Wer alle Tassen im Schrank hat, dem fehlt Platz für die wichtigen Dinge - Constanze Behrends - E-Book
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Wer alle Tassen im Schrank hat, dem fehlt Platz für die wichtigen Dinge E-Book

Constanze Behrends

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Beschreibung

Wer in jedes Fettnäpfchen stolpert, ist immerhin in Bewegung: Das humorvolle Lesevergnügen von Constanze Behrends jetzt als eBook bei dotbooks. Frauen können einfach alles – Multitasking, den perfekten Mann begeistern, jederzeit superschlaue Dinge sagen und hübsch gestylt durchs Leben schweben. Frauen können das aber auch einfach sein lassen, denn es ist verdammt anstrengend, stets perfekt zu sein … und auch schrecklich öde. Darum bleibt Constanze so, wie sie nun mal ist: ein bisschen verpeilt, ein bisschen verrückt – und zu 100 Prozent liebenswert! Leben live und Comedy pur: Erleben Sie, wie Constanze sich mit größter Zielgenauigkeit in falsche Typen verliebt, mutig zur ihrer Kaffeesucht steht und eine der größten Herausforderungen meistert, die das Leben bereithält: spontane Besuche der geliebten, aber kritikfreudigen Eltern. „Scharfe Beobachtungsgabe, gepaart mit untrüglichem Sinn für das Absurde des Alltags.“ Der Tagesspiegel Jetzt als eBook kaufen und genießen – „Wer alle Tassen im Schrank hat, dem fehlt Platz für die wichtigen Dinge“ von Constanze Behrends. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 320

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Über dieses Buch:

Frauen können einfach alles – Multitasking, den perfekten Mann begeistern, jederzeit superschlaue Dinge sagen und hübsch gestylt durchs Leben schweben. Frauen können das aber auch einfach sein lassen, denn es ist verdammt anstrengend, stets perfekt zu sein … und auch schrecklich öde. Darum bleibt Constanze so, wie sie nun mal ist: ein bisschen verpeilt, ein bisschen verrückt – und zu 100 Prozent liebenswert!

Leben live und Comedy pur: Erleben Sie, wie Constanze sich mit größter Zielgenauigkeit in falsche Typen verliebt, mutig zur ihrer Kaffeesucht steht und eine der größten Herausforderungen meistert, die das Leben bereithält: spontane Besuche der geliebten, aber kritikfreudigen Eltern.

Über die Autorin:

Constanze Behrends, geboren 1981 in Wittenberg, lebt heute mit ihrer Familie in Berlin. Als Schauspielerin machte sie sich durch preisgekrönte Comedy-Formate wie Switch Reloaded einen Namen. Als Autorin wurde sie mit dem Deutschen Musicalpreis für das von ihr verfasste Stück Klassenkampf ausgezeichnet.

Weitere Informationen zu Constanze Behrends: www.constanzebehrends.de

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eBook-Neuausgabe Dezember 2017

Dieses Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel Kiffer-Barbie – Das Beste aus meinem Leben im Knaur Taschenbuch Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2011 Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Llazlo und shutterstock/Dejan Dundjerski.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-132-3

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Constanze Behrends

Wer alle Tassen im Schrank hat, dem fehlt Platz für die wichtigen Dinge

Mein Leben in 24 Katastrophen

dotbooks.

Inhalt

Multitasking

Waldorfschüler

Die Politik-Barbie

Starbucks-Neurose

GEZ

Facebook

Ohrwurm

Elternbesuch

Kinder mit Doppelnamen

Blondineneffekt

Penismonologe

Zen in der Kunst der Selbstverarschung

Stärken und Schwächen

Geburtstag

Assessment-Center

Friseurmafia

Parkhaus des Grauens

Alle Jahre wieder ...

Kiffer

Castingallee

Skinny Bitches

Pärchenabend

Donnerstagssocken

It's a little bit funny

Lesetipps

Multitasking

Wie schafft sie das nur? Ich sitze im Starbucks mit einem Getränk vor meiner Nase, dessen korrekten Rufnamen ich mir nur merken kann, wenn ich mir einen Knoten in den rechten Temporallappen mache, und beobachte eine junge Mutter. Sie hat ein etwa fünf Monate altes Baby an der Brust, nippt an ihrem vermutlich entkoffeinierten Frappuccino, telefoniert lachend und ruft dabei eine Präsentation in ihrem Laptop auf. Ab und zu streichelt sie auch noch den kleinen schwarzen Hund, dessen Leine sie elegant um ihren Zehn-Zentimeter-Absatz gebunden hat.

Sie ist ein modernes Update dieser Ein-Mann-Kapellen mit etlichen Instrumenten am ganzen Körper aus den Zeiten des guten alten Jahrmarktes, als es noch bärtige Frauen und Gewichtheber in gestreiften Gymnastikanzügen gab. Aus der Trommel auf dem Rücken wurde bei dieser One-Woman-Band ein schickes Prada-Täschchen, aus der Mundharmonika ein Headset und das Akkordeon durch ein Notebook ersetzt. Kommen Sie, staunen Sie, meine Damen und Herren! Das achte Weltwunder, die Mutti-Taskerin!

Jede Talkshow, jede Emanzenzeitschrift, jede Kochrezepte-Homepage und jedes »Frauen sind die besseren Männer«-Buch redet es uns ein: Wir Frauen sind mit der evolutionsbedingten, grandiosen Fähigkeit gesegnet, mehrere Dinge zur selben Zeit tun zu können. Multitasking ist das Killerargument weiblicher Überlegenheit. Oktopusartig kann frau angeblich mit voller Konzentration den Haushalt schmeißen, zweisprachige Kinderlieder singen, dabei noch Sport machen, den Balkon begrünen und via Smartphone den asiatischen Aktienmarkt im Auge behalten ... Tja, an dieser Stelle muss ich mich dann wohl outen: Ich bin eine Frau, und ich kann kein Multitasking! Als dieses sagenumwobene Talent an alle Evas verteilt wurde, muss ich gepennt haben, oder ich hab mit Adam Äpfel geklaut. Ich drohe nämlich, einem Gehirnkollaps zu erliegen, wenn ich mich auf mehr als eine Sache konzentrieren muss. Dann werde ich so tollpatschig wie ein Rüsseltier auf Speed im Keramikfachgeschäft. Am liebsten würde ich eine Selbsthilfegruppe gründen: die anonymen Monotaskerinnen.

