Wenn die Sterne günstig stehen - Ellie Pilcher - E-Book

Wenn die Sterne günstig stehen E-Book

Ellie Pilcher

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Beschreibung

Je größer die Krise, desto schöner das Horoskop

Seit ihrem 29. Geburtstag geht in Krystals Leben plötzlich alles schief: Erst wird sie von ihrem Verlobten verlassen, dann ist der Job weg, und die Traumwohnung hat einen Wasserschaden. Es sei bekannt, dass Saturn in diesem Lebensabschnitt für Chaos sorgt, behauptet ihre beste Freundin. Aber wenn die Sterne sie in diese Lage gebracht haben, dann kann die Astrologie ihr da auch wieder raushelfen. Mit Horoskop-App, Tarotkarten und Kristallen bewaffnet, will Krystal das Universum mit seinen eigenen Waffen schlagen. Und plötzlich scheint das Glück wieder auf ihrer Seite. Doch als sie dem attraktiven Neffen ihrer Astrologielehrerin begegnet, der so gar nicht zu ihrem Horoskop passt, muss sich Krystal fragen, ob sie den Sternen oder doch besser ihrem Herzen folgen sollte.

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Seitenzahl: 511

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Das Buch

Seit ihrem neunundzwanzigsten Geburtstag geht in Krystals Leben plötzlich alles schief: Erst wird sie von ihrem Verlobten verlassen, dann ist der Job weg, und die Traumwohnung hat einen Wasserschaden. Ihre beste Freundin behauptet: Es sei bekannt, dass der rückkehrende Saturn in diesem Lebensabschnitt für Chaos sorgt. Mit Horoskop-App, Tarotkarten und Kristallen bewaffnet, will Krystal das Universum mit seinen eigenen Waffen schlagen. Und plötzlich scheint das Glück wieder auf ihrer Seite. Doch als sie dem attraktiven Neffen ihrer Astrologielehrerin begegnet, der so gar nicht zu ihrem Horoskop passt, muss sich Krystal fragen, ob sie den Sternen oder doch besser ihrem Herzen folgen sollte.

Die Autorin

Ellie Pilcher lebt in London und arbeitet als Marketing-Managerin in der Verlagsbranche. Sie ist außerdem Journalistin, Bloggerin und öffentliche Rednerin. Ellie schreibt und spricht über eine Vielzahl von Themen, insbesondere über Karriere, Lifestyle, Zero-Waste-Engagement, und hat bereits Artikel für Glamour, The Telegraph, Huffington Post und andere namhafte Zeitschriften verfasst. Wenn die Sterne günstig stehen ist ihr erster Roman bei Heyne. Mehr über Ellie auf ellesbellesnotebook.co.uk

Ellie Pilcher

Roman

Aus dem Englischen von Angelika Naujokat

WILHELMHEYNEVERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe What Planet Can I Blame This On? erschien erstmals 2021 bei Hodder Studio, an imprint of Hodder & Stoughton, London.

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Deutsche Erstausgabe 11/2022

Copyright © 2021 by Ellie Pilcher

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO GbR, München,

unter Verwendung von Shutterstock.com (Marish, Stars in the sky)

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-29623-0V001

www.heyne.de

Für meinen Großvater. Don’t worry, be happy.

Ich vermisse dich. In Liebe, Ellie Roo (Ada)

1

Löwe: Druck kann hilfreich sein, Dinge umzusetzen.

Rückläufige Venus.

»Although we’ve come to the end of the road, still I can’t let go …«

Das war die allerschlimmste Playlist, die ich je für einen Geburtstag zusammengestellt hatte. Please Don’t Go von KWS, Stay von Shakespears Sister und Would I Lie to You von Charles & Eddie. Nummer-eins-Hits aus meinem Geburtsjahr – 1992 –, die allesamt keine gute Musikuntermalung abgaben, wenn man gerade den eigenen Freund aus der Wohnung schmiss.

Fast neunundzwanzig Jahre nach ihrer Veröffentlichung machten sie sich nun aus den Bluetooth-Lautsprechern in der Küche über mich lustig. Keine Ahnung, warum ich gerade diese Playlist laufen ließ, während ich mich von ihm trennte, aber ich war immer noch total geplättet, dass meine Beziehung nur aus Betrug bestand, daher möge man es mir nachsehen.

Anscheinend ist jede Beziehung eine offene Beziehung?!, fügte ich dem Chat unserer WhatsApp-Gruppe »Kammer des Schreckens« hinzu. Sie bestand aus meinen besten Freundinnen, die ich mit den aktuellen Neuigkeiten aus dem Drama, das mein Leben war, auf dem Laufenden hielt. Die Antworten kamen prompt.

Paige: Ernsthaft?!?!

Tina: Arschloch.

Tina: Den sollte man kastrieren.

Ich kicherte bei dem Gedanken daran – zu radikal? –, antwortete aber nicht. Stattdessen stellte ich meine Geburtstags-Playlist lauter, damit sie Davids Stimme übertönte, der fortfuhr, mir seine Philosophie von einer offenen Beziehung zu erklären (in der wir uns ganz offenbar in den letzten sechs Jahren – ohne mein Wissen – befunden hatten).

Und auch das Foto zu rechtfertigen, das ich auf seinem Smartphone entdeckt hatte und das angeblich keine Vagina zeigte, sondern bloß ein verknittertes, pinkfarbenes T-Shirt.

Erstens wäre dies das einzige existierende pinkfarbene T-Shirt mit einer Landebahn. Und zweitens gehörte die Vagina ganz offensichtlich einer Frau, die freundlicherweise einen Screenshot von ihrem Tinder-Profil mit seinen darunter stehenden Nachrichten gemacht hatte.

Du siehst unglaublich scharf aus!!

Kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen. Heute Abend bei dir??

Können wir nicht mal zu dir gehen?

Nein. Meine Mitbewohnerin ist zu Hause. Die mag es nicht, wenn ich Dates mit nach Hause bringe.

Wirklich komisch. Ich war seine Mitbewohnerin und seine Freundin – besser gesagt, Verlobte, Stand gestern Abend.

Nach sechs gemeinsamen Jahren hatte er mir eine Woche vor meinem Geburtstag einen Heiratsantrag gemacht – um den unausweichlichen öffentlichen Antrag bei meiner bevorstehenden Party zu vermeiden –, und das mit einer Bestellung vom Chinesen und während im Fernsehen die Wiederholung einer Backshow lief.

Vor lauter Aufregung hatte ich ein Selfie nach dem anderen von uns beiden gemacht, um den großen Moment festzuhalten, und dafür sein Smartphone benutzt, weil es in der Nähe lag. Es wurde ein richtiges Fotoshooting daraus, und David machte mit, gab sein Bestes, während wir posierten und alles aus verschiedenen Perspektiven aufnahmen. Er ermunterte mich sogar, noch weitere Fotos zu machen, als ich schon glaubte, ein gutes von uns zu haben.

Und daher scrollte ich am nächsten Morgen im Bad, bevor ich zur Arbeit fuhr, auf der Suche nach dem tollsten Foto, um es auf Instagram unter #BigNews zu teilen, aufgeregt durch gefühlt Hunderte von Fotos, auf denen ich entweder mit zusammengekniffenen Augen lächelte oder aussah, als hätte ich ein Dreifachkinn.

Die Suche dauerte eine halbe Ewigkeit, während der ich mich durch unzählige Selfies scrollte, die ich aus allen möglichen Perspektiven in unterschiedlichen Zimmern aufgenommen hatte, aber entweder waren die Lichtverhältnisse ungünstig und Aknenarben zu sehen, oder einer hatte mal wieder die Augen geschlossen oder – stopp! – also, dass ich bei unserem Fotoshooting eine Vagina aufgenommen hatte, daran würde ich mich aber mit Sicherheit erinnern.

Er betrog mich. Und er gab sich nicht einmal große Mühe, es zu verbergen. Hatte gar nicht erst versucht, den Screenshot von dem Tinder-Profil und dem schamlosen Vagina-Foto in einem Ordner mit einem unverfänglichen Namen wie Beruflicher Kram oder Selfies zu verstecken – nicht einmal, nachdem wir unzählige Fotos von uns beiden gemacht hatten und er genau wusste, dass ich irgendwann darin stöbern würde.

Und ich musste nicht einmal um die vierstellige PIN für sein Smartphone bitten, mit der sich das Display entsperren ließ, denn die lautete 1-1-1-1, verdammt nochmal! Jeder, der mehr als fünf Minuten mit ihm verbrachte, wusste das, weil er es nie länger aushielt, ohne einen Blick hineinzuwerfen.

Wer kommt überhaupt auf die Idee, ein Foto von einer Vagina zu speichern? Macht das die Leute wirklich an? Und wer hatte ihm das Foto geschickt? Da hatte sich jemand richtig Mühe gegeben. Ich bekam ja nicht mal eine vernünftige Perspektive für mein Verlobungsfoto hin, ganz zu schweigen davon, meine Muschi auf so schmeichelhafte Art und Weise ins Bild zu setzen.

Es pingte. Der Gruppenchat.

Paige: Was sagt er gerade?

Kris: Dass Monogamie was für Babyboomer ist.

Paige: Was für ein Mistkerl!

Tina: Na ja …

Paige: Tina! Wag es ja nicht!

Tina: Ohne Einverständnis ist es eine Sauerei, aber …

Paige: TINA!

Tina: Jedem das Seine.

Paige: Wie konnte er Kris das nur antun? Nach SECHS Jahren!!!

