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Beschreibung

Es wird unbestreitbar Weihnachten. Auf die sonst so in der Kritik stehende katholische Kirche kommt eine Zeit zu, in der sie die frohe Botschaft in voller Pracht verkünden kann. Aber reicht die Krippenidylle für das weihnachtliche Heilwerden aus? Braucht es dafür nicht auch Raum für diejenigen Erfahrungen mit der katholischen Kirche, die dem Trio aus Gaudete, Glanz und Gloria entgegenstehen? Bietet das Weihnachtsfest gar selbst Anstöße dafür, Kritisches in den Fokus zu stellen und es zu deuten? Dieses Buch macht im weihnachtlichen Wohlklang Dissonanzen hörbar und eröffnet gerade dadurch neue Perspektiven auf die Weihnachtsbotschaft. Die Autor*innen berichten von Erfahrungen mit Machtmissbrauch, die sie in der katholischen Kirche gemacht haben, und fragen nach den Konsequenzen für das Feiern von Weihnachten. Weihnachten kann erst werden, wenn …

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © ELG21 / pixabay

E-Book Konvertierung: Newgen publishing

ISBN Print 978-3-451-39540-6

ISBN E-Book (E-Pub) 978-3-451-83540-7

Inhalt

Noch ein Weihnachtsbuch?!

Ein paar Worte zur Einleitung

Antonia Lelle, Christoph Naglmeier-Rembeck und Franca Spies

Berufen zu Unmöglichem?

Monika Amlinger

Vom Sieg der Macht der Verletzlichkeit über die Macht der Gewalt

Johanna Beck

Auf gehemmter Suche

Kira Beer

Mein persönliches Weihnachtswunder

Stephanie Butenkemper

Die chaotische Platzwahl im Stall von Bethlehem und die Suche nach meinem Platz als Frau in der Kirche

Ute Garth

Vater, Mutter und das Kind in der Krippe

Veronika Gräwe

Das Neue beginnt im Kleinen.

Weihnachten und das Warten auf kirchliche Innovation

Maria Herrmann

Das Kind in der Krippe: Maßstab für eine freiheitsachtsame Kirche

Max Holzer

Im Anfang war kein Wort – Die andauernde Menschwerdung von trans* und inter*

Mara Klein

Das Machtgefälle auf dem Synodalen Weg und damit verbundene Risiken für Machtmissbrauch

Viola Kohlberger

Fürchtet euch nicht!

Plädoyer für mehr Mut in der theologischen Wissenschaft

Anna Kontriner

Weihnachten kann es erst werden, wenn kirchliche Strukturen nicht mehr diskriminieren

Mein Gott* diskriminiert nicht: Luisa Bauer, Lisa Baumeister und Claudia Danzer

Vor verschlossenen Türen

Daniela Ordowski

Stille Macht, heilige Macht!

Das einsame Wachen der Kirche über ihre Macht und was erwachen muss

Gregor Podschun

„Nichts ohne uns über uns!“

Weihnachten als Paradebeispiel der Inklusion

Julia Rath

Wenn es ganz dunkel geworden ist

Doris Reisinger

Und sie zogen auf einem anderen Weg heim (Mt 2,12) – Die Geburt der Kirche als LGBT*-Heimat

Ruben Maximilian Schneider

Kinder in Afrika wahrlich Kinder sein lassen

Solange Sahon Sia, ndc und Rodrigue Naortangar SJ

Von Strohhalmen und Menschwerdung und warum manchmal in Kneipen eher Weihnachten wird als in der Kirche

Raphaela Soden

Wer bin ich für dich?

Von der transformativen Kraft der Liebe

Marita Anna Wagner

Kurzbiografien der Autor*innen

Über das Buch

Noch ein Weihnachtsbuch?!

Ein paar Worte zur Einleitung

Antonia Lelle, Christoph Naglmeier-Rembeck und Franca Spies

Es wird Weihnachten! Mit dem Fest am Ende unseres Kalenderjahres verbinden Menschen die unterschiedlichsten Erwartungen und Gefühle. Längst ist die christliche Feier der Geburt Jesu, der Menschwerdung Gottes in einem einzigen Säugling, überlagert von individuellen und kollektiven Bräuchen, die ihren besonderen Charakter zusätzlich verstärken. Doch nicht nur die weihnachtstypische Mischung aus religiösen und nicht-religiösen Festelementen bedingt die unterschiedlichen Zugänge zu diesem Fest. Weil und insofern an Weihnachten auch die Institution „Kirche“ im Zentrum des Interesses steht, ergibt sich eine ganz eigene Gemengelage, die all das, was der Institution anhaftet, nur schwer verdrängen lässt.

