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Wem gehört die Schule? (E-Book) E-Book

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Die Schulreformen der letzten 30 Jahre führten im schweizerischen Bildungssystem zu neuen Zuständigkeiten. Bei nach wie vor hoch gehaltenem Bildungsföderalismus sind einerseits Bestrebungen zu grösserer Schulautonomie feststellbar. Andererseits zeigen sich deutliche Tendenzen zu verstärkter interkantonaler Kooperationen, zu (subsidiären) Bundeskompetenzen und zur gesteigerten internationalen Orientierung. Da fragt sich wer, die Schule eigentlich definiert, reguliert, verantwortet und beaufsichtigt.

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Seitenzahl: 580

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Mit freundlicher Unterstützung des Fördervereins der Pädagogischen Hochschule Thurgau

 

Damian Miller / Jürgen Oelkers (Hrsg.)

Wem gehört die Schule?

Neue Akteure, neue Zuständigkeiten

 

ISBN Print: 978-3-0355-1313-4

ISBN E-Book: 978-3-0355-1314-1

 

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 hep Verlag AG, Bern

 

hep-verlag.ch

Inhaltsverzeichnis

Wem «gehört» die Schule?

Staatlichkeit von Schule oder: Wer ist der Staat in der Bildungspolitik?

Herausforderungen für die öffentliche Bildung

Interkantonale Schulkoordination: Die EDK als bildungspolitischer Akteur

Ein internationaler Schulvogt? Die OECD und die Schweiz

Kantonale Schulaufsicht zwischen Beratung, Beurteilung und Kontrolle

Finanzierung von Schulen – eine öffentliche oder private Aufgabe?

Laienpartizipation im Kontext schulischer Teilautonomie

Bildungsmonitoring: Qualitätsentwicklung auf Systemebene

Wo ist denn nun das Steuerrad der Schule?

Wer oder was definiert Schulreformen?

Die lokale Gemeinschaft ist die prioritäre Anspruchsgruppe der öffentlichen Schule

Grundschulunterricht – ein Pflichtrecht im Wandel der Zeit

Entscheidungsprozesse einer Thurgauer Schulbehörde zwischen 1974 und 2001

Legitimation von Schulleitungen und Teildelegitimation von Schulbehörden im Kanton Thurgau

«Am selben Strang ziehen» – die Krux der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

Ein differenzierter Blick tut not – Homeschooling jenseits von Dualismen

Biographische Angaben

Wem «gehört» die Schule?

Damian Miller, Jürgen Oelkers

Zur Einleitung

Der vorliegende Band vereint Vorträge, die im Herbst 2017 an der Pädagogischen Hochschule Thurgau in Kreuzlingen gehalten wurden.[1] Ausgangspunkt und Ansporn für die Organisation der Tagung waren öffentliche Diskussionen im Verlaufe der letzten 20 bis 30 Jahre, in denen bildungspolitische Entwicklungen angestossen, kommentiert oder infrage gestellt wurden, etwa im Blick auf die Harmonisierung des Bildungswesens, auf die Einführung des Fremdsprachenunterrichts in der obligatorischen Schule, insbesondere in der Primarschule, auf Tagesschulen oder auf den sprachregionalen Lehrplan 21.

Der Band erscheint aus einer Reihe von Gründen erst im Frühjahr 2023. Die aus den Vorträgen entstandenen Aufsätze haben aus Sicht der Herausgeber wie der Autorinnen und Autoren an Aktualität nichts eingebüsst. Im Gegenteil, die vergangenen Jahre haben – insbesondere die Corona-bedingten Schulschliessungen und die nachfolgenden Massnahmen – gezeigt, wie sehr eine solche Standortbestimmung zur Frage, wem die Schule gehört, notwendig ist und wie sehr sie Populismus ausschliesst.

Die Frage nach den Akteuren

Die Pandemie hatte Folgen, wie sich an den neuen Akteuren im Berufsfeld zeigt, die im Herbst 2017 noch gar nicht vorhanden waren. Unser Band ist auf die Akteure im Volksschulwesen der Schweiz ausgerichtet. Weitere Akteure bleiben unberücksichtigt. Allerdings waren sie für die Bewältigung der Krise unverzichtbar, weshalb sie doch erwähnt werden sollen.

Vor dem 13. März 2020 waren die medizinischen Angebote und Aktivitäten der gemeindlichen oder kantonalen Akteure des Gesundheitswesens auf Schulzahnkliniken, medizinische Reihenuntersuchungen oder gesunde Ernährung beschränkt. Mit den bundesrätlichen Anordnungen zu den proaktiven Schulschliessungen und weiteren Massnahmen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) traten entscheidungs- und handlungsmächtige Akteure auf, die weit und auf noch nie dagewesene Weise in die kantonale Schulhoheit eingriffen.

Das zog neben Kritik auch Zustimmung nach sich: Während die einen den kantonalen Flickenteppich nach den Schulöffnungen kritisierten und mehr Zentralismus forderten, lobten die anderen die neue Möglichkeit, subsidiär passgenaue Lösungen zu schaffen und umzusetzen. Es ist notwendig und angebracht, dass die vorliegenden Beiträge auch unter diesen Aspekten gelesen werden.

Ein zentrales System ist dabei nicht entstanden, und die Frage ist, ob sich das bestehende in der Krise bewährt hat, lässt sich grosso modo positiv beantworten. Schulen erwiesen sich als «lernende Systeme». Die Akteure im Feld, Lehrpersonen, Eltern, Schülerinnen und Schüler, bemühten sich, das Beste aus einer zuvor nie dagewesenen Situation zu machen und die Verluste so gering wie möglich zu halten.

Weitere Akteure, die wohl schon seit Jahren aktiv waren, sind die internationalen Tech-Giganten, deren goldene Stunde im Bildungswesen während der pandemiebedingten Schulschliessungen schlug. Das Stichwort hiess «Digitalisierung», und die Pandemie schien dafür endlich auch das Schulfeld zu öffnen. Was medizinisch ein Notfall war, wurde lerntechnisch zum Glücksfall.

Es waren nicht nur die grossen Börsengewinne im Jahre 2020, die zur Bonanza beitrugen, sondern auch die immense Datenernte über die verwendeten kommerziellen und nichtkommerziellen digitalen Funktionen. Daten werden als der «Rohstoff» oder das «Öl des 21. Jahrhunderts» bezeichnet. Im Nachgang zu den proaktiv durch den Bund und reaktiv durch einzelne Gemeinden veranlagten Schulschliessungen wurden die Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler sowie das Engagement der Lehrpersonen im computergestützten Fernunterricht gelobt und als Schub der digitalen Transformation gewertet. Dagegen waren die kritischen Stimmen, die die hinterlassenen Datenmengen thematisierten, kaum zu vernehmen.

Wer keine Hoheit über seine eigenen Daten hat, kann niemals selbstständig sein. Man geistert als Daten-Avatar oder als digitaler Zwilling durchs World Wide Web, das sich der Steuerung entzieht und einzig den Informatikabteilungen und Algorithmen der Tech-Giganten dient (O’Neill, 2016). Aus diesem Grund ist es wichtiger denn je, sich zu fragen, wem die Schule gehört. Die Schule muss mit ihren Akteuren die Hoheit über ihre Daten behalten und darf keine Fremdnutzung zulassen.

Historische Positionen zur Fragestellung

Geht man von der Schulgeschichte aus, dann zeigt sich, dass das Ansinnen, Einfluss auf die kantonalen Volksschulen zu nehmen, schon seit der revidierten Bundesverfassung von 1874 immens war. Mit den pädagogischen Rekrutenprüfungen des Militärs, die zuvor kantonal durchgeführt worden war, schuf sich der Bund ein mächtiges Instrument dafür, sich Einblick in und Einfluss auf die Volksschulen zu verschaffen (Boser et al., 2016; Crotti & Kellerhals, 2007). Sie sind vergleichbar mit den Leistungstests der OECD, also den regelmässigen PISA-Studien.

Ein Unterschied besteht darin, dass bei den Rekrutenprüfungen zeitweise die Rekruten mit Vornamen, Namen, Beruf und mit den Leistungsnoten in den kantonalen Amtsblättern publiziert wurden und somit die Schulmeister namentlich identifiziert werden konnten. Ebenso wurden die Ergebnisse der einzelnen Kantone und Gemeinden veröffentlicht (Lustenberger, 1996, S. 104ff.). Es bestand eine Transparenz, die weit über derjenigen der Leistungstests des nationalen Bildungsmonitorings oder von PISA hinausgeht.

Hinsichtlich der Rolle der OECD ist festzuhalten, dass nicht nur das Format der Tests vorgegeben wurde, sondern ebenso das Prinzip der Kompetenzorientierung sowie Bildungsstandards, die in Zusammenhang mit dem Lehrplan 21 zu heftigen Kontroversen führten. Die OECD äusserte sich zu Bildungsthemen bereits 1961 öffentlich, auf der ersten grösseren OECD-Konferenz mit dem Titel «Policy Conference on Economic Growh and Investment in Education». Das Eröffnungsreferat enthielt den Satz: «May I say that, in this context, the fight for education is too important to be left solely to the educators» (OECD, 1961, S. 35). Der DeSeCo-(Definition-and-Selection-of-Competencies-Bericht (2005), basierend auf den Vorarbeiten zu PISA 1997, definiert fortan die Merkmale des Humankapitals und wurde zur Leitliteratur für Entwicklungen im internationalen Bildungsbereich (OECD, 2005).

