Weg in die Freiheit - Robert Peter Binder - E-Book

Weg in die Freiheit E-Book

Robert Peter Binder

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Beschreibung

Kurz nach dem 2. Weltkrieg, als 12. Kind einer enteigneten deutschen Familie auf die Welt gekommen, sucht er bereits als Kind und Jugendlicher die Freiheit. Auf dieser Suche legt er sich mit einem kommunistischen System an, das ihn als Staatenlosen verstößt, als es ihn nicht mehr ausschalten kann. Den Rest seines Lebens verbringt er in der >Freiheit< eines freien, westlichen Landes, in Deutschland, seiner Urheimat, dem Land seiner Vor-fahren. Er fängt von Null an und geht alle Phasen durch, die ein Vertriebener der 1970er Jahre durchgehen musste. Es wird ihm nichts geschenkt. Die Freiheit, von der er als Kind träumte, hat er auch in der Freien Welt nicht gefunden, die er als Reise-Profi recht gut kennenlernte. Die Freiheit ist leider nur eine Wunschvorstellung, denn nur unsere Gedanken sind wirklich frei.

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Der Autor

Den Freiheitsgedanken hatte er schon als Kleinkind. Dieser war so stark, dass er seine ganze Kindheit und Jugend prägte. Fast alle seine Handlungen wurden von dieser imaginären Freiheit gesteuert und er suchte einen Weg in diese Freiheit.

*

Kurz nach dem 2. Weltkrieg in Transsilvanien geboren (auch Siebenbürgen genannt), erlebte er den aufblühenden Kommunismus in Hermannstadt, wo er seine Kindheit und Jugend, in einem deutschen Umfeld, verbrachte.

Mit 19 Jahren verließ er Hermannstadt fluchtartig. Auf der Suche nach einem neuen Weg in die Freiheit, verbrachte er zunächst mehrere Jahre an der Schwarzmeerküste und in Bukarest, seinem letzten Wohnort im Kommunismus.

9 Jahre später musste er das Land als Dissident und Staatenloser verlassen. Für den Rest seines Lebens lebte er im Kapitalismus (in der Freiheit), in Deutschland, der Heimat seiner Urahnen. Sein Jugendtraum, die Welt kennenzulernen, ging in Erfüllung. Als Reise-Profi lernte er Länder, Sitten, Kulturen und fast alle Gesellschaftsformen kennen.

Die wahre Freiheit hat er allerdings nirgendwo gefunden. Er erkannte, dass es keine wirkliche Freiheit geben kann, solange uns Grenzen aller Art trennen, es Krisen, Armut und Kriege auf dieser Welt gibt. Vor allem nicht solange „Demokratie“ und „Freiheit“ falsch verstanden, schamlos ausgenutzt und vergewaltigt werden können.

***

Der Große Ring von Hermannstadt in den 1960er Jahren. (s. Pfeil: Meine letzte Wohnung 1969)

50 Jahre später (Sibiu-Summit 2019). Es hat sich etwas getan: Wir sind dort angekommen, wo wir schon immer waren, in Europa.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der neue Weg

Die Schwester meiner Hexe

Der 2. Tag in Bukarest

Rot und Schwarz – die Band

Mariana – die Jungfrau

Praktikant in Eforie Nord

Brendas Brief und die Folgen

Dispecher von Neptun

Auf Besuch bei meinem Helfer vom Hauptbahnhof

Der Sachse und der Präsident

Die Ratte in Nicus Bar

Meteor & Cometa

Entscheidungen fürs Leben

Hotel Scoica (die Muschel), Jupiter

Freiwillig zum Militär

Die Rückfahrt nach Slatina

Soldat im Verteidigungsregiment

Wieder Zivilist

Das große Erdbeben 1977

Der Dissident und die Freiheitsträumer

Ein Selbstgespräch nach vierzig Jahren

Im deutschen Konsulat von Bukarest

Bukarest – Frankfurt – ohne Rückflug.

