Wahre Geschichten von damals und heute - Karl Gengenbach - E-Book

Wahre Geschichten von damals und heute E-Book

Karl Gengenbach

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Beschreibung

Karl Gengenbach schreibt seit 1997 humorvolle Geschichten. Hier ist sein 16. Buch – wahre Geschichten von damals und heute.

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Seitenzahl: 185

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Karl Gengenbach

In diesem Buch finden sie eine bunte Auswahl unglaublicher Geschichten von Damals und Heute. Diese Geschichten sind, bis auf wenige Ausnahmen, tatsächlich passiert. Karl Gengenbach

Inhaltsverzeichnis

Der alte Hut

Der Heiermann

Inflation und Währungsreform

Karbidschießen

Überleben

Die Schnaken

Der Tante-Emma-Laden

Muckefuck

Der Bart muss weg

So verhandelt man richtig

Meine ersten Zigaretten

Wie ich fast aufhörte zu rauchen

Endlich Nichtraucher

Die Nichtraucher sind schuld

Großvater

Adieu Figaro

Der Heimwerker

Richtig reklamieren

Der wahre Jakob

Wohin gehen meine Klamotten?

Super-Schnäppchen

Nimm doch ab und zu mal ab

Fastenzeit und Fastentricks

Macken und Marotten

Der Tollpatsch

Gute alte Zeit

Neger, Neger, Schornsteinfeger

Hornissen, Wespen und Käfer

Unser Haus jammert

Man spricht deutsch

Die neue Hose

Nie mehr all inclusive

Eyjafjallajökull

Der typische Schwabe

Schnorrer

Gefährliche Farben

Sperrmüll

Der alte Sack

Die neuen Einachser

Wohin mit dem Papier

Alles für die Katz

Aussichtspunkte

Sandalen-Abenteuer

Haustiere

Das Buch

Vereinsmeier

Keiner setzt sich neben mich

Ich fahre mit dem Bus seit 1960

Neues vom Linienbus

Goldrausch

Der obszöne Anruf

Wo verstecke ich mein Geld?

Versteckte Hinweise

Hotel zum Goldenen Bullen

Wendepunkte

Nervige Aliens

Die reale Welt

Die Dichterlesung

Tattoo? Ja oder Nein.

Die Schatzkiste

Doppelmoral

Geldanlagen

Weg mit dem Bargeld

Immer die Radfahrer

Der Radweg

Zum Schluß das Allerletzte

1. Der alte Hut

Der liebe Gott sieht alles, der Zoll sieht noch mehr.

Meine Lehre hatte ich in einer Stahlgroßhandlung. Damals gab es noch nicht den Ausdruck Azubi. Ich war einfach der Stift.

Als Lehrling musste ich unter anderem auch Ausgänge machen. Mit dem Betriebsfahrrad fuhr ich zur Post und leerte das Postfach. Auf der Bank musste ich am Monatsende Lohngelder holen. Das waren immer einige Tausend Mark. Diese hatte ich in einer alten Aktentasche über den Lenker gehängt. So etwas wäre heute von einem Azubi undenkbar.

Als Stahlgroßhändler bezogen wir auch Ware aus dem Ausland. Vorwiegend aus Schweden, aber auch aus der Schweiz. Kleinere Sendungen gingen über das Zollamt an der Durlacher Straße. Die musste ich entzollen.

Der Firmeninhaber war Diplomingenieur und ging regelmäßig auf Reise. Dabei kam er auch öfter in die Schweiz.

Eines Tages erhielten wir einen Anruf vom Zollamt. Dort sei ein Päckchen für meinen Chef angekommen. Eigentlich erwarteten wir keine Sendung und wussten nicht, was da ankommt. Ich schwang mich also auf das Fahrrad und radelte zum Zollamt.

In der Halle waren 10 oder 12 Kabinen. Ich weiß es nicht mehr genau. In diesen Kabinen konnte man Sendungen entzollen. Allerdings waren nur zwei besetzt. Wenn die Kabine besetzt war leuchtete auf der Stirnseite eine rote Lampe. Bei den anderen Kabinen waren die Lampen ausgeschaltet.

