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"Vom Glasscherbenviertel an die Spitze der Tech-Welt" – so beschreibt das Forbes Magazin den außergewöhnlichen Lebensweg von Annahita Esmailzadeh. Als Tochter iranischer Einwanderer in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen, ist die vielfach ausgezeichnete Wirtschaftsinformatikerin, Microsoft-Managerin und Bestsellerautorin heute eine der einflussreichsten Business-Influencerinnen im DACH-Raum. In diesem Buch teilt Esmailzadeh ungeschönt und ohne Umschweife ihre Erfolgsgeheimnisse – direkt aus den Führungsetagen der weltweit renommiertesten Konzerne. Sie deckt die unsichtbaren Spielregeln auf, die entscheidend sind, um in der modernen Geschäftswelt nicht nur zu überleben, sondern nachhaltig erfolgreich zu sein, und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Mit scharfsinnigem Blick entlarvt sie die subtilen Mechanismen und Machtstrukturen, die Karrieren beeinflussen, und zeigt, worauf es wirklich ankommt. Dieses Buch ist nicht nur eine Sammlung von exklusiven Erfahrungen – es ist eine Anleitung, um in einem Umfeld, das von Komplexität und Konkurrenz geprägt ist, kraftvoll und selbstbestimmt den eigenen Weg zu gehen. Um den Transfer in die Praxis für die Leserinnen und Leser zu vereinfachen, werden sie durch zahlreiche Übungen und Reflexionsfragen der renommierten Gründerin, Bestsellerautorin, Top-Executive-Coach und Linkedin Top Voice Swantje Allmers dabei unterstützt, die Inhalte in die Realität umzusetzen.
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Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2025
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[248]Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de/ abrufbar.
Print:
ISBN 978-3-68951-027-5
Bestell-Nr. 12095-0002
ePub:
ISBN 978-3-68951-028-2
Bestell-Nr. 12095-0101
ePDF:
ISBN 978-3-68951-029-9
Bestell-Nr. 12095-0151
Annahita Esmailzadeh & Swantje Allmers
Was du nicht hören willst
1. Auflage, April 2025
© 2025 Haufe-Lexware GmbH & Co. KG
Munzinger Str. 9, 79111 Freiburg
www.haufe.de | [email protected]
Bildnachweis: Cover: © Sima Dehgani für Marc Cain
Rückseite: © Sapna Richter (Annahita Esmailzadeh),
Sebastian Fuchs (Swantje Allmers)
Lektorat: Ursula Thum, Text+Design Jutta Cram
Produktmanagement: Elisabeth Heueisen
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten. Alle Angaben/Daten nach bestem Wissen, jedoch ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.
Dieses Buch ist kein klassischer Karriereratgeber. Hier findet ihr keine Produktivitäts-Hacks oder die üblichen Motivationsfloskeln. Uns war es wichtig, ein Buch zu schreiben, das in die Tiefe geht, einen ganzheitlichen, empathischen und praxisnahen Ansatz verfolgt und dabei schonungslos ehrlich bleibt. Wir, das sind Annahita Esmailzadeh, Microsoft-Managerin und eine der einflussreichsten Business-Influencerinnen im deutschsprachigen Raum, sowie Swantje Allmers, Unternehmerin, Top-Executive-Coach und eine der bekanntesten Stimmen der neuen Arbeitswelt.
Annahita teilt in diesem Buch ungeschönt ihre Erfahrungen aus den weltweit renommiertesten Konzernen und deckt die unsichtbaren Spielregeln und Erfolgsgeheimnisse auf, die entscheidend sind, um in der modernen Geschäftswelt nicht nur zu bestehen, sondern nachhaltig erfolgreich zu sein.
Damit ihr das Gelernte direkt umsetzen könnt, unterstützt euch Swantje mit zahlreichen Übungen, Umsetzungsimpulsen und Reflexionsfragen am Ende jedes Kapitels. Diese helfen euch dabei, die Inhalte in eure Realität zu übertragen und konkret anzuwenden.
Wie ihr den Praxisteil nutzt, ist ganz euch überlassen: Ihr könnt die Übungen sofort nach jedem Kapitel bearbeiten, sie nach der vollständigen Lektüre angehen oder gezielt die [8]Impulse auswählen, die für euch im Moment den größten Mehrwert bieten.
Unser Tipp: Macht euch schriftliche Notizen, um den größtmöglichen Nutzen aus den Übungen zu ziehen. Kauft euch ein schönes Notizbuch, wenn ihr gern mit der Hand schreibt, und nutzt es nur für diesen Zweck. Natürlich könnt ihr eure Erkenntnisse auch digital festhalten, wenn euch das besser liegt.
Wir wünschen euch viel Freude beim Lesen und viel Erfolg bei der Umsetzung.
Es ist Frühsommer 2024. Ich sitze auf einer umgedrehten Getränkekiste und bin umgeben von laut tosenden Trocknungsmaschinen und Ventilatoren. Während ich diese Zeilen auf meinem Laptop tippe und dabei erfolglos versuche, eine einigermaßen erträgliche Sitzposition zu finden, laufen hektisch Handwerker um mich herum, die gerade meine Küche demontieren und sich bei meinem offensichtlich seltsam anmutenden Anblick merklich irritierte Blicke zuwerfen. Tja, was soll ich sagen, Jungs? Ich hätte mir selbst auch einen malerischeren Ort gewünscht, um den Einstieg meines Buchs zu schreiben, als mein nach einer Jahrhundertflut mit Wasser und Schlamm vollgelaufenes Haus, das nun, wie ich in den nächsten Minuten erfahren würde, mindestens ein halbes Jahr lang nicht mehr bewohnbar sein würde.
