Was Sie da vorhaben, wäre ja eine Revolution… - Erhard Eppler - E-Book

Was Sie da vorhaben, wäre ja eine Revolution… E-Book

Erhard Eppler

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Beschreibung

Eppler: »Mir verschafft das bisschen Wirtschaftswachstum überhaupt keine schlaflosen Nächte.« Paech: »Mir schon!« Dass sich etwas ändern muss, darüber sind sie sich einig... Mit Erhard Eppler, Umwelt und Entwicklungspolitiker der ersten Stunde, und Niko Paech, einem der profiliertesten Wachstumskritiker, treffen zwei engagierte Vorkämpfer einer ökologischen Wende aufeinander. Was können die Energiewende und das »grüne Wachstum« leisten? Sind genügsamere Lebensstile mehr als eine Utopie? Und wer steht in der Pflicht: die Bürger oder die Politik? Ein mit Leidenschaft geführter Disput darüber, wie der anstehende gesellschaftliche Wandel vonstattengehen kann.

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Erhard Eppler und Niko Paech
Was Sie da vorhaben,wäre ja eine Revolution …
Ein Streitgesprächüber Wachstum, Politik undeine Ethik des Genug
moderiertvon Christiane Grefe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2016 oekom verlag, MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbH,Waltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Laura Kohlrausch, oekom verlagKorrektorat: Maike SpechtUmschlaggestaltung: www.buero-jorge-schmidt.deUmschlagfoto: © Jacob Radloff, oekom verlagSatz: Ines Swoboda, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96006-166-3
Gefördert aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst

Inhalt

Kapitel 1»Sie waren in meiner Jugend eine Gallionsfigur«
Zwei Generationen der Ökobewegung blicken zurück – nach vorn
Kapitel 2»Eine Zahl kann doch nicht Ziel der Politik sein«
Grüner wachsen versus schrumpfen – und warum wir eine neue Verteilungspolitik brauchen
Kapitel 3»Entschuldigung, Ihr Pessimismus leuchtet mir nicht ein …«
Energiewende versus Lebensstilwende – ein Widerspruch?
Kapitel 4»Das Politische hat eine eigene Würde«
Parteipolitik versus Zivilgesellschaft – und wie beide gemeinsam politische Ausdauer bewirken
Anhang Selektives Wachstum und neuer Fortschritt
Erhard Eppler
Grundlagen der Postwachstumsökonomie: Wie werden wir zukünftig leben?
Niko Paech
Über die Autoren

Kapitel 1»Sie waren in meiner Jugend eine Gallionsfigur«

Zwei Generationen der Ökobewegung blicken zurück – nach vorn
Ein Streitgespräch? Zwischen Erhard Eppler und Niko Paech? Welche Meinungsverschiedenheiten sollten diese beiden Größen der Ökobewegung denn haben? Das werden sich einige Leser fragen, wenn sie dieses Büchlein in die Hand nehmen. Zu Recht: In Epplers Haus hoch über dem mittelalterlichen Kern seiner Heimatstadt Schwäbisch Hall treffen zwei engagierte Vorkämpfer einer ökologischen Wende aufeinander, deren Positionen und öffentliche Rollen auf den ersten Blick ganz nah beieinanderliegen.
Auf der einen Seite des Wohnzimmertischs sitzt der bald 90-jährige, erfahrene, mal leise ironische, mal auch strenge Sozialdemokrat und Intellektuelle, der als einer der ersten Politiker in Deutschland die Dringlichkeit eines Umsteuerns in Richtung Nachhaltigkeit erkannt hat. Als SPD-Mann war er lange Jahre Entwicklungsminister, bis er 1974 wegen politischer Differenzen mit Helmut Schmidt zurücktrat. Danach setzte Eppler, ein Vertrauter Willy Brandts, sein umwelt- und friedenspolitisches Engagement als Vorstandsmitglied der SPD und langjähriger Vorsitzender der Grundwertekommission sowie seines Landesverbandes Baden-Württemberg fort; außerdem in der Anti-Atom- und Friedensbewegung und der evangelischen Kirche. Schon vor mehr als 40 Jahren zog er in seinem Buch »Ende oder Wende« folgenreich programmatische Konsequenzen aus dem Bericht des Club of Rome über »Die Grenzen des Wachstums«.