Auf nationaler Ebene nahm der Bund nicht nur mit den pädagogischen Rekrutenprüfungen Einfluss auf das Volksschulwesen, sondern auch durch die gesetzliche Verankerung der Körpererziehung in der revidierten Bundesverfassung nach 1874. Einige Städte und Kantone führten schon früher einen obligatorischen Turnunterricht» ein, etwa Murten 1833, Winterthur 1834 und Zürich 1843. Die körperliche Ertüchtigung sollte einen eindeutig militärischen Zweck erfüllen.

Das Gesetz brachte dem Bund die Ermächtigung, sämtliche Schüler, wie bereits die Kadetten der Sekundarschulen, auf den Wehrdienst vorzubereiten. Die Erlasse auf der Basis der BV 1874 vom 13. November 1874 regeln den Turnunterricht sowie die Rekrutenprüfungen: «die Verordnung betreffend die Einführung des Turnunterrichts für die männliche Jugend vom 10.–15. Lebensjahr, die Verordnung betreffend der Heranbildung von Lehrern zur Erteilung des Turnunterrichts und die Vorschriften betreffend die Dispensation vom Turnunterrichte (Hunziker, 1882, S. 353). Die Regulative vom 28. September 1875 und 15. Juli 1879 betreffend Nachtschulen beauftragen die Kantone, «dafür zu sorgen, dass die männliche Jugend vom 10. Altersjahr bis zum Austritt aus der Primarschule, und wiederum von da an bis zum 20 Altersjahr durch einen angemessenen Turnunterricht auf den Militärdienst vorbereitet werde» (Hunziker, 1882, S. 354).

Eine Dispensation vom Turnunterricht darf nur durch ein ärztliches Zeugnis erfolgen. Die Prüfungen sind standardisiert durchzuführen, und die Experten müssen aus einem anderen Kanton stammen und an Konferenzen teilnehmen, damit die Prüfungen vereinheitlicht durchgeführt werden können. In den Lehrbüchern des Bundes ist der militärische Zweck eindeutig ausgewiesen. Die Einflussnahme auf die Volksschule durch das Militär ist ein internationales Phänomen. Der General des ersten US-Atom-U-Boots Hyman G. Rickover schrieb 1967: «Education – Our First Line of Defense» (Rickover, 1967, 268 F.  Supp. 444, 445).

Die Frage «Wem gehört die Schule?» scheint vornehmlich in einer Demokratie eine drängende Frage zu sein. Bei Montesquieus heisst es, «que les lois de l’éducation doivent être relatives aux principes du governement» («De l’esprit des lois», livre IV, Chapitre I). In Monarchien und Diktaturen oder Tyranneien, wie Montesquieu sie nennt, wird die Frage bereits beantwortet, bevor sie überhaupt gestellt wurde. Die Erziehung dient der Unterordnung und der Loyalität usw. Sie dient der Stabilisierung der ständischen Gesellschaft beziehungsweise den jeweiligen feudalherrschaftlichen Machtstrukturen: «[…] unter despotischer Herrschaft ist ohnedies alles vergeblich, weil Unwissenheit die Grundlage für unbedingten Gehorsam ist» (Montesquieu, 2018, S. 320).

In einer Republik oder Demokratie sind die Menschen nur Untertanen ihrer selbst: «Wollen die Menschen nicht nur Untertanen, sondern Staatsbürger sein, also ihrer eigenen Macht unterworfene Herren, weil sie als Staatsbürger Untertanen nur sind, insofern sie Souveräne sind, dann kommt der Erziehung hohe Bedeutung zu» (ebd. 319). Durch die Gesetze, die ebendieser Staatsbürger erlassen hatte, wird er das ganze Leben daran erinnert, wie das vorzüglich-tugendhafte Leben in der Rechtsgemeinschaft geführt werden soll. Insofern handelt es sich um eine éducation permanente (ebd. S. 329). Allerdings ist zu vermerken, dass es Montesquieu nicht primär um die Erziehung zur Demokratie geht, sondern um die richtige Erziehung eines vortrefflichen Prinzregenten; sein Engagement dient vornehmlich dem Kampf gegen den Absolutismus (ebd. S. 319).

Stellt man die Frage «Wem gehört die Schule?» in Zusammenhang mit einer direkten und halbdirekten deliberativen Demokratie, so zeigt sich ein substanzieller Klärungsbedarf. Das Verhältnis von Volksschule und Obrigkeit ist in der Geschichte regelmässig diskutiert worden, auch schon im 18. Jahrhundert. In den vergangenen 50 Jahren konnte sich eine zunehmende Anzahl von Akteuren zu Themen der schulischen Bildung einbringen und sich bei Reformvorhaben der kantonalen Bildungs- und Erziehungsdepartemente auch unter Nutzung von Initiativen oder Referenden Gehör verschaf­fen.

Die Frage «Wem gehört die Schule?» wird also nicht zum ersten Mal gestellt. Zur Frage selbst: Sie richtet sich nicht auf die Besitzverhältnisse, wie die Semantik von «gehört» glauben machen kann, sondern zielt auf die Definitionsmacht über das Bildungswesen beziehungsweise die Hoheit über die Lehrpläne, weiter die Lehrmittel, die Strukturen der Schule, die Ausbildung von Lehrpersonen sowie Prozesse und Möglichkeiten der Einflussnahme durch verschiedene Akteure und Akteursgruppen ausserhalb des klassisch definierten Bildungswesens.

Vorab kann festgehalten werden, dass auf der Gemeindeebene in den Kantonen die Mitsprache- beziehungsweise Partizipationsrechte des Souveräns, aber auch von Personen ohne Bürgerrecht im internationalen Vergleich wohl beispiellos sind. Auch wenn in Gemeinden mit Schulgemeindeversammlungen die geringe Partizipation zu beklagen ist, so sind die Möglichkeiten der Mitsprache und Mitbestimmung (Abstimmungen) reichlich vorhanden. Besonders zu erwähnen ist, dass sich die Bevölkerung durch das passive Wahlrecht – wo vorhanden – in die Schulbehörde delegieren lassen kann. Gleichzeitig wird der Spielraum zur Mitbestimmung durch die Lehrpläne, die kantonalen Volksschulgesetze und durch weitere Regelungen, Verordnungen und Erlasse, die unter dem Primat der bundes- und kantonsrechtlichen «Rechtsgleichheit» stehen, begrenzt.

Im Sommer 1888 referierte der städtische Bürgerschullehrer Wilhelm August Fett aus Königsberg auf der Hauptversammlung der elften Ostpreussischen Provinzial-Lehrer-Versammlung in Osterode (heute Ostróda) zum Thema «Wem gehört die Schule» – ein Kapitel aus dem «Kampf um die Schule» (Fett, 1888). Wenn die allgemeine Volksschule allen Schülerinnen und Schülern grundlegende Bildung vermitteln soll, dann stelle sich die Frage, wem sie gehöre. Der Referent diskutierte vier mögliche Antworten: Die Schule könne der Familie, der Schulgemeinde, der Politik (bzw. der Partei) oder der Kirche gehören. Fett vertrat die Interessen der Profession. Bei anderer Gelegenheit entwickelte er die Idee einer allgemeinen Volksschule in Trägerschaft der Gemeinden (Fett 1888a).

Der westfälische katholische Theologe Josef Beaufays veröffentlichte 1920 mit «Wem gehört die Schule?» einen «Weckruf an die Eltern». Der Weckruf, der an den Kulturkampf im Kaiserreich erinnert, wurde 1946 zur Begründung der katholischen Bekenntnisschule nach dem Krieg neu aufgelegt. Beaufays agitierte gegen die unchristliche, säkulare Schule und damit auch für eine Annäherung der Konfessionen im praktischen Leben (1946, S. 6). Die Hauptaufgabe der Eltern sei die Erziehung: «Die Erziehung ist das unveräusserliche Recht und die heilige Pflicht der Eltern» (S. 14). Er folgerte daraus, dass die Hauptaufgabe der Volksschule die Erziehung sei, und zwar wie folgt:

«Das Kind gehört den Eltern» (S. 14). Also gehört die Schule «in erster Linie den Eltern, weil sie nach dem Naturrecht und dem göttlichen Recht die ersten und ursprünglichen Eigentümer der Kinder sind und als solche das erste Recht auf die Erziehung haben, die Hauptaufgabe der Schule ist die Erziehung» (S. 15). «Eine Loslösung der Gesellschaft von Gott, des Staates von der göttlichen Rechtsordnung, von dem Begriffe der naturgemässen und darum gottgewollten Lebens- und Familiengemeinschaft führt also zu haltlosen Konsequenzen. Wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn diese Rechtsverdreher auch das Kind und damit die Schule ihrem Staatsmoloch auslieferten» (S. 17).

Staatliche Erziehung sah Beaufays da legitimiert, wo die Eltern in ihrer Erziehungstätigkeit versagen. Sollte der Staat die Erziehungsmacht durch Schulzwang monopolisieren und Familien, Gemeinden und Kirchen als Konkurrenten unterdrücken sowie ihnen das Recht auf Schulgründung absprechen, so komme das einer Diktatur gleich (S. 18f.). Beaufays zitierte Papst Leo XIII, wonach der Staat private Schulen nicht verbieten dürfe. Die staatliche Schule sei lediglich als Ergänzung und Stütze des Elternhauses zu verstehen (S. 20f.).