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Meine Beiträge auf den sozialen Netzwerken vermittelten den Eindruck eines scheinbar makellosen Lebens.
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Dabei war mein Jahr – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – äußerst vielversprechend gestartet: Kurz bevor das idyllische Bächlein vor meinem Garten zu einem reißenden [10]Fluss in meinem Garten wurde, war ich noch beim 70-jährigen Jubiläum des Verbands deutscher Unternehmerinnen nach Bundeskanzler Scholz auf der Bühne gestanden, hatte auf Einladung der Landtagspräsidentin Aigner als Ehrengast eine Laudatio im Bayerischen Landtag gehalten und war im Frühstücksfernsehen eingeladen, wo ich über meinen wenige Monate zuvor erschienenen SPIEGEL-Bestseller sprechen durfte. Meine Erfolgsserie aus dem Vorjahr mit zahlreichen Auszeichnungen, Medienberichten und sogar einer von mir entworfenen Business-Handtasche schien nicht abzureißen. Meine Beiträge auf den sozialen Netzwerken vermittelten den Eindruck eines scheinbar makellosen Lebens, in dem ich – stets perfekt gestylt – meinen anspruchsvollen Managerjob bei Microsoft, mein Autorinnendasein, Auftritte vor Tausenden von Menschen sowie rote Teppiche und glamouröse Veranstaltungen mit Leichtigkeit miteinander zu vereinen schien.
Doch was man auf Social Media nicht sah, war, dass hinter den Kulissen nicht alles so schillernd, rosig und mühelos ablief, wie es nach außen hin den Anschein vermittelte. Nur wenige Monate vor der Flut hatten mein langjähriger Partner und ich uns getrennt. Wenige Tage nach der Flut erlitt der Lebensgefährte meiner Mutter einen schweren Schlaganfall und verstarb. Ich versuchte, so gut es ging, meiner Mutter in dieser schweren Zeit beizustehen, meinen Verpflichtungen aus meinem Job weiterhin gerecht zu werden und gleichzeitig die aufwendige Sanierung meines zerstörten Hauses zu bewältigen.
Um die enormen Kosten, die aus den Schäden durch die Flut resultierten, zu finanzieren, intensivierte ich zusätzlich zu meinem Vollzeitjob meine Nebentätigkeiten und arbeitete oft bis zur Erschöpfung. An vielen Tagen fühlte ich mich schlichtweg überfordert und ausgelaugt. Doch nach außen erhielt ich weiterhin die starke und kontrollierte Fassade aufrecht. Ich führte Mitarbeitergespräche, als sei nichts gewesen, stand auf [11]Bühnen, nahm Preise entgegen und gab Interviews. Auch auf Social Media wirkte alles so, als ließe ich mich von nichts aus der Ruhe bringen, während mir die Phase jedoch stark an die Substanz ging.
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Auf sozialen Netzwerken sehen wir oft nur die Erfolgsgeschichten und Sonnentage der anderen.
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Genau hier liegt aber ein wesentliches Problem: Während wir uns selbst in Momenten von Unsicherheit, Überforderung oder Misserfolg erleben, sehen wir auf sozialen Netzwerken oft nur die Erfolgsgeschichten und Sonnentage anderer.
Dieser Kontrast erzeugt ein schiefes Bild – von uns selbst und von der Welt um uns herum. Soziale Medien haben eine ausgesprochen tiefgreifende und gefährliche Macht, unsere Vorstellungen von Erfolg und Glück zu prägen – und nachhaltig zu verzerren. Leon Festinger1 formulierte schon in den 1950er-Jahren »A Theory of Social Comparison Processes«, wonach sich Menschen permanent mit anderen vergleichen, um ihre eigenen Leistungen, Meinungen und Probleme und damit auch ihr persönliches Glückslevel zu bewerten. Da auf sozialen Netzwerken in der Regel von Nutzerinnen und Nutzern allerdings ausschließlich positive Aspekte ihres Lebens – wie persönliche oder berufliche Erfolge, besondere Meilensteine oder materielle Besitztümer – geteilt werden, kann der ständige Konsum dieser idealisierten Inhalte uns unsicher und unzufrieden oder gar depressiv machen.