Dessen nüchterne Warnung vor der Endlichkeit der Ressourcen schockierte damals erneut eine Welt, der die Verletzlichkeit des Blauen Planeten erst kurz zuvor mit poetischen Bildern aus dem All vor Augen geführt worden war. Viele haben bei Erhard Eppler, der bis heute immer wieder als »Gewissen der Partei« charakterisiert wird, noch das Bild des Mannes mit Baskenmütze und Windjacke vor Augen, der in Wyhl oder Mutlangen an der Seite von Günter Grass und Heinrich Böll gegen Kernkraftwerke und Atomwaffen demonstrierte. Gerechtigkeit und Frieden, die sozialdemokratischen Kernthemen, waren für ihn nie nur eine Herausforderung im eigenen Land. Sie sollten auch für das Verhältnis zwischen Norden und Süden und für die Verteilung der globalen Ressourcen erstritten werden.
Der Besucher, der ihm gegenübersitzt, ist der Volkswirtschaftler Niko Paech, Jahrgang 1960. Als einer der renommiertesten Verfechter einer Postwachstumsökonomie denkt er Epplers Themen unter heutigen Vorzeichen weiter. Man kann ihn wohl getrost einen Bewunderer nennen, denn Paech wurde in den 70er- und 80er-Jahren auch durch die Gedanken des schwäbischen Friedenspolitikers in seinem Engagement für den Umweltschutz bestärkt. Der Wirtschaftswissenschaftler und Nachhaltigkeitsforscher widmete sich den Umweltthemen lange an der Universität Oldenburg und tut das derzeit als Lehrbeauftragter der Universität Siegen. Außerdem engagiert er sich für den Naturschutz und das globalisierungskritische Netzwerk attac. Besonders sein Buch »Befreiung vom Überfluss« aus dem Jahr 2012 provoziert, teils mit pointierter Polemik gegen hedonistische Lebensstile und mit dem Vorschlag für ein ganz neues, »duales« Modell des Wirtschaftens. In Paechs Vision arbeiten Bürger nur noch zu einem geringen Teil ihrer Lebenszeit als bezahlte Beschäftigte moderner Produktions- oder Dienstleistungsunternehmen. 20 Arbeitsstunden pro Woche: Mehr wird ihnen die Ökonomie saturierter Industrienationen nach Paechs Überzeugung nicht mehr bieten. Denn die heute vorherrschende, verschwenderische Wirtschaft müsse schrumpfen, um den Klimawandel aufzuhalten. Den übrigen Teil der Arbeitszeit verbringe man künftig im »entkommerzialisierten Bereich«. Das heißt: Nachbarn bauen selbst Lebensmittel an oder reparieren langlebige Produkte in Gemeinschaftswerkstätten. Die Werkzeuge werden geteilt, genauso Autos und Wissen. Mit Vorträgen über diese Ideen füllt Paech die Säle.
Auch Erhard Eppler wurde darauf aufmerksam. Andere blicken, wenn sie 90 werden, nur zurück – der Sozialdemokrat mischt sich neugierig ein. 34 Jahre trennen die beiden Vordenker, und wenn sie einander ihre jeweiligen Prägungen, Erfahrungen, politischen Prioritäten und Visionen erzählen, wenn sie über das Bruttoinlandsprodukt und die Energiewende diskutieren, dann fügt sich das zu einer lebendigen Geschichte der deutschen Umweltbewegung – und zugleich zu einer Debatte über den besseren Weg in die Zukunft.
