihm im Eingangsbereich des Restaurants in den Weg gestellt und warst bereit für die große Zivilfestnahme – aber der fiese, fette Overton ist schneller, als er aussieht. Er hat einen linken Haken angetäuscht und dir mit rechts ins Gesicht geboxt. Morgen wird deine Wange blau und grün sein. Schlimmer noch: Er ist entkommen. Während dir schwindlig und schwarz vor Augen wurde, rannte er blitzschnell davon und verschwand in südlicher Richtung über die Main Street. Hinter der letzten Laterne hast du ihn aus den Augen verloren.
Mist. Er ist weg.
Nun hast du die Wahl.
Du könntest Hal Overton verfolgen und an dem Fall dranbleiben. Es wäre nicht ganz ungefährlich. Du riskierst eine Verletzung oder gar dein Leben, und so oder so wirst du dich unglücklich machen. Als Detektivin bist du ständig auf fremde Hilfe angewiesen, und eins hast du in den vergangenen zwei Jahren gelernt: Andere Menschen brechen dir das Herz. Sie lassen dich im Stich, lügen und verüben Mordanschläge. Und was das Allerschlimmste ist: Ausgerechnet wenn du dich am meisten nach ihnen sehnst, haben sie dich vergessen.
Aber da stehst du nun und hast ein Rätsel zu lösen. Willst du die Demütigung, die Ablehnung, die Schüsse, die Einsamkeit, die Messerstiche und den Kummer in Kauf nehmen? Die Tatsache, dass du vor Leuten, die du attraktiv findest, dumm dastehen wirst?
Oder willst du lieber nach Hause gehen, den Fernseher einschalten, dir einen Imbiss aufwärmen, dir eine kleine Portion des Giftes deiner Wahl gönnen und irgendwann schlafen gehen? Man muss sich nicht alle Probleme dieser Welt zu eigen machen.
Hör mal, niemand hat behauptet, es würde leicht. Wir alle wissen, wie sehr dir die letzten Fälle zugesetzt haben. Jeder versteht, dass der Fall der Konditorentochter dich deprimiert und dir vielleicht sogar die letzte Hoffnung geraubt hat. Wir wissen, dass dir das Mysterium des Manchester-Hasen immer noch in den Knochen steckt. Außerdem ist da noch dieser alte Freund aus der Detektivschule, der nicht mehr anruft und dir nie den Grund genannt hat. Es belastet dich mehr, als du zugeben willst. Oder dieser Mensch, von dem du dachtest, er hätte Gefühle für dich, und – o Gott, lass uns bloß nicht mehr darüber reden, wie sehr du die Sache in den Sand gesetzt hast.
Du hast es schwer.