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Was sollen und dürfen Banken tun? E-Book

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Beschreibung

Im Zeichen der Weltfinanzkrise ab 2008 standen Banken als Hauptverantwortliche am Pranger. Forderungen nach einer Umgestaltung und einer strikten Regulierung des Bankwesens waren Allgemeingut. Wenige Jahre später ist das Thema wieder in den Hintergrund gerückt. Obwohl die Maßnahmen weit hinter den Forderungen zurückblieben, überwiegt nun die Klage über eine Überregulierung des Sektors. Davon ausgehend analysieren die Beiträge dieses Buches, wie Leitbilder für das Handeln von Banken zustande kommen und wie sie deren Handeln konkret beeinflussen. Nicht zuletzt geht es um die Rolle von Finanzkrisen als Katalysatoren für die Neujustierung von Leitbildern und praktischen Handlungsorientierungen.

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Bernhard Emunds, Michael Faust, Jürgen Kädtler, Ulrich Klüh (Hg.)

Was sollen und dürfen Banken tun?

Gesellschaftliche Erwartungen in und nach der Finanzkrise

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Im Zeichen der Weltfinanzkrise ab 2008 standen Banken als Hauptverantwortliche am Pranger. Forderungen nach einer Umgestaltung und einer strikten Regulierung des Bankwesens waren Allgemeingut. Wenige Jahre später ist das Thema wieder in den Hintergrund gerückt. Obwohl die Maßnahmen weit hinter den Forderungen zurückblieben, überwiegt nun die Klage über eine Überregulierung des Sektors. Davon ausgehend analysieren die Beiträge dieses Buches, wie Leitbilder für das Handeln von Banken zustande kommen und wie sie deren Handeln konkret beeinflussen. Nicht zuletzt geht es um die Rolle von Finanzkrisen als Katalysatoren für die Neujustierung von Leitbildern und praktischen Handlungsorientierungen.

Vita

Bernhard Emunds ist Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Hochschule Sankt Georgen.

Michael Faust, PD Dr. rer. soc., ist Research Fellow am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen.

Jürgen Kädtler ist Professor für Soziologie und Präsident des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen.

Ulrich Klüh ist Direktor am Center for Sustainable Economic and Corporate Policy und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Darmstadt Business School.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

.Vorwort

Bernhard Emunds, Michael Faust, Jürgen Kädtler und Ulrich Klüh: Was sollen Banken tun? Eine Einleitung

I.

Exploration: Banken im finanzialisierten Kapitalismus

Michael Faust und Jürgen Kädtler: Was bedeutet Finanzialisierung von Banken?

1.

Einleitung

2.

Zur Finanzialisierung von Banken - von der Fristen- und Risikotransformation zum Risikotransfer

2.1

Finanzialisierung von Banken als Produkt- und Prozessinnovation

2.2

Finanzialisierung von Banken in Deutschland

Deutsche Privatbanken - Finanzialisierung als strategische Neuausrichtung

Sparkassen und Genossenschaftsbanken - Finanzialisierung partiell und selektiv

3.

Banken nach der Finanzkrise – De-Finanzialisierung oder Finanzialisierung mit neuem Akzent?

3.1

De-Finanzialisierung oder der neue Charme alter Geschäftsmodelle

3.2

Finanzialisierung mit neuer Akzentuierung?

4.

Fazit

Literatur

II.

Frühes Lehrgeld: Die Herstatt-Krise zu Beginn der Finanzialisierung

Korbinian Zander, Alen Bosankic und Bernhard Emunds: Zwischen Unternehmen und Infrastruktur: Eine konventionenökonomische Analyse der Erwartungen an Banken in der Herstatt-Krise

1.

Erwartungen und Konventionen

1.1

Der soziologische Erwartungsbegriff

1.2

Das Konzept der Konventionen

2.

Öffentlichkeit und Öffentlichkeiten

3.

Zwei Bilder der Bankwirtschaft

3.1

Banken als Infrastruktur

3.2

Banken als Unternehmen in der Marktwirtschaft

3.3

Zusammenschau

4.

Institutionelle Konsequenzen als Kompromisse

4.1

Die Logik der Kompromisse in und nach der Herstatt-Krise

4.2

Kurz- und langfristige Maßnahmen

5.

Abschließende Bemerkungen

Empirisches Material

Literatur

Alen Bosankic, Moritz Hütten und Ulrich Klüh: »Kölner Devisen«: Fachöffentliche Erwartungsrevisionen in Folge der Herstatt-Krise

1.

Einleitung

2.

Aufstieg und Fall der Herstatt-Bank

3.

Banken vor Herstatt

4.

Ein Blick in die Deutsche Bundesbank: zwischen Erwartungsbestätigung und Erwartungsrevision

4.1

Das neue Makroregime: Abwesend anwesend

4.2

Fehler in der Aufsichtspraxis: Rechtliche Aufarbeitung, institutionenökonomische Ausblendungen

4.3

Systemisches Risiko: Selektive Wahrnehmung

4.4

Krisenmanagement: Meinungsverschiedenheiten und regimekonsistente Krisenreaktionen

4.5

Selbst- und Fremdverständnis, Funktions- und Verhaltenserwartungen: Leitmotiv Sparkasse

4.6

Zwischenfazit

5.

Der Bericht der Studienkommission »Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft« und weitere Materialien

6.

Fazit

Literatur

III.

Zwischen Marktmodellen und realen Bedarfen: Finanzialisierung von Banken im Kontext

Ulrich Klüh: Chicagos Produkte: Mainstream Economics und Finanzialisierung

1.

Einleitung

2.

Finanzialisierung und die Krisenmodelle der Mainstream Economics

3.

»Work Horses« der Banken- und Krisenforschung

3.1

Das Diamond-Dybvig-Paradigma: Finanzsysteme als Second-Best-Lösung

3.2

Das Krugman-Obstfeld-Paradigma: Finanzsysteme als Brandbeschleuniger geld- und fiskalpolitischer Fehlanreize

3.3

Das Barro-Gordon-Paradigma: Wirtschaftspolitik als demokratiefreie Zone

4.

Zusammenführende und weiterführende Reflektionen

5.

Ausblick

Literatur

Benjamin Braun und Richard Deeg: Starke Unternehmen, schwache Banken: Das exportorientierte Wachstumsmodell Deutschlands und seine Folgen für den Bankensektor

1.

Einleitung

2.

Unternehmensfinanzierung und Wachstumsmodelle: Die Kapitalnachfrage als vernachlässigte Variable

3.

Außenfinanzierung in einem exportorientierten Wachstumsmodell: Schwache Binnennachfrage

4.

Kreditvergabe von Banken an Unternehmen: Ein kleineres Stück von einem schwindenden Kuchen

5.

Auf der Suche nach Kreditnachfrage: Von Kreditnehmern aus dem Ausland und dem Finanzsektor – und einer sinkenden Zinsmarge

6.

Schlussfolgerung und Ausblick

Literatur

IV.

Zäsuren und Kontinuitäten: Die globale Finanzkrise und ihre Folgen

Michael Faust, Jürgen Kädtler und Lukas Thamm: Die Renaissance des Leitbilds der traditionellen Bank in der Bankenöffentlichkeit: Was es verspricht und was es verdunkelt.

1.

Einleitung

2.

Leitbilder: Konzept, Quellen und Methoden

3.

Leitbildkontroversen vor der Finanzkrise: die umkämpfte und unvollständige Vorherrschaft des Neuen

4.

Leitbildkontroversen nach der Finanzkrise: die Renaissance des Traditionellen Banking

5.

Fazit

Literatur

Isabella Senghor und Bernhard Emunds: Medien zwischen politischer Instrumentalisierung und Ansprüchen eines diskursiven Journalismus – Eine ethische Reflexion der Berichterstattung über die »Merkel-Garantie«

1.

Ein diskursiv ausgerichteter Journalismus

2.

Analyse der Berichterstattung

3.

Journalismusethische Reflexion anhand der Ansprüche des diskursiven Journalismus

3.1

Zur Verständigungs- und Orientierungsaufgabe

3.2

Zur Aufgabe, demokratische Teilhabe zu fördern

3.3

Zwischenfazit

3.4

Dramatisierung und Personalisierung

3.5

Kurzes Resümee der ethischen Reflexion

4.

Diskursiver Journalismus, demokratische Ausrichtung des Finanzsystems und zwei konkrete Schlussfolgerungen

Literatur

Isabel Kusche: Die Bedeutung der globalen Finanzkrise für die Stabilität demokratischer Gesellschaften: Griechenland und Irland im Vergleich

1.

Einführung

2.

Finanz-, Staatsschulden- und Wirtschaftskrise: Die Fälle Griechenland und Irland

3.

Fiskalische und politische Hintergründe: Demokratischer Wettbewerb in Griechenland und Irland vor der Krise

4.

Die irische Politik in der Krise: Kontinuitäten und politische Reformprojekte

5.

Die griechische Politik in der Krise: Disruption und Vorrang des Fiskalischen

6.

Re-Stabilisierung des demokratischen Wettbewerbs in Griechenland und Irland

7.

Demokratischer Wettbewerb: Defizite und Resilienz

Literatur

V.

Das Bankensystem vor Umbrüchen: De-Finanzialisierung und Demokratisierung?

Michael Faust und Jürgen Kädtler: Die Paradoxie der De-Finanzialisierung: Neue Risiken für das Banken- und Finanzsystem

1.

Einleitung: Fragestellung, Argumentationsgang und Studiendesign

2.

Die Zangenbewegung: De-Finanzialisierung von Banken und das Unabhängigkeitsstreben von Firmen

2.1

Alte und neue Anbieter: Verschärfter Wettbewerb um Firmenkunden

2.2

Machtgewinn der Realwirtschaft: Formen und Ursachen

3.

Machtverschiebungen in den Bank-Unternehmensbeziehungen aus der Perspektive der beteiligten Akteure

3.1

KMU und Sparkassen: Trotz Persistenz des »Relational Banking« Machtverschiebung zum Kunden

3.2

Bank-Unternehmensbeziehungen im globalen Mittelstand: Immer noch Banken nötig, aber andere und mehr Auswahl

3.3

Globale Großunternehmen – schon länger schwieriges Pflaster, verstärkt für deutsche Banken

4.

Die Zangenbewegung und ihre Folgen für das Finanzsystem

5.

Fazit und Ausblick

Literatur

Roxanne Bleifeld und Moritz Hütten: Demokratisierung der Technokratie durch Technik? Zentralbanken, Banken und Blockchain

1.

Einführung

2.

Theoretische Rahmung und Kontext

Innovationen und soziotechnische Imaginaries

Zentralbank Imaginaries

Von alternativen Visionen des Bitcoin zur Blockchain

3.

Empirische Zugänge

Methodik und Operationalisierung

Soziotechnische Bitcoin Imaginaries: ein passiv-administrativer Diskurs

Soziotechnische Blockchain/DLT-Imaginaries: ein technokratisch-administrativer Innovationsdiskurs

4.

Einordnung in aktuelle Zentralbankdiskurse

5.

