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Wenn Angst dich nicht mehr atmen lässt Romantic Thriller von Frank Rehfeld Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten. Die siebzehnjährige Melody ist am Boden zerstört. Sie kann es nicht fassen, dass ihre Eltern wirklich tot sind. Nun hat sie nur noch einen Verwandten, ihren Onkel George. Sie entschließt sich, bei ihm zu wohnen, bis sie volljährig ist. In ein Heim will sie nicht gehen. Aber nach nur ein paar Tagen auf Morton-Manor fragt Melody sich, ob sie sich nicht doch falsch entschieden hat, denn sie wird das Gefühl nicht los, dass der Onkel ihr Erbe für sich beanspruchen will. Und dann geschieht das erste Unglück ...
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Seitenzahl: 141
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Wenn Angst dich nicht mehr atmen lässt
Frank Rehfeld
Published by Cassiopeiapress Extra Edition, 2018.
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Wenn Angst dich nicht mehr atmen lässt
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About the Publisher
ROMANTIC THRILLER VON Frank Rehfeld
Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.
Die siebzehnjährige Melody ist am Boden zerstört. Sie kann es nicht fassen, dass ihre Eltern wirklich tot sind. Nun hat sie nur noch einen Verwandten, ihren Onkel George. Sie entschließt sich, bei ihm zu wohnen, bis sie volljährig ist. In ein Heim will sie nicht gehen. Aber nach nur ein paar Tagen auf Morton-Manor fragt Melody sich, ob sie sich nicht doch falsch entschieden hat, denn sie wird das Gefühl nicht los, dass der Onkel ihr Erbe für sich beanspruchen will. Und dann geschieht das erste Unglück ...
EIN CASSIOPEIAPRESS Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author / COVER STEVE MAYER
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
"NEIN", SCHLUCHZTE MELODY. Ihre Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen. Sie krampfte ihre Finger so fest um die Lehne des Sessels, dass die Knöchel weiß hervortraten, dann hob sie die Hände langsam, wie in Zeitlupe, und bedeckte ihr Gesicht damit. Drei, vier Sekunden verharrte sie in dieser Haltung, dann sprang sie plötzlich auf.
"Nein!", wiederholte sie, aber diesmal schrie sie das Wort mit überschnappender Stimme. "Sie lügen! Meine Eltern sind nicht tot, das ist nicht wahr!"
Die beiden in Zivil gekleideten Polizeibeamten auf der anderen Seite des Tisches wechselten einen vielsagenden Blick mit dem grauhaarigen Arzt, der bislang noch nicht Platz genommen hatte, sondern am Türpfosten lehnte.
"Doch, Miss Sandfort", sagte einer der Beamten mit belegter Stimme. "Es ist wahr, so leid es mir auch tut, Ihnen diese Nachricht überbringen zu müssen. Aber es ist geschehen, und keine Macht der Welt kann daran noch etwas ändern."
"Nein!", schrie Melody ein drittes Mal. Die Gedanken jagten wie beißende Ratten durch ihren Kopf, doch es war ihr unmöglich, einen davon wirklich zu Ende zu denken. Die Gesichter der Männer, deren Namen sie sich gar nicht erst gemerkt hatte, verschwammen zu konturlosen Schemen. Sie fühlte sich wie in einem grausamen Alptraum gefangen, wollte kreischen und um sich schlagen, irgendetwas tun, nur um aus diesem Traum aufzuwachen. Ohne sich dessen selbst bewusst zu sein, packte sie einen schweren Kristallaschenbecher, der vor ihr auf dem Tisch stand, und schleuderte ihn mit solcher Wucht gegen eine Wand, dass er klirrend zerbarst. Als sie auch nach einem Glas griff, um damit das Gleiche zu tun, packte einer der Polizisten ihren Arm, nahm ihr das Glas aus den Fingern und stellte es auf die Tischplatte zurück.
"Bitte, Miss Sandfort, so kommen Sie doch zur Vernunft", sagte er. "Dr. Fulton wird Ihnen eine Beruhigungsspritze geben. Es ..."
