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Niemand ist eine Insel. Außer Sylt. Im Leben von Ina galt bisher: Du verliebst dich, fühlst dich wie im siebten Himmel, dabei liegt der nächste Herzensbrecher direkt neben dir. Damit soll jetzt Schluss sein: Auf Sylt, der schönsten Insel der Welt, fängt Ina noch mal von vorn an. Prompt verliebt sie sich in den Moderator des Inselradios. Und sie will nicht nur eine Tasse Kaffee, sie will ein weißes Kleid und einen Bausparvertrag. Nach einer durchzechten Nacht wacht sie mit einem Knutschfleck auf: Hat sich ihr Herzenswunsch endlich erfüllt? «Sylt im Sommer, Lust auf Liebe – da geht mein Herz doch gern auf Sendung! Ein tolles Debüt!» (Steffi von Wolff) «Sylt, Zickenkrieg und Tanzmusik – Anja Goerz weiß, was ein schöner böser Heimatroman braucht.» (Hajo Schumacher) «Wo Anja Goerz herkommt, kann man sich frischen Humor ins Gesicht pusten lassen. Oder am Strand so himmelhoch sexy werden, wie es diese Geschichte ist.» (Jörg Thadeusz)
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Seitenzahl: 284
Anja Goerz
Herz auf Sendung
Roman
Rowohlt Digitalbuch
Für Hermann Stümpert
R.I.P
«Schön, dass Sie uns eingeschaltet haben, hier ist Ihr Inselradio 88 Komma zwei – auf Sylt dabei. Es ist 7 Uhr und 12 Minuten, gleich gibt es von uns aktuelle Veranstaltungstipps zum heutigen Wochenstart, aber erst mal der Song zum Programm. Ach, was sag ich? Der Song zur Insel: Hier sind Die Ärzte mit ‹Westerland›!»
Jan zog sich den Kopfhörer von den Ohren, legte ihn auf das Pult und schob seinen Drehstuhl ein Stück zurück, sodass er genau durch das Glasfenster zu mir herausschauen konnte. Als Moderator der Frühsendung saß er im sogenannten Studio A. Direkt vor dem großen Studiofenster stand ein drei Meter langer Schreibtisch, an dem tagsüber der Redakteur der Sendung darüber wachte, dass die Menschen an den Mikrofonen alles so machten, wie vom Senderchef vorgesehen. Dahinter waren die Schreibtische des Nachrichtenredakteurs und seines Assistenten. Weiter hinten, ganz am Ende des Raumes, an der fensterlosen Wand, stand mein Schreibtisch. Blickrichtung Studio, aber ich musste schon aufstehen, um den Moderatorenstar sehen zu können. Daher stand ich um diese Zeit lieber an den Ablaufredakteurs-Schreibtisch gelehnt, weil ich hier direkt durch das Fenster zu Jan schauen konnte. Gerade drückte er einen Knopf auf dem Moderatorenpult, und ich hörte seine von allen Urlaubern und Nordfriesen geliebte Stimme:
«Hey, Schnucki, meinst du, es wäre einzurichten, dass du mir ein koffeinhaltiges Heißgetränk aus der Küche holst?»
Ja, aber das wäre ja so was von einzurichten, wäre das.
Für Jan wäre ich auch bis nach Niebüll aufs Festland gefahren, mit dem Fahrrad auf den Schienen übern Hindenburgdamm, wenn es nur da Kaffee gäbe. Oder nach Dänemark geschwommen. Aber da konnte ich mich ganz hinten anstellen, hinter all die, die Mister Morningshow bei Inselradio Sylt seit acht Jahren morgens von fünf bis zehn gebannt lauschten, seine Autogrammkarten sammelten und nach dem Urlaub im Internet den Vormittag auf der Nordseeinsel weiterverfolgten.
Vor sechs Monaten war ich von Hamburg nach Sylt gekommen, auf die Insel, wie Kenner sagen. Eigentlich nur, um während der Semesterferien meine Freundin Maike zu besuchen. Na ja, um ehrlich zu sein, hatte ich auch echt die Schnauze voll von den Torfnasen, die ich Tag für Tag in der Uni sehen musste, und von den immer gleichen Abläufen. Außerdem war es ohne Maike echt langweilig geworden.
Wir hatten uns in Hamburg für mehrere Jahre nicht nur eine Wohnung geteilt, sondern zuletzt auch die Schichten in einem Coffeeshop, um unser Studium zu finanzieren. Richtig geraten: beide eine Fachrichtung – BWL. Aber wir hatten nicht alles gemeinsam. Bei den Männern zum Beispiel: Maike hatte Dauerfreunde. Will heißen, wenn es einer geschafft hatte, ihr Herz zu erobern, dann war er auch mindestens ein Jahr lang ständiger Besucher unserer Wohngemeinschaft. Als sie Bendix kennenlernte – oder er sie –, litt sie gerade unter schrecklichem Liebeskummer, weil ihr Ex sie sitzengelassen hatte. Nicht ohne vorher noch lautstark – so, dass garantiert auch die Mieter unter uns alles mitbekommen hatten – zu erklären, dass Maike die langweiligste Tussi zwischen Elbe und Mississippi sei, Sex mit ihr in etwa so abenteuerlich wie eine Rheumadeckenfahrt in den Harz und er auch keinen Bock mehr auf kuschelige Abende mit Chips und Patrick Swayze habe.
