Wen die Rache treibt - Neil White - E-Book
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Wen die Rache treibt E-Book

Neil White

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Beschreibung

Er will sie nur leiden sehen … Der packende Thriller »Wen die Rache treibt« von Neil White jetzt als eBook bei dotbooks. In einem abgelegenen Waldstück nahe der nordenglischen Kleinstadt Blackley wird die junge Jane Roberts aufgefunden – brutal vergewaltigt und erwürgt. Es ist bereits die zweite auf so schreckliche Weise ermordete Frau, die Sergeant Laura McGanity und ihr Team in kurzer Zeit finden. Handelt es sich um die Tat eines verrückten Perversen – oder eines eiskalt berechnenden Killers? Zusammen mit ihrem Freund, Reporter Jack Garrett, konfrontiert Laura den Vater von Jane, den skrupellosen Geschäftsmann Don, der Blackley in seinem eisernen Griff hat. Hat seine abgründige Vergangenheit etwas mit den Geschehnissen zu tun? Laura und Jack setzen alles aufs Spiel, um den Mörder so schnell wie möglich zu finden – denn er hat schon sein nächstes Opfer auserwählt … »Unmöglich aus der Hand zu legen.« Booksellers Magazine Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Wen die Rache treibt« von Neil White ist Band 4 seiner spannenden Thriller-Serie Lancashire Killings, deren Einzelbände unabhängig voneinander gelesen werden können, wird alle Fans von Elizabeth George und Nicci French begeistern.Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 502

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Über dieses Buch:

In einem abgelegenen Waldstück nahe der nordenglischen Kleinstadt Blackley wird die junge Jane Roberts aufgefunden – brutal vergewaltigt und erwürgt. Es ist bereits die zweite auf so schreckliche Weise ermordete Frau, die Sergeant Laura McGanity und ihr Team in kurzer Zeit finden. Handelt es sich um die Tat eines verrückten Perversen – oder eines eiskalt berechnenden Killers? Zusammen mit ihrem Freund, Reporter Jack Garrett, konfrontiert Laura den Vater von Jane, den skrupellosen Geschäftsmann Don, der Blackley in seinem eisernen Griff hat. Hat seine abgründige Vergangenheit etwas mit den Geschehnissen zu tun? Laura und Jack setzen alles aufs Spiel, um den Mörder so schnell wie möglich zu finden – denn er hat schon sein nächstes Opfer auserwählt …

Über den Autor:

Neil White wurde über einem kleinen Schuhladen geboren und wuchs in Yorkshire auf. Seit seiner Kindheit begeistert ihn nichts so sehr wie die Musik von Johnny Cash und Bücher, vorzugsweise Science Fiction und Kriminalromane. Während seines Jura-Studiums packte ihn die Lust, selbst zu schreiben. Heute ist Neil White der erfolgreiche Autor zahlreicher Spannungsromane.

Die Website des Autors: neilwhite.net/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Thriller-Serie »Lancashire Killings« mit den Einzelbänden:

»Wer in den Schatten lebt«

»Wo die Angst regiert«

»Wenn der Hass entbrennt«

»Wen die Rache treibt«

Außerdem erschienen bei dotbooks die seine Thriller »Die Stimme des Verrats« und »Ein tödlicher Verdacht«.

***

eBook-Neuausgabe April 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2011 unter dem Originaltitel »Cold Kill« bei HarperCollins Publishers, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Cold Kill« bei Weltbild, Augsburg

Copyright © der englischen Originalausgabe 2011 by Neil White

Copyright © der deutschen Erstausgabe by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/JKI14, Helen Houston, Hangin Bear Media

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98952-081-3

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Neil White

Wen die Rache treibt

Thriller

Aus dem Englischen von Bernhard Liesen

dotbooks.

Kapitel 1

Es war ein schöner, warmer Abend. Das grelle Licht der untergehenden Sonne wurde sanft gebrochen durch das Laubdach der Bäume eines kleinen Wäldchens zwischen den Häusern der Siedlung. In den Lichtstreifen zwischen den Blättern tanzten Mücken. Er blickte auf die Uhr. Gleich war es so weit. Er kannte ihre Gewohnheiten. Samstagabend. Ein Gang zur Haltestelle an der Hauptstraße, um mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren. Auf dem Weg dorthin kam sie immer an dem Wäldchen vorbei. Sie ging schnell, mit gesenktem Kopf.

Er hielt gerade so viel Abstand, dass sie ihn nicht sehen konnte. Sein Atem ging schnell, die Erregung schnürte ihm die Brust zusammen. Die Gedanken an sie kamen in Gestalt flüsternder Stimmen in seinem Kopf, so leise, dass er sie kaum hören konnte. Doch nachts wurden die Stimmen lauter, steigerten sich zu einem Crescendo. Es war wie ein Rausch, der sein Verlangen befeuerte.

Manchmal kämpfte er gegen dieses Verlangen an, doch das waren seltene Augenblicke. Vor seinem geistigen Auge sah er sie, die Bilder erregten ihn. Ihre blasse Haut, das blonde, bis über die Schultern herabfallende Haar. Die kleine Stupsnase. Strahlend weiße, ebenmäßige Zähne. Der Gedanke an ihre weiche, glatte Haut ließ ihn lächeln. Jetzt, wo der Augenblick gekommen war, wurden die Stimmen leiser, und er hielt vor Erregung den Atem an.

Diesmal würde alles anders sein, ein Rausch wie nie zuvor. Keine verscharrte Leiche. Kein ausgebranntes Auto. Keine Fahrt zum See mit einem gefesselten Opfer auf der Rückbank. Es würde der definitive Kick sein, denn er wusste, dass immer schon alles auf diesen Moment zugelaufen war.

Er glaubte fast, sie schon hören zu können. Das Rascheln ihres Kleides, den in ihrem Haar spielenden Wind. Dann wurde ihm bewusst, dass das rhythmische Geräusch, das er hörte, nicht sein schnell klopfendes Herz war, sondern das Klackern ihrer Absätze, das durch die verwaist daliegende Vorortstraße hallte. Sein Atem ging noch schneller, er spürte, dass er eine Erektion bekam. Er überprüfte seine Handschuhe. Keine Löcher, keine Risse. Er würde keine Spuren zurücklassen. Ein letztes Mal ließ er seinen Plan Revue passieren. Die ganze Woche über hatte er an kaum etwas anderes gedacht.

Jetzt war der Augenblick gekommen.

Während das Klackern der Absätze lauter wurde, ging er los, denn wenn sie auftauchte, wollte er auf der gleichen Straßenseite sein. Als sie ihn bemerkte, warf sie ihm einen beunruhigten Blick zu, doch dann sah sie die Uniformbluse mit dem Polizeiabzeichen und den Hut eines Bobbys mit dem schwarz-weißen Band.

Er lächelte, seine Zähne blitzten im Sonnenlicht. Er trat auf die Straße und ging weiter, bis er neben ihr war. Auf der anderen Seite des Bürgersteigs war das Wäldchen. »Guten Abend«, sagte er. Die Worte wären ihm fast im Hals stecken geblieben, als er ihr Parfüm roch. Der Duft von Blumen, vom Wind zu ihm getragen. Am liebsten wäre er mit einem Finger über ihren Hals gefahren. Er konnte sich nur mit Mühe beherrschen. Nichts überstürzen.

Sie lächelte ihn kurz an, schlug die Augen aber dann zu Boden. Er schaute auf ihren kurzen schwarzen Rock, die sauber rasierten Beine, die silbernen Absätze. Er musste schlucken, sein Mund war wie ausgetrocknet. Sein Herz schlug immer heftigen Seine Hände glitten zur Hüfte hinab, um die Handschellen von seinem Gürtel zu lösen. Diese Bewegung war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Geschwindigkeit war entscheidend, und er durfte keine Geräusche verursachen.

Sein Blick wanderte die Straße hinab. Niemand zu sehen.

Natürlich, es gab Häuser, doch warum sollte ausgerechnet jetzt jemand auf die Straße blicken? Wenn er schnell und leise war, würde niemand etwas bemerken und misstrauisch werden.

Er stürzte sich auf sie, rammte sie mit der Schulter. Sie verlor das Gleichgewicht, doch er fing sie auf und presste ihr eine Hand auf den Mund. Er stieß sie den Weg hinunter, der in das Wäldchen führte, ließ die Handschelle um ihr linkes Gelenk schnappen. Er liebte dieses Klicken. Jetzt begann sie sich zu wehren. Er durfte die Hand nicht von ihrem Mund nehmen, denn dann würde sie schreien. Er hob sie hoch und trug sie tiefer in das Gehölz, in die Dunkelheit, dorthin, wo die Bäume dichter standen.

Einer ihrer Schuhe fiel zu Boden. Danach würde er ihn holen müssen.

Zwischen den Bäumen, am Fuß eines Abhangs, floss ein kleiner Bach, und er wusste, dass er dort allen Blicken entzogen war. Er war in der Nähe des Weges, aber alles würde sehr schnell gehen.

Das Geräusch seiner Stiefel wurde leiser, je weicher der Waldboden wurde. Als er weit genug in das Unterholz vorgedrungen war, warf er sie zu Boden, weiter die Hand auf ihren Mund pressend.

Erneut begann sie sich zu wehren. Sie holte mit dem Arm aus, und das andere Ende der Handschellen hätte ihn fast ins Gesicht getroffen.

