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»Mein Sohn ist da drin! Holen Sie ihn raus!« Bendix Steensen sitzt fest: Wegen einer Unwetterwarnung sind in Heathrow sämtliche Flüge gestrichen. Die Anrufe seines neunjährigen Sohnes Lewe aus ihrem Haus in Niebüll werden unterdessen immer panischer. Seit Stunden sind seine Mutter und die Oma fort und unerreichbar, der Schneesturm da draußen macht ihm Angst – und plötzlich glaubt er, in dem abgelegenen Haus nicht mehr allein zu sein. Bendix alarmiert die örtliche Polizei, bezweifelt aber, dort mit seinen Befürchtungen ernst genommen zu werden. Und Lewe ist tatsächlich nicht mehr allein …
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Seitenzahl: 254
Anja Goerz
Wenn ich dich hole
Thriller
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Da ist er.
Ihr Junge.
Er ist so hübsch. Und so schnell groß geworden.
Sie ist ihm so nah.
Ihr Junge.
Sie lächelt, als sie ihm dabei zusieht, wie er die Bananen abwiegt und in den Einkaufswagen legt.
»Mama?«
Sie dreht sich um und das Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht, als das Kind zu der Frau geht.
Etwas ist falsch, aber sie wird es wieder richtig machen.
Es hat bereits zu lange gedauert.
Jetzt ist die Zeit gekommen.
König Salomo, du weißt, was richtig ist, denkt sie und wendet sich ab.
Insa legte noch eine Tüte Gummibärchen auf den Holztresen vor der Kasse. Die großen Entscheidungen wurden einem hier abgenommen, es gab nur diese eine Sorte Fruchtgummis. Beim Joghurt nur Erdbeere und Natur. Was sich eben unterbringen ließ in zwei schmalen Gängen, die kürzer waren als der Hausflur ihrer Schwiegermutter. Gleich neben dem Eingang eine Kiste mit Äpfeln, Kartoffeln und Möhren von Bauern aus der Gegend, eine schmale Fleischertheke, an der auch Brötchen und Briefmarken verkauft wurden.
Insa genoss es sehr, einfach in den Wagen zu packen, was eben zu haben war.
Ihre Schwiegermutter kam dazu, in der Hand eine Tüte von der Fleischertheke. »Die Rouladen, für Bendix.«
»Mit was füllst du die denn?«
»Na, Gurke, Zwiebel und Salami, wie immer.«
»Grete, Bendix verträgt doch abends keine Zwiebeln mehr, da wälzt der sich wieder die ganze Nacht im Bett herum.«
»Woher soll ich das denn wissen, wenn er nie mitkommt.« Entnervt schob ihre Schwiegermutter den Wagen weiter.
»Moin, Grete.« Der Ladeninhaber, Hauke Callsen, setzte sich selbst an die Kasse. »Du siehst ja ok jedes Mol jünger ut, dat mutt ik jo mol seggn«, versuchte er sich mit einem platten Kompliment.
»Moin.« Insa nickte Callsen zu, zog eine Plastiktüte aus ihrer Anoraktasche und begann, die Einkäufe zu verpacken.
Grete winkte ab, musste aber doch so sehr lächeln, dass man ihre tiefen Grübchen sehen konnte.
»Wo steckt denn der Lütte?«
»Der wollte lieber zu Hause bleiben.«
»So grot is de schon, wa? Ja, de Tid, de löppt.« Er schüttelte den Kopf. »Und, sind Ferien, wa? 21 Euro und 48 Cent macht das bitte schön.«
Insa suchte nach ihrer Geldbörse, aber ihre Schwiegermutter hatte bereits einen Schein in der Hand und reichte ihn Callsen.
»Ja, diese Woche noch, dann geht die Schule wieder los.« Grete nahm das Wechselgeld entgegen. »Bendix kommt auch heute Abend. Der hatte noch im Ausland zu tun.«
»Immer noch so viel unterwegs, der Herr Computerspezialist?«
»Ai Tih«, belehrte Grete ihn und schloss ihre Geldbörse.
Insa schob den leeren Einkaufswagen zu den anderen hinter der Kasse.
Callsen rollte seinen Stuhl ein Stück zurück und stützte sich mit den Ellenbogen auf das Laufband. Die ideale Sitzhaltung für ein längeres Gespräch. Er lächelte Insa an. »Und du? Immer noch im Kindergarten?«
»Natürlich.« Insa lächelte zurück. »Ich könnte mir gar nichts Schöneres vorstellen.«
»Das hätte ich ja auch nicht gedacht, dass du und Bendix mal …«
»Ja, ja, Hauke.« Grete unterbrach den Mann und schob Insa vor sich her Richtung Ausgang. »Wir müssen dann auch mal los.«
»Nun warte doch …« Callsen stand auf, schälte sich aus der kleinen Einbuchtung des Kassenraums und griff nach den Einkäufen. »Na, komm. Ich trag euch die Tüte eben zum Auto.«
»Ach, das ist doch nicht nötig.« Insa sah sich in dem kleinen Laden um, aber es war keine weitere Kundschaft da. Also überließ sie dem Mann ihre Einkäufe.
