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Was Paare bewegt: Hans Jellouscheks Buch der Antworten auf die wichtigsten Fragen, die sich Paare im Laufe ihres Zusammenlebens immer wieder stellen. Praktische Hinweise eines erfahrenen Therapeuten.
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Seitenzahl: 217
Hans Jellouschek
Was die Liebe braucht
Antworten auf die wichtigsten Beziehungsfragen
KREUZ
2. Auflage 2009
© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2009
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de
Umschlaggestaltung: [rincón]² medien GmbH, Köln
Umschlagbild: © plainpicture /Büro Monaco
Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN (E-Book) 978-3-7831-8029-9
ISBN (Buch) 978-3-7831-3363-9
Seit 35 Jahren arbeite ich therapeutisch mit Paaren und habe dabei immer wieder versucht, mit den Partnern ganz praktisch gangbare Wege für ihr gemeinsames Leben zu finden. Auch in meinen Büchern habe ich mich meist mit bestimmten Problemkonstellationen befasst, und zwar mit der Frage, wie es möglich ist, hier zu Lösungen zu kommen. Dabei haben sich im Laufe der Zeit bei mir bestimmte Leitideen hinsichtlich Liebes- und Paarbeziehungen herauskristallisiert, die mehr ins Grundsätzliche gehen und die ich vor allem auch bei Paaren verwirklicht sehe, denen in ihrem Zusammenleben die Liebe gelingt und die es, bei allem Schweren und Schicksalhaften, das es natürlich auch in ihrem Leben gibt, gut miteinander haben. Ich möchte in diesem Buch diese Leitideen gelingender Paarbeziehung herausarbeiten. Ich gehe dabei von Fragen aus, die heute viele Menschen hinsichtlich Liebe und Beziehung stellen, weil in diesen oft gehörten Fragen gerade diese Grundthemen angesprochen sind. Diesen Fragen suche ich in meinen Antworten jeweils gerecht zu werden.
Natürlich verkünde ich meine Aussagen nicht »ex cathedra«, mit dem Anspruch auf Unfehlbarkeit. Ich bin zwar von ihrer Allgemeingültigkeit, jedenfalls in unserer Zeit und in unserem Kulturkreis, überzeugt, aber mir ist klar, dass sie nicht allgemeine Zustimmung finden werden, auch nicht bei allen schreibenden und therapierenden Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte, dass sie zum Nachdenken, zur Auseinandersetzung und zum gemeinsamen Austausch beitragen, vor allem auch zwischen Partnern, die in Beziehungsfragen eine gemeinsame Haltung finden wollen. Wenn dadurch Anstöße gegeben werden, eigene Grundüberzeugungen hinsichtlich Liebe und Partnerschaft zu entwickeln, dann ist damit etwas Wichtiges erreicht.
Was ich im Folgenden ausführe, ist bei mir natürlich nicht nur »im stillen Kämmerlein« entstanden. Neben vielfältigen Anregungen durch die Paare selbst, mit denen ich gearbeitet habe, war auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig. Allen voran ist hier meine verstorbene Frau Margarete Kohaus zu nennen. Die jahrelange Zusammenarbeit mit ihr war und ist für mich und meine therapeutische Arbeit grundlegend. In den letzten Jahren wurde der Austausch vor allem mit Friederike von Tiedemann und Marianne Walzer wichtig; viele Fortbildungskurse in Paarberatung und Paartherapie habe ich mit ihnen gemeinsam gestaltet. Speziell zu diesem Buch hat auch Klaus Antons wichtige Anregungen geliefert sowie meine Frau Bettina, die jedes Kapitel gegengelesen hat und der ich viele Anregungen sowohl inhaltlicher als auch formaler Art verdanke. Ihnen allen sei hier ein herzliches »Dankeschön!« gesagt.