Er presste ihr Gesicht in den Boden, riss ihr die Hände auf den Rücken und ließ auch die andere Handschelle um ihr Gelenk schnappen. Wieder dieses Klicken.

Er drehte sie auf den Rücken, und seine freie Hand kratzte Erde und Blätter zusammen. Nachdem er ihr den Unterkiefer herabgerissen hatte, stopfte er ihr beides in den Mund. Sie riss die Augen auf, und ihre Brust bäumte sich auf, als sie hustete und würgte.

Dann stopfte er ihr Erde, Steine und kleine Gestrüppstücke in die Vagina.

Er öffnete seinen Gürtel, ihr weiter mit der anderen Hand den Mund zuhaltend, und stöhnte, als er sein Glied umfasste.

Und dann nahm er die andere Hand von ihrem Mund, packte ihren Hals und strangulierte sie. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie trat mit den Beinen aus. Während er ihr immer fester die Kehle zudrückte, wurde sein Stöhnen lauter.

Kapitel 2

Ein paar Tage später bekam Jack Garrett den Anruf.

Er war im Stadtbezirk Whitcroft, wegen eines Artikels für Dolby Wilkins, den neuen Herausgeber der Lokalzeitung, der die Kosten senken und zugleich die Auflage erhöhen sollte. Wilkins sah gut aus und hatte jenes Selbstvertrauen, das altes Geld mit sich bringt. Stets trug er Jeans und ein legeres Leinenjackett, und er wiederholte gebetsmühlenartig, nur mit Sex und Vorurteilen ließen sich Zeitungen verkaufen. Da er den Sex den überregionalen Boulevardzeitungen überließ, blieben nur die Vorurteile. Also verlegte er sich auf gesellschaftliche Ressentiments, auf billige, eindeutige Erklärungen, auf reißerische Storys. Einwanderer, die gegen die Gesetze verstießen. Sozialschmarotzer, die es sich auf Kosten ehrbarer Bürger gut gehen ließen. Wilkins’ erste Amtshandlung war es gewesen, sich Visitenkarten drucken zu lassen. Mehr musste Jack Garrett nicht wissen.

Jack sah diesem Auftrag mit einigem Unbehagen entgegen. Wenn man die Armen als Faulpelze denunzierte, ließ das die Kasse klingeln, aber Wilkins war noch nicht lange in Blackley und begriff nicht, was in der Stadt lief. Er hatte nicht miterlebt, wie ein altes Zentrum der Textilverarbeitung seiner Industrie beraubt worden war. Jetzt gab es nur noch Überreste dieser Vergangenheit, riesige Fabriken und Lagerhäuser, von denen einige in Einkaufszentren umgewandelt worden waren. In anderen wurden an Sommerwochenenden Handwerksmessen abgehalten. Doch viele Industriegebäude verfielen einfach. Die Kabel waren aus den Fabrikwänden gerissen worden, um von dem Erlös Zigaretten und Schnaps zu kaufen, das Licht fiel durch halb eingebrochene Dächer. Das war Stoff für Geschichten über harte Zeiten mit wenig positiven Zukunftsaussichten. Aber mit Mitleid für die Unglücklichen ließ sich keine Auflage machen.

Ihm war klar, dass sich beim Blackley Telegraph alles um den Profit drehte, doch er war freiberuflicher Journalist, kein Geschäftsmann. Eigentlich war er Gerichtsreporter, doch gelegentlich schrieb er auch einen längeren Artikel über einen Kriminalfall. Die Zeitung kaufte seine Artikel und entließ dafür fest angestellte Mitarbeiter. Die anderen Freiberufler, die deren Arbeit übernahmen, hatten zum Teil gerade erst das College verlassen oder bisher praktisch nichts veröffentlicht. Ihnen ging es um Referenzen, mit denen sie ihren Lebenslauf spicken konnten.

Jack hatte zugesagt, den Artikel über den Stadtteil Whitcroft zu schreiben, und zu Hause die ersten Seiten in die Tastatur seines alten Laptops gehackt. Er wohnte in einem Cottage in Turners Fold, einem abgelegenen Flecken in den Hügeln von Lancashire, ein paar Meilen von Blackley entfernt.

Whitcroft lag am Stadtrand von Blackley. Einst auf sieben bewaldeten Hügeln erbaut, wirkte Blackley heute wie der hässliche große Bruder von Turners Fold. Im Zentrum kündeten viktorianische Häuser teilweise noch vom einstigen Wohlstand. In den vom Ruß geschwärzten zweistöckigen Geschäftshäusern residierten Juweliere und alteingesessene Herrenausstatter, die sich nun mit der Konkurrenz von der High Street herumschlagen mussten, wo die Läden Fassaden aus Glas und Stahl hatten. Vom Säulenvorbau und der Treppe des Rathauses aus schaute man auf die Hauptgeschäftsstraße, eine Erinnerung an bessere Zeiten, als hier Männer in Gehröcken und mit extravaganten Koteletten goldene Uhren aus ihren Westentaschen zogen.

Auch Whitcroft war in den besseren Tagen erbaut worden. Im Gegensatz zu den monoton geraden Straßen mit Reihenhäusern, die sonst den Anblick der Stadt dominierten, gab es hier Sackgassen, halbmondförmige Straßenzüge, Blumenbeete und Gebäude mit der Toilette im Haus. Heute zeigte sich in Whitcroft die Teilung der Stadt. Das Viertel war zu einer Zuflucht der Weißen geworden, als in den Sechzigerjahren immer mehr asiatische Einwanderer in die Innenstadt gezogen waren, wo nun Moscheen und Minarette zwischen den alten Fabriken und Lagerhäusern standen. Man vernahm den muslimischen Gebetsruf häufiger als die gewohnten Kirchenglocken, und jene Weißen, die es sich nicht leisten konnten, auf dem Land zu leben, waren nach Whitcroft gezogen.

All dies ging Jack durch den Kopf, während er in seinem Auto wartete, einem roten Triumph Stag Baujahr 1973. Junge Mütter schoben ihre Kinderwagen eine Straße entlang, die um das Viertel herumführte. Die strahlende Morgensonne betonte das tiefe Grün der Hecken, das Rot der Backsteinfassaden, die lebhaften Rottöne der Blumen. Von einem am Ende der Straße sichtbaren Schulhof her hörte er das fröhliche Lachen und Geschrei der Kinder.

Doch der idyllische Eindruck trog.

Ein vom Moor herkommender kalter Wind pfiff durch die Straße, die in den Stadtteil hineinführte. Sie war auf beiden Seiten von Geschäften gesäumt, die Bürgersteige waren mit ausgespuckten Kaugummis übersät. Ein chinesisches Take- away, ein Lebensmittelgeschäft, das Postamt. Auf der anderen Seite ein Waschsalon und eine Apotheke. Die Fenster waren vergittert, die Eingangstüren wirkten alt und schmierig.

In den kleinen Straßen hinter den Ladenzeilen standen jeweils vier Häuser. Viele Fenster waren mit Brettern zugenagelt, in anderen klebten England-Sticker. Die Straßen waren Sackgassen, verbunden durch von Hecken gesäumte Durchgänge. Die kurzen Wege waren die gefährlichsten. In den Hecken steckten Chipstüten und Bierdosen.

Aber es schien nicht nur Armut und Verfall zu geben. Handwerker in Overalls eilten durch die Straßen, junge weibliche Büroangestellte kauften auf dem Weg zur Arbeit noch eine Zeitung oder Zigaretten. Einige Veranden waren vergrößert und verglast worden, einige Gartenmauern neu. Es gab in diesem Stadtteil nicht nur die hoffnungslosen Fälle. Jede halbe Stunde tauchte der Wagen einer privaten Sicherheitsfirma auf. Kahlköpfige Männer mit schwarzen Jacken starrten ihn an, als sie vorbeifuhren. Vielleicht würde Wilkins nicht den Artikel bekommen, den er wollte.

Er stieg aus seinem Wagen und ging auf einen Laden zu, vor dem eine Frau mit einem Kinderwagen stand. Sie hatte straff zurückgebundenes Haar, rauchte eine Zigarette und trug billigen Goldschmuck.

Jack stieß die Tür auf. Eine Ladenklingel ertönte. Er tat so, als würde er interessiert die Zeitschriften studieren. Als der Laden sich geleert hatte, trat er an die Theke.

Der Mann dahinter schaute kaum auf. Er war in mittleren Jahren und hatte einen vom Nikotin verfärbten Schnurrbart. Er blätterte eine Zeitung durch und hörte erst auf, als Jack hustete.

Jack lächelte ihn an. »Jack Garrett«, sagte er. »Ich bin Journalist und schreibe einen Artikel über diesen Stadtteil.« Er zeigte auf die Fenster. »Was ist das für ein Gefühl, wenn man die Fenster seines Ladens vergittern lassen muss?«

Der Mann starrte Jack an, offenbar unschlüssig, ob er antworten sollte. »Der Stadtrat hat dieses Viertel vor die Hunde gehen lassen«, sagte er schließlich.