Wir hatten danach wochenlang frittierte Kartoffelprodukte in uns hineingefuttert und dazu immer wieder «Dirty Dancing» geguckt. Ausgerechnet in dieser Situation tauchte Bendix auf, ließ sich im Coffeeshop einen Latte macchiato basteln und war Maike schon verfallen, als sie noch die Milch aufschäumte.
Im Gegensatz zu mir war Maike optisch eine Granate. Irgendwann hatte in ihrer Familie mal jemand eine heiße Nacht mit einer südländischen Schönheit verbracht, und dieses Erbe hatte sich über Generationen versteckt gehalten, um bei Maike voll zum Ausbruch zu kommen. In Form von langen, glatten schwarzen Haaren, dunkelbraunen Augen, einer Figur wie «The Body» Elle Macpherson und sagenhaften 1,76 Meter in Turnschuhen.
Die kann ich vergessen – also die Turnschuhe. Mindestens fünf Zentimeter Absatz müssen es sein, sonst sehe ich aus, als würde ich im Loch stehen.
Also kein Wunder jedenfalls, dass Bendix Pede sich auf den ersten Blick in Maike verliebt hatte und nicht in mich. Obwohl ich auch keine schlechte Figur machte in meiner schokobraunen Coffeeshop-Bluse. Die Farbe stand mir ausgezeichnet. Aber gut.
Mit Bendix hatte Maike dann nicht nur immer eine tolle Unterkunft auf Sylt, sondern gleich auch einen finanziell abgesicherten («reich» sagt man ja nicht mehr) Ehemannanwärter. Denn der Vater von Bendix hatte aus einer kleinen Familienpension auf der Insel ein florierendes Luxushotel gemacht, den Riesenschuppen Mirabell am Strand von Westerland.
Bendix musste also mit Sicherheit nicht in den Dünen pennen, wenn er mal einen über den Durst getrunken hatte.
Zu allem Überfluss war er echt kein Buckliger – also ich hätte ihn auch genommen, wenn sein Vater Platzwart auf einem Zeltplatz gewesen wäre. Ja, so geht’s, der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen: Wer super aussieht, der bekommt auch noch einen Megakerl in die Arme getrieben, plus einen Job nach Wunsch gleich dazu. Bendix hatte sich erst mal einen Koffeinschock geholt, weil er jede freie Minute in unserem Café abhing, bis Maike ihn endlich erhörte. Wenige Wochen darauf hatte er seine große Liebe auch schon auf die schönste Insel der Welt entführt, wo der zukünftige Schwiegerpapa ihr dann prompt eine eigene kleine Kaffeebar einrichtete.
«Wat braucht ’ne junge Deern ein Studium, Geld zählen geit ok so», hatte Pede Senior getönt, seine Kontakte in der Westerländer Kaufmannschaft spielen lassen, und schwups, war der Jeansladen in bester Lage pleite, und die Kaffeebar konnte einziehen. Cooles Design, Snacks und beste Bohnen direkt am Übergang zum Strand in Westerland. Das LatteMar hatte sich innerhalb weniger Wochen zum Szenetreff gemausert. Die beiden Süßen kamen auf jeden Fall vor Lachen nicht in den Schlaf.
Deshalb hatte ich auch nicht die Spur von einem schlechten Gewissen, als ich mich vor einem halben Jahr auf Maikes wiederholte Einladungen hin für ein paar Wochen von ihr im Mirabell in Westerland einquartieren ließ. Meinen Job hatte ich kurzfristig ebenfalls in die Ferien geschickt und mein Sparbuch geplündert, für das, was ich hier selbst bezahlen müsste. Was wenig war, denn schönes Doppelzimmer, Blick aufs Meer, immer gefüllte Minibar und zum Frühstück schon Champagner – war alles inklusive, dank Herrn Pede.
Das Allerschönste: Wenn man bereits morgens Perlwein intus hatte, dann konnte man BWL auf einmal ganz schön überflüssig finden. Was für ein Leben! Lange schlafen, das Meer vor der Haustür und Tag und Nacht tolle Typen in LaMartina-Poloshirts oder im Porsche, oder beides.
In Westerland waren natürlich auch ganze Familien zu Gast, Kegelklubs ganz in Beige sowie ältere Paare, die im Partnerlook und mit Hüfttaschen durch die Fußgängerzone schlurften. Aber es gab eben auch viele schicke Männer, die vor allem hier waren, um zu sehen und gesehen zu werden. Die gern anhand von Auto, Markenklamotten und goldener Uhr zeigten, wo der Euro nicht alleine war.
Auf meine Optik würde hier allerdings keiner abfahren, da ich eher norddeutsch, Marke Kartoffelbäuerin, ausfiel. Also so, wie man sich die frühe Veronica Ferres vorstellt: rote Bäckchen, rundes Gesicht, blaue Augen, blonde, sehr dicke Haare, die nur zum Zopf gebunden überhaupt tragbar sind – aber dann leider vierzig Zentimeter kleiner und zwanzig Kilo schwerer. Das sind die Gene, die seit Jahrhunderten das Aussehen der Familie Krause bestimmen.
Und dann noch Krause – Ina Krause: Ging ja gar nicht! Ina war ja eigentlich gar kein Name, sondern nur eine Abkürzung von Christ-INA oder Bett-INA. Für einen ganzen Namen hatte meine Familie vermutlich nicht genug Geld gehabt. Auch wenn meine Mutter immer behauptet hatte, Ina bedeute Königin oder Heilige. Mir war eher die afrikanische Bedeutung einleuchtend: Mutter des Regens.