Gerade die katholische Kirche steht massiv in der öffentlichen Kritik. Der jahrzehntelange Reformstau ist unübersehbar und Gegenstand leidenschaftlicher Diskussionen. Es handelt sich dabei nicht um „bloße“ Strukturdebatten, nicht allein um Fragen von Verwaltung oder Organisation; die Strukturen und das tägliche „Geschäft“ der katholischen Kirche greifen tief in menschliche Leben ein. Dies zeigt sich mit Blick auf ganze Menschengruppen, die in ihrer geschlechtlichen und/oder sexuellen Identität abgelehnt werden, mit Blick auf die Diskriminierung von Frauen und auf alle Schattenseiten des Klerikalismus. Einen traurigen Höhepunkt stellen die sexualisierte Gewalt durch Kleriker und deren Vertuschung dar, deren systemische Ursachen seit der MHG-Studie nicht mehr zu bestreiten sind.1 Die Frage nach dem guten Leben angesichts zwischenmenschlicher Gewalt kann von der Gottesfrage nicht getrennt werden; sie stellt womöglich gar deren sehnsuchtsvollen Ursprung dar.2

Doch was geschieht mit der Kritik an Weihnachten? Bisweilen kann man den Eindruck gewinnen, die Kirche werde so sehr von der Freude der Heiligen Nacht angestrahlt, dass die kritische öffentliche Wahrnehmung kurz auf „Pause“ drückt, um dem andächtigen Staunen über die Geburt dieses besonderen Kindes oder wenigstens einem inbrünstig gesungenen „Stille Nacht“ Raum zu geben. Verstummt die Kritik also in der Heiligen Nacht? Was wird dann aus den Erkenntnissen über die missbrauchsbegünstigenden Strukturen in der katholischen Kirche, die mit jedem diözesanen Missbrauchsgutachten wieder bestätigt werden? Was wird aus den Diskriminierungserfahrungen, die Frauen oder LGBTIQ+-Personen immer wieder machen müssen? Was wird aus all jenen Vektoren der Macht, die in der katholischen Kirche wirksam sind und die gnadenlos in das Leben von Menschen eingreifen?

Es wird Weihnachten

Die Kirchen stehen an Weihnachten recht gut dar, und zwar auch, weil Weihnachten längst nicht mehr nur ein Fest der Kirchen ist. Für die meisten Menschen, die mit dem Exportschlager „Original German Christmas“ aufgewachsen sind, überlagert sich eine Vielzahl an weihnachtlichen Elementen und Stimmungen, die dem Fest seine besondere Prägung geben: ein wenig Plätzchenduft hier, ein wenig Tannengrün dort, „Jauchzet, Frohlocket“ im Ohr und klebrige Finger vom Punsch, der nur wenige Sekunden schmeckt, bevor er kalt wird und seinen Zuckergehalt nicht länger hinter wohltuender Hitze verbergen kann.

Bei allem immer wieder (gerne auch von kirchlicher Seite) angehobenen Lamento über die zunehmende Säkularisierung und Kommerzialisierung des Festes darf nicht übersehen werden, wie sehr die Kirchen vom allgemeinen wärmenden Wohlgefühl profitieren, das sich beim Gedanken an Advent und Weihnachten in vielen Bäuchen ausbreitet. Die wenigsten Gottesdienstbesucher*innen werden bei den weihnachtlichen Feierlichkeiten andächtig an die christologischen Dogmen der altkirchlichen Konzilien von Nicäa und Chalcedon denken oder über den Logos-Begriff des Evangelisten Johannes meditieren. Stattdessen genießen sie die musikalischen Weihnachts-Evergreens und die vertraute lukanische Erzählung über eine Volkszählung und einen Statthalter, die Reise eines jungen Paares nach Bethlehem, wo es in der Herberge keinen Platz mehr gibt, die wundersame Geburt im Stall, die ängstlichen Hirten und die singenden Heerscharen.