»Warum?«

»Sie haben die Gegend sozusagen zur Müllkippe verkommen lassen. Ihnen ist es lieber, wenn das ganze Gesocks auf einem Haufen lebt. Sie haben es gesagt.«

»Wohnen Sie schon lange hier?«

»Mehr als zwanzig Jahre. Ich habe das Geschäft von meinem Vater geerbt. Zu einer Zeit, als man hier noch ein anständiges Leben führen konnte.«

»Was ist schiefgelaufen?«

Der Ladeninhaber zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, aber manchmal denke ich, dass die Leute einfach nicht mehr arbeiten wollen. Die jungen Mädchen bekommen ein Haus zugewiesen, wenn sie schwanger werden, aber die Väter ziehen nie dort ein. Zumindest erzählen sie das jedem, doch ich sehe diese Typen, wenn sie morgens das Haus verlassen.«

»Ich habe eben durchaus Leute gesehen, die auf dem Weg zur Arbeit waren. Ganz so verarmt und verwahrlost scheint das Viertel nicht zu sein.«

»Es gibt hier immer noch einige Menschen, die mich stolz darauf machen, hier zu leben, aber es wird von Tag zu Tag schwieriger.«

»Warum?«

»Wegen der Kids. Sie hängen hier abends rum, umkreisen die Kunden mit ihren Fahrrädern und Mopeds und betteln die Leute an, ihnen Schnaps und Zigaretten zu kaufen, denn ich weiß, dass sie zu jung dafür sind. Wenn ich versuche, sie zu verscheuchen, beleidigen sie mich. Meine Kunden wollen nur Milch kaufen, vielleicht ein paar Dosen Bier für den späteren Abend, aber die Kids schrecken sie ab.«

»Haben Sie mit ihren Eltern geredet?«

Der Ladeninhaber lachte. »Die sind auch meistens betrunken.«

Auch Jack lächelte. »Aber Sie verkaufen ihnen den Schnaps.«

»Normalerweise kaufen sie ihn woanders und sacken die Sonderangebote ein. Zu mir kommen sie nur, wenn sie auf dem Trockenen sitzen. Oder wenn sie gleich morgens anfangen wollen und keine Lust haben, zum Supermarkt zu fahren.«

»Lässt die Polizei sich häufiger blicken?«

Der Ladeninhaber zog eine Grimasse. »Fast nie. Und wenn sie mal kommt, freuen sich die Kids auf die Verfolgungsjagd. Sie beschimpfen die Cops und hauen ab, sobald sich die Türen des Polizeiwagens öffnen. Manchmal stürzt einer von ihnen, und die Polizei schnappt ihn, aber es passiert nichts.«

»Patrouilliert deshalb hier eine private Sicherheitsfirma?«

»Die Leute fühlen sich dann nicht so wehrlos.«

»Wer bezahlt sie?«

»Wer Interesse daran hat.«

»Wie sieht’s mit Drogen aus? Könnte die Polizei da mehr tun?« »Nein, Drogen spielen hier keine große Rolle. Vielleicht rauchen ein paar Kids Gras, aber meistens geht’s um hochprozentigen Alkohol. Das war schon immer so. Damit will ich nicht sagen, dass hier niemand Drogen nimmt, aber die Kids tun es nicht. Sie haben einfach nur die Schnauze voll.«

»Sie zeichnen nicht gerade ein erfreuliches Bild.«

Der Ladeninhaber nickte und blickte auf das Aufnahmegerät in Jacks Hand. »So wenig wie Sie, wenn Ihr Artikel fertig ist. Darauf wette ich.«

Als Jack widersprechen wollte, zeigte der Ladeninhaber auf die vor ihm liegende Zeitung. »Ich verkaufe sie nicht nur, sondern lese sie auch. Ich habe gesehen, was aus dem Blackley Telegraph geworden ist.« Damit schien er das Interesse an dem Gespräch verloren zu haben.

Jack drehte sich frustriert um und verließ den Laden. Draußen blickte er den vorbeikommenden Autos nach. Meistens waren es alte Vauxhalls und Fords, und die jungen Fahrer sahen nicht so aus, als könnten sie sich die Fahrzeugversicherung leisten. Sein Handy piepte. Er blickte auf das Display und sah, dass es Wilkins war. Er dachte darüber nach, den Anruf nicht anzunehmen, wusste aber, dass er sich die Sympathie des Herausgebers nicht verscherzen durfte.

Er drückte auf die Taste. »Hallo, Mr Wilkins, was kann ich für Sie tun?«

»Schon wieder ein Mord«, sagte Wilkins, der ein bisschen außer Atem zu sein schien. »Das Opfer ist eine junge Frau.«

Jack wusste nicht sofort, was Wilkins meinte, doch dann fiel ihm ein, dass vor ein paar Wochen eine tote junge Frau am Stadtrand in einem Überlaufrohr am Wasserreservoir gefunden worden war. Ein Vater hatte die Leiche bei einem Angelausflug mit seinem Sohn entdeckt.

»Wo wurde sie gefunden?«

Wilkins sagte es ihm, und er war nur eine halbe Meile vom Fundort der Leiche entfernt. »Soll ich die Story übernehmen?«

»Ich rufe Sie nicht an, um Sie über die Neuigkeiten auf dem Laufenden zu halten«, antwortete Wilkins leicht ungehalten.

»Bin schon unterwegs«, sagte Jack, bevor er die Verbindung unterbrach.

Er drehte sich um und lächelte den Ladeninhaber durch das Schaufenster an, doch der reagierte nicht.

Kapitel 3

Es war kurz nach halb zehn, als Laura McGanity am Tatort eintraf. Sie blickte sich um und versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. Jemand war ermordet worden, und nun musste sie beweisen, dass sie die Beförderung zum Detective Sergeant verdient hatte. Neun Monate hatte sie als uniformierte Polizistin gearbeitet, doch nun war sie wieder dort, wo sie sein wollte - bei der Mordkommission. Dies hier war eine Tragödie, und doch empfand sie ein vertrautes Gefühl der Erregung, als sie auf das blau-weiße Absperrband blickte, mit dem der Tatort abgesperrt worden war. Polizisten in Overalls bereiteten sich darauf vor, das Unterholz des Wäldchens nach Spuren und Beweisen zu durchsuchen - Fußabdrücke, ein hingefallenes Stück Papier, vielleicht ein Stofffetzen, der an Dornen oder an einem Ast hängen geblieben war. Noch war das menschliche Drama, das sich hier abgespielt hatte, ein Rätsel, doch nun wurden die Ermittlungen aufgenommen.

Sie hatte einen weißen Schutzanzug und Überschuhe angezogen, und unter der Gesichtsmaske spürte sie ihren heißen Atem auf den Wangen. Ihr war bewusst, dass das Gefühl der gespannten Erwartung nicht lange anhalten würde, denn gleich würde sie die Leiche sehen, die in dem kleinen Wäldchen hinter einer neuen Wohnsiedlung lag. An einigen Stellen war das Rot der Backsteinmauern durch das grüne Laub zu sehen. In einem Augenblick würde sie mit dem ganzen Ausmaß der Tragödie konfrontiert sein. Sie musste hundertprozentig konzentriert sein, damit ihr nichts Entscheidendes entging.

Jetzt tauchte neben ihr Joe Kinsella auf. Er hatte die Kapuze seines Schutzanzugs über das Haar gezogen und trug ebenfalls eine Gesichtsmaske, durch deren Sehschlitze seine sanften braunen Augen zu erkennen waren. Er schien zu lächeln und sagte mit gedämpfter Stimme: »Na los, Detective Sergeant. Dann wollen wir uns mal ansehen, was da passiert ist.«

Auch Laura lächelte hinter der Gesichtsmaske. Die neue Rangbezeichnung war noch ungewohnt, doch dies war nicht der richtige Augenblick, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen, weil sie befördert worden war.

Joe ging vor. Am Fuß des Abhangs floss ein schmaler Bach mit schmutzig braunem Wasser, der in unterirdischen Rohren unterhalb der Siedlung hindurchgeführt wurde. Unter den Platanen und Rosskastanien war es dämmrig, der Boden war dicht mit Efeu überzogen. Man musste aufpassen, dass man nicht stolperte. Joe ging schnell, und Laura musste sich anstrengen, mit ihm Schritt zu halten. Sie war dankbar, dass es nicht geregnet hatte, denn sonst wäre sie vielleicht am Ufer des Baches ausgerutscht. Dort, wo die Leiche lag.

Sie war von Jugendlichen entdeckt worden. Es war nicht klar, weshalb sie in dem Wäldchen gewesen waren. Seitdem war der Fundort abgesperrt. Es wimmelte von Polizisten und Ermittlern der Spurensicherung. Die sensationslüsternen Gaffer waren auf die Straße zurückgedrängt worden. Ein Detective posierte als Journalist. Er hatte sich unter die Schaulustigen gemischt, die sich die Hälse verrenkten, um etwas sehen zu können. Der »Journalist« schoss Fotos, denn möglicherweise war unter ihnen der Mörder, der an den Tatort zurückgekehrt war, um sein Werk zu bewundern. Diese Geschichte mit dem Reporter war Joes Idee gewesen.

Ihr Vorgesetzter, Inspector Karl Carson, wartete bereits neben der Leiche. Er war ein großer, massiger Mann. Kahlköpfig, keine Augenbrauen. Seine blauen Augen blickten sie durch die Sehschlitze seiner Gesichtsmaske an.

»Sieht so aus, als müsste uns das bekannt vorkommen, McGanity.« Er schaute sie an, um ihre Reaktion zu registrieren.

Laura seufzte. Schon wieder. Das machte alles komplizierter, denn es bedeutete, dass es sich nicht um ein Familiendrama handelte und dass der Mörder auch kein gewalttätiger eifersüchtiger Liebhaber war, der seine Tat als die eines anderen erscheinen lassen wollte.