Daher hatte es mich auch nicht gewundert, als ich die ersten Tage auf Sylt im strömenden Regen auf Strand und Meer gucken musste. Ohne durchtrainierte Badehosen-Männer oder braungebrannte Geldsäcke. Naja, geschenktem Gaul und so weiter.
Trotz des mäßigen Einstiegs hätte ich es auch bei Hagel und Eisregen prima noch ein paar weitere Wochen in meinem kleinen Hotelzimmer ausgehalten, aber Maike kam dann gegen Ende der Semesterferien mit der Frage, ob ich Pläne für die Zukunft hätte.
«Versteh mich nicht falsch, Süße, aber wenn du dein Studium jetzt abbrichst und auch nicht mehr in der Kaffeebar in Hamburg arbeitest, dann musst du ja mal überlegen, wie du dein Geld verdienst, also was du später machen willst. Wenn du nicht mehr nach Hamburg zurückmöchtest, dann kannst du natürlich hierbleiben, würde ich mich auch freuen, aber …»
Blablablablabla. Auch nicht besser als meine Mutter.
Auf Hamburg hatte ich tatsächlich keine Lust mehr, was auch daran liegen könnte, dass die letzten drei Lover, die mich im Vollrausch abgeschleppt hatten, meine Bude verlassen hatten, bevor ich nur das Wort «Kopfschmerztablette» sagen konnte. Oder anders: In Hamburg passte eine leicht aufgegangene weibliche Wiedergeburt des Kinderschokoladengesichts erst recht nicht ins Beuteschema der Pfeffersack-Jugend. Die wollten schlanke blonde Mädchen mit langen Beinen, einem wippenden Pferdeschwanz, möglichst knackig in Jeans und unschuldig weißer Bluse. Am allerliebsten mit einer von Papi gesponserten Eigentumswohnung in Uninähe. Deshalb hatten die Jungs nach ein paar netten Stunden und verdampftem Vollrausch bei mir immer schnell ihre Markenjeans und Halstücher geschnappt und das Weite gesucht.
Die Wohnung hatte ich vor meinem Ausflug auf die Insel komplett untervermietet, meine beste Freundin war hier, und BWL hatte mir bisher auch keine nennenswerten Erkenntnisse geliefert. Warum also sollte ich nicht dauerhaftes Glück auf einem Eiland in der Nordsee suchen, warum nicht auf die große Liebe zwischen den Dünen hoffen und die Daumen drücken, dass am Strand auch mal ein Kerl angespült wurde, der auf eine Blondine stand, die ein bisschen aussah wie Heidi Klum (aus der Froschperspektive bei minus 7 Dioptrien beidseitig)?
Bis der zwischen Muschelschalen und Sandkörnern auf seinen Erlöserkuss von Ina wartete, brauchte ich einen Job, den ich auch wieder Maike zu verdanken hatte, oder besser gesagt: Bendix. Oder noch besser: Pede senior und seinen Kontakten in die Westerländer Szene der Gewerbetreibenden. Denn im Luxusschuppen Mirabell gab es nicht nur Champagner und weiche Betten mit einer Auswahlkarte für das richtige Kopfkissen, sondern auch einen Radiosender unterm Dach.
Ein Möbelhausbesitzer hatte vor gut zehn Jahren genug Geld gehabt, um sich seinen Jugendtraum vom eigenen Programm zu erfüllen, bewarb sich um die ausgeschriebene Frequenz, bekam den Zuschlag und machte nun das ganze Jahr über Ferienprogramm. Rund um die Uhr Radio von der Insel für die Insel. Gewinnspiele, bei denen man Freiflüge über Sylt, ein Treffen mit dem berühmten Wirt der Sansibar, Strandpakete mit Werbehandtüchern und Strandmatten oder auch Kaffeebecher für die Zeit nach dem Urlaub gewinnen konnte. Oder des Fischbrötchenkönigs Gosch Küche angucken durfte. Von morgens bis nachts, dazu leichte Unterhaltungsmusik von den Siebzigern bis heute – keine schmerzhafte Rockmusik und auch keine glitschigen Schlager. Musik, die (fast) jeder hören konnte, ohne dass sie beim Sonnenbaden oder Frühstücken auf der Ferienhausterrasse störte. Dazu «Geheimtipps» der einheimischen Redakteure à la «Muss-man-unbedingt-gesehen-haben», «Muss-man-unbedingt-gegessen-haben» und «Muss-man-unbedingt-gemacht-haben» – fertig war ein Programm, das seinesgleichen suchte.
Einschaltquoten waren dem Programmchef egal, er bezahlte den Großteil aus der eigenen Kasse, der Rest wurde von seinen Freunden finanziert, die als Gegenleistung redaktionelle Erwähnungen im Programm bekamen. Schleichwerbung gab es bei so einem Sender natürlich nicht.
Dieses einzigartige Ferienprogramm suchte nun eine Produktionsassistenz für die Frühschicht. Kein Wunder – wer wollte in den Ferien schon um drei Uhr morgens aufstehen (wenn die meisten Urlauber gerade das letzte Getränk orderten) und dann bis mittags mit Hörern telefonieren, Gewinnerlisten schreiben, Verkehrsmeldungen tippen und dem Moderator Kaffee holen?