Tina: SCHICKDIESENFLACHWICHSERINDIEWÜSTE

Ich rieb mir die Stelle zwischen den Augenbrauen, legte das Smartphone mit dem Display nach unten aufs Sofa und dachte darüber nach, wie ich beim Anblick von Davids Fotos anfangs naiverweise geglaubt hatte, dass es nur ein einmaliger Ausrutscher gewesen war. Dass ihm seine Nerven im Vorfeld des Heiratsantrags einen Streich gespielt hatten.

Aber nein! Von dem Moment an gelangte ich zu immer neuen Erkenntnissen.

Wieso hatte ich nicht mitbekommen, dass er mich betrog?

Hatte er gewollt, dass ich es herausfand?

Ich war ständig zu Hause, arbeitete während unserer Beziehung die überwiegende Zeit als freiberufliche Journalistin. Ich bereitete immer ein halbwegs genießbares Frühstück und ein weniger genießbares Abendessen für uns zu wie eine brave Hausfrau aus den 1950er-Jahren – allerdings eher wie eine, die sich noch in der Hausfrauenausbildung befand. Er kam selten zu spät und verpasste nie eine Mahlzeit ohne einen triftigen Grund. Wenn es hochkam, war er zweimal die Woche abends weg, und ich war davon ausgegangen, dass er diese Zeit einfach für sich selbst brauchte und sie mit Freunden verbrachte – ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass er sich mit Fickfreundinnen traf.

Wieso hatte ich das nur nicht mitbekommen? Welche Anzeichen hatte ich ignoriert?

»Ist mir egal, David«, sagte ich zu ihm, als er endlich kapierte, dass ich seine Entschuldigungen über Whitney Houstons lautstarkes Geträller von I Will Always Love You gar nicht mitbekam. Und nein, Whitney, er wird mich ganz sicher nicht immer lieben!

»Und nicht jeder führt eine offene Beziehung!«, ranzte ich ihn an, als ich mich vom Sofa zu ihm umdrehte und ihn anfunkelte, während die neuen Nachrichten von den Mädels mein Smartphone in hektisches Gepinge ausbrechen ließen. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass beide Parteien darin involviert sein sollten, damit man es als offene Beziehung bezeichnen kann! Ansonsten wäre sie ja wohl lediglich halb offen. Eher angelehnt in diesem Fall.«

Das brachte ihn zum Lachen.

»Das ist nicht witzig!«, erwiderte ich in dem Versuch, den strengen Tonfall meiner Mutter zu treffen. Sie war nicht mal wirklich gut darin, keine Ahnung, warum ich glaubte, es selbst sein zu können.

David lachte immer noch, aber dann meldete sich doch noch rechtzeitig sein Selbsterhaltungstrieb, und er versuchte zumindest, es sich zu verkneifen.

»Tut mir leid, Kris«, sagte er zum ersten Mal. Wobei es total typisch war, dass er sich nicht für seine Affären mit irgendwelchen Tinderellas entschuldigte, sondern weil er über meinen armseligen Versuch gelacht hatte, dem Ganzen eine humorvolle Note zu verpassen.

»Mit einer Entschuldigung ist es nicht getan«, sagte ich mit Nachdruck.

»Ich weiß.«

Wusste er es wirklich? Er behandelte die Sache wie ein kleines Versehen, als ob es keine Rolle spielen würde und in ein paar Tagen vergessen wäre.

Aber das hier war nicht bloß irgendeine belanglose Zankerei.

Ich drehte mich wieder zum Sofa um, griff nach meinem Smartphone und versuchte, für einen Moment meine Gefühle zu sortieren. Im Hintergrund blieb es still.

Eine ganze Nachrichtenflut von Paige und Tina erwartete mich auf meinem Sperrbildschirm. Ich ignorierte sie und schrieb nur:

Kris: Ich habe sechs Jahre Jahre an dieses Arschloch verschwendet.

Paige: Die waren nicht verschwendet, Süße – du hast doch uns kennengelernt. Wir lieben dich.

Tina: Und wir sind dir treu.

Paige: TINA?!

Tina: Sorry. Zu früh?

Tina: Meme-Time für den Mistkerl?

Paige: Cancel Culture ist nicht hilfreich, Tina!

Tina: Gehört im 21. Jahrhundert zum Erwachsenwerden dazu.

Paige: Und was soll das bringen?

Ich schüttelte den Kopf, besaß nicht einmal die Energie, um über die unbeholfenen Versuche meiner Freundinnen, mich bei Laune zu halten, zu lachen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Woche so verlaufen würde: der Antrag nach jahrelangem Warten, das überraschende Muschi-Foto und Davids völlig unerwartetes Geständnis, nicht an die Monogamie zu glauben.

Warum hatte er mir überhaupt einen Antrag gemacht?

Wer seinen Partner betrügt, sollte gar nicht erst über einen Heiratsantrag nachdenken. Einen solchen Antrag machte man doch auf dem Höhepunkt einer Beziehung, wenn man merkt, dass man nicht mehr ohne diesen einen Menschen leben kann. Aus genau diesem Grund hatte ich das Thema in den letzten drei Jahren auf eine nicht gerade subtile Art und Weise immer wieder zur Sprache gebracht. Ich dachte, wir beide seien füreinander geschaffen und bis über beide Ohren ineinander verliebt. Wir beendeten die Sätze für den anderen, massierten uns gegenseitig die Füße und wussten, was wir vom Chinesen bestellen mussten, wenn der andere mal einen schlechten Tag hatte. Unsere Zahnbürsten passten zueinander, und wir hatten uns personalisierte Poster gekauft, um den Tag, an dem wir uns begegnet waren – es begann mit einem swipe! –, in unserem neuen Wohnzimmer zur Schau zu stellen. Als ob es nicht ohnehin total offensichtlich wäre, wie verrückt wir nacheinander waren.

Und doch war er in all dieser Zeit nie vor mir auf die Knie gegangen, um mich zu fragen, ob ich den Rest meines Lebens mit ihm verbringen wollte.

Und als er es dann endlich getan hatte, war es als verfrühtes Geburtstagsgeschenk deklariert gewesen. Er hatte mir zu meinem neunundzwanzigsten Geburtstag nicht noch etwas anderes geschenkt, nur diesen Ring.

Wobei ich zugeben muss, dass ich mir gar nichts anderes als einen Ring gewünscht hatte (ich weiß, #Bad Feminist, aber kann man es mir nach sechs Jahren wirklich verübeln?). Ich war so froh, dass ich David hatte, und fühlte mich wohl in unserem gemeinsamen Leben. Ich dachte, wir wären bereit, mehr zu sein als Freund und Freundin – was diesen Touch hatte, als wären wir immer noch Teenies. Ich wollte, dass wir Mann und Frau waren oder wenigstens Lebensgefährten. Etwas Konkreteres, Verlässlicheres.

Doch jetzt gehörte ein Ring zu den schlimmsten Geschenken, die ich jemals erhalten hatte, reihte sich ein zwischen die Ausgabe von Donald Trumps Buch über die Kunst des Erfolges und den Analstöpsel, den David mir einmal zu unserem Jahrestag geschenkt hatte, weil er glaubte, es sei ein Weinflaschenverschluss.

Tina: Wenn du ihn killen willst, setze ich mich sofort in die Bahn und helfe dir, die Leiche verschwinden zu lassen.

Tina: Und das würde ich nicht für jede tun.

Tina: Und ich weiß, wie man Blutflecken rausbekommt! Kaltes Wasser und Salz – wer hätte das gedacht?

Paige: Lass deine innere Uma Thurman raus. Und falls du dafür eine Axt/ein Sturmgewehr/einen Giftpfeil/ein Säurefass/hungrige Schweine/tiefgefrorenes Toastbrot benötigst, dann bin ich für dich da! Was immer du brauchst.

Kris: Danke. Ihr seid echte Freundinnen.

Tina: Tiefgefrorenes Toastbrot?!

Paige: Das Zeug ist echt tödlich, wenn du’s diagonal durchschneidest. Anschließend leckeres Nutella drauf, und schon ist die Mordwaffe verschwunden!

Paige: Keine Waffe. Kein Verbrechen. Kein untreuer Mistkerl. Köstlicher Brunch.

Tina: Aber tiefgefrorenes TOASTBROT?

Paige: Jetzt nimm’s doch nicht so verdammt genau!

»Also …«, setzte David an, und ich drehte mich auf meinem Platz herum und sah ihn an, wie er hinter dem Sofa hin- und herschaukelte. »Was machen wir jetzt?«

Ich schluckte und schloss die Augen, denn ich war selbst nach Paiges und Tinas kleiner Morecambe & Wise-Komikernummer überraschenderweise immer noch viel zu wütend, um ihn auch nur anzusehen. Und außerdem lenkte es mich ab, dass gerade It Must Be Love von Madness aus den Lautsprechern ertönte. Das war nun wirklich die allerschlimmste Playlist, die ich jemals erstellt hatte. Und nicht mal alles Hits, die wirklich an der Spitze der Charts gelandet waren. Ich versuchte, mich von meiner inneren Greta Gerwig leiten zu lassen und mich nicht daran zu stören, um weiterhin den Anschein zu erwecken, dass ich in diesem Szenario hier die Gefasste und Vernünftige war. Während ich in Wahrheit am liebsten meinen Frust über die Dummheit des Patriarchats und über diese Ungerechtigkeit, dass nun mein Leben ruiniert war und nicht etwa seins, laut herausgeschrien hätte. Ich öffnete die Augen.