Dabei verbindet Eppler und Paech, wie gesagt, vieles: Beide kritisieren die Fixierung der Wirtschaft auf ein ungebremstes Wirtschaftswachstum. Beide praktizieren selbst, was sie fordern: einen »ressourcenleichten« Lebensstil. Beide sind unbequeme Mahner; Störfälle auch für ihre jeweils eigene »Zunft«. Im einen Falle ist das eine Mainstream-Wirtschaftswissenschaft, die ihre Glaubwürdigkeit in Zeiten der Finanzkrisen noch nicht wieder erringen konnte; im anderen ist es eine SPD, über die Eppler selbst einmal formuliert hat: »Wer zu früh kommt, den bestrafen die Parteifreunde.« Beide fordern heute den Wandel, den Eppler in seinem Buch »Ende oder Wende« schon 1975 postulierte: »… von einem Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten zu einem der möglichen Begrenzungen, von einem Zeitalter partiellen Überflusses zu einem Zeitalter, wo wir erkennen, was überflüssig ist«.
Doch so nah Eppler und Paech einander bei diesen Überzeugungen auch sein mögen, so weit sind ihre jeweiligen Generationen und politischen Kulturen voneinander entfernt, wenn es um die »Machbarkeit des Notwendigen« geht; darum, wie man in Zeiten einer globalisierten Weltwirtschaft von der einen Epoche in die andere gelangt. Wer kann eine Nachhaltigkeits(r)evolution durchsetzen? Wie schnell? Wie radikal? Welchen Stellenwert, welche Möglichkeiten und Mittel haben Politik und Parteien?
Der Politiker und der Wissenschaftler haben sich zusammengesetzt, um mit viel Lust an der klärenden Auseinandersetzung über diese Fragen zu diskutieren.
Dabei weisen die Kontroversen, die in ihrem Gespräch aufkommen, über einen spezialisierten, quasi ökointernen Disput zwischen Einzelpersönlichkeiten hinaus. Es geht um die Bedeutung und Handlungsfähigkeit der Politik und ihr Verhältnis zur Zivilgesellschaft – und solche Fragen zu klären ist hochrelevant für eine Demokratie, die gerade immer mehr an Vertrauen verliert und besorgt dem Zerfall ihres Parteiensystems zuschaut.
Überfällig sind die Diskussionen, die Eppler und Paech anstoßen, außerdem in einer Gesellschaft, für die Nachhaltigkeit mittlerweile Konsens geworden ist. »Nachhaltig«, so nennen sich ja heute nicht mehr nur Ökobauern und Fair-Trade-Händler, sondern alle, von den Vereinten Nationen über Konzerne wie Google oder Monsanto bis zum Kleinstadtbürgermeister. Sie mussten nachhaltig werden, als Folge des immensen Problemdrucks, den die Finanz-, Ernährungs-, Ressourcenkrisen und allem voran die Klimakrise bereits erzeugt haben. Sie wurden es aber auch, weil sich saturierte Ökonomien von grünen Innovationen jetzt neue Wachstumsinspirationen erhoffen.
Aber wie nachhaltig ist dann wer tatsächlich? Wo kein Plakat, kein Werbespot und keine Politikerrede mehr ohne den Begriff auskommt, da wird er auch leicht zum »Plastikwort« (Uwe Pörksen); zu einer Leerformel, deren Bedeutung in scheinbarer Einigkeit verschleiert wird und immer neu errungen werden muss. Wie tief greifend müssen die Gesellschaften sich ändern? Mit welchen Prioritäten, mit welchen Technologien? Wo machen wir, wo machen andere uns etwas vor? Was aber wurde auch erreicht, und wo sind wir zu pessimistisch?
Denn das wird man leicht. Konflikte und Krisen lassen sich nicht mehr verdrängen. Sie erreichen unmittelbar unsere Wohlstandsinseln, von denen sie teilweise ausgegangen sind. Viele der Migranten, die unmenschliche Kriege und Lebensbedingungen zum hochriskanten Aufbruch nach Europa zwingen, fliehen auch vor den Folgen aufgezwungener Entwicklungsmodelle und eines ausgreifenden globalen Wirtschaftssystems. Und sie fliehen schon jetzt vor den Auswirkungen des Klimawandels.
Dabei zeigen sich diese nicht nur weit entfernt im Sahel oder in Bangladesch. Nach nie gekannten sintflutartigen Regenfällen sind kurz vor Niko Paechs Besuch ganz nah bei Schwäbisch Hall die Autos buchstäblich durch die Straßen geschwommen. Wie ein Beleg für seine These, dass die Grenzen des Wachstums längst überschritten sind.
