Wer in den Schatten lebt - Neil White - E-Book
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Wer in den Schatten lebt E-Book

Neil White

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Beschreibung

Das Böse lauert im Verborgenen: Der abgründige Psychothriller »Wer in den Schatten lebt« von Neil White jetzt als eBook bei dotbooks. Ein schrecklicher Fund erschüttert die nordenglische Kleinstadt Blackley: In einer friedlichen Wohnsiedlung wird die entstellte Leiche einer jungen Frau gefunden, Zunge und Augen in einem perversen Ritual herausgeschnitten. Zur gleichen Zeit werden immer wieder Kinder nachts aus ihren Betten entführt, nur um wenige Tage später wieder aufzutauchen – traumatisiert, ohne jegliche Erinnerung an das Geschehene. Die junge Polizistin Laura McGanity, die gerade erst mit ihrem kleinen Sohn nach Blackley gezogen ist, stürzt sich in die Ermittlungen, fest entschlossen, den Täter zu finden – und ahnt dabei nicht, dass dieser schon längst ihre eigene Familie ins Visier genommen hat … »Unmöglich aus der Hand zu legen.« Booksellers Magazine Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Thriller »Wer in den Schatten lebt« von Neil White ist der erste Band seiner Lancaster-Killings-Serie, deren Bände voneinander unabhängig gelesen werden können. Für alle Fans der Bestseller von Val McDermid! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 612

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Über dieses Buch:

Ein schrecklicher Fund erschüttert die nordenglische Kleinstadt Blackley: In einer friedlichen Wohnsiedlung wird die entstellte Leiche einer jungen Frau gefunden, Zunge und Augen in einem perversen Ritual herausgeschnitten. Zur gleichen Zeit werden immer wieder Kinder nachts aus ihren Betten entführt, nur um wenige Tage später wieder aufzutauchen – traumatisiert, ohne jegliche Erinnerung an das Geschehene. Die junge Polizistin Laura McGanity, die gerade erst mit ihrem kleinen Sohn nach Blackley gezogen ist, stürzt sich in die Ermittlungen, fest entschlossen, den Täter zu finden – und ahnt dabei nicht, dass dieser schon längst ihre eigene Familie ins Visier genommen hat …

Über den Autor

Neil White wuchs in Yorkshire auf. Seit seiner Kindheit begeistert ihn nichts so sehr wie die Musik von Johnny Cash und Bücher, vorzugsweise Science Fiction und Kriminalromane. Während seines Jura-Studiums packte ihn die Lust, selbst zu schreiben. Heute ist Neil White der erfolgreiche Autor zahlreicher Spannungsromane.

Die Website des Autors: neilwhite.net/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Thriller-Serie »Lancashire Killings« mit den Einzelbänden:

»Wer in den Schatten lebt«

»Wo die Angst regiert«

»Wenn der Hass entbrennt«

»Wen die Rache treibt«

Außerdem erschienen bei dotbooks die seine Thriller »Die Stimme des Verrats« und »Ein tödlicher Verdacht«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Lost Souls« bei Avon/HarperCollinsPublishers, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Was aus den Schatten steigt« bei Weltbild, Augsburg.

Copyright © der englischen Originalausgabe Neil White 2008

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2010 Verlagsgruppe Weltbild GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Andrei Nekrassow, Evannovostro, Simon Edge, Marcin Perkowski

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98952-000-4

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Neil White

Wer in den Schatten lebt

Thriller

Aus dem Englischen von Ralph Sander

dotbooks.

Für Alison

Kapitel 1

Der alte Mann wandte sich ab, schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu, doch die Übelkeit erregenden Bilder wollten ihn nicht loslassen. Er versuchte sie zu vertreiben, blinzelte heftig mit den Augen und begann auf und ab zu gehen. Aber es half einfach nichts. Er fand sich jedes Mal dort wieder, von wo aus er losgegangen war, nämlich gleich neben ihr.

Sie war an einen Stuhl gefesselt, die Arme auf den Rücken gedreht und an den dünnen Holzstäben der Lehne festgezurrt. Blut bedeckte ihr Gesicht und hatte sich in großflächigen Spritzern auf ihrer Bluse verteilt. Er betrachtete seine Hände, an denen Blut klebte.

Erneut schloss er die Augen, doch die Geräusche waren viel schwerer auszublenden. Selbst wenn er sie nicht sehen konnte, waren diese Geräusche da, so wie Echos, die ihn unablässig an das Geschehene erinnerten.

Er blieb stehen und atmete mehrmals tief durch. Er wollte sich an die Frau erinnern können, die er zu ihren Lebzeiten gekannt hatte. Eine witzige, vor Leben sprühende Frau, die immer ein Lächeln auf den Lippen trug. Das war das Bild, das er sich bewahren wollte. Nicht das, das ihm in diesem Raum präsentiert wurde, nicht diese groteske Fratze, die nichts mehr von dem Menschen besaß, der ihm vertraut gewesen war.

Aber er konnte das Bild nicht abschütteln. Er hatte sie gesehen, als sie noch lebte, und nun sah er sie als Tote. Doch das war nicht alles, denn er hatte sie auch sterben sehen, die Augen vor Schmerz und Angst weit aufgerissen, während das Messer näher kam. Sie hatte gewusst, was sie erwartete.

Er ging schneller im Raum auf und ab, Tränen strömten ihm übers Gesicht. Er ballte und öffnete seine Fäuste, sah hoch und hielt sich dann einmal mehr die Ohren zu, um die Geräusche zu ersticken, die abermals auf ihn einstürmten. Er hatte ihr letztes Wort gehört, das sie zwischen zusammengebissenen Zähnen herausgepresst hatte. Es war wie ein gutturales Stöhnen über ihre Lippen gekommen, doch er wusste, um welches Wort es sich handelte. Das Wort Nein. Sie hatte versucht, Nein zu sagen.

Er holte tief Luft und blieb stehen. Langsam drehte er sich um und schaute sie an. Sie saß noch immer genauso dort. Er legte seinen Kopf in den Nacken und schluchzte, dann sank er auf die Knie. So verharrte er und schaukelte leicht vor und zurück, während er seine Tränen zurückzuhalten versuchte.

Nach ein paar Minuten stand er auf und näherte sich langsam dem Stuhl. Mit dem Handrücken strich er zärtlich über die Wange der Frau, deren Haut sich unter seinen Fingern sanft anfühlte. Aber sie war kalt. Er beugte sich vor und küsste sie auf den Kopf.

»Es tut mir so leid, so schrecklich leid«, flüsterte er. »Ich habe versucht, dich zu warnen. Ich habe es wirklich versucht.«

Der alte Mann machte einen Schritt zurück und sah nach unten auf seine Füße. Er fühlte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen, über die Haut, die so dünn wie Pergament war. Als er diese Tränen berührte, lief mit ihnen das Blut von seinen Fingerspitzen. Er murmelte etwas vor sich hin, ein persönliches Gebet, erst dann griff er zum Telefon.

»Die Polizei, bitte.«

Es dauerte einen Moment, bis er verbunden wurde, dann hörte er eine Stimme am anderen Ende der Leitung und sagte ruhig und gefasst: »Mein Name ist Eric Randle. Ich möchte einen Mord melden.«

Kapitel 2

Ob im Norden oder im Süden, Mörder waren überall gleich.

Detective Constable Laura McGanity hauchte ihre eisigen Hände an und träumte sekundenlang von London. Zwei Wochen zuvor war dort noch ihr Zuhause gewesen, doch das schien eine Ewigkeit her zu sein. Sie war zwar nur nach Lancashire gezogen, gerade mal dreihundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt, aber sie kam sich vor wie in einem fremden Land, in dem von den Hügeln ringsum eiskalte Luft in die Stadt getrieben wurde. Zitternd vor Kälte ging sie vor dem gelben Absperrband der Polizei auf und ab, das im frühmorgendlichen Wind leise knatterte. Sie zog ihren Schal enger.

Doch es war nicht nur das Wetter, das so fremdartig wirkte, sondern auch die Stille. In einiger Entfernung bildeten die Hügel der West Pennine Moors, deren mit Tau bedecktes Gras im Licht der aufgehenden Sonne silbern glänzte, das Panorama. Sie stand vor einer weitläufigen Rasenfläche in einer Sackgasse mitten in einer gepflegten, sauberen Vorstadt, und das einzige Geräusch, das sie in ihrer Versunkenheit störte, war das Knattern des flatternden Absperrbands. Ihr fehlte London mit all seinen Lichtern und dem Lärm. Im Vergleich dazu ging es in Blackley mucksmäuschenstill zu.

Laura war im Süden aufgewachsen und bei der Metropolitan Police ausgebildet worden, doch die Liebe hatte sie in den Norden geführt. Dort war sie in einer Kleinstadt angekommen, Beton mit Graffiti hatte Moorlandschaften und Bruchsteinmauern Platz gemacht. Sie wusste, sie konnte sich keinen Fehler leisten. Ihre Versetzung in den Norden war riskant gewesen, und sie wollte nicht schon nach ein paar Tagen ihre Karriere gegen die Wand fahren.