Die Algorithmen auf den sozialen Netzwerken tun hierfür ihr Übriges: Basierend auf unseren bisherigen Interaktionen werden uns verstärkt Inhalte ausgespielt, die uns potenziell gefallen. Wir landen also in Filterblasen und Echokammern, die uns immer mehr polierte Fassaden aus dem vermeintlichen [12]Alltag anderer zeigen und bei uns Gefühle der Isolation und Unzulänglichkeit auslösen oder verstärken können. Auch Studien machen deutlich, dass es uns unglücklich machen kann, unser eigenes Leben mit den Hochglanzversionen der Leben von Menschen auf Social Media zu vergleichen. Im Rahmen einer chinesischen Studie wurden verheiratete Frauen befragt, um die Folgen sozialer Vergleiche auf Social Media zu untersuchen. Dabei wurde festgestellt, dass diese Vergleiche das Depressionsrisiko bei den Frauen, die mit ihrer Ehe nicht zufrieden waren, signifikant erhöhten. In diesen Fällen hatte der bei den Frauen durch die Vergleiche entstandene Neid einen erheblichen negativen Einfluss auf ihre psychische Gesundheit.2
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Auf sozialen Netzwerken findet oft eine gezielt geschönte oder gar verfälschte Darstellung der Realität statt.
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Nun ist das Riskante an sozialen Netzwerken nicht nur, dass alltägliche Herausforderungen und Schattenseiten häufig nicht gezeigt werden, sondern auch, dass sogar eine gezielt geschönte oder gar verfälschte Darstellung der Realität stattfindet. Genauso wie gefilterte und nachbearbeitete Bilder online fast schon zum guten Ton gehören und uns in vielen Fällen gar nicht mehr groß auffallen, erhalten wir auf den sozialen Netzwerken auch Einblicke in den Alltag, die Inneneinrichtung, das Familienleben, die Beziehungen sowie die Erfolge von Menschen, die in vielen Fällen nicht den Tatsachen entsprechen.
Ich selbst bewege mich viel in der Social-Media-Welt und erlebe dieses Phänomen auch hinter den Kulissen immer wieder hautnah mit: von inszenierten beruflichen Erfolgen auf LinkedIn, die in Wahrheit nicht im Ansatz so beeindruckend sind, wie sie online dargestellt werden, bis hin zum auf [13]Instagram zur Schau gestellten Luxus-Lifestyle, der sich bei näherem Hinsehen nicht selten als Show entpuppt. Und selbst Beziehungen und Freundschaften sind oft Teil dieser Illusion und dienen häufig nur dazu, Reichweite und Klicks zu generieren. Social Media ist eine Bühne, und viele inszenieren sich darauf wie Schauspieler in einem Theaterstück – mit einer Rolle, die so gut wie nichts mit ihrem echten Leben zu tun hat.
Vor einiger Zeit erlebte ich eine besonders eindrückliche Situation mit, die genau das wieder mal in aller Deutlichkeit zeigte: Ich saß beim Friseur, als eine bekannte Influencerin in Begleitung ihres Mannes in den Salon kam. Ich kannte die beiden von Instagram und nahm ihre Beiträge immer als sympathisch und auch ihren Umgang miteinander als humorvoll und zugleich sehr wertschätzend und liebevoll wahr. Von dieser harmonischen Beziehung war allerdings live nicht mehr viel zu sehen – im Gegenteil. Die beiden sprangen sich in einer Tour gegenseitig verbal an die Gurgel, bevor sie schließlich dazu übergingen, sich zu ignorieren und ihre Aufmerksamkeit ihren Smartphones zuzuwenden. Ich dachte mir zu diesem Zeitpunkt lediglich: Tja, das sind halt auch nur normale Menschen, die so wie wir alle mal einen schlechten Tag haben. Umso verblüffter war ich jedoch, als die beiden irgendwann plötzlich wie auf Knopfdruck umschalteten und eine oscarreife Show als verliebtes Influencerpärchen hinlegten, um Inhalte für ihre Social-Media-Kanäle zu produzieren. Nach der Aufnahme wendeten sie sich wieder voneinander ab und ignorierten sich geflissentlich weiter. Ich sah mir die Stories daheim fasziniert an und hätte – wäre ich an dem Tag nicht dabei gewesen – bei der filmreifen Darbietung niemals vermutet, dass die beiden sich erst Minuten zuvor noch fast die Augen ausgekratzt und sich danach keines Blickes mehr gewürdigt hatten.
Auch bekannte Beispiele wie der Fall der australischen Gesundheitsbloggerin Belle Gibson, die online vorgab, mit ihrer [14]besonderen Ernährungs- und Lebensweise ihren Hirntumor besiegt zu haben, machen deutlich, wie leicht es ist, virtuell eine glaubwürdige Fake-Fassade zu inszenieren und Abertausende Menschen in die Irre zu führen. Bevor herauskam, dass sie niemals an Krebs erkrankt war, wurde sie mit ihrer falschen Leidens- und Genesungsstory so erfolgreich, dass ihre Gesundheits-App »The Whole Pantry« sogar vom US-Konzern Apple für dessen neue Smartwatch ausgewählt wurde, ihr gleichnamiges Kochbuch es auf die Bestsellerliste schaffte und das Magazin »Elle« sie zur inspirierendsten Frau des Jahres kürte.3
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Äußerlicher Erfolg kann nicht automatisch mit einem glücklichen und erfüllten Leben gleichgesetzt werden.
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Doch nicht nur falsche Inszenierungen und Täuschungen stellen auf Social Media eine große Gefahr dar und können unseren Glücks- und Erfolgsbegriff ungesund verzerren. Ein weiterer Aspekt, den wir nicht außer Acht lassen sollten, ist, dass äußerlicher Erfolg nicht automatisch mit einem glücklichen und erfüllten Leben gleichgesetzt werden kann. Trotz seines großen Erfolgs und seiner Beliebtheit kämpfte der weltweit gefeierte Schauspieler und Komiker Robin Williams etwa viele Jahre mit Depressionen und Angstzuständen, bevor er sich im Jahr 2014 das Leben nahm.