"Ich will keine Spritze, und ich will auch nicht zur Vernunft kommen! Ich will meine Eltern!", brüllte Melody. Verzweifelt stemmte sie sich gegen den Griff des Mannes, versuchte ihre Hand loszureißen, aber gegen seine Kräfte kam sie nicht an. Nach einigen Sekunden erlosch ihr Widerstand. Nur eine schreckliche, saugende Leere in ihrem Inneren blieb zurück. Kraftlos ließ sie sich wieder in den Sessel sinken. Die Tränen schossen ihr in die Augen, und sie hatte nicht einmal mehr die Kraft, sie fortzuwischen. Es waren Tränen der Verzweiflung, nicht der Trauer.
Alles war viel zu schnell gegangen. Vor zwei Tagen hatten in der Schule ihre Sommerferien begonnen. Mit ihren siebzehn Jahren war sie nur noch ein Jahr vom Examen entfernt, und sie war eine gute Schülerin. Bislang hatte sie ein weitestgehend glückliches Leben geführt. Sie stammte aus reichem Elternhaus, war mit viel Liebe erzogen worden, und über ihr Aussehen brauchte sie sich auch nicht zu beklagen. Sie war von schlankem, fast zierlichem Wuchs, doch ihr Körper war längst schon zu dem einer Frau herangereift. Auch ihr Gesicht mit den sinnlichen Lippen und den strahlend blauen Augen war hübsch geschnitten. Es wurde von einer wahren Flut kupferroten Haares eingerahmt, auf das sie besonders stolz war, und das vor allem bei Sonnenschein wie Feuer leuchtete.
Diese Ferien wollte sie gemeinsam mit ihren Eltern in der Südsee verbringen. Es war bereits alles geplant und vorbereitet. In drei Tagen wären sie geflogen, und sie freute sich auf diesen gemeinsamen Urlaub umso mehr, da ihr Vater als Aufsichtsratsvorsitzender einer großen Firma viel auf Reisen war und sie selten Gelegenheit fand, etwas mit ihm gemeinsam zu unternehmen.
An diesem Abend waren ihre Eltern zu einer Feier gefahren. Melody war allein Zuhause geblieben, bis es vor ein paar Minuten geklingelt hatte und die drei Männer vor der Tür gestanden hatten, um ihr möglichst taktvoll die schreckliche Hiobsbotschaft zu überbringen.
John und Mary Sandfort waren tot!
Etwas in Melody weigerte sich noch, die Wahrheit wirklich zu begreifen, so dass der Schmerz bislang nicht vollends bis in ihr Bewusstsein vorgedrungen war. Aber er würde kommen, auch wenn sie ihn zu verdrängen versuchte, und je länger ihre jetzige Betäubung andauerte, umso schlimmer würde er sein.
Melody nahm nur unbewusst wahr, dass der Arzt neben ihr niederkniete. Er öffnete seine Tasche, und nahm irgendetwas heraus. Kurz darauf spürte sie einen Einstich im Arm. Es tat nicht weh, und Sekunden später durchpulste sie eine Woge von Hitze, und ein wohliges Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus.
"Fühlen Sie sich jetzt etwas besser?", fragte der Arzt.
Melody nickte kaum merklich.
"Ja", murmelte sie leise, wobei sie den Blick zur Decke gerichtet hielt. Die Antwort kam fast automatisch über ihre Lippen, und sie wusste nicht einmal, ob sie der Wahrheit entsprach oder eine Lüge war. Das beruhigende Medikament dämpfte ihre Empfindungen und verdrängte den Schmerz, aber Melody empfand gerade diese künstliche Betäubung als fast noch schlimmer.
"Wie ... wie ist es passiert?", fragte sie stockend. In einem automatischen Reflex griff sie nach den Zigaretten vor sich und zündete sich eine an.
Einer der Polizeibeamten stand auf, trat an den Kaminsims und nahm einen anderen Aschenbecher herunter, während er antwortete: "Wie schon gesagt, es handelte sich um einen Verkehrsunfall. Ein Reifen ist geplatzt. Der Wagen Ihrer Eltern kam ins Schleudern und prallte gegen einen Baum. Ihr ..." Er machte eine kurze Pause und räusperte sich, ehe er fortfuhr: "Ihr Vater war sofort tot. Ihre Mutter starb, bevor ein Krankenwagen die Unfallstelle erreichte. Ich ... ich kann nur noch einmal sagen, wie leid mir das tut, Miss Sandfort."