Die Blicke der anderen Polizisten auf der Wache waren ihr nicht entgangen. Zurückhaltende, misstrauische Blicke. Sie war die Neue aus der Großstadt, die hergekommen war, um ihnen zu sagen, wie sie ihre Arbeit zu machen hatten.

Sie musste jetzt aufpassen und durfte sich von absolut nichts ablenken lassen. Bei jedem Mord waren die ersten vierundzwanzig Stunden die wichtigste Phase. Danach drohte Gefahr, dass Beweise verloren gingen, mit denen der Mörder überführt werden könnte. Jemand konnte die Fingernägel säubern, seine Haare kurz schneiden, einen Wagen ausbrennen lassen.

Sie sah in dem Moment auf, als Pete Dawson näherkam, der andere Detective am Tatort, ihr Kollege. In seinen Händen hielt er zwei Becher mit dampfendem Kaffee.

»Sie sehen aus, als könnten Sie einen davon gut gebrauchen«, sagte er.

Laura kam es vor, als würde er sie anherrschen, da er so ungewohnt abgehackt redete und die Vokale so kurz und stumpf aussprach. Im Vergleich dazu besaß die ihr so vertraut gewordene Londoner Sprechweise viel mehr Rhythmus und Schwung.

Mit einem dankbaren Lächeln nahm sie einen der Becher und legte die Hände darum. »Wo haben Sie den her?«

Er deutete auf ein Haus auf der anderen Straßenseite, wo Laura ein paar Finger erkennen konnte, die den Rand der Gardine umklammert hielten. Im Haus war das Licht ausgeschaltet, damit von außen niemand sehen konnte, dass dort jemand das Geschehen aufmerksam verfolgte. »Sie guckt uns schon seit einer halben Stunde zu. Ich glaube, sie hofft darauf, etwas von uns zu erfahren, wenn sie uns mit Kaffee versorgt.«

»Haben Sie ihr irgendwas gesagt?«

Pete schüttelte den Kopf. »Ich warte jetzt, ob sie uns auch noch ein üppiges Frühstück anbietet. Aber seien Sie vorsichtig. Diese alten Mühlenarbeiterinnen beherrschen das Lippenlesen.« Als Laura ihm einen verwunderten Blick zuwarf, fügte er an: »So konnten sie sich trotz des Maschinenlärms unterhalten.«

Lächelnd nickte Laura. Sie konnte Pete gut leiden. Er war einer von diesen unvermeidlichen Cops. Ein scharfsinniger Verstand war eine tolle Sache – so etwas half, um ein komplexes Lügengeflecht zu durchschauen oder selbst in einer scheinbaren Sackgasse noch eine Spur zu entdecken –, manchmal jedoch brauchte man jemanden, der in der Lage war, eine Tür einzutreten oder aus einem Verdächtigen wichtige Informationen herauszuholen. Laura hatte das Gefühl, dass Pete viele Methoden kannte, um das zu erreichen. Mit seinem kurz geschorenen Haar, dem finsteren Blick und der schmuddeligen Jeans sah er aus wie jemand, dem ein falsches Wort genügte, um einem anderen wehzutun. Normalerweise arbeitete er im Drogendezernat, drückte Dealer gegen die Wand, um sie zum Reden zu bringen. Sich an einem Tatort aufzuhalten und in einem Mord zu ermitteln war für ihn nicht Routine.

Sie trank einen kleinen Schluck aus ihrem Becher und seufzte. Der Kaffee war heiß und stark, und sie hob den Becher in Richtung des Fensters mit den ein Stück weit geöffneten Gardinen, um sich für die umsichtige Geste zu bedanken.

»Auf mich machen Sie den Eindruck, dass Sie mehr erwartet haben«, meinte Dawson und deutete auf das Absperrband. »Haben Sie sich noch nicht an das ruhige Leben gewöhnt?«

Eine Woche zuvor hätte Laura noch geglaubt, er wolle sie heruntermachen, aber inzwischen kannte sie ihn besser. Petes Lächeln ließ seine Worte sanfter klingen, und der Ausdruck in seinen Augen veränderte sich. Sie wurden heller, wärmer, und Laura bemerkte etwas Spitzbübisches in seinem Blick.

Seine Vermutung traf trotzdem zu. Laura hatte tatsächlich mehr erwartet, mehr Aktivität, einen Trupp uniformierter Polizisten, die ein Grundstück absuchten, ein Rudel Detectives, die von Haus zu Haus gingen, um Fragen zu stellen. Hier und jetzt gab es nichts in dieser Art. Die Leiche hatte man weggebracht, nur die zwei Cops, die als Erste an den Tatort gekommen waren, hielten sich noch hier auf. Der eine war ein kreidebleicher Neuling in seiner Probezeit, der andere musste kurz vor der Pensionierung stehen. Im Gebäude selbst herrschte eine gewisse Aktivität, da die Leute von der Spurensicherung in ihren weißen Overalls durch die Fenster zu sehen waren. Doch hier draußen kam sich Laura vor, als würde sie Wachdienst schieben.

»So ruhig scheint das Leben hier gar nicht zu sein«, entgegnete sie. »Ich bin in den Norden gezogen, um besser zu leben, und dann bekomme ich das hier« – mit einem Nicken deutete sie auf das Haus –, »und das auch noch mitten während dieser Entführungsserie. Hier ist es wohl doch ziemlich gefährlich.«

Pete zuckte mit den Schultern. »So ist es hier nicht immer. Wenn wir den Dreckskerl geschnappt haben, der bereits den ganzen Sommer über Kinder entführt, stehen uns wieder mehr Leute für Fälle wie den hier zur Verfügung.«

»Und sind wir dem Dreckskerl ein Stück dichter auf den Fersen?« Sie sah zum Haus.

»Bei jeder neuen Entführung warten wir darauf, dass er einen Fehler macht, der uns auf seine Spur führt.« Kopfschüttelnd fügte er nach einer kurzen Pause an: »Bis jetzt hat er keinen Fehler gemacht.«

Die Entführungen waren den Sommer über in Blackley das Thema schlechthin gewesen. Beim ersten verschwundenen Kind glaubte man noch, es sei lediglich von zu Hause weggelaufen. Beim zweiten Kind wurde ein Muster erkennbar, und das rief die Medien auf den Plan, die daraufhin die Stadt überrannten.

Während des ganzen Sommers wurden immer wieder Kinder auf offener Straße entführt und blieben eine Woche lang unauffindbar, manchmal auch länger. Wenn man sie wiederfand, wirkten sie äußerlich unversehrt, doch es gab auch andere Arten von Verletzungen, die man nicht sehen konnte. Bislang waren es sieben gewesen, allesamt Jungs: Schlüsselkinder, junge Teenager, vorlaut und cool. Aber das war nur eine Maske, die sie vor dem beschützte, was ihnen zu Hause fehlte: Liebe, Sicherheit, Aufmerksamkeit. Sobald sie wieder auftauchten, wurde klar, dass ihnen die Maske abgerissen worden war, denn sie wirkten verwirrt und verängstigt. Sie hatten mehrere Tage ihres Lebens verloren, ohne zu wissen, wo sie gewesen waren und was mit ihnen geschehen war. Ihrer Ansicht nach gehörte ihnen die Straße, doch nun hatte ihnen jemand vor Augen geführt, wie verletzlich sie in Wahrheit waren und dass die Welt viel grausamer sein konnte als in ihren Vorstellungen.

Man fand sie wieder, als sie verwirrt und benommen umherirrten. Sie trugen ihre Kleidung, es gab keine Hinweise auf irgendwelche Verletzungen. Man hatte sie gründlich untersucht, da man Hinweise auf sexuelle Übergriffe jeglicher Art zu finden vermutete, doch bis jetzt war man bei keinem der Jungen fündig geworden. Sie wurden nach Hause geschickt, wo ihre Eltern sie mit viel mehr Liebe in die Arme schlossen als zuvor.

Im Augenblick wurde der achte Junge, Connor Crabtree, irgendwo da draußen von dem Unbekannten festgehalten, der immer weiter Kinder aus Blackley entführte. Connor war zuletzt gesehen worden, wie er auf einem kleinen Parkplatz hinter einem Eckladen Fremde ansprach, die einkaufen wollten, um von ihnen Zigaretten zu schnorren.

Das war inzwischen sechs Tage her, und niemand hatte ihn seitdem gesehen oder etwas von ihm gehört. Die Medien waren in Lauerstellung und warteten auf die unvermeidliche Rückkehr des Jungen, damit sie etwas zu berichten hatten. Das ganze Land interessierte sich für die Geschichte, und die Medien hatten dem Entführer auch schon einen Namen gegeben: der »Greifer von Blackley«.

Laura gefiel der Spitzname nicht, er klang schmalzig und fantasielos, aber sie wusste auch, dass die Story dadurch in den Nachrichten präsent blieb. In Blackley allerdings war das Ganze mehr als nur eine Story in den Nachrichten. Jeder wusste, es würde weitere Entführungen geben. Die meisten Eltern hatten ihren Kindern längst verboten, allein aus dem Haus zu gehen, und auf den Straßen war es inzwischen deutlich ruhiger, sobald die Nacht anbrach. Aber entführt wurden nur die Kinder jener Eltern, die nicht zugehört hatten und deren Leben zu schwierig war, als dass sie sich gut um ihre Kinder hätten kümmern können.