Callsen stieß die Ladentür auf und forderte die Frauen mit einer übertrieben galanten Handbewegung auf, hindurchzugehen.
»Und sonst, laufen die Geschäfte gut?« Insa wusste nur zu gut, dass sie größere Talente hatte als Smalltalk.
»Ja, mal mehr, mal weniger. Ich kann auch nicht alles auf Lager haben, was die Leute so wollen. Jetzt dieses ganze vegetarische Zeug, Wurst ohne Fleisch drin und so.« Callsen schüttelte den Kopf. »Schmeckt doch alles nicht. Man muss ja auch nicht jede Mode mitmachen. Aber wir vermieten jetzt ja auch.« Er bedeutete Insa, den Kofferraum des Wagens zu öffnen. »So.« Er stellte die Tüten ab, schlug den Kofferraumdeckel zu und rieb sich die Hände. »Mensch, ist das kalt heute. Kommt bestimmt noch Schnee.« Er gab Grete die Hand und erntete dafür ein schmales Lächeln. »Pass gut auf dich auf und lass dich mal wieder sehen.«
Insa öffnete ihrer Schwiegermutter die Beifahrertür und half ihr beim Einsteigen. Dabei fiel Gretes Handtasche auf den Schweller des Wagens und eine Schachtel Pfefferminzbonbons, ein Päckchen Taschentücher und der Insulinpen kullerten heraus. »Ach, was für ein Mist.« Insa stellte die Tasche hinter dem Sitz ab, sammelte Bonbons und Taschentücher ein und konnte sich ein Stöhnen nicht verkneifen, als sie sah, dass der schmale Stift unter das Auto gerollt war.
Callsen hatte die Aktion verfolgt und tauchte auf der Fahrerseite wieder auf, grinsend den Pen in der Hand haltend. »Hab ihn.« Er reichte ihn Grete und schlug die Beifahrertür zu.
Insa gab Callsen zum Abschied die Hand und stieg ebenfalls ein.
»Ach, du liebe Güte!« Grete starrte aus dem Fenster in Richtung des Friseurladens gegenüber. Eine Frau mit auffallend roten Haaren schaute nach links und rechts und überquerte dann die Straße.
»Kennst du die?«
»Was?« Grete schüttelte den Kopf. »Nein, ich dachte … aber das kann nicht … ich glaube nicht. Kann nicht sein.«
Insa startete den Wagen und sah im Rückspiegel den Ladenbesitzer winken, bevor er fröstelnd die Hände in seinen Kitteltaschen versenkte und in sein Geschäft zurückging.
»Es ist so schön, dass ihr bei mir seid, und ich freu mich schon, wenn Bendix heute Abend kommt. Lass uns doch in Niebüll noch eine schöne Flasche von dem Rotwein besorgen, den er so gerne trinkt.« Grete machte endlich wieder ein fröhliches Gesicht. »Ein kleines Gläschen kann ich mir wohl auch genehmigen.«
»Lass das mal nicht deinen Freund Hauke hören, dass du deinen Wein lieber woanders kaufst.«
Beide lachten.
Im Radio lief ein alter Song aus den 80ern, Come On Eileen von den Dexy’s Midnight Runners. Insa drehte die Musik lauter und summte mit.
»Hach, daran erinnere ich mich noch, das hat Bendix auch rauf und runter gehört.« Grete klopfte den Rhythmus mit.
»Weißt du noch, wie ihr zwei früher immer im Wohnzimmer getanzt habt?«
»Na, ob man das Tanzen nennen kann?« Insa musste sich auf die Straße konzentrieren, es fiel bereits leichter Schnee und stellenweise war es sehr glatt. »Sag mal, was hat Hauke denn eigentlich gemeint vorhin?«
»Mit was?«
»Na, mit früher und mit Bendix und mir, als du ihn so rüde unterbrochen hast.«
»Ich habe keine Ahnung.« Gretes Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie über dieses Thema nicht reden wollte. Jedenfalls nicht jetzt. Wie schon so oft, wenn es um die Vergangenheit ihres Mannes ging, stieß Insa auf Granit. Bendix selbst hatte ihr oft genug erklärt, dass dieses Kapitel seines Lebens abgeschlossen sei und er nie wieder daran erinnert werden wolle. Und nun blockte auch Grete ab. Aber früher oder später würde sie ihnen die Geschichte, um die alle so ein Geheimnis machten, schon entlocken.
Neun Anrufe in Abwesenheit, zweiundzwanzig neue E-Mails. Am liebsten hätte Bendix das Handy gleich wieder ausgeschaltet. Und am allerliebsten hätte er sich gleich hier, im Finger der gelandeten Maschine, auf den Boden geworfen und wäre eingeschlafen. Einfach hinlegen und zwischen den hastig aus dem Flieger eilenden Beinen in schlecht geschnittenen grauen und blauen Anzughosen, Jeans und Seidenstrümpfen ein Nickerchen machen.