Ammerbuch, im Frühjahr 2009
Hans Jellouschek
Die Antwort auf diese Frage, die heute die meisten Paare geben, ist ganz einfach: Wir ziehen zusammen und probieren es aus. Das kann zweifellos ein guter Weg sein. Mir scheint allerdings ein Problem dabei zu sein, das oft zu wenig beachtet wird: Dieses Zusammenziehen geschieht meist nicht mit der ausdrücklichen Frage: Passen wir auch im Alltag zusammen? Können wir eine Lebenspartnerschaft eingehen? Es geschieht eher zufällig: Weil der Freund an den Studienort der Freundin zieht und dieser gerade eine günstige Zweizimmerwohnung angeboten wurde; weil wohnen zu zweit billiger ist, als zwei Haushalte zu führen, und aus ähnlichen Gründen.
Sicher muss die Frage, ob wir für ein gemeinsames Leben zusammenpassen, beim Zusammenziehen nicht sofort ausdrücklich gestellt werden. Aber wenn diese neue Lebensphase des Paares nicht klar von beiden als eine vorübergehenden Phase definiert wird, in deren Verlauf es zu einer neuen Entscheidung über die Beziehung kommen soll, wird daraus leicht ein dauerhaft undefinierter Zustand, und die Fragen, um die es ja hier geht – die Frage nach einer verbindlichen Lebenspartnerschaft, nach gemeinsamen Lebensperspektiven, nach Kindern usw. –, bleiben unbeantwortet. Es kommt also nicht auf das Zusammenziehen als solches an, sondern auf die Fragen, mit denen man dies tut.
Aber beantworten sich diese Fragen nicht überhaupt von selbst? Genügt es denn nicht, zu spüren, dass man einander liebt? Enthält nicht die Frage, »ob wir auch miteinander leben können«, bereits Zweifel an der Liebe und damit ein verderbliches Misstrauen gegenüber den eigenen Gefühlen und denen des geliebten Anderen? Wenn wir einander wirklich lieben, wird sich alles von selbst ergeben!
Dies ist ein großer Irrtum! Denn zwischen »einander lieben« und »miteinander leben und den Alltag gestalten« besteht ein großer Unterschied. Eine große Leidenschaft füreinander besagt noch lange nicht, dass man ein Paar werden, ein gemeinsames Leben führen und sich über zentrale Lebensfragen verständigen kann. Die leidenschaftliche Liebe beruht auf einem rational letztlich unerklärbaren Gefühl füreinander. Das Zusammenleben aber stellt eine Reihe anderer Fragen, die mit der Liebe allein, die wir im Moment füreinander fühlen, noch nicht beantwortet sind, mit denen man sich auseinandersetzen muss, ehe man eine Entscheidung trifft.
Ganz besonders dann, wenn man den Partner, wie das heute ja immer öfter geschieht, über Anzeigen oder im Chat-Room des Internets gesucht und kennengelernt hat, sich also von Angesicht zu Angesicht dann »plötzlich« gegenübersteht, ohne von Biografie, Herkunft und näheren Lebensumständen des Anderen zu wissen, ist es sehr wichtig, nicht nur auf das momentane, vielleicht durchaus echte, vielleicht durchaus sehr tiefe Gefühl zu achten, das sich einstellt, sondern sich auch zu einigen, vielleicht sehr nüchternen, Themen Fragen zu stellen, damit nicht die große Liebe sehr bald zur großen Enttäuschung wird.
Eine so weittragende Entscheidung wie die Entscheidung für ein gemeinsames Leben braucht also nicht nur das Gefühl intensiver gegenseitiger Liebe, sondern zusätzlich die Auseinandersetzung mit verschiedenen weiteren Themen, damit man sie verantwortlich treffen kann. Die wichtigsten dieser Themen – meist als Fragen formuliert – sind die folgenden.
1. Die erste Frage betrifft die spezielle Qualität der Liebe, die ein Paar verbindet: Habe ich/haben wir außer der erotischen Anziehung auch noch das Gefühl einer tiefen Zusammengehörigkeit? Ist bei aller individuellen Unterschiedlichkeit auch ein Gefühl von tiefer Vertrautheit zwischen uns vorhanden? Was hier gemeint ist, drücken Paare manchmal so aus: »Obwohl wir erst kurz zusammen waren, hatten wir das Gefühl, wir würden uns schon tausend Jahre kennen.« Erotische Leidenschaft kann auch manchmal vorhanden und sexuelle Anziehung sogar übermächtig sein, und doch fehlen diese Gefühle von Nähe und Vertrautheit. Dann ist äußerste Vorsicht geboten!
