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Souverän erklären die Bestsellerautoren, was sich für Paare beim ersten Kind in ihrer Beziehung ändert und wie sie diese kritische Lebensphase gut gemeinsam bewältigen können. Alles ändert sich, wenn das erste Kind kommt. Nun plötzlich zu dritt zu sein, das ist bei aller Freude ein tiefer Einschnitt in die bisherige Zweisamkeit. Oft wird dies zur Bewährungsprobe für eine Paarbeziehung. Was sollten Paare wissen und was sollten sie lernen, damit dieser Übergang in eine neue Lebensphase gelingt und auch die lebendige Liebe der Partner nicht auf der Strecke bleibt? Wie können Paare mit ihren Unsicherheiten, mit den Erwartungen an den Partner, mit der neuen Mutter- und Vaterrolle sowie auch mit dem Einfluss alter Rollenbilder richtig umgehen? Wie lassen sich neu entstehende Konflikte, wie z. B. rund um die Sexualität, besser verstehen und lösen? Diese und viele andere Fragen behandeln die Autoren vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung in der Paartherapie und Paarberatung. Anhand von Fallbeispielen sowie auch von Übungen zur Achtsamkeit, zur Stressbewältigung und zur Gesprächsführung geben sie konkrete Hilfestellungen. Ein Buch, das Mut macht und Paaren zeigt, dass diese großen Veränderungen die Chance beinhalten, persönlich zu reifen und darüber hinaus als Partner inniger zusammenzufinden.
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Seitenzahl: 230
[1]Jellouschek/Jellouschek-Otto
Verlag Hans Huber
Familie werden – Paar bleiben
Sachbuch Psychologie
[2][3]Hans Jellouschek / Bettina Jellouschek-Otto
Familie werden – Paar bleiben
Wie man einen wichtigen Lebensübergang meistert
Verlag Hans Huber
[4]Dr. Mathilde Fischer, Editionsservice
Herstellung: Jörg Kleine Büning
Bearbeitung: Dr. Mathilde Fischer
Umschlagillustration: Gesine Beran, Turin
Umschlaggestaltung: Gesine Beran, Turin
Druckvorstufe: Claudia Wild, Konstanz
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Verlag Hans Huber
Lektorat Psychologie
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CH-3000 Bern 9
www.verlag-hanshuber.com
1. Auflage 2014
© 2014 by Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
ISBN 978-3-456-85388-8
E-Book 978-3-456-95388-5
E-PUB 978-3-456-75388-1
eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de
[5]Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Kapitel: Krisen und Übergänge im Leben des Paares
Der Lebenszyklus des Paares
Stress, Bewältigungsstrategien und Herausforderung zu Entwicklung
2. Kapitel: Brief einer jungen Mutter an ihren Mann
3. Kapitel: Alles ändert sich. Über das Zusammenspiel des Paares, wenn ein Kind kommt
Vor der Geburt
Die Entscheidung des Paares für das gemeinsame Kind
Die Qualität der Paarbeziehung und die Entscheidung für das Kind
Hilfestellungen für die Lösung von Paarproblemen
Schwangerschaft. An der Schwelle zum Mutter-/Vater-Werden
Geburt
Die Geburt und die Identität der Frau
Die Rolle des Mannes bei der Geburt
[6]Die erste Zeit nach der Geburt
Wochenbett
Bin ich als Mutter «gut genug»?
Welche Rolle habe ich als Mann und Vater?
Krisenzeit für das Paar
Worin die Qualität einer Paarbeziehung besteht
Zusammenfassende Empfehlungen und Ergänzungen für das Eltern-Paar
4. Kapitel: Familie: Ein neues «Ganzes» entsteht
«Dyade» und «Triade»: Aus zwei werden drei
Das «Dritte» als Störung und Chance
Das Kind in der Triade: Die Chance zu guter Entwicklung
Die Mutter in der Triade: Sich einlassen und – loslassen!
Der Vater in der Triade: Seinen Platz einnehmen – von Anfang an
Bündnisse und Ausschluss
Der Ausschluss des Mannes aus der Triade
Der Ausschluss der Mutter aus der Triade
Wenn das Kind ausgeschlossen wird
Grenzen in der Familien-Triade
Warum eine Familie Grenzen braucht
Eltern-Ebene und Paar-Ebene
Ein «Kräfte-Gleichgewicht» in der Familie
Ein flexibles «Gleichgewicht» herstellen und erhalten
Vom «Rabattmarken-Kleben»
Immer wieder: Ausbalancierung des Gleichgewichts
[7]5. Kapitel: Konfliktthema Sex
Die Pflege der Intimität als Paar
Warum für die Frau Sexualität zum Problem werden kann
Körperliche/hormonelle Veränderungen bei der Frau
Rollenkonflikt
Stress
Autonomie-Wahrung
Die Frau erlebt den Mann als zweites Kind
Verhütung
Warum für den Mann Sexualität zum Problem werden kann
Eine neue Rolle für den Mann
Körperlich-hormonelle Veränderungen
Ängste
Die körperlichen Veränderungen bei der Frau
Wenn beide keine sexuelle Begegnung wollen
Das Kind «im Gräbele»
Getrenntes Schlafen
Frust und Konflikt als Folge
Was ist zu tun?
