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Beschreibung

Das Thema: Abolitionismus & Marxismus, Vanessa E. Thompson; Kriminalpolitischer Abolitionismus, Johannes Feest; Für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse, Klaus Jünschke; Strafrecht modernisiert, Armut bleibt, Britta Rabe; Freiheit hinter Gittern: Das Berliner Gefängnistheater aufBruch, Hans-Dieter Schütt; Kampf gegen Polizeigewalt, Gruppe Death in Custody; Die Psychiatrie und der (gewalt-)tätige Staat – nebst einer kurzen Abschweifung über den Handel mit Irrsinn, Ulrich Lewe; Restorative Justice: ein neuer alter Weg, Rehzi Malzahn; KPD und Strafrechtsreform in der Weimarer Republik, Volkmar Schöneburg; 100 Jahre Rote Hilfe Deutschlands, Silke Makowski Kommentare: Rechtsruck in der EU, Ulrich Schneider; US-Squad gegen China, Vijay Prashad; Der neue McCarthyismus, Hank Kalet/Sean T. Mitchell (USA), Die Nachwahl von Rochdale, Niall Farrell (Irland); Leuchtturmprojekt Litauen-Brigade, Jürgen Wagner; Postreform, Andreas Springer-Spieß; Verfassungsschutz: Stigmatisieren durch Datenübermittlung, Rolf Gössner Positionen: Gewerkschaften für Waffenstillstand in Gaza, Kurt Stand (USA); Quellen des Antisemitismus & Zukunft Israels und Palästinas, Conrad Schuhler; Lateinamerika, Peter Gärtner (Teil 2); Digitales Zentralbankgeld, Klaus Wagener Marxismus – nicht nur für Einsteiger: Fetischismus von Ware, Geld und Kapital, Holger Wendt; Konferenzberichte, Rezensionen. Beilage: Die Evolution des Imperialismus, Vijay Prashad (Tricontinental Institute)

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Seitenzahl: 365

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Einwurf von Links

Bandenwerbung der besonderen Art

Lothar Geisler

Am Abend des 1. Juni schrieb mir ein Freund und Genosse mitfühlend: »Schade, dass es nichts mit der schwarz-gelben Siegesfeier geworden ist.« Meine spontane Antwort: »Lass uns das doch positiv sehen und als erste Niederlage von Rheinmetall feiern.« Denn der Rüstungskonzern Rheinmetall ist wenige Tage vor dem Championsleague-Finale gegen Real Madrid zum Sponsor des Dortmunder BVB 09 avanciert und darf für ein paar Millionen Euro Blutgeld aus der PR-Kasse in den nächsten Jahren Bandenwerbung im Fußballstadion machen. Mal abgesehen davon, dass »Bandenwerbung« eine ganz neue Bedeutung kriegt, wenn eine (Kriegs-)Verbrecherbande Werbung für ihr todbringendes Geschäft machen darf: Das haben weder der Verein noch seine Fans verdient, von denen keiner gefragt wurde und einige auch heftig protestiert haben.

Wenn uns nun findige PR-Fuzzis das als »normales« Sponsoring eines »normalen« Sponsors verkaufen wollen, dann dauert es sicher nicht lange bis Kriegsminister Pistorius uns weiszumachen versucht, der Bau von deutschen Militärstützpunkten irgendwo im Ausland habe nichts mit Kriegsvorbereitung zu tun, sondern mit sozialem Wohnungsbau oder Bildungspolitik. Denn dauerhaft im Ausland stationierte Kriegstüchtige brauchen dort natürlich Wohnungen für ihre Familien, KiTas und Erzieher:innen sowie Schulen und Lehrer:innen für ihre Kinder. (Auch das sind übrigens Rüstungsausgaben.)

Rheinmetall ist kein »normales« Unternehmen, sondern der tüchtigste deutsche Rüstungskonzern, Produzent von Panzern, gepanzerten Fahrzeugen, Waffensystemen und dazugehörige Munition aller Art. Wo auch immer diese Panzer rollen, klingelt die Kasse beim Kriegsprofiteur Rheinmetall.

Ja, Ja die Gewalt. Sie scheint auch in unserem Alltag »unten« zugenommen zu haben, – in Stadien, in Schulen, in Familien, auch gegenüber helfenden Berufsgruppen, Feuerwehren, Sanitätern, Ärzten. Auf jeden Fall ist sie ein Be-Dauer-Thema in Medien, Studien, Politikerreden. So bedauerte jüngst sogar Bundespräsident Steinmeier anlässlich von »75 Jahren Grundgesetz« »eine Verrohung politischer Umgangsformen in Deutschland«. Was er nicht bedauerte, ist die unübersehbare Verrohung politischer Umgangsformen »oben« in den Führungsetagen der Bundesrepublik, wo man Probleme – im Sozialen wie in der Außenpolitik- nurmehr als Probleme innerer wie äußerer Sicherheit sieht und dabei gewaltsam abgeräumt hat, was mal als »Sozialstaat« und in friedlicher Koexistenz mit allen Nachbarstaaten und -völkern existieren sollte. (Von der »Abwicklung« der DDR und der Abwertung der Lebensleistung ihre Bürger:innen ganz zu schweigen.) Zwischen dieser Gewalt von da oben und der Gewalt hier unten besteht aber ein Zusammenhang.

»Das Friedensgebot des Grundgesetzes liegt im Niemandsland.« schreibt Heribert Prantl in seinem sehr lesenswerten Buch »Den Frieden gewinnen, die Gewalt verlernen.« Und: »Tüchtigkeit – das ist kein Wort, das man mit Krieg verbinden darf … Ein echter, ein ernster Friede ist einer, der befriedet und nicht den Anlass für den nächsten Krieg in sich trägt.«

Richtig bleibt darum: Waffen liefern keinen Frieden. Und Rüstungspropaganda ist »Werben fürs Sterben«. Das hat auch in Stadien so wenig zu suchen wie gewalttätige Hooligans, die ihre »Fan-Feindschaften« am Rande von Fußballspielen austoben!

In gemeinsamer Sache

In gemeinsamer Sache

Geldhahn zugedreht

Wie man den Geldhahn als Disziplinierungsinstrument einsetzt, führt uns die Kreisverwaltung im Landkreis Oder-Spree aktuell und exemplarisch vor: sie zahlte der linken Fraktion die ihr zustehenden Gelder im Mai einfach nicht aus. ND (31.5.) und MOZ (1.6.) berichteten ausführlich darüber.

Der Grund: das in Kooperation mit unserem Neue Impulse Verlag herausgegebene Buch des Fraktionsvorsitzenden Dr. Artur Pech »Marx und Engels über Migration – Einführung für den politischen Gebrauch« ist ganz offensichtlich nicht in ihrem Sinne. 450 Exemplare dieses Buches hatte die Fraktion finanziert und (wie schon eine Vorläufer-Broschüre) kostenlos verbreitet, u. a. an interessierte (Kommunal-)Politiker:innen und Aktivist:innen. Zusätzlich bieten wir das Buch über unseren Versandhandel für ein breiteres, politisch interessiertes Publikum an.(https://neue-impulse-verlag.de/shop/item/9783961700691/marx-und-engels-uber-migration-von-dr-artur-pech)

Der unbeabsichtigte Kollateralnutzen dieser Disziplinierungsmaßnahme: ein sprunghafter Anstieg der Buchbestellungen bei uns. Gerne weiter so! Der Autor steht übrigens auch als Referent und Diskussionspartner zur Verfügung. Anfragen an: [email protected] leiten wir gerne weiter.

»Marxistisches Denken …

in Sozialwissenschaften und sozialer Arbeit« war das Motto einer sechsteiligen Vortragsreihe an der Universität in Kassel, mitorganisiert von studentischen Tutor:innen. (Ja, sowas gibt es noch oder: wieder …) Gastvorträge hielten dort auch unsere Mitherausgeber:in Freya Pillardy, Kassel und Joachim Hösler, Marburg. Der Einführungsvortrag von Rainer Bohn »Ist der Marxismus eine – überholte – Moralphilosophie?« fiel Mitte April der Deutschen Bahn zum Opfer. Im Zug von Berlin strandete der Referent im Irgendwo. Sein Vortrag wird aber am 16. Juli nachgeholt. (18 bis 20 Uhr, Raum 0401, Arnold-Bode-Straße 2) Gäste sind herzlich willkommen. Leser:innen der Marxistischen Blätter empfehlen wir sein Buch »Marxistisches Denken« und die Rezension desselben durch Kirsten Aner in dieser Ausgabe (siehe Seite 143).