Das Gespräch beginnen die beiden mit einem gemeinsamen Gang durch Epplers Garten. Dort arbeitet er seit jeher täglich ein paar Stunden, ehe er sich an den Schreibtisch setzt. Die Bäume und Beete liegen gleich hinter dem Haus, in dem Eppler schon einmal als Kind gewohnt hat. Er geht voran, zeigt Zucchini, Bohnen, Tomaten, Blumenkohl. Bei seinem Gast gleicht schon das selbst gezogene Gemüse einer politischen Aussage …
Eppler: Diesen Apfelbaum hat noch mein Vater gepflanzt. Und schauen Sie: Dort laufen meine drei Enten. Seit sie unseren Garten bewohnen, haben wir viel weniger Insekten und Schnecken. Dumm ist nur, dass sie auch sehr gerne Salat mögen. Wir mussten alle Beete einzäunen, damit sie nicht ins Gemüse gehen!
Hier im Garten arbeite ich jeden Tag drei bis vier Stunden lang. Und als ich Ihr Buch »Befreiung vom Überfluss« las, Herr Paech, da habe ich mir gedacht: Eigentlich bin ich ja schon sehr nah dran an der Lebensform, die Ihnen für eine Postwachstumsgesellschaft vorschwebt.
Ihre Genügsamkeit habe ich schon als junger Mann bewundert …
Paech: Ihre Genügsamkeit, von der oft die Rede war, habe ich schon als junger Mensch bewundert. Ich bin davon überzeugt, dass eine solche Einstellung essenziell ist: Wenn wir aus der Klima- und Ressourcenkrise herauskommen und Emissionen und Verbrauch auf ein verantwortbares Maß verringern wollen, dann müssen wir unsere Ansprüche senken und uns teilweise auch wieder selbst versorgen.
Eppler: Das sehe ich ähnlich, und ich versuche, viel davon in meinem Leben umzusetzen. Meine Frau kocht unser selbst angebautes Gemüse, im Sommer frisch, im Winter aus der Tiefkühltruhe. Ich finde Tofu schmackhafter als die Saitenwurst, und ich verzichte aufs Auto nicht nur wegen meines hohen Alters. Geflogen bin ich seit Jahrzehnten nicht mehr. Nur bei einer Sache bin ich völlig unbrauchbar für Ihr Konzept: Ich bin unfähig, etwas zu reparieren. Was ich zu diesem Zweck in die Hand nehme, das mache ich immer noch schlimmer kaputt!
Paech: Da würden wir beide uns ja toll ergänzen, Herr Eppler. Ich kann nämlich überhaupt nicht gärtnern, bin aber dafür ein absoluter »Fahrradschrauber« – so nennt man bei uns in Norddeutschland einen geschickten Tüftler. In der Werkstatt habe ich richtige Erfolgserlebnisse. Diese Fähigkeit könnte ich Ihnen gut zum Tausch anbieten.
Eppler: In solchen nachbarschaftlichen Tauschbeziehungen sind wir hier auf dem Friedensberg auch schon lange geübt. Willy Brandt hat ja einmal wunderbar formuliert: »Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein, nach innen und nach außen.« Auf dieser Sozialphilosophie hat Brandt seine gesamte Politik gebaut, national wie international. Dahinter stand der Gedanke: Gute Nachbarn gewinnt man nur, wenn man selbst einer ist. Das gilt für die Welt und für Europa genauso wie für den Ort, an dem man lebt. Einen guten Nachbarn zu haben ist für das gesamte Lebensgefühl ungeheuer wichtig. Ich habe hier wirklich nur gute Nachbarn.
Paech: Diese Beziehungen haben Sie sicher aktiv aufgebaut, gärtnerisch gesprochen: gezogen und gepflegt …
Mich fasziniert die Radikalität Ihres Wirtschaftskonzeptes – und zugleich macht sie mir erhebliche Kopfschmerzen.