»Du wirst ausziehen.«

Ich warf einen Blick auf die offene Küche in meiner Londoner Traumwohnung, deren Miete ich ohne ihn nun nicht mehr würde bezahlen können.

Wir waren erst vor ein paar Wochen eingezogen. Ich hatte fast den ganzen Juli auf Händen und Knien verbracht und Möbel zusammengebaut, bis ich überall Blasen und Schwielen hatte. Für David hatte natürlich das Bett Priorität gehabt, und nachdem es aufgebaut war, gab es bei ihm plötzlich viel im Büro zu erledigen – wer’s glaubt! –, und er musste mir die restlichen Möbel überlassen.

Die Küche hatten wir zuletzt eingerichtet, dafür sogar eine ganz besondere Shoppingtour zu TK Maxx unternommen und das restliche Geld von unserem gemeinsamen Konto für die ausgefallenen Töpfe und Pfannen von Le Creuset und überteuerte Küchenutensilien ausgegeben.

Jetzt besaß ich keine eigenen Ersparnisse mehr, musste vermutlich meine Traumwohnung aufgeben und hatte nach sechs Jahren Zweisamkeit keinen Freund mehr.

»Okay«, sagte David jetzt und nickte, als ob meine Aufforderung, dass er ausziehen solle, nichts weiter als ein Vorschlag gewesen wäre. »Was immer du willst.«

»Was immer ich will?«, platzte ich heraus und stand vom Sofa auf, denn selbst Greta Gerwig hätte bei dieser Äußerung die Hände über den Kopf zusammengeschlagen! »Du bist doch derjenige, der betrogen hat, tust aber so, als wäre ich es, die überreagiert.«

»Na ja«, erwiderte er, als würde ich genau das tun.

Ich hielt die Hand in die Höhe, um ihn direkt mal zu bremsen. »Nein«, schrie ich. »Wag es ja nicht, die Schuld auf mich zu schieben. Ich habe dich immer nur geliebt und bin für dich da gewesen, und du hast auf all das geschissen!«

Sein Mund verzog sich, als er ein Lachen unterdrückte.

»Ernsthaft!«, schrie ich. »Was ist daran komisch?«

»Tut mir leid«, sagte er, wobei ihm ein leises Lachen entschlüpfte. »Ich habe dich bloß noch nie so wütend gesehen. Das törnt mich total an.«

Ohne nachzudenken, begann ich, die Sofakissen nach ihm zu werfen, da es das Einzige war, das ich gerade greifbar hatte. Sie prallten an seinen Armen ab, mit denen er sein Gesicht und seine Brust schützte, und fielen zu Boden. Also das brachte nichts. Ich wusste zwar, dass es bei einer miesen Trennung durchaus empfohlen wurde, mit Kissen zu werfen, aber ich hatte, ehrlich gesagt, erwartet, dass es mir ein größeres Gefühl der Befriedigung verschaffen würde.

»Verschwinde!«, schrie ich und zeigte dabei auf die Wohnungstür. »Hau ab!«

»Ach, Kris, jetzt komm schon«, sagte David, der immer noch versuchte, sein Lachen zu unterdrücken, und trat auf mich zu.

»Wag es ja nicht!«

»Dürfte ich denn wenigstens meine Sachen zusammenpacken?«

»Na schön. Pack deine Sachen.«

Er blickte sich im Zimmer um. »Aber das kann ich unmöglich alles heute Abend schaffen.«

»Musst du auch nicht! Pack einfach ein paar Klamotten ein und verzieh dich.«

»Okay, und was ist mit ...« Er blickte zur Küche hinüber und deutete auf die Geräte. Einige befanden sich immer noch in ihren Kartons und warteten auf ihren Einsatz. Als ob ich jemals einen Schnellkochtopf oder einen verdammten Dampfgarer benutzen würde. Ich schaffte es ja sogar, Instant-Nudelgerichte anbrennen zu lassen.

»Hast du etwa vor, die Spüle mitzunehmen?«, fragte ich theatralisch. »Ernsthaft?«

»Nein, nicht die Spüle. Den Mixer.«

»Den Mixer? Den Mixer habe ich gekauft.«

»Nein«, entgegnete David und runzelte dabei überrascht die Stirn. »Den hab ich gekauft. Wir haben ihn von Tesco.«

»Nein«, entgegnete ich ungläubig. »Wir haben ihn von Asda, und ich habe ihn bezahlt.«

»Ach, komm schon.« David knallte die Hände auf die Sofalehne. »Du benutzt ihn ja nicht einmal.«

»Werde ich aber vielleicht«, sagte ich, und sogleich fielen mir all die Stunden ein, die ich auf Pinterest verbracht und mich durch Smoothie-Rezepte und selbst gemachte Suppen gescrollt hatte. Ich hatte sogar eine Pinnwand mit Anregungen für Traumhochzeiten erstellt, und mein Blick wurde glasig, wenn ich an all die weißen Kleider, die Thementorten und die Pro-und-Kontra-Listen zum Thema »Fotobox beim Hochzeitsempfang« dachte.

»Wirklich? Du benutzt die Küche?«

Ich griff nach einem weiteren Sofakissen, aber es waren keine mehr übrig. Wir hätten unser Geld besser für mehr Dekokissen ausgeben sollen als für diese verdammten Küchengeräte.

»Ach, verpiss dich endlich, David! Hau einfach ab. Raus hier!«

Ich griff nach dem Nächstbesten, das ich in die Hände bekam – eine Vase, die ich ihm an den Kopf warf. Leider zielte ich dabei so schlecht, dass ich ihn überhaupt nicht traf, und die Vase, die aus billigem Kunststoff war, landete auf dem Laminatboden, wo sie einige Male geräuschvoll abprallte und dann liegen blieb. Die Nachbarn unter uns, die wir noch gar nicht kannten, klopften gegen die Decke und riefen irgendwelche unverständlichen Kraftausdrücke.

»Tschuldigung«, riefen wir beide und betrachteten den Boden mit Blicken, als hätten wir gerade die Hölle zum Leben erweckt.

Wie passend, denn es kam mir so vor, als wäre ich gerade genau dort gelandet.

Meine Wut begann langsam nachzulassen und sich in ein tiefes Unbehagen zu verwandeln. Ich wollte nur noch, dass er endlich ging, damit ich losheulen, jede Menge Schokolade in mich reinstopfen und die Mädels anrufen konnte, um mich in aller Ausführlichkeit darüber auszulassen, was für ein Scheißkerl er war. Während sie seine grausame Ermordung planten.

Aber gleichzeitig wünschte ich mir, er würde mich in den Arm nehmen und mir sagen, wie sehr er mich liebte und was für einen schrecklichen Fehler er begangen hatte, als er den Menschen, der das Beste in seinem Leben war, betrogen hatte. Auch wenn er so etwas niemals sagen würde.

Was Romantik anging, war er noch nie gut gewesen. Aber ich hatte das akzeptiert, war bereit gewesen, ein ganzes Leben ohne sie zu verbringen, wenn ich es nur mit ihm verbringen konnte. Ich hatte einfach angenommen, dass ihm gar nicht klar gewesen war, wie sehr ich mir eine Heirat gewünscht hatte und Mann und Frau zu sein.

Aber ich begriff, dass das nicht mehr stimmte. Ich war lediglich so etwas wie eine alte Gewohnheit, die er nicht aufgeben konnte, eine nervige Klette, die ständig irgendwelche Besuche in merkwürdigen Londoner Museen plante wie beispielsweise das Vagina-Museum – mein persönlicher Favorit –, oder auch Urlaube in Griechenland. Die ihm keine Fragen zu seinem Arbeitsleben stellte oder warum wir niemals etwas als Paar mit seinen Freunden unternahmen oder warum er nie eigene Vorschläge fürs Wochenende machte, die über Take-away und Fitnessstudio hinausgingen.

Ich bin für diesen Mann ins Fitnessstudio gegangen! Wenn das keine Hingabe ist! Ich habe unbequeme Leggings getragen, in aller Öffentlichkeit geschwitzt und mit Mühe und Not Fürze zurückgehalten, während ich irgendwelche dämlichen Kugelhanteln vom Boden in die Höhe hob, als hätte ich Spaß daran.

Paige war der Ansicht, dass ein Mann, der glaubte, ein Fitnessstudio eigne sich zur Paaraktivität, ein selbstherrlicher Sadist war. Aber Tina, die immer den genauen Gegenpol zu Paige verkörperte, schien zu glauben, dass es uns einander näherbringen und unweigerlich zu schweißtreibendem Beachbody-Sex führen würde. Das mochte in Davids Fall durchaus zutreffend gewesen sein, aber nicht zusammen mit mir.

»Jedes Mal, wenn ich dich anschaue, sehe ich dich mit einer anderen Frau. Es kommt mir so vor, als ob in jeder meiner Erinnerungen von uns beiden noch eine weitere Person involviert wäre, weil ich keine Ahnung habe, was du getan hast, bevor oder nachdem du mit mir zusammen warst. Dabei habe ich dir vertraut«, sagte ich, ohne ihn dabei anzusehen, da ich meine Augen zusammenkniff in der Hoffnung, dadurch die Tränen zurückhalten zu können, die wie Feuer hinter meinen Lidern brannten. »Das kann ich jetzt nicht mehr.«

»Babe«, sagte er leise, und ich spürte seine Hände auf meinen Schultern. Ich schubste sie sogleich weg.