2. Eine zweite Gruppe von Fragen betrifft die Übereinstimmung in zentralen Lebensthemen. Dazu gehört etwa auch die Frage: Wie stellen wir uns eine gemeinsame Zukunft vor? Gemeinsame Kinder – wie stehen wir dazu? Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau bezüglich Beruf und Familie: Wie stellen wir uns die Vereinbarkeit von beidem vor? Weltanschauliche Fragen, religiöse Überzeugungen und »Lebensphilosophie« – können wir uns darüber verständigen, oder bleibt uns der Andere darin fremd und unverständlich? Sind wir uns in den Antworten und Überlegungen einig oder können wir uns in gemeinsamen Auseinandersetzungen aufeinander zubewegen? Ich sage nicht, es müsste hier in allem Übereinstimmung bestehen. Aber wenn es sehr viele und sehr große Diskrepanzen gibt, und vor allem, wenn wir einander überhaupt nicht verstehen können, dann ist Vorsicht geboten, denn solche Diskrepanzen bedeuten eine schwer zu überwindende Fremdheit, führen zu Streit und Frustration, und wenn sie nicht durch andere sehr starke Gemeinsamkeiten immer wieder kompensiert werden, kann eine Lebenspartnerschaft kaum gelingen.
3. Die dritte Fragengruppe betrifft den Alltag: Wie geht es uns im ganz normalen täglichen Zusammenleben? Harmonieren wir in dieser Hinsicht, können wir gut kooperieren? Einander ergänzen? Uns aneinander angleichen? Kommen wir, ohne uns vollständig zu verbiegen, mit Lebensrhythmus und Lebensgewohnheiten des Anderen klar? Können wir uns in der Aufgabenverteilung einigen, oder gibt es festgefahrene Verhaltensweisen, die wir nicht akzeptieren können? Antworten auf diese Fragen werden natürlich beim »Zusammenleben ohne Trauschein« am deutlichsten. Paare, die noch getrennt leben, sollten viel gemeinsame Zeit verbringen, und zwar auch »Alltags-Zeit«, um in diesem Punkt Klarheit zu gewinnen. Gute Kooperation in der Bewältigung des ganz gewöhnlichen Alltags ist ein ganz wesentlicher Faktor in einer funktionierenden Lebenspartnerschaft.
4. Eng mit dem dritten hängt der vierte Fragenbereich zusammen, der sich mit dem intimeren, aber noch nicht sexuellen körperlichen Zusammensein des Paares befasst: Wie geht es uns damit? Mag ich die körperliche Nähe des Anderen? Kann ich den Anderen »riechen« – auch im wörtlichen Sinn? Mag ich, wie der Andere spricht, wie er mich anfasst, was für Hände er hat, wie er lacht und ernst ist? Es geht hier nicht selten um Bereiche, die nicht so ohne weiteres zu verändern sind, weil sie mit der Persönlichkeit des Anderen unmittelbar zusammenhängen. Unangenehme Gefühle in diesen Bereichen, Ekelgefühle, spontane »Abstoßung« sollten sehr ernst genommen und nicht als Nebensächlichkeiten abgetan werden. Sollte es sich dabei allerdings um veränderbare Angewohnheiten handeln (zum Beispiel beim Thema Reinlichkeit), lautet die wichtige Frage: Kann ich dem Andern das sagen und nützt das etwas? Und kann ich selbst auch Kritik an solchen Angewohnheiten vom Anderen annehmen, ohne dass es mich zu sehr verletzt? Die Frage der wechselseitigen Anpassungsfähigkeit in diesen »Kleinigkeiten«, ohne das Gefühl zu haben, mich vollständig verbiegen zu müssen, scheint mir zentral für die Frage, ob eine Lebensgemeinschaft möglich ist.