Aufgaben für beide Partner
Aufgaben (vor allem) für den Mann
Aufgaben (vor allem) für die Frau
Noch ein paar konkrete Tipps
6. Kapitel: Neue und alte Rollen
Mutter werden, Vater werden – und der Einfluss der alten Rollenbilder
Die heutigen Idealbilder der Vater- und Mutter-Rolle
[8]Gesellschaftliche Rollen-Bilder von «Vater» und «Mutter»
Der Mann als «Familien-Erhalter» und «Regel-Setzer“ – die Frau als «Familienmutter» und «beschützende Versorgerin»
Das deutsche «Übermutter-Ideal»
Auswirkungen auf die Paarbeziehung, und was hier zu tun ist
Die Rollenmodelle der eigenen Eltern
Kein Grund mehr zur Rebellion?
Junge Eltern aus traditionell orientiertem Milieu
Junge Eltern aus gescheiterten Ehen
Auch wenn solche Gegensätze nicht existieren: Unser «Skript»
7. Kapitel: Das Kind als Bereicherung der Paarbeziehung
Leben weitergeben
Das Glück des Augenblicks
Das Glück der Bindung
Unbefangenheit und Ehrlichkeit
Das Kind in uns neu entdecken
Versöhnung mit den eigenen Eltern und der eigenen Geschichte
[9]Vorwort
Es gibt schon zahlreiche Literatur auf dem Markt, die sich der Desillusionierung von werdenden Eltern widmet. Und wirklich ist es notwendig, diese Zielgruppe darauf vorzubereiten, dass sich die erste Zeit mit dem Kind keineswegs so rosig gestaltet, wie es in den Medien, insbesondere in der Werbung, «verkauft» wird, sondern dem Paar einiges an Energie und Durchhaltevermögen abverlangt wird.
Auch wir wollen in diesem Buch die Realität, wie wir sie aus unterschiedlichen Perspektiven erfahren haben – als Hebamme, als Paartherapeuten, als Eltern und als Partner von jeweils gescheiterten Ehen –, illusionslos ins Visier nehmen. Unser Hauptaugenmerk wird jedoch darauf liegen, deutlich zu machen, dass all die Konflikte und Frustrationen, die zwischen jungen Eltern zum Alltag gehören, anders gesehen und erlebt werden können, nämlich als eine Initiation in ein reiferes Erwachsensein. Etwas Neues entsteht, wird mit schmerzhaften Wehen geboren: die Familie, in der alle Familienmitglieder möglichst optimale Lebens- und Wachstumsbedingungen vorfinden.
Der Sexualtherapeut David Schnarch, den wir noch öfter zitieren werden, drückte dies in einem Interview einmal so aus: «Nicht die Eltern bringen die Kinder auf die Welt – die Kinder bringen ihre Eltern auf die Welt! Durch Kinder bekommen wir die Chance, wirklich erwachsen zu werden.»1
All den Paaren, auf die wir uns in diesem Buch berufen durften, möchten wir an dieser Stelle herzlich danken. Sie haben damit einen wichtigen Beitrag geleistet. Bedanken möchten wir[10] uns auch beim Verlag Hans Huber und unserer Lektorin, Frau Dr. Mathilde Fischer, die das Entstehen dieses Buches auf eine sehr hilfreiche Weise begleitet hat.