Ich brauche stets staatsbibliotheksartige Ruhe, um mir die Wimpern zu tuschen, was ich als hochkomplizierte feinmotorische Tätigkeit empfinde. Einmal klingelte es, als ich mich gerade schminkte. Reflexartig drehte ich den Kopf Richtung Tür, ohne dabei die Mascarabürste mit zu bewegen. So rammte ich mir den Applikator ins Auge und kratzte meine Hornhaut an. Multitasking gefährdet die Gesundheit.

Selbst ein Niesanfall auf der Autobahn bringt mich in Lebensgefahr. Ausgerechnet zu Beginn der Pollensaison sollte ich das Mercedes Cabrio meiner Eltern, das sie »Baby« nennen, zu ihrem Campingplatz fahren. Meine Eltern kämen nie auf die Idee, viel Geld für Reisen auszugeben. »Hotels zocken einen nur ab, und braun wird man am Baggersee auch!« Sie investieren ihr Erspartes lieber in »Sachen von Wert«, wuchtige Schlafsofas, avantgardistische Schrankwandkonstruktionen und Fahrzeuge. Mit offenem Verdeck und Poser-Sonnenbrille donnerte ich über die Autobahn. Da fing meine Nase furchtbar an zu kribbeln, und ich nieste an die zehn Mal. Reflexartig schloss ich bei jedem Nieser meine Augenlider und bemerkte erst viel zu spät das Stauende, auf das ich zufuhr. Nur eine Vollbremsung rettete mir und Baby Benz das Leben. Um ein Haar wäre ich durch die Leitplanke gebrettert. Weil ich manchmal so verpeilt bin und nix auf die Reihe kriege, nennt mein bester schwuler Freund Toby mich liebevoll Kiffer-Barbie. Äußerlich habe ich tatsächlich etwas von einer Barbie mit meinen 1,83 Meter und den langen blonden Haaren, und innerlich bin ich trotz meiner Intelligenz manchmal so schusselig und vergesslich wie der chaotischste Kettenkiffer.

Mir ist es gänzlich unmöglich, mit einem vollen Kaffeebecher in der Hand zur U-Bahn zu sprinten. Ich wende dabei zwar die Donald-Duck-Technik an (in die Knie gehen und den Hintern rausstrecken), bekleckere mich aber trotzdem, da der Kaffee durch das kleine Loch schwappt und sich an meinen Ärmeln entlang nach oben saugt. Auch während des Telefonierens ist Kaffeetrinken tabu. Es gelingt mir nie, eine Sprechpause zu erwischen, um einen Schluck zu nehmen. Ich trinke immer genau dann, wenn der andere gerade fertig ist und auf ein Zuhörsignal wartet. Ich mache dann »Hmmhh« und verschlucke mich derart ungeschickt, dass mir der Kaffee durch die Nase wieder rausläuft. Deshalb sitze ich jetzt auch ganz brav im Coffee-Shop und hab mein Handy aus. Die junge Mutter dagegen telefoniert immer noch virtuos, während sie ihrem Kind eine SpongeBob-Spieluhr aufzieht und dem Hund ein Leckerli zuwirft. Ich bekomme einige Fetzen des Gesprächs mit. Es geht um Blumenarrangements und einen Cadillac. Sie plant eine Hochzeit! Und das mal eben so nebenbei beim Kaffeetrinken. Ich schaffe es nicht mal, im Auto, an einer roten Ampel stehend, den Radiosender zu wechseln. Als ich das einmal versuchte, verpasste ich das Umschalten der Ampel auf Grün, und die Autos hinter mir gaben ein Hupkonzert. Geschockt fuhr ich los und prallte auf die Stoßstange des Wagens vor mir – das Hupen hatte ihm gegolten ...

Meine beste Freundin Susanne hält meine Unfähigkeit zum Multitasking für den Ausdruck meiner Intelligenz. Sie sagt, ich wäre ein zerstreutes Genie, ein Einstein in High Heels. Morgens habe ich tatsächlich manchmal eine Relativitätsfrisur, wenn ich mit nassen Haaren ins Bett bin. Ich bin so vielseitig interessiert, dass ich meinen grauen Zellen sekündlich neuen Input geben muss. Dabei bleiben eben perfide Alltagstätigkeiten meist auf der Strecke.

Susanne ist meine Seelenverwandte. Sie arbeitet als Schauspielerin und Theaterpädagogin, legt einem ungefragt gerne mal die Tarotkarten und hat im Park einen Patenbaum adoptiert. Sie gießt ihn regelmäßig und singt ihm Lieder vor, damit er gut gedeiht. Meine bessere Hälfte hat einen gewaltigen Knacks, einen wahren Urknall, genau wie ich, und deshalb ist sie mir so sympathisch. Aber, wer alle Tassen im Schrank hat, dem fehlt schließlich Platz für die wichtigen Dinge.

Wenn ich nicht in Cafés sitze und über fremde Frauen staune, studiere ich Amerikanistik an der Humboldt-Uni in Berlin. Offiziell bin ich im zweiten Semester, habe aber schon öfter den Studiengang gewechselt als die Farbe meines Lipgloss, weil mich die Konzentration auf Neben- und Beifächer überfordert. Tatsächlich treibe ich mich schon sieben Jahre an der Uni rum, habe nun, ach, von Medizin über Schauspiel, Germanistik und Psychologie schon fast alles studiert mit heißer Müh. Doch ich armer Tor bin nicht nur so klug als wie zuvor, nebenbei muss ich auch noch auf 400-Euro-Basis im Büro eines Reiseveranstalters jobben. Es ist verdammt trostlos, anderen Leuten die Urlaubsparadiese anzupreisen, die man sich selbst nicht leisten kann. Reisefachfrauen sind wie Eunuchen: Sie wissen, wie's geht – theoretisch.

Im Gegensatz zu meinen Eltern leide ich unter Dauerfernweh. Es gibt für mich nichts Schöneres, als ins Taxi zu steigen und zum Flughafen zu fahren. Eigentlich sitze ich im Reisebüro auch nur die Zeit ab, bis ich endlich meinen Traumjob in einer Werbeagentur bekomme. Ich bewerbe mich regelmäßig, wurde aber bis jetzt immer mehr oder weniger freundlich abgelehnt: »Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg.«

Was heißt denn hier weiterhin? Die größten Erfolge meines Lebens waren der erste Preis beim Wiener-Würstchen-Wettessen in der Grundschule, meine Teilnahme am High-Heel-Halbmarathon und die Nacht, in der ich mit drei verschiedenen Typen geknutscht habe. Soll ich das etwa in meinen Lebenslauf aufnehmen?