Fazit

Appendix

Liste der untersuchten Zentralbankdokumente:

Federal Reserve

European Central Bank

Bank of England

Bank of Canada

Literatur

VI.

Blick nach vorne: Banken in der Transformation

Ulrich Klüh: Von konservativen Umbrüchen zu bahnbrechenden Veränderungen? Der Finanzsektor zwischen zwei großen Transformationen

1.

Einleitung

2.

Woher: Konservative Umbrüche

3.

Fünfzehn Jahre Finanzkrise: Bahnbrechende Veränderungen statt konservative Umbrüche?

4.

Ist ein transformatives Finanzsystem möglich und wünschenswert?

Literatur

Autor*innen

.Vorwort

Das vorliegende Buch geht auf ein gemeinsames Forschungsprojekt des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen (SOFI), der Hochschule Darmstadt und des Oswald-von-Nell-Breuning-Instituts der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main zurück.1 Unter dem Titel »Was sollen Banken tun? Zur Bedeutung von Rationalität und Legitimität im Bankensystem«2 wurden die unterschiedlichen disziplinären Perspektiven und Kompetenzen der beteiligten Institute genutzt, um Fragen nach der Rolle und den Funktionsvoraussetzungen des Bankwesens in kapitalistischen Gegenwartsgesellschaften zu bearbeiten, die mit der Finanzkrise von 2007 ins Zentrum nicht nur der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt waren.

Der Fokus auf normativen Ansprüchen und deren Begründung, der im Projekttitel zum Ausdruck kommt, war dadurch motiviert, dass strategische Perspektiven und Geschäftspraktiken von Banken, die im Zeichen der Krise Gegenstand von Kritik und Selbstkritik bis hin zu Reuebekenntnissen wurden, zuvor Inbegriff dessen gewesen waren, was im wissenschaftlichen wie im politisch-gesellschaftlichen Mainstream als vorbildlich galt. Wenn sich die Krise als Ergebnis von Verhaltensorientierungen und Handlungsweisen darstellte, die allgemein als rational und (deshalb auch) legitim anerkannt waren, galt es der Frage nachzugehen, auf welchen Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen diese Anerkennung beruhte und wie diese sich hatten etablieren können.

Mit dieser Fragestellung war das Projekt Teil eines größeren Forschungszusammenhangs, der unter dem Eindruck der Finanzkrise vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer Ausschreibung zum Thema »Finanzsystem und Gesellschaft; Bedeutungs- und Funktionswandel des Finanzsystems sowie Implikationen für die Entstehung, Überwindung und Vermeidung von Finanzkrisen« initiiert worden war. Von den projekteübergreifenden Diskussionen in diesem Rahmen hat unser Projekt sehr profitiert. Wir haben den Verantwortlichen im BMBF sowie beim Projektträger DLR, namentlich Monika Wächter (PT DLR) und Stephanie Becker (BMBF), deshalb nicht nur als Vertreterinnen des Fördermittelgebers zu danken, sondern vor allem auch für die intensive und immer im Sinne der Forschenden erfolgreiche Begleitung auf der Verbund- wie der Einzelprojektebene. Sie haben Projekte wirklich im emphatischen Sinne betreut.

Dank für gute Diskussionen und wertvolle Anregungen schulden wir auch Kolleg*innen aus dem Forschungsverbund und dabei insbesondere Claudia Czingon und Sonja Kleinod von der Servicestelle Informationen, die für dichten und kontinuierlichen Informationsfluss über die Projekte hinweg verantwortlich zeichneten. Besonders hervorzuheben ist hier auch die enge Kooperation mit dem von Sascha Münnich geleiteten Projekt, das unter dem Titel »Die gesellschaftliche Legitimität von Finanzprofiten« eine verwandte Fragestellung verfolgte. Dank schulden wir schließlich der Schader-Stiftung und dort namentlich Herrn Robischon, mit der wir zwei anspruchsvolle Tagungen veranstalten konnten, die ohne diese Unterstützung nicht möglich gewesen wären.

Schließlich hat eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen in unterschiedlicher Weise maßgeblich zum Gelingen des Projekts beigetragen und dazu, dass die hier veröffentlichten Beiträge fertig wurden, ohne selbst Projektmitarbeiter*in oder Autor*in zu sein. Besonders hervorzuheben sind im SOFI Göttingen Eitel Horst und Gaby Stahr. An der Hochschule Darmstadt haben Marvin Drach, Richmond Boakye, Sonja Kleinod, Ricardo Rodriguez Nikolajidis und Mourad Ismael in besonderer Weise zum Gelingen beigetragen, indem sie einen Großteil der Kapitel kritisch gegengelesen, kommentiert und formatiert haben. Die Kolleg*innen Jessica Munoz-Montes und Sarah Fernandez-Mantilla haben den Korrekturprozess koordiniert und begleitet. Am Oswald-von-Nell-Breuning-Institut gilt ein besonderer Dank Lisa Wagner, die in unserem Projekt intensiv mitgearbeitet hat.

Ein besonderer Dank gilt schließlich Benjamin Braun, Roxanne Bleifeld, Richard Deeg, Isabel Kusche und Isabella Senghor, die nicht an dem hier im Mittelpunkt stehenden Projekt beteiligt waren, sich aber bereitgefunden haben, mit eigenen Beiträgen und Ko-Autor*innenschaft zu dieser Publikation wichtige Aspekte einzubringen.

Der ursprünglich vorgesehene Untertitel für das jetzt vorgelegte Buch lautete schlicht »Gesellschaftliche Erwartungen in und nach der Krise«. Mit der Präzisierung »Finanzkrise« tragen die Herausgeber der Tatsache Rechnung, dass mit der Corona-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine andere akute Krisen in den Vordergrund getreten sind. Eine über diese eher formelle Anpassung deutlich hinausgehende inhaltlichen Berücksichtigung der neuen Konstellation schied schon wegen der weit fortgeschrittenen Bearbeitung der Beiträge bei Ausbruch der Pandemie sowie der Tatsache aus, dass bei Ausbruch des Krieges in der Ukraine das fertige Manuskript beim Verlag bereits im Satz war. Jenseits dieser pragmatischen Gesichtspunkte erscheint uns eine weitergehende Überarbeitung aber auch nicht angebracht. Alle präsentierten Ergebnisse und Schlussfolgerungen gehen von komplexen, kontingenten sozioökonomischen Entwicklungen aus. Dass die Verhältnisse noch kontingenter und instabiler geworden sind, ändert an deren Gestaltungsbedürftigkeit nichts, zumindest nichts Grundsätzliches. Wir haben es daher mit einigen Bemerkungen zu möglichen Implikationen der aktuellen Situation bewenden lassen, wo uns das angebracht erschien.

Göttingen – Darmstadt – Frankfurt am Main, Mai 2022

Bernhard Emunds, Michael Faust, Jürgen Kädtler, Ulrich Klüh

Was sollen Banken tun? Eine Einleitung

Bernhard Emunds, Michael Faust, Jürgen Kädtler und Ulrich Klüh

Was sollen Banken tun? Welche Bereiche der Wirtschaft sollen mit dem Geld versorgt werden, das Kreditinstitute mittels der Vergabe von Darlehen schöpfen? Wie viel Geld soll im Verhältnis zum Eigenkapital als Kredit vergeben werden? Wo sollen die Mittel investiert werden, die im Auftrag von Sparer*innen verwaltet werden, und mit welchem Zeithorizont? Auf welchen Devisen-, Derivate- und Wertpapiermärkten sollen Banken wie stark als Investoren oder market maker aktiv werden? Die Antworten auf solche hoch normativen Fragestellungen sind für den sozio-ökonomischen Entwicklungspfad einer Gesellschaft von großer Bedeutung. Sie beeinflussen maßgeblich, in welche Technologien, Produktionsweisen und Konsumgüterindustrien investiert wird und bestimmen so nicht nur die Dynamik, sondern auch die Struktur des Wirtschaftens sowie seine ökologische und soziale Dimension entscheidend mit. Schumpeter folgend können Banken als die »Ephoren« einer Gesellschaft beschrieben werden, sie besetzen zumindest einen Teil der Kommandobrücke der Wirtschaft und bestimmen, inwieweit Unternehmer*innen und Organisationen überhaupt über die Mittel verfügen, um im Prozess schöpferischer Zerstörung wirksam zu sein. Sie entscheiden aber auch mit darüber, wie stabil eine Gesellschaft wahrgenommen wird. Werden Ersparnisse und Vermögen verlustreich angelegt oder gar verspielt, ist das nicht selten Anlass für Wellen der Empörung und Radikalisierung bis hin zu strukturellen Verwerfungen.

Banken müssen mithin einen schwierigen Spagat zwischen Dynamisierung und Stabilisierung der Wirtschaft leisten. Dabei agieren sie in einem Geldsystem, das ihnen durch die prinzipielle Unbegrenztheit der Geldschöpfung erhebliche Spielräume eröffnet, aber gleichzeitig von weiten Teilen der Gesellschaft als undurchschaubar empfunden und allenfalls skeptisch beäugt wird. Die Dinge lägen einfach, wenn man die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen den Marktkräften und damit dem Wettbewerb innerhalb des Bankensektors sowie dem Wettbewerb zwischen Banken, anderen Finanzintermediären und alternativen, finanzmarktbasierten Allokationsmechanismen überlassen könnte. Man müsste dann allenfalls bestimmte Grenzen der Geldschöpfung festlegen und einen Blick darauf haben, welche »externen« Effekte auftreten, die einen Keil zwischen den auf Märkten bestimmten und den Preisen treiben können, die eine gesellschaftlich wünschenswerte Allokation herbeiführen würden.

Leider sind die gesellschaftlichen Probleme, die im Finanzsektor entstehen können, mit dem Konzept der Externalitäten nur unzureichend beschrieben. Die im ökonomischen Mainstream beschriebenen »Anomalien« im Verhalten der Akteure und in der Funktionsweise der Marktkoordination erklären das Typische zur Ausnahme und sind deshalb unzureichend, wenn eine umfassende und systematische Regulation notwendig wird. Im Finanzsektor ist schon das Referenzmodell eines informationseffizienten Wettbewerbs unzureichend, die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Steuerung von Geld- und Finanzströmen hat vielfältigere und fundamentalere Ursachen. Insbesondere beherrschen grundlegende Informationsprobleme das Bild. Zudem erweist sich der Wettbewerbsmechanismus im Finanzsektor als zweischneidiges Schwert, weil eine hohe Wettbewerbsintensität Anreize für die Übernahme exzessiver Risiken in sich birgt. Schließlich ist der Finanzsektor in besonderer Weise von Verteilungs- und Machtproblemen betroffen.

Zwischen den 1970er Jahren und der Finanz- und Wirtschaftskrise vor inzwischen fast 15 Jahren war die Antwort auf die Frage, was Banken tun sollten, jedoch von einem sehr großen und zunehmenden Vertrauen in Markt- und Wettbewerbsmechanismen geprägt. Die allgemeine Tendenz, gesellschaftliche Kontrolle und Koordination immer mehr als marktvermittelten Prozess zu verstehen, hatte im Hinblick auf Banken zwei unterschiedliche Entwicklungen zur Konsequenz. Zum einen gab man die Vorstellung auf, die Politik müsse den Banken konkrete Vorgaben zu ihrer Rolle im gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsprozess machen. Banken wurden damit vermehrt in die Lage versetzt, Kredite ohne Rückbindung an gesamtwirtschaftliche Erfordernisse zu vergeben. Insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern verabschiedete man sich von der Vorstellung, Banken müssten beim Aufbau eines für das Produktivitätswachstum unerlässlichen verarbeitenden Gewerbes aktiv mithelfen. Vor die Wahl gestellt, unter Bedingungen verschärften Wettbewerbs auf langfristige Projekte oder auf kurzfristige Ertragspotenziale zu setzen, entschieden sich Banken tendenziell für überhitzte Immobilienmärkte und spekulative Anlageoptionen, mit der Asienkrise als einer Konsequenz. Zum anderen wurden in vielen entwickelten Volkwirtschaften neue Organisationstypen der Bank- und Finanzwirtschaft aus der Taufe gehoben und befördert, die aktiv eine Vermarktlichung des Bankwesens betreiben. Diese Modelle, die mit der Zeit auch ein erhebliches Maß an politischer Unterstützung erfuhren, nahmen ganz unterschiedliche Züge an. Wurde eine Zeit lang die Idee favorisiert, nur globale Universalbanken könnten den neuen Anforderungen des Wettbewerbs genügen, kam es später zu einer breiten Unterstützung der Idee sog. Allfinanzorganisationen, wiederum später zum Aufkommen sogenannter Schattenbanken. Als besonders wirkmächtig erwies sich schließlich die Idee, bisher nicht marktfähige Aktiva über Verbriefungen, Schattenbanken und Finanzinnovationen marktfähig zu machen. In unterschiedlichen Volkswirtschaften prägten sich diese Entwicklungen durchaus unterschiedlich aus, vor allem auch im Hinblick auf ihre Dynamik. Gerade für Deutschland lässt sich in den 1980er und 1990er Jahren ein spürbarer, aber im Zeitverlauf nachlassender Widerstand konstatieren. Spätestens in den 2000er Jahren sind viele Praktiken jedoch dann internationale Praxis, zumal auch die Geschäftsmodelle vieler Großbanken global ausgerichtet werden.

Spätestens mit der Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2007, in deren Mittelpunkt neben den verbrieften Finanzinnovationen global agierender Banken, neue Organisationstypen wie Schattenbanken oder als Versicherung getarnte Banken wie AIG standen, kommt die Vorstellung von Markt- und Wettbewerbslogik als Prinzip adäquater Bankenregulierung ins Wanken. Die Frage, was Banken wie tun sollen stellt sich neu und gewinnt neue gesellschaftliche und politische Relevanz. Im Mittelpunkt steht hierbei zunächst die Frage, wie das Finanzsystem stabilisiert werden kann, und wie weitere Krisen verhindert werden können. Zumindest in den ersten Jahren nach der Krise bleibt es beim Primat des Marktes, und die Frage, »was Banken tun sollen« bleibt zunächst weiterhin dem Wettbewerbsprinzip überlassen; im Vordergrund stehen die Frage, »was Banken nicht tun sollen« sowie Bestrebungen, potenzielle soziale Kosten des Bankwesens durch stringentere Regulierung zu reduzieren. Doch unter der Oberfläche von Stabilisierung und Re-regulierung entwickeln sich Diskurse und Kontroversen darüber, worin die gesellschaftliche und wirtschaftliche Funktion von Banken positiv bestehen sollte, und wie die Zukunft des Bankwesens vor dem Hintergrund solcher Funktionszuweisungen aussehen könnte.

Ein entscheidender Anstoß dazu besteht im Aufkommen der Vorstellung, das Bankwesen müsse in den nächsten Jahrzehnten vor allem dem Primat der anstehenden ökologischen sowie digitalen Transformation Rechnung tragen. Hinzu kommen Erfahrungen der Corona-Pandemie, die das Bankensystem bisher relativ unbeschadet überstanden hat, und in der Kreditinstitute zudem eine durchaus produktive Rolle gespielt haben. Ein Teil des in der Finanzkrise verloren gegangenen Vertrauens scheint zurück gewonnen, so dass der Blick nunmehr nach vorn gerichtet werden kann: Aus Sicht einer inzwischen recht breiten und vielfältigen Community aus Wirtschaftsvertreter*innen, digitalen Aktivist*innen und Politiker*innen sollen Banken die Möglichkeiten digitaler Technologien soweit als möglich ausreizen, auch wenn dies zum Teil mit der Auflösung traditioneller Geschäftsmodelle und dem Abschied von der Vorstellung eines auf Beziehungskapital beruhenden Banking einhergeht, und sie sollen eine aktive und zentrale Rolle bei der Finanzierung der Klimapolitik und der Wende hin zu ökologisch nachhaltigen Produktionsweisen einnehmen, und dabei auf das gesamte Spektrum der ihnen zur Verfügung stehenden Finanzierungsmöglichkeiten zurückgreifen. Nicht selten entstehen aus dieser doppelten Anforderung widersprüchliche Legitimitäts- und Rationalitätsvorstellungen. Zum einen sollen Banken sich radikal wandeln und sich dabei auch von den bisherigen Hauptquellen ihrer ökonomischen Bedeutung lösen, insbesondere ihrer Dominanz bei der Kreditvergabe und im Zahlungsverkehr. Zum anderen sollen sie ganz wie die traditionelle Bank flexibel Geld schöpfen, um mit sustainable finance den Prozess schöpferischer Zerstörung zu ermöglichen, den die ökologische Krise dem Kapitalismus nun abverlangt.

Die Widersprüche, die im Spannungsfeld zwischen traditionellen und neuen Vorstellungen von Banken entstehen, werden hierbei selten thematisiert. Sollen Bankkredite als Finanzierungsquelle des Wandels fungieren, oder sind sie ein Auslaufmodell? Sollen Banken sich digitalisieren oder der Digitalisierung weichen? Sind Fintechs das Ende oder die Zukunft des Bankwesens? Aktuelle Diskurse zur Zukunft des Bankwesens, wie sie beispielsweise im Kontext der Diskussion um sustainable finance, neue Formen der digitalen Finanzwirtschaft oder neuen Formen des digitalen Geldes (Kryptowährungen versus zentralbankbasiertes digitales Cash) geführt werden, verdecken nicht selten widersprüchliche Erwartungen. Sie kombinieren vergangenheits- und zukunftsorientierte Ideale und bringen die Entscheidungsträger*innen in eine schwierige Konfliktsituation. Dies spiegelt sich auch in den Widersprüchen und Paradoxien wider, die mit einer vielfach geforderten De-Finanzialisierung der Wirtschaft einhergehen (siehe das elfte Kapitel). Insbesondere ist davor zu warnen, sich von einer solchen De-Finanzialisierung eine einfache Lösung der Probleme zu erhoffen, die üblicherweise der Finanzialisierung zugeschrieben werden.

Existenz und Ausprägung solcher Widersprüche stehen im Mittelpunkt der Beiträge dieses Buches. An ihnen wird deutlich, dass Veränderungsdynamiken im Anschluss an Episoden finanzieller Instabilität, deren Abfolge sich seit Beginn der 1970er Jahre beschleunigt, als konservative Umbrüche beschrieben werden können: Bankorganisationen stehen vor der Herausforderung, sich im Spannungsfeld zwischen konkurrierenden Leitvorstellungen zu verorten, die entweder auf das in der Vergangenheit (tatsächlich oder vermeintlich) Bewährte, oder auf das mit Blick auf die Zukunft (tatsächlich oder vermeintlich) Erforderliche Bezug nehmen. Diese Leitvorstellungen dienen Akteuren als Orientierung und orchestrieren auf dieser Basis Koalitionen (ideas into practice), und sie bilden zugleich eine Ressource, um Handeln zu begründen und zu rechtfertigen (ideas onto practice). Um praktisch wirksam zu werden, sind sie konkretisierungs- und interpretationsbedürftig. Um (dauerhaft) wirksam zu werden, brauchen sie Trägergruppen, stützende Institutionen und organisationale Strukturen und Prozeduren. Die Business Community fungiert als Arena der Zirkulation und Konsolidierung von Leitideen im Hinblick auf praktische Bankgeschäftspolitik, Banken als Ort ihrer pragmatisch-situativen Deutung und Konkretisierung.

Als ein Kernproblem gesellschaftlicher Erwartungsbildung erweist sich der Umstand, dass sich die Akteure kontinuierlich in einem Spannungsfeld zwischen einem vergangenheitsorientierten, konservativen Leitbild einer guten, traditionellen und einfachen Bank einerseits und der modellbasierten Idealvorstellung von Banken als Exponenten sich radikal beschleunigender, informationseffizienter und hochliquider Märkte wiederfinden. Auf diesen Märkten sind Banken immer noch präsent, bspw. indem sie Marktzugänge organisieren und regulieren, die Funktion des market maker übernehmen, die für Kapitalmarktprodukte wie Verbriefungen notwendigen Rohstoffe in Form von Krediten beschaffen oder als Vertriebskanal fungieren. All dies ist durchaus erwünscht, aber nur schwerlich in Einklang mit Forderungen nach einer einfachen Bank zu bringen. Banken werden immer wieder ermahnt, sich konservativ zu verhalten und gleichzeitig zu akzeptieren, dass sie an einem radikalen Umbruch von Wirtschafts- und Finanzsystem teilhaben und sich deshalb selbst in einem steten radikalen Umbruch befinden.

Die Beiträge in diesem Band kombinieren die dieser Beschreibung zugrunde liegenden Analysen mit neuen weiteren Untersuchungen. Die Darstellung verfolgt eine dreifache Zielsetzung: Erstens soll die Entwicklung von Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen rekonstruiert werden, mit denen sich Banken und das Bankensystem von Seiten der allgemeinen politischen Öffentlichkeit, der Fachöffentlichkeit der Finanzregulatoren und der Wissenschaft sowie im Rahmen der Business Community konfrontiert sehen (Öffentlichkeitsanalysen). Zweitens soll analysiert werden, wie die entsprechenden Erwartungen auf der Ebene von Bank- und Kreditunternehmen praktisch wirksam werden. Die betreffenden Organisationsanalysen berücksichtigen unterschiedliche Eigentumsverhältnisse und Governancestrukturen (beispielsweise im Zusammenhang mit der Dreigliedrigkeit des deutschen Bankensystems), die bei der spezifischen Bezugnahme auf externe Erwartungen eine Rolle spielen. Drittens soll nach den Implikationen für aktuelle Probleme des Bank- und Finanzwesens gefragt werden, die sich aus einer solchen Betrachtung ergeben.

Exploration: Banken im finanzialisierten Kapitalismus

Ein wichtiger gemeinsamer Nenner der in diesem Band versammelten Beiträge besteht darin, dass sie die Entwicklung von Bankorganisationen als Teil der Herausbildung eines finanzialisierten Kapitalismus beschreiben. In der Forschung zu Finanzialisierungsprozessen, die in den beiden zurückliegenden Jahrzehnten einen beträchtlichen Umfang erreicht hat, spielen bankwirtschaftliche Themen immer noch eine untergeordnete Rolle. Ein Grund hierfür ist sicherlich, dass Finanzialisierung zunächst stark mit einem Bedeutungsverlust des Bankwesens verknüpft wurde. In ihren früheren Phasen ging es nicht zuletzt um einen Wechsel von langfristigen Bankkundenbeziehungen zu marktbasierten Finanzierungsformen, in den späteren Phasen um die Verkürzung von Bankbilanzen durch Verbriefungsmodelle. Bis kurz vor der Finanz- und Wirtschaftskrise herrschte deshalb der Eindruck vor, dass Bankorganisationen eine immer geringere Rolle für die Wirtschaftsentwicklung spielten. Umso größer war die Überraschung, als die Krise die noch immer hohe Bedeutung von Bankbilanzen offenlegte. Erst in der Retrospektive zeigt sich mithin die Rolle von sich finanzialisierenden Bankorganisationen als Getriebene wie als Treiber der Finanzialisierung.

Ein weiterer, damit eng zusammenhängender Grund für die mangelnde Berücksichtigung von Banken in der betreffenden Literatur ist der Umstand, dass die mit der Finanzialisierung verbundenen Legitimations- und Rationalitätsvorstellungen stark am Leitbild informationseffizienter Märkte ausgerichtet sind, Banken jedoch in vielerlei Hinsicht im bewussten Gegensatz zu diesem Leitbild operieren. Unter anderem sind die wesentlichen Produkte von Banken zu einem erheblichen Teil Ausdruck von Informationsproblemen, die einem effizienten Kapitalmarkt im Wege stehen, wie Klüh im fünften Kapitel im Detail aufzeigt. Sowohl der Einlagen- als auch der Kreditvertrag lassen sich als Mechanismen beschreiben, Informationsprobleme auf Märkten zu umgehen, indem die entsprechenden Transaktionen durch bankinterne Prozesse und Beziehungskapital abgebildet werden. Eine sich finanzialisierende Bank würde in dieser Perspektive an ihrer eigenen Abwicklung mitwirken und diese sogar aktiv betreiben. Sowohl organisationstheoretisch als auch angesichts der immer noch sehr großen empirischen Bedeutung von Banken scheint man in nur schwerlich auflösbaren Widersprüchen zu enden, wenn man das Wechselspiel aus Veränderungen im Bankwesen und Herausbildung eines Finanzmarktkapitalismus in den Blick nimmt. Es stellt sich die Frage, was es genau bedeuten könnte, wenn wir von einer Finanzialisierung von Banken sprechen.

Im zweiten Kapitel dieses Buches wenden sich Jürgen Kädtler und Michael Faust genau dieser Frage zu. Gegenstand ihres Beitrages ist ein allgemeines Verständnis von Finanzialisierung und dessen Konkretisierung mit Hinblick auf Banken. Finanzialisierung besteht demnach allgemein in einer Neuordnung der Hierarchie unterschiedlicher Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen, die wirtschaftlichem Handeln effektiv zugrunde gelegt werden (können). Anstelle der »realwirtschaftlichen« Bezugnahme auf Produktionsökonomie und Gütermärkte tritt die Bezugnahme auf finanzökonomische Rationalitäten in den Vordergrund. Finanzialisierung von Banken bedeutet demnach, dass die »dienende Rolle« für die Realökonomie gegenüber dem Engagement in finanzmarktökonomischen Wertschöpfungsketten in den Hintergrund tritt. Es wird gezeigt, dass die Weltfinanzkrise seit 2008, die als wesentlich durch diese Entwicklung verursacht gilt, gegenläufige Entwicklungen angestoßen hat, die als (mehr oder weniger weitgehende) De-Finanzialisierung begriffen werden, ein Thema, das im siebten Kapitel ausführlich aufgegriffen wird. Beide Entwicklungen werden für das deutsche Bankensystem konkretisiert. Vor dem Hintergrund weiterhin expandierender Finanzmärkte sowie forcierter Digitalisierung wird angenommen, dass alle Banken in Zukunft auch finanzialisiert sein werden, diejenigen mit einer starken Position im traditionellen Firmenkredit- und Privatkundengeschäft weniger, diejenigen ohne eine solche Position mehr. Das oben beschriebene Spannungsfeld zwischen (tatsächlich oder vermeintlich) bewährten Praktiken und (tatsächlichen oder vermeintlichen) Zukunftserfordernissen könnte in der aktuellen Situation demnach durch eine weitere organisationale Segmentierung zwischen traditionellen und nicht-traditionellen »Geschäftsmodellen« aufgelöst werden.

Insgesamt erweist sich die Auseinandersetzung mit Banken als ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis der Finanzialisierung von Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt, die Auseinandersetzung mit allgemeinen Finanzialisierungstendenzen als Schlüssel zum Verständnis von Bankorganisationen und ihrer Entwicklung seit den 1970er Jahren. Der zweite, dritte und vierte Teil des vorliegenden Buches wenden sich genau diesem Wechselspiel zu. Zunächst werden die Anfänge eines sich finanzialisierenden Banken- und Wirtschaftssystems in den 1970er Jahren betrachtet. Darauf aufbauend wird untersucht, wie sich in den 1980er, 1990er und 2000er Jahren wissenschaftliche und industriepolitische Vorstellungen herausbilden, die Veränderungen im Bankensystem befördern und stützen. Schließlich wird der Frage nachgegangen, welche Veränderung die Finanz- und Wirtschaftskrise hervorgerufen hat. Aufbauend auf diesen historischen und theoretischen Betrachtungen sucht der fünfte Teil die Auseinandersetzung mit den aktuellen Veränderungsprozessen.

Frühes Lehrgeld: Die Herstatt-Krise zu Beginn der Finanzialisierung

Vor dem Hintergrund des Wandels bankenbezogener Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen wird die stärkere Ausrichtung der Institute auf Finanzmarktgeschäfte, also auf Geschäfte mit Wertpapieren, Devisen und Derivaten, als ein für die Finanzialisierung der Bankwirtschaft konstitutives Moment begriffen. Zu einer realen Option wurde diese Neuausrichtung von Banken durch das enorme Größenwachstum und den gesamtwirtschaftlichen Bedeutungszuwachs der Finanzmärkte, der durch den Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems fester Wechselkurse, die Liberalisierung des Kapitalverkehrs und schließlich informations- und kommunikationstechnologische Innovationen ermöglicht wurde. Schon Anfang der 1970er Jahre kam mit der Freigabe vieler Wechselkurse und einem hochschießenden Ölpreis viel Bewegung in die Devisenmärkte. Mit einem Mal stiegen der Bedarf international tätiger Konzerne, sich gegen Wechselkursrisiken abzusichern, und damit auch die Chancen von Finanzinstituten, durch das Ermöglichen solchen »Hedgings« und darüber hinaus gehende Devisenspekulation viel Geld zu verdienen – Auftakt für einen dauerhaften Trend auf den Devisenmärkten.

Kaum war jedoch der Startschuss für diese langfristige Entwicklung gegeben, zeigten sich 1974 in der Herstatt-Krise auch schon erste Risse. Die Kölner Herstatt-Bank hatte hochspekulative Devisenpositionen aufgebaut und zudem binnen einiger Monate, in denen ihre Devisenspekulationen zu hohen Verlusten geführt hatten, einen das Eigenkapital übersteigenden Schuldenberg angehäuft. Als die Bank im Juni 1974 vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen geschlossen wurde, löste dies in dem gerade erst im Entstehen begriffenen globalen Finanzsystem große Schockwellen aus: Weltweit stürzten Institute, die ebenfalls stark in das vielversprechend expandierende Devisengeschäft eingestiegen waren, in ernsthafte Zahlungs- bzw. Refinanzierungsschwierigkeiten; teils waren Zahlungen der Herstatt-Bank an sie tatsächlich ausgefallen, teils vermuteten andere Marktteilnehmer, dass diese Institute aufgrund des Kölner Konkurses in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnten und forderten deshalb nun ihrerseits ausstehende Zahlungen ein. So wurde auf einen Schlag deutlich, wie eng Finanzinstitute aufgrund von Finanzmarktgeschäften miteinander verbunden sind, wie sehr sie – hier aufgrund des Risikos, dass die Gegenpartei eines Finanzmarktgeschäftes ausfallen könnte – wechselseitig von der dauerhaften Zahlungsfähigkeit jeweils der anderen Banken abhängig sind und wie essentiell es deshalb ist zu klären, welche Zentralbank im Notfall für die Liquiditätsversorgung welcher Institute zuständig ist.

Im Rückblick erscheint die Herstatt-Krise wie der Beginn einer Ära steigender finanzieller Instabilität in einer sich finanzialisierenden (Welt-)Wirtschaft. Dabei gab die Krise international auch den Anstoß für die Gründung des Baseler Ausschusses, in dem die – zumeist auch als Behörden der Finanzaufsicht fungierenden – Zentralbanken der großen oder für die internationale Finanzwirtschaft bedeutsamen Industrieländer relativ eng miteinander kooperieren. Aber wie wurde die Herstatt-Krise in Deutschland wahrgenommen und gedeutet, wo sie seit dem Zweiten Weltkrieg die erste Bankenkrise war und bis 2008 auch die einzige blieb?

Im dritten Kapitel zeigen Korbinian Zander, Alen Bosankic und Bernhard Emunds, dass in den Debatten, die damals in den wichtigsten Printmedien und im Zentralbankrat der Deutschen Bundesbank zur Herstatt-Krise geführt wurden, zwei Bilder der Bankwirtschaft gegeneinander standen: das Verständnis von Banken einerseits als Infrastruktur mit hundertprozentig sicheren Depositen, andererseits als Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit mit Risiken verbunden ist, an denen auch die Bankkund*innen teilhaben. In beiden Bildern zeigt sich, dass das Phänomen »Bankwirtschaft« jeweils nur sehr partiell wahrgenommen wird. Entweder wird es aus einer Alltagsperspektive heraus in den Blick genommen, so dass einseitig die Entgegennahme von Depositen und das Abwickeln des Zahlungsverkehrs im Vordergrund stehen. Oder man begreift die Geschäfte der Banken nach dem Vorbild der realwirtschaftlichen Geschäfte produzierender Unternehmen. Mit beiden Perspektiven ist die Gefahr verbunden, dass Spezifika der Bankwirtschaft wie ihre Fähigkeit Geld zu schöpfen oder ihre Anfälligkeit für »Ansteckungen« ausgeblendet werden. Gerade diese und andere Besonderheiten der Bankwirtschaft sind jedoch für die Entstehung und den Ablauf von Finanzkrisen hoch relevant. Zudem identifizieren die Autoren im Anschluss an die économie des conventions die staatsbürgerliche und die marktliche Konvention als jene Rechtfertigungsordnungen, die die jeweiligen Bilder der Bankwirtschaft primär bestimmen. Die beiden wichtigsten institutionellen Innovationen, die in Deutschland von der Herstatt-Krise angestoßen wurden, der Einlagensicherungsfonds für die privaten Banken und die Liquiditäts-Konsortialbank, werden aus dieser Perspektive als Kompromisse zwischen den beiden Rechtfertigungsordnungen verständlich.

Alen Bosankic, Moritz Hütten und Ulrich Klüh setzen im vierten Kapitel die Herstatt-Krise zu einem sich damals allmählich durchsetzenden neuen Makroregime in Beziehung, das finanzökonomisch vom Vorrang der Geldwertstabilität, einem Bedeutungsgewinn der Finanzmärkte und einer starken Zunahme der Kapitalmobilität geprägt ist. Anhand der Protokolle des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank sowie des Schlussberichtes einer 1974 vom Bundesfinanzminister eingesetzten Studienkommission zur Kreditwirtschaft zeigen sie auf, dass die Ursachen der Herstatt-Krise, die aus heutiger Sicht mit der Herausbildung des neuen Makroregimes eng zusammenhängen, in der (west-)deutschen Fachöffentlichkeit kaum thematisiert wurden. Ausgeblendet blieben insbesondere die Zunahme grenzüberschreitender Finanztransaktionen, die gestiegene Volatilität der Wechselkurse und die unzureichende Regulierung der sich globalisierenden Finanzwirtschaft. Während in der Bundesbank zumindest über die Herausforderungen steigender finanzieller Instabilität – auch und vor allem mit Blick auf die eigene Geldpolitik – diskutiert wurde, kommt die Studienkommission zwar auf wachsende Risiken der Bankwirtschaft zu sprechen, fragt aber nicht nach deren Ursachen und schaut stattdessen mit der Brille der Ordnungspolitik kritisch auf die damals für das »Modell Deutschland« noch kennzeichnende Verflechtung von Großbanken und Großunternehmen.

Zwischen Marktmodellen und realen Bedarfen: Finanzialisierung von Banken im Kontext

Am Beispiel der Herstatt-Krise wird deutlich, dass in den 1970er Jahren die politischen Akteure und die allgemeine Öffentlichkeit, aber eben auch die Fachdiskurse noch kaum in der Lage waren, ein angemessenes Bild von den Herausforderungen steigender finanzieller Instabilität zu zeichnen, die mit dem Bedeutungsgewinn und der Internationalisierung der Finanzmärkte verbunden sind. Auch in den Wirtschaftswissenschaften gab es damals kaum Ansätze, in denen der Finanzwirtschaft ein nennenswerter Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen und insbesondere auf Entstehung, Verlauf und Wirkungen von Wirtschaftskrisen beigemessen wurde. Die ersten entsprechenden Modelle entstehen erst ab den 1980er Jahren und erlauben einen Einblick in die wissenschaftlich geprägte Fachöffentlichkeit und deren Rolle im Wechselspiel aus struktureller Finanzialisierung und strukturellen Veränderungen im Bankwesen.

Im fünften Kapitel wendet sich Ulrich Klüh diesem Wechselspiel zu. Es greift zunächst die These auf, dass trotz der zahlreichen Fortschritte der Forschung zu wirtschaftswissenschaftlicher Performanz und gesellschaftlicher Finanzialisierung noch kein umfassendes Verständnis der Ko-Evolution von ökonomischer Expertise, Finanzsystemen und Gesellschaft vorliegt. Insbesondere ist nicht geklärt, welche Rolle die sogenannte »Mainstream-Ökonomik« bei der Herausbildung entsprechender sozioökonomischen Strukturen, wirtschaftspolitischen Ausrichtungen sowie Rationalitäts- und Legitimationsvorstellungen spielte. Welche Rolle kam insbesondere der bankwirtschaftlichen Forschung zu, und wie hat dies die Bankwirtschaft beeinflusst? Wie haben Ökonom*innen durch ihre Aktivitäten zum Entstehen der Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise zwischen 2007 und 2015 beigetragen, welche Rolle kam ihnen bei der Aufarbeitung der Krise zu, und welche Position nehmen sie im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse aktuell ein? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die ökonomische Literatur zur Mikrofundierung des Bankwesens betrachtet, die Forschung zur Beschreibung von Anreizproblemen im Zentralbankwesen und die unterschiedlichen Generationen von Erklärungsansätzen zur Entstehung und Dynamik von Finanzkrisen. Hauptziel der Untersuchung ist ein besseres Verständnis der Wirkungsmechanismen an der Schnittstelle zwischen wirtschaftswissenschaftlicher Forschung zu Banken und Finanzialisierung. Darüber hinaus werden Anknüpfungspunkte zwischen der orthodox-wirtschaftswissenschaftlichen und der sozialwissenschaftlich-kritischen Forschung zu Banken und Finanzsystemen gesucht.

Rückblickend erwiesen sich sowohl die einschlägigen Modelle der Wirtschaftswissenschaften als auch die durch diese Modelle legitimierten Instrumente als unzureichend, um Krisen in ihrer Dynamik und ihren Auswirkungen einzudämmen, geschweige denn sie vorherzusagen oder zu vermeiden. Vielmehr halfen sie die Schwächen einer auf zunehmende Finanzialisierung setzenden Wirtschaftsentwicklung zu kaschieren, die inhärente Instabilität von Märkten und die strukturelle Krisenanfälligkeit kapitalistischer Gesellschaften zu verdecken, und die mit zunehmender Häufigkeit auftretenden Probleme als Konsequenz von zwei im Wechselspiel stehenden Abweichungen vom Marktprinzip zu erklären. Die seit den siebziger Jahren vermehrt auftauchenden Krisen werden einerseits der spezifischen Fragilität von Finanzintermediären sowie ihrer unzureichenden Vermarktlichung und regulatorischen Vermessung, andererseits der Existenz eines staatlichen Geldmonopols zugeschrieben, das durch seine Auffanglösungen eine wirkliche Bereinigung der finanzwirtschaftlichen Landschaft immer wieder verhindere.

Schließlich haben die betrachteten Modelle entscheidend dazu beigetragen, Zweifel am Prinzip der Bankbeziehung und damit Zweifel am Prinzip einer elastischen Kreditvergabe zu säen. Damit waren sie ein entscheidender Faktor bei der Substitution von Krediten durch marktfähige Finanzprodukte. Es wäre allerdings viel zu kurz gesprungen, den Bedeutungsverlust des Bankkredites nur einer ideologisch geprägten und wirtschaftswissenschaftlich gestützten Marktorientierung zuzuschreiben. Vielmehr ist ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren in den Blick zu nehmen, die zudem je nach Land und Region ganz unterschiedlich zusammenwirkten. Benjamin Braun und Richard Deeg wenden sich im sechsten Kapitel dem deutschen Fall zu und untersuchen, welche Rolle das spezifische exportorientierte Wachstumsmodell Deutschlands für den Bankensektor spielte. Die vergleichende Kapitalismusforschung sieht die finanzielle Grundlage des Erfolgs der deutschen Exportwirtschaft in dem reichlich vorhandenen langfristigen Kapital, das den Unternehmen über das dreigliedrige Bankensystem sowie von »geduldigen« inländischen Anteilseignern zur Verfügung gestellt wird. Diese Prämisse prägt auch die neuere Literatur zu Wachstumsmodellen, die für Deutschland seit den 1990er Jahren eine Verlagerung hin zu einem rein exportorientierten Wachstumsmodell belegt. Braun und Deeg hinterfragen diese gängige Annahme der Stetigkeit im deutschen Finanzsystem. Exportorientiertes Wachstum, gestützt durch eine Drosselung des aggregierten Lohnwachstums, habe hohe Unternehmensgewinne erbracht und es Unternehmen ermöglicht, Investitionen zunehmend aus thesaurierten Gewinnen zu finanzieren und dadurch unabhängiger von Außenfinanzierung zu werden. Der Beitrag belegt diesen Trend und zeigt eine schrumpfende Nachfrage nach Firmenkrediten auf, die die Macht und Bedeutung der Banken gegenüber der deutschen Industrie mindern. Die Fallstudie weist auf die Notwendigkeit hin, bei künftiger Forschung zu Wachstumsmodellen der dynamischen Interaktion zwischen institutionellen Sektoren im Allgemeinen sowie zwischen Finanz- und Nichtfinanzsektor im Besonderen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Gerade am deutschen Fall wird deutlich, wie vielfältig und widersprüchlich die Zusammenhänge zwischen Veränderungen in der Realwirtschaft, in der Finanzwirtschaft, in den Sichtweisen wissenschaftlicher und anwendungsorientierter Expert*innen, in der Politik und in der breiteren Bevölkerung sind. Dem globalen Trend zu einer Finanzialisierung von Wirtschaft und Gesellschaft wird gerade zu Beginn vielfach nur zögerlich gefolgt, und dann mit spezifischen Stoßrichtungen wie der der Auflösung der sog. Deutschland AG. Doch spätestens seit den neunziger Jahren dynamisiert sich auch in Deutschland der Trend zu finanzialisierten Denk- und Verhaltensweisen. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die sich rapide beschleunigende Globalisierung der Märkte. Unter dem Deckmantel rasch zunehmender Handelsbeziehungen kommt es zu einer um ein Vielfaches stärkeren Globalisierung der Finanzmärkte. Gestützt durch den sog. Washington Consensus greift die Vorstellung um sich, dass nur eine radikale Öffnung der Kapitalverkehrsbilanzen sowie eine damit einhergehende Liberalisierung der Finanzmärkte zu einer effizienten Allokation von Kapital führen könne. Es kommt zu einer Globalisierung der Finanzialisierung und zu einer Finanzialisierung der Globalisierung.

Spätestens mit der Asienkrise kommen diese Vorstellungen zwar ins Wanken; die lange Serie von Krisen in Schwellenländern, die 1994 mit der Tequila-Krise in Mexiko ihren Anfang nimmt, führt aber nicht zu einem wirklichen Umdenken. Erste Ökonom*innen wie Joseph Stiglitz beginnen zwar die »Schatten der Globalisierung« zu hinterfragen, die Rolle von finanzialisierten Deutungs- und Rechtfertigungsmustern bleibt wissenschaftlich aber insgesamt eher unterbelichtet. Die globalisierungskritische Bewegung erkennt zwar, dass und wie die zunehmende Bedeutung von Finanzmärkten und finanzieller Logik unmittelbar mit einem Kontrollverlust demokratischer Instanzen einhergeht, politisch bleiben diese Einsichten jedoch wirkungslos. Entsprechende Vorstöße erzielen zwar – wie Theorien sozialer Bewegungen nahelegen – erhebliche öffentliche Resonanz, zumeist aber nur sehr begrenzte institutionelle Wirkungen. In den 1990er Jahren und kurz nach dem Millennium wurden in Deutschland und einigen anderen Gesellschaften des westlichen Kontinentaleuropas der Strukturwandel der Finanzwirtschaft, der gesamtwirtschaftliche Bedeutungszuwachs der Finanzmärkte und Tendenzen einer stärkeren Ausrichtung der Unternehmensführung auf den Shareholder Value kritisch diskutiert. Die Zweifel an der Legitimität der stärker marktzentrierten Finanzwirtschaft wurden jedoch erst mit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise so wirkmächtig, dass die wirtschaftliche und politische Funktionselite westlicher Gesellschaften nachhaltig verunsichert wurde und es tatsächlich zu einem Wandel wirtschaftlicher und politischer Strukturen kam.

Zäsuren und Kontinuitäten: Die globale Finanzkrise und ihre Folgen

Mit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise 2007, spätestens jedoch nach der sogenannten Lehman-Pleite, ist der Reflexions- und Handlungsbedarf im Hinblick auf die Probleme einer finanzialisierten Wirtschaft nicht mehr von der Hand zu weisen; in der Krise tritt die ausgeprägte Tendenz der marktbasierten Finanzwirtschaft zu finanzieller Instabilität offen zu Tage. In Deutschland wurde eine Revision der Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen von Banker*innen angestoßen, die in der Konsequenz strategische Neuausrichtungen bei den Geschäftsmodellen der Institute einleiteten. Mit der Krise wandelte sich in den Industrieländern aber auch die Wahrnehmung des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik. In der regional zur Eurokrise mutierten Finanzkrise waren es dann jedoch vor allem die politischen Institutionen, die schließlich unter Druck gerieten. Veränderungen wurden insbesondere bei den recht hoch verschuldeten EU-Mitgliedsländern angestoßen, wobei die Modi des Krisenmanagements und des institutionellen Wandels auch länderspezifische Pfadabhängigkeiten aufwiesen. Die zahlreichen Zäsuren, die mit der globalen Finanzkrise und ihrer Bearbeitung in verschiedenen Handlungsbereichen westlicher Gesellschaften verbunden sind, aber auch die Strukturen, die für Kontinuitäten im Krisenmanagement und in den Reaktionen auf die Krise sorgten, werden an drei Beispielen schlaglichtartig beleuchtet.

Der Frage, wie sich in Deutschland die Vorstellungen der Banker*innen davon, was eine »gute« Bank ausmacht, verändert haben, gehen Michael Faust, Jürgen Kädtler und Lukas Thamm im siebten Kapitel nach. Anhand der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, des Zentralorgans der Branche, untersuchen sie exemplarisch den Wandel der Leitbilder in der Bankenöffentlichkeit zwischen 1990 und 2012. Vor der Finanzkrise war das Leitbild des marktbasierten Bankings, exemplarisch verkörpert durch die Deutsche Bank, schrittweise zum zentralen Bezugspunkt des Diskurses avanciert. Dabei blieb das neue Leitbild jedoch nicht unangefochten. Traditionelle Vorstellungen guten Bankings verloren zwar an Geltungskraft, verschwanden aber nie gänzlich als alternativer Orientierungspunkt. Das lag unter anderem daran, dass die Sparkassen und Genossenschaftsbanken und die mit ihnen verbundenen Trägergruppen des alten Leitbilds weiterhin Gewicht sowie Rückhalt in der Bundespolitik hatten. Eine explizite Leitbildkontroverse entwickelte sich aufgrund des von den privaten Banken eingeleiteten EU-Beihilfeverfahrens. Die angegriffenen Sparkassen blieben zwar in der Defensive, positionierten sich aber nun dezidierter als »Widerlager« zu einer zu weit getriebenen Globalisierung und Finanzmarktorientierung der Bankwirtschaft. Die Weltfinanzkrise änderte die Diskurslage dann schlagartig. Nun waren es das marktbasierte Banking und seine Vertreter*innen, die in die Defensive gerieten, während das traditionelle Banking, für das Sparkassen und Genossenschaftsbanken standen, eine Renaissance erlebte und zum Bezugspunkt von Reform- bzw. Re-Reformbestrebungen wurde. Mit der zeitlichen Entfernung von der Finanzkrise trat die Leitbildkontroverse allerdings wieder schrittweise in den Hintergrund. Zunehmend wurden und werden gemeinsame Interessen der Bankenbranche gegenüber der Öffentlichkeit und den Regulierungsinstanzen deutlich artikuliert.

Etwa gleichzeitig mit der stärkeren Marktzentrierung der deutschen Bankwirtschaft sowie, international, mit dem Wachstum und dem Strukturwandel der Finanzwirtschaft war es auch in den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Debatten westlicher Gesellschaften zu einer deutlichen Akzentverschiebung gekommen. Marktliberale Positionen hatten vielfach die Oberhand gewonnen und sich als besonders wirkmächtig erwiesen. Diese behaupteten eine prinzipielle Überlegenheit »des Marktes« gegenüber dem Staat, also der privatwirtschaftlichen Organisation gegenüber der politischen Steuerung, und führten zu Privatisierungen, Deregulierungen und zu Versuchen, in verschiedensten Kontexten Wettbewerb zu »entfesseln«. So wurde die globale Finanzkrise zum Offenbarungseid dieser – auch schon zuvor in Kontinentaleuropa keineswegs unumstrittenen – Weltanschauung. Gigantische Rettungspakete, aktivistisch intervenierende Zentralbanken, internationale Vereinbarungen zur Re-Regulierung der Finanzwirtschaft – Staat und »Markt« schienen die Positionen der Stärke und der Schwäche nun vertauscht zu haben. Die Kräfte »des Marktes« hatten nicht zur Selbstheilung geführt, sondern in die Krise; sie drohten die finanzwirtschaftlichen Marktakteure in den Abgrund zu reißen, es sei denn, sie würden durch die Nationalstaaten gerettet. In der deutschen Öffentlichkeit gab es für diese scheinbare Umkehrung der Kräfteverhältnisse zwischen den großen Banken und der staatlichen Politik am 5. Oktober 2008 einen dramaturgischen Höhepunkt: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück verkündeten vor laufenden Fernsehkameras, dass der deutsche Staat für die Sicherheit von Einlagen bei deutschen Banken bürge. Ähnlich wie die Wiederholung dieses Versprechens knapp vier Jahre später in der Zypernkrise durch Regierungssprecher Steffen Seibert war diese Inszenierung der Versuch, über die Massenmedien auf die deutsche Öffentlichkeit einzuwirken, sie zu beruhigen und damit einen Bank Run zu verhindern.

Was bedeutet dieser Versuch der Politik, die Medien als Sprachrohr ihrer Botschaft in die Gesellschaft zu nutzen, für das journalistische Selbstverständnis? Was haben die Journalist*innen aus der Garantieerklärung gemacht? Wurden sie ihrem Auftrag gerecht, nicht nur Bericht zu erstatten, sondern auch Hintergründe offen zu legen und abweichende Positionen zu Wort kommen zu lassen? War es ihnen möglich, wenigstens im Moment der Krise ein Verständnis der Bankwirtschaft zu vermitteln, das über die – auf die Passivseite der Bankenbilanzen (Einlagen!) fixierte – Alltagswahrnehmung von Banken hinausging? Diesen Fragen gehen Isabella Senghor und Bernhard Emunds mit Blick auf führende Medien des deutschen Printjournalismus im achten Kapitel nach. Dabei arbeiten sie heraus, wie die FAZ, die BILD, der SPIEGEL und die ZEIT über die »Merkel-Garantie« im Oktober 2008 sowie über ihre Bestätigung im März 2013 berichtet, und wie sie diese eingeordnet und kommentiert haben. Diese journalistische Praxis messen sie an den Ansprüchen, die mit dem von Carsten Brosda entwickelten Leitbild des diskursiven Journalismus verbunden sind. Auf der Grundlage dieser medienethischen Reflexion plädieren sie für Kooperationen zwischen den Politik- und Wirtschaftsredaktionen der Blätter sowie zwischen diesen und den entsprechenden Redaktionen großer Zeitungen im EU-Ausland. Auf diese Weise könnten die Zeitungen ihre Fähigkeiten zur ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Einordnung wirtschaftlicher Phänomene erhöhen und der wichtigen Aufgabe besser gerecht werden, den eigenen Leser*innen bei wichtigen internationalen Phänomenen auch Sichtweisen aus anderen Ländern zu erschließen.

Isabel Kusche untersucht im neunten Kapitel mit Griechenland und Irland zwei von der globalen Finanzkrise besonders betroffene EU-Mitgliedsstaaten und fragt nach Gründen für die unterschiedlichen politischen Wirkungen der Krise in den beiden Ländern. Dabei arbeitet sie heraus, dass in beiden Staaten seit langem partikularistische, auf den eigenen materiellen Vorteil zielende Erwartungen an die Politik dominant sind, deren Erfüllung in den Jahrzehnten vor der Krise allerdings auf verschiedenen Wegen angezielt wurde: im griechischen Fall vor allem über klientelistische Strukturen der Zuteilung staatlicher Ressourcen an die jeweils eigene Anhängerschaft und an jene gesellschaftlichen Gruppen, aus denen sie stammt, im irischen Fall dagegen durch Versprechen einer Steuersenkung für bestimmte Gruppen und durch Versuche der direkt gewählten Abgeordneten, öffentliche und private Investitionen in den eigenen Wahlkreis zu holen. Gegenüber dem Einbruch öffentlicher Einnahmen in der Finanzkrise und gegenüber einer marktliberalen, primär auf Austerität zielenden Krisenpolitik der EU erwiesen sich diese beiden Varianten partikularistischer Politik als unterschiedlich robust. Während damit der griechischen Form des politischen Wettbewerbs der Boden entzogen wurde, hatten die irischen Abgeordneten immerhin noch die Option einer intensivierten Wahlkreisarbeit. Entsprechend war die politische Instabilität in dem allerdings auch beim Anstieg der Armut stärker betroffenen Griechenland höher. In beiden Fällen also hing das Gefährdungspotential, das von der Weltfinanzkrise für die Demokratie ausging, auch von politischen Konstellationen ab, die bereits vor der Krise die Möglichkeiten einer gestaltenden und nicht allein Partikularinteressen bedienenden Politik limitierten.

Im Kontext der globalen Finanzkrise kam es in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und in den wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fachdiskursen zu einer Debatte über die zentralen Funktionen der Finanzwirtschaft für die Wirtschaft insgesamt und für die Gesellschaft, über die mit ihr verbundenen Risiken und Nebenwirkungen sowie über die Ziele und Mittel, sie politisch zu gestalten. Kurzum, gesellschaftliche Erwartungen an Banken wurden ab 2008 explizit formuliert und vergleichsweise ausgiebig debattiert.

Das Bankensystem vor Umbrüchen: De-Finanzialisierung und Demokratisierung?

Aber auch in den Analysen, Reflexionen und Deliberationen nach der globalen Finanzkrise blieben grundlegende Fragen zu den Institutionen des Kredit- und Geldwesens unbeantwortet: In Deutschland erlebte das traditionelle Verständnis von Bankwirtschaft zwar eine Renaissance; die Institute besannen sich auf ihre traditionellen Aufgaben, Kredite zu vergeben, Einlagen zu verwahren und den Zahlungsverkehr abzuwickeln – aber ein einträgliches, zukunftsträchtiges Geschäftsmodell scheinen sie damit nicht zur Hand zu haben. Was also sind künftig die Aufgaben von Banken? Und: Wie scharf soll in Zukunft die Konkurrenz zwischen den Instituten sein? Ist ein ungebremster Wettbewerb entscheidend, um das Geschäftsgebaren der Institute an den Interessen der Kunden auszurichten? Oder führt er im Gegenteil vor allem zu einer Erosion der Gewinnchancen der Banken und damit ihrer Fähigkeit, haftendes Eigenkapital zu akkumulieren?