Der deutsche Schulpädagoge Heinrich Kronen beschäftigt sich in seiner Schrift «Wem gehört die Schule?» mit Karl Magers liberaler Schultheorie, die er in der Schrift «Die deutsche Bürgerschule» (1840) entwickelt hatte. Mager war von 1837 bis 1844 in der Schweiz tätig, zuletzt als Edukationsrat im Kanton Aargau. 1848 wurde er Direktor der Bürgerschule von Eisenach. Als politischer Pädagoge setzte er sich für das Prinzip des «Selfgovernment» beziehungsweise der Selbstverwaltung und in der Folge für Schulen ein, die keine nachgeordneten Anstalten des Staates sind.

Die historische Analyse der Schulgeschichte, so Kronen, zeige ein tiefsitzendes Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger gegen die Verschulung der Kindheit, zunehmende Bürokratisierung sowie die komplette Verstaatlichung der Schule. «Magers heftiger, einsamer Streit» richtete sich «wider die Schule als Staatsgewalt. ‹Staat als Schullehrer› ist für ihn keine Schlussantwort. Er stellte die Frage neu: Wem eigentlich gehört die Schule?» (Kronen, 1981, S. 13). Die Antwort gibt Mager wie folgt: «Man mache die Volksschule zur Volkssache …» (S. 25). Dazu sollte das Konzept der «Bürgerschule» dienen.

Fast hundertfünfzig Jahre nach Mager stellte Leonhard Jost, Redaktor der «Schweizerischen Lehrerzeitung», erneut die Frage, wem die Schule gehört, und erwog auch andere Möglichkeiten: Neben dem demokratischen Staat ging es in dem von ihm herausgegebenen kleinen Band um «Alternative Schulen» (Jost, 1980b), die in den 1970er-Jahren vor dem Hintergrund der generellen Institutionenkritik und der sozialen Bewegungen eine Blütezeit erlebten.

Jost fragte am Beispiel der italienischen «Scuola di Barbiana», die von 1954 bis 1967 bestanden hatte und fast vergessen war, ob die Schule auch den Schülerinnen und Schülern gehören könne. Die Antwort liest sich wie eine Elegie: «Nein, unsere Schulen gehören nicht den Schülern! Da setzt ‹jemand› fest, wie viele Stunden Mathematik wöchentlich und zu welcher Tageszeit zu absolvieren sind, welches Vokabular vorausgesetzt wird und was an geographischen und geschichtlichen Daten erworben werden muss» (Jost, 1980b, S. 10).

Für John Stuart Mill, dem frühen Vertreter einer liberalen Staatstheorie, soll der Staat gesetzliche Verantwortung für die Bildung übernehmen, sie aber nicht selbst organisieren, schon gar nicht uniform und flächendeckend. Die «Individualität des Charakters» und die «Verschiedenartigkeit der Meinungen und Handlungsweisen» setzt die «Verschiedenheit der Erziehung» voraus (Mill 1974, S. 145). «Eine allgemeine Erziehung durch den Staat ist lediglich ein Trick, um die Menschen einander genau gleich zu formen» (ebd.). Nur subsidiär und wenn es nicht anders geht, sollte der Staat eigene Anstalten gründen, als «eines unter vielen rivalisierenden Experimenten» (ebd., S. 146).

Bekanntlich hat sich in der Schweiz wie überall die staatliche Organisation von Schule durchgesetzt, wie sich an der Schulgesetzgebung ablesen lässt. In der Zürcher Kantonsverfassung von 1831 (Art. 20) und fast wortgleich auch in derjenigen des Kantons Bern (Art. 12) von 1831 hiess es: «Sorge für die Vervollkommnung des Jugendunterrichts ist Pflicht des Volkes und seiner Stellvertreter. Der Staat wird die niedern und höhern Schul- und Bildungsanstalten nach Kräften pflegen und unterstützen» (Verfassung Zürich, 1831, Art. 20).

In der «Staatsverfassung für den eidgenössischen Stand Thurgau» vom 14. April 1831 übernimmt der Kanton die Leitung und Verantwortung über die Volksschule: «Die Sorge für die Vervollkommnung des öffentlichen Unterrichts ist Pflicht des Staates». Basierend auf diesem Gesetzesgrundsatz wurde das Gesetz über die Volksschule am 13. März 1833 legiferiert: «Um der ferneren Entwicklung des Erziehungswesens im Sinne des § 20 der Verfassung durch eine angemessene Einrichtung der öffentlichen Schulanstalten, und durch die Organisation der Schulvorsteherschaften statt zu geben» beschlossen der Präsident und der Grosse Rat die «Einrichtung der Schulanstalten» [Abs. 1]. § 1 «Die Bildung der Jugend durch Erziehung und Unterricht, ein gemeinschaftlicher Gegenstand der Sorge des Elternhauses und des Staates, wird dem bürgerlichen Vereine vorzüglich durch öffentliche Schulanstalten unterstützt und gefördert».

Die staatliche Schulhoheit drängte den kirchlichen Einfluss stetig zurück. Die «Staatlichkeit» von Schule war aber nicht immer gegeben, sie ist Produkt republikanisch-demokratischer und bildungspolitischer Entwicklungen vor allem im 19. Jahrhundert. Stetig, aber in wechselnden Formen wurde und wird die staatliche Definitionshoheit von «Privaten» herausgefordert und infrage gestellt. Zum Beispiel durch die Abstimmung vom 7. März 2010 über die Volksinitiative «Ja! Freie Schulwahl für alle» im Kanton Thurgau. Das Stimmvolk verwarf die Vorlage mit einer überwältigenden Mehrheit von 83,19 Prozent Nein- zu 16 Prozent Ja-Stimmen. Die «elternlobby schweiz» lancierte nach dem Jahre 2000 etwa in Basel-Land, Basel-Stadt, Bern, Tessin gleichlautende Initiativen – alle wurden abgelehnt. Gleiche Initiativen sind in den Kantonen St. Gallen, Zürich und Aargau noch vorgesehen.

Wem also gehört die Schule? Die Schule insgesamt kann in einem demokratischen Rechtsstaat nicht einfach jemandem gehören. Die «Schule des Schweizervolkes» (Simmen, 1940) kann auch nicht einfach dem Schweizervolk gehören, weil dies ein sehr abstrakter «Besitzer» wäre. Viel eher fragt der vorliegende Band, welche Akteure, Gruppierungen, Gremien, Instanzen, Organisationen und Körperschaften privater, staatlicher oder öffentlicher Natur auf die Schule Einfluss zu nehmen versuchen oder konkreter: bestimmen, was in der Schule gelernt werden, wie sie geleitet und beaufsichtigt werden soll.

Staatlichkeit von Schule

Wenn nicht davon ausgegangen wird, dass Schule wesentliche Aufgabe von Privaten ist und sich auch nicht einfach in Experimente auflösen lässt, dann sind die Definition, die Legitimation, die Organisation und die Finanzierung von Schule öffentliche Aufgaben, um die sich Politik und Verwaltung in einem speziellen Politikfeld, der Bildungspolitik, kümmern. Bildungspolitik ist damit Teil eines politischen Systems und folgt wesentlich den für alle staatlichen Angelegenheiten definierten Prozessen.

Grundsätzlich stellen sich vor diesem Hintergrund drei wesentliche Fragen: a) Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem politischen System der halbdirekten Demokratie in der Schweiz und in den Schweizer Kantonen für die Bildungspolitik? b) Wer ist der Staat im Bildungsbereich und wie verändern sich die entsprechenden Akteurskonstellationen im bildungspolitischen Mehrebenensystem? Und c) Wie koordinieren die Akteure ihre Handlungen und welche Instrumente stehen ihnen für ihr Entscheiden und Handeln zur Verfügung?

a)Bildungspolitik in der halbdirekten Demokratie

In einem Staat mit monarchischer Vergangenheit bestehen weit weniger Mitbestimmungsmöglichkeiten als in der Schweiz, in der die Volksschule oder «öffentliche Erziehung» ein wesentliches Moment zur Überwindung der ständischen Gesellschaft des Ancien Régime hin zur Rechtsgleichheit war (Osterwalder, 2010; Criblez, 2008, 14). Mit dem Initiativ- sowie Referendumsrecht des Souveräns sowie mit den Interventionsmöglichkeiten von Parlamentsmitgliedern in Form von parlamentarischen Motions- und Interpellationsrechten können bildungspolitische Akteure schulische Entwicklungen anregen oder hemmen.

Mit dieser Vielfalt an Partizipationsinstrumenten können neben den klassischen institutionellen Akteuren der kantonalen Bildungssteuerung, -administration und -aufsicht Gruppierungen und Einzelpersonen unterschiedlicher Couleur und Motive Einfluss auf das Bildungswesen nehmen, unter der Bedingung, dass sie Unterstützung und politische Mehrheiten zu formieren vermögen. Das ist etwa in Frankreich ausgeschlossen.

Zu denken ist beispielsweise an die Vorstösse betreffs Fremdsprachenunterrichtes an der Primarschule: die Motion im Kanton Thurgau «Französisch erst auf der Sekundarstufe» (RRTG, 2014), die Diskussionen um die «Sammelfächer» in Basellandschaft (Dähler, 2017) oder an die Leistungsmotion «Qualitätssicherung Volksschule», die eine «deutliche Reduktion des Aufwands im Globalbudget des Amtes für Volksschule» des Kantons Thurgau (RRTG, 2018) anstrebte. Gruppierungen treten als vorübergehende Akteure auf und verschwinden nach Abstimmungen, heute, indem sie ihren Inter­net­auf­tritt deaktivieren.