Dabei fing der Tag für ihn gerade erst an.
Die E-Mails: von seinen Partnern in San Francisco, die sich für sein Verständnis bedankten und beste Wünsche für eine gute Heimreise sandten. Werbung für maßgeschneiderte Anzüge, Rotwein im Sonderangebot, ein Upgrade für seinen Telefonanschluss und die Nachricht, dass die Reparatur seiner Armbanduhr abgeschlossen sei. Außerdem die Einladung von einer Kollegin zu einem fünfzigsten Geburtstag und Grüße aus dem Urlaub von seinem Freund Gerhard.
Die Anrufe: seine Assistentin, die ihn per Mailbox wissen ließ, dass sie ab jetzt im Büro erreichbar sei, falls sie etwas für ihn tun könne. Eine unbekannte Nummer. Die von der Autowerkstatt hatten versucht, ihn zu erreichen, obwohl er ihnen mit Sicherheit gesagt hatte, dass er in den USA sei und sich nach seiner Rückkehr melden würde. Und allein sechs Anrufe von Lewe.
Sechs!
Bendix musste die Aktentasche kurz absetzen und seine Hand an der Hose abwischen, das glatte Display reagierte nicht auf seine feuchten Finger.
Freizeichen am anderen Ende. Ein halbes nur, dann war sein Sohn schon dran.
»Papa, endlich!«
»Was ist denn los, Großer? Ich bin gerade erst in London gelandet.« Bendix nahm seine Tasche wieder auf und folgte dem Strom der Reisenden Richtung Terminal.
»Mama ist nicht da.«
»Und wo ist Oma?« Bendix scherte aus und lehnte sich erschöpft gegen die Wand.
»Die sind vorhin weggefahren. Einkaufen und so. Das is mir aber zu langweilig. Die sagen immer, sie wollen nur mal schnell was gucken. Aber das sagen die nur. Das dauert dann eeeeewig.«
Lewe klang nervös, aufgeregt, aber eigentlich nicht ängstlich. Sein Sohn war vor ein paar Wochen neun Jahre alt geworden und versuchte sich als Held, wann immer er konnte. Wenn er nervös wurde, plapperte er aber wieder wie ein Vierjähriger.
»Und wohin?«
»Ja, vorhin, gleich nach dem Frühstück.«
Bendix schaute kurz auf das Display, fünf Balken, der Empfang exzellent. »Ja, aber wohin sind sie gefahren? Und warum rufst du Mama nicht einfach auf dem Handy an?«
»Das hab ich ja, aber sie geht nicht ran.«
Zwei Flugbegleiterinnen mit rollenden Bordkoffern gingen an ihm vorbei. Eine schon älter, der Rock saß für seinen Geschmack etwas zu eng. Die andere blond und sehr sexy in ihrem blauen Kostüm, sie lächelte ihn an. »Lewe, ich muss erst mal Schluss machen. Sonst verpasse ich meinen Anschlussflug. Versuch es noch mal bei Mama, ja?«
»Okay, dann gehe ich noch kurz mit Albert raus, sonst pinkelt der wieder auf Omis Teppich. Weißt du noch, wie die sich aufgeregt hat, als Albert noch ein Baby war und …«
»Klar, hast du mir doch erzählt. Nimm dein Telefon bitte mit nach draußen, ja? Ich melde mich gleich wieder.«
Bendix legte auf und drückte die Kurzwahl für das Handy seiner Frau. Er hörte ihre Stimme sofort. Allerdings nur die konservierte Stimme.
Seltsam.
Das letzte Mal hatte er auf ihre Mailbox gesprochen, als sie stundenlang bei einer Zahnoperation auf dem Stuhl gelegen hatte. Insa war immer über ihr Handy erreichbar, vor allem, wenn sie Lewe alleine ließ.
Immer.
Er ging weiter Richtung Passkontrolle und wäre dem verschlafenen Typen vor ihm beinahe auf den Mantel getreten, den der gedankenlos hinter sich herschleifen ließ.
Er schaute auf die Uhr. Wenn Insa und seine Mutter nach dem Frühstück das Haus verlassen hatten, dann waren sie jetzt etwa zwei Stunden unterwegs. Einkaufen, Kaffeetrinken, vielleicht noch eine Nachbarin oder eine alte Schulkameradin treffen. Kleiner Schnack. Auch wenn die Wege da oben in Nordfriesland kurz waren – zwei Stunden waren gar nichts.
Oder?
Bendix öffnete die App der Fluggesellschaft, um dem Sicherheitsbeamten das Ticket für seinen Anschlussflug zu zeigen. Die Passkontrolle brachte er zügig hinter sich. Rolltreppe nach oben, weitere E-Mails checken, nichts Wichtiges, nichts dabei, was sofort beantwortet werden musste.