Ich.
Ich wollte den Job gleich, als ich Jan Jessen das erste Mal bei einem Rundgang durch den Sender gesehen hatte.
Da hört man immer, dass alle Radiomoderatoren potthässlich sind, sonst wären sie ja beim Fernsehen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Jan war blond, schlank, sehr schlank, unglaublich schlank – also fast schon dünn. Aber möglicherweise wirkte das auch nur so, bei seinen fast 1,90 Meter Größe. Seine Nase war vielleicht ein wenig groß geraten, aber das machte ihn sexy. Und wenn er einen ansah, dann war sowieso Ende, denn Jan hatte ein blaues und ein braunes Auge.
Gut, dass die meisten Menschen beziehungsweise Frauen ihn nur hörten, sonst hätten wir die Gewinnspiele gleich aus dem Programm nehmen können, weil die Kandidatinnen vor Schönheitslähmung kein Wort mehr herausbekommen hätten. Allein Jans Stimme war schon eine Sünde wert – eine Mischung aus Christian Brückner (der deutschen Stimme von Robert De Niro) und Elmar Gunsch. Warm und weich und freundlich … haaaaaach. Mit dieser Stimme aufzuwachen war schon fast das Beste an meinen ersten Tagen auf der Insel gewesen.
Vor allem deshalb war ich vor fünf Wochen beim Inselradio gelandet. Total verknallt in Jan Jessen, aber bis heute noch keinen Schritt weiter mit meinen Annäherungsversuchen. Klar, ich durfte ihm Kaffee holen, ihm Zettel ins Studio reichen und die Interviewpartner am Telefon warmquatschen. Und, ja, er war immer ganz zauberhaft. Aber bis zum weißen Kleid und der Kapelle lag noch ein hartes Stück Arbeit vor mir.
Nicht mal ein privates Kaffeetrinken oder einen Kinobesuch hatte ich bisher hinbekommen. Zumindest dazu war ich ja verschiedentlich in Hamburg schon in der Lage gewesen. Aber bei Jan war das irgendwie anders. Jan war anders – besonders eben. Und genau das hemmte mich. In seiner Gegenwart war ich auf einmal wieder die blöde Ina aus der Grundschule, die die doofen jägergrünen Nickipullis ihres Cousins auftragen musste und deshalb gehänselt wurde. Damals hatte ich mir angewöhnt, immer schön unauffällig zu bleiben, damit niemand meine hässlichen Jeans der dritten Generation und Jungenpullover bemerkte.
In Hamburg hatte ich dann von Maikes gutem Geschmack profitiert und inzwischen immerhin auch Klamotten im Schrank, für die ich mich nicht schämen musste. Tatsächlich bekam ich es immer wieder hin, meine Schüchternheit zu überwinden, mir selbst einen schönen Tritt in den Hintern zu geben und Kerle anzuquatschen. Hatte ja auch oft genug funktioniert – jedenfalls bis zum Morgen danach.
Wäre ich da erst mal mit Jan angekommen, also am Morgen danach, dann hätte ich ihn, da war ich mir sicher! Jan war nicht so einer, der noch vor dem Frühstück die Biege machte und lediglich einen Zettel mit einer falschen Handynummer im Bad liegen ließ. Jan brachte einem frischgepressten Orangensaft ans Bett und selbstgebackene Brötchen. Also nahm ich mir jeden Morgen im Sender erneut vor, endlich den ersten Schritt hin zu diesem traumhaften Aufwachen danach zu machen. Heute auch.
Also gut, ich legte mein Headset neben die Telefonanlage und schnappte mir meinen bereits benutzten Kaffeebecher mit dem bescheuerten Aufdruck «Meine Eltern waren auf Sylt, und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist diese doofe Tasse». Ging schon mal damit los, dass es keine Tasse, sondern ein Becher war. Und eins war ja wohl klar: Wer Becher herstellte, die innen schwarz sind, der sollte sowieso gleich auf Bestatter umgeschult werden. Ich hasse es, meinen Kaffee aus einem Topf zu trinken, dem man nicht ansehen kann, ob er sauber ist. Aber noch mehr hasse ich es, morgens um halb sechs erst mal ein schmutziges Trinkbehältnis für den Eigengebrauch zu schrubben.
Da war Jan natürlich absolut vorbildlich – hatte einen Pott mit seinem Namen drauf, ganz edel, wahrscheinlich unter Wasser mundgeklöppelt. Der wurde nach der Sendung eigenhändig von ihm gereinigt und dann aufs Regal in der kleinen Küche gestellt. Da traute sich keiner ran. Ich brauchte erst mal Fans, die mir auch so einen Becher malen ließen. Aber das würde nicht passieren, weil ich mit all den Hörern ja lediglich am Telefon, hinter den Kulissen, sprach.
Keine Macht der Welt hätte mich vor ein Mikrofon gebracht! Die Atmosphäre im Studio hatte mich anfangs so nervös gemacht, dass ich gar nicht gesprochen hatte. Immer in der Angst, dass alles, was ich sagen würde, über den Äther gehen könnte. Bis ich kapiert hatte, dass im Studio von einer eineinhalb Quadratmeter großen Leuchttafel angezeigt wurde, sobald ein Mikrofon «on air» war, hatte ich Fragen und Nachrichten an Jan immer aufgeschrieben.