Vor den beiden Kabinen warteten schon zahlreiche Leute. Aus Erfahrung wusste ich, dass es nun Stunden dauerte, bis ich an die Reihe kam. Dazu hatte ich überhaupt keine Lust.

Ich setzte mich auf eine freie Bank und beobachtete die leeren Kabinen. Plötzlich sah ich in einer Kabine einen Schatten. Aha, da war ein Beamter.

Ich stand auf, ging zu der Kabine und klopfte. Dann trat ich ein. Der Beamte wollte zuerst nicht gestört werden, dann war er aber doch neugierig und fragte, warum ich hier bin.

Ich gab ihm die Benachrichtigung und er ging davon um die Sendung zu holen. Nach kurzer Zeit kam er mit einem Päckchen und öffnete es. In dem Päckchen war ein alter, speckiger Hut, sonst nichts. Der Beamte nahm den Hut und schaute ihn genau an. Er schaute unter das Schweißband, aber da war nichts. Es war nur ein alter Hut. Dann kamen auch noch zwei Kollegen dazu und alle schauten den Hut an. Sie drehten und wendeten ihn, konnten aber nichts Verdächtiges finden und gaben mir schließlich das Päckchen. Zoll musste ich keinen zahlen.

Ich lieferte den Hut im Büro ab. Dort war inzwischen ein Brief von einem Schweizer Hotel angekommen. Darin wurde uns mitgeteilt, dass der Chef den Hut im Hotel vergessen hatte. Der Hut würde separat an uns geschickt. Aha, das erklärte alles.

Die Beamten im Zollamt haben sich sicher noch Tagelang Gedanken gemacht, was es mit dem alten Hut auf sich hat. Immerhin wurde durch den Hut ihre Routine unterbrochen. Was hatte ich daraus gelernt? In Zukunft wartete ich auf dem Zollamt nicht mehr stundenlang bis ich an der Reihe war, sondern wandte meine neue Taktik an.

2. Der Heiermann

Einst die beliebteste Münze, nun kommt er wieder, oder auch nicht.

Als wir noch die Deutsche Mark hatten gab es den Heiermann. Das war das bekannte 5-Mark-Stück. Die älteren unter uns können sich noch gut an den Heiermann erinnern. Die Jugend wohl kaum. Woher der Name kam ist umstritten. Aber praktisch war das 5-Mark-Stück schon.

In meiner Jugendzeit konnte man mit einem 5er in die Kneipe gehen und einige Biere trinken.

Viele Jahre später reichte er nur noch für Zigaretten. In der Gaststätte hingen meistens zwei Zigarettenautomaten. Draußen vor der Tür und im Flur. Mit dem 5er konnte man ganz einfach jede Schachtel Zigaretten ziehen.

Auch an jeder Straßenecke hing ein Automat. Deshalb hatte ich immer einige 5er in der Tasche. Heute sind die Zigarettenautomaten viel komplizierter, deshalb gehen viele Raucher gleich zur Tankstelle und holen sich dort ihre Marke.

Es gab auch noch andere Bezeichnungen für das Geld. Der Hunni war natürlich der Hunderter und der Riese war ein Tausender. Den sah man aber selten. Das 50-Pfennig-Stück war der Fuchs.

Fuchsen war eine beliebte Beschäftigung unter uns Jungen. Jeder hatte eine Handvoll Pfennige dabei. Dann warf jeder einen Pfennig gegen die Hauswand oder eine Mauer. Wer am nächsten lag gewann. Als wir älter waren und schon Geld verdienten machten wir das Spiel mit Markstücken. Manche taten es sogar mit dem 5er.

Von der Großmutter hörte ich mal den Begriff Goldfuchs. Damit war das 20-Mark-Stück gemeint. Es enthielt 7,16 Gramm Feingold, also etwa eine viertel Unze. Bei den heutigen Goldpreisen wären das etwa 300 Euro gewesen. Dann gab es noch eine 5-DM-Silbermünze welche Silberadler genannt wurde.