5. Die nächsten Fragen betreffen die Lebenstüchtigkeit des Partners. Wie geht es ihm beruflich? Wie steht es mit seiner Gesundheit – mit der körperlichen und mit der seelischen Gesundheit? Hat er ernsthafte psychische oder körperliche Probleme chronischer Art? Hat er Schulden, und wenn ja: wie hoch sind sie? Hat er andere Folgeprobleme früher getroffener Entscheidungen, zum Beispiel einer vorausgegangenen Scheidung, wirtschaftlicher Fehlkalkulationen, medizinischer Behandlungen – und wie stark beeinflussen diese sein jetziges Leben? Natürlich machen solche Faktoren ein Zusammenleben nicht schlichtweg unmöglich. Ich muss mir allerdings bewusst sein: Von mir wird dann als Lebenspartner verlangt, dies mitzutragen. Bin ich stark genug dazu? Wird unsere Liebe tragfähig genug sein, dies zu kompensieren? Hier kann ich leicht in die Falle des »Retters«, der »Retterin« tappen und mich überfordern. Ich darf hier nicht zu viel Verantwortung für den Anderen übernehmen, und solche Lasten oder Folgelasten können deshalb ein guter Grund sein, mich auf kein gemeinsames Leben einzulassen, auch wenn ich den Anderen noch so sehr liebe.
6. Die sechste Fragengruppe betrifft die jeweilige Verwandtschaft. Wie steht es mit der Familie des Anderen? Kann ich zum Vater und zur Mutter des Anderen und zu anderen wichtigen Angehörigen, an denen mein Partner hängt, eine positive oder mindestens neutrale Beziehung entwickeln? Kann ich die Kinder meines Partners – falls welche aus früheren Beziehungen vorhanden sind – akzeptieren? Es ist nicht zu unterschätzen, welche Bedeutung Sympathie oder auch Antipathie gegenüber den engen Angehörigen des Partners auf die Dauer für die wechselseitige Liebe haben. Natürlich ist es kein Ausschlusskriterium für eine Partnerschaft, wenn ich hier Probleme mit dem einen oder anderen habe. Aber je stärker die Abneigung gegenüber vor allem den wichtigsten Bezugspersonen – den Eltern, den Kindern – meines Freundes/meiner Freundin ist und wenn das noch zu anderem Trennendem hinzukommt, desto mehr Vorsicht ist geboten. Und umgekehrt: Wenn ich mich in der Familie des Anderen herzlich aufgenommen und wohl fühle, ist das eine gute Voraussetzung für das Gelingen einer gemeinsamen Lebenspartnerschaft.
7. Die letzte Fragengruppe betrifft die soziale Schicht, der die Partner entstammen, ihren Bildungsstand sowie die Unterschiede zwischen ihren Herkunftsfamilien, ihrer Nationalität und ihrer Religionszugehörigkeit. Sind die Unterschiede hier sehr groß und auf wie viele Bereiche erstrecken sie sich? Zweifellos bewirken große Unterschiede hier manchmal auch große Anziehung und Faszination: die Faszination des Fremdartigen, Exotischen. Diese besagt aber noch nicht, dass wir auch miteinander leben können. Sind die Unterschiede hier zu zahlreich und zu krass, wird es immer schwieriger, einen gemeinsamen Alltag zu gestalten, und dies kann auch eine sehr große Liebe schnell untergraben und zerstören. Wenn die Unterschiede hier sehr groß sind, bedarf es der Abwägung: Was können wir durch andere Übereinstimmungen kompensieren, was kann durch Anpassungsbereitschaft und -möglichkeit der Partner überbrückt werden? Wieweit können wir uns in das dadurch bedingte Anders-Sein des Anderen einfühlen, sodass echter Austausch darüber und somit Annäherung aneinander möglich ist? Wenn das unmöglich oder wenigstens sehr unwahrscheinlich ist, wird die Frage sehr dringlich, ob wir uns mit einer Lebenspartnerschaft nicht schlichtweg überfordern würden und darum von dieser Idee ablassen sollten. Auch hier kann es – gerade wegen der empfundenen Liebe – leicht zu einer Selbstüberforderung und Selbstüberschätzung der eigenen Möglichkeiten kommen.