Die kleine Küche des Senders hatte nicht viel zu bieten: billige Einbauküchenzeile mit wenigen halbhohen, eierschalenfarbenen Oberschränken, eine schmuddelige Mikrowelle ohne Grill und sonstigen Schnickschnack, einen Kühlschrank, der schon dreiköpfigen Familien zu klein wäre und in dem vergessene Joghurts und olle Milchtüten von innen versuchten, die Tür zuzuhalten. Und dann natürlich das Wichtigste in Büros oder Firmen, in denen vor allem sogenannte Kopfarbeit geleistet wurde: eine Kaffeemaschine.
Bei dieser schob man riesenhafte Kannen unter einen runden Filter, nachdem man vorher einen Eimer Wasser hineingegossen hatte. Vorportionierte Kaffeepulvertüten gab es auch, damit ja niemand den Herztod erlitt, weil das Getränk zu stark ausgefallen war. Zwei Tüten von dem Zeug waren auch definitiv keine Lösung, hatte ich alles schon getestet.
Für Jan aber mischte ich einen Ina Spezial: Milch in seinen blanken Becher, vier Finger hoch, halbe Minute in die Welle, zwei Stück Zucker dazu und dann mit Pump-Kaffee auffüllen. Klar, es war total teeny und für eine Frau knapp über dreißig eigentlich nicht diskussionswürdig, aber manchmal küsste ich den Becherrand rundherum, und dann guckte ich Jan beim Trinken zu und stellte mir vor, er würde mich auch küssen, seine Lippen meine berühren. Ja, hatte ich ja gesagt: albern.
Für mich gab es den gleichen Kaffee wie für Jan, nur ohne Zucker – und ohne Küsse.
Kurzer Früh-Check: Was gab es noch zu essen im Gemeinschaftskühlschrank? Seltsam, morgens zwischen sieben und acht war mir gerne mal nach Currywurst oder einer schönen Frikadelle, wie meine Mama sie immer gemacht hat. Oder Grünkohl mit Bratkartoffeln. Natürlich war mir klar, dass sich gewöhnlichen Menschen schon bei dem Gedanken an einen trockenen Toast vor Sonnenaufgang der Magen umdrehte, aber wenn man mitten in der Nacht aufstehen muss, mittags wieder schläft, abends auch nicht mehr groß was reißt und nach der Sesamstraße schon wieder müde ist, dann muss der Körper das erst mal verarbeiten. Dieses Aufstehen um drei Uhr morgens brachte meinen Biorhythmus total durcheinander. Kein Wunder, dass ich ständig Hunger hatte.
Wahrscheinlich stieg der Kalorienbedarf bei mir proportional zum Aufstehen in Mitternachtsnähe. In den Kühlschrank legte ich nie etwas, sondern machte es wie die anderen und aß nur auf, was die Unwissenden hier immer noch lagerten, was noch nicht über das Verfallsdatum war und nicht grau aussah. Heute war Ebbe: nur ein paar schrumpelige Tomaten, ein sehr aufgeblähtes Tütchen Mozzarella und ein Joghurt, der irgendwann kurz nach Einbau der Küche abgelaufen war. Gut, dass ich immer ein paar Kekse, Schokoriegel und BiFis in der Tasche hatte. Milchschnitten waren auch prima, wurden aber leider immer sehr schnell zerquetscht, und da war das Essen dann ein unglaublicher Schweinkram. Deshalb hatte ich mich mit der Zeit lieber auf harte Mettenden und wattiert verpackte Markenkekse eingerichtet. Sonst konnte ich die Stunden bis zum Ende meiner Schicht um zwölf auf keinen Fall überstehen.
Versorgung von außen war um diese Zeit nämlich leider auch nicht möglich: Diese ganzen hippen Läden hier an der Promenade in Westerland, inklusive Maikes Kaffeebar, öffneten ja erst um zehn. Wegen Reichtum vorher noch geschlossen. Der Zimmerservice vom Hotel, der ja auch noch eine mögliche Lebensmittelbeschaffungsstelle wäre, belieferte uns leider gar nicht mehr, seit ein ehemaliger Moderator mal meinte, seinen Geburtstag während seiner Schicht mit Champagner und Kaviar feiern zu können, die er anschließend nicht bezahlen wollte.
Ich nahm also die beiden Ina Spezial und bewegte mich durch den schmalen Flur zurück zum Sendestudio. Auf der linken Seite lag das Büro des CvD, so wird der Chef vom Dienst von echten Kennern abgekürzt. Seine Aufgabe besteht darin, aufzupassen, dass die Kumpels vom Chef auch reichlich Erwähnung im Programm finden und die Moderatoren nicht Sachen wie «Kacke» und «Pisswetter» sagen. Außerdem ist er dafür verantwortlich, dass das Programm umgestellt wird, wenn die nordfriesische Landesregierung entscheidet, einen Radweg über den Hindenburgdamm zu bauen. Also im Grunde ist der Chef vom Dienst der Programmchef, weil er tatsächlich an der Verbesserung der Sendungen arbeitet, während der Senderchef (unserer jedenfalls) in erster Linie damit beschäftigt ist, mit Werbekunden essen zu gehen und sich tolle neue Sonderwerbeformen auszudenken. (Zum Beispiel gab es mal die Idee, einen Veranstaltungskalender für Hunde ins Programm zu nehmen, gesponsert von einem Tiefutterladen. Das war aber aus Mangel an Hundewettrennen und Hundesurfkursen nicht realisiert worden.)