Beim Pfingstausflug nach »Leningraz«,

wo die Marxistischen Blättern herzlich zum »Willi-Gaisch-Seminar der KPÖ« im Grazer Kulturhaus eingeladen waren, konnte auch ihr verantwortlicher Redakteur in den verschiedenen Polit-Runden und in zahlreichen persönlichen Gesprächen am Büchertisch Argumente, Kraft und Optimismus tanken. Und eine streitbar-solidarische Diskussionsatmosphäre live erleben, die ohne Zweifel zum Erfolg der KPÖ beiträgt.

Ludwig Elm und Thomas Metscher,

zwei profilierte marxistische Wissenschaftler sowie langjährige, treue Freunde und Autoren unserer Zeitschrift haben die 90 geschafft. Dem einen gratuliert Raimund Ernst im Namen von Verlag und Redaktion ganz herzlich (siehe Seite 5). Den anderen ehren wir darüber hinaus, in dem wir sein neues Buch zum Thema »Kunst und Revolution« herausgeben (Siehe Umschlagseite 2).

Zahl des Monats: <30

Weniger als 30 Prozent der DKP-Mitglieder sind Abonnent:in oder Mitleser:in unserer Marxistischen Blätter. So ein für uns interessantes Detail der Mitgliedsbuchneuausgabe, deren Ergebnisse in der DKP diskutiert werden.

Ludwig Elm zum 90. Geburtstag

Raimund Ernst

Dass runde Geburtstage einen willkommenen Anlass bieten, den Jubilar in seiner Lebensleistung zu würdigen, ist ebenso bekannt wie selbstverständlich. Unter Historikern gilt dies um ein Vielfaches mehr, da diese Tage immer zugleich Tage der Erinnerung sind, also Tage, die ein individuelles Leben in seiner Geschichtlichkeit erfassen. Ludwig Elm hat in kluger Voraussicht mit seinen 2018 erschienenen Erinnerungen einen Rahmen abgesteckt, in dem er sich persönlich und beruflich durch drei deutsche Staaten hinweg aufgehoben sah.1 Damit hat er zugleich auch den Rahmen für seine Würdigung anlässlich runder Geburtstage und ähnlicher Jubiläen umrissen. Die Geschichte war ihm zeit seines Lebens nicht nur die selbst gewählte Profession, sie war ihm auch sein Lebensinhalt. Beides galt es für ihn besonders nach dem Anschluss der DDR zu verteidigen. In den Bemühungen um die Verteidigung wurde erst recht deutlich, was erreicht worden war und was vor dem Vergessen bewahrt werden musste. Seine politische Haltung und Moral verboten ihm, sich nach 1989 aus seiner Geschichte zu entfernen, aus der Geschichte seines Lebens und seines Staates. So war es für ihn nur konsequent, seiner Partei, der von der SED zur PdS gewandelten Partei, weiterhin als Mitglied anzugehören und für diese 1994 zum Bundestag zu kandidieren. Schwerpunkt seiner Tätigkeit als Abgeordneter war die Mitarbeit in der Enquete-Kommission zur »SED-Diktatur« von 1995 bis 1998. Ziel und Zweck dieser Kommission waren von Seiten der Regierung vorgegeben, standen also von Anfang an fest und hatten mit einer vorurteilsfreien Geschichtsforschung nichts zu tun. Die perfide Gleichsetzung von Staat und Gesellschaft der DDR mit dem verbrecherischen Regime des deutschen Faschismus wurde konstitutiv für das historisch-politische Selbstverständnisses der wiedervereinigten Bundesrepublik. Wieder einmal blieben Wahrheit und Wahrhaftigkeit auf der Strecke, so wie es nach dem Krieg bei der Beantwortung der Frage nach Schuld und Verantwortung für Faschismus und Krieg geschehen war. Anliegen der Herrschenden war die Verankerung des Antikommunismus im Bewusstsein der Bevölkerung, Antifaschismus und politische Lehren aus der Geschichte hatten keinen Platz in der Bundesrepublik und verloren nach dem Anschluss ihre bisherige Heimstatt, die DDR. Auf diese Weise hatte die aktuelle Politik den Wissenschaftler Elm eingeholt, der Jahrzehnte zuvor in Jena die verhängnisvolle Rolle des deutschen Konservatismus zu einem international beachteten Forschungsgegenstand gemacht hatte.

Mit seinem Leben und Wirken hat sich Ludwig Elm nicht nur als ein unbestechlicher und wahrhaftiger Chronist seiner und der vergangenen Zeit erwiesen, sondern er hat bis heute Geschichte bezeugt, er hat ein klares, historisch zu nennendes Zeugnis abgelegt. Ihm ist es so auf glaubhafte Weise gelungen, bei sich selbst zu sein und der Sache treu zu bleiben.

Lieber Ludwig Elm, Dir – im Namen von Redaktion und Herausgeberkreis der Marxistischen Blätter – unseren herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag!

1 Ludwig Elm, Geschichte eines Historikers – Erinnerungen aus drei deutschen Staaten, PapyRossa 2018; siehe auch Rezension in den Marxistische Blätter 2_2019, S. 124 f.

Kommentare

Wahlen zum Europäischen Parlament

Ulrich Schneider

Die Kommentare der bürgerlichen Leitmedien am Tag nach den Wahlen zum Europaparlament klangen wie »lautes Pfeifen im dunklen Wald«. Man war glücklich, dass die zur Fraktion der »Europäischen Volkspartei« (EVP) gehörenden Parteien ihre relative Mehrheit behalten haben. Das war – nach allen Prognosen – durchaus erwartbar gewesen, stellt also keine Überraschung dar. Für Deutschland wurde hervorgehoben, dass »die Parteien der Ampel« abgestraft worden seien, wobei der Absturz der GRÜNEN gerne darunter subsummiert wurde.

Nur selten wurde angemerkt, dass die Wahlbeteiligung wieder einmal sehr gering ausgefallen ist. Von den 350 Mio. Wahlberechtigten nahmen gerade einmal gut 50 % an der Wahlen teil. Wenn man sich aber nur einmal die nichtssagenden Wahlplakate und die öffentliche »Waschmittel«-Werbung der Parteien anschaut, konnte das nicht überraschen. Klare politische Botschaften suchte man bei den großen Parteien vergeblich. Das »Schlusslicht« bei der Wahlbeteiligung bildete diesmal Litauen mit knapp 29 %. In Estland, wo man sogar online abstimmen konnte, beteiligten sich mal gerade 37,8 %. Selbst Frankreich und Spanien kamen nur auf etwa 50 % Beteiligung.

Betrachtet man die Ergebnisse der großen Fraktionen im Einzelnen, dann fallen folgende Resultate ins Auge: Während die konservativen Parteien der EVP ihre Mandate ausbauten, musste die Fraktion der sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien Europas (PSE) in zahlreichen Ländern signifikante Stimmenverluste hinnehmen, konnte jedoch dank einzelner nationaler Erfolge ihren Anteil an Mandaten ungefähr halten. Damit bestätigten sich auf europäischer Ebene Tendenzen bei nationalen Wahlen. Massive Verluste mussten die ökologisch-orientierten Parteien hinnehmen, nicht nur in Österreich und Deutschland. »Klimaschutz« und ökologischer Umbau der Gesellschaften fand in verschiedenen europäischen Ländern deutlich weniger Zustimmung, als von diesen Parteien erhofft. Hinzukommt, dass diese Parteien in der Regierung oftmals Klientelpolitik betreiben und keine Antworten auf die negativen sozialen Folgen des Umbaus haben. Unklar ist nach diesem Wahltag, wohin die 98 Mandate der »Fraktionslosen« und bisher nicht im Europaparlament vertretenen Parteien tendieren werden. Es steht zu befürchten, dass nicht wenige von ihnen sich den Rechtsfraktionen zurechnen lassen, die schon jetzt mit 131 Abgeordneten fast so stark sind, wie die PSE-Fraktion.