Ammerbuch, im März 2014
Hans Jellouschek
Bettina Jellouschek-Otto
[11]1. Kapitel: Krisen und Übergänge im Leben des Paares
Kinder, die in der heutigen Zeit geboren werden, sind in aller Regel erwünschte Kinder. In Zeiten, als eine Geburtenregelung noch eine sehr unsichere Angelegenheit war, war dies wohl in vielen Fällen anders. Insofern sprechen wir mit Recht bei einer Geburt von einem «freudigen Ereignis». Aber wie schnell und unvorhergesehen das «freudige Ereignis» der Geburt, jedenfalls der Geburt des ersten Kindes, zu einer erheblichen Krise werden kann, wurde uns an der folgenden Erfahrung aus einer Paartherapie deutlich:
Jonas und Mara (in diesem und allen folgenden Fallbeispielen haben wir die Namen zum Schutz unserer Klienten geändert) hatten schon in der Schwangerschaft an einigen Paartherapie-Sitzungen teilgenommen, um sich auf die Zeit nach der Geburt vorzubereiten. Zuversichtlich hatten sie der Geburt entgegengesehen. Nun kamen sie zum ersten Mal – vier Wochen danach – wieder zum vereinbarten Termin. Und beide waren ziemlich aufgebracht! Nichts von dem, was sie sich vorgenommen hatten, funktionierte. Aus Maras Sicht zog sich Jonas viel zu oft aus der Verantwortung für den kleinen Samuel und hatte mit seinen Korrekturarbeiten als Lehrer immer eine gute Ausrede. Aus Sicht von Jonas war Mara viel zu perfektionistisch, sie wusste immer alles besser.
[12]Selbst im Therapieraum war es hauptsächlich Mara, die das unruhige Baby permanent herumtrug und alle Angebote von Jonas abwies, ihr den Kleinen auch einmal abzunehmen. Erst allmählich konnte die Therapeutin das Gespräch darauf lenken, was die beiden in den vergangenen Wochen alles miteinander Großartiges an Neuem erlebt hatten und auch an Umstellung, an individuellem und gemeinsamem Einsatz geleistet hatten. Als dadurch ein wenig Ruhe einkehrte, erklärte sie ihnen:
«Was Sie beide jetzt gerade erleben, ist normal! Es gehört zu diesem Übergang vom Paar zur Familie dazu. Und es ist auch gut, dass Sie mit Ihren Bedürfnissen nicht hinterm Berg halten. Sie werden nun miteinander immer wieder aushandeln müssen, wie sie diese aufeinander abstimmen, und das wird in den nächsten Monaten für Ihre Beziehung entscheidend sein. Im Geburtsvorbereitungskurs hat man Ihnen ja auch nicht gesagt: Wenn Sie alles, was Sie hier lernen, beherzigen, dann wird die Geburt nicht schmerzhaft sein, oder? Die Hebamme hat versucht, Sie auf den Schmerz vorzubereiten. Und schon das macht ihn besser erträglich.»
Schmerz ist besser zu ertragen, wenn er einen Sinn bekommt. Diesen Sinn in seinen unterschiedlichen Facetten auch in allen Schwierigkeiten der ersten Zeit des Eltern-Werdens zu finden, das wird auch Thema der folgenden Kapitel sein. Ein erster Schritt wird sein, den kritischen Übergang vom Paar zur Familie zunächst in einen größeren Zusammenhang zu stellen – und herauszuarbeiten, dass Krisen in Lebensübergängen der Partner etwas Normales, ja Notwendiges sind, damit es nicht zu Stagnation und Erstarrung kommt.
[13]Der Lebenszyklus des Paares
Wenn ein Kind geboren wird, verändert sich die Lebenssituation des Paares von Grund auf. Ein völlig neuer Lebensabschnitt beginnt. Doch das ist nicht der einzige Übergang, den es im Leben des Paares zu bewältigen gilt.
Unser Leben, auch unser Zusammenleben als Paar, ist gekennzeichnet von – mehr oder weniger einschneidenden – Übergängen. Ohne solche Übergänge gäbe es keine Entwicklung, und ohne Entwicklung würde unser Leben erstarren. Bevor wir deshalb auf die spezielle Situation des Paares im Übergang zur Elternschaft eingehen, wollen wir uns dieses allgemeine Gesetz des Lebens und des Zusammenlebens von Paaren anschauen. Folgendes Modell, das freilich nicht in allen Einzelheiten jedem Paar entspricht, gibt gute Orientierung über die Gesetzmäßigkeiten der Entwicklung von Paaren über die Lebenszeit hin.
Abb. 1 Modell eines Paar-Lebenszyklus: Die «Jahreszeiten» der Liebe
[14]Wir unterscheiden nach diesem Modell vier Hauptphasen in der Entwicklung des Paares, sozusagen die «vier Jahreszeiten der Liebe»: den «Frühling», die Phase des jungen, verliebten Paares, den «Sommer», die Familienphase, den «Herbst», die Phase des Paares in der zweiten Lebenshälfte, und den «Winter», die Altersphase. Natürlich lassen sich diese Phasen nicht so streng voneinander abgrenzen, wie diese Einteilung es nahelegt. Denn – hoffentlich! – wird von der Liebe des Anfangs auch noch etwas in den weiteren Phasen fortbestehen, und die zweite Lebenshälfte des Paares ist ja am Übergang in die Altersphase noch nicht zu Ende. Die Übergänge sind im konkreten Leben fließender. «Familien»-Phase ist außerdem oft nicht im strengen, sondern in einem «weiteren» Sinn zu verstehen: Es ist die Zeit, wenn sich das Paar entschlossen hat, das Leben gemeinsam zu verbringen und auch den Alltag miteinander zu teilen, ob mit oder ohne Kinder. Es ist auch die Zeit, in der ein Elternteil allein mit dem Neugeborenen lebt, weil die beiden miteinander kein Paar sein wollen oder können.