Ich erlebe oft, dass Menschen, die mich nur aus den Medien oder sozialen Netzwerken kennen, auch von mir ein unrealistisches, idealisiertes Bild haben. Sie sehen das, was an der Oberfläche sichtbar ist: meine Erfolge, meine virtuelle Präsenz, die Höhepunkte meines Lebens. In ihrer Wahrnehmung scheine ich ein perfektes Leben zu führen, in dem ich stets weiß, was zu tun ist, und jeden Tag alles im Griff habe. Doch [15]was sie nicht sehen – und was ich ihnen auch nicht immer zeige –, sind die Kämpfe, die hinter diesen Erfolgen stehen. Die Nächte, in denen ich wach liege und mich frage, ob ich den Erwartungen gerecht werde – vor allem meinen eigenen. Sie sehen nicht die zahlreichen privaten Tiefpunkte der letzten Jahre, die Rückschläge, die Sorgen sowie die unzähligen Male, in denen ich hinfalle und mich mühsam wieder aufrappeln muss.
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Wir jagen häufig unrealistischen Bildern von Erfolg hinterher oder streben nach Idealen, die uns auf sozialen Netzwerken vermittelt wurden.
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Vielleicht fragt ihr euch, wieso ich den Fokus gleich zu Beginn auf diese Thematik lege. Ganz einfach: Wir jagen häufig unrealistischen Erfolgsbildern hinterher, die wir aus den sozialen Netzwerken übernehmen, oder streben nach Idealen, die uns dort vermittelt wurden. Ohne kritisches Hinterfragen übernehmen wir diese Vorstellungen und streben damit nach Zielen, die nicht nur unrealistisch sind, sondern möglicherweise auch gar nicht unseren inneren Wünschen und Werten entsprechen.
Daher ist es unerlässlich, dass wir regelmäßig innehalten und unsere Definition von Erfolg kritisch reflektieren: Welche Erwartungen treiben uns tatsächlich an? Sind es wirklich unsere eigenen Wünsche oder folgen wir unbewusst den Vorstellungen und Idealen anderer? Finden wir den Mut, Fragen wie diese ehrlich zu beantworten und unseren Weg nach unseren Werten und Bedürfnissen auszurichten, können wir nicht nur authentischer, sondern auch weitaus erfüllter leben.
Die Scheinwelt im Außen suggeriert uns ein oberflächliches Verständnis von Erfolg. Wenn wir es nicht hinterfragen, laufen wir schnell einer Fata Morgana hinterher, die weder real noch erreichbar ist. Oder wir geben alles, um äußerliche Attribute von Erfolg zu erlangen, die uns in keiner Weise erfüllen. Beides hält uns davon ab, wirklich erfolgreich und glücklich zu sein. Wollen wir aber genau das erreichen, müssen wir wissen, was Erfolg für uns persönlich ausmacht.
Die folgenden Leitfragen4 helfen dir dabei, das herauszufinden. Nimm dir ungefähr 30 Minuten Zeit und arbeite an deiner Erfolgsvision. Du kannst hierzu Stichworte oder vollständige Sätze aufschreiben. Die Leitfragen dienen dabei nur deiner Inspiration. Du kannst sie gern anpassen und ergänzen.
Stell dir bei der Bearbeitung der Fragen vor: Du lebst das Leben deiner Träume – wie sieht es aus? Alles ist möglich. Denk nicht darüber nach, ob deine Vision realistisch ist oder wie du sie konkret umsetzt, sondern lass deinen Wünschen und Ideen freien Lauf. Um alles andere kümmern wir uns später.
Wer und was umgibt dich?
Beschreibe die Umgebung in deinem Erfolgsszenario.
Wie sieht dein Arbeitsplatz aus, dein Haus oder deine Wohnung?[17]Was umgibt dich?Welche Menschen hast du in deiner Nähe und was macht sie für dich besonders?Wie verhältst du dich?
Begib dich gedanklich in die Umgebung deines Erfolgsszenarios und beschreibe, was sich für dich am besten anfühlt.
Womit verbringst du deinen Tag, womit deine Woche?Wie teilst du deine Zeit auf deine verschiedenen Lebensbereiche auf?Welche Fähigkeiten zeichnen dich aus?
Schreib die Kompetenzen auf, die dich in deinem Erfolgsszenario ausmachen.
Worin bist du besonders gut, was fällt dir leicht?Für welche Fähigkeiten schätzt dich dein Umfeld?Woran glaubst du? Was ist dir wichtig?
Reflektiere die Werte, die in deinem Erfolgsszenario für dich bedeutsam sind.
Was denkst du zum Beispiel über Arbeit, Geld, Menschen, Liebe, Zeit, Ziele, Macht, Work-Life-Balance oder Gesundheit?Was sind die wichtigsten Werte, die dein Handeln leiten?Wer bist du?
Beschreibe dich in deinem Erfolgsszenario.