Tatsächlich ist der Zuwachs der extremen Rechten bei diesen Wahlen signifikant. In Österreich wurde die FPÖ mit 25,7 % (+9 %) stärkste Kraft – eine schlechte Voraussetzung für die Parlamentswahlen im Herbst. In Polen, wo nur etwa 40 % zur Wahl gingen, erzielte die extreme Rechte von PiS und Konfederacja die Hälfte der Mandate. In Belgien kamen die flämisch-nationalistischen Parteien auf über 27 %, während in Frankreich die 31,5 % der LePen-Partei »Rassemblement National« einen Erdrutschsieg bedeuten. Präsident Macron kündigte noch am Wahlabend Neuwahlen in Frankreich an. In Italien und Ungarn konnte die extreme Rechte ihre politische Dominanz deutlich bestätigen, wobei die taktisch erfolgreiche Variante von Giorgia Meloni (»Fratelli d’Italia«) sich mit etwa 30 % gegen Matteo Salvinis Lega und Forza Italia (jeweils knapp 9 %) durchsetzen konnte. In Deutschland kam die AfD auf knapp 16 %. Erkennbar ist, dass hier die gesellschaftliche Mobilisierung gegen Rechts und das mediale Trommelfeuer die »Stammwähler« der AfD nicht erreichte. In den östlichen Bundesländern wurde die AfD mit Abstand stärkste Kraft.

Ob dieser Stimmenzuwachs praktischen Einfluss im Europaparlament erreicht, hängt davon ab, wie es der extremen Rechten gelingt, eine gemeinsame Fraktion zu bilden. Diese wäre dann die drittstärkste Kraft und hätte damit Einfluss auf die Besetzung von Ausschüssen und anderen parlamentarischen Gremien.

Die politischen Konflikte im Vorfeld der Wahlen, der Ausschluss der AfD aus der rechten Fraktion »Identität und Demokratie« (ID) und andere Verwerfungen waren taktische Geplänkel, mit denen man sich die erhofften Stimmengewinnen z. B. in Frankreich und Italien nicht gefährden lassen wollte. Schon jetzt ist erkennbar, dass LePen und Meloni ihren Einfluss nutzen werden, um für eine Unterstützung der erneuten Kandidatur von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin ein Höchstmaß an Zugeständnissen für die eigene Politik herauszuschlagen.

Und die Linken? Dank einiger erfreulicher nationaler Ergebnisse, wobei besonders die Resultate der »Parti du Travail de Belgique« (PTB/ PvdA) (10,6 %) und der linken Alternative in Finnland (17,3 %) zu nennen sind, konnte die Fraktion trotz deutlicher Verluste z. B. der Partei die LINKE ihren Mandatsanteil halten. Es wird jedoch darauf ankommen, wie es gelingt, die unterschiedlichen Kräfte in einer gemeinsamen Fraktion zusammenzuführen. Die Parteien der »Europäischen Linken« (EL) alleine reichen nicht aus, um tatsächlich Einfluss ausüben zu können. Wie aber will man mit den zwei Abgeordneten der griechischen KKE oder den sechs Abgeordneten der deutschen BSW umgehen, deren Positionen deutlich divergieren?

Betrachtet man die Wahlkampfthemen in den verschiedenen Ländern, dann sind drei Aspekte auffällig, die zu den Ergebnissen beigetragen haben.

Zwar hat sich die soziale Situation in vielen Ländern Europas in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert, dennoch prägte dies nur in Einzelfällen die politischen Debatten. Wo es gelang, dieses Thema in den Vordergrund zu rücken, z. B. in Belgien, erreichten linke Kräfte gute Wahlergebnisse. Insgesamt blieb das Thema aber im Hintergrund.

Stattdessen gelang es der extremen Rechten das Thema Migration und Flüchtlingspolitik mit ihren rassistischen Implikationen (»Ausländerkriminalität«) zum Debattenthema zu machen. Die Ethnisierung des Sozialen (»Ausländer nehmen uns die Wohnungen weg«) war für Wahlentscheidungen einflussreicher, als solidarische Antworten auf die Abwälzung der Krisenlasten auf die Masse der Bevölkerung.

Auffällig war, dass die Friedensfrage (Krieg in der Ukraine, Gaza-Krieg) in den gesellschaftlichen Debatten zwar eine Rolle spielte, aber die Wahlergebnisse nur begrenzt beeinflusst hat. Das dürfte zwei Gründe haben. Erstens gab es in den jeweiligen Ländern nur einzelne Parteien, die – im Widerspruch zur Politik der Regierungen – eine klare Ablehnung der Kriegspolitik vertraten. Zweitens war die bellizistische Haltung der EU-Kommission und die von ihr betriebene Militarisierung der EU eher ein Grund, sich nicht an den Wahlen zu beteiligen.

Die Wahlergebnisse stehen in gewissem Widerspruch zur zivilgesellschaftlichen Intervention in diesen Wahlkampf. Selten gab es so viele Initiativen von Gewerkschaften bis Fridays for Future, von antifaschistischen Organisationen bis zu Sozialverbänden, die mit inhaltlichen Positionen für eine Beteiligung an der Europawahl geworben haben. Diese Mobilisierung sollte Ansatzpunkt für linke Politik nach dieser Wahl sein, indem die gewählten Abgeordneten deutlicher mit den hier vertretenen sozialpolitischen Forderungen auf europäischer Ebene konfrontiert werden.

Die US-»Squad« gegen China

Vijay Prashad

Anfang April 2024 hielten die Seestreitkräfte von vier Ländern – Australien, Japan, den Philippinen und den Vereinigten Staaten – ein Manöver im Südchinesischen Meer ab. Australiens Warramunga, Japans Akebono, die philippinische Antonio Luna sowie die US-amerikanische Mobile arbeiteten in diesen Gewässern zusammen, um ihre gemeinsamen Fähigkeiten zu stärken und – wie sie in einer gemeinsamen Erklärung sagten – »das Recht auf freie Schifffahrt und Überflug sowie die Achtung der maritimen Rechte gemäß dem internationalen Recht« zu wahren. Einige Wochen später, zwischen dem 22. April und dem 8. Mai, operierten Schiffe der Philippinen und der Vereinigten Staaten gemeinsam mit australischen und französischen Marineeinheiten bei der Übung Balikatan 2024.

Für diese Balikatan-Übung (»Schulter an Schulter«) nahmen über 16.000 Soldaten in einem Gebiet des Südchinesischen Meeres teil, das außerhalb der Hoheitsgewässer der Philippinen liegt. Neben den Marinen dieser Nationen nahm auch die Küstenwache der Philippinen an der Übung Balikatan teil. Das ist bedeutsam, da die Boote der Küstenwache am häufigsten auf chinesische Schiffe in diesen internationalen Gewässern treffen, von denen ein Teil zwischen China und den Philippinen umstritten ist. Obwohl die offiziellen Dokumente dieser Übungen China nicht namentlich erwähnen, sind sie fraglos als Teil der zunehmenden militärischen Aktivitäten gedacht, die von den Vereinigten Staaten entlang der maritimen Grenze Chinas vorangetrieben werden.

Während der Balikatan-Übung attackierten und versenkten die Marineschiffe der Philippinen und der Vereinigten Staaten gemeinsam das außer Dienst gestellte Schiff der Republik der Philippinen Lake Caliraya. Das in China gebaute Schiff war 2014 von der Philippine National Oil Company der Marine gespendet worden. Die Tatsache, dass es das einzige Schiff in der philippinischen Marine war, das in China gebaut wurde, blieb in China nicht unbemerkt. Oberst Francel Margareth Padilla-Taborlupa, eine Sprecherin der Streitkräfte der Philippinen, behauptete, dies sei »reiner Zufall«.