Die Mitsprache und -wirkung von spezifischen Berufs- und Interessengruppen kantonal und interkantonal über die EDK erfolgt durch die Mitarbeit in Gremien und über die Teilnahme an Konsultationen und Vernehmlassungen. An der Vernehmlassung zu den «Grundlagen für den Lehrplan 21» beteiligten sich bis auf Appenzell Innerrhoden alle deutschsprachigen Kantone, verschiedene Lehrerverbände, schulnahe Institutionen wie die Elternvereinigung «Schule & Elternhaus», der «schweizerische Rat der Religionen» sowie über 25 gesellschaftliche Interessensvertretungen, die nicht explizit eingeladen wurden, beispielsweise die Schweizerischer Bäuerinnen- und Landfrauenverband, zwei kantonale Bürgerkomitees «Nein zu HarmoS» und politische Parteien (EDK-Regionen, 2009, 5ff.).

Vernehmlassungen sind vorbereitende Verfahren bei Verfassungsänderungen und neuen Gesetzgebungen, in Appenzell Ausserroden werden sie «Volksdiskussionen» genannt. Mit der Einführung des Referendums im Jahre 1874 dienten sie dem Gesetzgeber einerseits dazu, die Widerstandskraft von Erlassentwürfen gegenüber Referendumsdrohungen abzuschätzen, und andererseits, eine Vorlage annahme- und verwirklichungsfähig zu machen. Sie unterstützen somit lange vor einer Volksabstimmung die politische Willensbildung und Mitsprache (Willi, 2013). Konsultationen und Vernehmlassungen konkretisieren den Meinungsbildungsprozess in Modellen der deliberativen Demokratie und setzten verbindliche Formate und Prozeduren voraus (Schmidt, 2019, 242f.).

Deliberation bezeichnet die argumentativ abwägende und verständnisorientierte Beratschlagung. Sie demokratisiert die mittlere Ebene zwischen Staat und Gesellschaft. Partizipatorische und deliberative Demokratietheorien versprechen eine gesteigerte Qualität des öffentlichen Abwägens durch bessere informationelle, intellektuelle und moralische Kapazität der Bürgerinnen und Bürger (ebd. 237f.). Bei Vernehmlassungen beteiligen sich eingeladene sowie nicht eingeladene Organisationen und Institutionen mit einschlägigen Interessen. Der Öffentlichkeitsgrad der Auseinandersetzungen um ein Thema ist zum Zeitpunkt der Vernehmlassungen in der Regel gering, Tagesmedien berichten kaum.

Vor Abstimmungen nimmt die Informationsdichte in Tagesmedien und sozialen Medien zu. In Leserbriefen, Internetforen, Blogs, Flugblättern oder Extrazeitungen werden persönliche oder institutionelle Stellungnahmen abgegeben, die so zur politischen Meinungsbildung beitragen. Ein starkes öffentliches Engagement war in den meisten Kantonen bei den bildungspolitischen Vorlagen zu HarmoS, Fremdsprachen in der Primarschule sowie zum Lehrplan 21 wahrnehmbar. Dies veranschaulicht den Öffentlichkeitscharakter der Volksschule.

Entscheidende Mitwirkungsoptionen der gesamten stimmberechtigten Bevölkerung bei Gesetzen beziehungsweise Konkordaten im Bildungswesen bestehen in den Kantonen über Initiativen und Referenden. Es gibt keinen formalisierten und direkten Zugang an die Adresse von Regierungs- beziehungsweise Direktorenkonferenzen, im vorliegenden Fall zur EDK. Wer sich gegen die Einführung des sprachregionalen Lehrplans 21 wandte, wählte je nach Kanton ein Referendum, eine Gesetzes- oder Verfassungsinitiative.

Exemplarisch wird das am Beispiel des Kantons Thurgau gezeigt. Am 3. November 2015 wurde die Volksinitiative «Ja zu einer guten Thurgauer Volksschule» beim Regierungsrat eingereicht. Bei einem solchen Begehren müssen innerhalb von sechs Monaten 4000 beglaubigte Unterschriften vorliegen. Die Gesetzesinitiative zu §§ 31 und 68b verlangt unter § 31 Abs. 1: «Der Regierungsrat erstellt die Lehrpläne und Stundentafeln. Sie sind vom Grossen Rat zu genehmigen und unterstehen dem fakultativen Referendum». Die vorberatende Kommission erklärte die Initiative im März 2016 aus formeller Sicht für gültig. Inhaltlich und hinsichtlich der Praktikabilität äusserte die Kommission erhebliche Skepsis. Nach dem Grundsatz «in dubio pro populo» (RRTG, 2016) gelangte die Initiative im November 2016 zur Abstimmung und wurde mit 75,3 Prozent mit einer Stimmbeteiligung von 42,3 Prozent abgelehnt.

b)Zur Veränderung von Staatlichkeit im Schulbereich

In den vergangenen Jahren wurde zunehmend Kritik geäussert an der Professionalität von politisch gewählten Schulbehörden, die als Laiengremien die Schulen als Exekutive der Schulgemeinden führen. Vor der Einführung der Schulpflicht (nach 1830) erfolgte die Führung und Aufsicht der Schule durch die Kirchen und mit der zunehmenden Trennung von Kirche und Staat nur noch durch ein gewähltes Gremium vor Ort. So hatte die Schule eine verbindliche Verankerung in den Gemeinden. Mit Art. 27 der revidierten Bundesverfassung von 1874 – «Die Kantone sorgen für genügenden Primarunterricht, welcher ausschliesslich unter staatlicher Leitung stehen soll» – wurde die Schulhoheit den Kantonen gemäss den Grundsätzen der Subsidiarität und des Föderalismus überantwortet.

Die Kantone, sprich die kantonalen Bildungsräte und Ämter für Volksschulen, wurden so dazu legitimiert, die Leitung und Aufsicht über die Volksschulen auszuüben. Die lokalen Behörden waren und sind in den meisten Kantonen für die Umsetzung der kantonalen Vorgaben verantwortlich. Dieses System gerät zunehmend unter Legitimationsdruck. 2004 schrieb der Tagesanzeiger: «Konflikte mit der Schulpflege [Schulbehörde] nehmen zu». Weiter heisst es im Untertitel: «Dilettantisch, überfordert, schlecht ausgebildet: Die Schulpflege kämpft mit einem Imageproblem» (Ellner, 2004, 11). Die Kritik an den Schulbehörden spitzte sich mit der Implementation der Schulleitungen zu. In der Tagespresse wurden wiederholt Konflikte und Kompetenzausmarchungen zwischen Schulbehörden und Schulleitungen thematisiert Die NZZ beschrieb 2013 die Schulleitung als «Brösmeliberuf» (Bernet, 2013): Sie hat all das zu erledigen, was von den übergeordneten Stellen, insbesondere von der Schulbehörde, abfällt.

«Brösmeli» erinnert als Metapher an die Geschichte des armen Lazarus (Lukas 16:20), der lediglich die Brosamen der Reichen zur Nahrung begehrte. Im Bericht über einen Thurgauer Schulleiter wurde im «Beobachter» 2009 festgehalten, dass Schulleitungen oft zwischen Laiengremien [Schulbehörde], unwilligen Kollegen und Bürokratie «zerrieben» würden. Die Dramatik der Situation widerspiegelt sich im martialischen Vokabular hinsichtlich der Rollenkonflikte: «Schulleiter dürfen weder die unterste Kommandostufe der Schulbehörde noch die Speerspitze der Lehrer gegenüber Behörde oder Eltern sein» (Raos, 2009). Im «Kompetenzgerangel» würden sich Schulbehörden in die operativen Tagesfragen einmischen und Schulleitungen hätten für viele Entscheide die Bewilligungen einzuholen. Ebenso sei zu beobachten, dass die «Do-it-yourself»-Mentalität vieler Schulgemeinden beziehungsweise Schulbehörden zu Fehlern, vorzeitigen Abgängen sowie Burn-outs führten (ebd.).