Wofür stehst du?Was macht dich persönlich aus?Was bewirkst du in dieser Welt?Was ist dein persönlicher Erfolgsbegriff?
Schreibe den Begriff »Erfolg« in die Mitte eines Blattes und bau dir deine eigene Mindmap.
Welche Wörter fallen dir rund um »Erfolg« ein?[18]Welche weiteren Verästelungen (Unterpunkte) ergeben sich?Welche Begriffe sind dir besonders wichtig, welche weniger?Übrigens: Es lohnt sich, nach dem Lesen dieses Buches einen zweiten Blick auf dein Erfolgsszenario zu werfen und zu prüfen, ob du noch etwas ergänzen oder verändern möchtest.
Fast alle Menschen mit iranischen Wurzeln teilen dasselbe Schicksal: die schon von klein auf himmelhohen Erwartungen ihrer Eltern an sie. Auch ich blieb davon nicht verschont. Mich würde es nicht überraschen, wenn meine Eltern schon im Kreißsaal detaillierte Pläne für mich ausgearbeitet hätten, wie mein beruflicher und akademischer Werdegang nach ihrer Idealvorstellung zu verlaufen habe. Dass ich definitiv mal studieren würde, stand schon mal außer Frage. Und auch die Auswahl potenzieller Studiengänge und damit auch Berufsfelder war klar vorgegeben: Ärztin, Anwältin oder – wenn alle Stricke reißen – Ingenieurin. Sozusagen die Sicherheitslösung, falls mein Leben sonst komplett entgleisen würde.
Nun hatte ich aber 18 Jahre später – zum großen Entsetzen meiner Eltern – einen viel zu schlechten Abischnitt für Medizin, keinerlei Interesse an Jura und Physik vor dem Abi abgewählt. Die Vorauswahl meiner Eltern kam damit nicht mehr infrage. Nach einer ausführlichen Online-Recherche mit dem alleinigen Fokus auf vielversprechende Karriere- und Gehaltschancen und unter gänzlicher Ausblendung meiner »unvernünftigen« Interessensgebiete und Neigungen entschied ich mich schließlich für ein Studium der Wirtschaftsinformatik.
Die Begeisterung meiner Eltern, als ich ihnen meine Entscheidung mitteilte, hielt sich dennoch stark in Grenzen. Es [20]folgte ein Schulterzucken – die höchste Form iranischer Zurückhaltung – und ein stoisches, aber dennoch nicht ganz undramatisches Kopfschütteln darüber, was das bitte für ein seltsamer Studiengang sein sollte.
Und doch: Einige Jahre später hatte ich – zu meiner eigenen Überraschung – einen sehr guten Masterabschluss und einen begehrten Consultingjob in einem renommierten IT-Konzern in der Tasche. Als ich meiner Mutter die frohe Botschaft verkündete, zog sie lediglich ihre perfekt gezupfte rechte Augenbraue hoch und fragte skeptisch: »Und, wann machst du dann jetzt endlich deinen Doktor?«
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Die Prägung durch die Erziehung meiner Eltern sowie ihre an mich adressierten Wünsche und Erwartungen begleitet mich bis heute.
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Nun, ich gehe stark davon aus, dass meine Eltern ihre Enttäuschung über meine damalige Studienwahl und die bis heute ausstehende Promotion inzwischen halbwegs überwunden haben. Die Prägung, die ich durch ihre Erziehung sowie ihre an mich adressierten Wünsche und Erwartungen bewusst wie unbewusst erhalten habe, begleitet mich allerdings bis heute.
Meine Eltern kamen jeweils Mitte der 1980er-Jahre aus dem Iran nach Deutschland. In München fanden sie nicht nur eine neue Heimat, sondern auch einander. Über gemeinsame Freunde lernten sie sich kennen, heirateten nach ein paar Jahren und bekamen mich – ihr einziges Kind.
Von Beginn an war ihr Leben geprägt von harter Arbeit. Mein Vater war Taxifahrer, hatte Schichten mit oft mehr als zwölf Stunden, sieben Tage die Woche. Meine Mutter stand tagsüber in einem Unterhaltungselektronikgeschäft hinter der [21]Ladentheke. Ich war ein klassisches Schlüsselkind – und später, ab meinem 14. Lebensjahr, auch ein Scheidungskind.
Geld war ein Thema, das meine Eltern zwar belastete, aber bei uns selten zur Sprache kam. Zumindest nicht vor mir. Meine Eltern taten alles, damit es mir an nichts fehlte. Doch spätestens nach meinem Wechsel aufs Gymnasium merkte ich, dass meine Welt nicht die gleiche war wie die der meisten meiner Mitschüler und Mitschülerinnen. Es waren nicht einmal die großen Unterschiede, die mir das bewusst machten – nicht die Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten, in denen viele von ihnen wohnten, während ich in einem Plattenbau aufwuchs, oder die Reisen, die sie zu exotischen Reisezielen machten, die ich nur aus Büchern oder aus dem Fernsehen kannte. Es waren eher die kleinen, unscheinbaren Momente, die sich mir nachhaltig einprägten.