Joe kniete neben der Leiche nieder. Laura wusste, dass er nicht den Kriminaltechnikern die Arbeit abnehmen wollte, sondern nach unscheinbaren Kleinigkeiten Ausschau hielt, die vielleicht Rückschlüsse auf das Tatmotiv zuließen. Das war seine Spezialität. Ihm ging es weniger darum, was geschehen war, sondern darum, warum es passiert war. Sie hatte früher schon mit ihm zusammengearbeitet, und er hatte dafür gesorgt, dass sie nun seit Kurzem erneut bei der Mordkommission war. Es war ein gutes Gefühl, es wieder mit den wirklich wichtigen Fällen zu tun zu haben. Sie war vor ein paar Jahren in den Norden gezogen, nachdem sie zuvor Detective bei der städtischen Londoner Polizei gewesen war. Dort hatte sie sich im Büro mit dem Abschluss von Routinefällen befasst, war aber später selbst kurz in Uniform Streife gefahren, weil das bei Beförderungen gern gesehen wurde. Aber wirklich zu Hause fühlte sie sich bei der Mordkommission.

Sie kniete neben Joe nieder, und als sie die Leiche eingehend betrachtete, wurde ihr klar, dass Karl Carson recht hatte. Damit bestätigten sich die schlimmsten Befürchtungen. Bei dem drei Wochen zurückliegenden Mord hatte es sich nicht um einen Einzelfall gehandelt. Hier gab es unverkennbare Parallelen.

Laura schätzte das Alter der Toten auf Anfang zwanzig - kein junges Mädchen mit noch nicht ausgeprägten weiblichen Rundungen, aber auch keine reife Frau mit bereits etwas faltiger Haut. Am linken Handgelenk hatte sie eine Tätowierung. Ein rosafarbener Schmetterling. Die Leiche war mit Rinde bedeckt gewesen, die der Täter von einem in der Nähe stehenden Baum gerissen hatte, und als die Teenager sie entfernt hatten, kam ihnen ein Schwarm von Schmeißfliegen entgegen. Laura biss die Zähne zusammen, als ihr trotz der Gesichtsmaske der Geruch in die Nase stieg, eine Mischung des Gestanks von Erbrochenem und verdorbenem Fleisch. Sie sah massenhaft Asseln und Maden, die sich des verwesenden Körpers bemächtigt hatten. Der Bauch der Toten war aufgebläht. Laura wusste, dass sie nicht dabei sein wollte, wenn die Leiche auf eine Plastikplane gerollt werden würde, bevor sie vom Tatort weggeschafft wurde. Der Inhalt des Magens würde aus dem Mund der Toten hervorquellen.

Laura wollte sich auf das Gesicht konzentrieren, doch es war schmutzig und entstellt. Sie würde warten müssen, bis die Leiche gesäubert und obduziert worden war. Sie versuchte, emotionslos und professionell distanziert zu sein, wusste aber, dass sie der Anblick dieser ermordeten jungen Frau später noch mehrfach wieder einholen würde.

Sie atmete tief durch und konzentrierte sich erneut auf die Leiche, um sich nichts entgehen zu lassen.

Die Frau war nackt. Ihre Kleidungsstücke lagen nicht zerrissen neben ihr, sondern waren mitgenommen worden. Wie bei dem anderen Fall. Laura sah blaue Flecken und Kratzspuren auf dem Körper, vielleicht von einem Kampf herrührend, auch kleine Schnittwunden auf dem Bauch und den Beinen. Doch nicht das erweckte ihre Aufmerksamkeit, sondern der Mund. Der Täter hatte ihn ihr so sehr mit Erde und Laub vollgestopft, dass die Wangen sich hervorwölbten. An ihrem Hals sah Laura Würgemale. Vermutlich hatte der Mörder sie erdrosselt. Dann glitt ihr Blick zum Unterleib der Toten hinab, und sie musste nicht allzu genau hinsehen, um zu wissen, dass der Täter auch ihre Vagina mit Erde und Laub vollgestopft hatte.

Doch was sie wirklich wütend machte, waren die Tränen. Das Gesicht der Toten war dreckig, und doch sah man die Spuren der Tränen, die ihr über die Wangen gelaufen waren, als die Erde in ihrem Mund sie würgen ließ und sie zu dem Mann aufblickte, der ihrem jungen Leben ein Ende bereiten würde.

»Gibt es wieder eine Beziehung zu uns?«, fragte Laura.

Carson zuckte die Achseln. Er wusste es noch nicht.

Das erste Opfer war die Tochter eines Polizisten aus Blackley gewesen. Ein Racheakt seitens des organisierten Verbrechens war ausgeschlossen worden, da der Vater des Opfers nur ein einfacher uniformierter Polizist war, der mit seinem Streifenwagen in den Straßen patrouillierte und junge Polizisten instruierte, die bald seinen Job übernehmen würden. Über das Privatleben der Frau waren gewisse Gerüchte im Umlauf, sodass jeder geglaubt hatte, sie sei von einem eifersüchtigen Ex-Liebhaber umgebracht worden. Oder von einem untreuen Ehemann, der Angst hatte, dass seine Affäre ans Licht kam.

»Was denken Sie?«, fragte Carson.

Laura fühlte seinen Blick auf sich ruhen, und ihr war klar, dass dies ein Test war. Carson wollte wissen, ob Joe recht gehabt hatte, als er sie für die Mordkommission empfohlen hatte.

Sie atmete tief durch und schaute sich die Leiche noch einmal genau an.

»Sie hat noch gelebt, als er ihr das Zeug da reingestopft hat.« Laura zeigte auf die Vagina der Toten.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Diese Kratzer und kleinen Schnitte an den Beinen sind blutunterlaufen oder blutig.« Sie zeigte auf die bräunlich verfärbten Spuren. »Sie werden entstanden sein, als er ihr Erde und Blätter zwischen die Beine geschoben hat. Es muss geschehen sein, als sie noch lebte, denn Tote bluten nicht.«

Carson nickte. »Warum ist das wichtig?«

»Weil es dadurch wahrscheinlicher wird, dass die Leiche nicht hierhergebracht, sondern dass die Frau hier ermordet wurde. Vielleicht finden wir im Gesicht oder auf den Oberschenkeln seine DNA.«

»Vorausgesetzt, er hat keine Handschuhe getragen.«

Laura zog die Augenbrauen hoch. »Das versteht sich ja wohl von selbst.«

Carson nickte. »Was ist mit ihren Klamotten? Sie wird nicht nackt hergekommen sein.«

»Offenbar kennt er sich aus«, antwortete Laura. »Ihm muss bewusst gewesen sein, dass wir überall seine DNA gefunden hätten. Um eine Identifizierung anhand der Kleidungsstücke zu vermeiden, hat er sie mitgenommen. Dadurch wird es auch wahrscheinlicher, dass er Handschuhe getragen hat, als Vorsichtsmaßnahme. Und er ist cool.«

»Was meinen Sie?«, fragte Carson.

»Sehen Sie sich um.« Laura zeigte auf die umliegenden Häuser, die nicht weit vom Fundort entfernt waren. »Es müsste nur jemand aus seinem Schlafzimmerfenster geblickt oder etwas gehört haben, und wir wären sofort hier gewesen. Im Moment können wir nur hoffen, dass es vielleicht doch einen Augenzeugen gegeben hat.«

»Sonst noch was?«

Wieder schaute Laura auf die Leiche. Sie spürte Carsons durchbohrenden Blick auf sich ruhen und überlegte, was ihr entgangen sein könnte. Aber vielleicht versuchte er nur, sie zu unbegründeten Hypothesen zu verleiten, die er ihr später vorhalten konnte. Sie war nicht die einzige Frau bei der Mordkommission, glaubte aber immer noch, den Männern gegenüber ihre Qualitäten unter Beweis stellen zu müssen. Außerdem hatte sie spöttische Bemerkungen gehört, sie sei Joes neuer Liebling.

Dann ging ihr ein Licht auf.

»Wenn sie noch lebte, als er die Erde in ihre Vagina stopfte, heißt das, dass sie nicht vergewaltigt wurde, als sie starb«, sagte Laura. »Mit dem ganzen Zeug da drin war das nicht möglich, und bei dem, was er danach noch getan hat, ging es nur darum, sie zu erniedrigen.«

Carson neigte den Kopf, und Laura sah durch die Sehschlitze seine Lachfältchen. Es sah wirklich so aus, als lächelte er. Test bestanden.

Laura schaute zu Joe hinüber, der immer noch konzentriert auf die Leiche blickte.

»Woran denken Sie, Kinsella?«, fragte Carson.

Joe ließ sich mit der Antwort Zeit. Das entsprach seiner ruhigen, nachdenklichen Art. Dann stand er auf, und seine Kniegelenke knackten.

»Diese Mordserie wird weitergehen«, sagte er leise.

»Wie kommst du darauf?«, fragte Laura.

»Er hat vorher schon zugeschlagen, und wenn so ein Typ erst mal angefangen hat, hört er nicht mehr auf«, antwortete Joe.