Aber ich schweife ab. Das tue ich übrigens auch in der Uni ständig, weshalb ich mir eigentlich dauernd die Mitschriften von Toby borgen muss, da ich nur entweder dem Professor folgen oder mir Notizen machen kann. Versuche ich beides synchron, dann schreibe ich auch alle anderen Eindrücke und Gedanken auf, die während der Vorlesung in meinem Assoziationsgenerator umherschwirren. Ich kann einfach nicht filtern.

»Translatio imperii ist die Westwärtsverschiebung von – woher hab ich eigentlich diesen Kuli – ach, ich weiß, aus diesem Hotel am Wochenende – Scheiße, hab ich da vielleicht meinen Seidenschal liegen lassen – ich muss da gleich anrufen – ach nee, mein Handy ist nicht aufgeladen – in der Mensa ist 'ne Steckdose – hab ich's überhaupt dabei – wieso guckt denn der Typ so komisch – will der was von mir, oder hab ich was im Gesicht – ach, der hat nur auf die Uhr geschaut – mir ist auch langweilig – ich muss unbedingt was essen – ich fühl mich so fett – am besten was mit Eiweiß ...«

Wenn ich das als Definition in der nächsten Klausur schreibe, werde ich für verrückt erklärt.

»Entschuldigung?«

Die junge Mutter fragt mich, ob ich auf ihren Hund aufpassen könne, während sie ihr Kind wickeln geht. Ich bin so fasziniert, dass ich ihr die Bitte nicht abschlagen kann. Sie schwingt sich nonchalant die Wickeltasche, die auch noch perfekt zu ihrem Outfit passt, über die Schulter, setzt das Baby auf die Hüfte und holt den Toilettenschlüssel vom Tresen. Dann schließt sie einhändig die Tür auf.

Für mich sind Türen ja die Hölle – oder wenigstens die Pforten davor. Als ich mir zwecks eines Umzugs den Nissan von Susanne ausborgte und voll bepackt die Autotür aufschließen wollte, scheiterte ich gnadenlos. Ich probierte es exakt 22 Mal und befürchtete, dass ich das Schloss irgendwie kaputt gemacht habe. Also rief ich den Schlüsseldienst. Der junge Mann in der grünen Latzhose lachte sich halbtot. Jedes der 22 Male, die ich versucht hatte, den Wagen zu öffnen, hatte ich den Schlüssel in die falsche Richtung gedreht. Nissan ist ein japanisches Auto, da schließen die Schlösser andersrum. Vermutlich gibt's da mehr Linkshänder – die sollen ja kreativer sein, weil die die andere Gehirnhälfte benutzen – mein Exfreund Frank ist Linkshänder – kreativ ist der jedenfalls – ach, ich tu's schon wieder. 'tschuldigung.

Auch aus meiner Wohnung sperre ich mich des Öfteren aus, weil ich anstelle meines Schlüssels die lange Kette mit Medaillon in der Hand habe, die ich mir noch umhängen wollte. Oder ich vergesse den Schlüssel im Kühlschrank, weil ich nach einem missglückten Diätexperiment mal wieder heißhungrig nach Hause gekommen bin und alle Sachen von mir geworfen habe. Mit meinem Kühlschrank habe ich sowieso eine besondere Beziehung. Ich hebe darin Strumpfhosen auf. Nicht, weil sie dann angeblich weniger schnell reißen, sondern weil ich in meinem provisorischen Schrank (ein riesiger Kleidersack mit Englische-Telefonzelle-Print) nie etwas wiederfinde.

Ich bin also außer verpeilt auch noch die geborene Anti-Hausfrau. Mir ist es nicht nur unbegreiflich, wie man mit Fliesenputzen und Schmorbratenkochen ausgefüllt sein kann, ich bin außerdem total impotent, einen Haushalt zu führen. Allein das Wort lässt mich schaudern. Leider kann ich es mir jedoch nicht leisten, jedes Mal meine dreckigen Sachen wegzuwerfen und neue zu kaufen (das wär geil), und Geld für eine Putzfrau habe ich auch keins (denn dann müsste ich grundsätzlich auf neue Klamotten verzichten). Also muss ich doch ab und zu den Staubwedel schwingen.

Doch eigentlich tue ich das immer nur, wenn ich kurz vor Abgabe einer wichtigen Hausarbeit stehe, so wie heute Morgen. Aus Angst vor dem weißen Blatt Papier und dem hinterlistigen Cursor, der so ungeduldig blinkte, fiel mir ein, dass ich unbedingt diesen Rotweinfleck aus dem Teppich kriegen muss. Ich kippte eine Flasche Spülmittel drauf und schrubbte mir die Seele aus dem Leib. Klappte nicht. Vielleicht muss es eine Weile einwirken. Also setzte ich schon mal die Waschmaschine auf. Verdammt, ich hab schon wieder kein Waschpulver gekauft! Ob das auch mit Spülmittel geht? Ach nee, das ist ja alle. Seife könnte ich probieren. Ich hab irgendwo noch Handseife in Schweinchenform aus der Apotheke, die könnte ich in die Waschmaschine raspeln. In der Apothekentüte entdeckte ich meine Pillenpackung und auch, dass ich sie zwei Tage nicht genommen hab. Uuuups! Sofort setzte ich mich an den Computer und googelte, was zu tun ist. Als dabei eine Web-Anzeige für ein neues Outletcenter in Berlin aufpoppte, war ich am Arsch. Denn jetzt bleiben die Hausarbeit, die halbgefüllte Waschmaschine und der nasse Rotweinfleck den ganzen Tag unberührt wie eine Sahnetorte in der Model-WG, und mir wird erst am Abend, wenn ich mit meinen vollen Einkaufstüten nach Hause kommen werde, auffallen, dass da ja noch was war.

Ich wohne bereits zwei Jahre in meiner neuen Wohnung, habe seither aber noch nicht geschafft, meine Bilder aufzuhängen. Dabei hat mir mein Vater zum Einzug extra einen pinken Werkzeugkoffer mit niedlichen rosa Hämmerchen und einem Akkuschrauber mit Glitzersteinchen geschenkt. Das Rosa soll, genau wie bei Ladylaptops und Tussihandys, Frauen wie mir die Angst vor Technik nehmen. Das funktioniert aber dummerweise nicht, da ich mir immer, wenn ich meinen Werkzeugkoffer in die Hand nehme, überlege, was ich dazu anziehen könnte. Und solange ich kein Outfit habe, das nach sexy Handwerkerin aussieht und sich nicht mit den rosa Hämmerchen beißt, werden die Bilder wohl weiterhin auf den Regalen stehen müssen.