Mit Einführung des Euro verschwanden diese Münzen. Es gab keinen Heiermann mehr und auch keinen Tausender. Schade eigentlich. Aber es gibt Hoffnung. 2016 kam endlich wieder ein Fünfer auf den Markt. Die neue Fünf-Euro-Münze Planet Erde ist die erste Münze mit einem transparenten Kunststoffring. Wir bekommen jetzt also Plastikgeld. Die Entwicklung dieser Münze hat acht Jahre gedauert. Ob man damit allerdings Zigaretten ziehen kann ist fraglich. Die kosten inzwischen ja schon 6 Euro.

Allerdings habe ich bisher noch keinen neuen 5er gesehen. Diese Münzen werden von Möchtegern-Sammlern gehortet und kommen erst gar nicht in den Umlauf. In 10 Jahren sind sie vielleicht 10 Euro wert, oder auch nicht. Vielleicht kann man sie dann noch als Chip für Einkaufswagen verwenden.

3. Inflation und Währungsreform

Das erste Opfer des Krieges ist stets die Wahrheit. Jeder verlor sein Erspartes und keiner verstand so richtig, was damals passiert ist.

Neulich ärgerte ich mich mal wieder, weil die Preise für Lebensmittel klammheimlich gestiegen waren. Überall waren es um die 10 Cent mehr. Aber warum rege ich mich auf. Ich dachte an meine Großeltern, die bei der Inflation 1923 ihre gesamten Ersparnisse verloren. Wie fast alle Deutschen auch.

Mein Großvater hatte den ersten Weltkrieg miterlebt, aber nie viel darüber erzählt. Über die Jahre von 1914 bis 1918 wollte er schon gar nicht reden. Aber manchmal erzählte er vom Jahr 1923, als die Inflation ihren Höhepunkt erreichte.

Ich war noch ein kleiner Junge und konnte gerade mal bis 10 zählen. Alles darüber war für mich einfach viel. Großvater zeigte mir Geldscheine mit 1 Million Mark, mit 100 Millionen Mark ja sogar mit Milliarden und Billionen Mark. Mit diesen Zahlen konnte ich nichts anfangen. Ich hatte zwar schon italienische Geldscheine gesehen. Die hatten viel mehr Nullen als unsere und waren so groß wie ein Gästehandtuch. Erst viel später verstand ich, was der Großvater damals erzählte.

Zu Kriegsbeginn 1914 waren die Preise für Lebensmittel noch ganz normal:

Kartoffeln kosteten 15 Pfennig pro Kilo.

Ein Ei kostete 8 Pfennig.

Ein Liter Vollmilch 24 Pfennig.

Ein Kilogramm Butter 2,60 Mark.

Ein Kilo Roggenbrot 28 Pfennig.

Und ein Dollar 4,20 Mark.

Von Herbst 1922 an stiegen die Preise permanent an und die deutsche Mark sackte ins Bodenlose. Im November 1923 kostete der Dollar 4,2 Billionen Mark. Kaum, jemand begriff, was da geschehen war. Auch heute, drei Generationen später ist es nahezu unglaublich.

Bereits im Juni 1923 kostete ein Ei anstatt 8 Pfennige nun schon 800 Mark.

Ein Liter Milch (24 Pfennige) 1.440 Mark.

Ein Kilo Kartoffeln (15 Pfennige) 5.000 Mark.

Und der Dollar bereits 100.000 Mark.

Eine Fahrt mit der Straßenbahn 600 Mark.

Am 2. Dezember 1923 erreichte der Wahnsinn seinen Höhepunkt.

1 Ei (8 Pfennig) 320 Milliarden Mark

1 Liter Milch (24 Pfennig) 360 Milliarden Mark

1 Kilo Kartoffeln (15 Pfennig) 90 Milliarden Mark

1 Kilogramm Butter (2,60 Mark) 5,6 Billionen Mark.

1 Kilo Roggenbrot (28 Pfennig) 470 Milliarden Mark.

1 Fahrt mit der Straßenbahn 50 Milliarden Mark

Das Porto für einen Inlandbrief betrug 420 Milliarden Mark.

Und 1 Dollar kostete 4,21 Billionen Mark.

Aus dieser Zeit gibt es einige Beispiele. Eine Familie verkaufte ihr Haus und wollte nach Amerika auswandern. Schon am Hamburger Hafen reichte das Geld nicht mehr für die Überfahrt, ja nicht einmal mehr für das Bahnticket nach Hause.