Das Auffanglager Langen, Hessen

Mein 1. Job in der Freiheit

Der 2. Job in der Freiheit

35 Jahre in einer Kurzfassung

Die Wende

Meine „Wende“

Schlusswort

Neue und alte Heimat

Frankfurt am Main 2020

Hermannstadt in Transsilvanien

Ich zitiere einen genialen Menschen:

„Die Quantenmechanik ist sehr achtunggebietend. Aber eine innere Stimme sagt mir, dass das noch nicht der wahre Jakob ist. Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der Alte nicht würfelt.“

(Albert Einstein)

Vorwort

In bestimmten, ungewöhnlichen Situationen, wenn ich verzweifelt nach einer Erklärung suche, flüstert mir meine „innere Stimme“ zu: „Das ist kein Zufall“. Dann erinnere ich mich immer wieder an Albert Einstein und seinen Spruch: „Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der Alte nicht würfelt“.

Das sagte ein Mensch der Physik und Mathematik, der sich mit Raum, Zeit und der Relativität dieser Dimensionen beschäftigt hat. Ich bin inzwischen auch davon überzeugt, dass es im Leben und der Natur keine Zufälle gibt.

Also ist auch mein Leben pures Glück und kein glücklicher Zufall. Der „Alte“ hat das genau so geplant…

*

Mir bescherte dieses Leben 28 Jahre im tiefsten Kommunismus, in einem Land, das keiner wahrnehmen würde, wenn es nicht einen Landstrich gäbe, der Transsilvanien heißt, von wo aus die Welt mit blutdurstigen Vampiren bevölkert wurde, jene, die die Kassen der Filmstudios und der Textilindustrie klingeln lassen. Oder einen Diktator, namens Ceauşescu (gerufen: Tscha-U-Schess-Ku), gehabt hätte. Auch eine Art Vampir, der saugte aber nur sein eigenes Volk solange aus, bis es dem zu viel war...

Der Kerl wurde am 25.12.1989, zusammen mit seiner Frau Elena, symbolträchtig am 1. Weihnachtstag exekutiert, also erschossen, nicht gepfählt, wie es einer seiner Amtsvorgänger, Dracula (der Vampir), vor ein paar Jahrhunderten getan hätte. Aber der Vollzug fand in der ehemaligen Hauptstadt der Walachei, in Târgovişte statt, dort wo einst Dracula regierte. Auch symbolträchtig und großartige Regie eines authentischen „Westerns im Osten“.

Wie du mir, so ich dir, dachte sich ein Volk, bzw. seine von sich selbst proklamierten Vertreter, die eine Revolution mit allem Pipapo inszenierten. So sollte es sein – und so kam es, im Namen des Volkes. Blutrache ist süß…

*

Kann ich deswegen diesem Leben irgendetwas vorwerfen? Nein, denn es warf mich dort in diese Welt, wo mein Platz war, als Staubkörnchen in eine verrückte Welt.

Man könnte also meinen, ein Hauch von Nichts. Ja, das stimmt und trotzdem, außer dem Körper, auch Inhaber von Geist und Seele. Und diese sind frei und keinen Gesetzen der Physik unterworfen. Das macht uns letztendlich aus; eine vorübergehend existierende Hülle für den ewigen Geist und eine ruhelose, zeitlose Seele.

*

Den Rest meiner Tage verbrachte ich danach in der „Freiheit“ des Kapitalismus, in der freien Marktwirtschaft, in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat, in einem Land, in dem ich mich frei bewegen, frei sprechen und denken konnte, in Deutschland, der Heimat meiner Urahnen.

Ich kam zum Glück nicht fünfzig Jahre früher und nicht dort auf die Welt. Ich hätte diese Heimat ganz anders erlebt: Einen 1. und 2. Weltkrieg, ein Nazideutschland, den Hitler und einen Völkermord ohne Gleichen. Wäre ich da mitgegangen oder nur mitgehangen? Hätte ich den Wahnsinn für mich angenommen, um normal zu sein?