Allzu viele Spuren gab es nicht. Zwar fanden sich an den Jungs Fasern, die von einer Decke oder etwas Ähnlichem zu stammen schienen, doch solange die Polizei nicht die Quelle gefunden hatte, konnte sie keinen Vergleich anstellen. An der Kleidung der ersten beiden Opfer wurden winzige Teilchen Beton und Spuren von Asbest gefunden, doch ein Rückschluss auf ihren Aufenthaltsort ließ sich daraus nicht ziehen.

Die Polizei in Blackley ging verschiedenen Hinweisen nach, aber eigentlich wusste jeder, dass die Cops auf die Rückkehr von Connor Crabtree warteten, da sie hofften, durch ihn auf neue Spuren zu stoßen.

Laura schüttelte sich, als sie an ihren eigenen Sohn Bobby denken musste. Er war vier, er befand sich in einer fremden Stadt und war weit von seinem leiblichen Vater entfernt. Sie zwinkerte und merkte, wie ihre Augen brannten, woraufhin sie tief durchatmete. Es hätte nicht so weit kommen sollen, aber Bobbys Vater hatte vor langer Zeit für sich entschieden, dass Laura nicht die letzte Frau sein würde, mit der er ins Bett ging. Er war gegangen, und Laura musste sich eine Weile allein durchkämpfen. Doch als sie sich schließlich neu verliebte, wurde es ihr möglich, ihrem Sohn wieder ein richtiges Familienleben zu bieten. Das war allerdings nicht so leicht. Sie wollte morgens bei Bobby sein, weil es ihr fehlte, sein verschlafenes Gesicht zu sehen. Außerdem wollte sie wissen, dass sie von ihm gebraucht wurde.

»Welche Theorie haben Sie zu den Entführungen?«, fragte sie.

Einen Moment lang stand Pete mit nachdenklicher Miene neben ihr, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. »Schwer zu sagen«, antwortete er. »Möglicherweise eine Frau. Ich meine, die Kinder werden versorgt und dann zurückgegeben, so als sei eine Art Mutterinstinkt gestillt worden.« Lächelnd ergänzte er dann: »Nicht, dass mich jemals irgendwer nach meiner Meinung fragen würde.«

»Wieso nicht?«

»Ich habe zu oft meine Meinung gesagt.«

»Und was meinen Sie zu dem Fall hier?«, wollte sie wissen und deutete auf das Haus.

Er holte tief Luft. »Ich weiß nicht. Der erste Gedanke sagt mir, dass es sich um einen Verrückten handeln muss. Aber etwas stört mich.«

»Und zwar?«

»Das Opfer kannte seinen Mörder. Es gab keinen Hinweis auf einen Einbruch, keine Anzeichen für einen Kampf oder für irgendeine Art von Gegenwehr. Niemand hat etwas gemeldet, bis dieser alte Kerl anrief.«

Laura wusste, dass Petes Überlegungen durchaus begründet waren. Das hier war nicht die Folge eines Streits oder eines fehlgeschlagenen Einbruchs, sondern eine sadistische Hinrichtung. Die junge Frau – Jess Goldie, klein und zierlich, noch keine fünfundzwanzig – war an einen Stuhl gefesselt und mit einer Schnur erwürgt worden. Es hatte kein Kampf stattgefunden, und es fand sich auch kein Hinweis auf ein Sexualverbrechen. Da stand nur der Stuhl mitten im Zimmer, ein Stuhl aus dem Esszimmer mit stabilen Holzbeinen, an den sie mit einer dünnen Nylonschnur festgebunden worden war.

Doch daran hatte sich Laura nicht so sehr gestört, als sie das Haus zum ersten Mal betrat. Was sie störte, war der Anblick, der den jungen Polizisten würgen und nach draußen stürmen ließ, wo er die nächste Stunde damit verbrachte, frische Luft einzuatmen und gegen den Brechreiz anzukämpfen.

Der Mörder der jungen Frau hatte ihr die Zunge herausgerissen und die Augen ausgestochen.

Laura war bei der Besichtigung des Tatorts ganz methodisch vorgegangen. Als Detective war das ihre Arbeit, und ihr Verstand war zu sehr damit beschäftigt, die Fakten zu sammeln, sodass keine Zeit blieb für Gefühle. Der Schock über die Tat würde sich später einstellen, das wusste sie aus Erfahrung. Vielleicht wenn sie im Bett lag oder ein Bad nahm, wenn sie allein und verwundbar war.

Nichts deutete auf einen Kampf oder auf Gegenwehr hin, und sogar die Kleidung war unversehrt geblieben. Aber dann war Laura etwas an den Würgemalen am Hals der Frau aufgefallen, so als hätte der Mörder die Schnur wiederholt zugezogen und dann wieder gelockert. Der Tod war nicht schnell eingetreten, sondern hinausgezögert und ausgekostet worden.

Sie wandte sich zu Pete um. »Und was halten Sie von dem alten Mann, der den Mord gemeldet hat?«

Nachdenklich strich er sich über die Wangen. »Eric Randle? Schwer zu sagen. Er scheint mir nicht der Typ für so was zu sein, sofern man das überhaupt jemandem ansehen kann. Das Blut dürfte an seine Hände gelangt sein, als er die Tote berührte. Spritzer oder Ähnliches waren nicht zu entdecken. Für meinen Geschmack ist das alles zu sauber.«

Laura wollte noch etwas fragen, doch in diesem Augenblick fuhr ein Wagen in die Sackgasse und hielt vor dem Haus. Sie sah einen kleinen Mann in einem maßgeschneiderten Anzug aussteigen.

»Na, toll«, murmelte Pete. »Jetzt haben wir die Bescherung. Egan ist da.«

»Egan?«

»Detective Inspector Egan«, antwortete er leise. »Dermot Egan. Wir nennen ihn gern Dermot Ego. Warum, das werden Sie bald merken.«

Als sich der Mann dem Haus näherte, spürte Laura, dass Pete recht hatte.

Kapitel 3

Sam Nixon stellte seinen Wagen ab und schaute durch die Windschutzscheibe. Früher hatte er Sonnenaufgänge gemocht, weil dann sogar Blackley hübsch aussah, doch dem Anblick war schon vor Jahren jeglicher Charme abhandengekommen.

Sams Büro befand sich im mittleren Gebäude einer viktorianischen Häuserfront, mit Steinsäulen zu beiden Seiten der Haustüren und Blattgoldlettern über den Fenstern, die an die Blütezeit der Baumwollstadt Blackley erinnerten. Damals wurde die Geräuschkulisse von Holzschuhen und Mühlen bestimmt, und das Geld der Mühlenbesitzer floss in die Taschen von Anwälten und Steuerberatern, die sich entlang dieser Straße niederließen. Jahrzehnte war es her, dass die Baumwolle das Leben in dieser kleinen Stadt in Lancashire bestimmte, doch diese Zeit hatte sie geprägt wie Tätowierungen einen alten Seemann.

Sam konnte den Kanal ausmachen, der am Ende der Straße verlief. Der Schleppweg war mit langem Penninengras überwuchert, und die Wellen blitzten auf wie kleine Sternschnuppen, wenn sie die Sonnenstrahlen reflektierten. Die alten Hafengebäude standen noch dort, drei Stockwerk hohe Steinklötze mit großen graublauen Holzdächern, die bis über das Wasser reichten. Heute waren in ihnen Büros untergebracht. Die Geräusche des neuen Tags drangen zu ihm in den Wagen: der Gesang der Vögel, die von Dach zu Dach flogen; das Rascheln von Blättern und weggeworfenen Zeitungen auf dem Schleppweg. Es war das alte Lancashire, eine vergessene Industrie, die man heute als ein charakteristisches Merkmal der Landschaft zu verkaufen versuchte.

Aber es war auch der einzige schöne Flecken. Die Fabriken und Mühlen weiter unten am Kanal standen leer, Diebe hatten alle Rohre und Kabel mitgenommen, um sie an Schrotthändler zu verkaufen. Die Gebäude selbst waren wie vergessen zurückgeblieben, die Scheiben eingeworfen, die Wände beschmiert. Was man bereits abgerissen hatte, war durch Wohneigentum und Gewerbegebiete ersetzt worden.

Blackley lag in einem Tal. Ein hohes Viadukt, über das die Eisenbahn von Hügel zu Hügel geführt wurde, warf lange Schatten und trug den Lärm der in Richtung Küste fahrenden Züge überallhin. Terrassenförmig angelegte Straßen zogen sich durch die Hügel rings um das Stadtzentrum, steile, schmale Straßen, deren Linie nur von den Kuppeln und Minaretten der örtlichen Moscheen unterbrochen wurden. Satte Grün- und Kupfertöne waren die einzigen Farbtupfer in einer ansonsten tristen viktorianischen Umgebung.

Dahinter konnte Sam eine Reihe von Hochhäusern sehen, die das Stadtzentrum überragten. Städtebauliche Sünden der Sechzigerjahre, schmutzig und grau, deren Aufzüge nach Urin und Schlimmerem stanken und deren Treppenhäuser von benutzten Einwegspritzen übersät waren. Von da oben konnte man zwar bis zum Stadtrand blicken, aber die Aussicht war immer trostlos und nass, ganz gleich bei welchem Wetter.