Ein anderes Beispiel. Ein Cafe-Besucher trank zwei Tassen Kaffee zum Preis von je 5.000 Mark. Als er die Rechnung erhielt standen darauf 14.000 Mark. Begründung er hätte beide Tassen gleichzeitig bestellen sollen. Zwischen der 1. und 2. Tasse ist der Preis auf das Doppelte angestiegen.

Da wollten Leute ins Theater und hatten ein paar Hundert Millionen Mark dabei. Das Geld reichte aber nicht, denn die Preise an der Abendkasse waren inzwischen auf 1 Milliarde Mark gestiegen.

Als der Dollar dann bei knapp 4,2 Billionen Mark stand musste die deutsche Regierung handeln. Am 15. November begann die Ausgabe der Rentenmark mit einem Umtauschkurs von einer Rentenmark zu einer Billion Mark. Aus den Kriegsschulden des Deutschen Staates von 164 Milliarden Mark waren nun 16,4 Pfennige geworden. Diese Kriegsschulden hatte der Staat bei seinen Bürgern, denn er hatte den Krieg mit Kriegsanleihen finanziert. Der Deutsche Staat war eindeutig der Gewinner und seine Bürger waren die Verlierer. Auch alle Besitzer von Sachwerten wie Immobilien gehörten zu den Gewinnern.

Verlierer waren diejenigen, die über Ersparnisse verfügten, aber keine Sachwerte besaßen. Ihr über das ganze Leben angespartes Geld war plötzlich nichts mehr wert.

Die deutschen Sparer hatten ihr gesamtes Vermögen verloren. Dazu gehörten auch meine Großeltern. Sie waren Verlierer.

Die Inflation fand im November 1923 durch die Einführung der Rentenmark ein Ende. Am 30. August 1924 wurde dann wieder die goldgedeckte Reichsmark eingeführt. Nun folgten die Jahre des Wirtschaftsbooms. Diese Jahre zwischen 1924 und 1929 nannte man auch die goldenen Zwanziger Jahre.

Jetzt konnten meine Großeltern wieder anfangen zu sparen, bis der nächste Krieg kam. Der zweite Weltkrieg. Trotzdem hatten sie bis 1948 einige Reichsmark zur Seite gelegt. Dann kam die Währungsreform. Am 20. Juni 1948 hatte die Reichsmark ausgedient. Einen Tag später war die neue DM das einzige Zahlungsmittel. Jeder Bürger bekam ein Kopfgeld von 40 DM bar ausgezahlt. Die alte Reichsmark wurde anschließend im Verhältnis 1:10 umgetauscht. Das bedeutete, für 10 Reichsmark bekam man 1 DM.

Die Sparguthaben wurden abgewertet auf 10 % der ursprünglichen Summe. Über Nacht wurden so die kleinen Sparer ihres Vermögens beraubt. Meine Großeltern gehörten wieder dazu. Die Hälfte des Geldes wurde außerdem auf einem Festgeldkonto blockiert. Davon wurden später noch einmal 70 % gestrichen. Letzendlich blieben dem Sparer nur noch etwa 6,5% von seinen Ersparnissen. Allerdings wurde das Kopfgeld von 40 DM angerechnet, so blieb dem Sparer effektiv nichts mehr übrig. So verloren meine Großeltern nach 1923 zum zweiten Mal ihr gesamtes Vermögen.

Nach dem Stichtag füllten sich die Schaufenster der Geschäfte plötzlich wieder mit Waren. Wo diese auf einmal herkamen wusste keiner. Die Schwarzmarktgeschäfte waren vorbei und Hamsterfahrten auf das Land ebenfalls.

Fazit: Nicht Geld, Gold, Edelsteine oder Kunstwerke, allein Grundbesitz ist sicher.

Immerhin blieb uns die DM bis 1. Januar 2002 und verschwand wieder, als der Euro kam. Und wieder wurden unsere Ersparnisse halbiert. Wie lange lassen wir uns das noch gefallen?

