Wer wird denn da gleich sterben?  Drei Krimis in einem eBook - Tanja Griesel - E-Book
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Wer wird denn da gleich sterben? Drei Krimis in einem eBook E-Book

Tanja Griesel

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Beschreibung

Drei Hobby-Detektivinnen mit viel Witz und Verstand: Der humorvolle Krimi-Sammelband »Wer wird denn da gleich sterben?« jetzt als eBook bei dotbooks. Was haben das kleine Dörfchen Rothard, die Provence und die Halbinsel Eiderstedt gemeinsam? Richtig, hier geht man zum Lachen garantiert nicht in den Keller – denn dort findet man ja bekanntlich Leichen … Maxi Kaiser hat sich ihren Traum erfüllt und eröffnet ein Restaurant, mitten in der tiefsten deutschen Provinz. Die weltgewandte Köchin muss sich fortan mit dezent verrückten Dorfbewohnern rumschlagen – bis ihr Ex-Freund, ein berühmter TV-Koch, tot aufgefunden wird und Maxi eine Zweitkarriere als Detektivin beginnt … Auch die Bestsellerautorin Teresa fängt an, auf eigene Faust zu ermitteln, als ihrem leicht langweiligen Sommerurlaub in der Provence durch einen skurrilen Mord endlich etwas Leben eingehaucht wird … Dorfpolizist Hinnerks plagt zwar auch die Langeweile auf Eiderstedt – aber als er in einem echten Mordfall ermitteln soll, wird ihm das Ganze dann doch etwas zu viel. Zum Glück bekommt er tatkräftige Unterstützung durch die verführerisch schlaue Hauptkommissarin Denkewitz aus Husum! Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Sammelband »Wer wird denn da gleich sterben?« enthält die humorvollen Krimis »Nur eine Prise Mord« von Tanja Griesel, »Teresa Jung und der tote Nachbar« von Lena Sand und »Tote Oma mit Schuss« von Christiane Martini. Ein herrlich amüsantes Lesevergnügen für alle Fans von Tatjana Kruse und Richard Osman! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Was haben das kleine Dörfchen Rothard, die Provence und die Halbinsel Eiderstedt gemeinsam? Richtig, hier geht man zum Lachen garantiert nicht in den Keller – denn dort findet man ja bekanntlich Leichen … Maxi Kaiser hat sich ihren Traum erfüllt und eröffnet ein Restaurant, mitten in der tiefsten deutschen Provinz. Die weltgewandte Köchin muss sich fortan mit dezent verrückten Dorfbewohnern rumschlagen – bis ihr Ex-Freund, ein berühmter TV-Koch, tot aufgefunden wird und Maxi eine Zweitkarriere als Detektivin beginnt … Auch die Bestsellerautorin Teresa fängt an, auf eigene Faust zu ermitteln, als ihrem leicht langweiligen Sommerurlaub in der Provence durch einen skurrilen Mord endlich etwas Leben eingehaucht wird … Dorfpolizist Hinnerks plagt zwar auch die Langeweile auf Eiderstedt – aber als er in einem echten Mordfall ermitteln soll, wird ihm das Ganze dann doch etwas zu viel. Zum Glück bekommt er tatkräftige Unterstützung durch die verführerisch schlaue Hauptkommissarin Denkewitz aus Husum!

Eine Übersicht über die Autorinnen finden Sie am Ende dieses eBooks.

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Sammelband-Originalausgabe Dezember 2020

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Eine Übersicht über die Copyrights der einzelnen Romane finden Sie am Ende dieses eBooks.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock / visionteller / Ase / Krivosheev Vitaly / Ugorenkov Aleksandr / Valentin Agapov sowie © Pixabay / susannp4 / anaterate

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (CG)

ISBN 978-3-96655-076-5

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Wer wird denn da gleich sterben?

Drei Krimis in einem eBook

dotbooks.

Tanja GrieselNur eine Prise Mord

Maxie Kaiser hat das geschafft, wovon viele Köche nur träumen können: Im idyllischen Dörfchen Rothard hat sie ihr eigenes Gourmetrestaurant eröffnet und feiert erste Erfolge. Nur die spießigen Dorfbewohner bleiben der Fremden gegenüber mehr als reserviert und machen ihr das Leben schwer. Als dann auch noch bekannt wird, dass Maxie vom Starkoch – und ihrem ehemaligen Liebhaber – Rolf Bauer für eine Fernsehkochshow engagiert werden soll, schlägt die Stimmung in Neid und echte Feindseligkeit um. Und dann kommt Bauer bei einem Unfall ums Leben ...

Rolf Bauer

»Ein klassisches Menü ist wie eine gut erzählte Geschichte: Das überraschende Zusammenspiel der Speisen ergibt am Ende eine raffinierte Komposition. Ich trinke vor dem Essen gern einen Anisschnaps. Wussten Sie, dass Pernod früher das Nervengift Thujon enthielt?«

Kapitel 1Amuse-gueule

»Ein Menü besteht aus dreizehn Gängen. Ich weiß noch, wie Maxie auf diese These reagiert hat. Sie hat gelacht, mich regelrecht ausgelacht. Aber was für ein Lachen! Ihrem Lachen hätte ich stundenlang lauschen können.

Vielleicht hast du dich verzählt, sagte sie, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. Mädchen, antwortete ich und strich ihr eine Locke aus dem Gesicht. Meine Finger fuhren an ihrer Wange hinunter zum Kinn und verweilten dort.

Sie sah mich an. Ihre großen hellen Augen ließen mich nicht mehr los. In diesem Moment war sie mir verfallen. Oder ich ihr?

Also dreizehn Gänge, sagte ich. Nicht mehr und nicht weniger. Ich werde mich hier nicht auf Diskussionen einlassen, ob der Mokka am Schluss dazugehört oder nicht. Er ist unverzichtbar. In meinen besten Jahren kochte ich mehr als dreizehn Variationen hintereinander, ohne den Gaumen meiner Gäste zu langweilen. Ich setzte den Maßstab. Das ist zwanzig Jahre her. Und heute?