Hilfe! Was für eine lange Liste von Fragen! Kann man dann überhaupt noch dazu kommen, sich für eine Lebenspartnerschaft zu entscheiden? Kann ich denn in all diesen Fragen Klarheit bekommen? Wie lange werde ich dazu brauchen? Und wird nicht schon diese Fragerei unsere Liebe ruiniert haben, ehe ich mir Klarheit verschafft habe?
Ich kann sehr gut verstehen, wenn dem Leser jetzt solche Gedanken gekommen sind. Aber ich kann ihn beruhigen. Viele dieser Fragen betreffen ja nicht jedes Paar, sodass sich die Liste beim Durchgehen sogleich stark verkürzt. Außerdem werde ich durch den bisherigen Kontakt zum Anderen schon viele positive Antworten parat haben, sodass ich viele Fragen sehr schnell abhaken kann und nur noch bei der einen oder anderen länger verweilen muss. Und schließlich gilt ganz generell: Auch durch die Beantwortung all dieser Fragen kann ich keine vollständige Sicherheit bekommen, weder in der einen noch in der anderen Richtung. Es kann sein, dass die meisten Antworten für eine Lebenspartnerschaft sprechen, aber irgendetwas, das ich nicht benennen kann, warnt mich im Inneren: lieber doch nicht! Und umgekehrt: Es kann sein, dass sehr vieles dagegen spricht, und trotzdem »weiß« ich und »weiß« auch mein Partner, dass wir die Richtigen füreinander sind! Trotz der zahlreichen Fragen spielt die rational nicht auflösbare Intuition immer noch eine wichtige, vielleicht die entscheidende Rolle. Aber wozu dann das ganze Gedankenspiel? Es soll mir einfach für das, was ich gespürt habe, vielleicht nur in einem kleinen Winkel meines Herzens, Sicherheit geben. Oder auch: Diese Liste soll mich auf etwas, das ich bisher nicht beachtet hatte, aufmerksam machen und mich damit meine inneren Neigungen nochmals überprüfen lassen. Vollständige Sicherheit gibt es in Beziehungsentscheidungen nie. Hier beginnt das bleibende Wagnis, das eine Beziehung immer darstellt.
Obwohl das Heiraten in den letzten Jahren wieder populärer geworden ist, legen sich immer noch viele Paare diese Frage vor. Ich kenne jedenfalls viele, die seit Jahren unverheiratet zusammenleben und auch dazu stehen, weil es gute Gründe dafür gibt – finanzielle, rechtliche – oder weil man aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder bekommen kann oder weil Kinder aus früheren Ehen vorhanden sind. Oft wird das Zusammenleben ohne Trauschein und rechtlichen Status auch damit begründet, dass es eine ständige Herausforderung ist, sich um die Beziehung und ihre Lebendigkeit zu bemühen, und darum ein Gegenmittel gegen Gewöhnung und Alltagstrott darstellt. Zweifellos sind solche Gründe – jedenfalls teilweise – einleuchtend und zu respektieren.
Andererseits habe ich viele Paare kennengelernt, bei denen sich – manchmal nach kürzerer, manchmal nach längerer Zeit des Zusammenlebens – entweder bei beiden Partnern oder bei einem von beiden das Bedürfnis einstellte, »in den Stand der Ehe zu treten«. Was hat es mit diesem Bedürfnis auf sich? Geht es dabei um Besitzdenken, nach dem Motto: »Ich will den anderen ganz für mich«? Oder um Sicherheitsbedürfnis: »Ich möchte verhindern, vom Anderen verlassen zu werden«? Oder um materielle Sicherheit und das gute Einkommen des Partners? Oder vielleicht auch nur um »Normalität« im Alltag: dass ich den anderen beispielsweise als »meinen Mann« oder »meine Frau« vorstellen kann und einen klar definierten Platz in der Gesellschaft habe? Sicherlich spielen solche Überlegungen häufig auch eine Rolle, mal mehr, mal weniger – und warum auch nicht? Aber kann man den Wunsch zu heiraten einfach damit gleichsetzen?