Würde dasselbe wie 1923 auch heute passieren, hätte der deutsche Staat anstatt 2,0 Billionen Euro Schulden nur noch 2,0 Euro Schulden. Vielleicht ist das der einzige Weg, um von den gigantischen Schulden herunterzukommen. Wer weiß, welche Pläne bei der Regierung schlummern?

Ich werde mich auf jeden Fall nach einem Grundstück oder einer Immobilie umsehen. Mir ist aufgefallen, dass immer mehr Grundstücke (Gärten) und Häuser von Russlanddeutschen und Türken aufgekauft werden. Wissen die mehr als ich?

Übrigens, die Großgeldscheine von 1923 sind heute beliebte Sammlerobjekte. Wenn man solch einen Schein in den Händen hält, wird man schon mal nachdenklich.

4. Karbidschießen

Vieles auf der Welt wäre uninteressant, wäre es nicht verboten.

Als wir noch Lausbuben waren wollten wir auch an Sylvester Krach machen. Es gab zwar schon Schweizer Kracher und Kanonschläge aber das Geld reichte oft nur für Judenfürze. Aber diese kleinen Kracher brachten es nicht.

Doch wir wussten uns zu helfen. Im Bergbau verwendete man Karbid-Lampen. Auch die Goldschmiede brauchten Karbid, für ihre Lötlampen. Mein Großvater war Goldschmied und er hatte immer einen Vorrat an Karbidbrocken in einem Behälter aufbewahrt, wo keine Feuchtigkeit rankommen konnte. Denn Karbid und Wasser ergibt ein explosives Gas.

Wir Jungen waren jedoch nicht an den Lampen interessiert, sondern an dem Karbid. Ich borgte mir einige Brocken, gerade so viel, dass Großvater nichts bemerkte. Zusammen mit meinen Kumpeln ging ich zum Fluss. Einer hatte eine große runde Waschmittel-Tonne mit einem stabilen Deckel mitgebracht. Wir warfen einen Brocken von dem Karbid in die Tonne, gossen Wasser hinzu und klemmten den Deckel fest. Dann gingen wir hinter einem Felsbrocken in Deckung.

Eine Zeit lang passierte nichts. Wir dachten schon, wir hätten etwas falsch gemacht und kamen hinter dem Felsbrocken hervor. Da gab es einen fürchterlichen Knall und der Deckel der Tonne flog viele Meter hoch. Offenbar hatten wir eine zu große Dosis gewählt. Aber daraus lernten wir und stellten uns nun geschickter an.

Nachdem wir unsere Karbid-Kanone mehrmals abgefeuert hatten sahen wir den Schutzmann die Böschung zum Fluss herunterkommen. Es war Zeit zu verschwinden. Wir waren damals alle schlank und schnell auf den Beinen. Der Schutzmann hatte gegen uns keine Chance.

Wir warteten zwei Stunden bis die Luft sauber war, dann brachten wir unsere Kanone wieder in Stellung. Zwischendurch hatte einer von uns die grandiose Idee, es mit Sprudelflaschen zu versuchen. Wir nahmen eine leere Sprudelflasche, steckten einen kleinen Brocken Karbid hinein und füllten die Flasche mit Wasser halb auf. Dann verschlossen wir die Flasche und warfen sie in den Fluss. Noch in der Luft explodierte die Flasche wie eine Granate und Glasscherben flogen in alle Richtungen. Zum Glück wurde keiner getroffen. Wir hatten unterschätzt, wie schnell sich das Gas in der Flasche bildet. Von Glasflaschen ließen wir nun die Finger und schossen weiter mit der Kanone, bis auch der letzte Rest des Karbids aufgebraucht war.

Heute ist das Karbidschießen verboten. Das ist auch besser so. Wer weiß, was die heutige Jugend mit Karbid alles anstellen könnte. Natürlich war es auch früher verboten, aber das kümmerte uns überhaupt nicht, denn im Grunde genommen war doch alles verboten.

5. Überleben

Wir waren keine Engel. Es ging immer ums überleben.

Als Junge schleppte ich eine Menge Zeugs in meinen Hosentaschen mit mir herum. Diese Dinge waren überlebenswichtig.