Fangen wir ganz klein an. Etwas Melisse. Etwas Salz. Maxie kennt sich ausgesprochen gut mit Pflanzen aus. Sie hütet ihre Wildkräuter so wie ich mein weißes Gold. Ich trage immer eine kleine Menge eines von Hand geernteten Salzes bei mir. Die fragilen Körner verströmen nicht erst beim Kauen den Duft des Atlantiks. So manches Essen konnte ich damit noch retten. Auch ein schlichter Happen kann es mit der richtigen Würze in sich haben.«

Erdäpfel rot-weiß

Blaue Schweden (Idaho Blue, Blaue Kongo)

weiße Melisse, Fleur de sel

Die Erdäpfel in hauchfeine Scheiben schneiden. Eine Stunde in kaltem Wasser einweichen, damit die Stärke ausgeschwemmt wird. • In der Pfanne zusammen mit den Melisseblättern in heißem Fett ausbacken, auf Küchenkrepp abtupfen und auf einem weißen Teller in Blumenform anrichten. • Mit Fleur de sel bestreuen.

Maxie hatte Rothard nie verlassen. Städter bestaunten sie wie ein exotisches Gewächs. Ihre Nachbarin hatte sie dagegen erst neulich als lästiges Unkraut beschimpft. Vermutlich hatte sie recht. Für die Bewohner von Rothard war sie Unkraut, das an der Wurzel gepackt und ausgerissen werden müsste.

Maxie schmunzelte. Keine schlechte Vorstellung. Unkraut. Sie eine stachlige Distel. Eine geheimnisvolle blaue Dolde. Tief verwurzelt in dem von Heimat durchtränkten Boden, war sie robust, langlebig und schön.

Ja, der Vergleich gefiel Maxie. Egal, was passiert, sie würde dem Dorf trotzen. Sie würde Rothard nie verlassen. Ihre Wangen glühten.

Wasserdampfschwaden waberten durch die Luft und nahmen Maxie fast den Atem. Einzelne Haarsträhnen klebten an ihrer Stirn. Das Kondenswasser an den weißen Kacheln perlte und zog lange Streifen.

Sie hielt die heiße Pfanne direkt unter den Wasserstrahl. Fett und Wasser besprenkelten ihr poolblaues Kleid. Sie zog es aus und warf es auf den Wäschehaufen vor der Tür. Später würde sie auch ihren dünnen Unterrock abstreifen. Sie sehnte sich nach einer Dusche. In dem engen Raum war es so heiß wie an Schlachttagen in der elterlichen Waschküche. Maxie ließ ungeachtet der Fliegen und Mücken, die in Scharen hereinkamen und um die Neonröhre unter der Decke surrten, Türen und Fenster offen stehen. Der erste kühle Windzug traf ihre nackte Haut. Das tat gut. Die allabendliche Routine abspulend, nahm sie ein Tuch und polierte die Kacheln.

Mannstreu nannte der Volksmund die gemeine Distel. Warum ihr das jetzt einfiel, war ihr vollkommen schleierhaft. Ohne dass sie es wollte, waren ihre Gedanken bei Rolf Bauer, und es gelang ihr nicht, sie wieder einzufangen.

***

Das musste aufhören. Er taxierte eine Weile das Pils mit der schnell einfallenden Schaumkrone. Nicht einmal das Bier kriegen die hier ordentlich gezapft. Er kippte es hinunter. Natürlich wäre ihm ein Glas kühler Hochheimer Hölle lieber gewesen.

Der herb bittere Geschmack des Bieres zerstreute seine Gedanken. Es war das letzte Mal, schwor er sich. Es stank nach altem Fett und Schweiß und, sein Blick fiel auf die Stiefel seines Nachbarn, nach Mist. Das war der Grund dafür, dass Deutschland ganz oben auf der Skala des europäischen Bierkonsums stand. An Orten wie diesem war man mit einem Bier auf der sicheren Seite.

Und es gab einfach zu viele dieser Orte.

Der Durchschnittsfranzose trank fast doppelt so viel Wein im Jahr wie der gemeine Deutsche. An jeder Ecke in Frankreich gab es ein gut zubereitetes Poulet Celestine, vielleicht sogar ein Huhn aus der wald- und seenreichen Bresse, und hinterher Poires au vin rouge. Jedes Wirtshaus von Marseille bis Nizza hatte eine schmackhafte und, Rolf Bauer hob triumphierend den Zeigefinger, »frische«, sagte er laut in den blauen Dunst, Bouillabaisse auf der Speisekarte zu bieten. Da konnte der Putz von der Decke bröckeln und die Kakerlaken auf den Tischen Tango tanzen, aber nach der feinsämigen Brühe mit Fisch, der als solcher in Form und Textur auch noch zu erkennen und zu schmecken war, leckte sich Rolf Bauer alle Finger. Er sah sich im Geist auf einem filigranen Stühlchen auf altem Marseiller Kopfsteinpflaster sitzen, wo der Patron des Bistros persönlich die dampfende Terrine kredenzte. Eine Brise Mittelmeer in der Nase und ein temperierter Chateauneuf-du-Pape auf der Zunge. Savoir vivre! Deutschland verhielt sich zu Frankreich wie Tütensuppe zu einer dreifach geklärten Rinderconsommé.

Der frankophile Rolf Bauer seufzte wehmütig, leerte sein Bier und rülpste. Nach der langen Fahrt in dieses Kaff fühlte er sich wie ausgetrocknet. Er bestellte das nächste Pils. Der Sender hat nur ein begrenztes Budget, äffte er die leitende Redakteurin nach. Na, wo leben wir denn? Seine flache Hand klatschte auf die Theke. Er war Mitte fünfzig, das Leben war noch längst nicht vorbei. Die goldenen Achtziger hatten ihn mit seiner Kolumne »Der gute Geschmack« bekannt gemacht, und er war immer noch gut, und sein Geschmack auch, verdammt noch mal. »Brillant!«, presste er hervor und trank. Seine Geschmackssensoren funktionierten tadellos. Er hatte sie jahrelang wie einen Hochleistungssportler trainiert.