Während Balikatan trafen sich die Verteidigungsminister der vier Hauptnationen in Honolulu, Hawaii, um die politischen Implikationen dieser militärischen Übungen vor der Küste Chinas zu diskutieren. Australiens Richard Marles, Japans Kihara Minoru, Gilberto Teodoro von den Philippinen sowie der US-amerikanische Lloyd Austin trafen sich zu ihrer zweiten Begegnung, um ihre Zusammenarbeit in der Region zu besprechen, die sie den Indopazifik nennen. Am Rande dieses Treffens begannen die PR-Teams dieser Minister, den Begriff »Squad« (Spezialeinheit) für diese vier Länder zu verbreiten. Obwohl sie die Schaffung eines neuen Blocks in Ostasien nicht formell ankündigten, verkündet dieser neue Spitzname de facto seine Existenz.

Vom Quad zur Squad

2007 trafen sich die Führer von Australien, Indien, Japan und den Vereinigten Staaten in Manila (Philippinen), um den Quadrilateralen Sicherheitsdialog (oder Quad) zu etablieren, während ihre Militärs die Übung Malabar im philippinischen Meer durchführten. Das Quad schloss anfangs die Philippinen nicht ein, deren damalige Präsidentin – Gloria Arroyo – bemüht war, die Beziehungen zwischen ihrem Land und China zu verbessern. Das Quad entwickelte sich nicht weiter, da der australische Premier Kevin Rudd unfroh mit Washingtons wachsender Feindseligkeit gegenüber Peking war. Das Quad wurde 2017, erneut in Manila, wiederbelebt, mit einer klareren Agenda, gegen Chinas Belt-and-Road-Ambitionen in der Region vorzugehen (die US-Außenminister Rex Tillerson als »räuberische Wirtschaft« bezeichnete).

Im Laufe der letzten zwei Jahre waren die USA frustriert über Indiens Unbehagen mit der Art von Druckkampagne, die die USA gegen China und Russland aufbauen. Indien weigerte sich, den Kauf von ermäßigter russischer Energie einzustellen, was eine pragmatische Entscheidung während einer Wahlperiode war (und Indiens Kauf russischer Energie im Laufe der Zeit zurückgegangen ist). Auf die Frage, ob Indien erwägen wird, ein NATO+-Mitglied zu werden, erklärte Indiens Außenminister S. Jaishankar, dass Indien nicht die »NATO-Mentalität« teilt. Indiens Zurückhaltung, sich dem lautstarken Neuen Kalten Krieg gegen China anzuschließen, verärgerte die US-Regierung, die daher beschloss, das Quad beiseite zu legen und die Squad mit der willigeren und eifrigeren Regierung des philippinischen Präsidenten Bongbong Marcos zu bilden. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Indien im April eine Lieferung von Überschall-BrahMos-Marschflugkörpern an die Philippinen auslieferte (verkauft für 375 Millionen Dollar und produziert von einem Joint Venture zwischen Rüstungsherstellern in Indien und Russland). Dass diese Raketen Teil der neuen Druckkampagne gegen China sein könnten, ist nichts, was im Kleingedruckten des Deals vergraben ist.

Provokationen

Seit ihrem »Schwenk nach Asien« versuchen die USA, China zu provozieren. Der 2018 begonnene Handelskrieg der USA verlief weitgehend im Sande aufgrund von Chinas Belt-and-Road-Initiative und seinem Versuch, die fortschrittlichen Produktionslinien aufzubauen, um US-Handelsbeschränkungen zu umgehen (zum Beispiel, als die USA versuchten, China den Import von Halbleiterchips zu verwehren, entwickelte China seine eigene Fertigungskapazität). Der Versuch der USA, Taiwan zur Frontlinie ihrer Druckkampagne zu machen, trug ebenfalls keine Früchte. Die Amtseinführung des neuen Präsidenten von Taiwan, Lai Ching-te, am 20. Mai bringt einen Mann an die Spitze, der nicht daran interessiert ist, die Unabhängigkeit Taiwans voranzutreiben; nur sechs Prozent der Bevölkerung Taiwans befürworten die Vereinigung mit China oder die Unabhängigkeit, während der Rest der Bevölkerung mit dem Status quo zufrieden ist. Da die notwendige Provokation über Taiwan nicht geschaffen werden konnte, haben die USA nun ihre Visiere auf die Philippinen gerichtet.

Während die Philippinen und China den Status mehrerer Inseln in den Gewässern zwischen ihnen bestreiten, sind diese Meinungsverschiedenheiten nicht ausreichend, um eines der beiden Länder in den Krieg zu treiben. Im April 2024 erinnerte sich der ehemalige Präsident der Philippinen, Rodrigo Duterte, daran, dass während seiner Präsidentschaft (2016–2022) »kein Streit« bestand. »Wir können zur Normalität zurückkehren. Ich hoffe, dass wir den Aufruhr dort drüben beenden können, weil die Amerikaner die philippinische Regierung drängen, hinauszugehen und einen Streit zu finden und letztlich vielleicht einen Krieg zu beginnen.« Im März sagte Präsident Marcos, dass er »den Bären nicht reizen« und China nicht »provozieren« wolle. Die Bildung der Squad zwei Monate später zeigt jedoch an, dass die Philippinen nun Taiwan als Frontstaat für US-Provokationen gegen China ersetzt haben.

Chinas Vizevorsitzender der Zentralen Militärkommission, Zhang Youxia, warnte vor »Kanonenboot-Muskeln«. »Die Realität hat gezeigt,« sagte er, »dass diejenigen, die absichtlich provozieren, Spannungen schüren oder eine Seite gegen die andere zwecks egoistischer Vorteile unterstützen, letztlich nur sich selbst verletzen werden.«

Übersetzung aus »Globetrotter«: Jenny Farrell

Der neue McCarthyismus

Hank Kalet/Sean T. Mitchell (USA)1

Der neue McCarthyismus ist auf dem Universitätsgelände angekommen – und er bedroht die Freiheiten zu reden, zu lehren, zu forschen und sich aus Protest zu versammeln an so unterschiedlichen Universitäten wie der Columbia University, der University of Texas at Austin und der Rutgers University. Der Kongress und das US-Bildungsministerium haben Ermittlungen gegen zahlreiche Hochschulen eingeleitet und dabei Antisemitismusvorwürfe als Vorwand genutzt. Pro-Palästina-Parolen und der öffentliche Widerstand gegen Israels Vorgehen in Gaza wurden von Republikanern im Kongress und Gruppen wie der Anti-Defamation League (ADL) als Völkermord bezeichnet…

Studierende der Rutgers-Universität … haben am 29. April, dem letzten Unterrichtstag, ein Protestcamp eröffnet. Wie an der Columbia University und anderswo fordern sie, dass sich die Universität von Israel distanziert, und beabsichtigen, zu bleiben, bis ihre Forderungen erfüllt sind.

Rutgers wurde auch von der Hillel-Universitätsgruppe und der Vorsitzenden des Ausschusses für Bildung und Arbeitskräfte des Repräsentantenhauses, Virginia Foxx, vorgeworfen, »jüdische Studenten, Lehrkräfte und Mitarbeiter nicht geschützt zu haben«. Foxx … forderte Rutgers in einem Brief vom 27. März auf, im Rahmen einer Untersuchung dessen, was sie ein »allgegenwärtiges Klima des Antisemitismus« nennt, eine Reihe von Dokumenten zur Verfügung zu stellen. Die Dokumente umfassen jahrelange interne Kommunikation zu Disziplinarmaßnahmen, Social-Media-Beiträge von Studierenden und Lehrkräften sowie Daten zu »Mandat, Größe, Budget, Agenda und Leistungskennzahlen aller Diversitäts-, Gleichberechtigungs- und Inklusionsbüros und -programme«…

Der Inhalt des Foxx-Briefes an Rutgers-Präsident Jonathan Holloway ähnelt den Behauptungen, die Foxx und die Republikanerin Elise Stefannik aus New York über Columbia, Yale, Harvard, die University of Pennsylvania und das MIT erhoben haben. Sie interpretieren geschützte Meinungsäußerung und geschützte Forschung als Belästigung und Voreingenommenheit um. Die meisten ihrer Dokumente haben wenig damit zu tun, jüdische Studenten vor antisemitischen Bedrohungen zu schützen. Stattdessen sind sie Teil eines politischen Angriffs auf die Hochschulbildung und verwischen legitime Unterschiede zwischen Kritik an der israelischen Politik und Feindseligkeit gegenüber dem jüdischen Volk. Sie umgehen auch die Notwendigkeit der Universität, die Meinungsrechte der Palästinenser zu schützen und die Fähigkeit von Wissenschaftlern zu schützen, die Ursachen und Auswirkungen von Kriegen kritisch zu untersuchen.