An der Kontrolle für Handgepäck eine Megaschlange. Mutter mit vor den Bauch geknotetem Baby, andere Geschäftsreisende in grauen und blauen Anzügen, die bereits ihre Gürtel und die Schuhe abgelegt hatten und vor sich hertrugen, ein älteres Pärchen, das sich an den Händen hielt. Vor ihm nutzte eine Familie mit zwei Teenagermädchen offenbar die Winterferien für einen Lehrgang in Sachen »Umständlich fliegen, aber richtig«.
In seiner Ungeduld war Bendix inzwischen kurz davor, dem Familienvater selbst den Gürtel aus der Hose zu zerren, damit es schneller voranging. Giggeln, kichern, hahaha, ist das alles aufregend hier. Warum gab es eigentlich keinen separaten Handgepäckcheck für Businessflieger? Er wollte sich endlich hinsetzen, in Ruhe seine E-Mails lesen, beantworten und mit Lewe telefonieren.
Die eine Tochter fummelte jetzt Kleingeld aus dem Jeansminirock, in den sie wahrscheinlich eingenäht worden war. Die andere suchte mit hochrotem Kopf nach irgendetwas in ihrem pinkfarbenen Rucksack. Und natürlich hatte Mutti ihre schicken Schnürstiefel angezogen. Wie ein Tausendfüßler. Bis sie komplett daraus ausgewickelt war, wäre er schon dreimal durch die Kontrolle hindurch gewesen. Schließlich hatte auch die zweite Tochter ihr iPad aus dem Glitzerrucksack geschält und in einer Plastikschale abgelegt.
Endlich wurde Bendix durch die Lichtschranke gewinkt, abgescannt, bekam seine Tasche wieder.
Er versuchte noch einmal, seine Frau zu erreichen. Wieder die Mailbox.
Er hastete zwischen all den Menschen aus aller Welt auf diesem riesigen Flughafen in Richtung der Lounge. Wurde immer wieder gebremst von jungen Familien mit klapprigen Rollkoffern, orientierungslosen Jugendlichen, müde aussehenden Frauen im Kostüm, die vor den Duty-free-Läden auf und ab schlenderten. Eine Senioren-Reisegruppe in beigefarbenen Westen mit unendlich vielen Taschen, passenden Hosen, die man auf verschiedene Längen knöpfen konnte, und ganz viel Zeit blockierte den Weg zur Rolltreppe in den ersten Stock zur Businesslounge. Empörtes Kopfschütteln aus der beigen Gruppe aufgrund seines Drängelns.
Bendix ging durch die Glastür und legte seine Bordkarte für den Anschlussflug nach Hamburg auf die orangefarbene Glasfläche des Counters. Die Stewardess, deren Gürtel exakt den gleichen Farbton hatte wie die Glasplatte, schenkte ihm ein professionelles Lächeln. »Danke. Ich weiß nicht, ob Sie es schon gesehen haben, Herr Steensen, Ihr Abflug verzögert sich leider.« Sie deutete auf den Bildschirm an der Wand gegenüber. »Es gibt eine technische Überprüfung der Maschine. Aber nichts Schwerwiegendes. Das kann nicht sehr lange dauern.«
Interessierte ihn jetzt gerade gar nicht.
Er wollte ohnehin erst einmal mit seinem Sohn sprechen.
Bendix hatte heute keine Freude an den beeindruckenden, halb offenen Wänden der Lounge, in denen Grünpflanzen und Farne wucherten, keinen Blick für die Köstlichkeiten auf dem Buffet und das reichhaltige Angebot an Zeitungen und Zeitschriften an den Lesestationen.
Er machte sich auch nicht die Mühe, auf einem der sand- und orangefarbenen Sessel nach einem Platz zu suchen, sondern ließ sich gleich am Eingang an einem Zweiertisch an der Wand nieder. Er nahm das Handy aus der Tasche, legte es vor sich auf den Tisch und schlüpfte aus dem Wollmantel. Setzte sich in den weich gepolsterten Sessel und streifte die Schuhe ab, bevor er wählte.
»Lewe?«
»Papa! Boh, das ist so kalt draußen. Bist du jetzt bald zu Hause?«
Bendix drückte sich das Telefon, so fest es ging, ans Ohr. Kein guter Platz. Laut. Am Zeitschriftenregal stand eine ältere Frau und rief ihrem Mann, der gegenüber auf einem Sessel saß, alle Titel zu. Sie stand etwa in der Mitte des Regals, da war vorerst kein Ende abzusehen.
»Das dauert noch, ich bin ja erst in London. Hat Mama sich gemeldet?«
»Ne. Warte kurz, wir sind grad zur Tür rein, ich muss Albert eben mal die Füße sauber machen. Wir sind durch ein paar Pfützen gesprungen und es ist ein bisschen matschig draußen.«
Es raschelte am anderen Ende. Jaulen, Klappern, beruhigende Worte für das Tier. Eine schwere Tür fiel ins Schloss. Ein Geräusch, das Bendix seine Kindheit und Jugend hindurch begleitet hatte.