Mit verschränkten Armen beugte er sich wieder über sein Bier. »Der König des guten Geschmacks«, so hatte ihn eine Fachzeitschrift vor vielen Jahren einmal getauft, als er sich als einer der Ersten für die Ideen Carlo Petrinis einsetzte. Heute war dieser Titel, ebenso wie der damals neu geprägte Begriff slow food, zur Worthülse verkommen. »Wag den Sprung ins neue Jahrtausend«, riet ihm sein Verleger, ein arrivierter Vertreter der kulinarischen Fachpresse, mit einem unverbindlichen Lächeln auf dem Gesicht, »dann sehen wir weiter.«

Wie gern hätte er ihm in die Fresse gehauen, stattdessen war er aus dem gläsernen Besprechungszimmer geschlichen und hatte die Tür geräuschlos hinter sich geschlossen.

Er hob sein Glas und trank. Die Bitterstoffe des Bieres hatten mittlerweile seinen Gaumen betäubt. Das machte die goldklare Flüssigkeit nicht wohlschmeckend, aber der Alkohol zeigte Wirkung: Er bestellte noch ein Pils.

»Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!«, prostete ihm sein Nachbar in dem verwaschenen Jeanshemd zu. Rolf Bauer leerte sein Glas.

Mit steigendem Alkoholpegel im Blut beschloss er, sich seinem Schicksal zu fügen. Gut, zurzeit spielte er nur in der Kreisliga. Aber das musste ja nicht so bleiben. Kochen gehörte zum Lifestyle. Die Menschen gierten nach Kochformaten, Sterneköchen und Gourmetikonen. Der Verschleiß war enorm. Er würde dem hungrigen Publikum ein neues Gesicht präsentieren.

Maxie, da war er sich sicher, konnte die Extravaganz und Einmaligkeit der regionalen Küche ganz nach vorn bringen. Ein neuer Trend. Das Konzept stand bereits. Und Maxie war formbar. Er würde sich darum kümmern, am besten heute Abend noch.

Er sah auf die Uhr. Dann fiel sein Blick auf die Frau am Zapfhahn. Zum ersten Mal an diesem Abend nahm er das hübsche Geschöpf hinter der Theke wahr. Er grinste breit. Nun gut, Maxie konnte noch ein Stündchen warten. In diesen Kuhkäffern gab es mehr als einen Diamanten zu schleifen. »Wollen Sie zum Fernsehen?«, fragte er, richtete sich auf und zog den Bauch ein.

***

Über ihrem Kopf funkelten die Sterne stecknadelgroß und zum Greifen nah. Das Telefon klingelte in der Ferne. Maxie ließ es klingeln. Ihr Bedarf an Kommunikation war für heute gedeckt. Sie legte den rostigen Hebel um und hielt den Blick auf den Großen Wagen gerichtet. Das warme Wasser war bald aufgebraucht und wurde langsam kalt, eiskalt. Sie tänzelte mit den Füßen auf der Stelle, bis der Rasen unter ihren Sohlen ganz weich war.

***

Für Rolf Bauer hatte der Abend eine unerwartete Wendung genommen. Die Frau arbeitete nicht nur im Gasthaus Specht, sie wohnte auch hier. Er folgte ihr über die rustikale Treppe nach oben. Ein schlichtes Zimmer mit einem großen Bett unter der Dachschräge erwartete ihn. Vielleicht war es ihr Pferdeschwanz. Sie mimte die Unschuld vom Lande, und das machte ihn heiß. Er hatte Freude daran, sie zu berühren. Seine Finger fuhren über ihre Haut, als testete er die Ware für ein ganz besonderes Menü. Makellos. Er küsste sie auf den Mund und fuhr mit der Zungenspitze bis zu ihren Brustwarzen. Jetzt verfluchte er die letzten drei Pils. In den penetranten Bierdunst mischte sich noch ein weiterer Geruch, der seine Nasenflügel reizte. Sie roch nach kaltem Rauch. Die Farbe ihrer Haut entpuppte sich bei näherem Hinsehen als grau, ihre Fingerspitzen waren gelblich verfärbt. Sie achtet nicht gut auf sich. Sie ernährt sich schlecht. Rolf Bauer spürte, dass er nicht mehr ganz bei der Sache war. Den Anflug von Enttäuschung versuchte er zu verdrängen, indem er die Augen schloss. Er konzentrierte sich auf die Wahrnehmung in den unteren Körperregionen. Als er in ihr kam, stöhnte sie theatralisch, und er konnte einfach nicht anders, als laut zu lachen. Sie war eine schlechte Schauspielerin. Aber er war auf seine Kosten gekommen. Als sie sich eine Zigarette anzündete, ergriff er die Flucht.

Gut gelaunt schlenderte er die Dorfstraße hinunter, den Pullover über die Schultern gelegt. Hier gab es keine U-Bahn- oder Stadtpläne, die er hätte lesen können, noch nicht einmal Straßennamen. Allein der Mond, der hier und dort bleich zwischen den Bäumen hervorblitzte. Aber Rolf Bauer war sich seiner Sache sicher. Das Waldstück musste bald zu Ende sein. Es war nicht mehr weit. Der Weg endete so abrupt, dass er nicht mehr rechtzeitig zum Stehen kam. Nur wenige Meter nach der letzten Baumreihe ging es in die Tiefe.

Während er fiel, zog sein Leben nicht wie im Zeitraffer an ihm vorbei. Sechsundfünfzig Jahre, die in diesem Moment keine Rolle mehr spielten. Wie im Daumenkino sah er eine schnelle Abfolge von Speisen, die ihm etwas bedeutet hatten. War da nicht noch ein Hauch von Lavendel an getrüffelten Pommes de terres, die er heute Mittag in seinem Berliner Stammlokal genossen hatte? Ein Königreich für eine schnöde Kartoffel!

Rolf Bauer stürzte und brach sich das Genick.

***

Als die Redakteurin anrief, fischte Maxie gerade die letzten Walnüsse aus dem heißen Erdnussöl. Wo waren die schwarzen Sesamsamen? Eben stand die Dose noch links neben dem Herd.