»Ja, wir wissen, dass er es schon einmal getan hat«, sagte Carson stirnrunzelnd. »Vor drei Wochen.«

»Nein, auch vorher schon.« Joe wies mit einer Kopfbewegung auf die Leiche. »Diese Mordmethode ist ein feststehendes Ritual. Die Erde und das andere Zeug, das er ihr in den Mund, die Vagina und in den Anus gestopft hat. Die Ähnlichkeit mit dem letzten Fall ist frappierend. Aber warum tut er es? Niemand setzt darauf, die perfekte Methode gefunden zu haben. Mordmethoden verändern sich. Aber hier? Er ist genauso vorgegangen wie beim letzten Mal.«

Carson seufzte. »Scheint mir etwas weit hergeholt, dass es noch andere Fälle geben soll«, sagte er eher zu sich selbst.

Joe warf Laura und Carson einen beunruhigten Blick zu. »Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sagte er. »Wir müssen ihn schnell schnappen, weil der zeitliche Abstand zwischen den Morden kürzer werden wird.«

»Sind Sie sicher?«

Joe nickte. »Zwischen diesen beiden Morden liegen drei Wochen, aber die Vorgehensweise war identisch. Er hat seine Methode gefunden und mag sie.«

»Warum stopft er sie mit all dem Dreck voll?«, fragte Laura.

Nach einem weiteren Blick auf die Leiche schaute Joe erst Carson und dann Laura an.

»Ich weiß es nicht«, sagte er bedächtig. »Wir werden es herausfinden müssen, wenn wir den Täter fassen wollen. Aber eines weiß ich mit Sicherheit. Er wird es erneut tun.«

Kapitel 4

Jack steckte die Kamera weg, während er weiter aus der Distanz die Aktivitäten am Fundort der Leiche beobachtete.

Er hatte es geschafft, ein paar Schnappschüsse von den Leuten in den weißen Schutzanzügen zu machen, die sich über die Leiche beugten, denn er wusste, dass Wilkins solche Fotos mochte. Und als er das Zoom betätigte, hatte er trotz des Schutzanzugs Laura McGanity erkannt, seine Freundin.

Er lächelte. Nein, nicht Freundin. Seine Verlobte. Mittlerweile waren sie seit ein paar Monaten verlobt, doch in dieser Zeit hatte sich einiges geändert. Laura widmete sich ganz ihrer beruflichen Karriere, und es kam ihm so vor, als sähen sie sich immer nur kurz — Boxenstopps zwischen ihren beruflichen Verpflichtungen. Sie beklagte sich, er zeige kein Interesse und zögere die Hochzeit hinaus, doch es war eher so, dass sie beide keine Zeit hatten, um darüber zu reden. Laura wollte keine pompöse Hochzeitsfeier. Sie war schon einmal verheiratet gewesen, und aus dieser Ehe hatte sie einen Sohn, den achtjährigen Bobby, die größte Freude in ihrem Leben. Jacks Eltern waren tot, und es gab niemanden, der an einer bescheidenen Hochzeitsfeier Anstoß nehmen konnte. Und Laura hatte schon einmal groß in Weiß geheiratet, mit allem Drum und Dran.

Während er Laura beobachtete, wurde ihm klar, dass sie der Grund dafür war, weshalb Wilkins ihn gebeten hatte, die Story zu übernehmen. Der Herausgeber des Blackley Telegraphhoffte auf Insiderinformationen, vielleicht darauf, dass sie beim Abendessen etwas erzählen würde. Doch Jack wusste es besser. Laura würde nichts wirklich Wichtiges preisgeben. Dass sie mir einem Journalisten zusammen war, hatte ihr schon genug Ärger eingebracht. Sie musste sich spöttische Bemerkungen und Anspielungen darauf gefallen lassen, dass sie beim Bettgeflüster Berufsgeheimnisse verriet. Wenn er nur einmal in einem seiner Artikel vergaß, was offiziell bekannt gegeben worden und was Insiderwissen war, konnte Laura ihren Job verlieren.

Die durch das Absperrband vom Fundort der Leiche zurückgehaltene Menge war größer geworden. Einige Leute waren nur Passanten, die zufällig vorbeigekommen und neugierig geworden waren, andere führten an ihren Leinen zerrende Hunde aus, doch der Weg in das Wäldchen war ihnen heute versperrt. Dazu kamen Arbeitslose, die ihre Zeit totschlugen, und Jugendliche auf Fahrrädern und Mopeds. Einige schauten nur in Richtung Fundort, andere rasten in engen Kreisen herum. Alle trugen schwarze Klamotten und hatten trotz des warmen Wetters die Kapuzen aufgesetzt. Sie lachten und redeten laut. Junge Mütter rauchten und tratschten, während zwei Männer gemeinsam eine Dose Tennents tranken, als sie die Polizei bei der Arbeit beobachteten. Am oberen Ende der Straße fuhr ein Streifenwagen über die Kreuzung.

All das trug sich vor und in einem kleinen Wäldchen zu, das zwischen ein paar Häusern lag. Die Polizisten arbeiteten im Dämmerlicht unter den Bäumen. Sie standen in kleinen Gruppen beieinander und diskutierten. Neben einem Laternenpfahl lagen bereits Blumen, obwohl der Name der Toten bisher nicht veröffentlicht worden war.

Jack trat näher an das Absperrband heran. Er hoffte, vielleicht etwas von den Gesprächen der Ermittler aufschnappen zu können, doch eine Polizistin hob gebieterisch die Hand.

»Sie müssen wieder zurücktreten«, sagte sie, und das leichte Beben ihrer Stimme verriet ihm, dass sie noch nicht lange bei der Polizei war.

»Ich bin Journalist.« Er zeigte auf die Stelle, wo die Leiche entdeckt worden war. »Ist die Identität des Opfers schon bekannt?«

»Sie müssen zurücktreten«, wiederholte sie.

»Ich will ja gar nicht weiter näherkommen. Ich will nur erfahren, wer sie ist. Wissen Sie es schon?«

Sie wollte den Kopf schütteln, gebot sich aber Einhalt und hob erneut die Hand. »Bitte, gehen Sie jetzt.«

»Können Sie mir wirklich nichts sagen«, beharrte er. »Wie ist sie gestorben? Und wann?«

»Tut mir leid, aber ich darf Ihnen nichts erzählen«, sagte sie, jetzt mit festerer Stimme. Er wusste, dass er sie verärgert hatte.

Mit einem entschuldigenden Lächeln machte er kehrt, denn ihm war klar, dass er hier gar nichts herausbekommen würde. Er blickte auf die Uhr. Es würde noch einige Stunden dauern, bis die Polizei mit ersten Informationen herausrückte. Also war es an der Zeit, zum Gericht zu fahren und sich deprimierende Geschichten aus den trostlosen Straßen von Blackley anzuhören. Über Kriminalfälle berichtete er nur gelegentlich, die Arbeit als Gerichtsreporter war sein Brotjob. Später würde er noch mit Wilkins über den Whitcroft-Artikel sprechen müssen, denn er hatte das Gefühl, dass trotz der eindeutigen Aussagen des Ladenbesitzers nicht viel dabei herauskommen würde. Vielleicht würde er nach Sonnenuntergang noch einmal hinfahren und sich umsehen.

Für ein paar Augenblicke beobachtete er noch die Schaulustigen, die einen Blick auf etwas zu erhaschen versuchten, das sie eigentlich nicht sehen wollten. Er fühlte sich mies, weil er sich eigentlich gar nicht so sehr von ihnen unterschied. Er hatte einfach nur eine Möglichkeit gefunden, aus dieser abartigen Faszination Geld herauszuholen, das war alles. Als er zu seinem Wagen ging, schenkte ihm kaum jemand Beachtung, und er fragte sich, was ihn bei Gericht erwarten würde.

Der Streifenwagen fuhr langsam an dem abgesperrten Fundort vorbei. Unwillkürlich drehte er sich um, und er hörte ein Ticken. Es war nicht laut, nur ein kratzendes Geräusch in seinem Kopf, das ihn nicht ablenkte oder dazu veranlasste, die Augen zu schließen.

Er musste lächeln. Jetzt war es so weit. Wenn man bedachte, dass der Pfad in dem Wäldchen von Joggern und Hundehaltern benutzt wurde, hatte es ziemlich lange gedauert, bis die Leiche gefunden worden war. Er musste sie gut versteckt haben.

Er wandte sich ab, als er bemerkte, dass Leute ihn anstarrten. Das Geschnatter der Menge. Jemand schoss Fotos. Wie dumme Schafe auf dem Weg zur Hürde. Wenn das Absperrband riss, würden sie alle sofort lostrotten. Sie hätten es genauso machen können wie er, doch sie hatten kein Rückgrat, wie Blutegel, und suchten eine Erregung aus zweiter Hand.

Und dann blitzten in seiner Erinnerung Bilder auf, grelle Schnappschüsse, wie sich ihre Kleidung beim Gehen auf ihrer weichen Haut bewegt hatte, jung und makellos. Sie hatte nichts geahnt. Nur ein weiterer Samstagabend. Dann dieser Blick in ihren Augen. Erst Angst, dann Wut, dann wieder Angst, als ihr bewusst wurde, dass ihre Stunde geschlagen hatte.

Und da war er wieder, wie immer, dieser überscharfe Blick, mit dem er alles klarer und detaillierter sah, als es mit bloßem Auge möglich gewesen wäre. Ihre Pupillen, schwarze Kreise, in denen er auch noch andere Farben sah, ein dunkles Grün und ein tiefes Blau. Der Speichel, der aus ihrem Mund tropfte, als er sie zu Boden schleuderte. Ihr Husten, als er ihr die Erde in den Mund stopfte. Sie hatte sie ausgespuckt, er sah den Dreck im Licht der untergehenden Sonne. Es waren nur kleine Flecken, doch er konnte ihre Form genau erkennen. Er erinnerte sich an das Weiße ihrer Augen, die Äderchen, die geplatzt waren in nadelstichgroßen roten Explosionen, als sich das Blut staute.