Eppler: Ach, vielleicht haben die ja eher mich gezogen. Es funktioniert jedenfalls gut, und dafür spielt wieder mein Gemüse eine gewisse Rolle. Wenn ich beispielsweise zu viel Spinat habe, dann frage ich einfach über den Gartenzaun rüber: Wollen Sie nicht mein Beet abernten? Ich will mich nun aber hier gar nicht ins gute Licht rücken, sondern eigentlich etwas ganz anderes sagen: Insgesamt habe ich große Sympathien für Ihr Konzept. Aber aus meiner Perspektive erscheint es völlig unrealistisch, eine solche Lebensweise in unserer Gesellschaft größflächig einzuführen. Und dann gibt es noch etwas, das mich an Ihrem Ansatz wirklich stört: Während Sie für diesen Wandel streiten, der die Nische noch lange nicht verlassen wird, bagatellisieren Sie zugleich leider fast alle realistischen Schritte in Richtung Nachhaltigkeit – beispielsweise die Energiewende. Ich habe den Eindruck, Sie lehnen eigentlich alle Zukunftsansätze ab, die gerade praktisch umgesetzt werden, Herr Paech, und die doch eigentlich Ihre Unterstützung brauchen.
Mich fasziniert die Radikalität Ihres Wirtschaftskonzeptes – und zugleich macht sie mir erhebliche Kopfschmerzen. Ich bin nun mal seit 1961 hauptamtlich in der Politik. Das werde ich mir wohl auch nicht mehr abgewöhnen. Und als Politiker fragt man sich immer: Was kann man jetzt voranbringen? Was machen die Machtkonstellationen möglich? Da weiß man, dass alles seine Zeit braucht und dass man erst Verschiedenes ausprobiert haben muss, ehe man weiterkommt auf seinem langen Weg zum Ziel.
Paech: Auch mir ist natürlich klar, dass Entwicklungen nur Schritt für Schritt vorankommen, auch die Entwicklung zu der Postwachstumsökonomie, die ich für dringend nötig halte. Aber Sie denken an Mehrheiten, Gesetze, Regularien, politische Gestaltung. Ich hingegen bin der Meinung, dass es auch unterhalb dieser Ebene wirkungsvolle Möglichkeiten der gesellschaftlichen Veränderung gibt. Der Wandel, den ich für notwendig halte, ist ja schon im Werden: in autonomen Bewegungen, kleinen Reallaboren und sozialen Projekten von Menschen, die gegen den Strom schwimmen. Mich interessiert die Kraft, die sich aus solchen gesellschaftlichen Experimenten generieren lässt. Und dieses Interesse hat noch einen anderen Grund: Als wissenschaftlicher Beobachter muss ich leider feststellen, dass die bisherigen, meist technologischen Schritte aus der Politik in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft nichts gebracht haben.
Eppler: Oh doch, Herr Paech, die haben etwas gebracht …
Grefe: Nun sind Sie schon mittendrin in Ihrer Meinungsverschiedenheit über den besseren Weg zur Nachhaltigkeit und die Frage, ob er eher von Politikern oder von der Zivilgesellschaft gewiesen wird. Sie beide verbindet ja eine Rolle als wachstumskritische Mahner, auch wenn der eine sie als Politiker spielt, der andere als Wissenschaftler …
Paech: … und wir verkörpern natürlich auch unterschiedliche Generationen.
Grefe: Deshalb lohnt es sich, zunächst noch einmal in die Zeit zurückzukehren, als die ersten Wachstumsdebatten aufkamen, und sich zu vergegenwärtigen, aufgrund welcher unterschiedlichen Erfahrungen Sie zu Ihrer jeweiligen Perspektive und Ihren Urteilen gekommen sind. Wie wurde damals Ihr Engagement für die Ökologie ausgelöst, Herr Eppler?
Ich war nicht mehr derselbe, nachdem ich in vielen Ländern der »Dritten Welt« die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen erlebt hatte.
Eppler: Ich wäre kein Ökologe geworden, wenn ich – wie ich gehofft hatte – in der ersten Großen Koalition Willy Brandts Staatssekretär im Auswärtigen Amt geworden wäre. Stattdessen machte er mich 1968 zum Entwicklungsminister – und was ich in diesem Amt erlebt habe, hat mein Bewusstsein elementar verändert. Vorher hätte ich, wäre man mir mit Ökologie gekommen, nur mit den Achseln gezuckt. 1974 aber hatte das Thema mich dann wirklich gepackt. Ich war nicht mehr derselbe, nachdem ich in vielen Ländern der Dritten Welt – so nannte man ja damals noch die Entwicklungsländer – die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen exemplarisch erlebt hatte.