Da war zuerst das Taschenmesser. Das war das Wichtigste. Dann Angelhaken und Schnur, Streichhölzer, Nägel und Leukoplast. Auch die anderen Jungen hatten ihre Hosentaschen mit allem Möglichen vollgestopft. Manches lebte sogar noch.

Wenn wir in den Wald gingen nahm ich noch eine Zwille (Spatzenschleuder) mit, die ich im Dachboden versteckt hatte. Gebaut hatte ich sie selbst. Damals musste ich alles verstecken, sonst wurde es mir abgenommen. Mancher hatte auch schon ein Terzerol, ein einschüssiger Hinterlader, der mit einer 6mm Patrone geladen wurde. Die Waffengesetze waren damals noch nicht so streng und die Patronen waren einfach zu beschaffen. Aber erwischen durfte man sich trotzdem nicht lassen.

Wir schossen auf Vögel und Eichhörnchen und manchmal trafen wir sogar. Wenn ich heute daran denke tut es mir leid.

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es in der zerstörten Stadt überall Trümmer und Ruinen. Wir durchstöberten alles und fanden dabei so manche alte Kriegswaffe.

Nach dem Einmarsch der Besatzer (Franzosen) versteckten die älteren Männer, die noch beim Volkssturm waren, ihre Waffen auf dem Dachboden oder im Garten. Hätte man einen mit der Waffe erwischt, wäre er sofort erschossen worden.

Mancher warf seine Waffe auch von der Bogenbrücke hinunter unter den Wasserfall. Dort war im Felsboden ein tiefer Graben, in dem Maschinengewehre und Karabiner verschwanden. Im Sommer tauchten wir Jungen hinab (tauchen konnten wir alle) und holten rostige Maschinengewehre, Karabiner, Pistolen und Bajonette herauf. Ich schleppte voller Stolz eine verrostete Mauser-Pistole und ein Bajonett mit mir herum. Bis ich vom Schutzmann (Polizist) erwischt wurde. Der nahm mir dann meine ganzen Schätze ab. Den anderen erging es ebenso, wenn sie zu blöd waren, das Zeug zu verstecken.

Was haben heute Jugendliche in ihren Hosentaschen? Handy, Hausschlüssel und Geldbeutel. Damit hätten sie in unserer Jugend nicht überlebt.

Wenn es heute ums Überleben geht, kann man sich die Ausrüstung beschaffen, die man dann ständig mit sich herumschleppt. Allerdings gibt es keine Waffen, nicht mal ein richtiges Messer. Und das übrige Zeug passt nicht mehr in die Hosentaschen.

Dafür gibt es nun Cargo-Hosen, die nach dem Vorbild des Militärs auch Beintaschen haben. Da passt schon einiges hinein. Jetzt verstehe ich auch, warum bei Jugendlichen die Hosen auf Kniehöhe hängen. Die haben alle ihre Überlebensausrüstung in den Taschen.

Die Cargo-Hose reicht aber nur für die EDC (every day carry). Das ist die kleine Überlebensausrüstung für Mutige. Ohne diese Dinge sollte niemand mehr aus dem Haus gehen:

Messer, Feuerzeug, Kugelschreiber, Notizblock, Nadel und Faden, Aspirin, Nagelschere, Pflaster, feuchte Tücher, Taschenlampe, Wasserflasche, Müsliriegel, Poncho, Decke, Tempo, Schlüsselbund und Smartphone.

Für die ängstlichen gibt es noch einen größere Ausrüstung für Naturkatastrophen, wie sie oft bei uns vorkommen. Ich meine die get home bag. Woher kommt diese, na klar, aus den USA. Es ist ein großer Rucksack, der alles enthält, um einige Tage zu überleben. Allerdings fehlen bei uns die Schusswaffen und die Gasmaske.

Achten sie mal darauf, wer solch einen Rucksack mit sich herumschleppt. Ich habe schon einige gesehen. Sollte aber unsere Zivilisation einmal zusammenbrechen nützen uns die every day carry und die get home bag wahrscheinlich überhaupt nichts. Die einzigen Nutznießer sind die Outdoor-Geschäfte.

6. Die Schnaken

Isst du am Abend Zwiebelbrot, sind Morgen alle Schnaken tot.