Mir hat eine Beobachtung zu denken gegeben: Bei Paaren, die den Wunsch zu heiraten zurückgedrängt haben, entweder weil beide es nicht wollten oder einer von beiden nicht bereit war, auf den Wunsch des Anderen einzugehen, stellte sich im Lauf der Zeit eine diffuse Unzufriedenheit oder Gedrücktheit ein, etwa ein Gefühl, man habe »etwas Wichtiges versäumt im Leben«, vor allem dann, wenn das Nicht-Heiraten auch mit der Nicht-Entscheidung für Kinder und schließlich mit dem Verzicht darauf verbunden war. Aber auch unabhängig vom Thema »Kinder oder nicht« drängt sich einem oder beiden häufig die Frage auf: Wer ist der Andere eigentlich für mich? Und was bin ich für ihn? Kann ich mich in Krisenzeiten auf den Anderen wirklich verlassen oder leben wir nur noch aus Gewohnheit zusammen? Gehören wir wirklich zusammen oder sind wir inzwischen »zu zweit allein«? Was hat unser Zusammenleben eigentlich noch für einen Sinn? Solche oder ähnliche Fragen beginnen in der Seele zu bohren.
Deshalb meine ich, dass der Wunsch zu heiraten nicht nur aus Besitz-Denken, Sicherheitsgefühl oder Anpassung an die Konvention kommt. Etwas Tieferes, etwas zutiefst Menschliches kommt darin zum Ausdruck. Beim Heiraten geht es um Bindung und um Verbindlichkeit in der Beziehung. In aller Öffentlichkeit bekenne ich mich zu diesem Partner: Wir gehören zusammen. Ich bin dein Mann, du bist meine Frau! Ich will mich verbindlich auf dich einlassen, mit dir zusammen den weiteren Weg gehen, ohne Wenn und Aber! Ein solcher Schritt kommt nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – aus Besitzdenken oder materiellem Sicherheitsbedürfnis, sondern aus dem viel tieferen Bedürfnis, für jemanden der oder die »Einzige« zu sein, jemanden zu haben, auf den ich mich verlassen kann und der sich auf mich verlassen kann. Es ist der Wunsch, nicht allein zu sein, sondern einen Gefährten, eine Gefährtin zu haben auf dem Weg durchs weitere Leben, einen, der zu mir steht und zu dem ich stehe, komme, was da wolle. Natürlich kann ich – bei aller Liebe – nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob er für mich und ich für ihn dies auf die Dauer werde sein können. Aber mit dem Heiraten bringe ich meine Entscheidung, dies jedenfalls zu wollen, öffentlich zum Ausdruck.
Kein Mensch ist eine Insel. Um leben zu können, brauchen wir von Anfang an den Anderen, einen, der uns physisch und psychisch »trägt«, uns Halt gibt und durch seine positive Resonanz zeigt, dass wir liebenswerte und achtenswerte Menschen sind – und das nicht nur für die ersten Jahre unseres Daseins, sondern das ganze Leben hindurch, sicher als Erwachsene nicht mehr in dieser Dringlichkeit und Unbedingtheit wie in den ersten Jahren, aber immer noch aus einem sehr existenziellen, vielleicht dem existenziellsten Bedürfnis heraus. Und in der Frage, ob mich der Partner heiraten will, ist diese Frage enthalten: Wirst du, willst du der Mensch sein, der bei mir ist »in guten wie in schlechten Tagen« und mich nicht in der Welt allein lässt, für den ich der/die Einzige sein darf, die wichtigste Person im Leben?
Aber ist es nötig, dazu den ganzen rechtlichen und zeremoniellen Aufwand einer Heirat zu inszenieren? Ich antworte: Es ist zumindest sehr angemessen. Wir Menschen sind auf Zeichen und Rituale angewiesen, damit das, was wir wollen, gewissermaßen auch greifbar wird. Die Öffentlichkeit, in der wir das »Ja« zum Anderen sprechen, die rechtlichen Konsequenzen, die es hat, machen die Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit dieses Vorhabens erst ganz »wirklich«.