»Vermutlich hat Herr Bauer schon mit Ihnen Kontakt aufgenommen …«

»Bauer?«, Maxie vergaß ihre Samen.

Die Frau am anderen Ende räusperte sich. »Ich bin die Redakteurin der Sendung ›Bauer sucht Koch‹. Und Sie sind unser Koch, pardon, unsere Köchin.«

Bingo. Ein Sechser im Lotto.

Schweigen.

»Frau Kaiser?«

Schweigen.

»Sind Sie noch dran?«

Maxies Gedanken überschlugen sich.

»Konnten Sie mir folgen?«

»Ich? Ins Fernsehen?«

Maxie nahm die Pfanne vom Herd.

»Sie sind unser Geheimtipp.«

»Ich arbeitete daran, dass sich das ändert. Schließlich lebe ich davon.«

Die Redakteurin lachte. »Wir bringen Sie groß raus. Sie werden sehen. Das Format ist hip und Sie sind es auch.«

»Hip?«

»Ja. Erfolgreich.«

»Erfolgreich«, wiederholte Maxie.

In ihrer Erinnerung sah sie Rolf Bauer vor sich, wie er prüfend, ja, geradezu herablassend seine Nase in ihre Töpfe steckte.

»Das ist Definitionssache«, antwortete sie.

Rolf Bauer hatte damals die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als er den großen schweren Emailledeckel lüftete und sah, wie sie den Fisch pochierte. »Wie kann man das einer Forelle antun?«, rief er entsetzt. »Zu wenig Säure!« Kurzerhand schüttete er die Brühe in den Ausguss, als wäre es Abwaschwasser. »Das wäre sowieso nichts geworden.« Er packte Maxie an den Schultern und sah sie eindringlich an. »Mädchen, der Fisch war lange genug im Wasser. Garen, meine Kleine, über dem Dampf garen, grillen oder gratinieren. Er muss etwas Farbe und Geschmack annehmen. Verstehst du das?« Und er berührte mit drei Fingern seiner rechten Hand zaghaft ihre Stirn. Seit diesem Moment hatte sie das Gefühl, sie sei von ihm gezeichnet, als hätte seine Berührung ein Mal auf ihrer Stirn hinterlassen. Eine Jüngerin. Maxie strich sich eine Locke aus den Augen. Dabei wäre sie gern mehr für ihn gewesen.

»Und was halten Sie nun davon, Frau Kaiser?« Laucht-Hemmers Stimme klang ungeduldig.

Maxies Blick erfasste die Dose Sesamkörner, die immer noch links vom Herd stand. »Wann wollen Sie herkommen? Oder muss ich zu Ihnen?«

»Nein, nein. Unser Experte Rolf Bauer ist schon vor Ort.«

Maxie streute Sesam über die karamellisierten Walnüsse, aber die feinen Samen hafteten nicht mehr an den Nüssen. Sie hatte zu lange gewartet.

Bis man den Toten fand, vergingen etliche Stunden. Ein Hubschrauber der in der Nähe stationierten Fliegerstaffel hatte auf einem seiner Übungsflüge den Leichnam registriert, der wie eine unachtsam weggeworfene Puppe in einer Sandkiste lag. Die Nachricht vom Tod eines Fremden in der Sandgrube verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Ort. Es kam zu einem Verkehrsstau auf der engen Zufahrtsstraße.

Als Maxie die Autoschlange sah, trat sie heftig auf die Bremse. Ihre signalrote Lederhandtasche rutschte vom Beifahrersitz, und der Inhalt verteilte sich auf der von Schlamm verkrusteten Fußmatte. Dann stand der Wagen. Maxie sah die Dorfbewohner am Rande der Grube stehen, dicht aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur. Maschinen hatten sich in den letzten Jahren tief in den Berg gefressen.

Der Wald wurde mehr und mehr zurückgedrängt, Felder nicht länger bewirtschaftet. Riesige Sandkrater waren entstanden. Und der Hunger war noch lange nicht gestillt. Die Firma Eckstein & Sohn hatte bereits weitere Wiesen und Äcker gekauft. Maxie ließ ihren Blick über die zerklüftete Landschaft schweifen. Sie sah die feinen Adern, die sich durch das Gestein zogen, die Farbschattierungen des Sandes von Kalkgrau bis Goldgelb. Instinktiv legte Maxie die Hand auf den Bauch. Damals hatten sie in der Sandgrube gespielt.

»Du traust dich nicht!« Juliane hatte laut gelacht, so provozierend, wie nur sie es konnte.

Maxie stand am Rand eines Sandplateaus.

»Das traust du dich niemals.«

Maxie sah sie an.

Juliane grinste.

Sie sprangen synchron.

Der freie Fall dauerte nur einen Wimpernschlag. Juliane hatte laut geschrien, aber es klang nicht ängstlich.

Sie hatte kein Recht dazu, mutig zu sein, dachte Maxie zornig.

Wie ein Stein lag Maxie auf dem Sandboden. Sie hatte versucht, den Sprung mit den Knien abzufangen, war aber von der Wucht des Aufpralls zu Boden gerissen worden.

Sie unterdrückte einen lauten Schrei und hielt sich den schmerzenden Knöchel.

»Ich habe gestern mit Reiner geknutscht.«

Maxie starrte ins Leere, konzentrierte sich darauf, die Tränen zurückzuhalten.

Juliane grinste. »Dann hat er mir unter mein Shirt gefasst. Hättest du das gedacht?« Sie kicherte.

»Da hat er ja nicht viel gefunden«, presste Maxie hervor und betastete ihren Fuß.

»Mehr als bei dir, sagt Reiner. Und der muss es ja wissen, oder?«

Juliane winkte den Jungs zu. Dann sah sie Maxie aus ihren unschuldigen Puppenaugen an: »Dann habe ich sein Teil berührt.« Sie lachte. »Und stell dir vor, er kam sofort. Sekundenorgasmus.«

Maxie schloss die Lider und spürte die salzige Tränenflüssigkeit. Es brannte. Diese Demütigung würde sie ihr nie verzeihen. Am liebsten hätte sie Juliane gleich hier in der Sandgrube lebendig begraben.