Noch war im CvD-Büro allerdings alles dunkel.
Überhaupt gab es in unserem Großraumbüro zu dieser frühen Stunde viele leere und überwiegend unaufgeräumte Schreibtische. Auf den Tischen lagen CDs, die sich mit Sicherheit nie jemand angehört hatte, neben leeren Pfandflaschen, benutzten Kaffeebechern und ausgedruckten Manuskripten und Pressemitteilungen. Manch ein Kollege hatte sich Fotos oder witzige Comic-Zeichnungen an die Wand geklebt, die ihn vom Tisch des Nachbarkollegen trennte, andere hatten auch VIP-Bändchen verschiedener Konzerte am Schirm der Schreibtischlampe hängen. Die unvermeidlichen Ü-Eier-Figuren dekorierten manch freie Fläche, Miniventilatoren und sogar Blumenvasen verstaubten neben kleinen Stofftieren. Einige Computer waren – wie immer – nicht heruntergefahren worden, ein paar Lampen brannten bereits seit Einbruch der Dunkelheit, und irgendwo lief auch noch ein Radio mit unserem Programm.
Vor der im Zickzack angeordneten Schreibtischreihe gab es bodentiefe Fenster Richtung Meer. Der Blick hinaus zeigte jetzt noch einen menschenleeren Strand und eine Nordsee, die weit davon entfernt war, einladend oder gar erfrischend auszusehen. Die Sonne brauchte noch ein wenig Zeit, um sich in Urlaubslaune zu zeigen und dann auch die Touristen ans Wasser zu locken.
Genauso menschenleer wie am Strand war es auch in der Redaktion. Noch kein Schwein da, außer Jan, dem frühen Nachrichtenmann Torben Gutbrodt und mir – man sollte meinen, beim Radio war bis zehn Uhr Sendeloch. Die meisten Kollegen trudelten erst gegen neun ein, der Rest dann zur Redaktionskonferenz um zehn. Aber jetzt, um kurz nach sieben, drehten die sich in ihrer Pupsmulde alle nochmal auf die andere Seite.
Dafür durfte ich Jan in seine zweifarbigen Augen blicken. Ich musste nämlich erst mal vor Studio A stehen bleiben, weil das rote Licht über der Tür blinkte und signalisierte, dass noch gesprochen wurde. Erst als das Lämpchen dann über dem Ministudio B aufleuchtete und Redakteur Torben mit den Nachrichten begann, konnte ich zu Jan.
Er setzte seine Kopfhörer ab, zog den Regler für die Wettermusik nach oben, sodass er nach den Nachrichten nur den Knopf drücken musste, drehte sich zu mir um und nahm mir den Kaffeebecher ab.
«Danke schön, Hase. Na, noch was Schönes vor heute?»
Juhuh – das war doch der Auftakt zu einer Einladung! Zum Kaffee, ins Kino, an den Strand? Meinetwegen auch alles. Endlich! Jetzt bloß nicht ausflippen. Unbeteiligt und uninteressiert scheinen – stand so in jeder einschlägigen Frauenzeitschrift.
«Och, weiß noch nicht. Erst mal ein kleines Mittagsschläfchen.» O Shit, Ina, du bist so bescheuert. Jetzt denkt er nicht nur, dass du fett, sondern auch, dass du faul bist. Aber noch war nicht alles verloren. «Na, oder ich geh ’ne Runde am Strand laufen.»
Jawoll, Sport kommt immer gut, macht was her und stempelt die Biorhythmus-BiFi-Pfunde zu Erblast. Und bei Männern wie Jan, durchtrainiert und dünn, sicher der beste Start.
Der Moderator googelte gerade irgendwelche Informationen über den nächsten Song im Internet. Er war aber durchaus dazu in der Lage, gleichzeitig auf den Computerbildschirm zu starren und mit mir zu sprechen.
«Ach, du gehst laufen? Hätte ich gar nicht vermutet. Wird ja auf jeden Fall super Wetter heute, da joggt es sich wie von allein.»
Er drehte sich vom Computer weg, nippte an seinem Getränk, stieß einen wohlwollenden Laut aus, stellte den Becher auf den kleinen Beistelltisch neben dem Mischpult und setzte dann die Kopfhörer wieder auf.
Wieder einmal stand ich da wie bestellt und nicht abgeholt. Das sollte es jetzt gewesen sein? Und der Kaffee? Und das Kino?
«So weit die Nachrichten hier bei Ihrem Inselradio 88 Komma zwei – auf Sylt dabei. Wetter und Verkehrsmeldungen jetzt von Jan Jessen …»
Mit den ersten Tönen der Wettermusik schlich ich mich leise aus dem Studio.
Verdammt, verdammt, verdammt, ich war auch wirklich so unglaublich doof und bescheuert! Eine Gelegenheit wie auf dem Silbertablett, und Madame Ina sagt: Och nööö, du Schicksal du, lass mal, da bietet sich bestimmt noch eine bessere Gelegenheit. Aber noch einmal zurückzugehen wäre jetzt auch reichlich dämlich gewesen. So eine Chance würde sich heute sicher nicht nochmal bieten. Wenn erst die anderen Kollegen da waren, hing ohnehin ständig irgendwer im Studio ab. Und auf Zeugen konnte ich für so eine Verabredung schon erst recht verzichten.