Wahrscheinlich hätte ich das getan, was die meisten getan haben: Augen zu und durch. Diese Eigenschaft haben wir nach wie vor und sind nicht bereit auf sie zu verzichten, denn sie schützt uns davor, dem Wahnsinn der Gegenwart in die Augen zu sehen. Nach mir die Sintflut…

Wenn ihr mich fragt, welchen Wahnsinn ich meine, dann öffnet die Augen und seht euch um, öffnet die Ohren und hört hin, benutzt alle Sinne und ihr werdet erkennen, dass sich etwas ändert bzw. schon verändert hat, dass unsere Welt jeden von uns braucht, bevor wir sie vernichten und damit natürlich auch uns selbst. Die Probleme unseres Planeten hier aufzuzählen, wäre eine Beleidigung der Leser.

*

Mein Freund Ernst, mit dem ich ein paar Jahre meiner Jugend verbracht habe, heute Arzt und Psychologe, sahen uns 2015 in Frankfurt am Main nach 47 Jahren wieder, danach zum letzten Mal 2021 in Hermannstadt. Ich, inzwischen Rentner, er „Halbrentner“ (mit noch laufender Praxis in Bayern, zusammen mit seinem ältesten Sohn). Ernst fragte mich bei unserem ersten Wiedersehen, was ich nun mit meiner freien Zeit als Rentner anstellen würde.

„Wahrscheinlich werde ich zu denen gehören, die aus lauter Langweile schreiben werden, und wenn sie keine bessere Idee haben, schreiben sie über sich selbst und ihr Leben, das ist ja am einfachsten. Hauptsache man hat eine Aufgabe und das Gehirn bleibt aktiv.“

Er lachte herzhaft und meinte, das sei doch nur ein Witz, denn wer will schon den ganzen Mist seines Lebens an die große Glocke hängen. Wer weiß überhaupt noch, nach 20, 30, 40 oder mehr Jahren mit Sicherheit was, wann tatsächlich geschehen ist, was man gefühlt und empfunden hat.

„Du wirst sehr viel Müll beimischen müssen, damit es jemand liest. Und außerdem, wen geht dein Leben überhaupt etwas an?“

Sein Bierbauch schwabbelte eine ganze Weile nach. Meiner auch. Ich hatte aber schon zu schreiben angefangen, sonst hätte ich seinen guten Rat, als Freund und Arzt, beherzigt und es wahrscheinlich gelassen.

Ich bastelte allerdings (als Nebenbeschäftigung) schon seit über zehn Jahren an meinen Skripten. Für mich war es auch eine Form der Selbsttherapie. Ich sagte ihm also: „Du Ciuchi, ich habe den Stein leider schon ins Rollen gebracht, ich kann ihn nicht mehr aufhalten.“

Grundsätzlich hatte er ja recht und trotzdem, wenn wir miteinander „sprachen“, anfangs nur telefonisch, später auch über andere Kommunikationsmittel, dann schwelgten wir in Erinnerungen an die zusammen verbrachten Jahre unserer Jugend. Wir versuchten, uns an Orte, Menschen, Häuser und Erlebnisse zu erinnern, und stellten immer wieder fest: Egal wie, es war eine schöne Zeit, trotz des aufblühenden kommunistischen Systems. Wir waren jung, hatten das Leben noch vor uns und es war so, dass es eigentlich nur noch besser werden konnte. So naiv dachten wir damals…

Als ich zu schreiben anfing, erkannte ich sehr schnell, wie langweilig es wäre, wenn ich mein Leben chronologisch beschreiben würde. Vor allem würde ich sehr viel Zeit damit verbringen den Faden zu finden, ihn dann nicht zu verlieren und letztendlich auszuspinnen. Fast unmöglich, und selbst für mich langweilig.