Kapitel 2Hors d’œuvre froid

»Schon die Römer schätzten Vorspeisen. Obst und Käse galten als Appetitanreger für zwischendurch. Aber die Speiseabfolge war noch recht einfach. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis Raffinesse und Vielfalt in der europäischen Küche Einzug hielten. Den Franzosen, wem sonst, haben wir das zu verdanken: Entenleber mit Trauben und Weißweingelee, Gänseleber mit Périgord-Trüffel in Madeira, Stopfleber roh mariniert auf Blattsalat. Ach, das Périgord ist meine Welt! Aber warum in die Ferne schweifen? Das Gute liegt so nah.«

Fruchtiger Liebessalat mit Gewürzlachs

Kapuzinerkresse, Brunnenkresse, Sauerampfer, glatte Petersilie, Kerbel, Ringelblume (Calendula), Heidelbeeren

Vinaigrette

Johannisbeeren, Balsamico, Dijon-Senf, Olivenöl,

Pfeffer und Salz

Gewürzlachs

frisches Lachsfilet, Salz, Pfeffer, Senfkörner, Nelke, Piment, Thymian, Fenchel, Anis, Lorbeer, Wacholder, Koriander

Beeren und Salat gut waschen und trocken tupfen. Alle Zutaten für die Vinaigrette mit dem Stabmixer pürieren und mit etwas Zucker abschmecken. • Den Lachs zehn Stunden im Kühlschrank zusammen mit den Gewürzen marinieren. • Der Salat wird auf dem Teller aufgefächert, dazu Heidelbeeren und zwei Löffel Vinaigrette, den Fisch in die Mitte betten, dann eine dunkle Blüte der Kapuzinerkresse dazulegen. Das Tellergericht können Sie am Ende mit den Blüten der Calendulablume garnieren.

Rolf Bauer. Der Mann, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging. Seine Haare an den Schläfen immer etwas zu lang und seit Jahren grau, das dunkle Deckhaar aus der Stirn gegeit. Unrasiert, aber nicht ungepflegt. Weißes Hemd, Manschettenknöpfe, Sakko. Durchdringende helle Augen, sein prüfender Blick, spitze Lippen, Finger, die alles, was sie kriegen können, in den Mund schieben. Unersättlich. Maxie angelte sich einen Lippenstift. Sie verteilte die Farbe auf der vollen Unterlippe und presste die Oberlippe darauf. Mit dem Finger zog sie den Amorbogen nach. Ihre Augen wanderten dabei zwischen Rückspiegel und Unfallstelle hin und her. Nirgendwo ein weißes Hemd zu sehen. Was hatte sie auch erwartet?

Maxie erkannte den hochgewachsenen Ortsvorsteher, daneben ihren Nachbarn. Der eine sah durch einen Feldstecher und reichte ihn nun dem anderen, der sich strecken musste, um einen Blick in die Grube werfen zu können.

Auch Juliane war da. Sie ist wie Maxie in Rothard aufgewachsen. Die meiste Zeit ihres Lebens haben die beiden zusammen verbracht, ob sie nun wollten oder nicht. Als Juliane arbeitslos wurde, hat Maxie ihr einen Job als Aushilfskellnerin in der Rothardhöhe angeboten. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Frauen war nicht immer einfach.

Juliane warf ihre strohgelbe Mähne in den Nacken und legte die Hand auf die Hüfte, als probte sie eine Pose. Grußlos taxierte Maxie ihre Freundin. Überall Schaulustige. Ganz Rothard war auf den Beinen. Waren Erwins Rinder ausgebüchst? Gab es ein neues technisches Ackergerät zu bestaunen? Oder hatte die Firma Eckstein über Nacht einen neuen Krater gerissen? Maxie konnte nichts erkennen. Die Gaffer versperrten ihr den Weg. Sie sah auf die Uhr. Ihr Zeitplan geriet durcheinander. Sie konnte es sich nicht leisten, hier herumzutrödeln. Energisch wendete Maxie ihren schwerfälligen Kastenwagen, ruderte mit dem Lenkrad rechts, links, wieder rechts über Fahrbahnränder und Schlaglöcher, als säße sie in einem schwankenden Kahn. Sie ärgerte sich über ihr ungelenkes Wendemanöver.

Maxie stieß einen Schrei aus und trat auf die Bremse. Beinahe hätte sie Martin über den Haufen gefahren. Er hob die Arme hoch und schimpfte.

»Martin!«, herrschte sie den schlaksigen Mann mit den braunen schulterlangen Haaren an. »Du stehst mitten auf der Straße!« Typisch, Martin!

Martin zeigte seine fast perfekte Zahnreihe, nur ein Eckzahn stand immer noch etwas schief. »Du meinst, ich hätte lieber den Hochstand nehmen sollen, wie damals.«

»Lass die alten Kamellen!« Maxie hatte nun wirklich keine Zeit, in Erinnerungen zu schwelgen. »Was ist denn hier eigentlich los?«

Martin hob die Schultern und sagte: »In der Sandgrube ist irgendetwas passiert.«

Maxie hakte nicht weiter nach. »Ich muss los!«

»Sehen wir uns die Tage?«

»Komm vorbei, Herr Landschaftsarchitekt. Ich habe eine Menge Arbeit für dich.«

Martins dunkle Augen verfolgten jede ihrer Bewegungen.

»Es ist spät.«

Ohne Martin noch einmal anzusehen, ließ sie die Kupplung kommen. Sie fuhr ein Stück geradeaus und bog dann scharf rechts in einen Feldweg ein. Die Räder rutschten weg, sie nahm den Fuß vom Gas, der Wagen hoppelte über ein Schlagloch. Dann trat sie das Pedal durch.