Sam schloss die Augen und seufzte. Er war Anwalt für Strafrecht bei Parsons & Co., der größten Kanzlei in Blackley. Sobald er an seinem Schreibtisch Platz nahm, musste er sich mit Schnorrern, Alkoholikern, Junkies und Versagern beschäftigen. Es war sein täglicher Gang durch den Abfall der Stadt. Strafrecht bedeutete, für ein Maximum an Einsatz nur ein Minimum an Anwaltsgebühren in Rechnung stellen zu können. Damit die Kanzlei keine roten Zahlen schrieb, musste er permanent Überstunden leisten. Er kam früh am Morgen ins Büro und machte sich erst spät am Abend auf den Heimweg. Den Tag verbrachte er damit, hoffnungslose Fälle vor feindseligen Richtern zu verteidigen, und es verging kaum ein Abend, an dem er nicht auf die Polizeiwache kommen musste.

Diese Arbeit im Morast der Gesellschaft hatte ihm Spaß gemacht. Ein Dienst am Rechtssystem. Ein Dienst an der Gesellschaft. Manchmal beides zugleich, dazu ein Hauch von Justiztheater. Der richtige Satz, die richtige Frage, mitunter nur ein passender Blick – all das konnte über einen Schuldspruch oder Freispruch, über Gefängnis oder Freiheit entscheiden.

Aber dann hatte sein Job ihn zermürbt. Da waren seine beiden Kinder, die er nur selten zu Gesicht bekam, und wann er das letzte Mal seine Frau umarmt hatte, daran konnte er sich überhaupt nicht mehr erinnern.

Zudem wurde er von Schlafstörungen geplagt. Er blieb abends zu lange auf, und wenn er dann endlich einschlief, wurde er von Albträumen viel zu früh aufgeweckt. Es lief immer gleich ab: Er rannte durch eine Tür, dahinter lag Finsternis und dann die nächste Tür, was sich schier endlos wiederholte, während er in weiter Ferne jemanden weinen hörte. Dann verlor er das Gleichgewicht und stürzte. Jedes Mal wachte er auf die gleiche Weise auf: ein heftiges Zusammenzucken, und im nächsten Moment saß er kerzengerade im Bett, er war nass geschwitzt, und sein Herz raste.

Seufzend schlug er die Augen wieder auf und rieb sich übers Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben. Er konnte es nicht länger hinauszögern, er musste seinen Arbeitstag beginnen.

Mit gesenktem Kopf ging er in Richtung Kanzlei und suchte nach dem Türschlüssel. Er musste seine Aktentasche abstellen, damit er in allen Taschen nachschauen konnte. In diesem Moment bemerkte er den Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein alter, gebeugter Mann in schäbiger und viel zu weiter Kleidung. Die Hände hatte er an die Seiten gelegt, als wollte er eine Habtachtstellung einnehmen. Der Blick war starr auf ihn gerichtet.

Sam verspürte Unbehagen. Im Gerichtssaal war er für gewöhnlich sicher, dort galten Respekt und Verhaltensmaßregeln, aber Strafverteidiger machten sich bei vielen Menschen unbeliebt. Bei Opfern, Zeugen und manchmal sogar bei Unbeteiligten, die sich aus moralischen Gründen entrüsteten. Er wurde zunehmend nervöser und tastete nach seinem Mobiltelefon, um sofort die Polizei zu rufen, sollte dieser Mann ein Messer zücken. Doch der Alte stand weiter da und starrte Sam mit ausdrucksloser Miene an.

Dann hatte Sam endlich den Büroschlüssel gefunden. Er sah noch einmal hinüber, aber der alte Mann stand unverändert dort und beobachtete ihn.

Sam merkte sich die Zeit und wandte sich ab, um das Büro zu betreten.

Kapitel 4

Als Egan auf sie zukam, konnte Laura dem Mann anmerken, für wie wichtig er sich nahm. Er war durchtrainiert wie ein Jogger, die schmale Nase war leicht gebogen, das Haar dunkel gefärbt und eine Spur zu ordentlich geschnitten und frisiert. Nicht eine kleine Strähne schien am falschen Platz zu sein. Sein weißes, gebügeltes und gestärktes Hemd sollte wohl seine Bräune betonen, für die aber eher ein Sonnenstudio als die Sonne selbst verantwortlich sein musste.

»Er wird über die Sache hier stinksauer sein«, meinte Pete lächelnd.

»Warum?«

»Na ja, als ich ihn das letzte Mal sah, musste er zu einer der Pressekonferenzen wegen der entführten Kinder und machte sich gerade fein. Dieser Fall hier verspricht nicht viel Sendezeit, und er wird das schnell hinter sich bringen wollen. Er hat keine Lust, seinen Platz auf dem Podium zu räumen, nur weil ihm ein mutmaßlicher Fall von häuslicher Gewalt dazwischenkommt.«

Laura sah Pete an. »Wenn er wegen der Entführungen ermittelt, warum ist er dann überhaupt hier?«

»Ich nehme an, er ist nicht aus freien Stücken hergekommen«, flüsterte Pete ihr zu.

DI Egan sah sich am Tatort um und wäre Laura fast auf die Füße getreten, da er sie bis dahin nicht wahrgenommen hatte. Ihr entging nicht der abschätzige Blick, der über ihren ganzen Körper wanderte und am ringlosen Ringfinger hängenblieb. Lesbe oder Beute? Das war die Frage, die sich Egan ganz offensichtlich stellte.

Er nahm sich zu viel Zeit, um ihren Dienstausweis zu studieren, den sie um den Hals gehängt hatte, dann fragte er: »Und womit haben wir es hier zu tun, Laura?« Er drehte sich weg, bevor sie antworten konnte, sodass sie mit seinem Hinterkopf reden musste.

»Das Opfer heißt Jess Goldie. Es sieht danach aus, Sir, dass sie stranguliert wurde. Aber es war kein schneller Tod.« Sie versuchte, sich ihre Müdigkeit nicht anmerken zu lassen. Das frühe Aufstehen rächte sich schon jetzt.

Egan ließ Interesse erkennen. »Wie meinen Sie das?«

»Ich habe ihren Hals gesehen, bevor der Arzt eintraf, und es gab etliche Würgemale, als hätte sie der Täter wieder und wieder gewürgt.«

»Denken Sie etwa an Sexspiele? Sie wissen schon: würgen, loslassen, würgen, loslassen.«

Ihr entging nicht das begeisterte Funkeln in seinen Augen. »Nein, eigentlich nicht.« Sie war Cops so leid, die auf alles Mögliche mit Begeisterung reagierten. »Sie ist in ihrer Kleidung gestorben. Wenn es etwas Perverses war, dann von einer schüchternen Art.«

Egan schürzte die Lippen und sah weg.

»Und da war noch etwas.«

Er drehte sich wieder zu ihr um und zog die Brauen hoch. »Ich höre.«

Laura schaute kurz zu Pete. »Ihr fehlen Augen und Zunge.«

»Was soll das heißen? ›Ihr fehlen Augen und Zunge.‹«

»Es soll heißen, dass sie keine Augen und keine Zunge mehr hat«, warf Pete sarkastisch ein. »Was glauben Sie, was es sonst heißen soll? Dass sie sie auf den Kühlschrank gelegt hat oder was?«

Abrupt wandte sich Egan zu ihm um, sein Blick war wutentbrannt, woraufhin Laura rasch dazwischenging. »Sie war an einen Stuhl gefesselt, jemand hatte ihr die Augen ausgestochen und die Zunge herausgeschnitten.«

Egan starrte weiter Pete an, der den Blick nur erwiderte, dann endlich richtete Egan seine Aufmerksamkeit wieder auf Laura. Ein leiser Seufzer, und im nächsten Moment begann er, auf seiner Unterlippe zu kauen. Laura spürte, dass ihm soeben klar geworden war, wie lange diese Ermittlungen dauern würden.

»Ich möchte wetten, Sie könnten auf so was gern verzichten«, sagte Pete zu Egan und schaute dabei zu Laura. »Zusätzlich zu den Entführungen, meine ich.«

Egans Oberlippe zuckte.

Laura sah nach unten und unterdrückte ein Grinsen. Sie hatte schnell erkannt, dass Egans ganzes Interesse einer schnellen Karriere galt. Sie kannte Typen wie ihn nur zu gut, Typen, die alle Arbeit an ihre Untergebenen delegierten und anschließend das Lob einstrichen. Bei Einsatzbesprechungen gaben sie sich hellwach und voller Tatendrang, danach ließen sie andere die eigentliche Arbeit machen. Sie konnte sich gut vorstellen, warum Pete es auf der Karriereleiter nicht sehr weit nach oben geschafft hatte.