In Marokko habe ich zum Beispiel einmal Kleinbauernprojekte besichtigt. Die Bauern dort erzählten mir, dass ihre Kinder, wenn sie selbstständig werden, immer tiefer in die Berglandschaft hinein die Wälder roden und immer höher die Hänge hinauf ihren Mais anbauen. Bei der großen Kinderzahl reichte ja sonst das Land nicht. Und dann kamen die subtropischen Regenfälle und schwemmten das Erdreich fort. Auf dem Rückflug konnte ich später von oben riesige rote Halbkreise in der Küstenregion erkennen. Das war der Boden, der an den Flussmündungen ins Mittelmeer geschwemmt worden war.
Grefe: Solche Bilder bleiben hängen …
Eppler: Ja, das tun sie. Auch die katastrophale Dürre in der Sahelzone hat mich geprägt. In den 70er-Jahren fiel sie besonders dramatisch aus. Überall lagen die Skelette der Tiere. Und dann stellte sich heraus: Die Entwicklungshilfe hatte zur Ausbreitung der Wüste sogar noch beigetragen. Traditionell konnten die Viehzüchter ihre Tiere nur begrenzt tränken, sie mussten das Wasser mühselig mit Ledereimern aus dem Brunnen ziehen. Damals in den frühen 70ern fühlten sich die Franzosen noch verantwortlich für diese Länder und fragten sich: Wozu gibt es denn Dieselmotoren? Dank dieser Helfer aus Europa wurden also Pumpen betrieben, sodass die Hirten die fünffache Wassermenge aus dem Boden holen konnten – mit dem Ergebnis, das auch die Zahl der Tiere wuchs. Diese großen Herden haben dann natürlich alles abgefressen, als die Dürre kam. So konnte die Wüste widerstandslos vordringen.
Für mich war das eine ganz zentrale Lektion: Menschen können erhebliche Fehler machen, wenn sie in den Naturhaushalt eingreifen, selbst wenn sie das in allerbester Absicht tun. Fortan war ich hellhörig, wo immer so etwas drohte. Ich habe schon 1972 als Entwicklungsminister jedes unserer Projekte vor dem Start auf seine ökologischen Auswirkungen hin prüfen lassen.
Paech: Sie waren Ihrer Zeit ja wirklich um Jahrzehnte voraus.
Eppler: Allerdings beschränkte sich meine Wachsamkeit zunächst auf die Entwicklungsländer. Da waren die Menschen ja unmittelbar und sichtbar in die Naturhaushalte eingebunden. Wenn ich hingegen mit dem Hubschrauber über Deutschland flog, dann waren doch die Wälder und Wiesen immer so schön grün.
Grefe: Aber auch dort spitzten sich die ökologischen Krisen zu, und wie dramatisch, das erfuhren die Bürger spätestens 1972 aus dem legendären Bericht »Die Grenzen des Wachstums«. Schon damals warnten die Wissenschaftler des Club of Rome vor der Endlichkeit von Wasser, Flächen, Erzen, Kohle, Gas und Erdöl für den Fall, dass die Menschen ihre Produktions- und Konsummuster nicht ändern. Wie hat der Bericht Sie als Entwicklungsminister damals beeinflusst?
Eppler: Es mag merkwürdig klingen, aber all diese Grafiken, Kurven und statistischen Daten habe ich zum größten Teil als Bestätigung gelesen. Ich dachte: Aha, du hast also nicht gesponnen mit deinen Sorgen über Bevölkerungswachstum und Ressourcenknappheit. Insofern wirkte der Bericht auf eine absurde Weise beruhigend auf mich. Aber das war nur die eine Seite. Zugleich wurde auch mir deutlich vor Augen geführt: Es gibt nur eine Erde, die man ruinieren kann. Später wurde mir auch klar, dass die Zerstörung bei uns keineswegs geringer ist, sondern nur auf andere Weise betrieben wird. In den reichen Ländern zersiedelten wir die Landschaft und vergifteten Luft, Wasser und Böden. Und auch bei uns beabsichtigten die Menschen bei diesem Tun ja nichts Böses. Sie handelten innerhalb eines bestimmten Wirtschafts- und Wertesystems.