Ich mache dazu immer wieder eine interessante Erfahrung: Ein Paar mittleren Alters, das schon lange unverheiratet zusammenlebt, macht den Schritt zur Ehe, oft aus scheinbar rein pragmatischen Gründen rechtlicher oder finanzieller Art. Und kurze Zeit später sagen beide: »Seltsam, es ist jetzt ein ganz anderes Gefühl. Wir sind in eine neue Phase unseres Lebens eingetreten. Es ist, als ob wir uns neu verliebt hätten ineinander, es ist, als ob wir erst jetzt richtig ein Paar wären!« Solche Aussagen habe ich schon oft gehört und sie zeigen, dass der Entschluss und Vollzug der Heirat tatsächlich eine neue Qualität in die Beziehung bringen kann. Die beiden Partner wissen und fühlen jetzt, wer sie füreinander sein wollen und sind, und das beglückt sie zutiefst.
Aber stellt sich dieses Wissen und dieses Gefühl nicht sehr oft als illusorisch heraus? Immer noch sind die Scheidungsquoten erschreckend hoch, in den Großstädten bis zur Hälfte aller eingegangenen Ehen! Wo ist da die Verbindlichkeit, die unbedingte Gefährtenschaft geblieben? Zweifellos misslingt dieses Vorhaben, eine Ehe zu leben, häufig. Viele Gründe, die ich hier nicht näher ausführen will, sind dafür verantwortlich. Und dennoch: Wenn wir zusammenleben und den weiteren Weg zusammen gehen wollen, ist der Schritt zum Heiraten zutiefst sinnvoll: Wenn ich ein anspruchsvolles Ziel habe, weiß ich nie ganz sicher, ob es mir auch gelingen wird, dieses Ziel zu erreichen. Aber wenn ich mich erst gar nicht entschlossen habe, es unbedingt anzusteuern, habe ich von vornherein verloren. Bei anspruchsvollen Projekten ist ein unbedingtes »commitment«, wie die Amerikaner sagen, erforderlich, um erfolgreich zu sein. Das gilt auch für die Paarbeziehung. Das ist für mich auch der bleibende Sinn des kirchlichen Traugelöbnisses: »bis der Tod uns scheidet«. Natürlich kann sich herausstellen, dass wir es nicht ein Leben lang durchhalten, dass wir uns getäuscht haben, dass das Leben mit uns ganz anderes vorhat, und noch vieles mehr. Und natürlich muss es dann möglich sein, dass wir unser Gelöbnis auch auflösen und den Kurs unseres Lebens ändern. Aber wenn wir die Kursrichtung gar nicht erst eindeutig eingeschlagen haben, werden wir sehr schnell davon abkommen, obwohl in dieser Beziehung vielleicht das Potential gelegen hätte, unser persönliches Glück zu finden.
1. Wenn sich in einer Beziehung zwischen zwei Menschen bei einem oder beiden immer deutlicher der Wunsch bemerkbar macht, zu heiraten, dann ist zu überprüfen, ob dieser Wunsch nicht einen angestrebten Wendepunkt zu einer neuen Beziehungsphase ankündigt: den Wendepunkt zur Verbindlichkeit, die auch in einer Heirat zum Ausdruck gebracht werden will, um ganz real zu werden.
2. Wenn dieser Wunsch nicht beachtet oder von einem der Partner immer wieder abgeschlagen wird, besteht die Gefahr, dass sich die Beziehung nicht mehr weiterentwickelt und erstarrt, abgesehen davon, dass dann auch die Frage möglicher gemeinsamer Kinder häufig hinausgeschoben wird, in der Schwebe bleibt oder sich ohne eine klare Entscheidung aus biologischen Gründen erledigt.
3. Natürlich kann es auch gute Gründe geben, den Schritt zu einer »offiziellen« Ehe zu vermeiden, weil man dadurch große Nachteile hätte, zum Beispiele finanzielle, berufliche, gesellschaftliche Nachteile. Wenn beide Partner sich darin einig sind, sollten sie dennoch ihren Wunsch nach Verbindlichkeit und den beiderseitigen Entschluss dazu zum Ausdruck bringen und diesen Wendepunkt in ihrer Beziehung zum Beispiel in einem privaten Ritual und einem gemeinsamen Fest mit Verwandten und Freunden ausdrücklich markieren.