Rutgers ist die erste öffentliche Universität, die im Rahmen dieser wachsenden rechten Kampagne vom Kongress ins Visier genommen wurde, obwohl sie nicht die erste war, an der es Solidaritäts- und Protestcamps gab. Republikaner haben die Hochschulbildung an mehreren Fronten angegriffen, z. B. durch das Verbot bestimmter Diskussionen über Rasse und amerikanische Geschichte in Florida (das inzwischen von staatlichen und bundesstaatlichen Gerichten aufgehoben wurde). Dies ist Teil einer konzertierten Aktion, um Universitätsleitungen dazu zu zwingen, kriegsfeindliche, pro-palästinensische und fortschrittliche Äußerungen auf dem Campus zu unterdrücken und Lehrkräfte und Studierende durch Angst und Schrecken zum Schweigen zu bringen.

Als Rutgers-Fakultätsmitglieder und Mitglieder der AFC-Gewerkschaft sehen wir aus erster Hand eine wachsende Angst. Insbesondere schutzbedürftige Lehrkräfte und Vollzeitkräfte ohne Festanstellung, haben Bedenken geäußert, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, wenn sie über den Konflikt sprechen oder den Studierenden erlauben, dies zu tun. Und viele Studierende haben Angst, an einer offenen Debatte teilzunehmen. Dennoch ist eine solche Debatte notwendig und von zentraler Bedeutung für die Mission einer Universität.

US-Universitäten sind seit langem Schauplatz einiger der wichtigsten gesellschaftlichen Debatten, von den Bürgerrechts- und Antikriegsbewegungen des 20. Jahrhunderts bis hin zu Gesprächen über die israelische Bombardierung des Gazastreifens und die heutige US-Außenpolitik. In all diesen Zeiträumen versuchten rechte Politiker, diese Debatte zum Schweigen zu bringen … Heute sind Universitäten in den Vereinigten Staaten möglicherweise der größten Bedrohung der akademischen Freiheit seit dem McCarthyismus Mitte des 20. Jahrhunderts ausgesetzt, da der Kongress auch Kritik an der Außen- und Innenpolitik der USA untersucht. Damals spielte antikommunistische Panikmache die Rolle, die heute die Antisemitismusvorwürfe spielen.

Rutgers ist die State University of New Jersey. Die meisten anderen – zumindest bisher – vom Kongress untersuchten Universitäten sind privat. Aber alle erhalten Bundesförderung. Öffentliche Universitäten sind wie andere öffentliche Einrichtungen dazu verpflichtet, die First Amendment-Rechte für alle innerhalb der Einrichtung zu schützen. Dazu gehört die Wahrung der Freiheit, in öffentlichen Foren und im Klassenzimmer zu sprechen, zu recherchieren, zu veröffentlichen und zu kontroversen Themen friedlich zu demonstrieren …

An einer Universität gibt es keinen Platz für Bigotterie. Als es auf dem Campus echte Fälle von Antisemitismus gab, hat Rutgers entsprechende Disziplinarmaßnahmen ergriffen und auch die jüngsten Fälle islamfeindlichen Vandalismus auf dem Campus angemessen untersucht. Aber bei der aktuellen McCarthy-Kampagne geht es nicht darum, Bigotterie zu bekämpfen oder die Sicherheit jüdischer Studenten zu gewährleisten (und schon gar nicht die vielen jüdischen Studenten und Fakultätsmitglieder, die sich gegen Israels Vorgehen stellen). Es geht darum, eine Debatte einzuschränken, die offen sein sollte. Wenn die Vereinigten Staaten eine freie Gesellschaft mit einer wohlinformierten Außenpolitik sein wollen, müssen unsere Universitäten Orte sein, an denen intensive Diskussionen und Debatten ohne staatliche oder administrative Unterdrückung stattfinden können.

Die Rutgers-Gewerkschaften sind – wie unsere anderen akademischen Gewerkschaften im ganzen Land – bereit, sich für die Rechte von Lehrkräften und Studierenden einzusetzen. Das Gleiche gilt auch für die Universitätsverwaltung. Gemeinsam müssen wir eine prinzipielle Verteidigung gegen den Neuen McCarthyismus aufbauen und dabei eine nationale Bewegung zum Schutz der Hochschulbildung anführen.

Leicht gekürzte Arbeitsübersetzung aus:https://mronline.org/2024/05/08/suppressing-pro-palestinian-speech-is-the-new-mccarthyism/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=suppressing-pro-palestinian-speech-is-the-new-mccarthyism&mc_cid=ee6ab9f4d5&mc_eid=29668e533c

1 Hank Kalet ist Journalist und Dichter, der seit 30 Jahren über lokale und staatliche Themen in New Jersey berichtet. Er unterrichtet Journalismus an der Rutgers University.Sean T. Mitchell ist außerordentlicher Professor für Anthropologie an der Rutgers University, Newark, und Mitglied des Academic Freedom Committee der AFT-AAUP.

Die Nachwahl von Rochdale

Ein Wendepunkt in der britischen Politik?

Niall Farrell (Irland)

Wenn ein britischer Premier am späten Freitagabend eine improvisierte Erklärung in der Downing Street abgibt, geht es entweder um eine vorgezogene Wahl oder militärische Aktionen gegen ein anderes Land. Rishi Sunak jedoch griff zu dieser außerordentlichen Maßnahme, um die Wähler von Rochdale zu rügen, dass sie einen schwerwiegenden Fehler begangen und damit die Demokratie selbst in Gefahr gebracht hätten.

Die ausschlaggebende Nachwahl von Rochdale vom 29. Februar 2024 hat Schockwellen durch das britische politische Establishment gesendet, wobei der unerwartete Sieg von George Galloway auf eine bedeutende politischen Verschiebung im Lande verweist. Während Nachwahlergebnisse keine genauen Vorhersagen für Unterhauswahlen bedeuten, reichen die Auswirkungen von Galloways Sieg dennoch weit über die Grenzen dieses Wahlkreises hinaus.

Galloway sicherte sich einen entscheidenden Sieg mit 12.335 Stimmen, verglichen mit 6.638 für den zweitplatzierten David Tully, einem unabhängigen Kandidaten. Der ehemalige Labour-Kandidat Azhar Ali geriet aufgrund seiner Befürwortung von Verschwörungstheorien über Israel in die Kontroverse. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 40 Prozent relativ niedrig. Die Einwohner von Rochdale, die zu den 5 Prozent der am stärksten benachteiligten Kommunen Englands gehören, wollen eine Vertretung, die ihre Interessen in den Vordergrund stellt. Doch trotz lokaler Anliegen wie der Wiedereinführung von Entbindungsstationen in Rochdale war es Galloways Botschaft zu Gaza, die bei den Wählern am stärksten ankam.

Diese Wahl deckte das politische Vakuum auf, das sich aufgrund des parteiübergreifenden Ansatzes zur Palästinafrage durch die Tory-Regierung und ihre ebenso rechtsgerichtete Opposition unter Starmer’s Labour entwickelte. Galloways Kampagne zielte darauf, die flächendeckende Zensur der Medien zu entlarven.