Diese Biester verfolgen mich schon mein ganzes Leben. Angefangen hat es, als ich noch zur Schule ging. Mit ein paar Schulkameraden fuhr ich (mit dem Fahrrad) nach Karlsruhe, um am Rhein zu zelten. Es war während der Pfingsfereien und wir wollten 5 Tage lang bleiben.

Zwischen dem neuen Rhein und dem Altrhein war ein breiter Damm, auf dem wir unsere Zelte aufbauten. Im Unterholz fanden wir genug trockenes Holz und machten damit ein großes Lagerfeuer. Dabei entdeckten wir auch die alten Westwallbunker, die inzwischen zwar gesprengt waren, aber immer noch gewaltige Betonklötze bildeten.

Wir hatten immer noch Tageslicht und sahen weiter hinten den Altrhein, das heißt eigentlich sahen wir nur grüne Tümpel. Wir dachten uns nichts dabei und richteten uns für die nächsten Tage ein. Allerdings fiel uns auf, dass außer uns niemand in der Nähe sein Zelt aufgeschlagen hatte.

Inzwischen war es auch schon Abend geworden und fing an zu dämmern. Und da kamen sie, Millionen von Schnaken, so groß wie Kanarienvögel, und sie fielen über uns her.

Auch das große Lagerfeuer und der Rauch nützte nichts. Wir konnten uns kaum dieser Biester erwehren. Einmal musste ich ins Gebüsch, um mich zu erleichtern, als ich die Hose hochzog, hatte ich bestimmt hundert von den Biestern darin.

Tagsüber ließen sie uns in Ruhe, aber jeden Abend begann ein neuer Angriff. Welle um Welle rollte über uns hinweg. Nach 3 Tagen gaben wir auf, bauten unsere Zelte ab und radelten wieder nach Hause. Meine Arme und Beine waren so zerstochen, dass man die einzelnen Stiche nicht mehr zählen konnte. Dies war ein Erlebnis, das ich nie vergessen habe.

Im nachhinein fragten wir uns, welcher Idiot auf die Idee kam, am Altrhein zu zelten. Aber das nützte auch nichts mehr. Aber in den nächsten Jahren suchten wir unsere Plätze zum Zelten sorgfältiger aus.

Das nächste einschneidende Erlebnis mit Schnaken hatte ich als Soldat. Ich war im Manöver in der Gegend um Böblingen. Zwischen den Waldstücken waren breite Panzerstraßen. Darauf fuhren die Amerikaner regelmäßig mit ihren schweren Gefechtspanzern. Die Erde war einen Meter tief aufgewühlt und der Boden bestand vorwiegend aus Lehm. Wenn es regnete blieb in den Gräben das Wasser stehen und konnte nicht versickern. Eine ideale Brutstätte für Schnaken.

Natürlich waren wir vorbereitet und hatten Mückenschleier über den Kopf gezogen. Darauf kam der Stahlhelm, aber an der Stirn lag der Schleier eng an. Genau da griffen die Biester am Abend an und traktierten uns. Zum Schutz hatten wir auch dicke Stulpenhandschuhe. Aber es war sehr warm und mit den Handschuhen konnte ich nicht schießen. Also zog ich sie aus. Das war ein Fehler. Die schwäbischen Schnaken waren noch größer als die Badischen. Über die ganze Stirn verteilt hatte ich Stiche und beide Hände waren so zerstochen, dass sie anschwollen. Als ich am nächsten Morgen zum Sanitäter ging zuckte der mit der Schulter und meinte: Ich habe keine Salbe, die ich dir geben könnte. Schmiere doch einfach Butter drauf, dann ist der Juckreiz nicht so schlimm. Er war keine große Hilfe. Und wo sollte ich draußen im Gelände Butter herbekommen? Heute hat man Ringelblumensalbe oder Melkfett, aber das gab es damals offenbar noch nicht.

Nun, viele Jahre später sind die Schnaken zwar viel kleiner, aber sie verfolgen mich immer noch. Obwohl ich vor dem Fenster ein Fliegennetz montiert habe, kommen die Biester im Sommer immer wieder in die Wohnung. Wie, das ist mir ein Rätsel. Wenn ich morgens aufwache habe ich Stiche in den