*

Im Leben haben wir aber Schlüsselerlebnisse, Situationen, die uns formen und relevant sind für das was im Leben geschieht. Also wollte ich im Urwald meiner Erinnerungen die Bäume suchen, die auch Früchte getragen haben. Vielleicht finde ich ja auch den Baum der Erkenntnis.

Ich erinnerte mich an meine, in der Kindheit erlernte (aber verdrängte) Möglichkeit der Selbsthypnose und mich in Trance zu versetzen, die ich aber über Jahrzehnte nicht mehr anwenden musste. Es gibt eben Sachen, die man verdrängt, lieber ewig für sich behalten möchte.

Damit konnte ich zwar keinen Faden spinnen, aber bestimmte Ereignisse oder Träume wiederbeleben. Und ich fing an zu schreiben. Einfach, nur für mich und ohne schriftstellerischen Anspruch.

*

Über mich: Als 12. Kind einer verarmten deutschen Familie (genannt Siebenbürger Sachsen), bin ich kurz nach dem 2. Weltkrieg in Siebenbürgen, auch als Transsilvanien bekannt, im rumänischen „Sozialismus“ (zunächst Volksrepublik Rumänien) auf die Welt gekommen.

Wenn man damals als Kind etwas zu essen, den Hintern in einer warmen Hose, ein geflicktes Hemd, gestrickte Socken und ein Paar besohlte Schuhe hatte, war man glücklich. Das alles hatte ich und war glücklich, denn ich konnte damals noch nicht zwischen wenig, mehr und viel unterscheiden. So ging es den meisten deutschen Kindern in Siebenbürgen.

Die Eltern wurden, wie fast alle „Sachsen“, enteignet. Vater und meine älteren Brüder, zusammen mit sehr vielen „Siebenbürger-Sachsen“, wurden jahrelang nach Russland verschleppt. Viele von ihnen kamen nicht wieder, viele kamen als Krüppel zurück und andere waren für immer gebrochen.

*

Wir mussten unser Landgut in der Nähe von Hermannstadt verlassen. So kamen wir in die Stadt, wo für mich das eigentliche Leben begann, als ich noch nicht ganz zwei Jahre alt war. Sechs meiner Geschwister starben vor meiner Geburt, die älteren waren so gut wie aus dem Haus, also nur noch seltene Besucher. Eine Schwester, das zweitjüngste Kind der Eltern, vier Jahre älter als ich, lebte bei der kinderlosen Schwester meines Vaters und ich wuchs, quasi als Einzelkind, mit alten Eltern auf. Es kam hinzu, dass sie Adventisten waren, also streng gläubige Menschen und dass Vater ein selbstständiger Bauunternehmer war (man nannte ihn den „Maurer“).

Diese Herkunft war im jungen Kommunismus der 1950er Jahre die beste Voraussetzung, um in der neuen sozialistisch/kommunistischen Gesellschaft als „Bürger mit ungesunder Herkunft“ eingestuft zu werden.

Also: Deutsch (Nazi), ehemaliger Grundbesitzer und selbstständiger Unternehmer (Ausbeuter), Baptist/Adventist (religiöse, sektistische, konspirative Einstellung), mehrsprachig, mit Verwandten in Deutschland, Amerika und England, also Kontakte zum kapitalistischen Westen (spionageverdächtig).

Schlimmer konnte nur noch der Nachweis eines Verbrechens sein. Der Stempel „Trădător“ (Verräter) wurde uns nicht auf die Stirn gebrannt, aber als Klotz an die Fersen geheftet (in die Akte geschrieben – la dosar). Große Sprünge konnte man damit nicht machen.

Subtiles „Kleinhalten“ war zur Staatsraison geworden, also Mobbing mit Staatsformat. Dafür wurde ein riesiger Staatsapparat aufgebaut, der sich Securitate (Sicherheit) nannte. Eine in kurzer Zeit zusammengestellte Truppe von schnell ausgebildeten Ungebildeten, eine paramilitärische Ansammlung von skrupellosen, aber nützlichen Idioten – und die Zukunft des Landes. Diese sollte nun alle Bürger überwachen und für die „Staatssicherheit“ sorgen.