Das vorgeschlagene Modell passt allerdings bei weitem nicht auf alle Arten von Paaren, zum Beispiel nicht auf Patchwork-Paare, bei denen – um nur ein Beispiel zu nennen – der Mann Kinder aus der ersten Ehe hat, die schon groß sind, die sehr viel jüngere neue Frau aber noch einen starken eigenen Kinderwunsch verspürt. Als Paar sind die beiden noch in der ersten, der Verliebtheitsphase, der Mann aber befindet sich mit seiner Geschichte zusätzlich und gleichzeitig bereits auch in der Phase der zweiten Lebenshälfte und hat vielleicht «von Kindern genug»… Auch wenn man unser Modell hier nicht eins zu eins übertragen kann, ermöglicht es auch in «abweichenden» Paar-Situationen eine gute Orientierung, um lebenszyklusbedingte Probleme zu erkennen und besser zu verstehen.
Wofür ist dieses Modell außerdem hilfreich? Es macht uns die wesentlichen Übergänge, die ein Paar in seinem Zusammenleben zu bewältigen hat, deutlich. Da ist zunächst der Übergang[15] vom verliebten Paar zum Paar, das auch den Alltag miteinander teilen wird (oft besiegelt durch eine formelle Eheschließung) und sich entscheidet, Kinder zu haben. Dieser Übergang wird uns in diesem Buch ausführlich beschäftigen. Dann folgt der Übergang in die zweite Lebenshälfte des Paares, oft auch «Nach-Familien-Phase» genannt, nicht weil die Kinder keine, sondern weil sie nicht mehr eine so zentrale Rolle spielen und weil das Paar sich oft in dieser Phase als Paar wieder neu finden muss. Schließlich der Übergang in die Altersphase, der oft angezeigt wird durch den Beginn des beruflichen Ruhestands des einen oder beider Partner und der das Paar noch stärker wieder aufeinander verweist, nicht zuletzt durch die allmählich einsetzenden physischen und geistigen Einschränkungen, die in den Lebensvollzug integriert werden wollen.
Die Lebensübergänge, die wir bisher genannt haben, sind wie Brücken in ein Land jenseits eines Tales oder Flusses, ein neues Land. Wir freuen uns meist auf das, was wir dort drüben haben werden, weil es uns bisher gefehlt hat: als junges Paar miteinander ein Kind zu bekommen oder in der Nach-Familien-Phase wieder mehr den eigenen Rhythmus zu leben und Eigenständigkeit pflegen zu können; oder auch in der Zeit des Ruhestands den Zwängen des Arbeitslebens entronnen zu sein und nun Zeit für Reisen und Genuss zu haben. Gleichzeitig bringen es solche Brücken-Überschreitungen aber auch mit sich, dass wir bekanntes Terrain verlassen, also liebgewordene Gewohnheiten aufgeben und bewährte Verhaltensweisen verändern müssen. Wir müssen uns dem Neuen öffnen, das vielleicht ganz anders daherkommt, als wir es erwartet haben. Das ist oft nicht leicht zu bewältigen.
In der Lebenszyklus-Forschung spricht man von «kritischen Lebensübergängen». Diese werden oft eingeleitet oder begleitet von typischen Einzel-Ereignissen, wie zum Beispiel der Geburt eines Kindes, dem Auszug der Kinder oder dem Beginn des Ruhestandes. Man spricht hier auch von «kritischen [16]Lebensereignissen», die es bei solchen Übergängen zu bewältigen gilt.