»Geht es um Drogen?«, wollte Egan wissen und sah sich um, während er versuchte, das Thema zu wechseln. »Eine Art Vergeltungsmaßnahme?«

»Den Anschein hat es nicht«, antwortete Laura. Sie war neu in Blackley, aber sie wusste genug, um einschätzen zu können, dass in dieser Nachbarschaft Drogen kein Thema waren. Es handelte sich um erst vor Kurzem errichtete Stadthäuser aus noch leuchtend roten Ziegelsteinen, mit Doppelverglasung und schmalen Wegen zwischen den Gebäuden. Für ein wenig Schmuck sorgten Topfpflanzen. Wer hier wohnte, hatte sich zum ersten Mal Wohneigentum gekauft. Drogendealer waren für einen langsamen Aufstieg in immer bessere Heime nicht zu haben. Sie verharrten in einfachen Verhältnissen, bis sie genug verdient hatten, um sich gleich eine richtig große Villa zu kaufen. »Ich habe in der Zentrale nachgefragt, aber sie ist noch nie polizeilich aufgefallen. Einfach eine nette, ruhige Frau, wie die Nachbarn sie beschreiben.«

»Wie wurde sie gefunden?«

Laura und Pete sahen sich kurz an, dann entgegnete sie: »Der Anruf ging heute Morgen um vier Uhr ein. Ein alter Mann namens Eric Randle sagte, er habe nach ihr sehen wollen und sie dann tot auf dem Stuhl vorgefunden.«

»Um vier Uhr morgens wollte er nach ihr sehen?«

»Das hat mich auch gewundert«, stimmte Laura ihm zu. »Er sagte, er habe geträumt.«

Auf Egans Lippen zeichnete sich ein fast schon erleichtertes Lächeln ab. »Das klingt so, als müssten wir nicht länger nach unserem Mörder suchen.«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, sagte sie. »Ich habe die Leiche gesehen, und ich habe den Mann gesehen. Er macht nicht den Eindruck, als könnte er der Täter sein. Allerdings hat er kein Alibi.« Laura dachte zurück an die Begegnung mit dem alten Mann. Er hatte nicht viel gesprochen und schien unter Schock zu stehen.

»Ist er ein Verdächtiger oder ein Zeuge?«, fragte Egan und musterte sie aufmerksam.

»Ein Verdächtiger. Aber so kurz nach der Tat ist jeder verdächtig.«

»Dann haben Sie ihn festgenommen?«

Laura entging nicht die Art, wie Egan redete – langsam und bedächtig, um sicherzustellen, dass es ihre Entscheidung gewesen war. Er würde nur hinter ihr stehen, wenn es danach aussah, dass sie alles richtig gemacht hatte. Sie schwieg sekundenlang und ging im Geiste die Beweislage durch. Der alte Mann war sichtlich aufgewühlt gewesen, aber Laura hatte bei ihm vergeblich nach Verletzungen wie zum Beispiel Kratzern gesucht. Seine Kleidung war beschlagnahmt worden, um sie auf Blutspritzer zu untersuchen, außerdem war er einverstanden gewesen, eine Speichelprobe abzugeben und sich die Fingernägel abschneiden zu lassen. Doch keiner ihrer Instinkte sagte ihr, dass er der Mörder war.

»Nein«, antwortete sie schließlich. »Er ist interessant, aber mehr auch nicht.«

Egan nickte, lächelte flüchtig und ging dann weiter zur Haustür.

»Die Spurensicherung ist drinnen noch beschäftigt«, rief sie ihm nach, woraufhin er stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. Er wirkte gereizt, so als hätte sie ihn beleidigt. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte, tauchte wie aus dem Nichts ein uniformierter Polizist neben Laura auf.

»Wir haben eine Nachbarin, die behauptet, sie hätte letzte Nacht etwas gehört.«

Egan kehrte zu ihnen zurück.

»Wer ist es?«

Der Cop zeigte auf eines der Häuser nebenan. Eine Frau um die fünfzig stand in der Haustür, sie trug ein selbstgenähtes Kleid, ihr Haar war zerzaust, die Augen hatte sie vor Angst weit geöffnet.

»Und was hat sie gehört?« Egan bellte die Frage förmlich heraus.

»Sie sagt, sie hörte spät in der Nacht einen Wagen wegfahren. Lange nach Mitternacht. Er war an der Einfahrt zu dieser Sackgasse abgestellt worden. Ein schönes Auto, ein marineblauer Audi TT. Er fuhr mit quietschenden Reifen weg.«

»Hat sie das Kennzeichen notiert?«

Der Polizist hielt ein Stück Papier hoch. »Nicht gestern Abend. Aber das Kennzeichen fiel ihr wieder ein, als sie heute Morgen die Polizei herkommen sah. Sie hatte es sich gemerkt, weil es eines von diesen persönlichen Wunschkennzeichen war.«

Egan sah auf den Zettel und grinste. »Wir müssen den Halter feststellen lassen.«

»Schon geschehen«, meinte der Polizist lächelnd.

Daraufhin schürzte Egan ein paar Mal die Lippen, als handele es sich um einen Tick, dann fragte er: »Und wer ist der Halter?«

»Jemand namens Luke King.«

»Ist er uns bekannt?«

»Er nicht, aber sein Vater.« – »Und?« Wieder hörte sich Egan ungeduldig an.

»Sein Vater ist Jimmy King.«

Egan machte ein Gesicht, als habe ihn jemand geohrfeigt.

»Wer ist dieser King?«, flüsterte Laura Pete zu.

Der seufzte leise. »Manche Leute würden sagen, er ist ein Geschäftsmann hier aus der Gegend, einer der erfolgreichsten in ganz Lancashire.«

»Und was würden die anderen sagen?«

»Dass er der gnadenloseste und sadistischste Mensch ist, dem sie je begegnet sind.«

Sie wollte Pete noch etwas fragen, als ihr auffiel, dass Egan vor ihnen auf und ab ging. Eine innere Stimme sagte ihr, wenn schon Egan auf den Druck zu reagieren begann, dann würde sie umso mehr zu tun bekommen.

Kapitel 5

Es dauerte über eine Stunde, bevor einer von Sams Kollegen ins Büro kam. So war es fast jeden Morgen, womit er bis kurz nach acht Ruhe hatte. Normalerweise war es ihm so auch lieber, weil er dadurch vom Bürotratsch verschont blieb. Doch an diesem Morgen war es anders. Er war nervös, der alte Mann draußen vor dem Haus beunruhigte ihn. Sooft er aus dem Fenster schaute, sah er den Mann, der zu ihm hinaufstarrte.

Der Mann irritierte ihn und hielt ihn von der Arbeit ab, obwohl die Zeit früh am Morgen für ihn wichtig war. Als Strafverteidiger konnte man rund um die Uhr im Einsatz sein. Den Tag verbrachte man in Gerichtssälen, die Nacht auf allen möglichen Polizeiwachen, und zwischendurch musste er sich mit Mandanten und Zeugen treffen. Sam hatte einen vollen Terminkalender, obwohl er wusste, dass die meisten Angeklagten ihre Termine nicht wahrnehmen würden. Sie tauchten erst am Tag der Verhandlung auf und erwarteten, von ihm vor Gericht verteidigt zu werden, obwohl sie sich nicht mal die Mühe gemacht hatten, ihm ihre Geschichte zu erzählen.

Daher war die Zeit am frühen Morgen für ihn wichtig, um Liegengebliebenes zu bearbeiten. Dann roch es im Büro noch nach frischer Möbelpolitur, da die Putzkolonne das Haus erst kurz zuvor verlassen hatte. Er sammelte Informationen für seine Fälle, trug aus einem Stapel Notizzettel Zeugenaussagen zusammen oder diktierte endlos Briefe, um die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten.

Die jüngeren Anwälte gingen anders vor. Sie bevorzugten es, für jeden sichtbar Überstunden zu machen, indem sie bis spät am Abend im Büro blieben und darauf hofften, dem Vorgesetzten angenehm aufzufallen. Aber es war egal, denn nur eines war wichtig: dass die Zahlen stimmten. Es zählte nur, wie viel Geld man einspielte. Das Wann interessierte niemanden.

Egal welches Problem gelöst werden musste, bei Parsons & Co. gab es immer irgendeinen Anwalt, der bereit war, einem seine Zeit in Rechnung zu stellen. Verbrechen hatten Sam immer gelegen, aber als Harry Parsons seine Kanzlei gründete, war er auf allen Gebieten tätig geworden, von Scheidungen bis hin zu Widersprüchen gegen Räumungsklagen. Als die Kanzlei wuchs, entstanden verschiedene Abteilungen. Die Abteilung für die Verteidigung von Straftaten war von allen die kritischste, weil die anfallende Arbeit so unberechenbar war. Durch Budgetkürzungen bei der Polizei konnte die Zahl der Festnahmen zurückgehen, und wenn ein Anwalt sich mit einer der größeren kriminellen Familien anlegte, sprangen gleich mehrere Mandanten ab. Die Abteilung für Schadensfälle war dagegen eine regelrechte Lizenz zum Gelddrucken. Früher hatte sie den Leuten geholfen, die Opfer von echten Unfällen geworden waren. Heute kümmerte man sich dort nur noch um abgetretene Schadensersatzansprüche, eine Methode, für die im Fernsehen Reklame zwischen Werbespots für Kredithaie gemacht wurde und die schnelles Geld versprach. Die Anwälte regelten dabei Ansprüche für Menschen, die sie nie kennengelernt hatten.