»Bitte verschwinde endlich«, wiederholte ich und vermochte dabei meine Tränen der Wut nicht länger zurückzuhalten. Ich spürte, wie sich ein schmerzhafter Kloß in meiner Kehle bildete und mich zu ersticken drohte.

Ausnahmsweise schien David einmal zugehört zu haben. Ich hörte, wie er langsam ins Schlafzimmer ging und den Koffer vom Kleiderschrank nahm. Genau genommen war es unser gemeinsamer Koffer, da wir nur einen einzigen besaßen. Er würde mich also mit unserem Koffer verlassen.

Kris: Er geht endlich.

Tina: Ach, Süße.

Paige: Sollen wir vorbeikommen?

Tina: Ich habe Pimm’s!

Paige: Und ich habe Alkohol für Erwachsene.

Wollte ich sie wirklich bei mir haben? Ich wusste zwar, dass es erbärmlich war, allein zu trinken und sich mit Schokolade vollzustopfen, aber ganz ehrlich: Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, ein paar weitere Stunden damit zu verbringen, widerliche Tinder-Nachrichten und Davids Untreue zu analysieren.

Ich ließ meinen Tränen jetzt freien Lauf, verwandte meine ganze Energie darauf, meine Lippen zusammenzupressen, um ein allzu heftiges Schluchzen zu vermeiden. Mir wurde einmal gesagt, dass ich wie Elle Woods in Natürlich blond heulen würde, mit fetten Tränen und lautem Keuchen. Ein total jämmerliches Spektakel. Ich wollte verhindern, dass David mich so sah und dieses Bild von mir mitnahm, nachdem es mir nun stundenlang gelungen war, mich irgendwie zusammenzureißen.

Wir hatten den ganzen Morgen in der Wohnung verbracht und darüber geredet – oder vielmehr, er war es, der darüber geredet hatte, während ich auf dem Sofa saß, Textnachrichten an die Mädels schrieb und nur mit Mühe und Not vermochte, seinem unsinnigen Gefasel über ganz natürliche sexuelle Bedürfnisse, die in einer monogamen Beziehung nicht zu erfüllen seien, zu folgen.

Ich unterbrach ihn nicht einmal, um ihn darauf hinzuweisen, dass offene Beziehungen buchstäblich von offenen Gesprächen abhingen und es ganz und gar nicht einer offenen Beziehung entsprach, wenn er mich heimlich betrog.

Erst nachdem er eine geschlagene Stunde auf mich eingeredet hatte, fragte ich ihn, warum er mir in all den Jahren nichts davon gesagt hatte – eine Frage, um die er wie ein schmieriger Politiker herumtänzelte, nie eine Antwort darauf gab, sich aber so aufführte, als hätte er es getan.

Ich hatte mich bei meinem neuen Arbeitgeber krankgemeldet, um diese Enthüllungen eines extracurricularen Sexlebens zu bewältigen, sah mich außerstande, in die Redaktion zu gehen, ohne zuvor David zur Rede zu stellen.

Der Redakteur von Craze, der Zeitschrift, bei der ich gerade angefangen hatte, dachte vermutlich, dass ich die unzuverlässigste Mitarbeiterin war, die er je eingestellt hatte. Ich hatte mich von einer leidenschaftlichen – oder auch ein wenig nervigen – Journalistin in der ersten Woche zu einer entwickelt, die in der zweiten nur noch durch Abwesenheit glänzte. Aber mir war klar, dass ich keinesfalls in der Lage sein würde, zu arbeiten und so zu tun, als wäre alles in Ordnung.

Ich konnte unmöglich in meiner zweiten Woche dort auftauchen und in der Redaktion losheulen, weil mein Verlobter auswärts spielte. Das war ein Privileg, das frühestens nach zwei Monaten griff. Ein bisschen so, als wenn man ewig nicht von der Toilette zurückkommt oder eine Viertelstunde zu spät kommt, weil man auf die U-Bahn gewartet hat, in der ein Sitzplatz frei war.

Kris: Ich bin okay.

Schrieb ich den Mädels rasch.

Kris: Ich will nur noch ins Bett und den Rest des Tages verschlafen. Werde mich morgen mit allem beschäftigen.

Paige: Sicher?

Kris: Treffen wir uns doch morgen. Schaffe es heute einfach nicht.

Paige: Okay, sweetie.

Tina: Kein Problem. Ich schick dir heute Abend aber Deliveroo vorbei. Überraschung!

Paige: Wieso ist es eine Überraschung, wenn du es verrätst?

Tina:Was ich bestelle, ist eine Überraschung.

Paige:Trotzdem keine echte Überraschung mehr.

Ich legte mein Smartphone auf den Beistelltisch und stellte es auf stumm, damit die Mädels ihre Belanglosigkeiten allein weiterdiskutieren konnten. Eine Lieferung von Deliveroo wäre mir sehr willkommen – auch wenn sie nicht mehr überraschend käme. Schließlich würde ich mir in der nächsten Zeit kein Essen per Lieferservice mehr leisten können.

»Soll ich die Bügel hierlassen?«, rief David aus dem Schlafzimmer.

Ich seufzte vernehmlich. Verdammt nochmal, kein Wunder, dass er mich jahrelang hingehalten hatte. Der Mistkerl konnte nicht mal allein seinen Koffer packen.

»Ich mach das schon«, sagte ich kopfschüttelnd und ging wie ein Zombie Richtung Schlafzimmer, um seine Klamotten zu packen. Ansonsten würde er Pyjamas oder Socken vergessen, und das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass er in den nächsten Tagen unangemeldet hier auftauchte, um sich irgendein dreckiges T-Shirt zu holen, das er schon seit dem Studium hatte, oder eine Funktionshose fürs Fitnessstudio.

Ich schubste ihn mit der Hüfte aus dem Weg, weigerte mich immer noch, ihn anzusehen, und konzentrierte mich darauf, seine schlichten schwarzen und weißen T-Shirts von den Bügeln zu holen und mit all seinen Ripped Jeans in den geöffneten Koffer auf dem Bett zu befördern.

Für einen Moment war nichts anderes als das Geräusch der gleitenden Bügel zu vernehmen, um die Stille zwischen uns zu füllen. Wir hatten diese unangenehme Pattsituation während einer Trennung erreicht, in der es, wenn einer von uns etwas sagen würde, entweder augenblicklich zu bedauernswertem Trennungssex oder – was wahrscheinlicher war – zu einem Schreiduell kommen würde.

Bei meinem Glück würde ich beim Trennungssex vermutlich schwanger werden, wie es meinen Eltern passiert war. Daher war das ein No-Go auf meiner Liste.

Stille, die nur durch das Gleiten der Bügel unterbrochen wurde, war das Einzige, was ich in diesem Moment zuzulassen vermochte. Zum ersten und auch letzten Mal respektierte David diese Entscheidung und sagte kein Wort.

Und damit war tatsächlich Schluss mit unserer Beziehung. David hatte mir endlich einmal Respekt erwiesen.

Alles hatte sich verändert, und während im Hintergrund Don’t You Want Me von Felix lief, ließ ich den Gedanken zu, dass David mich nie wirklich gewollt hatte.

2

Löwe: Versuchen Sie, loszulassen und die Kontrolle abzugeben. Mars tritt ein ins vierte Haus.

Ich wachte am nächsten Morgen allein auf. Genau achtundvierzig Minuten später als sonst, da ich mein Smartphone und damit auch meinen auf sieben Uhr gestellten Weckalarm über Nacht auf dem Couchtisch liegen gelassen hatte. Ich vernahm sein leises Piepsen aus dem Wohnzimmer, wo es neben zwei Pizzakartons mit übrig gebliebener Kruste und Ananasstückchen lag. Tina kannte mich zwar gut, hatte aber offenbar vergessen, dass ich beim Frustessen keinen Bock auf etwas auch nur annähernd Gesundes hatte. Und dazu zählten auch Ananasstückchen auf der Pizza.

»Oh, Shit!«, rief ich, ohne dass mich jemand hörte, und rollte mich aus meinem sicheren Bettdecken-Kokon, um mich anzuziehen.

So viel zu meinem Vorhaben, einen weiteren Tag freizunehmen. Ich arbeitete erst gut eine Woche bei Craze, und David hatte schon genug getan, um mein Leben zu ruinieren. Da hatte ich ganz bestimmt nicht vor, mir wegen ihm auch noch meinen Traumjob vermasseln zu lassen.

Ich sprintete los, um mich in meine Röhrenhose von gestern zu quetschen, die immer noch auf dem Boden lag, wobei ich mir nicht die Mühe machte, zuvor den Slip zu wechseln. Scheiß drauf, wer sollte das schon mitbekommen, es sah ja nicht gerade danach aus, als würde mir so bald irgendjemand an die Wäsche gehen. Ich schlüpfte in den BH, den ich über einen Heizkörper geworfen hatte, und griff mir ein klassisches Streifenshirt, das sich im Büro immer gut machte.

Ein kurzer Abstecher ins Bad, wo ich mich vornübergebeugt auf den Toilettensitz hockte, um meine Blase vom gestrigen Alkohol zu befreien – Take-away ohne eine Flasche Merlot zum Nachspülen geht ja gar nicht –, und mir gleichzeitig die Zähne putzte, um anschließend die schäumende Zahnpasta ins Becken zu spucken. Meine nicht vorhandene Hautpflegeroutine musste warten, bis ich mein Leben wieder im Griff hatte. Glücklicherweise war mein Schminkset handlich genug, um es mitzunehmen, damit ich mich in der Bahn aufhübschen konnte.