Am 19.07.2017 war in der Aargauer Zeitung zu lesen, dass sich Aargauer Schulleiterinnen und Schulleiter offen gegen Schulbehörden aussprechen (Meier, 2017). Die NZZ vom 29.05.2017 berichtete unter dem Titel «Wenn alle Lehrer kündigen» über «die vier schulischen Brandherde im Kanton Zürich» (Schenkel, 2017). In diesem Beitrag und den Kommentaren dazu standen das Verhältnis von Schulleitung und Behörde sowie deren Fachlichkeit im Vordergrund: «Schulleitungen sind eine vergleichsweise junge Erscheinung im Kanton Zürich. Lange war allein die Schulpflege für die Personalführung an den Schulen zuständig. Als Laienbehörde ist sie indes fachlich nicht immer qualifiziert, bei Handlungsbedarf wirkungsvoll ein- oder durchzugreifen. Auch deshalb wurden Mitte der Neunzigerjahre im Kanton versuchsweise Schulleitungen eingesetzt.»

c)Handlungskoordination und Steuerungsinstrumente

Die Akteure, Strukturen und Organisationsformen betreffend Aufsicht und Steuerung beziehungsweise «educational governance» der kantonalen Volksschulen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert und differenziert. Die klassischen Orte der Diskussionen zur Gestaltung und Aufsicht der Volksschule sind hingegen nach wie vor dem föderalistischen und subsidiären Aufbau der Schweiz folgend die Kantone und Gemeinden. Dem Bund steht seit der Abstimmung im Jahre 2006 über den «Bildungsartikel» (Art. 62 insbesondere Abs. 4 der Bundesverfassung) die Kompetenz zu, Vorschriften zur Kooperation zu erlassen, sollten sich die Kantone nicht auf dem Koordinationsweg einigen können (BV, 1999, Stand 2014). Bis zu diesem Zeitpunkt oblag ihm laut dem «Sportförderungsgesetz» von 1972 Artikel 27 quinquies der bisherigen Bundesverfassung und Art. 68 der neuen BV die Bestimmungshoheit über den Turn- und Sportunterricht an allen Volks-, Mittel- und Berufsschulen. Eine solche inhaltspezifische Kompetenzzuteilung erfolgte zudem 2012 hinsichtlich der musikalischen Bildung gemäss BV Art. 67a.

Mit dem Bildungsartikel 62 gelangte der Begriff «Bildungsraum Schweiz» in die Bundesverfassung sowie in die öffentliche Diskussion. «Bildungsraum Schweiz» sieht eine Erweiterung der Kompetenzen des Bundes vor, die sich bis dahin auf die Sekundarstufe II, also auf die Berufsbildung und auf spezifische Teile des Tertiärsektors beschränkte (Späni, 2008, 183ff.). Allerdings waren ab der Helvetischen Republik 1798 verschiedentlich Anstrengungen zur Etablierung einer zentralistischen Bildungspolitik unternommen worden (Criblez, 2008, 21ff.). Der Versuch, einen Erziehungssekretär des Bundes zu schaffen – die Gegner nannten ihn «Schulvogt» –, scheiterte am 26. November 1882 an der Urne, am fakultativen Referendum. Kommentiert wurde das Abstimmungsergebnis wie folgt: «Erfolgreicher katholisch-konservativer Kreuzzug gegen den ‹Schulvogt›» (Rielle, 2010).

Mit der Konstituierung der Schweizerischen Konferenz der Erziehungsdirektoren EDK im Jahre 1897 etablierte sich ein dauerhaftes bildungspolitisches Gremium zur Diskussion und Vereinbarung von Kooperationen beziehungsweise Konkordaten zwischen den Kantonen. Ab dem «Konkordat über die Schulkoordination» von 1970 und insbesondere seit den 1990er-Jahren mit den Verhandlungen zum HarmoS-Konkordat verstärkte sich der verpflichtende Charakter der interkantonalen Kooperation. Die EDK etablierte sich kontinuierlich als intermediärer bildungspolitischer Akteur zwischen Bund und Kantonen. Die Bildungsverfassung BV Art. 62 stärkte die EDK und verschaffte ihr eine höhere Legitimität (Criblez, 2008, 14f.).

Mit der Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) gibt es ein Instrument, um Kantone an Konkordaten zu beteiligen. Gemäss BV Art. 48a kann der Bund auf Antrag interessierter Kantone interkantonale Verträge als allgemein verbindlich erklären. Das macht ihn zum stärkeren politischen Akteur zwischen den Kantonen, was nicht unbestritten ist, da mit der AVE eine neue Rechtsebene eingeführt wurde. Die Kritik bezog sich hauptsächlich auf das Demokratiedefizit und auf den angeblichen Widerspruch zum Föderalismus (Steinlin, 2011). Die AVE erfolgt in Form eines Bundesbeschlusses und unterliegt dem fakultativen Referendum. Elf Kantone lehnten den Beitritt zum HarmoS-Konkordat ab. Glaser und Fuhrer (2015) orten sowohl beim HarmoS-Konkordat als auch beim Lehrplan 21 Demokratiedefizite.

Bisher hatten die Kantone anhand von Konkordaten und Empfehlungen ihre Zusammenarbeit im Bildungsbereich koordiniert. Die interkantonale Kooperation etablierte sich seit dem Bundesvertrag von 1815 als die Fortführung einer Praxis aus der Mediationszeit: Die Vereinbarung von Konkordaten zwischen zwei oder mehreren Kantonen dient zum Zwecke der Kooperation, um gemeinsame Aufgaben zu erfüllen (Kley, 2008). Konkordate bilden zentrale und verbindliche Elemente des vertikalen sowie horizontalen kooperativen Föderalismus (Häfelin et al. 2016, 369ff.).

Viele Konkordate werden vereinbart, ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt, weil sie das Leben über die Kantonsgrenzen hinweg erleichtern und mit der Zeit zu Gesetzen auf Bundesebene wurden, wie zum Beispiel die anfänglichen Vereinbarungen zu Massen und Gewichten, zum Geldwesen, dem Viehhandel, zur Führung von Zivilstandsakten zu Schürfrechten, zum Gesundheitswesen, zur Rechtspflege oder zur Zusammenarbeit zwischen Schulen – mehrheitlich Mittel-, Berufs- und Hochschulen.

In den letzten Jahren gaben das HarmoS- sowie das Hooligan-Konkordat Anlässe zu öffentlichen Diskussionen. Die politischen Slogans zu HarmoS dürften den Leserinnen und Lesern in Erinnerung sein: «HarmoS ist nicht harmlos» oder zur Abstimmung im Kanton St. Gallen in der NZZ vom 14.09.2016: «HarmoS-Abstimmung […] Wacklige Bildungsharmonie». Mehr als situative Polemik war damit allerdings nicht verbunden.

Die privaten Einflüsse und Engagements im Schulbereich

Staatlichkeit und Verwaltung sind nicht alles. Von erheblicher Bedeutung für den Schulbereich ist die staatlich ungebundene politische Öffentlichkeit. Privatwirtschaftliche und private Akteure, politische Parteien und Gremien sowie auch Stiftungen engagieren sich verstärkt in der öffentlichen Diskussion um die Gestaltung der Volksschule.

Die Lehrerarbeitsgruppe der SVP veröffentlichte 2010 (SVP, 2010) einen Gegenlehrplan zum Lehrplan 21, der damals noch in Erarbeitung war. Berufsbildende Schulen strengten Veränderungen an, um die Passung von Berufswelt, KMU, Industrie und von der Wirtschaft allgemein zu optimieren, zudem sollte es keine «Sackgassenberufe» mehr geben, Berufs- und Fachmaturität, Diplommittelschulen sollten den Aufstieg zu immer besserer Qualifikation sichern. Bisherige Berufslehren verlagerten sich während der vergangen 50 Jahren in den Tertiärbereich, wie bspw. Pflegewissenschaft, Physiotherapie, Hebammen.

Das waren Folgen der Bildungsexpansion ab den 1960er- und 70er-Jahren (Criblez, 2001, 2002). Sie diente der Weckung und Nutzung der Begabungsreserven im Wettlauf mit dem technologisch erstarkten Ostblock sowie zur Qualifikation von Arbeitskräften. Je mehr sich die Wertschöpfung vom primären und sekundären Wirtschaftssektor in den Dienstleistungsbereich – Schlagwort «Wissensgesellschaft» – verlagerte, umso mehr gewann die formelle Bildung und Qualifikation an Schulen an Bedeutung (Buchmann, 2015).

Nach den Jahren des Babybooms führte der Pillenknick ab Mitte der 1970er-Jahre zu Ein- bis Zweikinderfamilien (BFS, 2017). Mit abnehmender Kinderzahl und zunehmender Bedeutung von nachobligatorischen Schulen, insbesondere der gymnasialen Maturität, etablierte sich ein erhebliches Wachstum von kommerziellen Nachhilfeangeboten, die vor allem von Leistungsstarken besucht werden, um die Aufnahmeprüfungen an die gymnasialen Mittelschulen zu bestehen (Flammer, 2017).

Die Folge war eine Zunahme der Leistungsheterogenität der letzten zwei Schuljahre vor den Aufnahmeprüfungen an die gymnasialen Mittelschulen, zumal Prüfungsnoten in Bezug auf die Sozialnorm (arithmetischer Mittelwert) erteilt werden. Die bildungspolitisch angestrebte Chancengleichheit und damit verbunden die «Bildungsmobilität» sozioökonomisch Benachteiligter erfuhr dadurch eine weitere Behinderung. Das bedeutete im Umkehrschluss eine informelle Einflussnahme kommerzieller Anbieter auf das Bildungswesen.

Zusätzlich zu den demokratisch vorgesehenen und legitimierten Akteuren etablierten sich in den vergangenen Jahren private Organisationen in Form von Beratungs- und Evaluationsfirmen, die ihre Dienste im Bildungswesen anbieten. Volksschulen und weiterführende Schulen können sich für Qualitätsmerkmale zertifizieren lassen. Das markengeschützte Modell «Fördernde Qualitätsbeurteilung für Schulen (FQS)» wurde 1993 auf Initiative des Dachverbandes Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) entwickelt. Weit über 100 Schulen in der Schweiz arbeiten mit diesem Selbstevaluationskonzept. Seit 2015 wird das Zertifikat von der Pädagogischen Hochschule Zürich PHZH in Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Institut für Erwachsenenbildung SIEB vergeben (PHZH, 2015).