Die schmale Straße grub sich durch Senken, stieg an, fiel wieder ab. Schnell konnte sie nicht fahren. Irgendwann teilten sich die Baumreihen und gaben den Blick ins Tal frei. Nichts erinnerte mehr an das Unglück in der Grube. Alles war wie immer. Rothard lag Maxie zu Füßen. Bevor sie ins Dorf hinunterfuhr, streifte ihr Blick den Waldrand. Das Rothardplateau war umgeben von Bäumen, schlank und hochgewachsen, die wie Wachsoldaten das Dorf umringten. Wenn man nichts in Rothard verloren hatte, verirrte man sich auch nicht hierher. Es gab eine Straße in den Ort hinein und wieder hinaus. Eine Sackgasse. Das Ende der Welt. Und zugleich exklusiv. Keine Bundesstraße, die sich fadengerade durchs Land zog und von unbedeutenden Käffern am Straßenrand gesäumt wurde. Wer einmal nach Rothard gefunden hatte, vergaß den Namen nicht wieder.

Als Maxie von der Hauptstraße rechts abbog, um dann von hinten auf den Hof der Rothardhöhe zu fahren, trat sie zum zweiten Mal an diesem Tag heftig auf die Bremse. Ein parkendes Auto versperrte ihr den Weg. Maxie ließ das Fenster herunter und rief laut: »Juliane!« Juliane hatte die schlechte Angewohnheit, ihren klapprigen Fiat Panda an den unpassendsten Stellen zu parken. Mitten auf dem Hof! Sie rief noch einmal laut nach ihr. Aber es half nichts, Maxie musste heute vor dem Haus die Einkäufe ausladen. Kaum hatte sie die Heckklappe geöffnet, spürte sie auch schon Elvira Böhms Blick im Nacken. Nicht nur die Bäume hielten hier Wache. Ihre Nachbarin pflegte seit dreißig Jahren ein konstantes Übergewicht, trug die immer gleichen Lockenwickler im Haar und bis heute die Kittelschürzen, die Maxie schon aus ihrer Jugend kannte: die unifarbene blaue in der Woche, die geblümte am Wochenende und die weiße mit Spitze an Festtagen. Elvira Böhm lebte allein mit ihrem Sohn in dem verklinkerten Haus an der Dorfstraße. Der Maurer, Fliesenleger und Tapezierer Kurt Böhm hatte das Haus mit seinen eigenen Händen erbaut. Maxie erinnerte sich vage an den schmächtigen Mann mit dem schütteren Haar und den verstaubten Klamotten. Eines Morgens stand er vom Frühstückstisch auf, wünschte Elvira und dem kleinen Erwin einen schönen Tag und fiel auf die frisch importierten italienischen Fliesen. Er war sofort tot.

Das Leben der Böhms war seitdem wie konserviert.

Erwin war zwar mittlerweile erwachsen und in die Höhe geschossen, aber das war auch schon die tiefgreifendste Veränderung im Hause Böhm.

Jeden Samstag putzte Elvira Böhm auf den Knien die Marmorfliesen, damit die Zeit hier keine Spuren hinterlassen konnte. Maxie war sich sicher, dass auch die Sitzgarnitur im Wohnzimmer noch mit Decken verhüllt war, so wie früher, um das Polster zu schonen. Sogar die Holzbank vor dem Haus wurde durch einen Plastiküberwurf geschützt. Bestünde die Möglichkeit, Elvira Böhm würde das gesamte Haus mit einer Wetterschutzfolie versiegeln. Christo und Jeanne-Claude hätten ihre wahre Freude daran. Der einzige Haken an einer solchen Verhüllungsaktion: Der Ausblick auf die andere Straßenseite wäre getrübt. Kaum auszudenken. Elvira Böhm schätzte die unverstellte Sicht auf ihre Nachbarn.

Ob Maxie das Haus verließ oder betrat, morgens die Fenster zum Lüften öffnete oder die Post entgegennahm: Frau Böhm war immer auf ihrem Posten. Ihr Blick ließ sie nicht los. Eine Palette Sahne. Eine Kiste Tomaten. Darauf stapelte sie Pasta, Rucola, Fenchel. Unter Frau Böhms Beobachtung hatte sie immer das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Ich habe dafür bezahlt, ehrlich«, rief sie über die Straße. Elvira Böhm schüttelte empört den Kopf und knallte das Fenster zu. Jetzt fehlte nur noch Werner Schmidts Höllenhund. Aber von dem ewig schlecht gelaunten und psychisch labilen Hund mit traumatischer Tierheimvergangenheit war nichts zu sehen. Noch nicht. Maxie schaute sich noch einmal um, bevor sie die nächste schwere Einkaufskiste die Stufen hinauf schleppte. Zanderfilet, Kalb, Kräuter. Sie hatte das ungute Gefühl, etwas vergessen zu haben. Ihre grauen Zellen arbeiteten, aber ihre Synapsen fanden den Anschluss nicht. Sie klemmte sich die Kiste zwischen Armbeuge und Hüfte, dabei kullerten ein paar Zitronen auf die Straße. Was hatte sie bloß vergessen? Sie konnte so viele Einkaufszettel schreiben, wie sie wollte, im Labyrinth der hoch aufgetürmten Waren ließ sie sich doch von Angeboten locken, vom Strom der Einkaufenden treiben, von Menge und Masse anziehen. Maxie prüfte, roch, schmeckte und strapazierte ihre Sinne aufs Äußerste. Sie dachte an die runzligen Kartoffeln im Keller ihrer Eltern. Gammelige Reste, die bis zur neuen Ernte hartnäckig aufgebraucht sein mussten. Sie schmeckten bereits im Januar fade und muffig.