Außerdem wird hier zwischen vorhersehbaren und unvorhersehbaren kritischen Lebensereignissen unterschieden. Diese Unterscheidung von vorhersehbaren und nicht vorhersehbaren kritischen Lebensereignissen hat praktische Bedeutung: In aller Regel werden die vorhersehbaren Ereignisse im Denken und Reden des Paares bereits vorweggenommen. Man spricht darüber, man denkt für sich und gemeinsam darüber nach, was nötig sein wird, wie man sich verhalten wird, welche Maßnahmen jetzt schon getroffen werden können. Manche von diesen vorhersehbaren kritischen Lebensereignissen werden auch mit Ritualen vollzogen oder von solchen begleitet, wie zum Beispiel die Eheschließung mit der Hochzeit bzw. einem Freudenfest mit Freunden und Verwandten oder der Beginn des Ruhestands mit einer Verabschiedung durch die Firma. Das erleichtert zwar die Bewältigung in aller Regel, jedoch kann diese immer noch recht schwierig werden, wie besonders im Fall des Übergangs vom Paar zur Familie. Wie Forschungen zeigen, erleben Paare, auch wenn sie sich eingehend darauf vorbereitet und viel über die anstehenden Veränderungen gesprochen haben, die neue Situation mit dem kleinen Kind phasenweise als sehr stressvoll und belastend, weil sich auch vorhersehbare Veränderungen in ihrer Wirkung nie ganz realistisch einschätzen lassen.
Dazu kommt, dass auch die Reaktionen der Umwelt eine Rolle spielen können. Bei nicht vorhersehbaren kritischen Lebensereignissen, wie zum Beispiel der Krebserkrankung eines Partners, wird ein Paar sich eher vom Mitgefühl der Umwelt getragen fühlen als beim Eintreten eines vorhersehbaren Ereignisses. Dass die beiden Partner ein Kind bekommen, nachdem sie schon des Öfteren davon gesprochen haben, ruft vielleicht Reaktionen von der Art hervor: «Na, was ist da schon dabei? Das ist doch das Natürlichste von der Welt. Was die Frau jetzt, nachdem das Kind da ist, doch für ein Theater drum[17] macht!» Durch solche Reaktionen von nahestehenden Menschen, auch wenn sie nicht offen ausgesprochen werden, kann sich der empfundene Stress erheblich verstärken, weil sich die Frau dann auch noch Selbstvorwürfe macht, dass sie das nicht «besser schafft».
Trifft zudem beides zusammen, ein vorhersehbares und ein nicht vorhersehbares kritisches Lebensereignis, zum Beispiel wenn das erwünschte Kind auf der Welt ist und sich der Ehemann zu dieser Zeit in eine andere Frau verliebt, dann wird die junge Familie vollends «durcheinandergerüttelt» und das Paar Belastungen ausgesetzt, die es mitunter komplett überfordern.
Stress, Bewältigungsstrategien und Herausforderung zu Entwicklung
Warum ist das so? Als «kritisch» werden Lebensereignisse deshalb genannt, weil sie das Paar mit neuen Situationen und damit neuen Herausforderungen konfrontieren. Das Alte – die eingespielten Verhaltensweisen, auf die man eingestellt ist und von denen man weiß, dass man sie beherrscht – funktioniert nicht mehr. Das setzt Paare unter Stress. Stress-Bewältigung ist nun gefragt. Wird das Paar das schaffen, ohne Schaden zu erleiden, ohne sogar daran zu zerbrechen? Oder ist das Paar imstande, neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln? Mit dieser Frage sind Paare an jedem kritischen Lebensübergang konfrontiert, ganz stark, wie sich immer wieder zeigt, auch und vor allem beim Übergang vom Paar zur Familie.
Darum ist es berechtigt, dieses «freudige Ereignis», das die Eltern vielleicht sogar heiß ersehnt haben, auch ein «kritisches» zu nennen. Sie müssen – wie wir noch ausführlich darlegen werden – eine ganze Reihe neuer «Bewältigungsstrategien» entwickeln, um dem Kind in ihrem Leben einen guten Platz zu geben und auch auf Dauer immer wieder Freude daran zu[18] haben. Paaren Anregungen dafür zu geben, ist eines der Hauptanliegen unseres Buches.
Wenn die Bewältigung des kritischen Übergangs gelingt, dann eröffnet sich gerade dadurch eine große Chance in der Entwicklung – um individuell und als Paar voranzukommen. Kritische Lebensereignisse bringen immer wieder die Möglichkeit der Weiterentwicklung mit sich: die Reifung der Persönlichkeit der beiden und die Qualität der Beziehung zueinander. Durch das Kind reift in der jungen Frau «Mütterlichkeit», der Mann entwickelt «Väterlichkeit»; und wenn die Kinder wieder aus dem Haus gehen, dann eröffnet sich die Chance, sich als Paar wieder neu zu finden und in der Liebe tiefer und reifer zu werden; auch der Übergang in den Ruhestand hat schon manchem ermöglicht, ein bisher brachliegendes Talent jetzt erst zur vollen Entfaltung zu bringen.