Ich erinnere mich etwa noch gut daran, wie ich meine Mutter als junges Mädchen in ein Bekleidungsgeschäft begleitete. Wir suchten ein Kleid für eine Hochzeit, zu der wir eingeladen waren. Meine Mutter probierte ein bodenlanges Kleid aus dunkelblauem Samt an – elegant, wunderschön, wie für sie gemacht. Ich erinnere mich, wie sie lange vor dem Spiegel stand, sich darin betrachtete und lächelte. Doch dann änderte sich plötzlich ihr Blick. Ohne ein Wort zu sagen, hängte sie das Kleid zurück. Später erklärte sie mir beiläufig, es sei zu teuer gewesen.
Als Kind konnte ich die Tragweite dieses Moments noch nicht ganz begreifen, doch die Situation brannte sich unauslöschlich in mein Bewusstsein ein. Es waren Erlebnisse wie dieses, die mein tiefes Verlangen nach finanzieller Unabhängigkeit befeuerten – ein Wunsch, der sich im Laufe der Jahre zu einem meiner größten Antreiber entwickeln sollte. Gepaart mit den mantraartigen Aufforderungen meiner Eltern, unbedingt etwas aus meinem Leben zu machen, damit ich es eines Tages einfacher haben würde als sie, wuchs in mir eine unerschütterliche Entschlossenheit heran.
[22]Inzwischen wird mir mit jedem Tag klarer, wie stark nicht nur die leistungsorientierte Erziehung meiner Eltern, sondern vor allem auch meine nicht privilegierte soziale Herkunft meinen Weg und meine Denkweise beeinflusst haben. Und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin.
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Unsere soziale Herkunft entscheidet maßgeblich darüber, welchen beruflichen Weg wir einschlagen und wie viel Unterstützung wir erfahren.
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Unsere soziale Herkunft entscheidet maßgeblich darüber, welchen beruflichen Weg wir einschlagen und wie viel Unterstützung wir auf diesem Weg erfahren. Sie prägt unsere Wahrnehmung der Welt sowie unser Denken, bestimmt, welche Chancen sich uns eröffnen, und beeinflusst, wie herausfordernd oder auch vorteilhaft unsere Start- und Rahmenbedingungen sind: Sei es das finanzielle Kapital unserer Eltern, ihr Bildungsniveau, ihr Netzwerk oder der Habitus, den wir von ihnen übernehmen – all das formt unseren Weg. Und das lange, bevor wir selbst bewusst Entscheidungen treffen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschreibt diesen Einfluss mit seinem Konzept des ökonomischen, kulturellen, sozialen und symbolischen Kapitals:1
Ökonomisches Kapital: Dazu gehören alle finanziellen Ressourcen wie Einkommen und Vermögen, die den Zugang zu hochwertiger Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen essenziellen Dienstleistungen erleichtern.
Kulturelles Kapital: Hierunter fallen Bildung, Wissen und kulturelle Kompetenzen, die innerhalb der Familie weitergegeben werden. Beispielsweise kommen Kinder [23]aus bildungsnahen Haushalten von klein auf mit Literatur, Kunst und Musik in Berührung, was ihnen auf ihrem späteren Bildungs- und Berufsweg Vorteile verschafft.
Soziales Kapital: Dazu zählen Netzwerke und Beziehungen, die Individuen nutzen können, um Unterstützung zu erhalten oder bestimmte Ziele zu erreichen. Ein starkes soziales Netzwerk kann beispielsweise bei der Jobsuche oder beim Zugang zu bestimmten Institutionen hilfreich sein.
Symbolisches Kapital: Das sind zum Beispiel Prestige, Anerkennung und Ehre, die einem Individuum in der Gesellschaft zugeschrieben werden. Symbolisches Kapital kann den sozialen Status erhöhen und den Zugang zu bestimmten Kreisen oder Ressourcen erleichtern.
Diese Kapitalformen sind eng miteinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig. Ein hohes ökonomisches Kapital kann beispielsweise den Erwerb von kulturellem Kapital erleichtern, während ein einflussreiches soziales Netzwerk möglicherweise den Zugang zu ökonomischen Ressourcen fördert. Bourdieu betont, dass diese unterschiedlichen Kapitalarten zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten beitragen, da sie oft innerhalb von Familien weitergegeben werden und somit bestehende soziale Strukturen verfestigen.
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Kinder aus privilegierten Haushalten haben nicht nur Zugang zu Ressourcen, sondern auch das Selbstverständnis, dass ihnen diese Ressourcen zustehen.
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Indem wir die verschiedenen Formen von Kapital und ihre Wechselwirkungen verstehen, können wir auch die Mechanismen besser nachvollziehen, die soziale Mobilität begünstigen [24]oder hemmen. Kinder aus privilegierten Haushalten profitieren nicht nur von besserer Bildung, sondern auch von einem von klein auf erlernten Selbstbewusstsein im Umgang mit Institutionen, Sprache und Hierarchien. Sie wachsen in einem Umfeld auf, das ihnen nicht nur Zugang zu Ressourcen bietet, sondern ihnen auch das Selbstverständnis vermittelt, dass ihnen diese Ressourcen zustehen. Für sie öffnen sich Türen oft schon deshalb, weil sie gelernt haben, wie man anklopft – oder sie müssen gar nicht erst anklopfen, weil sie ohnehin eingeladen sind. Im Gegensatz dazu erleben Menschen aus weniger privilegierten Verhältnissen häufig, dass ihnen Zugänge fehlen oder sie sich diese erst mühsam erkämpfen müssen. Sie haben nicht automatisch das Netzwerk, das ihnen wohlklingende erste Praktika vermittelt, die im weiteren Karriereverlauf als Door-Opener dienen, oder den Habitus, der sie im Bewerbungsgespräch oder bei Gehaltsverhandlungen souverän auftreten lässt. Oft fehlt ihnen das implizite Wissen, wie bestimmte Spielregeln funktionieren – ganz anders als bei Menschen aus sozioökonomisch privilegierten Hintergründen, für die diese ungeschriebenen Gesetze selbstverständlich sind, weil sie damit von klein auf aufgewachsen sind.