*

Es ist paradox, aber ich kann heute nicht mit gutem Gewissen sagen, dass ich als Kind in irgendeiner Weise unglücklich war, aber mir fehlte etwas. Es waren nicht die Grundbedürfnisse z.B. Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung, usw. Vater war Schuster, Tischler, Spengler, Maurer etc. Mutter war Hausfrau, Schneiderin, Weberin, Gärtnerin. Also hatten wir alles frei Haus. Zudem lebte ich in einem deutschen Umfeld, ging auf die deutsche Schule, hatte deutschen Religionsunterricht, alles war eigentlich normal „Deutsch“. Dazu sprachen und lernten wir auch Rumänisch, z.T. auch Ungarisch und in der Schule erst Russisch, später Französisch, Englisch und natürlich Latein. Das war in Hermannstadt noch alles normal und die Eltern teilten alles so ein, dass ich kein Gefühl der Not hatte.

Wir waren verarmt, aber nicht gebrochen. Es muss etwas anderes gewesen sein, das ganz tief in mir schlummerte. Als Kind konnte ich es nicht verstehen. Heute erkenne ich, rückblickend, den starken Wunsch nach einer Freiheit, die ich damals noch nicht genau definieren konnte. Es war wahrscheinlich der Wunsch nach einem anderen Leben, von dem ich auch noch keine konkrete Vorstellung hatte.

Aber ich erkannte sehr früh, dass nur ich etwas tun konnte und nicht auf ein Wunder warten durfte. Die Freiheit bekomme ich nicht geschenkt.

So begann ich an meinem eigenen Gedankenbild über die Freiheit zu arbeiten.

Dieser Traum von einem anderen Leben führte zu einer gewissen Besessenheit, die mich sehr früh zu einem Außenseiter machte. Der Freiheitsgedanke verstärkte sich ab 1960, nach dem Besuch meines Onkels (Vaters ältester Bruder), der 1908 nach Amerika auswanderte und seine Heimat nach 52 Jahren wiedersehen wollte.

In gewisser Weise war ich, aufgrund meines Stempels, bereits „anders“ und es fiel mir nicht schwer, mich mit diesem Gedanken abzufinden. Dazu kamen viele „Zufälle“, die mich und meine Zukunft geprägt haben.

Ich erkannte sehr früh, wo meine Grenzen waren, aber auch, wie weit ich gehen konnte. Dabei stellte ich fest, dass nur in einer Form von „Wahnsinn“ die Freiheit zu finden ist, nur in der „Verrücktheit“ finde ich die Kraft und das Gedankengut, mich von den Fesseln zu befreien, die mir von den sozialen Normen, Konventionen und Regeln eines wahnsinnigen, kommunistischen Systems angelegt werden.

Mit diesen Erkenntnissen ausgestattet war ich zunächst unter den Wahnsinnigen, die das Verhaltens- und Denkmuster der Kommunisten akzeptiert hatten, der normale Mensch und Bürger ohne Stigma, weil ich die Schwachstellen dieses Systems erkannte und die Maske aufsetzte, die ich für meine Zielerreichung brauchte.

Es ging nicht anders. Rückblickend kann ich heute, nach über 70 Lebensjahren, sagen, das ist der Sinn im Wahnsinn des Kommunismus: der Schein zu sein wie alle andern, bzw. wie das System es gerne hätte. Im Schatten der Zeit, den Wahnsinn irgendwie zu überleben, das war die Wahl der meisten Menschen, die nicht zum System gehören wollten, egal auf welchem Niveau, Herkunft oder welchen Glaubens. Das verstehen nur die, die es selbst erlebt haben.