Ich schnappte mir mein Smartphone, das immer noch wie ein Kleinkind im Hintergrund eines Zoom-Calls plärrte, rannte Richtung Tür und nahm unterwegs meine Sommerjacke und meine Handtasche vom Garderobenhaken.

»Bis heute A…« Ich blieb abrupt stehen. Von wem genau verabschiedete ich mich da? Ich war allein.

Ich schloss für eine halbe Sekunde die Augen und atmete aus. Dann presste ich meinen Daumen aufs Display meines Smartphones, wo die Stopp-Taste zu sehen war, um den Alarm zum Schweigen zu bringen.

Alles in mir schrie, den ganzen Kram, den ich in den Händen hielt, hinzuschmeißen und mich auf dem Boden zusammenzurollen wie ein Baby. Aber ich konnte verdammt stur sein, wenn ich nur wollte, und ich würde keinesfalls zulassen, dass eine Trennung bei mir einen melodramatischen Zusammenbruch auslöste.

Ich öffnete die Augen und schob rasch die Sachen in meinen Händen hin und her. Wenn das so weiterging, würde ich die Wohnung wie eine chaotische Version von Villanelle aus Killing Eve verlassen. Ich drehte den Schlüssel im Schloss und wollte gerade los, als ich bemerkte, dass der Ärmel meiner Jacke zwischen Tür und Rahmen eingeklemmt war. Also musste ich die Tür wieder öffnen, um ihn zu befreien.

Das hier würde einer dieser Tage werden, an denen alles schiefging, so viel war klar.

Die Kunst, sich in der U-Bahn zu schminken, musste ich erst noch erlernen.

Als ich an der Haltestelle Bank angekommen war, endete der Lidstrich am linken Auge außen mit einem Flügelchen, was ursprünglich gar nicht meine Absicht gewesen war. Es blieb mir nichts anderes übrig, als den Strich am anderen Auge genauso zu ziehen, da ich mal wieder die goldene Regel vergessen hatte, Abschminktücher für unterwegs bei mir zu haben.

Da mein Schminkset bedauerlicherweise keinen Spiegel enthielt, blieb mir lediglich das Fenster gegenüber, vor dem sich Leute drängten, während ich versuchte, einen perfekt geformten Flügel hinzukriegen. Einige Gesichter im Wagen wandten sich mir zu, als die Bahn hin- und herruckelte. Frauen zuckten verständnisvoll zusammen, während die Männer sich angesichts meiner zwecklosen Konzentrationsversuche das Lachen nur schwer verkneifen konnten.

Das war’s, dachte ich. Tiefer konnte man in dieser Stadt wohl nicht sinken.

Ich hatte nicht nur einen Kater, war neuerdings wieder Single und pleite, sondern gehörte auch noch zu den bedauernswerten Pendlerinnen, von denen man sich in der Londoner Pendlerelite erzählt. Sollten zufällig irgendwelche Dichter in der Bahn sein, würden sie mit Sicherheit einige von diesem Moment inspirierte, deprimierende Verse verfassen – vermutlich irgendetwas Unerträgliches wie Das Ende oder Zeugnis ablegen vom Scheitern des Feminismus.

Ich gab meine Versuche mit dem Flügel am rechten Auge mit einem geschnaubten »Scheiß drauf« auf, nachdem ich über meine Augenbraue hinauszeichnete und langsam wie ein Dachs aussah. Ich bin zwar stolz, ein Hufflepuff zu sein, aber auch ich habe meine Grenzen.

Während ich meine Schminktasche in den Tiefen meiner Bucket Bag versenkte, überlegte ich mir, gleich nach dem Aussteigen einen kurzen Abstecher in einen Pret A Manger zu machen, um mir ein überteuertes, aber dringend benötigtes Schokocroissant und einen Kaffee zu gönnen, womit ich zugleich einen Anspruch auf den Zugangscode für ihre Toiletten hatte und mich dann dort vollends zurechtmachen konnte.

Mir war bewusst, dass ich nicht gerade toll aussah, aber mir war nicht klar gewesen, wie schlimm es wirklich um mich stand, bis mir die überfreundliche Bedienung im Pret einen Kaffee auf Kosten des Hauses überreichte. Das dürfen sie dort nur ein einziges Mal am Tag, und dieser Typ war bereits zwei Stunden nach Öffnung des Cafés zu der Ansicht gelangt, dass ich die Kundin war, die ihn am dringendsten nötig hatte. Dennoch war ich ihm dankbar dafür. Ich investierte mein letztes Kleingeld in das Schokocroissant, das ich auf dem geschlossenen Toilettensitz auf der Damentoilette verspeiste, was eine ziemlich deprimierende Erfahrung war.

Nachdem ich die Flügelchen vom Lidstrich mit wassergetränktem Toilettenpapier weggewischt hatte, nahm ich ein paar tiefe Atemzüge und versuchte, meine Mitte zu finden, bevor ich in die Redaktion spazierte, um das Ding zu rocken, wie ich es meinem Chef am ersten Arbeitstag versprochen hatte.

Meine Depri-Stimmung war zwar definitiv nicht die beste Voraussetzung, um irgendetwas grandios hinzukriegen, aber die Arbeit war nichts weiter als Gewohnheit und Muskelgedächtnis, und die Ablenkung wäre sehr viel hilfreicher, um den Tag zu überstehen, als Schokolade in mich reinzustopfen und mir Horrorfilme anzusehen.

Die Redaktion von Craze befand sich nur ein Stück die Straße hinunter vom Pret entfernt (was nicht gerade ungewöhnlich war, da in London so ziemlich jedes Bürogebäude nur ein Stück die Straße hinunter von einem Pret lag). Die Zeitschrift hatte in einem sechzehnstöckigen Gebäude, in dem auch andere Presse- und Werbefirmen untergebracht waren, ein ganzes Stockwerk gemietet.

Die saubere und professionelle Umgebung der Lobby gab mir das Gefühl, mich wieder etwas besser im Griff zu haben, und ich bat die Aufzugskoordinatorin – was tatsächlich ein richtiger Job in dieser Stadt war –, mir einen Aufzug für den fünfzehnten Stock zu rufen.

»Aufzug C«, sagte sie lächelnd zu mir und desinfizierte sich nach jedem Knopfdruck die Hände.

Ich erwiderte ihr Lächeln und schritt gehorsam darauf zu.

Ein Blick auf meine Armbanduhr sagte mir, dass ich – obwohl ich verschlafen hatte – gut in der Zeit war. Die Manager und die Leitenden trudelten vermutlich immer noch von ihren morgendlichen Meetings und Spinning-Kursen für Angeber ein, was mir ausreichend Gelegenheit gab, mich unter die Assistenten zu mischen, ohne dass es jemandem auffiel, wie spät ich dran war.

»Krystal«, ertönte es in dem Moment knapp und schneidig hinter mir. Ich drehte mich um und erstarrte beim Anblick meines Chefs, des Redaktionsleiters.

»Andy«, sagte ich, rang mir ein verlegenes Lächeln ab und hoffte inständig, dass es mir bei der armseligen Toilettenbeleuchtung im Pret auch wirklich gelungen war, sämtliche verrutschte Eyeliner-Reste aus meinem Gesicht zu entfernen. »Fahren Sie auch nach oben?«

Natürlich tat er das, wir befanden uns schließlich im Erdgeschoss.

Er nickte und starrte vor sich hin auf die spiegelnden Aufzugstüren. »Ich hoffe, Sie fühlen sich wieder besser.«

Ich bejahte es, lächelte wieder und spürte, wie ich rot wurde, während ich überlegte, ob ich Husten oder einen Nieser vortäuschen sollte.

»Könnten Sie bitte in mein Büro kommen, wenn Sie oben sind?«, sagte er. Ich öffnete den Mund, um auch dies zu bejahen, doch es kam kein Wort heraus.

Er glaubte mir nicht, dass ich krank war. Er hielt mich für eine chronische Lügnerin. Ich würde meinem Chef erklären müssen, dass ich mich an einem Donnerstag einfach krankgemeldet hatte, um mich mit meinem Kurzzeitverlobten über seine Vorstellung von Monogamie zu streiten.

Andy neigte seinen Kopf ein wenig, wartete auf meine Antwort, die aber nicht kam.

»Sagen wir in zehn Minuten«, fügte er hinzu. »Wir sehen uns dann oben.« Er betrat den Aufzug, der sich rasch mit ein paar anderen Leuten füllte, die hinter uns gewartet hatten. Einer von ihnen hielt die Hand an die Tür, damit sie für mich geöffnet blieb.

»Wollen Sie auch mit?«, fragte er mich nach einem kurzen Moment.

»Ich habe was vergessen«, sagte ich, allerdings ohne mich zu rühren, während er zögernd seine Hand wegnahm. Die Türen begannen, sich zu schließen, und ich rührte mich immer noch nicht. Andy, der an der hinteren Spiegelwand lehnte, blickte auf sein Smartphone hinab, das nicht einmal angestellt war, jedenfalls sah ich keine Lichtreflexion im Spiegel.

»Scheiße«, flüsterte ich, als sich die Tür endlich schloss, um sich sogleich bei »…eiße« wieder zu öffnen. Die Aufzugskoordinatorin hatte dasselbe Stockwerk für mich vorgesehen.

»Aufzug C für den fünfzehnten Stock«, rief sie von ihrem Platz aus und bedeutete mir mit ihren lächerlich sauberen Händen einzusteigen.