Mit den vielen Traditionen im Rücken, mit den christlichen und den säkularen, den musikalischen, kulinarischen und sozialen, gelingt es den Kirchen an Weihnachten gut, trotz des sonst verbreiteten Rückzugs religiöser Vollzüge aus der Öffentlichkeit in der Mitte der Gesellschaft präsent zu bleiben. Sie profitieren vom Trubel. Die katholische Kirche kann an Weihnachten vor ungewöhnlich gut besetzten Bänken ihr Evangelium verkündigen, das selten so lebensnah und eingängig erscheint wie in der Heiligen Nacht: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt …“ (Jes 9,5).

Weihnachten kann erst werden, wenn …

Die harmonische Stimmung der Weihnachtstage stellt für die katholische Kirche eine ungewohnte Erfahrung dar. Es scheint einen Moment der Ruhe im Sturm der Kritik an kirchlichen Strukturen zu geben, die schon lange als ungerecht angeklagt werden. Doch der Friede kann trügerisch werden, wenn er Erfahrungen von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche einfach verdrängt, anstatt sie zu thematisieren. Es muss möglich sein, Weihnachten zu feiern, ohne dabei faule Kompromisse einzugehen. Die Aufgabe, „der (pseudo-)theologischen Beförderung von Missbrauch und Gewalt entgegen[zu]wirken“3, erhält keine Dispens, nur weil Weihnachten ist. Im Gegenteil: Die Feiergestalt und die Theologie des Weihnachtsfestes bieten selbst wichtige Anstöße dafür, schwierige Themen in den Fokus zu stellen und sie zu deuten. Die Weihnachtsbotschaft enthält Narrative der Nähe und der Verletzlichkeit, der Verbundenheit, der Überraschung, der Angst und der Furchtlosigkeit, des Erschreckenden und des Wundervollen. Die schier unglaubliche Zuwendung Gottes zur Welt, die sich völlig unverhofft im Stall von Bethlehem ereignet, muss gerade in unheilvollen Bezügen artikuliert werden können – zeigt sie doch, dass es keine Dimension des Menschseins mehr gibt, die noch von Gott getrennt werden könnte. Es stellt sich also die Frage: Wie kann angesichts des Machtmissbrauchs Weihnachten werden? Wie lässt sich Weihnachten feiern, ohne die Gewalterfahrungen in der Heiligen Nacht auszuklammern?

Dieses Buch möchte ein harmonisches Feiern der Heiligen Nacht nicht verbieten. Gleichwohl möchte es die Perspektive derjenigen Personen einnehmen, die nicht in den immer gleichen weihnachtlichen Wohlklang einstimmen können oder wollen, die Perspektive von Menschen, die mit unterschiedlichen Facetten kirchlichen Machtmissbrauchs konfrontiert sind oder waren, die angesichts dessen widersprechen, die Unbequemes und manchmal fast Unaussprechliches sagen. Diese Erzählungen, diese Perspektiven und die Weihnachtsdeutungen können als Septakkord in der weihnachtlichen Kadenz verstanden werden, als notwendige Dissonanz, die Spannungen hörbar macht, die nach Auflösung verlangt und durch die vielleicht sogar eine neue Art der Harmonik möglich wird – keine glattgebügelte, sondern eine spannungsvollere, ehrlichere und befreiendere, eine, bei der es vielleicht etwas mehr Weihnachten werden kann. Erzählen stellt in diesem Sinne eine Ermächtigungspraxis dar: „Erzählen hat eine Funktion, Erzählen bewirkt etwas. […] Erzählen ist Widerstand gegen die unheilvollen Mächte des Missbrauchs, gegen die Taten und gegen das Vertuschen, gegen die eigene Ohnmacht.“4

Bei aller Idylle, zwischen singenden Engeln und Familien am geschmückten Baum, zwischen Gaudete, Glanz und Gloria, darf der kritische Impuls von Weihnachten nicht verloren gehen. Nicht weniger als ein „großes Licht“ verheißt der Prophet Jesaja dem Volk, das „im Finstern wandelt“ (Jes 9,1). Dieser Text wird in jeder Christmette gelesen, sodass er den Anspruch der Geburt Jesu und des heutigen Weihnachtsfestes deutlich macht: Es soll eine ungeahnte Unterbrechung des Gewohnten sein, neue Hoffnung in schwierigen oder gar untragbaren Zuständen bringen – eben ein großes Licht in der Finsternis. Doch das kommt nicht von ungefähr und nicht von selbst.