Seine letzten Worte hörte Melody kaum noch. Ihr Blick irrte zu dem Foto ihrer Eltern, das in einem Regal des Wohnzimmerschrankes stand. Obwohl sie genau wusste, wie trügerisch diese Hoffnung war, klammerte sie sich mit einem letzten Rest ihres Verstandes an den Gedanken, dass alles doch nur ein schrecklicher Traum war.
Aber es war keiner.
DIE FOLGENDE WOCHE war die bislang schlimmste in Melodys Leben. Eine Sozialpädagogin kümmerte sich während der ersten Tage um sie, bis ihr weiteres Schicksal und alle mit dem Erbe ihres Vaters verbundenen Vermögensangelegenheiten geregelt waren. Natürlich würde Melody als einziges Kind der Sandforts alles erben, aber sie war noch nicht erwachsen, und bis zum Tag ihrer Volljährigkeit musste ein Vormund ihre Erziehung und die Verwaltung des beachtlichen Vermögens übernehmen. Dieser fand sich in George Morton, dem Bruder von Melodys Mutter und einzigem nahen Verwandten.
Schon seit vielen Jahren hatte Melody keinen Kontakt mehr zu ihm und kannte ihn so gut wie gar nicht. Sie wusste nur, dass er bereits um die sechzig Jahre alt war und in einem großen, alten Haus an der Küste Cornwalls lebte, aber es war ihr lieber, von einem fast unbekannten Onkel erzogen zu werden, als für das nächste halbe Jahr in die Obhut des Jugendamtes zu kommen und die finanziellen Geschäfte einem Notar übertragen zu müssen. Sicherlich würde es ihr schwerfallen, in eine andere Schule zu wechseln und ihre Freunde aufgeben zu müssen, aber sie sagte sich, dass es vielleicht sogar besser wäre, London zu verlassen, wo alles sie an ihre Eltern erinnerte. So konnte sie zu allem etwas Abstand gewinnen und damit beginnen, sich ein neues Leben aufzubauen, auch wenn es ihr jetzt noch schwerfiel, sich überhaupt vorzustellen, dass sie jemals wieder würde fröhlich sein könnte.
Leider war es ihrem Onkel aufgrund einer plötzlichen Krankheit nicht möglich, selbst nach London zu kommen, so dass er seinen Diener Henry Brannigan schicken musste. Brannigan war Mitte der Vierzig, ein bulliger Mann mit schütterem braunem Haar. Der Blick seiner Augen war stechend, und um seine Mundwinkel lag stets ein kaltes Lächeln, das ihn Melody zusammen mit seiner schweigsamen, eigenbrötlerischen Art sofort unsympathisch machte. Vielleicht war es nicht richtig, einen Menschen nach dem ersten Eindruck zu beurteilen, aber ihre instinktive Ablehnung dem Mann gegenüber war stärker als das, was der Verstand ihr sagte.
Brannigan traf einen Tag nach der Beerdigung von Melodys Eltern in London ein und blieb zwei Tage lang dort, so dass sie genug Zeit hatte, alles Notwendige zu packen und sich von ihren Bekannten zu verabschieden.
Immer noch war Melody wie betäubt. Alles schien an ihr vorbeizufliegen. Sie fühlte sich fast wie ein unbeteiligter Beobachter all dessen, was um sie herum geschah; schien über allem zu schweben und sich selbst aus der Ferne zuzuschauen. Erst als sie auf dem Beifahrersitz von Brannigans Wagen saß und sie die Stadtgrenze ihrer Heimatstadt hinter sich ließen, fand sie wieder etwas zu sich selbst.
Unsicher musterte sie Henry Brannigan von der Seite. Es war, als sähe sie ihn zum ersten Mal, obwohl er die letzten Tage mit ihr unter einem Dach gewohnt hatte. Aber auch jetzt war er ihr noch nicht viel sympathischer geworden. Er bemerkte ihren Blick und wandte ihr den Kopf zu.
"Was gibt es denn so zu starren?", knurrte er unfreundlich.