»Ach so«, murmelte ich, sprang verlegen hinein und rückte der darin versammelten Männerschar auf die Pelle, die einander anschauten, als ob sie sagen wollten: Die hat ja null Durchblick.

Damit liegt ihr so was von richtig, Jungs.

In den nächsten zehn Minuten verging mein Leben merkwürdig langsam. In der Redaktion war es sehr viel ruhiger, als ich erwartet hatte, aber andererseits war ja heute auch Freitag. Vermutlich hatten viele den Tag freigenommen, um sich mitten im Hochsommer ein langes Wochenende in der Stadt zu gönnen.

In der Teeküche herrschte gähnende Leere. Niemand blätterte müßig durch eine Zeitschriftenausgabe des letzten Monats oder füllte sich seine Espressotasse mit der Batteriesäure aus der Redaktionsmaschine. Selbst im sonst so geschäftigen Herstellungsbereich war es ruhig, nur wenige saßen an ihren Schreibtischen, steckten knietief in irgendeiner Gestaltungskrise oder telefonierten mit den örtlichen Vertriebszentren wegen des letzten Schlamassels bei der Terminplanung.

Als ich auf dem Weg zu meiner Arbeitsnische am Redaktionsbereich vorbeikam, bemerkte ich, wie mich die schwindende Zahl der Mitarbeiter anstarrte. Ich rieb mir unbewusst über das Gesicht, befürchtete schon, dass ich einen Riesenfleck Foundation am Hals haben könnte oder mir aus Versehen Rouge-Balken verpasst hatte. Aber ich vermochte nicht zu sagen, woran es lag, dass sich alle Augen auf mich richteten.

Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, nahm in meiner Nische Platz, atmete erst mal aus und versuchte, mir einzureden, dass die Blicke nur Einbildung gewesen waren, mir meine Fantasie einen Streich gespielt hatte. Ich konzentrierte mich lieber darauf, den Computer hochzufahren und mich meiner täglichen Routine zu widmen, meine Bonsai-Pflanze – ihr Name war Keith – vorsichtig mit Wasser zu besprühen und mein schickes Notizbuch aus Leder aufzuschlagen, um meine To-do-Liste für den Tag aufzusetzen.

Aber es gelang mir nicht, mich beim Server anzumelden. Typisch für mich: ein weiteres unglückseliges Omen nach der Trennung.

Ich blies die Lippen auf und entschied mich, bis nach meiner Unterhaltung mit Andy zu warten, bevor ich mich bei der IT meldete, damit sie das regelten. Das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen konnte, war, mich beim Redaktionsleiter zu verspäten, weil ich versuchte, zu Kelsey in der IT durchgestellt zu werden, die dafür bekannt war, für alles viel Zeit zu benötigen – auch für das Beantworten des Telefons.

Kris: War bisher ein Scheißtag.

Ich schickte eine WhatsApp-Nachricht an die Mädels, auch wenn ich um neun Uhr von keiner schon eine Antwort erwartete.

Tina war Grundschullehrerin, und obwohl sie gerade Sommerferien hatte, gab sie Ferienkurse an einer privaten Mädchenschule in Richmond, um sich etwas nebenher zu verdienen. In London zu leben war – wie sie es ausdrückte – im Allgemeinen schon teuer, aber ganz besonders im Sommer, wenn man nichts anderes zu tun hatte, als Geld auszugeben, das man gar nicht besaß.

Paige dagegen verkörperte den buchstäblichen Mic Drop unter den erwerbstätigen Frauen. Sie arbeitete als gesetzliche Vertreterin für die Londoner Chanel-Niederlassung. Sie war die knallharte Frau, zu der man ging, wenn man überprüfen musste, ob es in Ordnung war, eine Schauspielerin für eine Fernsehwerbung zu buchen, die einmal ein Drogenproblem gehabt hatte, oder wenn man das nächste Chanel-Produkt Bibliothèque nennen oder irgendeine andere extravagante französische Bezeichnung dafür verwenden wollte.

Sie nahm nicht nur an Treffen mit A-Promis teil und durfte entscheiden, ob diese Leute unter Vertrag genommen wurden, sie bekam auch Eintrittskarten für die Pariser Fashion Week und hatte schon Wochen bevor sie auf den Markt kamen, Zugang zu den Kollektionen großer Modelabels.

Keiner konnte verstehen, dass wir Freundinnen waren, obwohl wir nicht in denselben Kreisen verkehrten. Tina hatte sich meiner angenommen, nachdem ich in der Orientierungswoche an der Uni total abgefüllt in ihrem Zimmer im Studentenwohnheim gelandet war. Ich kann mich wirklich nicht mehr daran erinnern, wie wir uns kennengelernt haben, aber am nächsten Morgen hat sie uns ein tolles Frühstück gemacht und angefangen, mich zu bemuttern. Da wusste ich, dass daraus was Gutes werden könnte.

Paige habe ich in meiner freiberuflichen Zeit kennengelernt, als ich einen Artikel über sie für Vanity Fair geschrieben und sie darin derartig gefangirlt hatte, dass sie mich auf einen Drink einlud. Mir war damals nicht klar gewesen, dass es als Date gemeint war, aber sobald ich es begriff, hatte ich in ihrer Gegenwart derartig überreagiert – es gab definitiv ein Überraschungsmoment, in dem ich meinen Cocktailschluck wieder ausgeprustet habe –, dass sie sagte: »Keine Panik, Darling. Wir können auch bloß Freundinnen sein.«

Ich war so entzückt von ihrem Selbstvertrauen und ihrer kühl-korrekten Liebenswürdigkeit, dass dieser Moment überhaupt nichts Peinliches an sich hatte. Am Ende hatten wir uns mit Cocktails zugeschüttet und uns gegenseitig mit Anekdoten aus unseren Leben unterhalten, bis wir uns Kebab essend in der King’s Cross Station wiederfanden, wo uns der Sicherheitsdienst um zwei Uhr in der Früh rauswarf. Der Rest ist Geschichte.

Tina und Paige passten als Freundinnen eigentlich gar nicht zueinander, aber da ich nun einmal mit beiden befreundet war, kamen sie erfreulicherweise gut miteinander klar, auch wenn sich ihr Konkurrenzverhalten hin und wieder mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus meldete.

Habe gleich ein Meeting mit dem großen Chef. Wünscht mir Glück schrieb ich ihnen in der Hoffnung, dass mir das Universum eine helfende Hand reichen würde, wenn ich diese Nachricht aussandte. Ich konnte wirklich alles Glück gebrauchen, das ich kriegen konnte.

Andys Tür war einen Spalt weit geöffnet, als ich anklopfte. Er reagierte sofort.

»Kommen Sie herein.«

Er saß hinter seinem Schreibtisch, den Sessel Richtung Wand gedreht, und schloss gerade seinen Laptop, als ich bemerkte, dass eine Frau neben ihm stand. Ich war ihr bisher erst ein Mal begegnet, als ich zur Personalabteilung hinaufgegangen war, um meinen Vertrag zu unterzeichnen.

»Krystal, erinnern Sie sich noch an Keira?«

Ich nickte und schluckte vernehmlich.

»Keira wird bei unserem Gespräch anwesend sein.«

»Okay«, erwiderte ich und spürte, wie mein Mund trocken wurde, als ich mich auf den am nächsten stehenden Stuhl sacken ließ.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, erkundigte sich Andy mit aufrichtiger Besorgnis. Ich nickte ein wenig zu heftig, und ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Nacken. »Also schön, nun, ich werde nicht lange um den heißen Brei herumreden. Ich fürchte, das hier wird kein sehr erfreuliches Gespräch werden.«

Das Universum hasste mich.

»Eigentlich hätten Sie dies bereits gestern erfahren sollen, aber da waren Sie natürlich krankheitsbedingt abwesend. Ich hoffe, dass es Ihnen wieder besser geht?«

Ich brummte »Mm-hmm«. Wenn er doch nur endlich auf den Punkt kommen würde!

»Also, wir haben gestern allen Mitarbeitern mitgeteilt, dass Craze eingestellt wird.«

»Was?«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen und beugte mich geschockt nach vorn.

»Ja, das kommt für uns alle überraschend. Was allerdings nicht überraschend kommt, das sind die sinkenden Print-Umsätze, die die gesamte Branche betreffen. Wir sind mit Sicherheit nicht die Einzigen, die sich in einer solchen Lage befinden. Nun, Craze wird mit einer anderen Zeitschrift innerhalb des Weltkonzerns zusammengelegt, aber leider eben nicht mehr länger Craze sein. Und aus diesem Grund müssen wir einige harte Personalentscheidungen treffen.«

Plötzlich ergab die erstaunlich geringe Anzahl von Mitarbeitern und das ganze Gestarre einen Sinn.

»Oh«, war alles, was ich herausbrachte, bevor Keira einsprang.

»Die Zeitschrift, mit der Craze zusammengelegt wird, hat bereits ein komplettes Redaktionsteam, daher ist Ihre Stelle nun leider überflüssig. Wir müssen unseren Vertrag mit Ihnen beenden und uns von Ihnen verabschieden.«

Von mir verabschieden. Was für eine nette Art und Weise zu sagen, dass man gefeuert wird.

Jetzt war ich nicht nur Single und pleite, sondern total pleite und so was von arbeitslos.

Keira redete immer noch, sprach von Entlohnung bei Nichteinhaltung der Kündigungsfrist und Probezeit. Auf den Punkt gebracht: Ich sollte Keith, den Bonsai, einpacken und die Redaktion bis zum Mittagessen verlassen. Man würde mir ein Monatsgehalt zahlen, und das war’s.