Maxie kochte mit erstklassiger Ware. Sie ließ die Kartoffeln durch ihre Hände gleiten, spürte Unebenheiten, Augen, Verwachsungen und sortierte die schönsten aus. Heute hatte sie eine alte deutsche Sorte gekauft. Ein seltener Fund. Nirgendwo sonst wurde der Verlust der Vielfalt so deutlich wie bei Kartoffeln. Viele regionale Sorten waren einfach verschwunden. Die Blaue Schweden fiel Maxie sofort ins Auge. Dunkelviolett stachen die Knollen auf dem grünen Flies des Marktstandes hervor. Sie sahen aus wie angemalt. Maxie schätzte den kräftigen Geschmack der ovalen Knolle, auch wenn die Farbe gewöhnungsbedürftig war. Der Zellfarbstoff Anthozyanin verflüchtigte sich noch nicht einmal beim Kochen. Violette Kartoffelscheiben in Fett frittiert. »Ein eyecatcher«, hatte Rolf Bauer die Chips genannt und einen nach dem anderen bedächtig in den Mund geschoben, als hätte er einen Löffel feine kaspische Perlen vor sich oder eine andere Sorte teuren Kaviars. Maxie hatte noch nie einen Mann erlebt, der sich dem guten Essen so verschrieben hatte wie Rolf Bauer. Alles an ihm, jede einzelne Pore, atmete Genuss pur. Maxie seufzte.

Genuss war nur in Verbindung mit Qualität zu haben. Leider konnte sie niemanden in Rothard überzeugen, die Blaue Schweden für sie anzubauen. Immerhin eine alte Sieglinde und eine milde Granola waren hier aufzutreiben und Maxie eine dankbare Abnehmerin dieser festkochenden Kartoffel. Es wäre schön, alles frisch und in erstklassiger Qualität ins Haus geliefert zu bekommen, vielleicht sogar direkt aus dem Ort. Aber dieses Nest hatte den Anschluss verpasst. Niemand hatte die Weichen für die Zukunft stellen wollen. Ökologischer Landbau? Die Bauern hatten sie ausgelacht. Für eine pestizidfreie heimische Gartenfrucht musste sie wie für eine ungespritzte Zitrone oder eine Biotraube eine halbe Stunde Fahrtzeit in Kauf nehmen. Maxie fühlte sich ausgelaugt. Sie schnaufte, als sie die letzte Kiste hochhob. Mit dem Fuß stieß sie die Autotür zu. Da stand er, der Rottweilermischling, und sah ihr herausfordernd in die Augen. Er schob ihr seine feuchte Nase zwischen die Beine. Maxie wehrte die Attacke mit der Kiste ab. Der Hund schnappte nach ihr. In Zeitlupe bewegte sich Maxie rückwärts auf die Haustür zu. Der Hund knurrte. In Gedanken ging sie ihre Möglichkeiten durch. Ein Schlag auf die empfindliche Nase? Wohin dann mit der Kiste? Die Hundeschnauze bohrte sich wieder in ihre Waden. Ihm die Kiste überbraten? Dafür war ihr der Inhalt zu kostbar. Sie wich aus. Er blieb dran. Maxie spürte die leichte Vertiefung in der Mitte der Steinstufen. Ein einziger Schritt trennte sie noch von ihrer Haustür. Sie ließ den Hund nicht aus den Augen. Dann setzte sie kräftig ein Bein vor. Ihr Knie schlug gegen seinen Unterkiefer, und sie hörte sein Gebiss knacken. Sie nutzte den Moment, um ins Haus zu kommen, und knallte ihm die Tür direkt vor der Nase zu. Sein Gebell schlug an wie die Schimpftiraden des Herrchens. »Man muss auch mit Enttäuschungen leben lernen, Fiffi!«

Mit jedem Schritt fing Maxie die Geschichte dieses hundert Jahre alten Hauses ein. Hier hatte Minna ihr gesamtes Leben verbracht. Mit dem Haus und mit Minna war Maxie eng verbunden. Schon als Kind hatte sie sich hierher geflüchtet, wenn es ihr zu Hause zu eng wurde. Minnas Tür stand immer für sie offen.

Auch wenn es nicht Maxies Elternhaus gewesen ist, war ihr doch jeder Winkel vertraut. Sie wusste, dass man sich nur ins Haus schleichen konnte, wenn man die siebente Parkettdiele im Flur übersprang: Sie knarrte zu laut. Sie wusste, dass sich die Schokolade in der alten Brotdose neben dem Herd befand und dass Minna sofort merkte, wenn etwas fehlte. Sie wusste, wie wunderschön der Ausblick aus dem runden Dachfenster war, das man nur über einen schmalen Stieg erreichte. Und sie wusste auch, dass Minna all ihre Schätze im alten Gewölbekeller aufbewahrte. Unzählige Kräuter hingen hier von der Decke. Gewürze, Heilkräuter, Giftpflanzen. Es wurden kaum Worte darüber verloren, und doch lernte Maxie alles, was sie wissen musste, von der alten Minna. Maxies Mutter interessierte sich nicht für Kräuter und Pflanzen. Sie schimpfte über das Unkraut im Garten und auf den Wegen und riss achtlos alles aus, was Minna liebevoll sammelte und sorgfältig trocknete. Die Mutter hatte keine Zeit für diese Dinge. Sie arbeitete auf dem Feld, im Wald, in der Stadt. Gekocht wurde ohne viel Aufwand. Kartoffelbrei mit brauner Soße gehörte zu den frühen kulinarischen Erinnerungen ihrer Kindheit. Grobgekörntes Pulver aus der Tüte, Bockwurst aus dem Glas, Hühnerbrühe aus der Dose. Die zweifelhaften Errungenschaften der modernen Küche hatten in den siebziger Jahren auch Rothard nicht verschont. Die alte Minna aber blieb ihrem Kochstil treu. In der Küche wurde immer noch verarbeitet, was der Garten hergab. Dazu wurde an Sonntagen ein Stück Fleisch gereicht, natürlich von einem Tier, das sie großgezogen und am Ende selbst geschlachtet hatte. Ein Essen zuzubereiten verlangte Handarbeit. Zeit und Geduld waren die Tugenden, die man vor allen anderen dafür benötigte.

Damals wie heute fiel die Außenwelt von Maxie ab, sobald sie nur die Schwelle überschritten hatte. Ihr Reich. Ein Hauch Politur wehte ihr in die Nase, mit der schon die alte Minna den hellen Holzboden behandelt hatte. Stundenlang durfte der Boden nicht betreten werden. Wachs und Spiritus. Als Kind hatte Maxie den Geruch aufgesogen. Die Fliesen glänzten bis zur nächsten Behandlung, als wären sie mit Schwarte gefettet.