Harry Parsons arbeitete immer noch in der Kanzlei, aber er ließ sich nur selten blicken und ging seiner Tätigkeit die meiste Zeit in einem Büro am Ende eines dunklen Korridors nach, dessen Teppich abgewetzt und dessen Wandfarbe ausgeblichen war. Er hatte etwas Legendäres an sich, da es ihm gelungen war, seine Kanzlei aus dem Nichts aufzubauen, doch inzwischen hatte er einen Teilrückzug vollzogen und vertraute darauf, dass die verschiedenen Abteilungen die tagtägliche Arbeit gut im Griff hatten. Alle Anwälte befanden sich in Lauerstellung, da der alte Mann in wenigen Jahren in den Ruhestand gehen würde, und jeder von ihnen hoffte, in Parsons’ Machtposition aufrücken zu dürfen.

Jedoch hatte keiner von ihnen ein vergleichbares As im Ärmel wie Sam: Er hatte Harrys Tochter Helena geheiratet und ihm zwei Enkel geschenkt. So wie Sam die Sache sah, konnte er sich von allen die besten Chancen ausrechnen.

Sam sah zum wiederholten Mal aus dem Fenster, als er hörte, wie nach und nach die anderen Anwälte und die übrigen Angestellten eintrudelten. Sie versammelten sich in einem Zimmer ein Stück weiter den Korridor entlang, tranken Kaffee und warfen sich Schmähungen an den Kopf. Sam würde sich zu ihnen gesellen, wenn er die vor ihm liegende Akte bearbeitet hatte. Er war bereits bei der dritten Tasse Kaffee angekommen, und er fühlte sein Herz rasen, doch er brauchte diesen Kick. Vor ihm lag ein Vormittag bei Gericht, und er merkte schon jetzt, dass er in der letzten Nacht durch seinen Albtraum zu wenig Schlaf bekommen hatte.

Als jemand anklopfte, sah er zur Tür. Es war Alison Hill, die frischgebackene Anwältin in der Kanzlei, die eine Weile in seiner Abteilung arbeiten sollte, ehe sie wusste, in welche Richtung sich ihre Karriere entwickeln sollte. Und sie würde auch Karriere machen, das war ihrem ehrgeizigen Blick anzusehen gewesen. Doch für den Moment gefiel es Sam, sie in seinem Büro um sich zu haben. Sie trug ihre glänzenden blonden Locken zum Pferdeschwanz nach hinten gebunden, und sobald Sam ihr gegenüberstand, begann er wie von selbst mit seinem Ehering zu spielen. Er stellte auch fest, dass er in ihrer Gegenwart zu viel lächelte. Sie war groß und elegant, hatte ein strahlendes, gefälliges Lächeln, ihre grünen Augen funkelten warmherzig.

Er deutete mit dem Kopf zum Fenster. »Kennen Sie den Mann?«

Alison ging durch das Büro und sah nach unten auf die Straße. Sam konnte ihr Parfüm riechen, etwas Leichtes und Blumiges.

Sie schüttelte den Kopf. »Noch nie gesehen. Was ist mit ihm? Belästigt er Sie?«

Er zuckte mit den Schultern, aber als Alison sich zu ihm umdrehte, fiel ihm die Akte in ihrer Hand auf.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

Alison blickte nach unten, als hätte sie vergessen, was sie in der Hand hielt. »Das ist für heute. Für die Verhandlung.«

»Worum geht’s?«

»Johnny Jones, Körperverletzung.«

»Wo liegt das Problem?«

Einen Moment lang wirkte sie verlegen, dann antwortete sie: »Er scheint schuldig zu sein. Ich habe den Fall von allen Seiten betrachtet, aber ich sehe keine Lösung. Er hat den Karaoke-Mann angegriffen, weil der ihn übersehen hatte. Der halbe Pub hat’s mitangesehen, und es wurde von der Überwachungskamera aufgezeichnet.«

»Klingt ja nach einem richtig edlen Lokal.«

Sie verzog den Mund. »Liest sich wie die schlimmste Nacht seines Lebens.«

Sam lächelte und stellte fest, dass er mit einem Mal den Elder Statesman gab. »Machen Sie sich um Johnny Jones keine Sorgen. Er wird garantiert verurteilt, und er wird nicht auf Ihren Rat hören. Er will auf die Mitleidstour ungeschoren davonkommen, nur wird ihm das nicht gelingen. Betrachten Sie es als charakterbildende Maßnahme für Sie selbst.«

»Wie denn das? Das ist ein völlig hoffnungsloser Fall.«

»Was möchten Sie lieber verlieren: einen hoffnungslosen Fall oder einen todsicheren Freispruch?«

Sie erwiderte nichts.

»Sie können nichts tun, um ihn da rauszuholen«, redete er weiter. »Und die Anklage wird ihm das Leben schwer machen, weil er es zum Verfahren kommen ließ. Er bekommt das Urteil, das er verdient, und vielleicht auch das verdiente Strafmaß. Aber«, Sam zog die Augenbrauen hoch, »wenn Sie einen todsicheren Freispruch verlieren, dann haben Sie Versprechen abgegeben, von denen Sie glaubten, sie einhalten zu können. Und jeden Abend vor dem Einschlafen sehen Sie den Blick in den Augen Ihres Mandanten, als er aus dem Gerichtssaal geführt wurde. Eine Mischung aus Angst, Wut und Ratlosigkeit. Glauben Sie mir, das ist viel schlimmer.«

Alison seufzte und begann zu lächeln. »Danke, Sam.«

»Gern geschehen.« Als sie sein Büro verlassen wollte, rief Sam ihr nach: »Vergessen Sie nicht die Zauberformel, wenn Sie an der Reihe sind.«

»Zauberformel?«, wiederholte sie verwirrt.

»›Anweisung meines Mandanten‹. Wenn Sie gefragt werden, ob Sie weiter auf ›nicht schuldig‹ plädieren, dann sagen Sie, das sei die Anweisung Ihres Mandanten. Es ist ein Hinweis darauf, dass Sie nicht an das glauben, was Sie reden.«

»Warum sollte ich das tun? Damit ist Johnny Jones nicht geholfen.«

»Vergessen Sie Ihren Mandanten. Es geht nur um Sie, und um Ihretwillen muss der Richter wissen, wer von Ihnen beiden der Idiot ist. Nur eine Sache ist schlimmer als ein Anwalt, der einen hoffnungslosen Antrag stellt: nämlich ein Anwalt, der nicht weiß, wie hoffnungslos der Antrag ist.«

»Sie meinen, ich soll mit der Faust auf den Tisch schlagen?«

Sam grinste, da er sich noch gut an diese alte Weisheit aus dem Jurastudium erinnerte. Wenn man sich gut mit den Gesetzen auskennt, soll sie man sie für seine Argumentation benutzen. Wenn man sich gut mit den Fakten auskennt, soll man sie für seine Argumentation benutzen. Und wenn man sich mit beidem nicht so gut auskennt, soll man mit der Faust auf den Tisch schlagen.

»Schlagen Sie, so fest Sie können«, sagte Sam. »Bringen Sie jedes Argument vor, auch wenn es noch so sinnlos ist, nur damit der Kerl glaubt, Sie würden sich für ihn einsetzen. Er wird nicht wissen, dass Sie nur Unsinn reden. Aber wenn Sie sich kämpferisch geben, wird er Sie für die beste junge Anwältin in ganz Blackley halten.«

Alison nickte und wirkte nun entspannter. »Okay.«

»Und vergessen Sie nicht, Sie sind Harrys Liebling.«

Obwohl sie beide wussten, dass es stimmte, wurde sie rot. Sams Frau Helena hatte früher auch als Anwältin in der Kanzlei gearbeitet, sich dann jedoch zurückgezogen, als sie Mutter wurde. Es schien so, als würde Harry in Alison einen Ersatz für Helena sehen.

Sam schaute aus dem Fenster, der alte Mann stand noch immer da unten. »Merken Sie sich sein Gesicht gut – für den Fall, dass ich heute umgebracht werde.«

»Kann ich dann Ihr Büro haben?«

»Raus hier.«

Sie lachte noch, als sie bereits im Korridor war.

Nachdem sie gegangen war, kehrte Sam ans Fenster zurück und widmete sich dem Treiben auf der Straße. Auf den Gehwegen drängten sich die Anwälte weiterer Kanzleien, aufgeblasene Egos in einer vergessenen Stadt in Lancashire. Kaum einer von ihnen nahm Notiz von den Säufern, die sich am anderen Ende der Straße trafen, um billige Zigaretten und geklauten Sherry unter sich aufzuteilen.

Eine Weile beobachtete er die vorbeieilenden Anwälte und winkte jenen zu, die zu seinem Fenster hochsahen. Auf einmal fiel ihm auf, dass der alte Mann verschwunden war. Er sah auf die Uhr, und während er sich vom Fenster entfernte, prägte er sich die Zeit ein. So wie die meisten Anwälte lebte er sein Leben in Abschnitten von je sechs Minuten.

Kapitel 6

Ich beobachtete Bobby beim Fernsehen. Ein Kind zu haben, war für mich etwas völlig Neues, aber ich liebte Laura McGanity, und sie gab es nur im Doppelpack mit Bobby.