Ich war noch nicht einmal richtig eingearbeitet und schon wieder raus – und ich konnte nichts dagegen tun.

Kris: Sie haben mir gekündigt.

Kris: Ich sitze mit meinem Bonsai auf dem Gehweg und habe Kaugummi am Hintern.

Kris: Kann der Tag noch schlimmer werden?

Kris: …

Kris: Mir hat grad jemand seine Falafel-Box in den Schoß geschmissen.

Kris: Jetzt habe ich Hummus auf der Hose, wo man kein Hummus haben sollte.

Kris: Wer isst denn schon so früh Falafel?

Kris: Ich glaube, ich schmeiße mich einfach vor ein Auto.

Paige: Gleich holt dich ein Uber-Taxi ab und bringt dich zum nächstgelegenen Pub. Geh rein, ich habe einen Tisch bestellt, zwei Bloody Marys warten auf dich. Trink beide und bestelle noch mal zwei. Wir sehen uns in zwanzig Minuten.

3

Löwe: Sie haben ein glückliches Händchen in finanziellen Angelegenheiten.

Jupiter verlässt das zweite Haus.

»Ist es eigentlich überhaupt rechtlich zulässig, dass man schon nach zwei Wochen entlassen wird?«, erkundigte sich Tina, goss mir ein Glas Rotwein ein, reichte mir aber stattdessen rasch die ganze Flasche, als sie in mein verheultes Gesicht blickte.

»Streng genommen ja, aber es ist eine totale Mistsituation«, erwiderte Paige, die ihren anwaltlichen Rat von der anderen Seite des Sofas mit ruhiger Stimme erteilte. Sie hatte gleich Verstärkung in Form von Tina und teurem Wein angefordert, als sie mich um zehn Uhr morgens zusammengesunken an dem klebrigen Tisch im Pub erblickte, wo ich mir laut schluchzend die Augen ausheulte. Danach hatte sie ihre Assistentin angerufen und ihr aufgetragen, sämtliche Meetings an diesem Tag abzusagen – so viel Macht hatte sie –, um mich dann in ein Taxi zu verfrachten und nach Hause zu bringen.

Dort hatte ich den größten Teil des Tages halb schlafend, halb jammernd verbracht.

»Ich hätte nie gedacht, dass mal so ein Mensch aus mir werden würde«, erklärte ich mit krächzender Stimme. Der Wein linderte es allerdings. »Ich habe nicht mehr so viel geweint, seit Heath Ledger gestorben ist.«

Tina legte für einen Moment die Hand auf ihr Herz.

»Nun«, sagte Paige, »was für ein Glück, dass deine beste Freundin eine Wahnsinnsjuristin ist, die dich bei der ganzen Rechtskacke in dieser shittigen Situation beraten kann.«

»Und …«, schob Tina, die bei der ganzen Lobhudelei nicht außen vor bleiben wollte, sogleich hinterher, » … dass deine andere beste Freundin sooo megalieb ist, dich in den Arm nimmt und wie du die Qualitäten eines guten Cabernet zu schätzen weiß.« Sie stieß mit ihrem Glas an meiner Flasche an.

»Danke, Mädels«, murmelte ich, während mir immer noch die Tränen über die Wangen liefen. Meine Selbstbeherrschung war längst dahin, und ich hatte den Punkt überschritten, an dem ich mir die Mühe machte, sie abzuwischen. Tina schlang ihren Arm um meine Schultern und zog mich in ihre flauschige Wärme. Aus ihrem knallpinken Poncho lösten sich unechte Federn, die sich über mein neues Sofa verteilten, aber das war mir diese mitfühlende Umarmung wert.

Tina und Paige waren ganz besonders nett und weniger bissig zueinander als sonst, und das bloß, um mich aufzumuntern. Doch egal wie lieb sie auch zu mir waren und wie ausgezeichnet ihre Wahl der alkoholischen Getränke war, ich konnte einfach nicht aufhören, diese »Wehe mir«-Rolle zu spielen und mich darüber zu beklagen, dass ich wieder einmal neu anfangen musste.

»Na ja, du bist fast neunundzwanzig, da passiert so was schon mal«, sagte Tina.

»Du kannst in jedem Alter wieder neu anfangen«, wandte Paige ein, die noch nie selbst in dieser Lage gewesen war. Ich musste es ja wissen, denn ich hatte schließlich diesen Artikel über ihre perfekte, gradlinige Biografie geschrieben.

»Aber besonders mit neunundzwanzig, so steht es in den Sternen«, entgegnete Tina aufgeregt, weil sie offenbar etwas wusste, von dem Paige keine Ahnung hatte. »Das liegt an der Saturn-Rückkehr.«

»Wovon redet sie da?«, fragte Paige, und wir blickten einander verständnislos an.

»Wenn Saturn an die Stelle zurückkehrt, an der er zum Zeitpunkt deiner Geburt stand«, fuhr Tina fort, als sei dies offenkundig. »Das dauert ziemlich genau neunundzwanzig Jahre. Und damit beginnt deine nächste Lebensphase. In den meisten Fällen das Erwachsensein, dann folgt die Lebensmitte und schließlich das Alter.« Sie erklärte die Macht des Saturns wie etwas ganz Selbstverständliches, das man uns eigentlich bereits wie Bruchrechnen und Satzbau in der sechsten Klasse hätte beibringen sollen.

»Ich habe noch nie was von Saturn-Rückkehr gehört«, erklärte ich ihr, wobei ich zwar interessiert, aber weiß Gott nicht überzeugt war von ihrem weltfremden Lebenskonzept.

»Das erklärt echt alles!« Sie griff in ihre Tasche und zog ihr Smartphone heraus. »Seht nur, ich habe diese Horoskop-App, und die ist wirklich supergenau.«

»O Gott, jetzt geht’s los«, murmelte Paige, und ich versetzte ihr einen kleinen Stupser in die Rippen, als sie nach ihrem Weinglas griff.

»Ich weiß, dass das alles ein bisschen nach Hokuspokus klingt, aber oft genug trifft’s wirklich zu!«

»Eine kaputte Uhr zeigt auch zweimal am Tag die richtige Zeit«, stichelte Paige mit einem Singsang in der Stimme.

Tinas Reaktion bestand nur darin, die Augen zu verdrehen.

»Ach komm schon, du musst zugeben, dass hier gerade verdammt viel für die Saturn-Rückkehr spricht.«

»Ich verstehe es immer noch nicht ganz«, sagte ich zu Tina, die begonnen hatte, durch die Seiten ihrer App zu scrollen, um mir etwas zu zeigen.

»Lies das mal.« Sie deutete auf einen kurzen Absatz in ihrer Sternkarte, der folgendermaßen lautete:

Saturn ist der letzte Planet, den wir mit dem bloßen Auge zu sehen vermögen. Vor der Erfindung des Teleskops glaubte man, dass nach ihm keine Planeten mehr folgten, er die Grenzen des Sternensystems markierte und als der langsamste, am weitesten von der Erde entfernte Planet die Vollendung eines Lebensabschnitts vorgibt. Es dauert schätzungsweise neunundzwanzigeinhalb Jahre – abhängig von deinem Geburtshoroskop –, bis er wieder an die Stelle zurückkehrt, die er bei deiner Geburt innehatte, und damit beginnt ein oft schwieriger Übergangsprozess im Leben.

»Siehst du, das passt!«, rief Tina aufgeregt. Man hätte glauben können, dass sie gerade sämtliche Probleme dieser Welt mit einer einzigen App gelöst hätte.

»Das ist doch völliger Unfug. Wie können Planeten und Sterne unser tägliches Leben beeinflussen? Völliger Nonsens«, hielt Paige dagegen. »In jeder Zeitung und jeder Zeitschrift findest du ein Horoskop oder irgendein Astrologie-Dingsda, und jedes ist anders, also welches stimmt denn nun? Die Tatsache, dass es so viele verschiedene Horoskope gibt, beweist doch, dass es Blödsinn ist.«

»Das liegt bloß daran, dass du so engstirnig bist. Es gibt immer einen Interpretationsspielraum«, erwiderte Tina und vergaß dabei, dass ich zwischen ihnen hing, mal wieder das bedauernswerte Schweinchen in der Mitte war, das vergeblich versuchte, den Ball zu fangen.

»Okay, Mystic Meg.« Paige hielt zum Zeichen der Aufgabe die Hände in die Höhe, und ich spürte, wie der Frust in Tina hochstieg, bevor er ihr anzusehen war.

Ich stand auf, um die Aufmerksamkeit wieder auf mich zu lenken.

»Bevor wir anfangen, den Sternen die Schuld an allem zu geben, und herauszufinden versuchen, ob ich ein guter Löwe bin oder nicht, benötige ich wirklich eure Hilfe, um mit all dem fertigzuwerden.« Meine weit ausholenden Armbewegungen erfassten die Wohnung und die leeren Weinflaschen.

Tina schien sogleich besänftigt und stahl sich wieder in ihre Sofaecke zurück, während Paige ihr Glas mit einem mitfühlenden Lächeln vorsichtig auf dem Untersetzer abstellte. Es sagt eine Menge über einen Menschen aus, wenn er einen Untersetzer benutzt, ohne dass man ihn darum bitten muss.