Eins aber war klar: So durfte es auf keinen Fall weitergehen. Für die kommenden Nachmittage verordnete ich mir zum einen ausführliche Gespräche mit Maike und zum anderen einen Beobachtungsposten am Strand. Denn wo konnte man die Taktiken des Männerfangs besser studieren als zwischen Strandkörben, Sonnenmilch und heißer Sonne auf nackter Haut? Eben!
Aaach ja, so ein Nickerchen am Strand, das war doch was Feines. Nach Feierabend hatte ich mir zu Hause schnell das Nötigste für einen Nachmittag am Wasser geholt: Handtuch, Badematte, Sonnencreme, iPod, eine Flasche Wasser und ein paar Leckereien, die die Zeit bis zum Abendessen verkürzen würden. Da warteten dann zwei wunderbare Dosen gebackene Bohnen darauf, in der Mikrowelle mit reichlich Käse zubereitet zu werden.
Am Meer roch es nach Kokos-Sonnenmilch, Bratwürsten und Kaffee, wie früher in den Sommerferien. Und genau wie als Kind hatte ich mir ein Kissen aus Sand geschaufelt, damit der Nacken schön auflag, die Sonne mir ins Gesicht schien und man eventuelle Doppel- oder Tripelkinne elegant weglag. Irgendwo ein paar Strandkörbe weiter dudelte ein Radio, ich hatte unseren Sender-Jingle schon mehrfach gehört: Inselraaadiooooooooo.
Sie spielten die beste Musik für einen Nachmittag wie diesen: «Blaue Augen» von Ideal, irgendetwas von Bananarama und «Boys Of Summer» von Don Henley. Vom Meer konnte man die sanfte Brandung und das Kreischen der kleinen Kinder hören – immer dann, wenn eine Welle sich am Strand brach.
Links von mir hatte sich eine Dame mittleren Alters offensichtlich bereits seit einigen Tagen dem ausgiebigen Sonnenbad hingegeben, jedenfalls erzählten Falten und runzlige Gesichtshaut zahlreiche Geschichten von Sonne und mehr. Bisher hatte sich die Frau, die zwar deutlich älter, aber auch deutlich schlanker war als ich, nur gerührt, um die Stellung im Korb zu wechseln, damit auch wirklich alle Körperzonen Sonne abbekamen.
Ich beschloss, ein Nickerchen zu machen, wurde aber kurze Zeit später vom Quietschen eines Mädchens, dem ein Junge gerade Cola in den Ausschnitt kippte, aus meinem schönen Traum aufgeschreckt. Offensichtlich hatte sich rechts von mir eine ganze Horde Schüler niedergelassen.
Also legte ich mich wieder auf die linke Seite und schaute, was sonst noch so los war. So ein Nachmittag am Strand war ja auch deshalb so wunderbar, weil man eigentlich gar nichts machen konnte außer Leutegucken. Zum Lesen war die Sonne zu grell, den iPod ließ ich wegen des feinen Strandsands dann doch meist in der Tasche, in seltenen Fällen war es mir sogar zu anstrengend zu essen, und zum Skatkloppen fehlten mir meistens zwei Mann.
Gerade hatte ich mich so weit motiviert, aufzustehen und ins Meer zu gehen, um mich beim Schwimmen dem lästigen Kalorienabbau zu widmen, als ich Steffen Witte aus dem Wasser kommen sah. Steffen war Musikchef beim Inselradio, und ich war ziemlich überrascht, ihn nicht mit roten Strandschuhen aus den Wellen steigen zu sehen. Denn Steffen trug immer rote Schuhe. Das war aber auch schon das Einzige, was an diesem Mann besonders war. Ansonsten der totale Durchschnittstyp: mittelschlank – in Badehose konnte man sogar einen klitzekleinen Bauchansatz sehen –, durchschnittlich groß, also größer als ich, aber kleiner als Jan, durchschnittliches braunes Haar und durchschnittliche braune Augen.
Das Durchschnittliche, oder besser: gähnend Langweilige, versuchte er nicht nur durch die roten Schuhe, sondern auch durch mehr oder weniger lustige Sprüche-Shirts auszugleichen. Davon musste er Hunderte im Schrank haben, denn ich hatte ihn noch nie zweimal in demselben gesehen. Angeblich wohnte er noch bei seinen Eltern, passte irgendwie ins Bild. Wahrscheinlich schmierte Mami ihm morgens auch ein paar Kniften für die Frühstückspause und packte eine Thermosbuddel mit Kakao für ihren Lütten ein.
Schnell wandte ich mich zur anderen Seite und wollte mir gerade mein T-Shirt übers Gesicht legen, als ich Steffen aus den Augenwinkeln auf mich zukommen sah. Tarnung war alles in solchen Fällen. Musste ja nicht sein, dass der meine kalkweißen Treter und den nicht trainierten Bauch aus der Nähe begaffte und dann im Sender damit hausieren ging, dass die Krause kein Sixpack hatte, sondern ein Tetrapack.
«Hallo, Ina, also das ist ja ein Ding, dich hier zu treffen!»
Sagte ich: Tarnung ist alles? Ich meinte: Gute Tarnung ist alles. Und ein T-Shirt auf dem Kopf, das meinen eleganten, wenn auch etwas kurz geratenen Unterkörper frei ließ, war natürlich operettenhaft. Also zog ich das Ding wieder runter und sprach in den Himmel:
«Hallo, Steffen.»