Er musste grinsen, als er die vertraute sexuelle Erregung spürte, während er daran dachte, wie sie sich zu wehren versucht hatte. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde. Hatte darauf gewartet. Er mochte es, dieses Gefühl, mochte es auch, es zu kontrollieren. Er konnte die Erregung beherrschen und den Zeitpunkt aufschieben, wo er sich zwischen die Beine greifen und selbst befriedigen würde in Gedanken daran, wie sie sich erst gewehrt und dann den Kampf aufgegeben hatte, bevor ihr Körper schlaff wurde.

Er verabschiedete sich mit einem Salut von der Menge, doch niemand bemerkte es.

Kapitel 5

Laura lehnte sich an ihren Wagen und zog den Schutzanzug aus. Die Kapuze hatte ihr langes, dunkles Haar zerzaust, und sie blickte in den Seitenspiegel, um ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Das Mordopfer war auf eine Plastikplane gerollt, in einen Sack verfrachtet und zur Leichenhalle gebracht worden. Jetzt war es an der Zeit, nach Fingerabdrücken zu suchen. Sie sah die Reihe von Polizisten in blauen Overalls, die gleich durch das Unterholz kriechen würden. Joe hatte die Kapuze abgenommen und blickte zu der Stelle hinüber, wo die Leiche gefunden worden war. Carson saß in seinem Auto und telefonierte.

Laura zog die Jacke ihres Hosenanzugs aus dem Auto. »Woran denkst du, Joe?«

Er antwortete nicht sofort. Sein Blick war auf die Stelle gerichtet, wo der Bach in Rohren unter der Siedlung hindurchgeführt wurde. Dann drehte er sich um.

»Irgendwas stimmt hier nicht«, sagte er.

»Was meinst du?«

»Den Ort. Für mich ergibt das keinen Sinn. Warum hier?«

»Darüber habe ich auch schon nachgedacht.« Sie blickte zu den Häusern hinüber, deren Gartenzäune nicht weit vom Tatort entfernt waren.

»Abgelegen ist dieser Tatort wirklich nicht«, fuhr Joe fort. »Hätte sie auch nur einmal geschrien, wären all diese Lichter angegangen, und was für einen Fluchtweg gibt es hier? Nur den zur Straße, denn weiter unten im Wald hätte er kein Auto abstellen können. Wenn jemand etwas gehört hätte, wäre er leicht zu fassen gewesen.«

»Vielleicht ist sie einfach nur zufällig vorbeigekommen«, sagte Laura. »Du weißt schon, zur falschen Zeit am falschen Ort.

Möglicherweise hat er sich dort versteckt und darauf gewartet, jemanden zwischen die Büsche ziehen zu können.«

»Das ändert nichts«, sagte Joe. »Es sind einfach zu viele Häuser in der Nähe. Was, wenn sie sich gewehrt hätte? Wenn sie geschrien oder wegzurennen versucht hätte? Die ganze Siedlung hätte es gehört. Und du hast gesehen, wie er die Leiche zurückgelassen hat. Er hat sie nur mit Blättern und Rinde bedeckt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie gefunden wurde.« Er seufzte. »Nein, irgendwas stimmt hier nicht.«

»Vielleicht hältst du den Mörder für zu intelligent«, sagte Laura. »Denk daran, wie viele Täter wir fassen, weil sie Dummheiten machen.« Sie blickte noch einmal in den Spiegel, um ihre Frisur zu richten, und zog schnell den Kopf zurück, als ihr ein paar graue Strähnen auffielen. »Also, was denkst du?«

»Er muss hinter dieser Frau her gewesen sein. Das war kein Zufall.« Er blickte zu der Stelle hinüber, wo die Leiche entdeckt worden war. »Diesen Ort muss er gewählt haben, weil er nur hier an sie herankam. Wir müssen alles über die Opfer in Erfahrung bringen. Zuerst über das letzte.«

Carson stieg stöhnend aus seinem Auto.

»Möglicherweise haben wir ihren Namen«, sagte er. »Jane Roberts.«

»Nie gehört«, sagte Laura.

»Ich bin ihr auch nie begegnet«, antwortete Carson. »Aber ich kenne Don Roberts, ihren Vater.«

Auch der Name sagte Laura nichts, aber ihr fiel Joes überraschter Gesichtsausdruck auf.

»Der Don Roberts?«, fragte er.

Carson nickte. »Sie wurde gestern als vermisst gemeldet, weil sie am Wochenende nicht zurückgekommen ist.«

»Wie sicher können wir sein, dass sie die Tote ist?«, fragte Joe.

»Die Beschreibung passt, und sie wohnte nicht weit von hier.«

»Heute ist Mittwoch«, sagte Laura. »Warum sollte dieser Don Roberts sie erst gestern als vermisst gemeldet haben?«

Joe schaute sie an. »Weil er dafür bei uns anrufen muss. Don Roberts kann kein Interesse daran haben, dass wir uns näher mit ihm beschäftigen. Wir kennen ihn schon lange. Er war Blackleys brutalster Türstehen, bevor er Chef einer Gruppe von Rausschmeißern wurde, die er für gutes Geld an die Clubs ausleiht. Er lässt seine Leute auch Krallen an den Autos der Clubgäste anbringen. Sie müssen blechen, wenn sie losfahren wollen. Und glaub’s mir, ich würde lieber zahlen, als mich mit ihnen anzulegen.«

»Aber warum konnte er sich nicht trotzdem eher melden?«

»Wie gesagt, er kann nicht scharf darauf sein, dass wir in seinem Leben herumwühlen. Er macht jede Menge Geld, sehr viel mehr, als sich durch die Nummer mit den Radkrallen verdienen lässt. Eines ist sicher: Wir haben ein echtes Problem.«

»Was genau meinst du?«

»Wir haben zwei Fälle. Entweder wurden die Opfer gezielt ausgesucht, oder sie hatten einfach Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein. Wir müssen uns erneut mit dem letzten Mord befassen und überprüfen, ob es irgendeine Verbindung zu Don Roberts gibt. Sollte es so sein, müssen wir mit Rachemorden rechnen.«

»Und wenn sie doch nur Pech gehabt hat?«, fragte Laura.

Carson musste fast lächeln. »Der Mörder kann nur hoffen, dass wir ihn zuerst in die Finger kriegen. Wenn Roberts ihn schnappt, ist er geliefert, und es wird ein langer und qualvoller Tod werden.«

Kapitel 6

As er sein Ziel erreicht hatte, lächelte Jack, obwohl in dem düsteren Gerichtsgebäude von der Wärme der Sonne nichts mehr zu spüren war.

Die Fahrt nach Blackley hatte ihm gutgetan. Er hatte das Verdeck seines Triumph Stag zurückgeklappt, den Wind in seinen Haaren gespürt und nicht mehr die ganze Zeit über an den grauenhaften Mord denken müssen. Er war mit hohem Tempo durch die von Reihenhäusern gesäumten Nebenstraßen gefahren, um den vielen Ampeln im Zentrum auszuweichen. Er mochte das Echo des Motorgeräuschs, das von den Hauswänden zurückgeworfen wurde, raste zwischen den auf beiden Straßenseiten vor den Backsteingebäuden geparkten Autos hindurch.

Den Triumph Stag hatte er von seinem verstorbenen Vater geerbt, und er musste nur das Lenkrad berühren, um sich an die Vormittage der Samstage zu erinnern, die er in seiner Kindheit immer gemeinsam mit seinem Dad verbracht hatte.

Er blickte an dem dreistöckigen Backsteingebäude mit den hohen Fenstern empor. Weiter oben waren dekorative Säulen in Mauernischen eingelassen. Einst hatte sich die Polizeiwache direkt nebenan befunden. Die Untersuchungshäftlinge betraten durch eine schwere Stahltür am Ende eines von Zellen gesäumten Korridors das Gerichtsgebäude. Ein paar Stufen, dann mussten sie blinzeln, weil sie das helle Licht in dem Gerichtssaal blendete, als sie auf der Anklagebank Platz nahmen. Jetzt befand sich die Polizeistation in einem großen Bürokomplex an der Autobahn. Das Gerichtsgebäude war einer Sanierung entgangen; die Säle waren noch immer zugig und hatten eine schlechte Akustik. Heutzutage wurden die Häftlinge in Polizeiautos gebracht und in Handschellen in das Gerichtsgebäude geführt.

Jack näherte sich dem Eingang ohne große Erwartungen. Er hielt immer nach ungewöhnlichen Fällen Ausschau und lauschte dem Geplauder der Verteidiger und Staatsanwälte, die sich nie die Gelegenheit entgehen ließen, eine amüsante oder schockierende Story zu erzählen. Da die interessantesten Fälle nur selten nach einer Sitzung abgeschlossen waren, führte er einen Terminkalender, um die Fortsetzung der Prozesse nicht zu verpassen.