Grefe: Haben Sie den Bericht überhaupt schon wahrgenommen, Herr Paech? Sie waren damals ja erst zwölf Jahre alt …
Paech: So ist es, in dem Alter hat man die Bedeutung dieser Analyse eher emotional wahrgenommen, aber natürlich noch nicht verstanden. Mein Umweltbewusstsein war aber trotzdem schon erwacht, aus anderen Gründen, die direkt vor der Haustür lagen. Ich war seit meiner frühen Kindheit ein begeisterter Angler. Anfang der 70er-Jahre bin ich ständig an der Ems gewesen, in der Jugendgruppe unseres Anglervereins oder zusammen mit meinem Vater. Er war unser Gewässerwart und hatte die Qualität der Flüsse und Bäche zu überwachen. Ich weiß noch, wie mein Vater während der sozialliberalen Koalition immer von Willy Brandt geschwärmt hat. Brandt wollte ja, dass der Himmel über der Ruhr wieder blau wird und dass im damals chemieverseuchten Rhein irgendwann wieder Fische schwimmen können.
Eppler: Der Himmel über der Ruhr war sogar schon 1961 ein großes Thema, als ich zum ersten Mal als Bundestagskandidat der SPD im Wahlkampf war. Und was ist dann später daraus geworden? Die haben in Nordrhein-Westfalen einfach höhere Kamine gebaut. Der Dreck ist bis hinauf nach Schweden geflogen, und dort gab es dann sauren Regen.
Die Freude an der Naturidylle und das Entsetzen darüber, dass sie einfach zerstört wird, haben mein Umweltbewusstsein geweckt.
Paech: In der Lokalzeitung meiner Heimatstadt Schüttorf – das liegt nahe der holländischen Grenze – wurden in den Siebzigerjahren auch immer wieder Fotos von Fischen veröffentlicht, die vergiftet in der Vechte oder einem ihrer Nebengewässer schwammen. Schüttorf hatte keine 10 000 Einwohner, aber mehrere Textilfabriken. Deren Abwässer haben immer wieder große Schäden angerichtet. Diese Bilder vom Fischsterben haben mich als Zehn-, Elfjährigen absolut geschockt. Sie warfen einen Schatten auf die Schönheit jener Natur, die ich erlebte, wenn ich mit dem Vater loszog, frühmorgens vor Sonnenaufgang, wenn der Nebel noch über dem Wasser lag.
Grefe: Dann hat die Angst vor der vergifteten Idylle Ihr Umweltbewusstsein geweckt?
Paech: Die Freude an dieser Idylle und das Entsetzen darüber, dass sie einfach zerstört wird, ja. Ich wollte meine Flusslandschaft verteidigen und bin deshalb schon als Jugendlicher wie mein Vater zu einem Anwalt der Natur geworden.
Aber es gab noch mehr prägende Erlebnisse, etwa den Protest gegen wahnsinnige Autobahnplanungen. Die A30 und die A31 – der »Ostfriesenspieß« – sollten das gesamte Emsland und Ostfriesland durchstoßen. Diese Naturzerstörung brachte in meiner Gegend viele Menschen in Wallung.
Eppler: Das gab’s bei uns in Baden-Württemberg damals auch. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Autobahnen unser Ministerpräsident Hans Filbinger geplant hatte. Allein drei sollten quer durch den Schwarzwald führen. Ich habe diese Planungen öffentlich als »mittlere Barbarei« angegriffen. Damals war ich Landesvorsitzender der SPD, und dann wird man ja in den Zeitungen überall zitiert. Die Formulierung hat so gezogen, dass nur noch die Strecke von Würzburg hinunter ins Allgäu fertig gebaut wurde, und die mit unserer Billigung.
Paech: