Was wir noch zu sagen haben -  - E-Book

Was wir noch zu sagen haben E-Book

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Beschreibung

Der vorliegende Band enthält eine Auswahl von Texten, die über die letzten zwei Jahre in der Schreibwerkstatt der Senevita Erlenmatt geschrieben wurden. Er dokumentiert, was die Schreibenden an diesem Punkt in ihrem Dasein bewegt, an was sie sich erinnern, wie sie ihren Alltag meistern, was sie freut, was sie bedrückt. Sie lassen uns teilhaben an ihren Gedanken, ihren grossen und kleinen Erfolgen, ihren Enttäuschungen, ihren Hoffnungen und ihrer Weisheit.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Schreiben

Über das Schreiben

Graziella Brusadelli

Eine Ahnung

Annelis Dickmann

Witt e Brief, so schryb a Brief

Alice Lehr

ABC-Schützen

Helly Bernhard

Turnen fürs Gehirn

Nina Jud

Schreiben hat viele Gesichter

Marie-Thérèse Jutzet

Der Brief und das Buch

Madeleine Bollinger

Das Trio

Doris Plüss

Eine praktische Angelegenheit

Elisabeth Perret

Ein Foto

Der Voigtländer

Helly Bernhard

Licht und Schatten

Annelis Dickmann

Die Grosse Schule

Madeleine Bollinger

Zeitzeugen

Nina Jud

Eine kleine Geschichte von unserer Sommerresidenz im Jura

Graziella Brusadelli

Eine Überraschung

Eine weisse Rose im Advent

Vreni Indlekofer

Zu Fuss unterwegs

Annelis Dickmann

In Montreux

Selma Meister

Im Berg

Nina Jud

Erlebt

Graziella Brusadelli

Eine wichtige Person

Wie er wirklich war

Selma Meister

Knallrote Kirschen

Graziella Brusadelli

Der Kameramann

Annelis Dickmann

Der Wurps

Doris Plüss

Verkleiden

Stress vor dem Kleiderkasten

Annelis Dickmann

Verkleiden und Fasnacht

Nina Jud

Nicht nur an der Fasnacht

Graziella Brusadelli

Heimisch

Vreni Indlekofer

Theater-Weihnachten

Madeleine Bollinger

Hausarbeit

Es war einmal, vor vielen, vielen Jahren

Graziella Brusadelli

Kein Problem

Annelis Dickmann

Punkto Hausarbeit

Nina Jud

Sommer

Mag er den Sommer?

Nina Jud

Hitzesommer 2003

Madeleine Bollinger

Stichwörter

Graziella Brusadelli

Pilgerzeit

Annelis Dickmann

2021

Selma Meister

Ein Tier

Balthasar

Doris Plüss

Vorsicht!

Graziella Brusadelli

Herr Hund Carino

Annelis Dickmann

Spuren im Schnee

Madeleine Bollinger

Clara

Selma Meister

Gefiederte Freunde

Vreni Indlekofer

Zasi

Nina Jud

Das Glück der Eule

Helly Bernhard

Ein Brief

Liebe Hildegard

Madeleine Bollinger

Neujahrsbrief, an wen?

Graziella Brusadelli

Lieber Hugo

Annelis Dickmann

Hallo Virus Corona!

Doris Plüss

Meine liebe Vreni!

Vreni Indlekofer

Heimat

Die Mehrzahl von Heimat

Nina Jud

Eine Sehnsucht

Graziella Brusadelli

Der Geruch

Selma Meister

Zufall

Madeleine Bollinger

Wie Pech und Schwefel

Vreni Indlekofer

Dreimal Heimat

Annelis Dickmann

Ein Gespräch

Darf ich Sie was fragen?

Selma Meister

Die Neue

Doris Plüss

Diese Leichtigkeit

Annelis Dickmann

Ein Telefongespräch, kurz und witzig

Graziella Brusadelli

Hausaufgaben

Nina Jud

Im Gasthaus

Madeleine Bollinger

Finden

In der Garage

Doris Plüss

Gefunden

Graziella Brusadelli

Der Findling

Annelis Dickmann

Der Fund

Nina Jud

Die andere Seite

Selma Meister

Reisen

Unsere Nordlandreise

Selma Meister

Reisen bildet

Nina Jud

Venedig

Helly Bernhard

Tombuktu

Annelis Dickmann

Reise en miniature

Graziella Brusadelli

Das Kleid

Zitronenfarbige Spitze

Selma Meister

Das Trächtli

Alice Lehr

Das Ballkleid

Helly Bernhard

Für jeden Anlass

Graziella Brusadelli

Welche Enttäuschung!

Elisabeth Perret

Schwarz und Weiss

Doris Plüss

Distanz

Annelis Dickmann

Zeit

Die Wanduhr

Alice Lehr

Zeit – vier Buchstaben, Anfang und Ende

Annelis Dickmann

Ein schwieriges Thema

Nina Jud

Die Zeit zerinnt

Selma Meister

Die gute andere Zeit

Helly Bernhard

Was ist die Zeit?

Graziella Brusadelli

Fragen

Elisabeth Perret

Zwei Minuten vor Jahresende

Doris Plüss

Die Autorinnen

Helly Bernhard

Madeleine Bollinger

Graziella Brusadelli-Scheiber

Annelis Dickmann-Meyer

Vreni Indlekofer

Nina Jud

Marie-Thérèse Jutzet

Alice Lehr

Selma Meister

Elisabeth Perret

Doris Plüss

Vorwort

Im Juni 2021 traf sich eine Gruppe von Interessierten – alles Frauen – zu einer Schreibwerkstatt in der Senevita Erlenmatt. Es war ein Versuch, doch gleich in den ersten Texten, die entstanden, tat sich eine Vielfalt von unterschiedlichen Sicht- und Schreibweisen auf, ein Reichtum an Erinnerungen, Erfahrungen und Erkenntnissen, der uns alle begeisterte.

Seither treffen wir uns einmal pro Monat. Von Mal zu Mal wird ein Thema vorgegeben, oft ist es nur ein Wort, zu dem die Teilnehmerinnen einen Text verfassen, der dann in der Werkstatt vorgelesen und diskutiert wird. Manchmal gehen die Schreiberinnen auf das Thema ein, manchmal dient es ihnen als Anlass, um etwas zu erzählen, das sie gerade beschäftigt. Manchmal entsteht eine Geschichte, manchmal ein Essay oder eine Gedankensammlung. Immer wieder bietet das Geschriebene Einblicke in die Vergangenheit und die Gegenwart der Schreibenden.

Der vorliegende Band enthält eine Auswahl von Texten, die über die letzten zwei Jahre in der Schreibwerkstatt der Senevita Erlenmatt geschrieben wurden. Er dokumentiert, was die Schreibenden an diesem Punkt in ihrem Dasein bewegt, an was sie sich erinnern, wie sie ihren Alltag meistern, was sie freut, was sie bedrückt. Sie lassen uns teilhaben an ihren Gedanken, ihren grossen und kleinen Erfolgen, ihren Enttäuschungen, ihren Hoffnungen und ihrer Weisheit. An gewissen Punkten fügen sich einzelnen Texte inhaltlich und stilistisch zum Bild einer Schreiberin zusammen, aber jeder Text steht auch für sich, und der Band ist als Lesebuch gedacht, in dem jede Leserin, jeder Leser seine eigenen Favoriten findet.

Einige der Texte wurden von Hand verfasst und dann von mir abgeschrieben, andere haben mir die Verfasserinnen getippt oder elektronisch zur Verfügung gestellt. Ich habe Schreibfehler und Interpunktion korrigiert, die Texte aber weder inhaltlich noch stilistisch redigiert, um ihre Authentizität weitmöglichst zu erhalten. Entsprechend finden sich neben Helvetizismen auch Dialektausdrücke, eigene Wortschöpfungen und grammatikalisch unorthodoxe Wendungen. Ich hoffe, dass die Leser dadurch die Stimmen der Verfasserinnen auch „hören“ und sich eine Vorstellung davon machen können, wie die Texte uns beim Zuhören betroffen, und wie wir auch immer wieder geschmunzelt und gelacht haben.

Ich danke der Leitung der Senevita Erlenmatt für ihre Offenheit und die unkomplizierte und freundliche Weise, mit der sie diese Schreibwerkstätten und nun die Publikation dieses Bandes ermöglicht hat.

Mein Dank geht auch an Lea Frei für ihre stimmigen Illustrationen und an Hubert Dammer für das professionelle Layout und die Drucklegung.

Vor allem aber danke ich den Teilnehmerinnen und Autorinnen, die zu diesem Buch beigetragen haben. Es zeigt nicht nur – wie eine von ihnen schreibt – was im Alter noch alles möglich ist, es zeigt vor allem, was das Alter uns allen zu bieten hat, und dass Gedanken und Geschichten – einmal aufgeschrieben – zeitlos sind.

Gabrielle Alioth, Herausgeberin

Im März 2023

Schreiben

Über das Schreiben

Graziella Brusadelli

Im ersten Schuljahr als Sechsjährige in Lugano lernte ich schreiben. Wir übten zuerst schön gleichmässige Stäbli, daraus erst die kleinen Buchstaben, dann die grossen und zwar mit einem Federhalter und Metallfeder, die wir in ein Tintenfässchen tauchten. Es wurde sehr darauf geachtet, dass die Buchstaben schön gleichmässig geführt wurden. Beim Strich nach unten wurde auf die Feder Druck gegeben und beim Hinauf wurde sie leicht gehalten. Diese Art Schönschreiben gefiel mir sehr. Die Buchstaben wurden dann zusammengehängt, und bald entstanden die ersten Wörter und anschliessend ganze Sätze. Es war ein spannendes Lernen.

Als Neunjährige wurde ich in die Deutschschweiz versetzt. Es war lustig, denn nur die oberen Klassen konnten schreiben wie ich; sie nannten diese Schrift «lateinisch». Die untere Klasse, in die ich kam, hatte eine andere Schrift, und diese war dann die «deutsche», eine ziemlich zackige. Also konnte ich schon vieles voraus, nur die Sprache hatte ich noch zu lernen. Alles machte mir Spass.

Viel später übte ich noch die gotische Schrift. Sie ist sehr zierlich. Dazu braucht es eine spezielle Feder und Tusche. Ich schrieb damit Bibelsprüche, meistens in der lateinischen Sprache. Ein Bild davon hängt noch in meinem Zimmer, Zeuge der Vergangenheit.

Eine Ahnung

Annelis Dickmann

Mein erstes Schreiben war ein Wunschzettel an das Christkind. Der Wunsch wurde meistens erfüllt, für mich etwas Geheimnisvolles, Heiliges.

Ein Brief an Gott heute.

Wie lautete die Adresse?

An den Papst, Dein Stellvertreter auf Erden?

Du sagst: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Dein Reich wird gehütet, verteidigt mit dem Schwert. Du lässt Dich Vater nennen, Deine Söhne streiten. Du schaust weg oder zu?

Wir sind Deine Schöpfung. Hast Du die Freude am Spiel verloren? Die Büchse der Pandora geöffnet?

Frau und Mann hast Du geschaffen. Wo versteckst Du die Kraft der Frau?

Mit meinen Fragen komme ich zu Dir.

Du schweigst.

Der Gedanke liegt nahe, Du wurdest erfunden vom Menschen. Kann ich Dich so finden?

Bist Du ein Du?

Eine Ahnung von Dir lässt mir keine Ruhe.

Deshalb schreibe ich.

Witt e Brief, so schryb a Brief

Alice Lehr

„Witt e Brief, so schryb a Brief.“ Dies war vor etlichen Jahren ein Werbeslogan der Papierfirma Elco AG in Brugg. Weil dies noch lange vor dem E-Mail-Zeitalter war, hatte die Firma verschiedene Papierwaren, wie Briefpapiere und Karten, im Angebot. Alle waren meist für den handschriftlichen Gebrauch bestimmt. Besonders gefallen haben mir damals die schön gestalteten Kartonschachteln mit Schreibwaren darin, die man „Papeterie“ nannte. Man hatte dabei etliche wertvolle Briefbogen, manchmal sogar mit Büttenrand und Wasserzeichen ausgestattet, dazu exklusive Karten und die passenden Couverts.

Das Büttenpapier hat charakteristische, handgerissene Ränder und wird mit einem Sieb aus der wannenförmigen Bütte geschöpft. Diese ursprüngliche Herstellung von Papier wird heute ergänzt durch ein aufwändiges Verfahren, das hochwertige Papiere garantiert. Diese werden vor allem für Urkunden benutzt und dienen Künstlern für Aquarelle. Wasserzeichen sind Bildmarken, die man mit Lichtdurchschein im Papier erkennen kann. Sie werden meistens für Banknoten und Briefmarken verwendet.

Eine Papeterie mit so stilvollem Inhalt war damals ein beliebtes Geschenk. Ich schrieb oft Briefe an Verwandte und Freunde und erhielt meistens freundliche Antworten. Damit man beim Schreiben gerade Zeilen einhalten konnte, legte man unter das Papier eine Vorlage mit schwarzen Linien. Schön Schreiben auf einem guten Papier hatte aber auch mit einer geeigneten Füllfeder zu tun. Auch diese galt als willkommenes Geschenk. So war man immer für einen regen Briefwechsel ausgerüstet.

Dies änderte sich in späteren Jahren ziemlich schnell. Anstelle der Handschrift tippt man heute die Texte in den Computer und druckt sie aus. Natürlich gibt es auch hier verschiedene Zeichen und Möglichkeiten, um die Schreiben persönlich zu gestalten. Aber alles Geschriebene erreicht uns heute gedruckt auf A4-Papierbögen. Dazu kommt die E-Mail, welche Textnachrichten und digitale Berichte in wenigen Sekunden übermittelt, und mit dem Handy erreicht man über SMS (Short Message Service) die Empfänger ebenfalls in wenigen Sekunden.

Die Papierindustrie stellt Schreibwaren vor allem für den Bürobedarf her. Neben den Grosspackungen mit einfachem Kopierpapier gibt es unzählige Sorten von Qualitätspapieren, die sich sowohl für Druck, als auch für die Handschrift eignen. Auch Geschenkkartons, wie früher die Papeterie, sind im Angebot, nur heissen sie heute Kassette oder Box. In grossen Mengen sind auch Briefumschläge, Notizblöcke, Karten für alle Anlässe, Taschen sowie Verpackungs- und Versandmaterialien zu haben.

Schreiben ist eine Alltagsbeschäftigung. Es vergeht kein Tag, ohne etwas zu schreiben. Zum Beispiel Notizzettel, die Einkaufsliste, das Tagesprogramm, einige Termine oder Briefe. Wir unterschreiben Formulare, Verträge, Rechnungen, Zahlungen oder Reklamationen. Immer wieder schreiben wir aber auch Gratulationen und Glückwünsche und häufig auch Kondolenzbriefe. Private Schreiben können sich sowohl freundlich als auch ärgerlich zeigen, etwa von der Standpauke bis zum Liebesbrief.

Der Slogan „Witt e Brief, so schryb a Brief“ war in jener Zeit weitherum bekannt, wurde oft kopiert, verfälscht oder verhunzt wie etwa: „Witt e Schmutz, so gib e Schmutz“ oder für die Werbung „Witt e Suppe, so nimm Knorr“, und damit schaffte es dieser Spruch damals sogar an die Basler Fasnacht als Schnitzelbangg-Sujet.

ABC-Schützen

Helly Bernhard

Zum Thema Schreiben etwas zu schreiben ist nicht einfach. Wie habe ich eigentlich schreiben gelernt?

In der ersten Primarklasse lernten wir einen Buchstaben nach dem andern. Zuerst alle Grossbuchstaben in Druckschrift. Unsere Lehrerin schrieb den Buchstaben mit Kreide an die Wandtafel, und wir Schüler kritzelten wacklig mit einem Griffel das Zeichen auf die Schiefertafel. Jeden Tag lernten wir ein bis zwei, manchmal auch drei neue Buchstaben. Als Hausaufgaben mussten wir einige Zeilen der neu gelernten Buchstaben auf unsere Tafel schreiben. So lernten wir allmählich das ganze Alphabet.

Dann kam der nächste Schritt: die Kleinbuchstaben. Um das Lernen spannend zu gestalten, erzählte uns die Lehrerin zu fast jedem Buchstaben eine lustige Geschichte von Max und Moritz. Und das ging so:

Max und Moritz wollten dem Lehrer einen Streich spielen und schlichen sich nachts mit Säge, Hammer und Zange in die Schule. Mit Brechen und Biegen machten sie sich ans Werk. Sie sägten von den aus Holz gefertigten Buchstaben Stücke weg, so zum Beispiel beim H, und schon ist das kleine h entstanden. Oder sie entfernten den oberen Bogen beim B und das kleine b steht da usw. Am andern Tag war der Lehrer überrascht, was er vorfand, und erklärte den Lausbuben: Dank eurer nächtlichen Arbeit sind die richtigen Kleinbuchstaben entstanden.

Das zur damaligen Lernmethode der Kleinbuchstaben. Auf diese Weise lernten wir spielend das grosse und das kleine ABC und konnten jetzt ganze Sätze schreiben.

Als nächstes: Die Buchstaben wurden miteinander verbunden und so zusammenhängende Wörter geschrieben. So entstand mit der Zeit die eigene Handschrift. In Schönschreibstunden wurde uns gezeigt, wie man die Schrift noch verbessern kann.

Dann lernten wir mit Tinte schreiben. Zuerst mussten wir üben, wie man den Federhalter richtig in die Hand nimmt. Mit wenig Tinte – ein Tintenfass hatte jedes an seinem Platz in der Schulbank – schrieben wir ganz vorsichtig die ersten Worte auf ein Blatt Papier. Schnell hatte man zu viel Tinte an der Feder, dann gab es Spritzer auf das Blatt oder unschöne Kleckse.

Heute wird praktisch alles mit Computer geschrieben. Ein von Hand geschriebener Brief oder ein Kartengruss sind etwas Spezielles und ein schönes Zeichen, denn die schreibende Person nimmt sich Zeit, um dem Empfänger eine Freude zu bereiten.

Turnen fürs Gehirn

Nina Jud

Ich lese gern und viel. Also muss zuerst geschrieben werden. Schreiben ist Turnen für das Gehirn. In der Schule war mein Gehirn nicht so fit. Meine Aufsätze waren Mittelmass. Ein einziges Mal, erinnere ich mich, wurde ein Aufsatz von mir als besonders gut erwähnt. Sonst lagen die Noten immer so zwischen 4,5 und 5.

In der Schule lernten wir auch Stenographie als Freifach. Mein Götti war in der Steno-Szene eine wichtige Persönlichkeit und überredete mich, einem Steno-Club beizutreten. Und da fing das wirkliche Schreiben an. Alle paar Wochen kam ein Mäppchen mit einem bestimmten Thema an, über das wir etwas schreiben mussten. Das wurde dann an die Abteilungsleiterin geschickt und wurde dort korrigiert, auf stenographische und deutsche Fehler. Das war Fitness fürs Gehirn.

Seither schreibe ich ganz gern. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, etwas zu veröffentlichen. Wie kommt man zu einem Verlag? Was kostet das? Wie recherchiert man ein Thema? Das ist sicher zeitaufwändig; und ich hatte genug zu tun mit zwei Haushalten, Kindererziehung, Berufsarbeit. Nun sind die Aufgaben vorbei. Ich bin hier in der Senevita und nehme gern an der Schreibwerkstatt teil, um mein Gehirn ein bisschen turnen zu lassen.

Schreiben hat viele Gesichter

Marie-Thérèse Jutzet

Schreiben hat viele Gesichter, meint Mia. Wo und wie sie es, heute mit 86 Jahren, gelernt hat, weiss Mia nicht mehr. Sie denkt zurück, wie ihr das Schreiben trotzdem treue Weg-, ja Lebensbegleiterin geworden ist.

Mia erinnert sich, wie Schreibutensilien schon früh auf sie eine magische Anziehungskraft ausgeübt haben. Erhielt sie ein Geschenk von ihrer geliebten Gotte, griff sie gleich zu Schreibpapier und Füllfederhalter mit Tintengläschen, um ihr schriftlich zu danken.

Aufsätze in der Schule waren ihr Lieblingsfach. Davon konnte Mia nicht genug als Hausaufgabe erhalten.

Später dann, im Welschland, fing Mia an, ihre Gedanken, vor allem die unerhörten Misshandlungen, Ausnützungen, das vergammelte Essen und anderes im Tagebuch festzuhalten. Das gab Mia Kraft und Ausdauer, die Saison durchzustehen. Auch das ein Gesicht des Schreibens!

In dieser Zeit lernte sie eine Welschland-Freundin kennen, die ihr zum 16. Geburtstag eine Jugendzeitschrift im Abo schenkte. Darin gab es jeden Monat ein Thema zum Schreiben, um es dann als Test einzuschicken. Das war für Mia wie den Nagel auf den Kopf getroffen. An das Thema „Musik“ erinnert sie sich am besten. Es wurde alsdann sogar veröffentlicht, obwohl Mia glaubte, von Musik nicht viel zu verstehen. Offenbar reichte, was ihr Ohren und Herz mit Musik mitteilten.

Brieffreundinnen gaben einen guten Wechsel mit Austausch von Freuden, Frustrationen und über Erlebtes im Alltag, ob Erfreuliches oder, wie es auch zum jungen Leben gehörte, weniger Erfreuliches.

Mia hat in ihrem Leben längere, harte Zeiten mit öfter Spital, Reha und so allem Drum und Dran erlitten. Bei den diversen Spital- und Reha-Eintritten war stets ein Brief einer besonderen Brieffreundin an Ort, der Mia regelrecht als Gast empfing und das Ungewisse, das ihr dort bevorstand, in Freude und Optimismus umzuwandeln vermochte.