Aber es ist nicht nur der Mangel an den beschriebenen Ressourcen, der Hürden schafft. Auch die internalisierten Vorstellungen davon, was überhaupt möglich ist, können begrenzen. Ein Kind, das in einem Haushalt aufwächst, in dem es keine beruflichen Vorbilder gibt und das auch nicht gezielt unterstützt oder ermutigt wird, wird mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von sich aus eine beruflich ambitionierte Laufbahn einschlagen – einfach weil diese außerhalb seines Erfahrungs- und Erwartungshorizonts liegt. Es wird sich also beispielsweise seltener dafür entscheiden, ein eigenes Unternehmen zu gründen, selbst wenn es alle Fähigkeiten dafür mitbringt. Die Studie »Startups und soziale Herkunft – Was Gründer:innen prägt und antreibt« der Bertelsmann Stiftung und des Startup-Verbands2[25]macht den starken Einfluss des familiären Hintergrunds auf die Entscheidung zur Unternehmensgründung deutlich. Laut der Studie stammt die Mehrheit der Gründerinnen und Gründer aus Akademiker- oder Unternehmerfamilien, die ihnen nicht nur Vorbilder bieten, sondern auch Zugang zu Netzwerken und Unterstützung ermöglichen.
Auch der Bildungserfolg von Menschen korreliert stark mit ihrer sozialen Herkunft. Dies zementiert wiederum bestehende strukturelle soziale Ungleichheiten, da in Deutschland der soziale Aufstieg nach wie vor eng mit dem Erwerb akademischer Abschlüsse verknüpft ist. Damit haben Kinder aus Nichtakademikerhaushalten deutlich geringere Chancen, erfolgreich einen akademischen Bildungsweg zu beschreiten, was ihre Chancen auf beruflichen Erfolg noch einmal zusätzlich mindert. Laut einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 20233 sind junge Erwachsene aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil einen Hochschulabschluss hat, unter den Studienanfängern und -anfängerinnen mit 53 Prozent nahezu doppelt so stark vertreten wie in der Gesamtheit der gleichaltrigen Bevölkerung, in der dieser Anteil bei 28 Prozent liegt.
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Eltern mit Migrationshintergrund haben häufiger höhere Bildungsaspirationen für ihre Kinder als sozioökonomisch vergleichbare Eltern ohne Migrationshintergrund.
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Dass meine Eltern, obwohl sie selbst keinen akademischen Abschluss hatten, so viel Wert auf ein Studium legten, ist allerdings dennoch keine statistische Besonderheit. Empirische Studien zeigen, dass Eltern mit Migrationshintergrund häufiger höhere Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben als sozioökonomisch vergleichbare Eltern ohne Migrationshinter[26]grund. Dieses Phänomen wird als »Aspiration-Achievement-Paradox« bezeichnet.4 Eine Untersuchung des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) zeigt, dass Migrantenkinder häufiger höhere Bildungsziele anstreben, selbst wenn ihre Leistungen im Durchschnitt schlechter sind. Diese Entscheidung wird oft von den Eltern beeinflusst, die Bildung als wesentlichen Hebel für sozialen Aufstieg und beruflichen Erfolg sehen. Hierbei spielt die Migrationserfahrung der Eltern eine entscheidende Rolle. Menschen, die in ein neues Land ziehen, sehen oft eine gute Ausbildung als die wichtigste Möglichkeit, die Chancen ihrer Kinder in der neuen Gesellschaft zu verbessern. Laut Analysen bleibt dieser hohe Bildungsanspruch auch bestehen, wenn die Familie sozioökonomisch benachteiligt ist.5
Menschen mit nicht privilegierter sozialer Herkunft aus Migrantenfamilien befinden sich damit also in einem paradoxen Zwiespalt, wenn es um Bildungschancen geht. Auf der einen Seite sind sie häufig mit systemischen Benachteiligungen konfrontiert, die ihren Bildungserfolg erschweren, wie eingeschränkte finanzielle Mittel, beengte Wohnverhältnisse, weniger schulische Unterstützung und klischeebehaftete Lehrerbewertungen. Auf der anderen Seite motivieren hohe Bildungsziele Kinder häufig dazu, ambitionierte Bildungswege einzuschlagen, und fördern eine starke Leistungsorientierung, die dazu beitragen kann, bestehende Hindernisse zu überwinden. Dies erfordert jedoch häufig einen höheren Aufwand und eine größere Belastung, woran die meisten nachweislich scheitern.