Die Superfrau ist inzwischen zurück und reißt mich aus meinen Gedanken. Sie packt ihren Laptop ein und verfrachtet das Baby in den Buggy. Da zieht die Kleine eine Schippe und stößt in Intervallen verzweifelte Ich-bin-mit-der-Gesamtsituation-unzufrieden-Schreie aus. Die Mutti-Taskerin ist davon jedoch kein bisschen gestresst, sondern nimmt ihre Tochter aus dem Wagen und wirft sie hoch in die Luft. Dabei lässt sie ihre Lippen flattern, um das Geräusch eines Flugzeugs zu imitieren. Das Baby kaut auf seinem Fäustchen rum und steckt mit seinem glockenhellen Kinderlachen den ganzen Starbucks an. Wahnsinn!

Wenn ich jemals ein Kind habe, merke ich vermutlich erst beim Wickeln, dass ich neue Windeln kaufen muss, und hülle das Kleine stattdessen in Küchenrolle, die ich mit Gaffer-Tape zusammenklebe. Ich kann mich ja nicht mal um Haustiere kümmern. Mit sieben Jahren hatte ich einen Hamster namens Bernd, der es liebte, auf unserem Schallplattenspieler (ja, so alt bin ich) herumzukreisen. Als meine Mutter mich zum Essen rief, vergaß ich Bernd jedoch auf der Platte. Erst als der Traumzauberbaum zu Ende war, kam ich zurück ins Zimmer. Bernd hatte sich inzwischen mehrfach übergeben und lebte nach seinem Drehwurmtrauma nicht mehr lange.

Wonder-Womans Hund hat meine Betreuung glücklicherweise gut überstanden. Es war ja auch kein Plattenspieler in der Nähe. Die Power-Mom bedankt sich und winkt mir mit der kleinen Hand ihrer Tochter zu. Ich kann nicht anders, ich muss sie fragen: »Wie schaffen Sie das nur?«

»Was denn? Ich hab doch nur mein Kind gestillt.«

»Na ja, und den Hund gefüttert und telefoniert ...«

»Ach, das war doch nur so nebenbei. Man muss sich immer auf die Hauptsache konzentrieren.« Sie lächelt, schaut ihre Kleine an und verdreht dabei lustig ihre Augen. »Und du bist die Hauptsache, ne?«

Dann verlässt sie mit dem glucksenden Baby auf dem Arm, der Hundeleine am Handgelenk, den Kinderwagen vor sich herschiebend den Laden. Das Mutti-Tasking ist also nur durch einen anderen Mythos möglich: den Mutterinstinkt.

Apropos Mutterinstinkt: Meine eigene Mutter hat übrigens auch einen besonderen Spitznahmen für mich: »Miss Geschicklichkeit« ...

Waldorfschüler

Leider stelle ich mich in der Liebe auch oft sehr ungeschickt an. Ich bin zwar noch jung an Jahren, musste allerdings schon häufiger mit schrägen Typen fertig werden und habe Liebeskummer abonniert. Die wohl absurdeste Beziehungskatastrophe erlebte ich mit Anastasius. Er war kein Grieche, wie der Name vermuten lässt, sondern Waldorfschüler. Und da die Waldorfschule lebenslanges Lernen proklamiert, war er auch mit 24 noch Waldorfschüler aus Leidenschaft. Sein Vater hatte eine Gynäkologiepraxis, und seine Mutter machte mit 47 Jahren ihre erste Ausbildung zur Homöopathin. Anastasius ist eines von fünf Geschwistern, die ihm alle so ähnlich sehen, als wären sie geklont, auch die Mädchen. Ich traf ihn, während ich drei unglückselige Semester an der Schauspielschule studierte. Wir hatten gerade Akrobatikunterricht. Da lernten wir Jonglieren, Bühnenkampf und Tai-Chi – alles wunderbare Vorbereitungen auf den zukünftigen Broterwerb als Gaukler bei Straßenfesten. Hätte ich während des Schauspielstudiums nicht Susanne kennengelernt, wäre es komplett verschwendete Lebenszeit gewesen.

Ich fand Anastasius zwar nicht sonderlich attraktiv, kam aber just aus einer anstrengenden On-Off-Beziehung und war ganz froh über ein wenig männliches Interesse. Wir beschlossen, einen Kaffee trinken zu gehen, stellten fest, dass unsere Geburtstage nur zwei Tage auseinanderliegen, und redeten bis zum Sonnenuntergang. Unsere Affäre verlief, als hätte sich die Fernbedienung in der Sofaritze eingeklemmt und die Fast-Forward-Taste bliebe dauergedrückt. Bereits nach wenigen Tagen waren wir uns so nah wie ein altes Ehepaar. Es fehlte nicht viel, und wir hätten Khakihosen im Partnerlook getragen. Nach einem Monat überlegten wir bereits, zusammenzuziehen. Und so war es nur logisch, dass wir uns in den Sommerferien gegenseitig unseren Eltern vorstellten. Mein Vater, ein konservativer Naturfreund, war unangenehm berührt, als der anthroposophische Anastasius ihn zum Abschied küsste. Meine Mutter war genervt, dass der Waldorfschüler ihre Kuchenrezepte verbessern wollte. Elterliches Fazit: weichgespültes Bübchen.

Seine Familie dagegen war waaahnsinnig aufgeschlossen. Es war beinah gruselig. Sie empfingen mich mit leuchtenden Augen, wie Fanatiker, die dem nahenden Weltuntergang entgegenfiebern. Natürlich wurde ich geküsst, von allen Familienmitgliedern, und zwar auf den Mund. Sorry, ich bin bestimmt nicht prüde, aber bevor ich einen knapp 60-jährigen Frauenarzt küsse, muss er mir wenigstens einen Drink spendiert oder illegale Substanzen besorgt haben.

»Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb. Guten Appetit.« Ich konnte nicht fassen, dass diese Worte aus meinem Mund kamen, während wir uns an den Händen hielten und rhythmisch dazu wippten. Wir verbrachten einen gesprächsintensiven Abend bei Speisen mit Ingwer und Kardamom. Ich musste den Gesundheitszustand meiner Familie erläutern und meine bisherigen Krankenhausaufenthalte rechtfertigen. Anastasius' Mutter glaubte als angehende Homöopathin nämlich, dass es gar keine Krankheiten gibt. Alle Beschwerden kämen nur von einem Missverhältnis der Körpersäfte. Ich lächelte äußerlich und innerlich kam mir die Galle hoch. Wo bin ich hier nur gelandet?