Dies ist der Fall, wenn Normalität und Wahnsinn im gleichen System EINS werden. Egal in welchem System, wohlgemerkt! Also: Vorsicht mit dem Urteilen, Verurteilen und besonders mit dem Vor-Verurteilen.

***

Ein Großteil der Menschen, die auf dieser wunderbaren Welt leben, und sich Gedanken über sich selbst machen, geht davon aus, dass sie normal sind. Sie verstehen sich als normal im Sinne der „Norm“, die von der Zeit, dem Ort und vor allem von den Regeln des Umfeldes, in dem sie gerade leben, vorgegeben wird.

Ob sie tatsächlich normal sind, entscheidet aber nur das Umfeld oder das System in dem sie leben. Viele von ihnen erkennen möglicherweise eines Tages, dass die eigenen Verhaltens- und Denkmuster nicht den „Normen“ ihres Umfeldes entsprechen. Die Liste der Gründe dafür ist endlos lang. Der Hauptgrund ist allerdings der, dass jeder Mensch als Individuum einen eigenen Stellenwert in seinem Umfeld hat und nur dann „normal“ sein kann, wenn er und sein Umfeld im Einklang sind.

Ist dieses Gleichgewicht nicht gegeben, wird er, aufgrund seines Verhaltens, marginalisiert und fällt aus der Norm, bzw. aus dem vorgegebenen Rahmen. Es kann dann passieren, dass er als „nicht normal“, also „verrück“ oder sogar als „wahnsinnig“ abgestempelt wird

*

Gesellschaftliche Konventionen, abhängig von Zeit, dem Ort, den sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen, bestimmen die Verhaltensregeln. Abweichungen von den Regeln, die Spur verlassen oder anders sein, ist ein Bruch der Konventionen und wird als Verrücktheit und in sehr vielen Fällen als Wahnsinn bzw. krank im Sinne des Systems, betrachtet. Die Frage ist: Ist „Wahnsinn“ eine Krankheit oder eine abweichende Denk- und Verhaltensweise des Einzelnen in einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Umfeld, an einem bestimmten Ort? Also eine Frage der Perspektive?

Wahrscheinlich ist die Welt heute so, wie sie ist (also gut und schlecht), weil es in der Geschichte so viele „Wahnsinnige und Verrückte“ gegeben hat, die ihrerseits das Umfeld geprägt haben (ihres und unseres). Oder zweifelt jemand an dieser Tatsache?

Auf eine Liste der Wahnsinnigen und Verrückten der Vergangenheit und der Gegenwart, die das Weltbild geprägt oder verändert haben, werde ich verzichten und lieber an die Phantasie der Leser appellieren.

In diesem Buch geht es nur um einen Verrückten, der auf der Suche nach der Freiheit aus einem kommunistischen System ausbrechen wollte. Das bin ich…

***

Der neue Weg

Am Mittwoch, den 02.04.1969, steige ich in einen Zug Richtung Bukarest. Ich verlasse Hermannstadt, meine Heimatstadt, die ich so liebe, für immer. Ich bin auf der Suche nach einem neuen Weg im Leben…

Es ist ein Zug, der sozusagen in jedem Kuhdorf Halt machte, um sich die täglichen Pendler einzuverleiben und sie nach einer oder zwei Stationen wieder auszuspucken. Also drängelten sich die meisten an den nach Urin stinkenden Ausgängen und gifteten sich gegenseitig an, weil sie sich entweder erdrückt oder befummelt fühlten.

Das laute, markdurchdringende Quietschen in den langgezogenen Kurven, gleichzeitig das laute Pfeifen der müden, Huch-tschu-huuch-tschuu, schnaufenden Lokomotive und das ununterbrochene Ratata über den kaputten Gleisen, machten die Fahrt zur Folter. Nur selten kam die Lok in den Tschu-tschutschu-Gang. Dazu stank es fürchterlich nach Schnaps, Speck, Zwiebeln und Knoblauch (wenn einer seinen Hunger stillen wollte), gemischt mit dem Gestank der ungewaschenen Körper und dem Kohlerauch der Dampf-Lokomotive. Meine Ohnmacht war nicht gespielt.