Weiter engagieren sich Stiftungen und Vereine mit finanziellen Mitteln und inhaltlichen Konzepten im Bildungswesen mit spezifischen thematischen Projekten wie «Bildung in früher Kindheit», Tagesschulen, «bewegte Schule», «gsunde Znüni», «personalisiertes und individualisiertes Lernen», Medien- und Informatik und so weiter. 2013 wurde in der Schweiz, analog zum deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung seit 2006, ein Preis durch eine private Trägerschaft, durch Stiftungen und Firmen finanziert, ausgeschrieben und vergeben. Allerdings wurde der Preis nach wenigen Jahren wieder eingestellt.

Eine weitere Form von Gestaltung der öffentlichen Schule durch Organisationen mit privater Trägerschaft sind die Volksschulen, die aufgrund sinkender Schülerzahlen Schulstandorte schliessen müssten und deshalb mit privaten Bildungsanbietern kooperieren. Beispiele sind die Oberstufe Häggenschwil im Kanton St. Gallen oder die Schule Wannenhof/Williberg im Kanton Aargau. Solche Anbieter nutzten überdies Freiheiten, die den kantonalen Schulen vorenthalten blieben, schreibt die NZZ am Sonntag unter dem Titel «Die Schonzeit an unseren Schulen ist vorbei» (Burri, 2017).

Einfluss nahmen mitunter auch religiöse Gruppierungen, was zu Gerichtsurteilen führte. Fragen wie jene rund um das Tragen oder Verbieten von Burka und Bikini lösten in der Öffentlichkeit heftige Debatten aus, ebenso die Frage der Teilnahme an religiösen Festen wie Weihnachten, wie die Verwendung oder das Verbot christlicher Symbole im Schulzimmer.

Privatschulen sind in aller Regel Teil des Systems, weil sie im Rahmen des staatlichen Lehrplans tätig sind. Eine Ausnahme bilden die anthroposofischen Steiner-Schulen, die aber auch keine staatlichen Berechtigungen vergeben. Das gilt auch für die wenigen und meist sehr kleinen Alternativschulen, die oft eine besondere Aufmerksamkeit erhalten, etwa wenn sie die staatlichen Vorschriften der Leistungsbeurteilung und Notengebung herausfordern.

Bildungsforschung, Systementwicklung und Politik

Die Reformen der letzten Dekaden haben im schweizerischen Bildungssystem zu Veränderungen von Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen geführt. Neue Akteure wie Schulleitungen oder Agenturen der externen Schulevaluation (Accountability – New Public Management), Fachstellen der Schul- und Unterrichtsentwicklung in Bildungsverwaltungen sind eingeführt oder gestärkt worden. Auch die Schweizerische Koordinationsstelle für Bildungsforschung (SKBF), die nationale Bildungsberichte erstellt, gehört zu diesen Veränderungen.

Die Entwicklungen und Reformen ab den 1960er-Jahren lassen sich unter dem Gesichtspunkt der Fragestellung «Wem gehört die Schule?» auch zunehmend als Ausmarchung des Verhältnisses zwischen «Expertise» und «Demokratie» charakterisieren. Es ist nicht nur das Schulfeld, das solchen Veränderungen unterliegt; die Verlagerung von Demokratie hin zu einer Stärkung der Macht von Experten lässt sich auch in anderen Politikfeldern des öffentlichen Lebens beobachten. Es wird von einer «Epistemokratie» (Bogner, 2021) gesprochen.

Die Gleichsetzung von Erkenntnis und Expertise hat Folgen. Politische Diskurse und vielfältige politische Prozesse, die einer deliberativen Demokratie eigen sind, werden unter Druck gesetzt, nicht lediglich Meinungen, sondern wissenschaftlicher Exaktheit zu folgen – was die Diskursfähigkeit drastisch beschränkt. Bürgerinnen und Bürger werden sich dagegen zu wehren haben.

Es bilden sich neue Illusionen heraus: Je mehr Stellen einer statistischen Kenngrösse nach einem Komma vorgewiesen werden können, desto genauer erscheint das Resultat zu sein. Es kann für sich hohe Plausibilität oder sogar die Wahrheit reklamieren. Zu gleichen Schlüssen kommt auch Hirschi in «Skandalexperten, Expertenskandale. Zur Geschichte eines Gegenwartsproblems» (2018). Waren es bis vor wenigen Jahrzehnten religiöse oder ideologische Motive, die zu harschen Auseinandersetzungen und Polarisierungen führten, gesellen sich heute Meinungen von Expertinnen und Experten dazu. Das kann zu einem Verlust von Mehrdeutigkeit und Vielfalt führen (Bauer, 2018).

Andererseits zeigte sich in der Corona-Pandemie, wie sehr Politik und Öffentlichkeit auf Sicherheit angewiesen sind, die die Forschung nie so liefern kann, wie das erwartet wird. Nicht zufällig lag die Lösung in neuen Impfverfahren, die sofort heftige politische Debatten auflösten und zunächst gerade die Vieldeutigkeit der Meinungen von Experten dokumentierte. Ihre Zahl wurde danach nicht reduziert, sondern in einem Ranking der Glaubwürdigkeit sortiert.

Eine besondere Geschichte ist mit der Implementierung der empirischen Bildungsforschung und ihrer Expertise im deutschen Sprachraum verbunden. Seit den 1960er-Jahren vollzog sich mit zunehmendem Tempo und im Wechsel von nur einer Generation die «realistische Wendung in der pädagogischen Forschung» (Roth, 1963). Schulische, pädagogische, unterrichtsspezifische, allgemein- und fachdidaktische Themen wurden nach und nach Gegenstand empirischer Forschung. Sie verdrängten das klassische Bild der Pädagogik geisteswissenschaftlicher Herkunft oder die in den Lehrerseminaren bis zur Gründung der pädagogischen Hochschulen gepflegte Textexegese bis hin zur Hagiografie pädagogischer Klassiker. In den vergangenen Jahren wurden zu verschiedenen Themen des Bildungswesens empirische Studien publiziert und führten zu kontroversen bildungspolitischen Diskussionen. Unter diesem Gesichtspunkt erweisen sich Vertreterinnen und Vertreter der empirischen Bildungsforschung als Akteure im Bildungswesen.

Das Verhältnis von Bildungsforschung, politischen Prozessen und demokratischen Entscheiden ist latent und auch offen angespannt, was mit Deutungshoheit und Verwendungserwartung zu tun hat. Die Forschung muss höchsten Wert auf Unabhängigkeit legen, aber sie liefert Daten und Erkenntnisse, die direkt in die politische Auseinandersetzung hineinwirken. Jede Partei hat eigene Expertinnen und Experten. Wenn Erkenntnisse vorliegen, die politisch nicht genehm sind, wird versucht, sie herunterzuspielen oder mit eigener Expertise zu konterkarieren.

Einen Ausnahmefall bei solchen Auseinandersetzungen und Kontroversen bilden die Erkenntnisse der Bildungssoziologie und empirischen Bildungsforschung zum Zusammenhang von sozioökonomischem Status und schulischem Leistungserfolg, die im Kern kaum noch bezweifelt werden. Strittig ist seit Jahren aber die Frage, was daraus folgt. Bildungs- und Sozialpolitik reagieren mit einem Angebot von Tagesstrukturen und -schulen mit verstärkten Förderungsprogrammen, die psychologisch ausgerichtet sind und Kompensation leisten sollen. Aber das hat seine eigene Geschichte.

Der Basler Arzt Karl Gustav Jung gründete 1857 die «Anstalt zur Hoffnung», um bei geringem Grad von «Blödsinn», wenn er nicht in die Schreckensform des «Kretinismus» übertrete, durch ein beharrliches und systematisches Einwirken eine bleibende Umgestaltung des geistigen Lebens herbeizuführen. Diese Hoffnung nährte sich aus seiner Beobachtung und Erkenntnis, dass es vornehmlich Kinder aus den armen Familien sind, die der «Idiotenfürsorge» bedürfen (Wolfisberg, 2002, S. 59f.).

Jürgen Kaube kritisiert in seinem Buch «Ist die Schule zu blöd für unsere Kinder?», dass die Bildungs- zur Sozialpolitik mutiert und die Schule damit masslos überfordert. Die Schule habe den Auftrag, «Unwissenheit» und nicht «Ungleichheit» zu bekämpfen (Kaube, 2019, S. 73). Dies entspreche der Forderung Heinrich Zschokkes, dass die Schule angetreten sei, um Aberglauben, Irrglauben, Sittenlosigkeit und Unterwürfigkeit zu vertreiben. Sie unterrichte, aber sie erziehe nicht, schon gar nicht im Sinne einer aufholenden Nacherziehung (Zschokke 1851–1854).

Mit der Formel «das katholische Arbeitermädchen vom Lande» des deutsch-britischen Soziologen Ralf Dahrendorf (1965) wurde früh auf die milieubedingte Mehrfachdiskriminierung von Kindern, insbesondere von Mädchen im Bildungswesen hingewiesen. Die Erkenntnisse solcher Studien und Publikationen hinsichtlich des Einflusses des sozioökonomischen Faktors auf den schulischen Leistungserfolg erfuhren in den PISA-Studien ab 2000 fortgesetzt Bestätigung (Baumert et al. 2006; OECD, 2001). Und die Bildungsnachteile der Mädchen konnten erfolgreich ausgeglichen werden.