»Klingt nach einem guten Plan. Dann fangen wir doch gleich mal an: Hast du schon etwas gehört von …«

»Dem-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf!«, rief Tina, um zu verhindern, dass Davids Energie unseren Mädelsabend durchdrang. Ihre Beharrlichkeit entlockte mir ein leises Lachen, und die Gesichter der beiden hellten sich auf, als sie sahen, dass ich mal ausnahmsweise keine todunglückliche Miene zur Schau trug. Allerdings dauerte es bloß eine Sekunde, bevor die Tränen wieder zu fließen begannen.

»Ich vermisse ihn gerade nicht einmal«, teilte ich ihnen mit, was tatsächlich der Wahrheit entsprach.

»Das ist gut«, sagte Paige. »Er ist es auch gar nicht wert, dass man ihn vermisst. Wir müssen uns bloß überlegen, wie wir ihm seinen Kram zukommen lassen, ohne dass du seine Visage noch mal sehen musst. Ich könnte dafür sorgen, dass seine Sachen eingelagert werden, und dann schicke ich ihm die Rechnung zu, und du musst nicht mal einen Penny zahlen.«

»Und was ist mit all den Dingen, die wir gemeinsam gekauft haben?«

»Zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf! Sag mir, was du behalten willst, und ich werde dafür sorgen, dass du es auch behältst. Er kann gern versuchen, sich mit mir anzulegen.« Ich fand es toll, dass Paige Juristin war.

»Ich will auf jeden Fall den Mixer behalten«, sagte ich ihr. »Der Mistkerl ist überzeugt davon, dass er ihn bezahlt hat, aber das stimmt nicht. Ich habe ihn bezahlt. Und ich werde ihm das Ding auf keinen Fall überlassen.«

»Richtig so!«, rief Tina. »Wut ist gut! Zeig ihm, wer das Sagen hat. Du solltest auch das Sofa behalten. Sofas sind verdammt teuer.«

Ich nickte. »Er kann das Bett haben. Ich möchte nichts behalten, was wir uns aufs Engste geteilt haben. Und Gott weiß, mit wem er noch drin gelegen hat. O nein, was ist, wenn er es auch auf dem Sofa getrieben hat?«

Tina und Paige sprangen beide gleichzeitig auf, während mir ein weiteres gequältes Schluchzen entfuhr, ohne dass ich es zu verhindern vermochte. Bald schon schlangen beide ihre Arme um mich und damit auch umeinander, und der tröstliche Duft von Tinas Sandelholz-Parfüm und Paiges Clinique – denn sie gehörte schließlich nicht Chanel! – verlieh mir wieder dieses sichere Gefühl, geliebt zu werden.

Ich wurde geliebt und war auch immer noch imstande zu lieben. Ich musste einfach diesen verdammten Tag überstehen, und alles würde wieder gut. Auch wenn ich genau genommen mein ganzes Leben wieder neu beginnen musste.

Paige strich mir eine Strähne meines fettigen Haares aus dem Gesicht und reichte mir das letzte saubere Papiertaschentuch im Wohnzimmer.

»Schon okay. Wir sind für dich da«, versicherte sie mir.

»Ich kann dir dabei helfen, ein erschwingliches Sofa zu finden«, versprach mir Tina und setzte nach einem kurzen Zögern hinzu: »Was hältst du von Stoffen aus den Siebzigern?« Ich schnaubte an ihrer Schulter, und sie drückte mich ein bisschen fester ans sich.

»Ist das wieder mal eins deiner Upcycling-Projekte?«, erkundigte ich mich. Dieses Mal war sie es, die schnaubte.

»Ha! Als ob ich jemals in meinem Leben irgendetwas geupcycled hätte. Aber mir gefällt die Idee, die dahintersteckt. Bloß fehlt mir die Zeit, es in die Tat umzusetzen. Außerdem ist es bei drei Mitbewohnern und im vierten Stock nicht ganz so einfach, sich neue Möbel anzuschaffen.«

»Also, wenn du gern mein Sofa hättest«, sagte ich, denn ich konnte mir unmöglich vorstellen, es jetzt noch zu behalten. Ganz abgesehen davon, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit in eine Wohngemeinschaft umziehen musste und vermutlich gar kein Sofa mehr benötigen würde.

»Du könntest es verkaufen«, schlug Tina vor.

»Dann pass aber auf, dass du keinen Wein drauf verkleckerst«, sagte Paige bissig.

»Also bitte, als ob ich einen Tropfen hiervon verschwenden würde«, spöttelte Tina.

»Wir müssen ja nicht heute über all das nachdenken«, erklärte Paige und verließ die Gruppenumarmung, um erneut für mich nach der Weinflasche zu greifen, als wäre ich ein Kleinkind, das ein Trosthäppchen benötigt. »Bloß über ein paar Kleinigkeiten.«

»Wie zum Beispiel deine Party!«, rief Tina und blickte dabei Paige an, mit der sie – wenn auch etwas widerwillig – die ganze Sache geplant hatte. »Du kannst unmöglich deine Party absagen.«

»Doch, wir können das«, erwiderte Paige und betonte damit noch einmal ihrer beider Beteiligung an dem geplanten kleinen Zusammenkommen meiner alten Freunde. Und was man organisiert hatte, konnte man ihrer Ansicht nach auch wieder entorganisieren.

»Na schön«, knurrte Tina. »Aber du wirst auf keinen Fall an deinem Geburtstag hierbleiben. Auch wenn wir nicht die totale Gatsby-Party feiern können, Rosé bis zum Abwinken trinken und irgendeine angesagte Bar zum Beben bringen: Wir gehen auf jeden Fall aus!«

»Also, ich weiß nicht …«, hob ich an.

»O nein, Mystic Meg hat recht.« Paige zuckte mit den Schultern. »Wir gehen immer noch aus. Du kannst nicht an deinem Geburtstag zu Hause bleiben. Nicht so. Das ist einfach deprimierend.«

»Wahnsinn!«, frohlockte Tina, was dieses Mal Paige dazu veranlasste, die Augen zu verdrehen. »Ich kann es einfach nicht glauben, dass sie mir mal zustimmt.«

»Gewöhn dich besser nicht dran.« Paige stieß mit ihrem leeren Gas gegen Tinas.

»Also gut, aber macht was Kleines draus«, sagte ich zu ihnen. »Und ich kann mir keine Drinks in irgendeinem Club leisten, also lasst uns vorher schon was trinken.«

»Ich bringe den Brie mit, du den Prosecco«, schlug Tina Paige vor, die nickte. »Seit wann ist Vortrinken eigentlich zu so einer zivilisierten Angelegenheit geworden?«, spottete Tina, entließ mich aus dem eisernen Griff ihrer Umarmung und steuerte auf den mintgrünen Plattenspieler zu, den ich mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Es stimmt schon, was man so sagt, Musik klingt auf Vinyl einfach besser!

»Erinnerst du dich noch an diese Sauf-Challenge an der Uni, bei der wir gegen die anderen Wohnheime angetreten sind? Bevor wir überhaupt den Campus verlassen durften, um in einen Nachtclub reinzukommen?«

»O Gott!« Ich begann schon bei dem Gedanken daran zu würgen. »Dieses blöde Spuckspiel. Wo man den Alk in den Mund anderer Leute tropfen lässt …« Ich spürte erneut einen Würgereflex.

»Urgh! Und dann musste der Captain des unterlegenen Teams den vollgespuckten Drink des anderen Teams trinken.« Tina setzte die Plattennadel auf, um unsere heiß geliebten Greatest Hits der Spice Girls zu spielen.

Spice Up Your Life ertönte aus den winzigen Lautsprechern des Schallplattenspielers. Sie drehte die Lautstärke auf, sodass es unmöglich war, über die Musik hinweg noch mitzubekommen, wie Paige über unsere alten Uni-Angewohnheiten herzog. Ganz offenbar war es an der Universität von St. Andrews sehr viel zivilisierter zugegangen. (Dort hatten schließlich auch einmal Mitglieder des Königshauses studiert, also verstand sich das quasi von selbst.)

Ich füllte die Gläser der Mädels aus meiner Weinflasche nach, als sich die »La-la-las«, die aus den Lautsprechern erklangen, in ihrer Intensität steigerten, und wir begannen, die bekannten Textzeilen mitzusingen.

»Ahhhh …« Das Gehüpfe und die »Rou-ou-ound«-Dance Moves begannen, und plötzlich hüpften wir auch und schrien aus vollem Hals »La la la«, im Wettstreit miteinander und dem Plattenspieler, wer am lautesten im Zimmer war. Wir verschütteten Wein auf dem Teppich, den ich bei Wayfair bestellt und noch nicht bezahlt hatte, und auf dem Sofa, das ich trotz Tinas Verheißungen definitiv nicht mehr haben wollte. Aber das war mir alles egal. Texte der Spice Girls mitzugrölen, wenn man betrunken und emotional völlig fertig ist, ist definitiv besser als jede Therapie.

Für den Moment war wieder alles in Ordnung. Ich war zwar Single und betrunken und praktisch pleite und mehr als nur ein bisschen gestresst, aber ich hatte zwei tolle Freundinnen und immer noch eine gewisse Eigenständigkeit, was mein Leben betraf. Ich musste bloß die nächsten paar Tage hinter mich bringen, und dann würde ich mich schon wieder aufrappeln. Ich war überzeugt, dass mir das gelingen würde. Ich lächelte und tanzte auf der Stelle.

»Ahhhh …«, schrien wir einander in die Gesichter, bevor wir unsere Hüften gegeneinanderstießen und gleichzeitig in die Höhe sprangen – woraufhin plötzlich über uns ein Rohr platzte und in der ganzen Wohnung die Sprinkleranlage anging.

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