Der Anfang war aber getan. Vor mir lag noch ein langer Weg und ich dachte mir, der Einzige hier zu sein, der eine längere Strecke fahren, also auch am längsten leiden muss. Mein Ziel war die Hauptstadt und die Fahrt dahin sollte fast acht Stunden dauern, obwohl es nur etwa 280 km sind. Ich dachte mir Mut zusprechend: „Wer mit A anfängt muss mit B weitermachen“ oder so ähnlich.

Die ersten vier bis fünf Stunden fuhr der Zug durch die mir vertraute Berg- und Gebirgslandschaft der Süd-Karpaten. Als wir die Berge, nach einer langen Fahrt durch das Prahova-Tal verließen, begann die Tiefebene mit flachem Ackerland soweit das Auge reicht. Für mich eine ganz neue, unbekannte Landschaft. Dies war also die hochgelobte Kornkammer unseres kommunistischen Vaterlandes.

*

Diese Reise ging ins Ungewisse, denn es war tatsächlich eine „Flucht” vor mir selbst, vor der Vergangenheit, vor all dem, was mich belastete, aber auch vor der Verantwortung. Naja, ich hatte ein umwerfendes Argument, ich suchte die „Freiheit“.

Ich hatte keinen Plan, nichts vorbereitet, nur eine unsichere Adresse und den Namen eines Menschen in der Hauptstadt, die mir mein Freund Ciuchi (Ernst) kurz vor meiner Flucht aus dem Norden, aus Sighetul Marmaţiei mitgab. Er sagte mir vorher nur: „Gib auf dich acht, der Typ ist etwas komisch.”

Während der Anfahrt zum Hauptbahnhof war ich schon überwältigt. Fast eine Stunde fuhr der Zug langsam an riesigen Gleisanlagen, armseligen Behausungen, aber auch an beeindruckenden Gebäuden vorbei. Der große Nordbahnhof beängstigte mich und ich fragte mich bereits, wie ich mich hier, in dieser riesigen Stadt, zurechtfinden werde. Ein Hauch von Unsicherheit, Angst und Panik kam auf. War es die richtige Entscheidung? War das der Weg in die Freiheit?

Als ich den Zug mit meinem schweren Koffer verließ, vollkommen orientierungslos, sah ich Hunderte von Menschen, die sich in alle Richtungen bewegten, wie in einem Ameisenhaufen. Erst als ich in einer großen Halle Richtung Ausgang stehen blieb, setzte ich mich auf meinen Koffer und versuchte, mich selbst zu beruhigen und zu orientieren. Erst nach genauerer Beobachtung der Menschen, als ich in einer Gruppe von mehrere gut gekleideten Männern, einen Mann sah, der mich offensichtlich auch wahrgenommen hatte und einen freundlichen, einladenden Eindruck machte, wagte ich es ihn anzusprechen.

„Guten Tag! Haben Sie eine Minute Zeit für mich?”

Als er dies mit einem Nicken bestätigte, erzählte ich ihm meine Situation. Er lachte herzhaft, sah mich dann aber ernst an und fragte, ob ich mir meiner Lage auch bewusst sei. Ich konnte dies nicht bestätigen, also packte er meinen Koffer und sagte: „Junge, komm mit. Wir bringen den Koffer zur Aufbewahrung, denn du kannst damit nicht durch diese Stadt herumirren. Der ist aber schwer! Was hast du da drin?”