Kritische Lebensereignisse stürzen Paare immer wieder in Krisen. Das ist ganz normal und gehört zum Leben dazu. Ohne Weiterentwicklung würde das Leben erstarren. Dies können wir zum Beispiel beobachten bei Paaren, die sich nicht entscheiden können, ihre Beziehung als verbindlich zu definieren und Kinder haben zu wollen oder auch nicht. Ein entscheidungsloser Zustand führt nicht selten in die totale Stagnation.
In diesem Sinne wollen wir in den folgenden Kapiteln vielfältige Anregungen dazu geben, wie Paare persönliche Potentiale bei sich aktivieren können, aus denen sich geeignete Bewältigungsstrategien für jene Stress-Situationen entwickeln lassen, die notwendigerweise mit der Geburt eines Kindes entstehen. So möchten wir dazu beitragen, dass Paare, die Eltern werden, nicht nur ihrem Kind eine gute und förderliche Umgebung schaffen, sondern selbst daran wachsen können und die Geburt eines Kindes auch für ihre persönliche Weiterentwicklung und die Bereicherung ihrer Paarbeziehung nutzen.
[19]2. Kapitel: Brief einer jungen Mutter an ihren Mann
Lieber Matthias!
Nach Wochen des Schweigens mache ich mich daran, Dir einen Brief zu schreiben. Nicht ganz freiwillig. Wir haben in der Paartherapie die Aufgabe bekommen, unsere gemeinsame Paargeschichte unter dem Aspekt zu betrachten: Was bin ich Dir schuldig geblieben? Nun will ich den Versuch machen, eine Antwort zu finden.
Ich muss zugeben, die Frage ruft bei mir einigen Widerstand hervor. Was ich dir schuldig geblieben bin? Was Du mir schuldig geblieben bist – darüber könnte ich Seiten füllen: angefangen damit, dass Du Dich, vor allem seit Luisa auf der Welt ist, immer weiter von uns entfernt hast und in Deiner Arbeitswelt verschwunden bist. Dort bist Du der bei allen beliebte Kollege, für jeden ein offenes Ohr! Und zu Hause tust Du nur noch das Nötigste und verdrückst Dich am liebsten hinter den PC. Du lässt mich allein mit so vielen Entscheidungen, die zu treffen sind – die Tagesmutter für Luisa aussuchen, ob und wenn ja, wie viel ich wieder in den Beruf einsteige, sogar unsere Urlaube plane ich inzwischen allein! So habe ich mir unser Familienidyll nicht vorgestellt! Gut, aber das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Was bin ich Dir schuldig geblieben? Du würdest wahrscheinlich antworten, dass ich Dir Toleranz schuldig geblieben bin. Dass ich Dich mehr lassen sollte, wie Du [20]bist, anstatt an Dir «rumzuerziehen» – Dein Lieblingswort in diesem Zusammenhang.
Ich war so überzeugt gewesen, dass Du genau der Richtige für mich bist. Damals, als wir uns kennen lernten. Dein Witz, Deine lustigen Einfälle, Deine Geschichten aus aller Welt, die Du als Reiseleiter gesammelt hattest. Unsere erste gemeinsame Reise – wie verrückt das alles war! Das war für mich eine neue Welt, in die Du mich entführt hast. Meine Welt bestand bis dahin aus Planung und Struktur. Das waren schon immer die Säulen meines Lebens gewesen. Mit meinem Organisationstalent war ich als Hotelfachfrau schnell zur Hotelmanagerin aufgestiegen. Du hast mich bewundert mit meinem selbstbewussten Auftreten und wie souverän ich mit meinen Führungsaufgaben umgehen konnte. Auch im Sex war ich die Mutigere und es machte mir Spaß, Dich rumzukriegen, wenn Du faul auf dem Sofa lagst.
Wenn Du mal die Initiative übernommen hast, ob im Sex oder auch bei Deinen «Sollen-wir-nicht-heute-mal»- Einfällen, habe ich Dich oft abblitzen lassen, weil ich mich auf so spontane Aktionen nicht einlassen wollte. Da bin ich Dir sicher schuldig geblieben, mich auch mal auf Deine Wünsche und Bedürfnisse einzulassen. Immer musste ich irgendeinen Plan durchziehen.
Mein größter Plan war: heiraten und dann gleich das erste Kind. Dann das zweite und dann wieder in den Beruf einsteigen – vielleicht ein eigenes Hotel führen gemeinsam mit Dir. Du warst mit allem einverstanden, auch damit, sesshaft zu werden. Denn Deine vielen Reisen hätten mit meinen Vorstellungen von Familienleben nicht zusammengepasst. Du hast eine Stelle in einem Reisebüro gefunden. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher, ob Du wirklich aus eigener Entscheidung da mitgemacht hast oder nur mir zuliebe. Und ich habe es versäumt, mit Dir gemeinsam einen Plan für die Zukunft zu schmieden.