Bezogen auf die katholische Kirche zeigen die Autor*innen dieses Buches eine Haltung des „Widerspruchs aus Loyalität“.5 Ihre Kritik verfolgt konstruktive und nicht destruktive Absichten. Sie sucht einen gangbaren Weg in die Zukunft; jedoch nicht um der Institution, sondern um des guten Lebens der Menschen, besonders der Ausgegrenzten und Verletzten, willen. Diese Perspektive darf sich auf Jesus von Nazaret berufen: Er ist es, der in den Gepflogenheiten seiner Zeit irritiert, der Unbequemes sagt, der diejenigen zu Wort kommen lässt, die viel zu selten gehört werden, nicht um das System zu stürzen, sondern um Gerechtigkeit darin herzustellen und für ein gutes Leben einzustehen. Das Reden und Wirken Jesu vertiefen, wovon bereits besonders die lukanische Weihnachtsbotschaft zeugt: Gott* wendet sich in radikaler Liebe der Welt zu, Gottes* Handeln an den Menschen ist Heilshandeln.

Wann, wenn nicht an Weihnachten, sind Christ*innen dazu veranlasst, eine Haltung der Gerechtigkeit und der Zuwendung einzuüben? Dieses Buch ist ein Versuch, das zu tun. Die versammelten Texte wollen Ernst machen mit dem viel zitierten Jesajawort „Tauet, ihr Himmel, von oben“ (Jes 45,8) und Weihnachten als ein Fest verstehen, an dem Gerechtigkeit sprießen soll. Gerecht wird es an Weihnachten erst, wenn Ungerechtigkeiten sichtbar gemacht und theologische Konsequenzen daraus gezogen werden – oder kurzum: wenn man sich am Schönen freut, ohne Dinge schönzureden.

Es gibt in der katholischen Kirche hoffnungsvolle Zeichen für einen Aufbruch, z. B. die Beratungen des Synodalen Wegs oder Initiativen der Erneuerung wie „#Out-InChurch“; damit Veränderung eintritt, ist immer wieder der Mut gefragt, mit persönlichem Zeugnis und theologischem Nachdruck für einen gerechteren Weg in die Zukunft einzustehen.

Umso mehr gilt: Weihnachten kann erst werden, wenn …

Perspektiven und Themen

Die Beiträge, die in diesem Buch versammelt sind, tragen die unterschiedlichsten Perspektiven und Themen zusammen. Im Zentrum steht jeweils die Frage nach Strukturen und/oder Erfahrungen des Machtmissbrauchs innerhalb der katholischen Kirche und deren Auswirkungen für das Verständnis und das Feiern von Weihnachten. Dabei wird in den Resonanzen mit den persönlichen Erfahrungen sichtbar, welches kritische und hoffnungsstiftende Potenzial die biblische Weihnachtsbotschaft von der Menschwerdung Gottes in sich trägt.

Für Monika Amlinger zeigt Weihnachten, dass Gott den Menschen ganz nahe kommen möchte und dass Christus in jedem einzelnen Menschen wohnt. Diese und andere weihnachtliche Motive ermöglichen ihr, gegen die patriarchalen Machtstrukturen der katholischen Kirche ihre eigene Berufung zur Priesterin zu begreifen und dafür einzustehen.

„Mein Gott* diskriminiert nicht. Meine Kirche schon.“ Das Evangelium stellt gerade an Weihnachten die unbedingte Freundschaft Gottes* zu den Menschen in den Mittelpunkt. Luisa Bauer, Lisa Baumeister und Claudia Danzer überlegen, wie die katholische Kirche dieses Evangelium in Anbetracht struktureller Diskriminierung glaubwürdig verkünden kann.

Angesichts der sich selbst verschenkenden Menschwerdung Gottes, die ihren Kulminationspunkt im Kreuzestod Jesu findet, fragt Johanna Beck anhand der Machtverhältnisse zur Zeit Jesu nach einem Verständnis von Weihnachten, in dessen Konsequenz die Kirche auf die „Macht der Verletzlichkeit“ setzen kann.

Kira Beer nimmt die Suche nach der persönlichen Berufung zum Anlass, die weihnachtliche Menschwerdung Gottes zu reflektieren und dabei eine Engführung auf das männliche Geschlecht zu überwinden.