»Papa?«
»Ja, ich bin hier.«
»Wann kommst du denn nun? Mama hat gesagt, dass du heute herkommst.«
»Ich weiß nicht genau, der Flieger hat etwas Verspätung, ist noch nicht ganz klar, wann es losgeht.«
»Das ist doch blöd. Ich hab keine Lust mehr, allein zu sein.«
»Mama und Oma sind noch nicht so lange weg. Und du bist ja nicht allein, Albert ist doch da.«
»Aber ich kann Mama sonst immer anrufen!«
»Lewe, wir zwei telefonieren doch jetzt. Ich würde vorschlagen, du machst es dir mit Albert gemütlich und ich guck mal, ob ich Mama und Oma auftreiben kann, okay?«
»Wie denn?«
»Das lass mal meine Sorge sein.«
»Okay.«
»Wollte Mama in Niebüll einkaufen gehen?«
»Ne, ich glaub, im Dorf.«
Das Dorf. Die kleine Ortschaft, zu der das einsame Haus seiner Mutter gehörte, war nur wenige Kilometer entfernt.
»Und dann wollten sie noch Kaffee trinken, ich glaube, in Klanxbüll.«
»Dann sind Oma und Mama sicher bald wieder da.«
»Oma will Pfannkuchen machen zum Mittag.«
»Lecker. Dann versuch ich jetzt mal, die beiden zu finden.«
»Boahhh, du bist doch so weit weg, wie soll das denn gehen? Bist du jetzt Superman? Oder irgendein Typ, der so Laseraugen hat und alles sehen kann, was Millionen Kilometer entfernt ist?«
Bendix hielt sich mit der rechten Hand das rechte Ohr zu, während er mit der linken das Telefon an die Ohrmuschel presste. Der Mann hatte sich noch immer nicht für eine Zeitschrift entschieden. »Ne, das nicht, aber ich bin dein Papa, der Mann, der alles kann, schon vergessen?« Ein Satz aus einem Lieblingsbilderbuch von Lewe, der immer funktionierte. Streit mit der Mathelehrerin, ein Eurostück in der Toilettenschüssel, ein platter Fahrradreifen, eine Riesenspinne im Badezimmer – immer ein Fall für den Vater, »den Mann, der alles kann«.
»Was machst du denn jetzt?«
»Ich warte auf meinen Flug nach Hamburg.« Bendix’ Blick fiel auf einen Platz am Fenster. Dort hatte sich eine Familie mit vier Kindern ausgebreitet, als würden sie sich auf einen wochenlangen Aufenthalt in Heathrow einrichten. Stofftiere und Bilderbücher lagen auf dem Teppichboden verteilt, Kekskrümel und geöffnete Chipstüten verzierten die Sessel. Ein Junge, etwa in Lewes Alter, spielte auf einem Handy herum, ein jüngeres Mädchen hatte sich mit Schuhen auf einem Sessel eingerollt und kämmte einer Puppe die Haare. Die deutlich mit der Situation überforderte Mutter versuchte, einen laut quengelnden Säugling zu beruhigen.
»Und was mache ich, wenn es noch später wird? Ich kann ja keine Pfannkuchen kochen.«
»Da mach dir mal keine Sorgen, du bist nicht mehr lang alleine. Lass mich erst mal ein bisschen herumtelefonieren, okay? Ich melde mich wieder.«
»Okay. Bis nachher. Tschüss, Papa.«
Bendix beendete das Telefonat und tippte eine weitere SMS an seine Frau mit der Bitte, sich umgehend zu melden. Dann rutschte er tiefer in den Sessel und verschränkte die Arme vor der Brust. Nur kurz nachdenken.
Er war müde. So müde.
Es schneite jetzt viel heftiger. Noch dazu wehte ein eiskalter Wind.
Ungewöhnlich für Nordfriesland. Eigentlich kam der Schnee hier schon nass auf der Erde an und schmolz schnell zu einer unansehnlichen grauen Masse zusammen. Die Kälte sorgte heute aber dafür, dass die watteweißen Flocken am Boden liegen blieben. Es sah aus, als hätte jemand ein Schaumgebirge aus einer Badewanne vom Himmel gepustet.
»Mein lieber Mann, da passiert sicher noch ordentlich was. Das wird ganz schön ungemütlich.« Grete deutete auf den nahezu schwarzen Himmel über dem Rathaus. »Wir sollten sehen, dass wir schnell nach Hause kommen. So ein Wetter hatten wir lange nicht.«
Insa konzentrierte sich auf die Straße, stellte die Scheibenwischer auf höchste Stufe. Die Heizung hatte Mühe, auf Temperatur zu kommen, der Motor lief noch nicht lange genug. »Hoffentlich ist das Wetter in Großbritannien besser. Bendix hat im Winter schon öfter mal in London wegen schlechten Wetters festgesessen. Die sind beim Fahren und Fliegen Schnee und Eis einfach nicht so gewohnt. Wir waren vor zwei Jahren nach Weihnachten mal ein langes Wochenende da und mussten auch ewig warten, bis die Maschine endlich starten konnte, weißt du noch?« Sie warf einen schnellen Blick zur Seite auf ihre Schwiegermutter, die im Handschuhfach nach dem Antibeschlagtuch suchte, und legte die Hand auf Gretes Knie. »Alles in Ordnung bei dir? Geht es dir gut?«
Grete klappte das Handschuhfach wieder zu. »Natürlich. Ich freue mich, dass wir heute Abend wieder komplett sind.« Sie streichelte Insa zart über die Finger. »Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß, es ist immer ein Aufwand, selbst für die paar Tage.«
»Unsinn.« Insa setzte den Blinker und bog auf die schmale Straße Richtung Rodenäs ab.