In seiner Siegesrede kritisierte Galloway den Labour-Führer Keir Starmer, dass er »die Katastrophe, die sich derzeit im besetzten Palästina im Gazastreifen abspielt, ermöglicht, fördert und deckt«. Galloway wörtlich: »Ich möchte vor allem Herrn Starmer sagen, dass sich heute Abend die Platten verschoben haben. Das wird eine Bewegung auslösen, einen Erdrutsch, eine Verschiebung der tektonischen Platten in zahlreichen Wahlkreisen… Der Labour-Partei ist mitgeteilt worden, dass sie das Vertrauen von Millionen ihrer Wähler verloren hat, die sie seit Generationen loyal und traditionell gewählt haben (…) Keir Starmer und Rishi Sunak sind zwei Backen desselben Hinterns, und beide haben heute Abend eine ordentliche Tracht Prügel bezogen!«

Das Votum betonte die Diskrepanz zwischen dem politischen Establishment und der öffentlichen Meinung und spiegelt eine tief verwurzelte Legitimitätskrise wider, die sich aus Jahrzehnten neoliberaler Politik, Sparmaßnahmen und militärischer Interventionen ergibt. Insbesondere Labour ringt mit dem Schwund seiner Unterstützungsbasis unter den Arbeitern wie unter anderem der Rückgang der Labour-Unterstützung in Schottland zeigt. Seit der Entfernung jeglicher linker politischer Opposition, seit dem Coup gegen Corbyn und die vollständige überparteiliche parlamentarische Unterstützung für den Völkermord in Gaza reift die Zeit für eine neue politische Alternative.

Mit dem Wahlsieg von Rochdale sind die Voraussetzungen für ein machbares linkes politisches Projekt auf dem Tisch, das die Tory/Labour Rechte herausfordert. Die Wahl markierte die erste parlamentarische Vertretung für Galloways linksgerichtete Workers Party of Britain und signalisiert eine potenzielle Neuausrichtung der politischen Kräfte. Während sich das Land auf eine Parlamentswahl1 vorbereitet, werden die traditionellen Trennlinien zwischen Links und Rechts neu gezogen, wobei Fragen von Krieg, Rassismus und Demokratie im Mittelpunkt stehen.

Aufrufe zu einem sozialistischen und Anti-Kriegs-Bündnis unter der Führung von Persönlichkeiten wie Jeremy Corbyn haben an Fahrt gewonnen und bereiten eine lebensfähige Alternative zur Mainstream-Politik vor. Trotz Unterschieden in bestimmten Fragen besteht ein gemeinsamer Boden in der Opposition gegen Krieg, Rassismus und den Abbau bürgerlicher Freiheiten. Zu den Bündnispartnern könnten auch die britischen Grünen zählen, die sich substantiell von den deutschen Grünen unterscheiden und an radikalen Traditionen festhalten. Doch die Schaffung einer neuen linken Bewegung und damit eine kohärente Herausforderung Starmers hängt vor allem von den Gewerkschaften ab. Die Hälfte von ihnen ist in das System eingebunden, aber Unite zum Beispiel hat sich aus der Politik zurückgezogen und vertritt die Haltung »Hol der Henker eure beiden Häuser!«: Wir beschränken unseren Kampf auf die Industrie. Galloway kann die erforderlichen Elemente nicht vereinen. Obwohl eine tiefgreifende Neugestaltung der politischen Landschaft auf der Tagesordnung steht, ist gegenwärtig keine Kraft vorhanden, die das notwendige Bündnis schmieden kann.

1 Die Unterhauswahl am 4. Juli lag weit nach dem Redaktionsschluss dieses Artikels. Eine politische Wertung ihrer Ergebnisse können wir erst in der Oktober-Ausgabe der Marxistischen Blätter bringen.

Litauen-Brigade

Leuchtturmprojekt der Zeitenwende!

Jürgen Wagner

Im Zuge der Eskalation der westlich-russischen Beziehungen nimmt auch die deutsche Militärpräsenz in Osteuropa rapide zu. Dies gilt besonders für die in Litauen geplante Brigade, deren Vorauskommando im April 2024 entsandt wurde und die bis 2027 voll einsatzfähig sein soll. Diese Präsenz unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht erheblich von bisherigen »Auslandsaufenthalten« der Bundeswehr – nicht umsonst wurde das von Verteidigungsminister Pistorius wiederholt, zuletzt bei seinem Besuch in Riga Anfang Mai 2024, als »Leuchtturmprojekt« der Zeitenwende bezeichnet.

Streitkräftemodell &Litauen-Brigade

Bei ihrem Gipfeltreffen im Juni 2022 verabschiedete die NATO nicht nur ein neues Strategisches Konzept, sondern auch ein Neues Streitkräftemodell (New Force Model, NFM). Bis dato wurden im Rahmen der Schnellen NATO-Eingreiftruppe »nur« 40.000 Soldat:innen in einem hohen Bereitschaftsgrad vorgehalten, um sie bei Bedarf schnell verlegen zu können. Demgegenüber sieht das NFM ab 2025 nun drei Bereitschaftsgrade vor: 100.000 Soldat:innen sollen innerhalb von nur 10 Tagen in Bewegung gesetzt werden können; bis Tag 30 will die NATO dann in der Lage sein, bis zu 200.000 weitere Truppen hinterherzuschicken; und bis Tag 180 sollen noch einmal 500.000 Einheiten mobilisiert werden können (siehe IMI-Standpunkt 2023/027).

Die Bundeswehr stellt »traditionell« rund zehn Prozent der NATO-Kapazitäten, für das neue Streitkräftemodell scheint für die ersten beiden Bereitschaftsgrade sogar mehr zugesagt worden zu sein – dazu zählt auch die Präsenz in Litauen: »Die NATO wird künftig 300.000 Soldatinnen und Soldaten in hoher Bereitschaft vorhalten, außerdem beträchtliche Marine- und Luftunterstützung. Von 2025 an sollen 35.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu Verbänden der beiden höchsten Bereitschaftsstufen gehören. In Litauen wird die Bundeswehr eine robuste Brigade stationieren, sobald alle infrastrukturellen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.« (bmvg.de, 13.7.2023)

Aufwuchs der Präsenz

Als einziges Zugeständnis für die damals beschlossene (und zwei Jahre später vollzogene) erste NATO-Osterweiterung wurde dem westlichen Militärbündnis 1997 mit der NATO-Russland-Akte untersagt, dauerhaft substantielle Truppenverbände in Osteuropa zu stationieren. Diese Vereinbarung wurde allerdings faktisch bereits auf dem NATO-Gipfeltreffen in Warschau im Juli 2016 versenkt. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde im Juni 2022 die Errichtung vier weiterer NATO-Stützpunkte auf den Weg gebracht (in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien). Außerdem sollten diese und bereits existierenden vier Bataillone zumindest teilweise auf Brigadegröße (ca. 3.000–5.000 Soldat:innen) aufgestockt werden. Im deutschen Führungsbereich wurde die Truppenzahl zunächst »nur« von rund 1.200 auf etwa 1.700 Soldat:innen vergrößert.

Am 26. Juni 2023 ließ Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Litauen dann die sprichwörtliche Bombe platzen: »Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren. Voraussetzung dafür ist, […] dass die entsprechende Infrastruktur vorhanden ist, Kasernen, Übungsmöglichkeiten und die genannten Depots. Wir reden bei einer Brigade von 4.000 Soldatinnen und Soldaten, plus Material, und bei einer dann dauerhaften Stationierung eben auch Familie.«

»Panzerbrigade 42« soll die aus drei Bataillonen bestehende Truppe heißen, deren Umfang später auf 4.800 Soldat:innen (plus 200 Zivilangestellte) erhöht wurde, die tatsächliche Präsenz wird aber weit darüber hinausgehen.