Er stieg die Stufen vor dem Gericht hoch und wunderte sich, wie still es in dem Gebäude war. Normalerweise schlug einem hier ein Stimmengewirr entgegen, und es roch nach Tabak, Schnaps und Schweiß. Heute war alles anders. Seine Schritte hallten in den langen, gelblich beleuchteten Korridoren, die zu beiden Seiten von Besprechungs- und Vernehmungszimmern gesäumt waren. Das Gebäude war fast verwaist, nur vor einer Tür warteten drei Leute, die apathisch ins Leere starrten. Er blickte auf die Uhr. Kurz nach elf. Zu früh, um mit dem Programm des Morgens schon durch zu sein.

Es hätte mehr los sein müssen. Als Kriminalberichterstatter war er fasziniert von Storys über das Böse. Er hatte sich schon immer für das Verbrechen interessiert, von den Fernsehkrimis seiner Kindheit bis zu den Gefängniskonzerten von Johnny Cash, die sein Vater permanent hörte. Der war Polizist gewesen, und Jack erinnerte sich daran, wie stolz er auf ihn gewesen war, wenn er morgens in einer perfekt gebügelten Uniform und mit blank gewienerten Stiefeln das Haus verlassen hatte, um auf Verbrecherjagd zu gehen. Als er älter wurde, war das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater nicht mehr so eng. Nach dem Tod von Jacks Mutter zogen sich beide in sich selbst zurück. Aber in jüngeren Jahren war der Vater Jacks persönlicher Superheld gewesen.

Er blickte zu den Sicherheitsbeamten am Eingang hinüber. Sie trugen makellos weiße Hemden und hielten Schlagstöcke in den Händen. Wahrscheinlich freuten sie sich schon aufs Mittagessen und zählten die Minuten, bis es so weit war. Also das sollte es gewesen sein? Für ihn, Jack Garrett, den Starreporter? Er seufzte. Hier war heute nichts zu holen.

In dem kleinen Raum der Pflichtverteidiger, wo gewöhnlich gelangweilte Anwälte mit ihren Mandanten sprachen oder darüber lamentierten, dass für sie der Zug abgefahren sei, um noch Karriere zu machen, war etwas mehr los.

Er steckte den Kopf durch die Tür und fragte, ob jemand einen interessanten Fall für ihn habe. Allgemeines Kopfschütteln, dann Stille. Sie sprachen mit ihm, wenn sie auf Publicity aus waren oder mit ihrer Schlagfertigkeit angeben wollten, doch er wusste, dass er nie zu ihnen gehören würde. Sein langes blaues Hemd und die verwaschenen Jeans passten nicht zu den dunklen Nadelstreifenanzügen. Einige lösten Kreuzworträtsel, die jemand aus den überregionalen Zeitungen kopiert und im Gericht verteilt hatte. Sam Nixon war da, dessen kleines Anwaltsbüro über einem Copyshop lag. Im Wartezimmer standen abgewetzte Sofas und Plastikpflanzen.

»Nichts zu tun, Sam?«

Er schüttelte den Kopf. »Magere Zeiten, Jack.«

»Ich komme gerade von einem Tatort, wo schon wieder die Leiche einer jungen Frau gefunden wurde.« Das ließ alle aufblicken. »Ob du vielleicht wieder etwas zu tun bekommst, wenn sie den Mörder fassen?«

Sam lächelte. »Ja, vielleicht habe ich dann wieder mal für ein paar Monate was zu tun.«

Jack blickte zu dem Staatsanwalt hinüber, der mit seinem Smartphone herumspielte. »Für ihn könnte es dann auch wieder Arbeit geben.«

»Ich bezweifle es«, bemerkte Sam. »Mit dem ist nichts anzufangen, er ist schon komplett eingerostet.«

Der Staatsanwalt blickte auf und zog die Augenbrauen hoch, die wie seine Koteletten zu ergrauen begannen. »Meine Arbeit hat Substanz«, sagte er grinsend. »Das Problem mit den Strafverteidigern ist, dass sie nur eine Schau abziehen.« Als auf den Flur lauter werdende, rhythmische Schritte zu hören waren, zeigte er auf die Tür. »Er ist ein gutes Beispiel dafür, wie recht ich habe.«

Schon bevor er ihn sah, wusste Jack, wer da kam: David Hoyle.

Er unterschied sich von den anderen Strafverteidigern. Die meisten Anwälte in Blackley waren Abkömmlinge alteingesessener Familien. Seit Ewigkeiten waren die Kanzleien von einem Sprößling der nächsten Generation übernommen worden. Hoyle war ein Außenseiter. Er war nach Blackley gekommen, um die neue Zweigstelle von Freshwaters zu übernehmen, einer Kanzlei aus Manchester, die auch außerhalb der Großstadt Fuß fassen wollte. Damit hatte niemand gerechnet. Hoyle war einfach eines Tages bei Gericht aufgetaucht, in einem Anzug mit breiten Nadelstreifen und mit einem großspurigen Auftreten.

Die anderen Anwälte mochten ihn nicht, weil er mit überzogenen Versprechungen Mandanten abwarb. Der durchschnittliche Kleinkriminelle wollte gewöhnlich nur einen Anwalt, der möglichst weit die Klappe aufriss, und genau das tat Hoyle. Und er hatte keine Kanzlei. Freshwaters besaß ein Grundstück, doch das war eigentlich nur ein Parkplatz für Hoyles Mercedes. Er arbeitete zu Hause, verzichtete auf eine Sekretärin und tippte selbst. Seine Mandanten suchte er da auf, wo sie gerade waren.

Der aktuelle Mandant trottete hinter ihm her, ein Mann mit gerötetem Gesicht. Er trug einen grauen Anzug, dessen Jacke über seinem Bauch spannte. Die Hosen waren perfekt gebügelt, die Schuhe blank poliert. Das war nicht der übliche Kunde, den man hier bei Gericht erwartete. Plötzlich drehte sich Hoyle um, um seinem Mandanten lächelnd die Hand zu schütteln, doch seine Miene ließ Jack vermuten, dass die Dinge nicht in seinem Sinn gelaufen waren.

Vielleicht würde er doch noch seine Story bekommen. Ein entehrter Geschäftsmann, daraus ließ sich immer Kapital schlagen. Er tastete in seiner Tasche nach der Kamera. Erst das Foto,

dann die Story. Wenn ein hämischer Nachbar das Gesicht wiedererkannte, ließen sich mehr Zeitungen verkaufen. Das war ein unangenehmer Aspekt seines Jobs, doch er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass man von ihm genau die Storys verlangte, die die Leute lesen wollten. Mit einem schlechten Gewissen ließ sich keine Auflage machen.

Er folgte den beiden, als sie zur Treppe und dann zum Ausgang gingen.

Hoyle war am Fuß der Treppe stehen geblieben, um seine Krawatte zu richten und seine Frisur in Ordnung zu bringen, wobei er die Glasscheibe in einer Tür als Spiegel benutzte. Dann zündete er sich eine Zigarette an.

»Ich bin einfach zu gut, um in diesem Laden zu enden«, sagte er zu seinem Spiegelbild. Dann wandte er sich um und blies Jack, der hinter ihm aufgetaucht war, Zigarettenrauch ins Gesicht. »Nervös, Mr Zeilenschinder?«

»Wo ist Ihr Mandant?«, fragte Jack.

Hoyle zog an seiner Zigarette und inhalierte tief. »Was wollen Sie denn von dem armen Mann?« Er hob mahnend einen Zeigefinger.

»Wenn nichts los ist, kann ich nicht wählerisch sein.«

»Hatten Sie zu Beginn Ihrer Karriere nicht mal größere Ambitionen?«, fragte Hoyle. »Bestimmt wollten Sie reisen, Präsidenten interviewen und Verschwörungen aufdecken.«

»Wovon reden Sie?«

Hoyle stieß grinsend den Rauch aus und zeigte auf die Treppe. »Wollten Sie hier landen, als sie die Journalistenschule verließen, oder wo immer sonst Typen wie Sie Ihr Examen machen? Wollten sie da auch schon Leute in den Dreck ziehen, weil sie einmal vom rechten Weg abgekommen sind?«

»So ist das nicht«, sagte Jack verärgert.

»Wie dann?«

»Bei uns herrscht Pressefreiheit. Es geht darum, die Leute wissen zu lassen, was um sie herum vorgeht und wo Gefahren

lauern. Im Laufe der Jahre ergibt sich aus solchen Artikeln die Geschichte einer Stadt.«

Hoyle zog die Augenbrauen hoch. »Wenn es Ihnen dadurch besser geht.«

»Wodurch?«

»Dass Sie sich selbst schmeicheln und Ihren Job schönreden«, sagte Hoyle. »Das ist doch alles Unsinn, dieses Gerede von der Pressefreiheit.«

»Und war es Ihr Karriereziel, hier zu landen«, fragte Jack gereizt. »Haben Sie schon immer davon geträumt, in einer Provinzstadt in Lancashire Plädoyers vor gelangweilten Gemüsehändlern zu halten? Warum sind Sie hier? Haben Sie in der Metropole versagt?«

»Wir sind beide Parasiten, ein notwendiges Übel«, sagte Hoyle leise, während er einen Schritt auf Jack zutrat. »Ein gerechtes Justizsystem ist unverzichtbar in unserer freiheitlichen Gesellschaft. Ist es nicht so, Mr Zeilenschinder? Wie eine freie Presse.« Er zog eine Grimasse. »Doch ich bin nicht deshalb in diesem Geschäft. Ich mag dieses Spiel, und wenn das einschließt, dass ich Schuldigen dabei helfe, ungeschoren davonzukommen, dann ist es eben so. Es ist alles nur ein Spiel, und Sie wissen es. Auch wenn alles gegen mich spricht, ich muss dafür sorgen, dass meine Mandanten der verdienten Straße entkommen und sich über das Justizsystem totlachen, wenn sie freigesprochen werden und das Gericht verlassen. Ihnen gefällt das auch, weil Sie sich dann in Ihren Artikeln empören können. Ich mag meinen Job, liebe die Herausforderung. Wie sieht ’s bei Ihnen aus, Schreiberling?«