Offen sind schließlich auch die Rolle der Zentralbanken und ihr Verhältnis zu den unter Druck geratenen Geschäftsbanken. Aus der Weltfinanzkrise gingen die Zentralbanken gestärkt hervor; zumindest in der EU erwies sich die Zentralbank sogar als der wirkmächtigste politische Akteur. Zugleich jedoch zeigen zum Beispiel die in der Krise extrem aufgeblähten Bilanzen der Zentralbanken, dass die traditionelle Symbiose zwischen Geschäftsbanken und Zentralbank in eine Krise geraten ist. Die Arbeitsteilung zwischen Kreditvergabe und damit verbundener Haftung durch Geschäftsbanken einerseits, der Absicherung der mit den Krediten entstehenden Depositen sowie der Steuerung der Geschäftsexpansion der Institute durch die Zentralbank andererseits, funktioniert offenbar heute nicht mehr so, wie noch vor der globalen Finanzkrise, geschweige denn wie vor dem Strukturwandel zu einer markzentrierten Bankwirtschaft.

Die Frage nach einem zukunftsträchtigen Geschäftsmodell für Banken in Deutschland steht hinter dem zehnten Kapitel, einem weiteren Beitrag von Michael Faust und Jürgen Kädtler. Da die Finanzialisierung von Banken, ihre stärkere Ausrichtung auf Finanzmarktgeschäfte, bei der Entstehung der globalen Finanzkrise ein bedeutsamer ursächlicher Faktor war, läge eigentlich der Schluss nahe, dass eine nachfolgende De-Finanzialisierung der Bankwirtschaft zu einer Stabilisierung des Finanzsystems beitragen müsste. Auf der Basis von Fallstudien und statistischen Daten zu den Finanzierungsstrukturen von Unternehmen und den Erlösen von Banken zeigen die Autoren jedoch, dass die kollektive Rückbesinnung von Banken auf das traditionelle Kreditgeschäft mit Firmenkunden im Zusammenspiel mit veränderten Machtstrukturen auf den Kreditmärkten und einem veränderten Finanzierungsverhalten der Unternehmen neue Risiken für die Banken und somit für die Stabilität des Finanzsystems schafft. Die De-Finanzialisierung von Banken verschärft im Geschäft mit Unternehmenskrediten den Wettbewerbsdruck unter den Anbietern, wodurch diese sich gedrängt sehen, niedrigere Margen hinzunehmen und bei den Konditionen der Kreditverträge Konzessionen zu machen. In diesen problematischen Wirkungen besteht die Paradoxie der De-Finanzialisierung: Die weitgehende Abkehr vom marktbasierten Geschäft, das als eine Ursache finanzieller Instabilität identifiziert wurde, trägt ihrerseits zur Destabilisierung des Bankensystems bei. Die neu entstehenden Probleme sind aber auch einer veränderten Machtbalance zwischen Banken und Unternehmen geschuldet. Letztere greifen zur Finanzierung ihrer Investitionen verstärkt auf andere externe Finanzierungsmöglichkeiten als Bankenkredite sowie auf einbehaltene Gewinne zurück. Damit reagieren sie auf die Verteuerung des Kreditgeschäfts durch die Bankenregulierung sowie auf ihre Erfahrungen eines erschwerten bzw. ungünstigeren Kreditzugangs vor und in der Finanzkrise.

Das elfte Kapitel von Roxanne Bleifeld und Moritz Hütten lenkt die Aufmerksamkeit auf die Zentralbanken. Obwohl diese aus den Turbulenzen der Weltfinanzkrise mit dem Image hervorgingen, besonders handlungsfähig und einflussreich zu sein, blieb auch ihre Legitimität nicht völlig unangefochten. Handelt es sich bei einer Zentralbank aus demokratischer Perspektive doch um einen staatlichen Akteur, der über wirkmächtige Instrumente verfügt, dessen Amtsträger aber weder demokratisch gewählt sind, noch sich in ihrer Politik an parlamentarisch beschlossenen Grundlinien halten oder über ihre Maßnahmen in einem demokratischen Forum Rechenschaft ablegen müssen. Bitcoin kann man aus dieser Perspektive auch als Experiment einer alternativen Geldform begreifen, das auf dieses Demokratiedefizit der Zentralbanken reagiert.

Auf dieser Hintergrundfolie zeigen die Verfasser*innen auf, wie Zentralbanken zur Popularisierung der Idee beigetragen haben, dass zwischen dem ideologisch motivierten Ansatz von Bitcoin als einem problematischen monetären Experiment und den vielversprechenden Finanztechnologien, die auf einer vermeintlich neutralen Basistechnologie (»Blockchain«) beruhen, unbedingt eine klare Trennlinie zu ziehen sei. Auf diese Weise gelang es, ein Geldexperiment, das eigentlich Ausdruck enttäuschter Erwartungen an Banken und Zentralbanken war, so zu nutzen, dass Erwartungen an ein zentralbankbasiertes Geldsystem stabilisiert werden. Bleifeld und Hütten stützen sich auf die These sozio-technischer Imaginäre, wonach mit Technologien verbundene Vorstellungen des Zusammenlebens soziale Komplexität strukturieren und Teilphänomene mit Bedeutungen belegen. Die Autor*innen arbeiten heraus, dass die Zentralbanken durch die Auseinandersetzung mit neuen Technologien ihre dominante und unvollständig legitimierte Rolle in einem System festigen konnten, dessen Demokratiedefizit eine wesentliche Triebfeder des Aufkommens ebenjener Technologien war.

Digitalisierung als Datafizierung der Welt und die Notwendigkeit einer ökologisch-sozialen Transformation sind heute gesellschaftliche Megathemen. Mit Blockchain und Bitcoin klang die Digitalisierung der Finanzwirtschaft bereits an. Aber nicht nur Währungen auf Blockchain-Basis, sondern auch manche Geschäftsideen von Fintechs haben das Potenzial, Prozesse der finanzwirtschaftlichen Disintermediation voranzutreiben und so die bereits jetzt schon prekäre Geschäftsgrundlage der Bankwirtschaft weiter in Frage zu stellen. Die Aufgabe, den gigantischen ökologischen Umbau alles Wirtschaftens zu finanzieren, hat sustainable finance in den Fokus des Interesses gerückt. Die in der Debatte vertretenen Einschätzungen schwanken hier zwischen der Hoffnung auf eine marktbasierte Finanzwirtschaft als Retterin der Welt vor dem ökologischen Kollaps und der Aufforderung an staatliche Institutionen, die private Finanzwirtschaft durch geeignete Regulierungen, aber auch mithilfe von Garantien stärker in den Dienst an der notwendigen Transformation zu stellen, ohne an dem Ziel finanzieller Stabilität Abstriche zu machen.

Blick nach vorne: Banken in der Transformation

Im zwölften Kapitel, dem letzten Beitrag dieses Bandes, wendet sich Ulrich Klüh der Frage zu, wie eine solche Transformation des Finanzsektors und insbesondere der Bankwirtschaft vor dem Hintergrund ökologischer, technologischer und gesellschaftspolitischer Herausforderungen aussehen könnte. Woher kommen wir, wo stehen wir und wohin entwickelt sich die Finanzwirtschaft? Welche alternativen Entwicklungspfade lassen sich im Kontext der genannten Herausforderungen identifizieren? Zur Beantwortung dieser Fragen wird die Entwicklung des Sektors in den Jahrzehnten vor der Krise resümierend nachgezeichnet. Dabei wird aufgezeigt, dass der Finanzsektor die Entbettung von Märkten in dieser Phase sowohl erlitten als auch im Zusammenspiel mit staatlichen Instanzen mit angetrieben hat. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise sind Gegenbewegungen in Gang, die zwei Szenarien besonders wahrscheinlich erscheinen lassen. Auf der einen Seite besteht die Möglichkeit einer Art Finanzialisierung 2.0 unter der Oberfläche von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Auf der anderen Seite steht das Finanzsystem einer konsequenten sozial-ökologischen Transformation. Es zeigt sich, dass die Zukunft der Finanzwirtschaft und der Banken inhärent mit der Frage nach der Herausbildung einer transformativen Staatlichkeit verwoben ist, die wirtschaftliche Prozesse grundlegend und weitreichend demokratisiert und sich gleichzeitig starke Rechenschaftspflichten zumutet.

Als entscheidend im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung erweist sich somit die doppelte Frage, ob man das Finanzsystem und seine Banken in Zukunft einer sehr weitgehenden demokratischen Kontrolle unterwerfen und auf gesellschaftliche Ziele ausrichten kann, ohne dass es zum Spielball von Partikularinteressen wird. Wie ein demokratisiertes Finanzsystem aussehen könnte, das sich in den Dienst gesellschaftlicher Ziele stellt und gleichzeitig Tendenzen zur Vermachtung und zum Machtmissbrauch effektiv abwehrt, sollte deshalb im Zentrum zukünftiger Forschung stehen. Dabei kann die Forschung auf historische Erfahrungen (wie die institutionelle und organisatorische Einbettung von Zentralbanken in das Staatswesen der Nachkriegszeit), Restbestände demokratischer Steuerung im Finanzsystem (wie die kommunalen Vertreter*innen in den Verwaltungsräten von Sparkassen) sowie zahlreiche innovative Ansätze einer öffentlichen Finanzwirtschaft (wie sie sich im Zuge des Green Deals in einigen Förder- und Entwicklungsbanken herausbilden) zurückgreifen. Ebenso vielversprechend ist es, den Banken konkrete Vorgaben zu machen, wann ihre Produkte als nachhaltig bezeichnet werden dürfen, wie sich dies im Rahmen der sog. EU-Taxonomie andeutet. Auch im Bereich ethisch-ökologischer Banken finden sich Steuerungsansätze, die eine Untersuchung lohnen.

Die historische Erfahrung nach dem zweiten Weltkrieg zeigt, dass ein demokratisch kontrolliertes Finanzsystem Herausforderungen birgt, aber nicht zwangsläufig in Katastrophen endet. Eine bessere Balance zwischen einer technokratischen und einer demokratischen Kontrolle des Geldes setzt deshalb voraus, dass der exzessive Rückzug der Politik aus dem Bankwesen, den Sparkassen und vor allem der Zentralbank korrigiert wird. Ein gewisses Maß an Delegation an unabhängige öffentliche Manager ist im Finanzsystem wünschenswert, weil es politischem Missbrauch des Geldsystems vorbauen kann. Das aktuelle Ausmaß an Unabhängigkeit und politischer Abwesenheit ist allerdings höchst problematisch. Dies könnte jedoch aufbauend auf Restbestände demokratischer Einflussnahme (bspw. im Sparkassenwesen) und auf die in den letzten Jahren neu geschaffene Strukturen eines investiven Staates in überschaubaren Zeiträumen korrigiert werden.

I.Exploration: Banken im finanzialisierten Kapitalismus

Was bedeutet Finanzialisierung von Banken?