Am Abend zeigte mir Anastasius sein Zimmer. Das Bett war aus schwerem Holz gesägt und seitlich abgerundet. Er hatte es selbst gebaut. Seine Abschlussarbeit auf der Waldorfschule. Oje, wenn ich daran denke, wie viel ich für mein Abi gebüffelt habe! Ich wollte mehr über diese sagenumwobene Schule wissen. Waldorf. Das klingt nach kleinen Zwergen mit großen Füßen, die in runden Holzhütten hausen. Anastasius klärte mich auf. Im Eurythmieunterricht habe er gelernt, seinen Namen zu tanzen. Eurythmie sei eine Art Ausdruckstanz, bei dem Töne, Gefühle und sogar Mathematik in Bewegung umgesetzt werden, erklärte er mir Nicht-Waldorflerin geduldig.

»Also quasi Gebärdensprache XXL«, sagte ich.

Anastasius lernte schreiben durch Eurythmie. Alle Buchstaben seien kleine Figuren, die Partnerschaften eingehen und so zu Wörtern werden. Außerdem hatte er Unterricht in diversen Handarbeiten. Er kann Jahreszeitenengel aus Märchenwolle filzen, und beim Stricken ist jede Masche ein kleines Schäfchen. Wer die wenigsten Schäfchen fallen lässt, ist am Ende des Epochenunterrichts ein »guter Hirte«. Außerdem schöpfen die Waldorfkinder ihr Klopapier selbst.

»Und was ist, wenn ein Kind mal dringend muss?«, fragte ich, erntete jedoch einen Mach-doch-keinen-Quatsch-Blick. Anastasius erzählte mir auch, dass er viel lieber subtrahiert als addiert: »Beim Subtrahieren gibt man etwas weg, teilt es mit anderen, während man beim Addieren Dinge ansammelt und für sich behält. Das finde ich egoistisch.«

Deshalb hat er auch bis heute eine Rechenschwäche. Wahrscheinlich hatte er gerade während des Mathematikunterrichts häufig das Kreativangebot in der Bastelecke genutzt. Statt Bruchrechnen lernte er zu klöppeln, und statt Sinuskurven malte er Mandalas.

Anastasius war bald eingeschlafen, ich dagegen wälzte mich in dieser Nacht unruhig hin und her, träumte von Schafen, die Filzhüte tragen und Klopapier schöpfen. Ich schreckte hoch. Anastasius nahm mich in den Arm und versuchte, mich zu beruhigen.

»Das ist nur Charlene.« Ich dachte, er träume irgendwas.

»Wer ist denn Charlene?«, fragte ich amüsiert.

»Meine Exfreundin.«

»Aha, und hat sie dein selbstgebautes Bett verflucht, oder was?«

»Nein, sie liegt drunter«, sagte er gähnend.

»Ja klar. Guter Witz!« Aber irgendwie war mir nicht nach Lachen zumute.

»Wir waren zusammen, als ich in der Zehnten war. Sie war eine Austauschschülerin aus Amerika. Ein paar Monate nach ihrem Rückflug weckten mich nachts meine Eltern, um mir zu erzählen, dass Charlene einen Autounfall hatte und gestorben ist. Ihre Mutter hat mir einen Teil von Charlenes Asche geschickt, damit sie bei mir sein kann. Die Asche liegt in einer Kiste unter dem Bett.«

Noch nie bin ich so schnell aus einem Bett gesprungen.

»Du hast die Asche einer Toten unter deinem Bett?« Meine Stimme schrillte wie die einer Comicfigur.

»Das ist doch nur ihr physischer Leib. Das, was sie wirklich ausmachte, der Astralleib, ihr Ätherleib und ihr Ich, sind doch längst bei Gott.«

»Scheiße!«, prustete ich vollkommen antianthroposophisch heraus. Die Situation war zu absurd. Anastasius erzählte mir freudig, dass er sogar ein Stückchen Knochenplatte in der Asche gefunden hatte. Da hörte der Spaß auf. Ich bin ja wirklich hart im Nehmen. Auf meinem kurzen Abstecher in die Welt des Medizinstudiums habe ich sogar mal eine Kniescheibe seziert. Aber der toten Freundin über die Knochensplitter zu streicheln, ist morbid. Mit Kopfkissen und Bettdecke unter dem Arm zog ich auf die Couch ins Wohnzimmer, stellte zuvor jedoch sicher, dass sich keine Leichenteile darunter befanden.

Am nächsten Morgen weckte mich die Waldorfmutter mit selbstgebackenen Schrotbrötchen und einer tollen Idee: »Wie wär's, wenn ihr mit uns nach Frankreich fahrt?«

Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach.

»Wir haben dort ein kleines Ferienhaus. Übermorgen geht's los. Es liegt direkt am Meer, und es ist genug Platz für alle.«

Mein Instinkt sagte mir, hau ab. Mach dich aus dem Staub, solange du noch kannst, aber ich wollte nicht unhöflich sein und sagte: »Ich denk mal drüber nach!«

»Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb. Guten Appetit.« Oh, Gott, das Ritual wurde selbst am Frühstückstisch durchgezogen. Während Anastasius' Geschwister übrig gebliebene Schokoosterhasen auf ihre Brötchen drückten und als Nutella-Ersatz recycelten, analysierte seine Mutter die Größe meiner Ohren. Ich habe riesige Ohren, die, als ich klein war, extrem abstanden. Die anderen Kinder nannten mich immer »Dumbo, der fliegende Elefant«. Anastasius' Mutter meinte jedoch, große Ohren seien ein Anzeichen für Konfliktfähigkeit. Sie kannte nicht die Streitereien mit meiner Mutter und das tagelange Sich-Anschweigen danach. Außerdem seien die Fingernägel meiner rechten Hand kleiner als die meiner linken, stellte sie fest, was angeblich bedeutet, dass meine Intellektseite stärker ausgeprägt sei als meine emotionale. Sie hatte keine Ahnung, wie sehr ich jedes Mal bei der Telefonwerbung mit dem zahnlosen Opernsänger heule.

»Ich hab gehört, wir fahren mit nach Frankreich!«, holte mich Anastasius auf den Boden der Tatsachen zurück.

»Na ja, mal sehen!«, sagte ich durch die Zähne.