Mit Sack & Pack

Die Bundeswehr betritt hier nahezu komplettes Neuland: Bis auf einige kleinere Kontingente gibt es mit permanenten Auslandsstationierungen bisher keine Erfahrungen. Die Tragweite der Pläne wird in militärnahen Medien wie etwa der Soldat & Technik folgendermaßen hervorgehoben: »Auf den ersten Blick hat diese Ankündigung enorme außenpolitische, als auch streitkräftepolitische Gravitas. […] An die Soldatinnen und Soldaten gerichtet bedeutet dies, dass sie sich über kurz oder lang darauf vorbereiten müssen ›mit Sack und Pack‹ nach Litauen umziehen zu müssen, nicht nur für wenige Monate, sondern dauerhaft.«

Hier geht es also nicht nur um die Soldat:innen an sich, sondern auch um deren Angehörige sowie die gesamte Infrastruktur, die neben Kasernen und Materialdepots auch Wohnungen, Kindergärten, Schulen und dergleichen mitsamt entsprechendem Personal umfasst. So berichtete Spiegel Online, das Finanzministerium habe Berechnungen angestellt, denen zufolge 1.600 Kindergartenplätze und eine deutsche Schule für 3.000 Schüler:innen erforderlich wären (woher das Personal dafür kommen soll, steht in den Sternen). Um für die Soldat:innen attraktiv zu sein, werde man insgesamt ein »gutes Paket« schnüren, gab sich Christian Freuding, Leiter des Planungsstabs im Verteidigungsministerium, optimistisch: »Da gibt es natürlich viele Modelle. Wir blicken da insbesondere auf die amerikanische Stationierung in Deutschland. Da wissen wir, welche soziale Einbettung es gibt von Schulen über Kindergärten, über Sozialeinrichtungen bis hin zu kulturellen Einrichtungen […]. Wir haben damit wenig Erfahrung, aber da werden wir ein gutes Paket mit den Litauern zusammen hinkriegen.«

Milliardenkosten

Über die Zuschläge für die Auslandsverwendung war bei Spiegel Online im November 2023 unter Berufung auf ein internes Bundeswehr-Papier zu lesen: »Ein Hauptfeldwebel, der ohne seine Familie nach Litauen zieht, erhält zusätzlich zum Grundgehalt in Höhe von 3.115 Euro netto einen steuerfreien Auslandszuschlag in Höhe von 1.594 Euro, wenn er nach Litauen geht – am Standort Rukla betrüge der Auslandszuschlag sogar 2.050 Euro. Ein verheirateter Hauptfeldwebel, der mit Partner und zwei Kindern nach Litauen übersiedelt, erhält zusätzlich zum Grundgehalt in Höhe von 3.827 Euro einen steuerfreien Auslandszuschlag in Höhe von 2.682 Euro – beziehungsweise ein Plus von 3.464 Euro, wenn alle vier nach Rukla gehen.«

Ein Preisschild an das gesamte Unterfangen wurde erst im April 2024 angehängt, als in der Süddeutschen Zeitung über Aussagen aus dem Bundesverteidigungsministerium in einer Sitzung des Verteidigungsausschusses berichtet wurde: »Demnach werden vier Milliarden für die Anschaffung von Großgerät wie Panzern und Fahrzeugen sowie sechs Milliarden Euro für Investitionen vor Ort veranschlagt. Hinzu komme etwa eine Milliarde Euro jährlich für Betriebskosten. […] Noch nicht eingerechnet sind die hohen Auslandszulagen.«

Woher dieses Geld kommen soll (insbesondere auch, wieviel davon Litauen übernimmt), bzw. in welchen sozialen Bereichen dafür der Rotstift angesetzt wird, scheint aktuell noch völlig unklar zu sein – ebenso verhält es sich mit den Soldat:innen, die derzeit wohl nicht gerade für die Auslandsverwendung Schlange zu stehen scheinen. Nach den ganzen großspurigen Ankündigungen ist aber davon auszugehen, dass Pistorius die Brigade unter allen Umständen dennoch aufstellen wird, schließlich ist sie, wie erwähnt, sein »Leuchtturmprojekt« der Zeitenwende.

Neues Postgesetz

Angriff auf die Beschäftigten

Andreas Springer-Kieß

Anfang 2025 soll die Postreform in Kraft treten. Sie bringt Postkunden vor allem längere Laufzeiten bei Briefen und ein noch weiter ausgedünntes Filialen-Netz. Und ob tagesaktuelle Zeitungen und Zeitschriften weiterhin am Erscheinungstag bei den Abonnent:innen ankommen, ist offen. Die Beschäftigten der Post AG und ihrer Töchter sorgen sich vor allem weiter um ihre Arbeitsplätze und -bedingungen.

Bereits nach Veröffentlichung des Eckpunktepapiers der Bundesregierung zur geplanten Postreform demonstrierten im Oktober letzten Jahres mehr als 30.000 Postlerinnen und Postler mit ihrer Gewerkschaft ver.di in Berlin für eine sichere Zukunft der mehr als 180.000 Arbeitsplätze bei der Deutschen Post AG (DP AG). Diese Eckpunkte sahen keine ausreichenden Regelungen für die künftige Finanzierung des Universaldienstes durch die DP AG, das einzige Unternehmen, das derzeit hierzu in der Lage ist, vor. Ebenso wenig war eine Regulierung der z. T. äußerst prekären Arbeitsbedingungen bei den Konkurrenten der DP AG vorgesehen. Auch die Forderung von ver.di nach einem Verbot von Subunternehmern in der Paketbranche (analog zur Fleischindustrie) sowie einer Gewichtsbegrenzung von Paketen im Einpersonenhandling auf max. 20 kg blieb unberücksichtigt. Die DP AG drohte, bei nicht ausreichender Gegenfinanzierung, aus dem Postuniversaldienst auszusteigen und damit zehntausende tarifgebundene Arbeitsplätze zu gefährden. Um die Situation gänzlich erfassen zu können, ist ein Rückblick in die Postgeschichte der letzten Jahrzehnte hilfreich.

Bereits in den 1980er Jahren wurde man, ganz im Sinne der neuen neoliberalen Ideologie, auf evtl. zu privatisierende Gewinne der damaligen Deutschen Bundespost (DBP) aufmerksam. Hierbei standen insbesondere die zu erwartenden Profite der aufstrebenden Telekommunikationstechniken im Bereich des Fernmeldewesens der DBP im Fokus. Aber auch im Postgeschäft könnte der Wettbewerb zwischen miteinander konkurrierenden privaten Postunternehmen, ganz im Sinne der Marktradikalen, für steigende Gewinne sorgen. So wurde auch die Aufteilung der DBP in die drei selbstständigen Bereiche Postdienste, Postbank und Telekom mit dem Ziel der Gründung von jeweils selbstständigen Aktiengesellschaften zügig in Angriff genommen. Trotz des z. T. erbitterten Widerstandes der Beschäftigten und ihrer damaligen Deutschen Postgewerkschaft (DPG) wurde zum 01.01.1995 die DBP in drei AGs unter Mehrheitsbesitz des Bundes überführt. Das Monopol auf die Beförderung und Zustellung von Briefen verblieb zunächst, als sogenannte Exklusivlizenz, bei der neugegründeten Deutschen Post AG (DP AG), wurde jedoch sukzessive gelockert und schließlich 2007 ganz abgewickelt. In der Zeit nach der Privatisierung wurden, unter Nutzung des Briefmonopols, durch eine beispiellose Arbeitsverdichtung für die Beschäftigten und der damit verbundenen Vernichtung von zigtausenden Arbeitsplätzen rasch gigantische Jahresgewinne erwirtschaftet. Der konsequente Rückbau des Postservices wie z. B. Filialschließungen und Abbau von Briefkästen trugen das übrige bei. Ferner wurden dringend notwendige Investitionen, insbesondere in den letzten Jahren, zugunsten des Maximalprofits aufgeschoben. Spätestens seit dem Börsengang der DP AG im Jahre 2000 wurde ein Großteil dieser Profite für den nationalen und internationalen Zukauf von Unternehmen der Logistik- und Expressbereiche und dem Aufbau eines weltweit agierenden Post- und Logistikkonzern verwendet. Beispielhaft hierfür stehen DANZAS, EXEL und nicht zuletzt DHL, unter deren Namen inzwischen der Postkonzern firmiert. Immerhin konnten durch einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in der DPG, später ver.di, seit der Privatisierung bis heute betriebsbedingte Kündigungen tarifvertraglich ausgeschlossen werden. Der Personalabbau erfolgte ausschließlich »sozialverträglich«. Die Verwendung eines Großteils der Monopolgewinne für den Aufbau eines international agierenden Logistikkonzern sei nötig, so die Argumentation des damaligen Topmanagements, um mit den künftigen Gewinnen der Posttöchter den künftig schrumpfenden deutschen Postmarkt zu stützen und den Postuniversaldienst sowie die Arbeitsplätze in diesem Bereich zu erhalten.