"Nichts", erwiderte Melody leise und richtete ihren Blick wieder auf die Straße. Während der Fahrt nach Cornwall musste sie Henry Brannigan noch ertragen, aber sie hoffte, ihn anschließend so selten wie möglich zu Gesicht zu bekommen.
Die Fahrt verlief weitgehend schweigsam. Zeitweilig schaltete Melody ihren Walkman ein und setzte die Kopfhörer auf, um sich durch die Musik abzulenken. Dann wieder versuchte sie die Langeweile durch Lesen zu vertreiben, aber es gelang ihr nicht, sich auf den Inhalt des mitgebrachten Buches zu konzentrieren. So beschränkte sie sich schließlich darauf, aus dem Fenster zu schauen und die Umgebung zu betrachten.
Der Verkehr auf den Straßen nahm ab, je weiter sie nach Westen vordrangen. Im Gegensatz zum schönen Wetter der letzten Tage hatte es sich an diesem Vormittag ein wenig bewölkt, und die Sonne konnte immer nur für wenige Minuten durch die Wolkendecke brechen. Einmal gerieten sie sogar in einen Regenschauer.
Das triste Wetter passte zu Melodys Stimmung, aber es machte sie auch noch trübsinniger, als sie ohnehin schon war. Ihrem Vater wären bestimmt schon längst ein paar lustige Sprüche eingefallen, mit denen er sie aufgemuntert hätte, aber das konnte sie natürlich von Henry Brannigan nicht erwarten. Ihm schien es völlig egal zu sein, wie sie sich fühlte, denn er schaute stur nach vorne und kümmerte sich nicht um sie.
Melody stiegen die Tränen in die Augen. Unauffällig wischte sie sie fort, denn sie wollte vor Brannigan keine Schwäche zeigen, obwohl es in ihrer Situation sicherlich verständlich gewesen wäre. Sie musste den Gedanken gewaltsam verdrängen, dass sie sich normalerweise jetzt an der Seite ihrer Eltern an irgendeinem Südseestrand in der Sonne räkeln würde.
Die Landschaft war von einschläfernder Monotonie. Immer seltener werdende Wälder wechselten sich mit Wiesen, Kornfeldern und gelegentlichen kleinen Dörfern ab. Nur als gegen Mittag in der Ferne erstmals das Meer zu sehen war, und fast gleichzeitig die Sonne wieder durch die Wolken brach, riss der Anblick Melody noch einmal kurz aus ihrem Halbschlaf.
Kurz darauf schlief sie tatsächlich ganz ein, und als sie wieder erwachte, weil der Wagen plötzlich langsamer fuhr und dann ganz anhielt, hatten sie das Ziel ihrer Reise erreicht.
Vor ihnen lag Morton-Manor, das Haus in dem George Morton wohnte.
DER ANBLICK SCHLUG Melody sofort in seinen Bann, aber das Haus erfüllte sie mit so zwiespältigen Gefühlen, dass ihr gleichzeitig eine Gänsehaut über den Rücken rann. Sie hatte nur noch eine ganz vage Erinnerung an Morton-Manor, denn es lag bestimmt zehn Jahre zurück, dass sie zuletzt hier gewesen war. Schon damals war ihr das Haus unheimlich gewesen. Jetzt flößte es ihr Furcht ein.
Es war ein gewaltiges altes Herrenhaus im viktorianischen Baustil, mit zahlreichen Erkern, Türmchen, Schrägdächern und Balkonen. Der größte war mit Säulen abgestützt und überdachte die breiten Stufen, die zu dem Eingangsportal hoch führten. Die ganze Bauweise wirkte seltsam gestaucht und verdreht, als hätte ein Riese das Haus genommen, ein wenig daran herum geknetet, und es schließlich achtlos liegengelassen. Auch war es nicht gerade in bestem Zustand - gelinde ausgedrückt!