Ich versuchte, ihm per Augenaufschlag mitzuteilen, dass ich jetzt nicht darüber reden wollte. Vor allem nicht vor seiner Familie. Wie praktisch wäre jetzt eine kleine, aber eindeutige eurythmische Handbewegung gewesen.

»Das wird dir gefallen«, fing nun auch noch der Frauenarzt an. »Wir fahren da jedes Jahr hin, seit 1976!«

»Ich weiß nicht!« Hilfesuchend blickte ich Anastasius an. Doch der dachte gar nicht daran, mir beizustehen, sondern fiel in den Sprechgesang ein, den seine Klone anstimmten: »Mitkommen! Mitkommen! Mitkommen!« Dabei trommelten sie mit ihren abgerundeten Gabeln auf der pastellfarbenen Tischdecke herum und waren kurz davor, ein kompliziertes Jazzstück zu improvisieren, als ich mich schließlich geschlagen gab. Zumal ich nichts anderes geplant hatte; und im Sommer in Berlin rumzuhängen, macht keinen Spaß. Die Wasserflächen der Freibäder sind schlimmer von Öl verschmiert als die Nordsee nach einer Tankerkatastrophe, und in den übervölkerten Baggerseen muss man sich durch Schlingpflanzen und Schlamm kämpfen. Dann doch lieber ans Meer. Juhu! Urlaub! Und wenn's auch noch kostenlos ist ... wieso nicht? Diese esoterische Waldorffamilie werde ich schon aushalten. Dachte ich.

Zwei Tage und vier »piep, piep, piep« später packten wir alles in das geräumige Home-Mobil, das ich aus Spaß Homo-Mobil nannte. Mein Scherz wurde von den jüngeren Geschwistern mit besorgtem Kopfschütteln quittiert. Vollkommen spaßbefreit, diese Bande! Kaum hatten wir das Ortsausgangsschild passiert und den ersten Lorbeerblättertee aus der selbstgestalteten Thermoskanne genossen, hatte ich ein dringendes Bedürfnis. Eine Blasenentzündung. O nein, was kann es Blöderes geben auf einer vierzehnstündigen Autofahrt? Doch meine Bitte, kurz bei einer Apotheke anzuhalten, wurde nicht erhört. Stattdessen setzte sich Anastasius' Mutter neben mich und befahl mir, ihr meinen Fuß zu geben.

»Deine Blase will dir etwas mitteilen«, informierte sie mich, »deine Organe sind nicht im Einklang. Aber auf deiner Fußsohle ist eine Landkarte deines Körpers abgebildet. Wenn wir die Verspannungen in deinen Füßen lösen, wird auch deine Blase keinen Ärger mehr machen.«

Sie massierte, ich lachte, sie drückte, ich schrie. Dann presste sie mit aller Gewalt einen Punkt unterhalb meines großen Zehs. Mir schossen Tränen in die Augen – vor Schmerzen.

»Lass es raus. Die Verspannungen wandeln sich in Tränen und werden so aus deinem Körper geschwemmt.«

»Hör auf, das tut weh!«, sagte ich.

»Halt noch ein bisschen durch!«, mischte sich nun Anastasius ein und hielt mich fest. Die übrigen Geschwister stimmten ein christliches Lied an, und der Frauenarzt am Steuer sang die Terz drüber. Was sollte das werden, ein Exorzismus? Sollte ich meinen Kopf nach hinten schrauben und rückwärts die Treppe runterkrabbeln? Als mich die Waldorffamilie endlich losließ, war mein Harndrang vom pulsierenden Schmerz eines walnussgroßen Blutergusses überlagert. An der nächsten Tankstelle pumpte ich mich mit Aspirin voll und trank einen halben Liter Kaffee. Das half etwas.

In den Snackpausen gab es Muttis liebevoll geschmierte Pausenbrote ohne Kruste, obwohl keines der Kinder unter zwölf war und der Frauenarzt wahrscheinlich auch noch kein Gebiss trug. Auf den Schnittchen umspielte immer ein Salatblatt ein Scheibchen Bärchenwurst oder Weichkäse, das wiederum von einem rosettenförmigen Radieschen und etwas Gartenkresse aus eigenem Anbau gekrönt wurde.

Am Morgen des nächsten Tages erreichten wir Südfrankreich. Das Dorf hieß »La Jenny«. Warum die älteste Tochter Jenny heißt, war damit geklärt. Am Ortseingang stand »Domaine Residentiel Naturiste«. Schön, dachte ich, die Bewohner hier sind sehr naturverbunden. Auch bei den ersten nackten Menschen, die uns auf den mit weißen Steinchen bestreuten Wegen entgegenkamen, glaubte ich noch, sie kämen gerade vom Strand und hätten ihre Badehosen verloren. Doch als wir ausgepackt hatten und der Frauenarzt vollkommen selbstverständlich baumelnden Geschlechts in den kleinen Supermarkt ging, wurde mir schockartig klar: Ich war in einem Nudisten-Camp gelandet. Ich habe ja so grundsätzlich nichts gegen FKK. Immerhin bin ich Ossi. Bei uns war das normal. Wir hatten ja nichts. Aber ein ganzes Dorf, nackt? Das ist echt der Hammer. Oben ohne sonnen: okay. Oben ohne reiten gehen und dabei die Elastizität der Brüste testen: nicht okay. Es gab nackte Golfspieler, die mit ganz anderen Handicaps zu kämpfen hatten als Bekleidete. Denn das Durchschwingen eines Golfschlägers macht ulkige Dinge mit dem menschlichen Körper. Menschen jeden Alters gingen nackt einkaufen, machten nackt Yoga und Bogenschießen, spazierten nackig romantisch am Strand, und wenn es abends kalt wurde, warf man sich ein bauchfreies T-Shirt über. Hauptsache, das Geschlecht war für jedermann sichtbar. So wie Gott sie schuf sehen alle Menschen irgendwie lustig aus. Die alte Frau da oben muss Humor gehabt haben.