Jack rollte die Augen. »Denken alle Strafverteidiger so wie Sie?«

Hoyle lachte. »Tief in ihrem Inneren bestimmt, aber einige sind wie Sie und bemänteln das Ganze mit blödsinnigem Gerede. Dieses ganze Gequatsche über den Schutz unserer Freiheiten, das ist alles Unsinn. Es ist ein schmutziges Spiel, und man kann sich den Job nicht aussuchen, das tun die Mandanten für einen. Bei Ihnen wird es Zeit, dass Sie sich selbst gegenüber ehrlich sind und auf die hohlen Phrasen verzichten. Das ist nur Geschwätz. Sie sind nicht besser als am Gartenzaun tratschende Nachbarn, die sich am Unglück eines anderen ergötzen. Gott helfe uns, wenn die Welt wirklich so schlecht ist, wie die Zeitungen sie darstellen.«

»Ich kann es nicht fassen, dass ich mit einem Anwalt über moralische Fragen debattiere«, sagte Jack.

Hoyle blickte auf die Uhr, zwinkerte und schnippte den Zigarettenstummel durch die offene Tür auf den Bürgersteig. »Sie haben sich aufhalten lassen«, sagte er grinsend. »Mein Mandant müsste jetzt bereits in seinem Wagen sitzen. Das mit dem Foto können Sie vergessen.«

Jack seufzte. War Hoyle irgendwann mal nicht im Dienst?

»Sie müssen damit aufhören, hier Ihre Zeit zu vergeuden.« Hoyle zeigte auf die Treppe vor dem Gericht. »Suchen Sie sich mal eine anständige Story.«

»Geben Sie mir einen Tipp.«

Hoyle lächelte. »Eine gute Story hat immer etwas mit mir zu tun.« Er klopfte Jack auf die Schulter. »Beim nächsten Mal sollten Sie meinem Mandanten die Fragen stellen, nicht mir. Meine Aufgabe ist es, ihn jederzeit zu beschützen.« Er klemmte sich seine braune Aktentasche unter den Arm und verschwand.

Jack lehnte sich an den Türrahmen und blickte ihm nach. Durch Typen wie Hoyle war es in diesem Gerichtsgebäude weniger langweilig. Und Hoyle hatte recht, wenn er ihm unverblümt zu verstehen gab, dass er einen neuen Anfang machen musste, statt weiter Artikel über Mordfälle und Gerichtsreportagen zu schreiben.

Dolby Wilkins hatte die Rezession als Vorwand für Rationalisierung und Kostensenkung benutzt. Doch es ging nicht nur darum. Die Zeitungen veränderten sich. Da die Leute wegen der Nachrichten ins Internet gingen, konnten sich die Zeitungen den Luxus eines Kaders fest angestellter Journalisten nicht mehr leisten. Wilkins beschäftigte nur noch zwei davon, der Rest wurde von Freiberuflern erledigt. Und da es immer die Konkurrenz junger Nachwuchsjournalisten gab, schrieb Jack einfach, was Wilkins von ihm verlangte. Seit fast einem Jahr hatte er keinen Artikel mehr geschrieben, dessen Thema er sich selbst ausgesucht hatte. Deshalb war er nicht freier Journalist geworden, doch er wusste, dass er am Ende war, wenn Wilkins sich andernorts nach Beiträgen umsah. Er hatte darüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben, doch an den Tagen, die er dafür reserviert hatte, litt er an einer Schreibblockade und brachte nichts zustande.

Aber das Problem lag tiefer. Die Gerichtsreportagen waren zur bequemen Routine geworden, weil es zu gefährlich war, sich um die wirklich großen Storys zu kümmern. Kriminelle waren üble Subjekte, darüber machte sich in diesem Job niemand Illusionen, doch Journalisten genossen nicht denselben Schutz wie Polizisten oder Anwälte. Sie waren Außenseiter, die sich einmischten und die Hauptakteure verärgerten. Er hatte die Nase voll von den Risiken. Zweimal war er schon übel körperlich verletzt worden.

Er lächelte traurig, als Hoyle nicht mehr zu sehen war. Dann musste er wieder an den Mord denken. Und an die Frau, die vor drei Wochen umgebracht worden war. Zwischen den beiden Todesfällen war offiziell noch keine Verbindung hergestellt worden, doch er sollte es tun in seinem Artikel. Wenn die identische Mordmethode bestätigt wurde, musste seine Story druckreif sein. Bestimmt war es ein guter Start, wenn er die Familie des ersten Opfers aufsuchte.

Er blickte noch einmal in die Halle des Gerichtsgebäudes. Da immer noch nichts los war, ging er zu seinem Kabriolett, das er etwas weiter unten an der Straße geparkt hatte. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Artikel über die beiden Mordfälle konzentrierte.

Kapitel 7

Laura biss nervös auf ihrer Unterlippe herum, als sie sich mit Carson dem Haus von Don Roberts näherte, einem zurückgesetzten, rötlich leuchtenden Backsteinbau mit Doppelfenstern und Säulen unter der Veranda. Ein riesiges Panoramafenster ging auf den Rasen hinaus. Das hatte Laura nicht erwartet. Joe hatte Don Roberts als Kriminellen porträtiert, sodass sie nicht mit einem vergleichsweise normalen Vorstadthaus gerechnet hatte. Aber sie hatte zu beiden Seiten der Haustür die steinernen Löwen gesehen, die bei Kriminellen offenbar dazugehörten. Vor dem Haus stand ein schnittiger schwarzer Audi RS8. Auch wenn Roberts’ Haus das luxuriöseste in der Straße war, vermutete Laura, dass die Nachbarn auf ihn herabblickten.

Da sie direkt vom Tatort hergekommen waren, hatten sie nicht viel Zeit gehabt, um sich eine Strategie zurechtzulegen. Als Carson sie anblickte, nickte Laura. Sie war bereit.

Das Stahltor vor der Auffahrt quietschte laut, als sie es aufstieß. Schlechte Nachrichten überbringen, das war der Teil ihres Jobs, den sie am meisten hasste. Wenn in diesem Haus überhaupt jemals etwas wie Normalität geherrscht hatte, war es damit jetzt für immer vorbei.

Carson ging vor und klopfte energisch an die Haustür. Laura sah die Überwachungskamera in einer dunklen Ecke der Veranda. Eine Frau öffnete. Ihr zu einem Pferdeschwanz zurückgebundenes Haar war blond gefärbt und an den Wurzeln dunkler. Ihre Oberlippe war gepierct, und die Falten um ihre Mundwinkel verrieten, dass sie eine starke Raucherin war.

»Helen Roberts?«, fragte Carson.

Sie nickte und griff mit einer Hand nach dem Türpfosten. Ihr Blick war hart, ganz so, als wäre sie an regelmäßige Besuche der Polizei gewöhnt. Laura wusste, dass sie sofort erkannt hatte, wer vor ihrer Tür stand. Aber sie wirkte auch verunsichert. Schlechte Nachrichten oder nur ein weiterer sinnloser Durchsuchungsbeschluss ?

Carson lächelte sie mitfühlend an. »Dürfen wir reinkommen?«

Sie wurde bleich. »Warum?«

»Es wäre wirklich besser, wenn Sie uns hereinbitten würden.« »Geht es um Jane?«

Carson schwieg gerade lange genug, um sie die Wahrheit erahnen zu lassen, und sie riss geschockt die Augen auf.

Sie schien sich schnell wieder zu fangen, musste aber trotzdem schwer schlucken, als sie die entscheidende Frage stellte. »Haben Sie sie gefunden?«

Carson trat auf sie zu und seufzte tief. »Hat sie eine Tätowierung am Handgelenk? Einen Schmetterling?«

Mrs Roberts ließ den Türpfosten los und fiel weinend zu Boden.

Carson blickte Laura an und trat vor, um der Frau wieder auf die Beine zu helfen.

Jack durchwühlte auf der Suche nach dem Namen des ersten Mordopfers die in seinem Auto herumliegenden Zeitungen. Dann hatte er ihn gefunden - Deborah Corley. Er erinnerte sich an ihr Haus. An dem Tag, als man ihre Leiche gefunden hatte, war er dort vorbeigefahren, doch einer der fest angestellten Journalisten war ihm zuvorgekommen. Die Zeitungen lagen auf dem Beifahrersitz, und er blickte auf die Bilder von Deborah und die gestellten Fotos ihrer trauernden Eltern. Auf einem hielt die Mutter eine gerahmte Fotografie ihrer Tochter über ihrem Knie.

Das Heim der Corleys war eine große viktorianische Doppelhaushälfte am Stadtrand von Blackley mit einem quadratischen Blumenbeet hinter einer niedrigen Mauer. Der rote Backstein des Hauses war nachgedunkelt und stellenweise mit Moos bewachsen. Neben der Eingangstür hing ein Blumenkorb, und die Vorhänge hinter den Schiebefenstern mit den weiß gestrichenen Rahmen waren ordentlich zurückgezogen.