Dann kam Luisa. Ich hörte schon bald in der Schwangerschaft auf zu arbeiten, weil ich mir noch jede Menge Überstunden anrechnen lassen konnte. Wie schwer mir der Abschied von den Kollegen [21]und von der Arbeit fiel! Dein Kommentar war nur: «Sei doch froh!» Du hattest gerade einen Streit mit Deiner Chefin angefangen und warst vollkommen absorbiert. Ich saß allein in diesem Loch, in dieser Leere – und stürzte mich mit Feuereifer auf die Baby-Vorbereitung. Hier sah ich wieder neuen Sinn. Ich würde mich perfekt organisieren, die Baby-Mutterzeit, unter der viele so stöhnen, mit links erledigen.
Damals hat schon unsere Entfremdung voneinander angefangen. Wenn Du von Deinem Stress im Geschäft geredet hast, habe ich kaum zugehört. Und Deine Beteiligung an allem, was mit Anschaffungen für das Baby zusammenhing, war mir immer zu wenig. Und nicht nur Anschaffungen – der ganze emotionale Aufruhr, die vielen, sich oft widersprechenden Informationen, die Angst, etwas falsch zu machen oder zu übersehen – bei allem habe ich mir eingeredet: «Das interessiert Matthias ja doch nicht. Damit brauche ich dem gar nicht zu kommen.» Damals hätte ich Dir viel deutlicher zeigen sollen, wie sehr ich mir Deine Unterstützung wünschte. Du hast sicher gedacht: Das macht die ganz allein – da braucht die mich nicht dabei. Und ich bin Dir schuldig geblieben, Dich zu unterstützen, Dir zuzuhören.
Und so ging es nach der Geburt weiter. In meiner Erinnerung an die ersten Wochen mit Luisa bist Du nur verschwommen vorhanden. Ich war mit diesem kleinen Wesen, das von mir abhängig war und das ich doch so wenig kontrollieren konnte, vollauf beschäftigt. Warten, dass sie einschläft – damit ich wenigstens mal duschen gehen konnte – warten, dass sie aufwacht, um mit ihr spazieren zu gehen. Mein Alltag bestand aus Warten und Reagieren – planvoll und strukturiert sieht anders aus. Dazu der Schlafmangel! Ich war unausstehlich zu Dir. Du mit Deiner Unabhängigkeit und Deinen festen Arbeitszeiten! Was immer Du mit Luisa gemacht hast, es war in meinen Augen erstens nicht richtig und zweitens nicht genug. Ja, eigentlich hätte ich es gebraucht, dass Du es einfach auf Deine Art machst und Dich von mir nicht rumkommandieren lässt. Ich bin Dir schuldig geblieben, Dir Luisa wirklich zu überlassen [22]– sie in Deine Verantwortung zu geben, wenn Du Dich mit ihr beschäftigt hast. Stattdessen habe ich Dich behandelt wie einen «Mitarbeiter, der sich an die Regeln des Hauses zu halten hat» (So hast Du es einmal formuliert!).
Du warst vielleicht sogar froh, dass Du wegen der Krise in der Tourismusbranche mit vielen Überstunden und tagelangen Messeauftritten für den Erhalt Deines Arbeitsplatzes kämpfen musstest.
Aus Ärger und Erschöpfung gleichermaßen hatte ich keinerlei Lust mehr auf Sex. Du hast es hingenommen und bist aus dem Schlafzimmer ausgezogen. Unsere Gespräche reduzierten wir auf das Notwendigste. Dafür kam es immer häufiger zu verletzenden Bemerkungen – ja, auch von meiner Seite –, die jedoch nicht in eine Aussprache führten, sondern das Schweigen zwischen uns nur noch dichter werden ließen. Ich redete mir ein, dass mir das Schweigen lieber sei, als niedermachende Kommentare von Dir zu hören. Das Schweigen war wie ein Schutzwall für mich. Aber tief in meinem Inneren wurden meine Sehnsucht nach Dir und mein Verlassenheitsgefühl immer größer. Viel zu lange haben wir diesen Zustand ausgehalten. Matthias, ich bin Dir schuldig geblieben, mich Dir zu öffnen. Dir meine Gefühle mitzuteilen und nicht locker zu lassen, bis Du zuhörst, bis Du reagierst. Ich bin Dir schuldig geblieben, meinen Anteil an unserer Distanzierung anzuerkennen – so, wie er mir jetzt im Rückblick und indem ich es aufgeschrieben habe, klar geworden ist.