Die Waldorfler waren so was wie die Adeligen von »La Jenny«. Alle kannten sie. Wir gingen barbusig Billard spielen und zum Unten-ohne-Karaoke. Zum Glück konnte ich mich immer mit meiner Blasenentzündung herausreden und wenigstens mein Allerheiligstes bedecken. Jenny hingegen stand eines Nachmittags auf der Terrasse vor mir mit einer ganzen Tube Enthaarungscreme auf ihrer Bikinizone und fragte mich allen Ernstes, ob ich ihr beim Abschaben helfen könne. Ich verwies sie auf ihren Vater, der mache das doch beruflich, und flüchtete. Anastasius war sogar noch weichgespülter als sonst. Er bastelte mir gefühlte 80 Muschelketten und schleppte allerhand Zeug vom Strand mit ins Ferienhaus. Seetang, gestrandete Schuhe, alte Autoreifen, Krebse und Seesterne. Damit gestaltete er Schreibhefte, Wandbilder, und aus getrocknetem Seetang versuchte er, einen Pullover zu häkeln. Abgesehen davon war Sex unsere einzige Beschäftigung. Viel mehr hatten wir eh nicht gemeinsam, wie ich auf dieser Reise feststellen musste. Aber auch die körperliche Liebe verging mir, als seine Eltern eines Morgens mit uns über die Stellungen des Kamasutra sprechen wollten und uns einschlägige Literatur empfahlen. Haben die denn gar keine Scham, außer der offensichtlichen?

Nach einer Woche hatte ich die Schnauze voll. Ich hatte genug davon, nicht zu wissen, wo ich hinschauen soll, wenn ich jemandem begegnete. Ich peilte immer das Gesicht an, aber irgendwie schaut man doch automatisch auf irgendeine Stelle am Körper, wenn man nachdenkt oder so. Ich ertappte mich, wie ich gedankenverloren Anastasius' Schwester auf die Brüste starrte, während sie mir von ihren selbstgetöpferten Visitentellern erzählte. Ich musste hier raus. Also sagte ich Anastasius, dass ich zurück trampen wolle. Er konnte das überhaupt nicht verstehen, schließlich fühlte er sich sehr geborgen. Beim Abendessen musste ich mein Anliegen dem Familienrat kundtun. Zu meiner Überraschung stieß ich auf Verständnis. Ich hätte mich sowieso nicht so richtig in die Gruppe integriert, weil ich beim Volleyballspielen auf Badebekleidung bestand. Außerdem habe man gemerkt, dass ich mich unwohl fühlte. Ich sei wohl einfach noch nicht so weit. Nach meiner letzten Nacht in »La Jenny« bekam ich ein paar anthroposophische Schnittchen geschmiert und wurde zur nächsten Autobahnauffahrt gefahren. Anastasius ließ mich übrigens alleine lostrampen. Weichei!

Ein französischer Student nahm mich mit nach Paris. Von dort ging's mit dem Zug nach Nürnberg und dann mit dem »Berlinienbus« nach Hause. Ich hatte knapp 30 Stunden nicht geschlafen. Es ist mir unbegreiflich, wie Jack Bauer aus 24 in diesem Zustand noch Terroristen verhören und Atombomben-Explosionen verhindern kann. Ich scheiterte bereits daran, die Kopfhörer meines MP3-Players zu entwirren. Wie ein Zombie aus Die Nacht der lebenden Toten kam ich am frühen Morgen in Berlin an. Meine Augenringe hätten einem Pandabären Konkurrenz gemacht. Halb tot betrat ich meine Wohnung und war unsagbar glücklich, wieder in meiner schmuddelig-gemütlichen Bude ohne Pastelltöne und Weleda Naturkosmetik zu sein.

Ich genoss den Sommer dann doch auf dem Badeschiff und an sumpfigen Textilstränden und weiß jetzt bei Liebeskummer die heilenden Kräfte des Berliner Naturschlamms zu würdigen.

Die Politik-Barbie

Was ist denn heute nur los? Ich habe das Gefühl, alle Unterschriftensammler, Flyerverteiler und Klingelbüchsenklapperer des Planeten haben sich zwischen meiner Wohnungstür und der Uni postiert, um mich abzufangen. Nachdem ich nachts um 7.30 Uhr von den Zeugen Jehovas geweckt wurde, darf ich auf dem Weg zur U-Bahn gegen den Walfang unterschreiben, für ein Kinderheim spenden, bekomme von der SPD eine Rose und von der FDP einen gelb-blauen Taschenrechner geschenkt und kann gerade noch vor einer Gruppe militanter Abtreibungsgegner flüchten, die Mini-Plastik-Embryos unter die Leute bringen wollen. Es scheint, als gäbe es keine Chance, sich nicht mit Politik zu beschäftigen.

Schon zu DDR-Zeiten, als Jungpionier, habe ich versucht, mich weitestgehend rauszuhalten, und übernahm lediglich den Posten als Wandzeitungsredakteurin. Diesen war ich allerdings schnell wieder los, weil ich in der zweiten Klasse ein Bild aus der Micky Maus anpinnte, die mir meine Oma aus dem Westen mitgebracht hatte. Ich verstand überhaupt nicht, wieso das bunte Bild einer Maus solch einen Ärger anzetteln konnte. Es gab Belehrungen vom Direktor, und meine Eltern wurden verhört. Zur »Festigung meiner sozialistischen Gesinnung« musste ich einen Vortrag über Marx und Engels halten. Dabei war ich für ein Kind extrem sozialistisch eingestellt. Ich liebte besonders die Zeugnisausgabe und den Schulanfang, wenn wir unsere gebügelten Pionierblusen anzogen. Alle waren gleich, das mochte ich. Ich hatte sogar ein kleines Pionierkäppi, das ich voller Stolz trug, obwohl es mich bereits mit acht Jahren in modische Bedrängnis brachte. Ich konnte mich nämlich am Maifeiertag nicht entscheiden, ob ich lieber das militärische Schiffchen oder das blütenförmige Tüllhaargummi tragen sollte, das mir meine russische Brieffreundin Swetlana geschickt hatte. Auch im Sozialismus konnte man ein real existierendes Fashion-Victim werden. Beim Gummihopsen erfand ich eine neue Hüpftechnik, die ich »Ernst Thälmann« nannte. Und von der Mauer erfuhr ich erst, als sie fiel.