«Bist du schon lange hier?»
«Geht so. Eine Weile. Habe mich hier nach der Frühschicht ein wenig ausgeruht.» Also, das Gespräch hätte ich auch mit meiner Oma führen können.
«Ich konnte heute mal früher gehen», sagte er, «weil ich doch neulich in Hamburg war und da bei ein paar Plattenfirmen Gespräche geführt habe, wer so auf unserem Sender-Sommerfest auftreten kann und so. Und die Überstunden kann ich heute abbummeln. Ich hatte ja erst überlegt, die freie Zeit auf den Freitag zu legen, aber dann war heute das Wetter so klasse, und ich hatte nichts mehr auf dem Schreibtisch, also habe ich mich lieber gleich abgemeldet.»
Fest angestellt müsste man sein. Mir war noch nie angeboten worden, für eine längere Schicht am nächsten Tag mal eine Stunde später zur Arbeit zu kommen. Ganz ehrlich gesagt, wollte ich weder wissen, warum Steffen am Strand war, noch, wie lange er zu bleiben gedachte, aber man wird ja nie gefragt, an welchen Informationen man wirklich interessiert ist. Deshalb plapperte der Durchschnittsmann munter weiter, nachdem er sich neben mich in den Sand gesetzt hatte.
«Und du so? Hast du schon andere Leute aus dem Sender getroffen? Manchmal wimmelt es hier ja nur so von Kollegen.»
Hey, da könnte sich der Kommunikationskrüppel vielleicht doch noch zum heißen Informanten wandeln. Aber immer schön unauffällig bleiben:
«Echt? Wen hast du denn schon getroffen? Ich bin hier eigentlich immer unter vielen fremden Menschen ganz allein am Strand.»
«Na, also zum Beispiel Klaas hängt hier manchmal rum.»
Wunderbar, der war ja noch schlimmer als das Elend, das sich neben mir gerade in so etwas wie einer Unterhaltung versuchte.
Wenn er nun gesagt hätte, dass Jan jeden Tag um eine bestimmte Zeit herkam, bei ihm sein Handtuch ablegte, um dann kurz mal zur Insel Föhr rüberzuschwimmen, dann könnte man von einem informativen Gespräch reden. So aber nun wirklich nicht.
Das Blöde war, ich konnte mich auch nicht aufsetzen, denn dann rollten sich die Speckfalten am Bauch immer so fies ein, das sah nicht schön aus und musste in der Öffentlichkeit nicht sein. Also drehte ich mich mit einem gekonnten Schwung von der Rücken- in die Bauchlage und hatte nun das selbstgeschaufelte Kissen unter dem Kinn.
Sehr unbequem, aber so konnte ich den Kopf leicht seitlich drehen, um Steffen beim Reden anzusehen. Dabei würde ich mir dann überlegen, wie ich ihn so schnell wie möglich wieder loswerden konnte. Kaum konzentrierte ich mich ausgiebig auf sein Gesicht, da hatte ich auch bereits eine Idee: «Mensch, Steffen, deine Nase sieht voll rot aus! Da musst du unbedingt was draufschmieren. Ich würde dir ja gerne aushelfen, aber ich habe leider keine Sonnencreme dabei.»
Wenn beim Lügen tatsächlich die Beine kürzer wurden, dann sollte ich mich beim Aufstehen lieber vorsehen.
«Echt jetzt?» Er fasste sich vorsichtig an die Nase und strich darüber. «Fühlt sich wirklich etwas heiß an.» Er stand auf und klopfte sich den Sand vom Hintern. «Weißt du, was, ich habe Creme dabei. Ich hol mal eben meine Sachen, sind gleich da drüben, dann können wir noch ein bisschen quatschen.»
Hilfe. Nein!
«Du, tut mir leid.» Ich warf einen auffälligen Blick auf die Uhr meines Handys, das ich aus der Tasche gezogen hatte. «Ich habe leider gar keine Zeit mehr. Bin mit meiner Freundin verabredet. Aber das Wetter soll ja schön bleiben, vielleicht irgendwann in den nächsten Tagen?»
Jetzt sah Steffen total enttäuscht aus. Ach, Mensch, und Mami war nicht da, um ihn zu trösten und auf den Arm zu nehmen. Ohhhhh.
«Ja, wenn du keine Zeit mehr hast, dann kann man das natürlich nicht ändern. Schade, aber dann sehen wir uns morgen im Sender. Wenn du Lust hast, komm doch mal in mein Büro, ich hab da ein paar CDs für dich.»
Inzwischen hatte ich mir mit einigen Verrenkungen das T-Shirt übergestreift. Meine Sachen waren bereits alle eingepackt, nun angelte ich umständlich nach meinen Shorts.
«Ja, mach ich glatt. Tschüss do.»
Steffen stand immer noch recht unbeholfen da, so als wollte er mir die Hand geben und doch wieder nicht. Seltsamer Vogel. Er winkte mir linkisch und drehte sich dann um, um in Richtung seines Handtuchs zu marschieren. Prima. Jetzt hatte ich also die Wahl: entweder einen anderen Platz weiter hinten am Strand suchen oder bei Maike im LatteMar einen schönen Kaffee mit viel Schlagsahne und Karamellsirup trinken. Ich musste nicht lange überlegen.
Bendix Pede wuchtete seinen stattlichen Körper