»Doch, doch, du musst jemanden finden, der sich um eure Wohnung kümmert, Bendix musste seine Reisepläne ändern, den Flug umbuchen …«
»Aber das war doch nun wirklich kein Problem.« Insas Telefon klingelte. »Ach, wie ärgerlich, ich hab mein Handy in die Tüte mit dem Wein gesteckt, da hinten, neben deiner Handtasche. Kommst du da ran?«
Grete wandte sich um, streckte sich, schnaufte und versuchte es noch einmal. »Nein, tut mir leid.«
Das Klingeln hörte wieder auf.
Eine heftige Bö drückte seitlich auf das Auto und Insa hatte für einen Moment Mühe, die Spur zu halten. Aber selbst wenn sie auf die Gegenfahrbahn kam, würde hier draußen nichts passieren. So nahe am Deich war selten jemand unterwegs. Hier wohnte ja kaum einer, und bei diesem Wetter saßen alle lieber im Warmen.
Links und rechts der schmalen Straße breiteten sich die brachen Felder aus, gesäumt von Büschen und schief gewachsenen Bäumen, deren schwarze Äste laublos in den Himmel ragten. Eine Schicht Schnee bedeckte die Landschaft inzwischen. Wie eine hauchdünne, halb durchsichtige Decke lag das Weiß über den Gräsern und auf der Straße.
»Schau dir das an! Bei mir hinten im Garten gucken seit ein paar Tagen schon die ersten Krokusse raus und nun sind wir wieder mitten im Winter.« Grete beugte sich vor, um einen besseren Blick durch die Windschutzscheibe in den Himmel zu haben. »Je älter ich werde, umso mehr habe ich den Winter satt. Dieses ewige Grau macht einen ganz traurig. Man hat den Eindruck, es dauert jedes Jahr länger, bis der Frühling endlich kommt.«
»Vielleicht wanderst du doch noch aus nach Mallorca«, schlug Insa vor. »Da ist es um diese Jahreszeit auf jeden Fall schon wärmer und etwas bunter in der Natur. Du hast doch immer so geschwärmt von der Mandelblüte im Frühjahr.«
Sie hatten Rodenäs hinter sich gelassen und fuhren langsam zwischen abgeernteten Feldern auf der einen und den Wattwiesen auf der anderen Seite am Deich entlang. Ganz vereinzelt kam ein Bauernhof oder ein Haus in Sicht.
»Ja, im Urlaub ist das ganz schön da. Aber sonst? Viel zu heiß im Sommer und ich kenne da doch keinen«, erwiderte Grete entschieden. »Ich würde doch Nordfriesland nicht verlassen. Meine Freundinnen sind hier und außerdem …« Sie wollte gerade zu einer längeren Erklärung ansetzen, als Insas Handy wieder klingelte.
»Vielleicht fahre ich doch besser kurz rechts ran. Wenn ich mich nicht melde, ruft Lewe gleich das Jugendamt.« Insa schüttelte grinsend den Kopf und hielt Ausschau nach einer geeigneten Stelle, an der sie den Wagen zum Stehen bringen konnte. Die Straße war kurvenreich und dadurch schwer einsehbar, sie wollte nicht riskieren, dass irgendein verschlafener Bauer ihr bei diesem Wetter auf den Wagen auffuhr.
»Achtung!!!«
Wo kam denn dieses Auto auf einmal her?
Ein heftiger Stoß.
Scheppern.
Quietschende Reifen.
Ihr Wagen drehte sich um die eigene Achse, rutschte rasend schnell Richtung Straßengraben.
Wo war das Lenkrad?
Glatteis.
Wo war oben?
Wieso funktionierte die Bremse nicht?
Schnee.
Insa konnte nicht mehr sagen, ob das ihre eigenen Schreie waren oder die ihrer Schwiegermutter.
Dann wurde es schwarz um sie herum.
Das Telefon klingelte wieder.
Bendix schreckte hoch. Er setzte sich auf, wischte sich einen Speichelfaden vom Kinn und sah sich um.
In der Lounge war es deutlich voller geworden. Ihm gegenüber saß eine junge Frau in einer zerlöcherten Jeans und einem Designer-T-Shirt mit einem Totenkopf aus Glitzersteinchen, die ihm kurz einen verächtlichen Blick zuwarf, sich dann aber wieder auf ihren E-Reader konzentrierte.