4. Es ist aber zu überprüfen, ob die Gründe, die gegen eine »offizielle« Heirat sprechen, wirklich zutreffend oder vielmehr vorgeschoben sind. Oft sind die eigentlichen Gründe psychischer Natur: die Unfähigkeit oder Schwierigkeit eines der beiden oder beider Partner, sich zu binden. In diesem Fall würde eine tiefergreifende therapeutische Auseinandersetzung mit der Frage aktuell. Außerdem wäre es wichtig zu wissen: Ist es der Wunsch beider, nicht zu heiraten, oder stellt einer der beiden Partner seinen Wunsch mit Rücksicht auf den anderen immer wieder zurück? Wenn das der Fall ist, entsteht ein Ungleichgewicht, das auf die Dauer der Beziehung nur schaden kann. Unbegrenzt auf den Partner zu »warten«, bis er vielleicht so weit ist, bringt nichts. Besser wäre es hier, ernsthaft über eine Trennung nachzudenken, um sich das weitere Leben nicht zu verbauen.
5. Die Schwierigkeit oder Unfähigkeit, verbindlich zu werden und dies auch, zum Beispiel mit der Heirat, zum Ausdruck zu bringen, hat in der Regel in früheren Enttäuschungen ihren Ursprung: Enttäuschungen mit früheren Beziehungen und oft – dahinterliegend – schlimme Bindungserfahrungen in den Herkunftsfamilien. Über solche Erfahrungen müssten die Partner miteinander ins Gespräch kommen, um einen Weg zu finden, wie sie hier – wahrscheinlich in einer Therapie – weiterkommen. Die Gefahr, dass sie sonst in ihrer menschlichen Entwicklung stecken bleiben, ist groß.
6. Wenn der Wunsch nach Heirat immer wieder auftaucht, bei dem einen Partner oder bei beiden, und es ihnen nicht gelingt, ihn zu realisieren, obwohl es keine wirklichen Gründe dafür gibt, dann sollten sie sich außerdem fragen, ob nicht eigentlich der Schritt zur Trennung ansteht, dem beide aus Angst ausweichen. Die Gefahr besteht, dass sich die Partner in einer sich nur noch dahinschleppenden Beziehung ihre Zukunft verbauen. Möglicherweise wäre es besser, sich zu trennen und einen neuen Anfang zu wagen. Dann eröffnen sich, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, wieder neue Wege, das zu finden, was man in einer Partnerschaft zutiefst sucht.
7. Wenn beim Wunsch zu heiraten auch weniger reife Motive eine Rolle spielen, wie innere und äußere Sicherheit durch die Ehe oder Anpassung an gesellschaftliche Konventionen, sollte man damit nicht zu streng umgehen. Solche Motive sind doch auch menschlich und spielen immer auch eine Rolle, und wir sollten sie deshalb nicht diffamieren. Wenn sie nicht die ausschlaggebenden sind, warum sollten sie dann nicht auch mitschwingen dürfen? Wir dürfen hier mit unseren Forderungen nach »vollkommener Liebe« auch nicht übertreiben.
Aus der therapeutischen Erfahrung mit vielen Paaren antworte ich: Beides ist wichtig! Es kommt auf die gute Mischung an. Aber darin liegen gerade die Schwierigkeiten, die es sehr wohl als gerechtfertigt erscheinen lassen, diese Frage immer wieder zu stellen, weil es hier keine einfache Antwort »für alle Fälle« gibt. Ich will mich im Folgenden von zwei Extremen her auf einen Standpunkt hinbewegen, von dem aus man im jeweiligen Fall die Frage betrachten und sachgemäße Antworten finden kann.
Extrem Nr. 1: Paarmuster »Es dem andern recht machen«. Dies ist vor allem ein klassisches Frauen-Muster. Die Frau opfert sich ganz für den Mann und die Familie auf. Sie verzichtet auf ein eigenes Leben und stellt eigene Interessen im Zweifelsfall immer wieder zurück. Allen anderen Personen in der Familie, dem Mann, den Kindern, den Eltern und