Davon will der heutige Konzernvorstand freilich nichts mehr wissen. Inzwischen wird der übergroße Anteil des Konzerngewinns von den vorwiegend international agierenden Divisionen erwirtschaftet. Zu dem gigantischen EBIT des Jahres 2022 von 8,2 Mrd. Euro trug der Bereich Post und Paket Deutschland (P&P) »nur« 1,2 Mrd. Euro bei. Und das bei einem jährlichen Investitionsbedarf von mindestens 1 Mrd. Euro. Diese Investitionen sind jedoch, aufgrund des zunehmenden Rückgangs der Briefsendungen und der überproportionalen Zunahme der Paket- und warentragenden Sendungen sowie zur Aufrechterhaltung des Postuniversaldienstes, zwingend notwendig. Die von ver.di in 2023 nach mehrwöchigen Streiks durchgesetzte Lohnerhöhung schlägt zusätzlich mit 700 bis 800 Mio. Euro jährlich zu Buche. Für den Gesamtkonzern wäre dies, angesichts des Ergebnisses von über 6 Mrd. Euro in 2023, problemlos zu stemmen (s. Aussage zur Notwendigkeit der Unternehmenszukäufe). Bekanntlich hat Kapital jedoch Horror vor der Abwesenheit von Profit, und sei es auch nur in einer Sparte eines Konzerns! Vor diesem Hintergrund war die Drohung der DP AG zum Ausstieg aus dem Postuniversaldienst und der Vernichtung der damit zusammenhängenden Arbeitsplätze nur logisch.

Inzwischen wurde die Finanzierung des Universaldienstes, in einem im Dezember 2023 vorgelegten Referentenentwurf zum neuen Postgesetz, für die DP AG zufriedenstellend gelöst. Dies führte zumindest zu einer Verlängerung des tariflichen Ausschlusses von betriebsbedingten Änderungs- und Beendigungskündigen bis 31.03.2027 durch ver.di. Nicht mitaufgenommen wurde die Forderung von ver.di nach Verbot der Subunternehmen in der Branche sowie der Gewichtsbegrenzung von Paketen auf max. 20 kg. Hierfür möchte ver.di weiterhin hartnäckig kämpfen und dies offensichtlich mit Erfolg. Der Bundesrat, der der Novellierung des Postgesetzes zustimmen muss, hat sich die beiden Forderungen inzwischen zu eigen gemacht. Sollte dies erreicht werden, wäre das ein großer Erfolg von ver.di. Dennoch sollte baldmöglichst eine innergewerkschaftliche Debatte über die Wiederverstaatlichung der DP AG angestoßen werden. Auch wenn die derzeitigen Macht- und Kräfteverhältnisse wenig Anlass zur Hoffnung geben, sollten die Diskussionen hierüber geführt und entsprechende Strategien entwickelt werden. Wie das Gesundheitswesen, die Energieversorgung und der ÖPN-Verkehr gehören auch Telekommunikation und Postversorgung zur Daseinsvorsorge und zum Gemeinwohl der Bürger. Dem zu dienen, sind Kapitalgesellschaften nicht oder nur unzureichend in der Lage. Das ist hinreichend bekannt und im Alltag erfahrbar. Sie müssen daher perspektivisch vergesellschaftet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden.

Verfassungsschutz

Stigmatisieren per Datenübermittlung?

Rolf Gössner

Es scheint immer wieder paradox, wenn ausgerechnet der Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz«, der doch die Verfassung schützen soll, seinerseits verfassungswidrig arbeitet; und wenn bereits zuvor Regierungen und Parlamente für verfassungswidrige Normen gesorgt haben. Streng genommen: lauter Fälle für den Verfassungsschutz – wegen fortgesetzter Verletzung der Verfassung und Schädigung der »freiheitlichen demokratischen Grundordnung«. Dabei handelt es sich keineswegs nur um Einzelfälle, wie im Grundrechte-Report seit Jahrzehnten immer wieder nachzulesen ist, sondern zumeist um strukturelle Probleme.

Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit zwei Entscheidungen von 2022 gesetzliche Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden u. a. zur Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen an andere Behörden und Stellen für verfassungswidrig erklärt (Urteil vom 26.4.2022, Az. 1 BvR 1619/17; Beschluss vom 28.9.2022, Az. 1 BvR 2354/13). Sie verstoßen in weiten Teilen gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1, Artikel 1 Absatz 1 GG), gegen das »informationelle Trennungsprinzip« im Verhältnis der Geheimdienste zur Polizei sowie gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, weshalb sie 2023 novelliert werden mussten.

Auf solch verfassungswidriger Rechtsgrundlage haben die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern über viele Jahre gearbeitet und so unzählige Male personenbezogene Daten grundrechtswidrig an andere staatliche und nichtöffentliche Stellen übermittelt. Es geht dabei um nichts Geringeres als um die heikle Weitergabe hochsensibler Daten, die auch mit geheimdienstlichen Mitteln und Methoden – wie etwa durch verdeckte Mitarbeiter:innen, V-Leute, durch Lausch- oder Späheingriffe – erhoben worden sind. Empfänger:innen solcher Daten sind Polizei und Strafverfolgungsbehörden, andere inländische oder ausländische staatliche Stellen, aber auch nichtöffentliche Einrichtungen.

Pflicht zu verfassungsgemäßer Neuregelung: erster Versuch

Da das BVerfG dem Bundesgesetzgeber eine Frist bis Ende 2023 gesetzt hatte, die beanstandeten Übermittlungsregelungen im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zu novellieren, legte das Bundesinnenministerium Anfang Oktober 2023 einen Entwurf vor, den das Bundeskabinett im Eiltempo absegnete (BT-Drs. 20/8626).

Im Innenausschuss des Bundestags jedoch geriet der Gesetzentwurf ins Stocken: Denn er stieß auf scharfe Kritik von Verbänden und Sachverständigen und sogar von Grünen und der FDP. Zahlreiche Regelungen seien, so etwa der Deutsche Anwaltverein, »nicht durchdacht und verfassungsrechtlich bedenklich bis hin zu klar verfassungswidrig«. Prof. Dr. Mark Zöller von der Universität München kritisierte etliche Befugnisausweitungen und normative Unklarheiten, die einer weiten Auslegung und Anwendung Tür und Tor öffneten – statt, wie vom BVerfG gefordert, die Befugnisse zu präzisieren, mit höheren Eingriffshürden zu versehen und so verfassungskonform einzuschränken.

Im Zentrum der Kritik standen die Befugniserweiterungen zur Übermittlung personenbezogener Daten an »inländische Stellen«, wobei im Entwurf öffentliche und nichtöffentliche Stellen undifferenziert gleichgesetzt wurden (§§ 20, 22). Empfänger:innen solcher nachrichtendienstlichen Erkenntnisse können somit eine unabsehbare Zahl von Stellen sein: etwa auch Arbeitgeber:innen und Vermieter:innen, Vereine oder Sporttrainer:innen, Universitäten, Schulen oder Kitas, um diese etwa vor angeblichen oder vermuteten »Verfassungsfeinden« warnen zu können. So vor Beschäftigten, Vereinsmitgliedern, Schüler:innen oder Vereinigungen, die der Geheimdienst für islamismus- oder anderweitig extremismusverdächtig hält, auch wenn von diesen keinerlei konkrete oder konkretisierte Gefahr ausgeht. Solche Datenübermittlungen zur Eindämmung bloß abstrakter (drohender) Gefahren sollen u. a. der »Deradikalisierung« oder »Resilienz-Stärkung« dienen. Die Süddeutsche Zeitung (26.10.2023) warnte daraufhin vor einer »Lizenz zum Anschwärzen«. Tatsächlich wären solche freizügigen Einmischungen des Verfassungsschutzes in die Gesellschaft missbrauchsanfällig – mit potenziell gravierenden Folgen: Stigmatisierung und Ausgrenzung, Nichteinstellung, Entlassung, Wohnungsverweigerung etc. Dabei könnten die vom Geheimdienst übermittelten Verdächtigungen auch auf bloßen politischen Meinungsäußerungen oder Kontakten gründen, die keine Gesetze verletzen.

Zweiter Anlauf nach heftiger Kritik: neuer Fall fürs ­Bundesverfassungsgericht?