Vermutlich hatte er im Schlaf, zusammengekrümmt auf dem Sessel, nicht eben elegant ausgesehen. Er gönnte sich noch einen Moment der Ruhe, um den Schlaf ganz abzuschütteln, schloß kurz die Augen, lauschte der entfernten Loungemusik und atmete tief ein und aus. So, wie er es im Anti-Stress-Seminar gelernt hatte. Er versuchte, an nichts zu denken und einen Moment bei den sphärischen Klängen zu bleiben, bis ihm wieder einfiel, was ihn vor seinem Nickerchen beschäftigt hatte.
Er checkte die Uhrzeit, halb eins, und vergewisserte sich auf dem Bildschirm, der schräg über ihm hing, dass sein Flug nach wie vor nicht aufgerufen war. Alles noch genau so, wie es vor einer knappen Stunde gewesen war.
Sein Handy war tief in die Innentasche seines Sakkos gerutscht. Eine neue E-Mail von seiner Assistentin, die er später beantworten konnte.
Keine weiteren Anrufe.
Lewe ging es also gut.
Insa und seine Mutter hatten sich sicher einfach nur beim Kaffeetrinken verquatscht und waren längst zu Hause. Sein Sohn verdaute möglicherweise gerade mindestens sieben Pfannkuchen und wartete darauf, dass Bendix endlich auch in Nordfriesland ankam.
Kein Grund zur Besorgnis.
Er schickte noch eine SMS an seinen Sohn und eine weitere an seine Frau und nahm seinen Mantel.
Er musste jetzt erst einmal etwas essen und trinken.
Insa kam zu sich. Sie fühlte sich wie nach einem Albtraum. Müde und wie zerschlagen. Sie fror und schmeckte Blut auf der Lippe. Behutsam untersuchte sie ihr Gesicht und zuckte zusammen, als sie eine große Beule an der Stirn ertastete. Sonst schien alles heil geblieben zu sein.
Vorsichtig versuchte Insa, sich zu strecken, aber der Wagen lag leicht schräg, es kostete sie Mühe, überhaupt den Gurt zu lösen. Langsam schob sie sich auf dem Sitz nach vorn, drehte sich leicht zur Seite und lauschte auf die Atemzüge ihrer Schwiegermutter. Sie griff nach Gretes Hand.
»Grete?«
Keine Antwort.
Sie fuhr sanft mit den Fingern über die weiche Haut der alten Hand. »Ich versuche auszusteigen und ums Auto herum auf deine Seite zu kommen, Grete. Bleib einfach ruhig liegen.«
Immer noch keine Reaktion.
Mühsam wandte sie sich zur anderen Seite. Die Fahrertür war leicht eingedrückt und Insa brauchte all ihre Kraft, um sie zu öffnen. Der starke Wind kam immer noch in Böen und arbeitete zusätzlich gegen sie, bis er unerwartet drehte und die Tür mit Wucht nach außen drückte.
Insa zog sich am Türrahmen hoch. Als sie sich mit dem rechten Fuß auf dem Boden vor dem Wagen abstützen wollte, schoss ein stechender Schmerz ihr Bein hinauf. Deshalb versuchte sie, den Fuß nicht zu belasten, und wuchtete sich mit den Armen aus dem Auto. Zuletzt befreite sie das linke Bein.
Das Schneetreiben war noch heftiger geworden und die Feuchtigkeit umgab sie sofort wie ein nasser Mantel. Die Kälte tat ihr aber gut, lenkte von den Schmerzen ab und der Wind pustete den Kopf frei. Das Pochen ließ etwas nach und sie bewegte sich langsam, um den Fuß zu schonen.
Als Insa neben dem Wagen stand, erkannte sie das gesamte Ausmaß des Unfalls. Das Auto war seitlich in den Graben gerutscht, was kein Problem gewesen wäre, wenn der Frost bereits vor ein paar Tagen eingesetzt und dafür gesorgt hätte, dass das stehende Wasser zu einer Eisfläche gefror. Nun aber hing eine Hälfte des Hecks in einer Masse aus Schneematsch und Schlamm, vom kompletten Absinken nur durch die dichten Zweige einer Weide aufgehalten. Insa würde den Wagen ganz sicher nicht wieder auf die Straße fahren können. Ohne einen Abschleppwagen hatte sie keine Chance.
Sie brauchte ihr Handy, musste aber zunächst nach Grete sehen. Und was war eigentlich mit dem anderen Wagen?
Das Auto stand wenige Meter entfernt mitten auf der Straße. Der Motor lief noch, die Scheinwerfer waren eingeschaltet. Eine Limousine mit Münchner Kennzeichen. Ungewöhnlich. Der rechte Scheinwerfer war kaputt, der Kotflügel eingedellt. Die Fahrertür stand offen. Durch die dunkel getönten Scheiben war niemand zu sehen. Wo war der Fahrer? Herausgeschleudert in den Graben?