Stephanie Butenkemper berichtet von ihren Erfahrungen mit einer geistlichen Gemeinschaft, vom spirituellen Missbrauch, den sie dort erlebt hat, und dem langen Advent, der darauf folgte – dem Ausharren und Warten auf Gerechtigkeit, bis hin zu ihrer persönlichen Weihnacht.

„Wie finde ich meinen Platz als Theologin innerhalb der patriarchalen und hierarchischen Männerstruktur der Kirche?“, fragt Ute Garth in ihrem Beitrag. Sie berichtet von diskriminierenden Situationen ihrer bisherigen Platzsuche und entdeckt im Chaos der Platzwahl im Stall von Bethlehem eine inspirierende Gegenerfahrung.

Veronika Gräwe lenkt mit ihrem Artikel den Blick auf Erfahrungen von Othering und Exklusion angesichts der an Weihnachten häufig beförderten hetero- und paarnormativen Familienvorstellungen und eröffnet eine Perspektive auf die Heilige Familie als einen liebevollen Ort jenseits der Norm, vielleicht sogar jenseits eines Familieseins.

Die Geburt Jesu in einem Stall verdeutlicht: Das Neue beginnt im Kleinen. In ihrem Beitrag wendet Maria Herrmann dieses ermutigende Bild auf pastorale Innovationen im Raum der katholischen Kirche an; der Beginn im Kleinen eröffnet die Möglichkeit, aktiv auf die Zukunft der Kirche „hin- und zuzuwarten“, erfordert aber gleichzeitig eine hohe Sensibilität für Machtwirkungen.

Wie ist Kirche in der Welt? Und wie könnte sie in der Welt sein, wenn sie das Kind in der Krippe zum Maßstab ihres Agierens nähme? Diesen Fragen geht Max Holzer nach und entnimmt der Weihnachtsbotschaft den Zuruf an die Kirche, keine Angst vor Freiheit zu haben.

Mara Klein macht darauf aufmerksam, was die Grenzen binärer Denksysteme – auch in der Weihnachtstheologie – für die Lebenswirklichkeit von trans* und inter* Menschen in der katholischen Kirche bedeuten, und weist einen Weg, wie die weihnachtliche Menschwerdung Christi diese Grenzen abbauen kann.

Viola Kohlberger wirft aus der Binnenperspektive einen kritischen Blick auf die bestehende Machtfülle und die Gefahrenquellen für Machtmissbrauch auf dem Synodalen Weg. Sie plädiert angesichts von Weihnachten für eine Sichtbarmachung und Hinterfragung von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen.

Welcher Zukunft blickt die wissenschaftliche Theologie entgegen? Anna Kontriner fordert von Theolog*innen den Mut, sich gegen die strukturellen Ungerechtigkeiten in der katholischen Kirche aufzulehnen und damit jenem Zeugnis der Furchtlosigkeit gerecht zu werden, das die Weihnachtserzählungen uns bieten.

Daniela Ordowski stellt den harmonisierenden und romantischen Weihnachtstraditionen die verschlossenen Türen der Herbergssuche von Maria und Josef gegenüber und plädiert für eine offene Kirchenkultur jenseits klerikalistischer Systeme.

Der befreienden Weihnachtsbotschaft steht ein unfreies Machtsystem der Institution Kirche gegenüber. Gregor Podschun benennt daher das Potential einer Rückkehr zu den befreienden Grundlinien des Evangeliums und sieht als Ausgangspunkt das radikale Einlassen der Kirche auf menschliche Lebenssituationen.

Julia Rath analysiert ableistische und exklusivierende Strukturen in der Kirche und tritt für das Prinzip „Nichts ohne uns über uns“ ein, welches wegen der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen ein besonderes Anliegen kirchlicher Praxis sein sollte.

Die Zeit des Wartens auf die adäquate Missbrauchsaufarbeitung war lange genug. Deshalb setzt Doris Reisinger auf prophetische Stimmen des Advents, die gegen die Täternarrative dafür sorgen, dass Weihnachten nicht im Sinn der unheilvoll Mächtigen, sondern der Betroffenen werden kann.