Die Farbe der Außenfassaden war fast völlig abgeblättert, die Wände sahen schmutzig und baufällig aus. Der Regen hatte hässliche dunkle Streifen in das Mauerwerk gewaschen. Einige Dächer waren eingesunken oder ganz heruntergebrochen, Regenrinnen hingen schräg herab. Die Wände waren rissig, vielfach war der Putz abgebröckelt, und stellenweise klafften sogar kopfgroße Löcher im Mauerwerk. Alles machte einen düsteren und trostlosen Eindruck. Fast bedauerte Melody jetzt schon, hergekommen zu sein.
"Wir sind da, falls du es noch nicht gemerkt hast", sagte Brannigan grob. "Möchtest du nicht endlich aussteigen?"
Seine Worte rissen Melody aus ihren Grübeleien. Sie schrak auf.
"Doch, natürlich", murmelte sie verwirrt und stieg aus dem Wagen.
Brannigan führte sie auf das große Eingangsportal zu und betätigte den wuchtigen Türklopfer. Eine Tür innerhalb des Portals wurde geöffnet, und eine geduckte Gestalt erschien in der Öffnung.
George Morton war wirklich alt. Er sah sogar älter aus, als Melody erwartet hatte. Sein bereits angegrautes Haar lag wirr um seinen Kopf, und in sein Gesicht hatten sich tiefe Falten eingekerbt. Dünne, blutleere Striche bildeten seinen Mund, und seine gekrümmte Nase hatte Ähnlichkeit mit einem Adlerschnabel. Er musste sich beim Gehen auf einen Stock stützen, doch als er Melody erblickte, trat ein freudiges Funkeln in seine Augen.
"Melody!", rief er. "Wie freue ich mich, dich zu sehen." Er trat noch einen Schritt vor, ließ den Stock fallen und schloss sie in die Arme.
Melody versteife sich. Im ersten Moment wollte sie sich gegen die Umarmung wehren. Die Berührung der gichtigen Hände war ihr zuwider. Vielleicht lag es daran, dass sie dadurch wieder an Alter und Tod erinnert wurde, aber dann wurde ihr bewusst, dass sie sich unmöglich benahm. Sie gab ihren Widerstand auf und legte ebenfalls die Arme um den schmächtigen Körper ihres Onkels.
"Es tut mir leid, was mit deinen Eltern passiert ist", murmelte George Morton. "Du weißt, dass ich mich mit deinem Vater nie gut verstanden habe, aber als ich von dem schrecklichen Unglück hörte, war ich doch entsetzt."
Melody sagte nichts. Sie musste wieder gegen die Tränen ankämpfen. Seine Worte hatten die noch längst nicht verheilte Wunde in ihrem Inneren erneut aufgerissen. Obwohl er fast doppelt so alt wie ihre Mutter war, sah er ihr doch ähnlich.
"Komm, gehen wir ins Haus!", schlug er schließlich vor. "Es ist feucht und kühl hier draußen, und ich spüre das Wetter in meinen alten Knochen. Henry wird dein Gepäck gleich hereinbringen."
Melody folgte ihm in einen düsteren, muffig riechenden Flur. Es gab nur ein einziges kleines Fenster über der Tür, das höchstens einer ausgehungerten Fliege Platz geboten hätte, und außerdem war die Scheibe vom Schmutz fast blind geworden. Eine hölzerne Treppe führte in die Höhe, doch sie gingen daran vorbei und traten in ein altmodisch eingerichtetes Wohnzimmer. Auch hier roch es muffig, als würden die alten Möbel den Mief der Jahrhunderte ausatmen, die sie sicherlich schon alt waren.
Melody schaute sich aufmerksam um, darum bemüht, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie sehnte sich schon jetzt nach der großen, lichtdurchfluteten und modern eingerichteten Villa in London zurück, die jetzt leer stand, in die sie nach ihrem achtzehnten Geburtstag aber wieder zurückziehen würde.
Morton-Manor stellte eine große Enttäuschung für sie dar. Dies sollte ihr neues Heim sein? Sie konnte sich kaum vorstellen, jetzt für mehr als ein halbes Jahr hier wohnen zu müssen.
"Setz dich doch!", sagte Onkel George und deutete auf einen Sessel, während er selbst in einem anderen Platz nahm. Melody kam der Aufforderung nach. Noch einmal schaute sie sich aufmerksam um, doch was sie sah, gefiel ihr auch jetzt nicht besser als beim ersten Mal.