Einen anderen Akzent setzte in der Schweiz die «Winterthurer-Studie» von 1983 durch die Forschungsgruppe um den Mediziner und Genetiker Werner Schmid von der Universität Zürich (Schmid et al., 1983). Die Ergebnisse und die Kritik der Studie zielten, anders als bei Dahrendorf, auf das «absurde Ausmass» an sonderpädagogischen Massnahmen sowie deren pädagogische Fragwürdigkeit und Wirkungslosigkeit: «Wie wir gesehen haben, sind die ursächlichen Faktoren in allererster Linie psychosozialer Art und, infolge der vorherrschenden gesellschaftlichen Entwicklungen, auf absehbare Zeit nahezu schicksalshaft festgelegt. Unter diesen Umständen kommt man zum Schluss, dass die einzige Variable, die man im ganzen Gefüge innert nützlicher Frist ändern kann, das Schulsystem ist» (Schmid et al., 1983, S. 43).

Die politische Frage, was zu tun sei, blieb offen und erfuhr vielfältige Strategien der Bearbeitung. Das Subsidiaritätsprinzip im föderalistischen System erlaubt es Schulgemeinden im Thurgau laut dem Gesetz über die Volksschule, Schulversuche durchzuführen und zum Zwecke einer Generalisierung wissenschaftlich evaluieren zu lassen (§ 9). Sollte ein Schulversuch zu sehr von der Schulgesetzgebung abweichen, so ist der Regierungsrat befugt, mit den Schulgemeinden entsprechende Vereinbarungen zu treffen und den Versuch zu bewilligen (§ 9 Abs.  2). Der § 5 verpflichtet den Kanton, die Qualität der Schule weiterzuentwickeln, Forschung zu initiieren und zu unterstützen sowie beratend den Schulgemeinden zur Seite zu stehen. Die Problematik der gegliederten Oberstufe in Real- und Sekundarschule sowie Gymnasium ist im Bildungswesen schon seit einigen Jahren bekannt. Der Kanton Zürich reagierte mit dem Schulversuch AVO (Abteilungsübergreifende Versuche an der Oberstufe) auf die Selektions- und Zuweisungsungerechtigkeiten in der Oberstufe bereits 1977.

Im Thurgau gab es vor der Gesetzgebung von 2005 bereits Schulversuche, die Oberstufe durchlässiger zu gestalten und damit von der gegliederten Oberstufe Abschied zu nehmen. Die Entschärfung der Selektionsprozesse nach der Primarschule oder die Einrichtung der durchlässigen Oberstufe hätten noch viele Jahre auf sich warten lassen, hätten sie parlamentarische Gesetzgebungsprozesse durchlaufen müssen, ohne bereits erprobt worden zu sein. Sie wurden durch die im kantonalen Gesetz über die Volksschule vorgesehenen «Schulversuche» getestet, evaluiert und adjustiert und 2005 durch den Gesetzgeber legiferiert. Inzwischen handelt es sich bei den durchlässigen Oberstufen in den allermeisten Kantonen um etablierte und anpassungsfähige Schulmodelle. Einzelne Reformen wurden über regierungsrätliche Verordnungen auf Empfehlung pädagogischer Fachstellen der Erziehungsdirektionen lanciert.

Mit solchen Schulversuchen und mit Blick auf die Bildungsexpansion der 1960er-Jahre mehrte sich auch Kritik an der gegliederten undurchlässigen Oberstufe sowie Zweifel an der Zuverlässigkeit (Validität) der Selektionsmechanismen im Anschluss an die Primarschule. In einigen Kantonen wurden Schulversuche gestartet, um die Selektionsmechanismen zu entschärfen und die Oberstufe durchlässiger zu gestalten (Grunder, 2015). Ab den 1960er-Jahren war Arbon (TG) eine der ersten grossen Schulgemeinden, die einen prüfungsfreien Übertritt erprobte. Ein wesentlicher Beweggrund dazu war, dass im ersten Jahr der Sekundarschule zwischen 10 und 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten hatten, zu bestehen und in die Realschule wechselten, ein Zwischenjahr oder andere Massnahmen benötigten (Miller & Weber, 2018, 29). Solche Wechsel und Zwischenjahre generierten erhebliche Kosten, die man vermeiden wollte.

Bis zu den 1980er-Jahren galt im Schulwesen und in der Bildungspolitik mehrheitlich die Überzeugung, dass die Selektionsverfahren (Empfehlung, Prüfung, Probezeit) eine «objektive» Zuweisung zu den Schultypen sicherstellten. Entsprechend wurden die Schulen gestaltet und administriert. Es galten die Annahmen, dass a) am Ende der Primarschulzeit klar zwischen guten und schlechten Schülern unterschieden werden könne, b) der Unterricht in leistungshomogenen Klassen effizient sei, c) Schüler in allen Fächern (zumindest in den Selektionsfächern) entweder gut oder schlecht seien und d) nach der Selektion das Lern- sowie Leistungsprofil der Schüler kaum mehr variiere und sich stabilisiere und verstetige (Anderegg, 1995, 176f.).

Nach dem Abgang der meist geringen Zahl von Schülerinnen und Schülern ans Gymnasium wechselten die anderen in den meisten Kantonen auf die Ober-, Real- und Sekundarschule (oder Bezirksschulen und Progymnasien). Selektionszeitpunkt war in der Mehrheit der Kantone nach dem 6., in drei Kantonen nach dem 5. und in vier Kantonen nach dem 4. Schuljahr. Im Kanton Tessin besuchten die Schülerinnen und Schüler die Schule sieben Jahre gemeinsam, vergleichbar mit dem Modell der deutschen Gesamtschule und Formen in der Westschweiz.

Einige Kantone führten ab den 1970er-Jahren kooperative Formen der Oberstufe ein, welche verschiedene Konzepte der durchlässigen Oberstufen begünstigten. Die Erziehungsdepartemente planten Strukturreformen über die vom Gesetzgeber in den Volksschulgesetzen vorgesehenen «Schulversuche». So entstanden Schulen mit Niveaugruppen, Wahl- und Wahlpflichtfächern und so weiter. Gegen den Aufschub der Selektionsprozesse sowie die Durchlässigkeit der Oberstufen regte sich in den verschiedenen Kantonen erheblicher Widerstand; St. Gallen, Basel-Stadt, Graubünden, Waadt und Wallis behielten lange das gegliederte System bei.

Die Problematik der früheren Selektivität sowie der Undurchlässigkeit des Bildungswesens liess bei der politisch vielfach geführten Rede vom «bewährten Schulsystem» Skepsis aufkommen, nämlich mit der Frage, für wen, für welche Bevölkerungsgruppe sich ein Bildungssystem bewährt (Becker et al., 2008; Kronig, 2007). Die Diskussionen um institutionell bedingte Benachteiligungen im Bildungswesen waren seit Jahrzehnten ein Dauerthema (Berger et al., 2008).

Das Parlament des Kantons St. Gallen beriet 2018 die gesetzliche Basis zum durchlässigen System der Oberstufe. Seit 2012 können Schulgemeinden den Niveaugruppenunterricht freiwillig einführen. Ein Drittel der 77 Oberstufenzentren im Kanton setzte diese Reform um (Genova, 2018). Der politische Wille der Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier und zwei Drittel der Oberstufenzentren ist bis anhin der Überzeugung, dass die gegliederte Oberstufe einen Mehrwert gegenüber der durchlässigen Oberstufe bilde. Empirische Daten stützten diese Entschlossenheit der Einschätzung nicht.

Ein weiteres Thema, das zu bildungspolitischen Auseinandersetzungen führte, betrifft den Fremdsprachenunterricht in der Primarschule. War man ab den 1990er-Jahren der Auffassung, dass Kinder Fremdsprachen so früh wie möglich lernen sollen, kamen in den letzten Jahren Zweifel auf, ob damit nicht ein grosser Teil der Kinder überfordert sei. In der Fachliteratur lassen sich unterschiedliche empirische Befunde nachlesen.

Es besteht Skepsis, ob sich der erhoffte positive Effekt der Leistungsfähigkeit in Fremdsprachen als signifikant und nachhaltig erweist, ob nicht die Kompetenz in der Erstsprache behindert würde oder ob diese nicht primär entwickelt werden sollte (Pfenninger, 2014). Die Folge empirischer Resultate sind kontroverse bildungspolitische Diskussionen (Burri, 2016) und parlamentarische Vorstösse in verschiedenen Kantonen. Im Kanton Thurgau wurde am 13. Februar 2013 eine Motion eingereicht, wonach der Französischunterricht von der Primar- auf die Sekundarstufe I verlagert und hier intensiviert werden sollte (Herzog et al., 2013).

Auf die zunehmende Empirie wurde reagiert. Seit den 1970er-Jahren verfügten verschiedene Kantone verwaltungsinterne Bildungsplanungsstellen mit unterschiedlichen Aufträgen zur Informationsbeschaffung über das Schulwesen, mit Dokumentations- und Forschungsaufgaben sowie mit Aufträgen zur Bereitstellung statistischer Berechnungen. Damit sollten anstehende Entwicklungen im Bildungswesen frühzeitig erkannt werden, etwa solche in Bezug auf künftige demografische Veränderungen und wirtschaftliche Anforderungen. Ausserdem waren als Reaktion darauf die nötigen Massnahmen zu treffen (Criblez, 2012; Rothen, 2016). Die Planungsstellen erarbeiteten datengestützte Entscheidungsgrundlagen für die Bildungs- und Erziehungsdirektionen sowie für die Bildungsverwaltungen, was den Entscheidungsspielraum für lokale Schulbehörden, die Teilautonomie der Schulen sowie die Gestaltungsmöglichkeiten bildungspolitisch engagierter Parlamentsmitglieder einschränkte.