Die Absichten der Allies in der innerkirchlichen queeren Emanzipationsbewegung seien zwar nobel, die Art ihres Engagements und der gesellschaftlichen Resonanz reproduzieren allerdings häufig die Kernstrukturen der diskriminierenden Ordnung, so Ruben Schneider. Er plädiert dafür, dass Betroffene zu Subjekten statt zu Objekten der Emanzipation werden, denn Weihnachten wird, wenn Kirche Selbstschutzreflexe überwindet und damit wie der Stall von Bethlehem zum Schutzraum wird.

Solange Sia und Rodrigue Naortangar weiten die Perspektive dieses Buches, indem sie gesellschaftliche Hintergründe der sexualisierten Gewalt gegen Kinder insbesondere im ivorischen Kontext beleuchten. Der neugeborene Jesus hat auf verschiedene Weise Schutz erfahren. Was also muss geschehen, was muss auch die katholische Kirche leisten, damit Kinder unbeschwert und voller Freude Weihnachten feiern können?

Ausgehend von einem Brauch, der die Weihnachtwerdung an bestimmtes Verhalten von Kindern als Bedingung koppelt, macht Raphaela Soden auf das Problem der Heteronormativität in kirchlichen Vollzügen aufmerksam und nimmt einen Weihnachtssong zum Anlass, diese zu überwinden.

Marita Wagner versteht ausgehend von der Botschaft der Heiligen Nacht die Weltkirche als eine Gemeinschaft der Liebe. Auf dieser Grundlage stellt sie angesichts rassistischer Strukturen, die auch an Weihnachten zum Tragen kommen, die Frage, wie es gelingen kann, Rassismus aufzuarbeiten und zur Versöhnung beizutragen.

Danke!

Dieses Buch geht auf eine kleine Artikelserie des theologischen Blogs y-nachten.de aus dem Jahr 2020 zurück. Als Redaktion versuchen wir, der „jungen, wilden“ Theologie im deutschsprachigen Raum eine Plattform zu bieten, und haben mittlerweile Beiträge von über 160 Autor*innen zu allerlei Themen rund um Theologie, Kirche und Religion versammelt. Wir verstehen uns als kritisch und divers, wir suchen mit unkonventionellen Fragen und einer verständlichen Sprache einen Weg für die Theologie der Zukunft. Auch dieses Buch folgt diesem Anliegen; und so hoffen wir, damit einen Beitrag zu wichtigen Debatten leisten zu können und den Leser*innen neue Zugänge zum Fest zu ermöglichen.

Um dieses Projekt zu realisieren, haben viele Menschen mit Herzblut und Interesse an der Sache zusammengearbeitet. Wir bedanken uns bei den beteiligten Mitarbeiter*innen des Herder-Verlags – insbesondere bei Clemens Carl, der diese Kooperation initiiert und mit großem Engagement begleitet hat. Das Projekt y-nachten.de ruht mittlerweile auf vielen Schultern. Alle Redaktionsmitglieder haben uns mit ihren Ideen, Rückmeldungen und natürlich den Korrekturarbeiten ermöglicht, dieses Buch zu realisieren. Dafür bedanken wir uns bei Jonatan Burger, Claudia Danzer, Katharina Mairinger, Florian Mayrhofer, Hannah Ringel, Daria Ronellenfitsch, Annika Schmitz und auch bei unseren „Ehemaligen“, Florian Elsishans, Martin Höhl und Vanessa Lindl. Wertvolle Beratung und Anregungen haben wir immer wieder von Prof.in Dr.in Ute Leimgruber erhalten; auch ihr gilt unser ganz herzlicher Dank. Zuletzt und mit besonderem Nachdruck danken wir den beteiligten Autor*innen – für die zuverlässige und inspirierende Zusammenarbeit, vor allem aber für ihren Mut und ihre anregenden Gedanken.

Im Juni 2022

Antonia Lelle, Christoph Naglmeier-Rembeck und Franca Spies

Anmerkungen

1 Vgl. die Ergebnisse der MHG-Studie: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2018/MHG-Studie-gesamt.pdf (Zugriff: 30.06.2022).

2 Vgl. J. B. Metz, Theologie als Theodizee?, in: W. Oelmüller (Hrsg.), Gott vor Gericht, München 1990, 103–118, v. a. 104.

3D. Reisinger, Wenn theologisch begründete Macht gefährlich wird. Interdisziplinäre Denkschneisen, in: D. Reisinger (Hrsg.), Gefährliche Theologien. Wenn theologische Ansätze Machtmissbrauch legitimieren, Regensburg 2021, 8.