Helen
[23]In diesem Brief wird deutlich, wie es «ganz normalen», fähigen und in vielen Bereichen erfolgreichen Frauen und Männern in dieser Situation ergehen kann und was die beiden dafür tun, ihre Probleme miteinander zu lösen. Sie haben gemeinsam eine Paartherapie begonnen und in diesem Brief macht die Frau einen zentral wichtigen Schritt: Sie verharrt nicht in Anklage gegen ihren Mann, sondern nimmt viele Anteile an den Problemen auf sich und schafft damit eine wesentliche Voraussetzung für kooperative Lösungen. Wir werden im Folgenden immer wieder auf dieses Paar zurückkommen.
[24][25]3. Kapitel: Alles ändert sich. Über das Zusammenspiel des Paares, wenn ein Kind kommt
Vor der Geburt
Schon zu dem Zeitpunkt, wenn einer der beiden Partner den Wunsch nach einem Kind zu spüren beginnt, meldet sich dieses Kind als ein «neues Drittes», auf das sich das Paar von nun an bezieht. Auch wenn es noch lange nicht geboren ist, ja vielleicht auch gar nie gezeugt wird, verändert es das Zusammenleben des Paares. Denn es geht hier um eine Entscheidung, die einschneidende Konsequenzen haben wird. Wie mit dieser Entscheidung umgegangen wird, hat nicht selten gravierende Auswirkungen darauf, ob es mit dem Zusammenleben des Paares gut weitergeht oder nicht. Wir beginnen daher mit unseren Ausführungen beim Entscheidungsprozess des Paares für oder gegen ein Kind. Bevor wir dann über Schwangerschaft und Geburt sprechen werden, stellen wir noch einige Überlegungen an über die Wichtigkeit der Qualität der Paarbeziehung für das weitere Geschehen und über die Möglichkeiten für Paare, diese Qualität zu sichern oder zu verbessern.
[26]Die Entscheidung des Paares für das gemeinsame Kind
Welche Art von Entscheidung ist optimal – sowohl für das Kind als auch für den weiteren guten Bestand der Paarbeziehung? Zweifellos ist es die bewusste und gemeinsame Entscheidung beider Partner, der Frau und des Mannes, für das Kind. Daran fehlt es bereits bei Helen und Matthias. Helen schreibt: «Mein (!) größter Plan war: heiraten und dann gleich das erste Kind…» Und aus späterer Sicht: «Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob Du wirklich aus eigener Entscheidung da mitgemacht hast. Und ich habe es versäumt, mit Dir gemeinsam einen Plan für die Zukunft zu schmieden.» (s. S. 22) Offensichtlich beginnen hier bereits die Schwierigkeiten in der Beziehung zu Matthias.
Eine eindeutige und einvernehmliche Entscheidung für ein Kind zu fällen, ist heute bedeutend schwieriger geworden, als es in der Vergangenheit war. Bis ins 19. Jahrhundert und vielfach auch noch in der ersten Hälfte des zwanzigsten war schon die vorausgehende Partnerwahl viel weniger von subjektiven und damit unsicheren Kriterien geprägt, wie dies heute der Fall ist: Liebesgefühle sind für heutige Paare die Grundlage für alles Weitere. In puncto Liebe müssen nach allgemeiner Überzeugung die beiden Partner übereinstimmen oder einander ergänzen, gegenseitige sexuelle Anziehung muss spürbar sein, und zwar möglichst stark, die beiden sollen «ein Herz und eine Seele» sein. Nur dann können sie es wagen, eine verbindliche Entscheidung füreinander und ihr weiteres gemeinsames Leben zu treffen.
Das alles spielte früher für die Partnerwahl eine viel geringere Rolle als heute. Entscheidend waren vielmehr die gesellschaftliche Stellung der beiden, das Ansehen und die wirtschaftlichen Verhältnisse. Wenn da alles «stimmte», gab es keinen Grund, nicht um die Hand der «Auserwählten» anzuhalten, und auch von ihrer Seite, nicht zuzustimmen. Liebes-Gefühle spielten für das Eingehen einer Lebensbeziehung damals kaum eine Rolle – ganz im Gegensatz zu heute.2 Und wenn man verheiratet war,[27] dann oblag es nicht mehr der freien Entscheidung des Ehepaars, ob es Kinder wollte oder nicht. Kinder gehörten zur Ehe einfach dazu, abgesehen davon, dass man ja auch nur über sehr eingeschränkte oder gar keine Möglichkeiten zur Geburtenregelung verfügte.