Insa beugte sich in ihren Wagen. »Grete?«
Keine Reaktion.
»Grete, ich muss mal gucken gehen, was mit dem anderen Fahrer ist. Ich bin gleich zurück.« Sie legte eine Hand auf die ihrer Schwiegermutter. Warm. Und immerhin atmete Grete.
Insa griff nach ihrer Handtasche hinter dem Sitz, als sie ein Geräusch hörte.
Dann ein heftiger Schmerz am Hinterkopf.
Wieder alles schwarz.
Bendix stellte zufrieden und satt seinen Teller auf dem Tischchen vor sich ab.
Er hatte sich reichlich am Buffet bedient und dann einen Sitzplatz am Fenster gefunden mit direktem Blick auf das Vorfeld des Flughafens. Ein einsames Follow-me-Fahrzeug zog mit blinkenden Lichtern seine Kreise.
Die Anzeigetafel informierte darüber, dass bereits mehrere Flüge verspätet starten würden, zwei Verbindungen waren mit einem roten »cancelled« markiert.
Piepsen. Eine Nachricht von Lewe. Hallo, Papa, habe zum Mittag Müsli gegessen. Mama ist noch nicht zu Hause. Wann kommst du?
Bendix schaute auf seine Uhr und rechnete nach. Inzwischen waren etwa vier Stunden vergangen, seit Insa und seine Mutter das Haus verlassen hatten. Bendix versuchte einzuschätzen, was die beiden in diesen zweihundertvierzig Minuten getan hatten und was sie aufgehalten haben könnte. Vielleicht eine Sperrung der Bahngleise in Niebüll? Kam schon mal vor, wenn mit dem Sylt-Shuttle irgendwas war. Aber dann hätte Insa jedenfalls kurz bei Lewe angerufen.
Eine Durchsage wies darauf hin, dass die technische Überprüfung seiner Maschine abgeschlossen sei und man in wenigen Minuten eine neue Abflugzeit bekannt geben werde. Immerhin. Endlich würde es weitergehen.
Bendix spürte allerdings, wie die anfängliche Unruhe einem diffusen Gefühl von Sorge Platz machte.
Vier Stunden.
In vier Stunden konnte man von Nordfriesland locker bis nach Hamburg fahren und zurück. Sogar Berlin war in dieser Zeit mit dem Auto zu erreichen. Wenn der Verkehr und das Wetter mitspielten. Aber was sollte Insa in Berlin?
Er schickte seinem Sohn eine SMS zurück: Wie ist das Wetter bei euch?
Bendix stand auf und nahm sich einen Orangensaft aus dem Kühlschrank an der gegenüberliegenden Wand.
Es schneit.
Gut, auch das hatte nichts zu bedeuten. Insa war eine erfahrene Autofahrerin und auf den Straßen da oben war zu dieser Jahreszeit kaum Verkehr. Vielleicht hatte sie einfach beschlossen, alte Freunde zu besuchen? Insa wusste sehr genau, wie wenig Lust er darauf hatte, bei irgendwelchen Nordfriesen am Kaffeetisch zu sitzen und sich über seine Arbeit ausfragen zu lassen. Aber Insa liebte es, über »früher« zu reden und in Erinnerungen an die Schulzeit zu schwelgen.
Bendix stellte das Glas auf dem kleinen Tisch ab und suchte in den Kontakten in seinem Handy nach der Nummer von Insas Schulfreundin Gyde.
»Schulenburg?«
»Hallo, Gyde, hier ist Bendix Steensen.«
»Bendix? Na, das ist ja mal eine Überraschung! Wie geht’s denn so? Sehen wir uns mal wieder?«
Er hörte Kinderlärm im Hintergrund. »Ja, ich bin auf dem Weg nach Niebüll. Entschuldige, ich will dich gar nicht lange stören, aber ist Insa vielleicht bei dir?«
»Ne, tut mir leid. Sie hat mich gestern angerufen, um sich zu verabreden, aber ich bin grad gar nicht in Niebüll.«
Ein Kind rief laut nach seiner Mama und Gyde entschuldigte sich mit einem »Moment mal«. Er hörte, wie sie dem kleinen Schreihals erklärte, dass er sich noch ein wenig gedulden müsse. »Entschuldige. Wir sind mit der ganzen Familie auf Madeira. Was ist denn mit Insa?«
»Ach, gar nichts wahrscheinlich. Lewe hat mich angerufen, weil er alleine ist.«
»Klar, der langweilt sich natürlich. Sind ja alle seine Freunde in den Ferien. Und das Fernsehprogramm hat man auch irgendwann satt.« Sie lachte.
»Da hast du recht.«
»Mach dir mal keine Sorgen. Bei uns da oben geht so schnell keiner verloren, das weißt du doch.«
»Danke, Gyde, und noch einen schönen Urlaub.«
»Werde ich haben. Wär schön, wenn du dich auch mal wieder blicken lässt bei uns. Schick nicht immer nur deine Frau zu deiner Mutter.«