4B. Haslbeck, Barbara/R. Heyder/U. Leimgruber, Erzählen ist Widerstand. Zur Einführung, in: B. Haslbeck/R. Heyder/U. Leimgruber/D. Sandherr-Klemp (Hrsg.), Erzählen als Widerstand, Münster 2020, 13.

5 Vgl. K. Mertes, Widerspruch aus Loyalität, in: Stimmen der Zeit 233 (11/2015), 736–744.

Berufen zu Unmöglichem?

Monika Amlinger

Verstummt mit der eigenen Berufung

Für dieses Buch wurde ich angefragt, mein persönliches Thema – die Berufung, Priesterin zu sein – unter dem Blickwinkel des Machtmissbrauchs darzustellen. Dafür bin ich dankbar, aber ich bin auch leicht irritiert. Das ist neu für mich. Unter Machtmissbrauch stellt man sich gemeinhin ein aktives Verhalten einer einflussreichen Person vor. Man denkt an einen Schaden, der durch aktives Tun entsteht. Trifft das denn in meinem Fall überhaupt zu?

Ich fühle mich seit meiner Zeit im Kloster (als Benediktinerin) zur Priesterin berufen. Auf einem mehrtägigen Pilgerweg zusammen mit Gästen – ich war seit zwei Jahren in der klösterlichen Gemeinschaft – wurde mir im Gespräch auf einmal klar: Ja, ich fühle mich berufen zur Priesterin! Die Gesprächspartnerin hatte mir beim gemeinsamen Wandern von ihrer eigenen Berufung erzählt. Was ich schon seit längerer Zeit in mir trug und was ich nie wahrhaben wollte und konnte, kam plötzlich an die Oberfläche.1

Die Gefühle dazu: Freude, Staunen, aber auch eine Unsicherheit und Angst. Etwas Wunderbares war am Geschehen, kam von Gott her auf mich zu. Und gleichzeitig war ich verwirrt und unsicher, da ich nicht wusste, wie sich das jemals realisieren sollte. Insbesondere spürte und spüre ich einen starken Zug und eine Sehnsucht, Eucharistie zu feiern.

Und wo fing nun der Machtmissbrauch an? Der Machtmissbrauch war das, was bewirkt hat, dass ich einige Zeit später mit meiner Berufung verstummte. Ich sprach über mehrere Wochen hinweg mit einzelnen Personen darüber, und dann auf einmal für viele Jahre mit niemandem mehr. Ja, ich vergaß in gewissem Sinne sogar die Berufung, den Ruf und auch die Freude und das Staunen daran.

Was brachte mich zum Verstummen? Es war das Verstummen bzw. die Stummheit der Personen – Seelsorger*innen –, mit denen ich Kontakt aufnahm. Ich kann versuchen, eine Erklärung dafür zu finden. Ihr Verstummen resultierte im Wesentlichen aus der Stummheit der Amtskirche, der Amtsträger. Deren Stummheit wiederum resultierte wahrscheinlich sehr stark aus der kirchlichen Tradition, aber auch aus der Maßgabe Johannes Pauls II., die Kirche habe keine Vollmacht zur Frauenpriesterweihe, und das sei unwiderruflich.2

Eine lange, jahrtausendelange Tradition des Ignorierens und der Geringschätzung der Frauen und ihrer Charismen, lehramtliche Aussagen zur Unmöglichkeit der Frauenpriesterweihe, sich daran anpassende Bischöfe, Kleriker, Ordensmänner und Ordensfrauen, Laien und Laiinnen: All dies hat dazu geführt, dass meine Berufung in einem schwarzen Loch verschwand.

War das nun aktiver Machtmissbrauch? War es bewusster Machtmissbrauch? Es war sicher keine bewusste Schädigung meiner Person. Wahrscheinlich waren viel Unsicherheit und Hilflosigkeit im Spiel. Dennoch war es in gewissem Sinne Machtmissbrauch. Auch ein Schweigen, ein Nichtstun, ein Nicht-Ansprechen sind eine Entscheidung. Die Nichtzulassung von Frauen und deren lehramtliche Erklärung sind eine Entscheidung.