Vor ein paar Jahren hatte mich mein Ehrgeiz nach London geführt, wo ich mir bei verschiedenen Zeitungen eine Nische als Reporter Jack Garrett schuf, der über Verbrechen in der Stadt berichtete. Der Job forderte allerdings seinen Preis, weil ich die meisten Nächte damit zubrachte, mich über Drogenrazzien und Schießereien auf dem Laufenden zu halten oder über irgendwelche Gangster Exklusivstorys zu schreiben, die mich um meinen Schlaf brachten, da ich stundenlang darauf wartete, dass die Polizei endlich eine Wohnungstür aufbrach.

Doch dann wurde vor einem Jahr mein Vater getötet. In der Zeit davor waren wir uns fremd geworden. Als ich in den Süden des Landes zog, da gingen wir miteinander um, als würden wir uns gar nicht kennen. Seit seinem Tod jedoch zog es mich zurück nach Lancashire. Der Grund dafür war mir nicht klar, aber vielleicht trieben mich schlicht Schuldgefühle dorthin zurück, um die Jahre wiedergutzumachen, in denen ich meinen Träumen nachgejagt war. Fazit war jedenfalls, dass ich nach Turners Fold zurückgekehrt war, einem kleinen Baumwollstädtchen in Lancashire mit engen, schmutzigen Gassen, in dem ich geboren war. Jenes Turners Fold, aus dem ich ursprünglich um jeden Preis hatte entkommen wollen.

Für Laura war es allerdings viel schwerer. Wir hatten uns bei einem Fall kennengelernt – sie als ermittelnder Detective, ich als der Reporter, der auf eine Story hoffte. Als jüngste Tochter eines Steuerberaters aus der Hauptstadt war sie von Kopf bis Fuß auf London eingestellt, auf den Lärm, die Unruhe, die Hektik. Ich hatte mit dem Umzug zurück in den Norden auf einiges verzichtet – meine Kontakte, mein neues Leben in der Großstadt –, aber Laura hatte alles aufgegeben, was ihr von klein auf vertraut gewesen war.

Ich setzte mich zu Bobby. Während sein Blick fasziniert auf den Fernseher gerichtet war – es lief eine Episode von Sponge-Bob Schwammkopf –, fragte ich mich, wie sich der Umzug wohl auf den Jungen auswirken würde. Erst kurz bevor Laura und ich ein Paar wurden, hatte sie sich von Bobbys Vater Geoff scheiden lassen, und anfangs hatten wir nur sporadischen Kontakt. Als ich dann Bobby kennenlernte, verbesserte sich die Situation schlagartig. Nun jedoch war ich derjenige, der den Jungen dreihundert Kilometer nach Norden verschleppt hatte, weg von der Großstadt und hinaus in die weiten Moorlandschaften von Lancashire. Wir wohnten in einem alten Cottage mit Schieferdach und Fenstern kaum größer als Schlüssellöcher. Nachts schien das Haus im Hügel zu versinken, und wenn drinnen die Lichter brannten, sah es von außen aus wie funkelnde Katzenaugen in der Dunkelheit.

Ich schaute zum Fenster; dahinter waren die alten roten Schornsteine der Stadt unter uns ebenso zu sehen wie die terrassenförmigen Linien, die sich wie Prankenhiebe durch die Hügellandschaft zogen. Im Stadtzentrum gab es noch immer einige Straßen mit Kopfsteinpflaster, dessen Ränder vom Regen rundgewaschen worden waren. Der Regen von Lancashire war mir völlig entfallen. Er war der Grund dafür, dass sich hier die Baumwollindustrie angesiedelt hatte, da die hohe Luftfeuchtigkeit für die Arbeit mit diesem Stoff förderlich war. Doch diese Industrie gab es hier längst nicht mehr, und zurückgeblieben waren feuchte Straßen, die sich düster und unheilvoll von dem schiefergrauen Himmel abhoben. Zwischen der Stadt und unserem Cottage erstreckte sich ein üppiger grüner Streifen Land entlang dem Hügel, der hier und da von Steinmauern und kleinen Baumgruppen unterbrochen wurde. Dies hier, dieses weitläufige Grün war der Teil von Lancashire, den die Menschen nicht vorzufinden erwarteten. Lediglich der finstere Schatten von Pendle Hill an der gegenüberliegenden Seite des Tals drückte die Stimmung.

Ich sah auf meine Armbanduhr. In einer halben Stunde musste Bobby in der Schule sein. Heute war ich an der Reihe, ihn dorthin zu bringen, da Laura wegen eines Mordes in den Nachbarort Blackley hatte fahren müssen.

Mir fiel auf, dass ich nervös mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte. Gab es in Blackley eine Story für mich? Ich brauchte irgendetwas, da noch immer ein Kind vermisst wurde. Üblicherweise blieben sie für eine Woche verschwunden, in einigen Fällen auch ein wenig länger. Connor Crabtree war vor sechs Tagen entführt worden, und die landesweit erscheinenden Zeitungen hatten ihre Leute in die Stadt geschickt, wo sie inzwischen die Minuten bis zur Freilassung des Jungen zählten. Das machte es für mich umso schwerer. Ich war freier Journalist und musste versuchen, meine Artikel an Zeitungen zu verkaufen, die ihr eigenes Personal für die Berichterstattung abgestellt hatten, während ich wie ein Hund beim Abendessen darauf wartete, dass ein paar Brocken für mich abfielen. Meine Arbeit war immer dann am besten, wenn die Konkurrenz noch nicht angerückt war und ich die ersten Aussagen festhalten konnte.

Ein paar Storys hatte ich dennoch verkaufen können, kleine Artikel über die Menschen, die von den Entführungen betroffen waren, und über die Stadt an sich, aber die waren nur Beiwerk. Jetzt befand sich Laura am Schauplatz eines Verbrechens, und ich musste daheim bleiben, um den Jungen zur Schule zu fahren.

»Fahren wir bald los, Jack?«, fragte Bobby so leise, dass es mehr einem Flüstern glich.

Seine Frage holte mich aus meinen Gedanken, ich sah auf die Uhr und sagte: »In zehn Minuten.«

Nach einer kurzen Pause fragte Bobby: »Wie lange sind zehn Minuten?«

Ich seufzte, da ich noch nicht so recht wusste, was ich auf solche Fragen antworten sollte. Mit diesen Dingen kannte ich mich nicht aus. Solange ich nur Mummys Freund war, der manchmal über Nacht blieb, war das noch okay gewesen. Aber nun lebten wir zusammen in einem Haus, und wir wetteiferten miteinander um die Aufmerksamkeit ein und derselben Frau.

»So lange wie eine Geschichte von Baumeister Bob«, sagte ich. Diese Antwort schien ihn zufriedenzustellen, da er sich wieder dem Geschehen im Fernsehen widmete.

Während ich den Jungen weiter beobachtete, wurde mir klar, dass das hier kein Spiel mehr war. Bobby war nicht bloß ein Hintergrundgeräusch im Haus, sondern er war ein Junge, um den man sich kümmern und den man umsorgen musste.

Gerade wollte ich aufstehen, um mich fertig anzuziehen, da wollte Bobby wissen: »Wo ist Mummy?«

Ich hielt inne und überlegte kurz. Bei Kindern war es immer am besten, möglichst nahe an der Wahrheit zu bleiben. »Du weißt, dass Mummy Polizistin ist«, begann ich sanft.

Bobby nickte.

»Na ja, manchmal müssen Polizistinnen anderen Leuten helfen. Und das macht sie im Moment: Sie hilft jemandem.«

Bobby drehte sich zu mir um. Meine Worte hatten ihn anscheinend nicht überzeugt, und mir wurde deutlich, dass die Scheidung seiner Eltern ihn stärker abgehärtet hatte, als es für einen Vierjährigen gut war. Dennoch lächelte ich ihn an, da ich in ihm so viel von Laura entdecken konnte – von den angedeuteten Grübchen über sein volles dunkles Haar bis hin zu dem schelmischen Funkeln in seinen Augen.

Ich zwinkerte ihm zu und fuhr ihm durchs Haar. Das musste einfach funktionieren, sagte ich mir, für Bobby genauso wie für Laura und mich.

Doch dann dachte ich an Laura, wie ich an diesem Morgen ihre Silhouette gesehen hatte, als sie sich vor dem Fenster anzog. Ich dachte an die Wärme, die in ihrem Bett zurückblieb, während sie längst aufgestanden war, an die sanfte Berührung ihrer Lippen, als sie sich von mir verabschiedete. Nein, es musste nicht einfach nur funktionieren, sondern ich selbst musste dafür sorgen, dass es funktionieren würde.

Meine Gedanken waren nach wie vor bei Laura, als mir klar wurde, dass ich mich nach mehr Arbeit umsehen musste. In London hatte ich meine Kontakte geknüpft und gepflegt: Leute, die sich die Geschichten ansahen, die ich verkaufte; gesprächige Leute auf den Polizeiwachen und in den Krankenhäusern. Hier musste ich wieder bei null anfangen, Ansprechpartner finden und nach dem Blickwinkel suchen, aus dem die Lokalpresse normalerweise nicht berichtete. Die Entführungen würden über kurz oder lang aufhören, aber bis dahin mussten wir die Raten für das Haus zusammenbekommen. Laura ermittelte in einem Mordfall, und zu jedem Mord gab es eine Story.