In einigem Abstand folgten ihm ein paar von den Männern. Er war mir bei den Formalitäten noch behilflich. Ich bekam einen Zettel für die Aufbewahrung in die Hand gedrückt. Die Gebühr hatte er übernommen. Er las meinen Zettel mit der Adresse. Danach führte er mich vor den Bahnhof, zeigte mir die Bushaltestelle, von der aus ich den Bus Richtung Zentrum nehmen sollte, wo sich auch die Zieladresse befand. Auf einen Zettel schrieb er seinen Namen und eine Telefonnummer auf. Er sagte dann ganz kurzgebunden:

„Gib auf dich acht! Und falls du in Not bist, melde dich. Ich hoffe du hast keine Leiche im Koffer!”

Mein Gott, wie gut es ist Menschen zu treffen, die dir in einer solchen Situation behilflich sind. Danke, Herr…!

Nach einer Busfahrt, die mir recht lange vorkam und bei der ich die Mitfahrer immer wieder unsicher fragte, stieg ich im Zentrum aus. Mein Ziel, wie ich am zweiten Tag feststellte, befand sich direkt neben dem Regierungspalast, der ehemaligen Königsresidenz. Ich stand vor einer Kulisse, die mir vollkommen neu war. Die Häuser waren für mich ungewöhnlich groß und prächtig. Die Straßen waren außergewöhnlich breit und gut beleuchtet. Es fuhren sehr viele Autos auf den Straßen. Für mich ein ganz neues Bild. Das fühlte sich tatsächlich nach Hauptstadt an. Also, nur Mut, Junge, es wird schon schiefgehen…

Meine Kontaktadresse war quasi direkt vor der Bushaltestelle. Ich stand vor einem gepflegten Haus mit sieben Stockwerken und suchte die Klingeln ab. Tatsächlich fand ich den Namen, den mir Ernst aufgeschrieben hatte, und drückte auf den Knopf. Ich drückte mindestens zehnmal, ohne Erfolg. Der kalte Schweiß wollte schon meine heiße Stirn kühlen, als eine Frau in das Haus gehen wollte.

Ich fragte sie mit zitternder Stimme nach dem Mann, den ich suchte.

„Er ist seit mehreren Wochen im Ausland. Ich denke, er wird erst in vier Wochen wieder da sein”, sagte sie.

Wir standen inzwischen im Innenbereich des Eingangs, sie ging die Treppen hoch und ließ mich einfach stehen.

Die Treppe, auf der die Frau hochging fing an sich zu drehen, als ich ihr nachsah. Ich setzte mich drauf und schwebte kurz davon.

Instinktiv blieb ich im Treppenhaus sitzen. Was sollte ich auf den Straßen dieser riesigen, unbekannten Stadt auch sonst tun? Es war ziemlich spät und draußen schon dunkel. Ich war froh nicht auf der Straße zu sein, denn es war bitterkalt.

Die Zeit hielt an, ich wurde sehr müde und nickte mehrmals auf der Treppe ein. Es dunkelte draußen, als die Nacht sich langsam über den Tag schob. Im Grau, das übrig blieb, erkannte ich im ersten Stockwerk ein Fenster zu einem überdachten Innenbereich.

Ich machte es auf, sah mich um und stellte fest, dass es ein geschlossener Raum war, der mich regelrecht zum Hadeln einlud. Recht warm und sicher.

Ich holte einen Stapel Zeitungen, die ich im Eingangsbereich fand, bereitete mir auf dem geteerten Boden, direkt unter dem Fenster, eine Unterlage vor und legte mich drauf. Die letzte Zeitung, auf die ich mich legte, schrie mir vorher noch die Schlagzeile in Rot und in großer 100 Punkt-Schrift, entgegen: „Trăiasca Partidul Comuist Român, trăiască conducătorul nostru iubit, tovarăsul Nicolae Ceauşesu“. (Es lebe die Kommunistische Partei Rumäniens, es lebe unser geliebter Führer, Nicolae Ceauşesu“). Ich wollte nicht weiterlesen, ich kannte den Rest: Gute Nacht-Geschichten.

Meine Aktentasche aus Leder nahm ich als Kopfkissen und schlief ein. Es war, unter diesen Umständen, ein unglaublich guter und tiefer Schlaf.