Natürlich wusste ich, dass wir nicht in den Westen reisen durften. Das war nur meiner Oma erlaubt, weil sie dort Verwandte hatte. Deshalb dachte ich, im Westen würden nur alte Menschen leben. Mir war ganz und gar nicht bewusst, dass mein kleines Heimatland eingemauert war. In der ostdeutschen Provinz sah man die Grenze ja nie. Erst als der antifaschistische Schutzwall löchrig wurde, kam ich bewusst mit Politik in Berührung. Am Abend des neunten November renovierten wir gerade unser Wohnzimmer und hatten die Qual der Wahl zwischen den Trabi-Farben delphingrau und atlasweiß, die wir als Bückware unter dem Ladentisch erstanden hatten. Da verlas Schabowski die berühmten Worte auf der Pressekonferenz. Meine Mutter ließ den Pinsel fallen und kommentierte trocken: »Lasst uns noch warten. Ich glaube, es gibt bald noch mehr Farben.«

Gleich am nächsten Tag fuhren wir nach Berlin. Wir waren erst einen Monat zuvor dort gewesen. Zum 40. Geburtstag der Republik. Ich hatte unbedingt Erich Honecker zuwinken wollen. Wie gesagt, ich war echt sozialistisch sozialisiert. Ist ja auch klar, wenn der Typ in jedem Klassenzimmer hängen darf (im Gegensatz zu Micky Maus), muss man den ja interessant finden. Doch der auf der Tribüne grüßende Opi mit der Zitterstimme und der Fellchapka wirkte selbst ein wenig wie eine Comicfigur.

Das Passieren des Grenzübergangs ist mir komplett entfallen. Eingeprägt in mein achtjähriges Hirn hat sich hingegen unser sogenanntes kleines Familienwunder: Am U-Bahnhof Friedrichstraße ging meine damals vierjährige Schwester Caro in der Menschenmenge verloren. Meine Mutter schrie nach ihr, aber es war kein Durchkommen. Also hoben die Leute hinter uns die Kleine hoch, und sie wurde über den Köpfen zu meiner Familie durchgereicht. Ich war ein wenig neidisch auf Caro. Wer kann schon behaupten, im zarten Alter von vier Jahren Stage-Diving gemacht zu haben?

Alles war so bunt. Meine Mutter hatte recht. Die DDR war schwarz-weiß gewesen, der Westen in Farbe. Ich kann mich auch nicht entsinnen, vor 1989 jemals Schokolade gegessen zu haben. Und jetzt gab es Tausende Sorten, mit eingängigen Namen und lustigen Bildern darauf. Meine ersten Duplo- und Hanuta-Verpackungen klebte ich sogar in ein Sammelalbum. Wie Alice die Tür zum Wunderland öffnet, so öffnete ich die Tür zum Westen. Träume wurden wahr. Und dabei ging es nicht darum, all die schönen Dinge zu besitzen. Allein, sie bloß anzusehen, machte mich glücklich.

Das wichtigste Symbol der Wendezeit wird für mich immer eine Barbiepuppe sein. Ihr hohler Kunststoffleib verkörpert den westlichen Wohlstand. Aus rot wurde pink. Russische Matroschka-Püppchen hatte ich zuvor zwar auch geliebt, aber kein junges Mädchen möchte jemals so werden: kleiner Kopf, riesiger Bauch und nur zur Reproduktion da. Barbie ist das Gegenteil: Ihre Taille ist anatomisch utopisch, es sei denn, man entfernt die Hälfte aller Rippen und die Milz. Der Atombusen müsste sie vornüberkippen lassen, und ihr Becken ist alles andere als gebärfreudig. Für mich war sie trotzdem der Inbegriff der idealen Frau. Riesige rosa Regale glitzerten mich an. Ein pinkfarbener Spielzeugaltar forderte meinen bedingungslosen Glauben an langes, blondiertes Haar und die perfekten Plastikmaße.

Barbie ist Prinzessin, Meerjungfrau, Astronautin. Es gab Pferdekutschen, Barbies Traumhaus, das Hawaii-Zubehör sowie Kleider und winzige Pumps, die schicker waren als alles, was meine Mutter in ihrem Ost-Kleiderschrank hatte. Ich stand unter Hypnose und traute mich nicht, etwas anzufassen. Es war zu kostbar. Am zehnten November 1989 bekam ich dann meine erste Puppe, und diese Politik-Barbie war mir damals tausendmal wichtiger als Reisefreiheit oder ein Staat ohne Repressalien. Hätte ich vorher gewusst, dass mich von Barbies Wunderwelt eine Mauer trennte, so hätte ich sie vermutlich selbst eingerissen.

Sogar meine erste sexuelle Erfahrung machte ich mit einer Kenpuppe. Ich konnte es kaum erwarten, Barbies Lover mit der Gummifrisur nach Hause zu bringen. Ich rannte in mein Zimmer und schaute heimlich nach, wie er unter dem pinken Smoking aussah. Enttäuscht entdeckte ich lediglich einen Plastikschlüpfer. Mein erster nackter Wessi – und er hatte kein Geschlecht.

In der Nachwendezeit veränderte sich einiges. Zunächst einmal hatten wir samstags keine Schule mehr. Dann verschwanden einige Lehrer, weil sie bei einem Verein namens Stasi gewesen waren. Konnte eine Organisation mit Spitznamen wirklich so schlimm sein? Auch mein Lieblingssportlehrer musste dran glauben, weil er uns regelmäßig gefragt hatte, ob die Uhr im Fernsehen Striche oder Punkte hat.

Um meinen neunten Geburtstag herum verteufelte die allgemeine Stimmung alles, was aus dem Osten kam, und huldigte den Westprodukten, vor allem: Elektronikartikeln, Nahrungsmitteln und bunten Klamotten. Späte-80er-Jahre-DDR-Klamotten waren ja schon schrecklich genug, Frühe-90er-Jahre-West-Klamotten aber noch furchtbarer. Mein Vater trug mit Begeisterung eine türkisfarbene Jogginghose aus Polyester zu weißem Tennisshirt und brauner Lederjacke. Der Rücken meiner Mutter wurde so breit wie der eines Bodybuilders, weil ihre Schulterpolster Dallasartige Ausmaße annahmen. Meine Schwester und ich hatten Steghosen und Longpullis mit Disneymotiven (jetzt durften wir ja). Ich trennte mich von meinen geliebten Pionierblusen und Nickis und schmiss sogar das Tüllhaargummi meiner Brieffreundin weg. Schade eigentlich.

In den nächsten Jahren hatte ich mit Politik dann nicht mehr viel zu tun. Ich entwickelte lediglich ein latentes Misstrauen gegenüber reichen Wessis. Nicht nur wegen ihrer Plastikschlüpfer, sondern weil sie zwielichtige Geschäfte in Ostdeutschland aufbauen wollten. Wie Pilze schossen Versicherungsgesellschaften und Versandhausagenturen aus dem Boden der blühenden Landschaften. Das Urvertrauen vieler Ostler wurde ausgenutzt und sie zu Opfern einer kapitalistischen Abzocke, die nach dem Schneeballprinzip funktionierte.