Michael Faust und Jürgen Kädtler

1.Einleitung

Die Beiträge zur Beschreibung und Erklärung der Weltfinanzkrise von 2008, ihrer Folgen und ihrer politischen Verarbeitung auf nationaler, regionaler (EU) und globaler Ebene füllen mittlerweile Bibliotheken (siehe etwa: Davis 2009; Lounsbury/Hirsch 2010; Engelen et al. 2011; Hardie et al. 2013; Wullweber 2016). Dabei besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, dass der Charakter der Krise als globale Finanzkrise mit der Komplexität und Intransparenz global vernetzter Finanzmärkte auf einen Kern gemeinsamer Ursachen verweist. Diese werden in der Literatur seit Beginn der 2000er Jahre mit dem Begriff einer Finanzialisierung adressiert, der mit Ausbruch und Eskalation der globalen Finanzkrise in wissenschaftlichen wie politischen Debatten zu einem wesentlichen Kennzeichen von Gegenwartsgesellschaften avanciert ist. Zugleich sind Banken, deren vermeintlich nur mehr marginale und weiter sinkende Bedeutung einen Grundzug vieler Finanzialisierungsdiskurse vor der Krise bildete, im Gefolge des Lehman-Zusammenbruchs ins Zentrum der betreffenden Perspektiven gerückt. Die Finanzialisierung der Banken, ganz allgemein begriffen als eine strategische Veränderung ihrer Positionierung innerhalb des Finanzsystems und gegenüber der »Realwirtschaft«3 gilt als eine wesentliche Ursache für den Ausbruch und namentlich die dynamische, globale Verbreitung der Finanzkrise.

Allerdings ist der Begriff der Finanzialisierung in dem Maße, in dem alle möglichen Aspekte der Entwicklung von Gesellschaften mit ihm belegt werden, in der Gefahr, konzeptionell überdehnt zu werden und zu einer leeren Abstraktion ohne heuristischen Wert (Engelen 2008: 113) zu geraten (vgl. dazu ausführlich: Faust/Kädtler 2018). Der Versuch, dem durch definitorische Setzungen zu entgehen, ist seinerseits in der Gefahr, in ein Nebeneinander mit einander unverbundener Partialfinanzialisierungsdiskurse zu führen, bei denen unklar bliebe, warum das gleiche Wort für unterschiedliche Sachverhalte herangezogen werden soll. Wenn wir gleichwohl im Folgenden mit einem Begriff von Finanzialisierung operieren, dann unter der Prämisse, dass mit ihm ein Bedeutungskern adressiert wird, der die unterschiedlichen Verwendungskontexte mit einander verbindet, ohne sie in einander aufgehen zu lassen4.

In diesem Sinne begreifen wir Finanzialisierung im Anschluss an konventionentheoretische Konzepte (Thévenot 2006, 2007; Boltanski/Thévenot 2007; Kädtler 2011) als eine Neuordnung der Hierarchie von Begründungsordnungen, d.h. von Rationalitäts- und Legitimitätsvorstellungen, die wirtschaftlichem Handeln effektiv zugrunde gelegt werden (können). Anstelle der »realwirtschaftlichen« Bezugnahme auf Produktionsökonomie und Gütermärkte tritt die Bezugnahme auf finanzökonomische Rationalitätskonzepte in den Vordergrund. In Anlehnung an Michel Callon und Donald MacKenzie kann man darin ein re-embedding of the economy in economics (vgl. Callon 1998: 23-32) bzw. ein Beispiel für die performativity der Wirtschaftswissenschaften (MacKenzie 2006: 15-20) sehen. Wie und warum es zu einer solchen Entwicklung kommt erschließt sich freilich erst, wenn man gesellschaftliche Gelegenheitsstrukturen in den Blick nimmt, unter denen sie sich vollzieht. In Anlehnung an Jens Beckert (Beckert 2010) legen wir dabei ein Konzept sozialer Felder zugrunde, das durch das (spannungsvolle) Zusammenspiel von Institutionen, sozialen Netzwerken und kognitiven Rahmungen in der Form von Leitbildern oder Begründungsordnungen bestimmt ist (Faust/Kädtler 2018).

Für die empirische Analyse von Finanzialisierung im konkreten Fall bzw. in einem bestimmten Gegenstandsbereich folgt daraus zunächst einmal, dass es von spezifischen Gegenstands- und Kontextbedingungen abhängt, in welcher Form finanzökonomische Begründungen wirksam (gemacht) werden (können). Sie müssen auf die jeweiligen Bedingungen hin konkretisiert und in sie eingepasst werden. Finanzialisierung hebt dabei die Pluralität potentiell konkurrierender Begründungsordnungen nicht auf, sie steht vielmehr für eine mehr oder weniger drastische Verschiebung der Gewichte. Gesellschaften wie Organisationen sind in diesem Sinne mehr oder weniger, aber nie nur finanzialisiert. Ob mögliche, daran angelagerte Deutungskonflikte auf Dauer stillgestellt werden oder latent wirksam bleiben, hängt sowohl von Akteurskonstellationen wie von situativen und kontextuellen Bedingungen und deren Veränderung ab. Das schließt die Möglichkeit neuerlicher Gewichtsverschiebungen zu Lasten finanzökonomischer Begründungen ein. Daraus ergibt sich als weitere Konsequenz die Nützlichkeit einer Perspektive, die Finanzialisierung als Prozess in den Blick nimm, in dem finanzökonomische Begründungsordnungen und ihre Vertreter als Reaktion auf oder unter Ausnutzung von bestimmten Gelegenheitsstrukturen mehr oder weniger dominant werden (können).

Unter dieser Perspektive werden wir im Folgenden zunächst darstellen, worin aus unserer Sicht die Finanzialisierung von Banken besteht und zugleich deutlich machen, dass und warum dabei verschiedene Konstellationen und Gewichtungen unterschieden werden können. Zudem werden wir die Frage diskutieren, ob und in welchen Punkten neuerliche Entwicklungen auch als De-Finanzialisierung begriffen werden können.

2.Zur Finanzialisierung von Banken - von der Fristen- und Risikotransformation zum Risikotransfer

Banken spielten in den Debatten über Finanzialisierung oder Finanzmarktkapitalismus zunächst allenfalls eine randständige Rolle. Soweit sie thematisiert wurden, kamen sie vorwiegend im Modus des Rückzugs bzw. des Abgedrängtwerdens vor: beim Rückzug aus der »Deutschland AG« bzw. als Leidtragende der Disintermediation der Unternehmensfinanzierung dort, wo diese bislang als »bank-based«, im Gegensatz zu »marked-based« identifiziert worden war (Hardie und Howath 2013). Im Rahmen von Windolfs Konzept eines (deutschen) Finanzmarktkapitalismus (Windolf 2005) stellte dieser Übergang von der banken- zu einer finanzmarktzentrierten Unternehmensfinanzierung ein konstitutives Merkmal der neuen Konstellation dar. Banken erschienen damit nicht irrelevant, sie konnten aber nunmehr - so die implizite Lesart - als Finanzmarktakteure unter anderen abgehandelt werden. Als bedeutsame Ausnahme verdienen hier die Arbeiten von Susanne Lütz Erwähnung (Lütz 2000, 2002, 2005b, 2005a), die in den auf Finanzmarktkapitalismus bzw. Finanzialisierung fokussierten Argumentationslinien nicht systematisch aufgenommen wurden. Erst mit dem Ausbruch der Finanzkrise seit 2007, die sich sehr schnell vor allem als Bankenkrise darstellte, rückten Banken, Bankgeschäfte und deren Regulierung ins Zentrum der betreffenden Debatten. Und erst danach wurde Finanzialisierung von Banken zu einem Thema.

2.1Finanzialisierung von Banken als Produkt- und Prozessinnovation

Jener Marginalisierung liegt bzw. lag die Fokussierung auf eine bestimmte Funktion von Banken zugrunde, und damit auch auf eine bestimmte Akteurskonstellation. Da es in früheren Finanzialisierungsdebatten im Wesentlichen um Begründung und Wirkungen von Shareholder-Value-Management in Nicht-Finanzunternehmen ging, waren Banken hier fast ausschließlich in ihrer Funktion als Kreditinstitute bzw. als commercial banks im Blick. Als solche fungieren sie innerhalb eines eindeutig definierten Beziehungsdreiecks: Private Haushalte als Anleger, Unternehmen als Kreditnehmer, und die Banken als Vermittler zwischen den Liquiditäts- und Sicherheitsbedürfnissen der ersteren und der Notwendigkeit der Kapitalbindung für die letzteren besorgen die Fristen- und Risikotransformation. Konsumentenkredit und Investmentbanking kommen nur am Rande oder überhaupt nicht in den Blick, weil sie gegenüber jenem Hauptgeschäft nur begrenzt ins Gewicht fallen, oder weil sie - was das Investmentbanking angeht - im angelsächsischen Bereich bei anderen Finanzakteuren, speziellen Investmentbanken, angesiedelt sind, die im Gefolge der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre vom commercial banking strikt getrennt worden waren.

Die Veränderung der Rolle von Banken, die seit den 1980er Jahren tatsächlich stattfindet, besteht nicht (bzw. zumindest nicht nur) im Rückgang ihres originären Kerngeschäfts, sondern (vor allem auch) in einer strategischen Neubestimmung des dominanten Geschäftsmodells. Für die USA stellt Minsky bereits in den 1980er Jahren die fortschreitende Auflösung der (aus seiner Sicht künstlichen) Trennung zwischen commercial und investment banking fest (Minsky 2008: 253). In Deutschland, wo es im Zeichen der Universalbankenprinzips die Trennung zwischen Kreditinstituten und Investmentbanken nicht gab, reagierten (zunächst) private Großbanken auf den Rückgang des Geschäfts mit Firmenkrediten mit dem Auf- und Ausbau internationaler Geschäfte im Zuge einer forcierten Internationalisierung ihre Aktivitäten. Investmentbanking, bislang ein Nebenaspekt der in erster Linie als Kreditbeziehungen bestimmten Firmenkundebeziehungen, rückten ins Zentrum der strategischen Ausrichtung, in Verbindung mit dem Auf- und Ausbau des Geschäfts mit innovativen Finanzprodukten wie der Kreditverbriefung und Entwicklung und Vertrieb eines breiten Spektrums zunehmend komplexer werdender Finanzderivate. Im Kreditgeschäft verändert sich die geschäftspolitisch zentrale Akteurskonstellation: Unternehmen verlieren Bedeutung als Kreditnehmer und werden vor allem als Partner bei bzw. Gegenstände von Investmentbanking relevant. Und die privaten Haushalte gewinnen als Käufer von Finanzprodukten an Bedeutung, individuell oder vermittelt über institutionelle Anleger. Schwan (2020) hat dies in Erweiterung des Ansatzes von Hardie, Howarth et al. (2013) als Übergang von einem traditional banking zu einem amended marked-based banking gefasst, weil die Finanzmärkte dabei nunmehr sowohl was die Ressourcenbeschaffung, als auch was die Absatzseite angeht, zur vorrangigen Grundlage des wirtschaftlichen Handelns von Bankunternehmen werden.