Ich griff nach dem Telefon und wählte ihre Nummer. Nach dem zweiten oder dritten Klingeln meldete sie sich. »Ich kann nichts zu dem Fall sagen«, begrüßte sie mich.

»Vielleicht rufe ich ja nur an, um deine Stimme zu hören«, entgegnete ich lachend.

»Die hast du heute Morgen gehört.«

»Ich bin Reporter, Laura. Ich muss über Ereignisse schreiben, und ich habe eine Kontaktperson, die genau an der Quelle sitzt.«

»Tut mir leid, Jack, aber ich bin nicht mehr deine Kontaktperson, seit du mich nackt gesehen hast. Das ist mein Prinzip.«

Ich pfiff leise. »Ein verdammt hoher Preis, der trotzdem jeden Penny wert ist.«

Sie kicherte darüber, doch als sie dann weiterredete und nach Bobby fragte, wusste ich, das Thema war abgehakt.

»Ihm geht’s gut«, sagte ich. »Keine Angst. Die Schule ist für all die Kinder etwas Neues, da stellt Bobby keine Ausnahme dar.«

»Was hast du heute vor?«

»Weiß noch nicht. Vielleicht sehe ich mich mal in Blackley um, was ich da so finden kann. Offenbar hat sich da ein Mord ereignet.«

»Jack!«

»Wenn du mir nichts sagst«, meinte ich lachend, »muss ich eben eigene Ermittlungen anstellen.«

»Wie lange wirst du fort sein?«, fragte sie besorgt.

Ich wusste, Bobby musste von der Schule abgeholt werden. »Keine Angst, ich bin rechtzeitig zurück.«

Sie wurde spürbar ruhiger. »Okay, danke, Jack.« Es folgte eine kurze Pause, dann: »Mir tut das alles sehr leid.«

»Dass du keine festen Arbeitszeiten hast, wusste ich schon, als ich dich kennenlernte«, gab ich zurück. »Außerdem kann ich mich nicht beschweren. Ich muss ihn zwar zur Schule bringen, aber die Sache mit dem Windelnwechseln konnte ich dafür überspringen.«

Sie lachte auf. »Ich liebe dich, Jack.«

»Und ich habe dich schon immer geliebt«, erwiderte ich, dann hatte sie bereits aufgelegt.

Ich sah zu Bobby, der mich während des Telefonats aufmerksam beobachtet hatte. Ich stieß ihn leicht mit dem Arm an und forderte ihn auf: »Dann komm mit, Soldat. Bringen wir dich zur Schule.«

Als er daraufhin lächelte, verspürte ich vollkommen unerwartet eine riesige Freude über diese Reaktion.

Laura hatte sich in eine ruhige Ecke der Polizeikantine zurückgezogen, um den Anruf entgegenzunehmen. Doch als sie jetzt das Telefon wegsteckte und sich umdrehte, stand Pete mit zwei Bechern Kaffee da und grinste sie breit an.

»Das war wunderschön«, sagte er. »Mir ist ganz warm ums Herz geworden.«

Sie errötete und nahm ihm einen Becher aus der Hand. Die kleine Kantine war überlaufen, da etliche uniformierte Polizisten abgeordnet worden waren, damit sie bei der Suche nach dem Mörder mithalfen. Trotzdem lag das Hauptaugenmerk nach wie vor auf der Entführungsserie. An jeder Wand und an der Tür hingen Plakate, Vergrößerungen einer Visitenkarte, die zwei Hände zeigte, die schützend über einen kleinen Kopf gehalten wurden. Bei jedem entführten Kind hatte man eine solche Karte gefunden. Die Medien wussten von der Existenz dieser Visitenkarten, wahrten aber Stillschweigen; als Gegenleistung wurden sie von der Polizei täglich über den aktuellen Stand der Dinge informiert. Auch jeder Polizist in Blackley war über diese Karten informiert worden, damit gezielt nach ihrem Urheber geforscht werden konnte. Wenn jemand durchsucht wurde, stellte man gleichzeitig auch die Brieftasche auf den Kopf, ob sich dort eine solche Karte fand. Wurde jemand festgenommen, erfolgte automatisch eine besonders gründliche Durchsuchung der Wohnung.

»Kommen Sie«, forderte Pete sie auf, »und überlassen Sie den Jungs den Frühstücksspeck. Egan will zu seinen Generälen reden.« Im Besprechungsraum herrschte Schweigen, als sie beide hereinkamen. Egan hatte noch weitere Knallköpfe aus dem Streifendienst abgezogen, die normalerweise in der Stadt patrouillierten und die aktiven Kriminellen im Auge behielten. Einbrecher und Dealer würden es in den nächsten Tagen leichter haben, ihrem Gewerbe nachzugehen.

Sie nahmen im hinteren Teil des Raums Platz, und nachdem Laura sich hingesetzt hatte, schaute sie sich um.

Der Polizeiwache konnte man ihr Alter ansehen. Die Wände hatte man bereits etliche Male gestrichen, die oberste, cremefarbene Schicht war uneben und blätterte stellenweise ab. Unter den Schiebefenstern hatte man klobige Heizkörper montiert, die Decken waren so hoch, dass unter ihnen alles zusammengewürfelt und unordentlich aussah. Zwar wurde davon geredet, am Stadtrand eine neue Wache zu bauen, doch bis dahin konnten noch Jahre vergehen.

Egan ging vorne auf und ab und kratzte sich wiederholt am Kinn. Er wirkte angespannt und hatte Laura und Pete, die als Letzte eingetroffen waren, hereinkommen sehen.

Schließlich wandte er sich den Anwesenden zu, räusperte sich und begann mit einer Zusammenfassung der bisherigen Erkenntnisse: wie Jess’ Leichnam vorgefunden worden war, dazu die übliche Liste dessen, was immer untersucht wurde. Beziehungen, Geld, Stalker. Egan war ein Flipchart-Cop, der alles erledigt hatte, was man von einer Führungspersönlichkeit erwarten konnte. An der Wand hingen Fotos der Toten, auf seiner Flipchart hatte er Verdächtige, mögliche Motive und Ähnliches notiert.

Die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer war schnell aufgebraucht. Laura konnte die Unruhe spüren; als ob sie wüssten, dass man sie nicht umfassend genug ausstatten würde, um ihre Arbeit richtig zu erledigen.

Sie konnten nur auf einen Glückstreffer hoffen, und der sollte sich besser schnell einstellen.

Vermutlich war Glück sogar dringend nötig, da die Spurensicherung bereits berichtet hatte, dass es kaum brauchbare Spuren gab.

Einige DNS-Tests waren noch nicht abgeschlossen, und Fingerabdrücke mussten noch verglichen werden, aber trotz des blutigen Tatorts war nichts sofort ins Auge gesprungen, da keine blutigen Hand- oder Schuhabdrücke gefunden wurden. Es mochten sich noch Spuren finden, wenn restlos alle Details ausgewertet wurden, doch vorerst war noch nicht viel da.

Egan hielt inne und sah zu Laura.

»Sie haben mit dem alten Mann gesprochen. Welchen Eindruck machte er?«

»Müde und aufgewühlt, würde ich sagen. Ich sagte ihm, ich würde mich später bei ihm melden, um seine Aussage aufzunehmen. Die Nachbarn haben bestätigt, dass er kurz vor dem Anruf mit den Fäusten gegen die Haustür trommelte. Daher dachten wir nicht, wir hätten genug gegen ihn in der Hand, um ihn heute Morgen auf die Wache zu holen.«

»Und was dachten Sie persönlich?«

»Ich weiß nicht so recht. Er war dort, er war aufgebracht, aber davon abgesehen bin ich mir nicht sicher, was ich von ihm halten soll.«

»Noch kein Alibi?«

Laura schüttelte den Kopf. »Nein. Nur dass er zu Hause war und von ihr geträumt hat.«

Für Egan schien das ein gefundenes Fressen zu sein. »Eric Randle muss unser Hauptverdächtiger sein. Bis heute Abend will ich alles über ihn wissen. Wo er gearbeitet hat, wen er kennt, wo er sich aufhält. Und ich will, dass jemand sein Haus im Auge behält, damit wir erfahren, wer bei ihm ein und aus geht.« Dann zeigte er auf Laura und Pete: »Und Sie beide holen sich seine Aussage. Wenn Sie wieder gegangen sind, wird er vielleicht glauben, die Sache sei für ihn erledigt.«

Laura und Pete sahen sich an. Es kam ihnen wie eine banale Aufgabe vor, nachdem Egan am Tatort selbst noch so viel Druck gemacht hatte.

»Was ist mit Luke King?«, meldete sich Pete zu Wort. »Er war in der Nähe und fuhr mitten in der Nacht von dort ab.«

»Stellen Sie diskrete Nachforschungen an«, erklärte Egan. »Darum können Sie sich kümmern, wenn Sie mit Randle fertig sind.«

Pete schien das nicht zu genügen. »Wie lange sollen wir uns ruhig verhalten, wenn er erst mal gemerkt hat, dass wir uns für ihn interessieren?«, fragte er. »Momentan könnten wir an seinem Körper noch DNS der Ermordeten finden. Warten wir noch länger, dann sind diese Spuren vermutlich unbrauchbar.«