Erst im Nachhinein ist mir klar geworden, welche Wut – und Traurigkeit – sich eigentlich in mir entwickelten in Bezug darauf, dass meine Berufung nicht ernst und wichtig genommen wurde. Wie kann man Gottes Ruf so ignorieren? Wie kann man mich damit so allein lassen? Ich konnte mich ja nicht im Priesterseminar melden. Zum Bischof zu gehen traute ich mich damals nicht. Ich hätte zu viel Angst gehabt, abgeschmettert zu werden. Das wäre vom Kloster auch sicher nicht zugelassen worden.

Auch auf Gott hatte ich einen Ärger – und manchmal kommt dieser heute noch: Warum schenkst du mir eine Berufung, die mir dann so viel Schmerz und Unsicherheit bereitet?

Hatte ich Zweifel in Bezug auf meine Berufung, darüber, ob ich mich selbst täusche? Ich glaube, die Zweifel lagen vor allem in der Zeit vor der besagten Begegnung mit der Frau auf dem Pilgerweg. Die Zweifel führten dazu, dass ich lange brauchte, um mir das Gespür für meine Berufung – den Anruf Gottes – einzugestehen. Dann stellte sich aber eine erstaunliche Klarheit ein. Vermutlich kommt die Klarheit auch aus dem langsamen und langen Reifen und Ringen „unter der Oberfläche“. Und ich wusste ganz sicher, dass es nicht meine Idee war, dass ich mir das Ganze nicht ausgedacht und herbeiphantasiert hatte. Ich war eigentlich mit anderen Themen unterwegs – dem weiteren Hineinwachsen ins Kloster – und nicht mit „frauenemanzipatorischen“ Themen.

Weihnachten macht Mut

Wir gehen auf Weihnachten zu. Kommen von Weihnachten her und gehen wieder darauf zu. Wenn ich meine Erfahrungen mit Weihnachten verbinde, dann spüre ich einen Trost im Herzen. Gott kommt nicht mächtig und auch nicht missbrauchend oder ignorierend in diese Welt hinein. Er kommt klein, einfach und mitfühlend.

Und er lässt die schwangere Maria zur starken Prophetin3 werden, wenn sie ausruft und betet: „Er [Gott] vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 1,51–53).4 Was für eine klare und mutige prophetische Rede. Gott wird als machtvoll beschrieben, aber er erweist seine Macht gerade darin, dass er Ungerechtigkeiten aufdecken und auflösen, ja geradezu umkehren möchte. Diese Umkehrung der Verhältnisse hat fast etwas Erschütterndes und Verstörendes.

Die Art und Weise, wie Gott dann in die Welt kam, und das, was er in Jesus getan hat, scheint uns manchmal damit nicht so recht zusammenzupassen. Wie hat denn Jesus die Verhältnisse umgekehrt? Nicht so, wie sich es manche erhofft hatten. Die Römer blieben mächtig. Die religiösen Eliten blieben mächtig. Die patriarchalen Machtstrukturen – damit verbunden die strukturelle Unterordnung der Frau – blieben letztlich bestehen.

Jesus vergleicht die Herrschaft (das Reich) Gottes unter anderem mit dem kleinen Samenkorn – einem Senfkorn –, das nach und nach erst groß und stark wird (Mk 4,30–32; Mt 13,31f.; Lk 13,18f.). Oder er spricht vom Unkraut unter dem Weizen, das noch nicht ausgerissen werden soll (Mt 13,24–30). Gott kommt mächtig, aber anders-mächtig. Auf eine Weise, die uns gleichzeitig staunend und wütend machen kann. Die Fragen sind ein Leben lang nicht zu Ende: Warum, Gott, greifst du nicht mehr und stärker in diese Welt ein? Warum lässt du so viel Ungerechtigkeit und Elend zu? Warum reißt du das wuchernde Unkraut – im Bild gesprochen – nicht aus? Und gleichzeitig die Ahnung: Gott ist da! Er geht mit, er ist nah. Geheimnisvoll, aber ganz wirklich. Gott wirbt um uns, aber er zwingt nicht.

Zu diesem Glauben hilft mir Weihnachten, Gott in der Krippe. Im lateinischen Hymnus „A solis ortus cardine“ (Übers.: Vom Beginn des Sonnenaufgangs) hat mich immer ganz besonders eine Strophe berührt: „Auf Heu zu liegen ertrug er [Christus], die Krippe verschmähte er nicht. Und mit wenig Milch wurde genährt, durch den nicht einmal ein Vogel hungert.“5