Die Bildungspolitik begann sich ab den 1990er-Jahren zunehmend an Bildungsstandards, Kompetenzmodellen und Bildungszielen, wie sie von internationalen Akteuren wie der OECD (TIMSS, PISA usw.) vertreten wurden, zu orientieren. In internationaler Kooperation wurde anhand von Leistungstests und der Erhebung soziodemografischer Daten in Large-Scale-Assessments die Leistungsfähigkeit der nationalen Bildungssysteme und die soziale Reproduktion ausserschulischer Differenzierungen wie des Geschlechts, der sozialen oder der ethnischen Herkunft evaluiert. Parallel dazu etablierte sich eine breite Kritik an den Programmen (Jahnke et al., 2008 usw.).

Eine weitere Internationalisierung der Bildungspolitik neben der Übernahme von OECD Normen (Bildungsstandards und Kompetenzorientierung) war die Anpassung an internationale ethische Normen zur Beschulung und Bildung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen im Bereich von sonderpädagogischen Bildungsangeboten. Mit der Ratifizierung der Erklärung von Salamanca für die Bildung aller Kinder im Regelschulsystem aus dem Jahre 1994 (UNESCO, 1994) sowie der UNO-Behindertenrechtskonvention von 2006, der die Schweiz 2014 beitrat, wurden vermehrt Anstrengungen zur Integration und Inklusion von Kindern mit besonderem Förderbedarf unternommen.

Allerdings kann die schulische Integration in der Schweiz nicht rechtlich eingefordert werden, weil der Bundesrat das entsprechende Fakultativprotokoll nicht unterzeichnet hat (Aellig et al., 2016). Dem Sonderpädagogik-Konkordat von 2007 der EDK traten 16 Kantone bei, darunter alle Westschweizer Kantone und das Tessin (EDK, 2014). Das Konkordat verlangt unter Art. 2 Grundsätze Abs. b, dass integrative Lösungen den separierenden vorzuziehen sind (EDK, 2007). Mit der Übernahme solcher Vereinbarungen beschränkte sich der Spielraum der Schulgemeinden und von bildungspolitischen Akteuren in den Kantonen. Die Form der Schule veränderte sich. Schulische Heilpädagoginnen und -pädagogen (SHP) betreuen die Kinder mit besonderem Förderbedarf nun vermehrt in den Schulklassen.

Ein historischer Blick auf das Schlagwort «digitale Transformation» zeigt: Internationale Technologiefirmen unterstützten und belieferten Schulen mit Infrastruktur, Geräten sowie Software und setzten Rahmenbedingungen, wie mit diesen umgegangen werden soll. Mit der Initiative «privat public partnership, Schulen ans Netz» erhielten die Schulen nach den 2000er-Jahren Zugang zum World Wide Web. Diese Initiative zog neben erheblichen Infrastrukturanpassungen an den Schulen vor Ort auch Ressourcenanpassungsleistungen mit sich. Lehrpersonen spezialisierten sich zu «I-Scouts», um die Netzwerke, Geräte und Software an den Schulen zu warten und zu aktualisieren. Diese Engagements können nicht allein als Selbstläufer und frühe Kundenbindung beurteilt werden, sondern sind ein Teil der Anpassung des Schulwesens an die sich verändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten und Entwicklungen.

Wäre der Anschluss der Schulen ans Internet nicht über «privat public partnership», sondern allein durch demokratische Budgetentscheide auf Gemeindeebene erfolgt, hätte es zu einer Benachteiligung von Schülerinnen und Schülern aus technologieskeptischen gegenüber technologieaffinen Gemeinden geführt – was wiederum eine Gefährdung der gesetzlich geforderten Chancengleichheit bedeutet hätte. Investitionen in innovative Massnahmen finden schwer Eingang in ordentliche Gemeinde- und Schulgeschäfte und Budgets, weil höhere Beträge eine Erhöhung des Steuerfusses zur Folge hätten. Themen rund um Sponsoring im Bildungswesen wurden in den vergangenen Jahrzehnten kontrovers diskutiert. An Hochschulen sorgen fremdfinanzierte Institute und Lehrstühle für reguläre Drittmittelfinanzierung.

Zu bedenken ist indes, dass Schulplattformen international genutzt und zentral verwaltet werden. Das stellt sich unmittelbar die Frage, was mit den Daten geschieht. Aktivitäten auf Plattformen hinterlassen digitale Fingerabdrücke. Wem gehören diese Daten? In Zeiten von Wikileaks und ähnlichen Formaten wissen wir, dass digitale Daten im WWW grundsätzlich allen zugänglich sind, und wer sie in die Finger bekommt, dem gehören sie. Was ist mit den Lern- und Leistungsprofilen von Schülerinnen und Schülern? Es drängt sich ein Vergleich auf mit heiklen Patientendaten, an die Inkassofirmen gelangen können. Sowas lässt sich gut verkaufen. National kann dies von Datenschutzbeauftragten zumindest vordergründig verhindert werden, international ist das unmöglich zu erreichen.

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Staatlichkeit von Schule oder: Wer ist der Staat in der Bildungspolitik?

Lucien Criblez

Als Wilhelm Fest 1888 in seiner Rede vor der Ostpreussischen Provinzial-Lehrer-Versammlung die Frage stellte, wem die Schule gehöre, hatte er vor dem Hintergrund des damaligen internationalen Diskurses über die Trennung von Kirche und Staat bzw. von Kirche und Schule, die wiederum eine Folge der Radikalisierung des Kulturkampfes im Anschluss an das Unfehlbarkeitsdogma (1870) und Syllabus Errorum (1864) von Papst Pius IX[2] war, zwei mögliche Antworten im Blick: Die Schule gehört der Kirche oder sie gehört dem Staat. Knapp einhundert Jahre später stellte Leonhard Jost, der Redaktor der Schweizerischen Lehrerzeitung, dieselbe Frage im Rahmen einer Publikation zu alternativen Schulen und zog immerhin in Erwägung, dass Schule nicht nur vom Staat organisiert werden könne, sondern auch von Privaten (Jost, 1980). Er griff damit – wahrscheinlich unwissentlich – ein liberales Argument von John Stuart Mill aus dem 19. Jahrhundert auf. Dieser hatte argumentiert, dass der Staat die Eltern verpflichten müsse, für die Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen, weil sonst ein grosses Risiko bestünde, dass sie der Armut anheimfallen und sie dann vom Staat über die Armenhilfe versorgt werden müssten (Mill, 1859/1974). Daraus dürfe aber keinesfalls abgeleitet werden, dass der Staat die Schulen auch selbst organisieren müsse. Denn dann würde den Kindern die im Staat vorherrschende «Ideologie» vermittelt, was einer «Zwingherrschaft» des Staates über den Geist der Kinder, allgemeiner: der Individuen gleichkomme.

Jost hatte immerhin in Erwägung gezogen, dass die Schule auch den Eltern oder den Kindern gehören könne. Nochmals etwas später stellte die amerikanische Schulreformkritikerin Mercedes K. Schneider (2015) die Frage «Who owns our schools?» noch einmal im Kontext von Liberalisierung, Ökonomisierung und Privatisierung im amerikanischen Bildungswesen. Sie zeigte auf, wer von der Einführung eines Kerncurriculums und dem Aufbau eines entsprechenden Testing-Systems profitiert (auch in einem monetären Sinn) und wie diese Reformen den öffentlichen Schulen schaden. Sie zog deshalb auch andere «owner» als den Staat in Betracht, nicht nur die Lehrergewerkschaften, sondern insbesondere auch private Firmen und Konzerne, die aufgrund der entsprechenden Reformen Gewinn erzielten.

Die Frage nach der «ownership» von Schule wurde also zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich beantwortet. Als Konsens, der die Schuldiskussionen in der Schweiz seit den liberalen Umbrüchen der 1830er-Jahre bis heute dominierte, kann vielleicht Josts Aussage gelten: «Wem gehört die Schule? […] Schulen sind Einrichtungen der Gesellschaft (‹Veranstaltungen des Staates› […]), und sie werden von ihr getragen, sind somit Gemeingut aller, die diese Gesellschaft bilden.» Er fragt dann allerdings weiter: «Nur: ‹Gesellschaft›, wer ist das? Sind das die Steuerzahler, die Mehrheit der Stimmenden, die Erwachsenen, die Kinder?» (Jost, 1980, S. 7).

Vor diesem Hintergrund fragt der folgende Beitrag nicht eigentlich danach, wem die Schule gehört oder wer sie besitzt, sondern eher danach, warum die Schule in der Schweiz im Wesentlichen Staatsschule geworden und geblieben ist. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche staatlichen Akteure legitimiert sind, Schule und ihre Anliegen zu regeln. Welchen staatlichen Akteuren kommen welche Entscheidungskompetenzen zu und wie verändern sich die Akteurskonstellationen im Laufe der Zeit? Dabei steht weniger das Abstraktum «Gesellschaft» wie bei Jost im Fokus, sondern im engeren Sinne der Staat in seinen unterschiedlichen Ausprägungen.