Der »Migrations-Bildungstrichter«6 macht deutlich, wie stark die Bildungsungleichheiten auf jeder Stufe des Bildungssystems zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in Deutschland ausgeprägt sind: Bereits beim Übergang von der Grundschule zum Gymnasium gibt es deutliche Unterschiede: Von 100 Schülerinnen und Schülern mit Migra[27]tionshintergrund wechseln nur 37 aufs Gymnasium, während es bei Schülerinnen und Schülern ohne Migrationshintergrund 57 sind. Dieser Trend setzt sich beim Übergang ins Studium fort: Von den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund beginnen durchschnittlich 27 ein Studium, während es bei ihren Mitschülerinnen und Mitschülern ohne Migrationshintergrund 41 sind.
Insgesamt wird deutlich: Menschen mit Migrationshintergrund haben im deutschen Bildungssystem in etwa halb so große Chancen wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Diese Ungleichheit zeigt sich auf allen Ebenen – von der Grundschule bis zur Promotion. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund zusätzlich aus sozial benachteiligten Familien stammen. Die Effekte einer niedrigen sozialen Herkunft und eines Migrationshintergrunds verstärken sich dabei gegenseitig, was die Chancen auf den Bildungserfolg weiter verschlechtert. Das deutsche Bildungs- und Hochschulsystem schafft es nicht, diese strukturellen Benachteiligungen auszugleichen, sondern verstärkt sie teilweise sogar.
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Unsere soziale Herkunft öffnet oder verschließt Türen – oft bevor wir überhaupt wissen, dass sie existieren.
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Unsere soziale Herkunft legt in Kombination mit intersektionalen Faktoren wie etwa der ethnischen Herkunft also nicht nur den Grundstein für unsere Prägungen und Werte, sondern entscheidet auch maßgeblich darüber, wie leicht oder schwer wir uns auf unserem beruflichen Weg tun. Unsere soziale Herkunft öffnet oder verschließt Türen – oft bevor wir überhaupt wissen, dass sie existieren. Deshalb ist es umso wichtiger, diese Dynamiken sichtbar zu machen und zu hinterfragen. Denn erst wenn wir die Mechanismen begreifen, die Zugang [28]ermöglichen oder verwehren, können wir als Gesellschaft daran arbeiten, ein System zu schaffen, in dem Herkunft nicht länger über Chancen bestimmt.
Doch auch auf individueller Ebene ist das Bewusstsein über die mit unserer sozialen Herkunft sowie Prägung verbundenen Auswirkungen aufschlussreich, um herauszufinden, ob wir tatsächlich unseren eigenen Träumen folgen oder Idealen hinterherjagen, die uns häufig schon von der frühen Kindheit bis in unsere Jugend vom Elternhaus vermittelt wurden. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung sind Eltern für 73 Prozent der jungen Menschen die wichtigsten Unterstützerinnen und Unterstützer bei der Berufswahl.7 Nicht selten passiert es allerdings in dem Rahmen, dass Eltern ihre eigenen unerfüllten beruflichen, aber auch persönlichen Träume auf ihre Kinder projizieren.8
»Nichts hat einen stärkeren psychischen Einfluss auf ein Kind als das ungelebte Leben seiner Eltern«9, erkannte schon früh der Psychiater und Psychoanalytiker C. G. Jung. Was nach außen hin meist wie eine freiwillige Entscheidung wirkt – und auch von uns selbst häufig so wahrgenommen wird –, ist nicht selten das Ergebnis subtil vermittelter Erwartungen unserer Eltern an uns, die wir dann irgendwann internalisiert haben. Ohne dass es uns zwingend bewusst ist, ordnen wir dadurch unsere eigenen Interessen unter – aus dem menschlich tief verankerten Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit heraus. Diese Diskrepanz zwischen der eigenen Identität und dem Streben nach elterlicher Zustimmung führt später oft zu tiefen inneren Konflikten und einer Zerrissenheit zwischen dem, was wir wirklich wollen, und dem, was wir denken, erfüllen zu müssen. In der Konsequenz verlieren wir häufig den Zugang zu unseren eigenen authentischen Bedürfnissen und Wünschen.
Elterliche Projektion kann viele Auswüchse und Gesichter haben: Ein Mann, der vielleicht einst ein vielversprechendes Tennistalent war, das wegen einer Verletzung seine sportliche [29]Karriere an den Nagel hängen musste, verbringt nun jedes Wochenende mit seinem Sohn auf dem Tennisplatz, meldet ihn bei sämtlichen Turnieren an und predigt bei jedem Aufschlag: »Du kannst schaffen, was mir damals verwehrt geblieben ist.« Der Sohn gibt nun alles – aber nicht aus Leidenschaft, sondern aus Pflichtbewusstsein. Und fühlt sich bei jedem verlorenen Match wie ein Versager, der seinen Vater enttäuscht.
Oder die Frau, die aus einer angesehenen Ärztefamilie stammt. Sie träumte einst insgeheim davon, Künstlerin werden, doch wählte sie letztlich aus Sorge davor, ihre Eltern zu enttäuschen, das Medizinstudium. Sie absolvierte es zwar mit Bestnoten, aber weder das Studium noch ihr Beruf als Ärztin erfüllte sie.