Maxie wollte das Haus endlich kaufen. Die alte Minna hatte es ihrem Neffen, Georg Böhm, hinterlassen. Der wusste nicht recht, was er mit dieser Erbschaft anfangen sollte. Ein schiefes altes Fachwerkhaus am Fuße des Rothardhügels war nicht gerade eine gefragte Immobilie.

Maxie hätte es längst kaufen sollen.

»Ich will dieses Haus!«, erklärte sie laut, und die Unterschrift auf dem Kaufvertrag kam ihr wie eine lausige Formsache vor. Dabei fiel ihr plötzlich ein, was sie vergessen hatte: Zitronengras. Zander ohne Zitronengras? Ein Desaster! In dem Moment stolperte Maxie. »Aua!« Sie hatte sich den Knöchel an einem schweren Umzugskarton gestoßen. Ein paar Tomaten kullerten über den Parkettboden. »Wer stellt denn auch den blöden Karton mitten in den Weg?«

»Ich habe ihn nicht angefasst«, Juliane trat in den Flur. Ein Blick in den Gastraum verriet Maxie, dass Juliane getrödelt hatte. Die Tische waren längst nicht alle eingedeckt. »Das ist dein Müll«, sagte Juliane.

Maxie drückte Juliane den Einkauf in die Hand. Sie ging in die Hocke, stemmte die Kiste in die Höhe und schleppte sie in die Küche. Sie begrüßte Berta und Hilde, ihre Küchenfrauen. Die eine schälte Kartoffeln, die andere putzte Möhren. Maxie zwängte sich mit der Kiste durch den engen Raum. Die Tür nach draußen stand zum Glück offen. Sie musste es nur noch um Julianes klapprigen Fiat herum schaffen. Sie spürte, wie der Inhalt immer stärker nach unten drückte. Kurz vor den Mülltonnen ging der Boden auf und der gesamte Plunder verteilte sich vor ihren Füßen. »Juliane!«, rief Maxie böse, »du sollst nicht immer auf dem Hof parken. Deine Rostlaube ist mir ständig im Weg!« Juliane lehnte an der Tür und schwieg. Maxie besah sich den Krempel auf dem Boden. Eine alte Häkeldecke, Korkuntersetzer, angeschlagenes Porzellan, vergilbte Bücher. Maxie ging in die Knie. Das Erste, wonach sie griff, war ein Buch mit speckigem Ledereinband. Sie schlug den Deckel auf. Es roch nach Schimmel. Maxie musste niesen. »Vorschriften über den Betrieb von Arznei- und Gifthandlungen, 1921«, las sie. Theodor Huml stand in altdeutscher Schnörkelschrift unten rechts.

Maxie nieste noch einmal. Warum nur hatte sie Theodor Huml in den letzten Jahren so sträflich vernachlässigt?

»Immer noch nichts von Bauer?«, fragte Laucht-Hemmer am anderen Ende der Leitung.

»Nein.« Maxie klemmte sich den Hörer zwischen Kinn und Schulter. »Jetzt wird es laut.« Sie warf den Zauberstab an. Knoblauch, Zwiebeln und Sellerie trieben ihr Tränen in die Augen. Laucht-Hemmer redete gegen den Lärm an. Dann war es still.

»Das ist merkwürdig, oder nicht?«, fragte Laucht-Hemmer besorgt. Maxie schniefte.

»Weinen Sie?« Laucht-Hemmer verlor für einen Moment den Faden.

»Ich arbeite.« Maxie sah zur Uhr. In einer Stunde kamen die Gäste.

»Seine Mailbox scheint er jedenfalls nicht regelmäßig abzuhören«, sinnierte Laucht-Hemmer.

Da ist er nicht der Einzige, dachte Maxie. Sie wusste noch nicht einmal, wo sie ihr Handy das letzte Mal gesehen hatte.

»Bitte richten Sie ihm aus, dass er sich in der Redaktion melden soll. Ich gebe Ihnen außerdem noch eine andere Nummer. Dort bin ich ab morgen zu erreichen.«

Jetzt spiele ich auch noch Sekretärin! Sie schnappte sich ein Handtuch, fingerte einen angekauten Bleistift zwischen den Gewürzdosen hervor und kritzelte die Nummer auf eine Rucolapackung.

Nach dem Telefonat fiel es ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ständig schaute sie zur Tür oder über ihre Schulter. Sie rechnete damit, dass Rolf Bauer jeden Moment hinter ihr stehen könnte.

Dabei benötigte Maxie für den nächsten Akt besonders viel Ruhe und Konzentration. Sie hob den farblosen Kasten, als hantiere sie mit hochgiftigen Chemikalien. Die Ware stammte aus einer Aquakultur aus Griechenland, nicht ihre erste Wahl, aber ihr Händler aus Frankreich hatte in dieser Woche einen Engpass. Vorsichtig hob sie den Styropordeckel. Es knisterte zwischen ihren Fingerspitzen. Sie bekam augenblicklich eine Gänsehaut. Aus tiefdunklen Knopfaugen starrten sie die schlanken Körper von ihrem kühlen Bett aus an, das Maul leicht geöffnet, als hätte sie der tödliche Schlag aus einer anregenden Konversation gerissen. Maxie packte die Schwanzflosse und spülte den Wolfsbarsch kalt ab. Vorsichtig tupfte sie mit einem Küchenkrepp über die tief silbergrauen Schuppen, die sich zum Bauch hin fast weiß färbten. Eine der beiden Rückenflossen sah aus wie die Oper in Sydney, dachte Maxie. Fächerartig gezackt ragte sie majestätisch empor. Das nächste Mal würde sie den Loup de mer im Ganzen zubereiten. Jetzt aber musste Maxie dem Schönling erst einmal den Garaus machen. Mit einem schnellen Schnitt zog sie das frisch geschärfte Messer direkt hinter dem Fischkopf nach unten. Sie machte einen leichten Bogen und traf auf Widerstand. Maxie arbeitete sich flach auf der Mittelgräte entlang in Richtung Schwanz und spürte, dass ihre Kraft nicht ausreichte, um den Schnitt zu Ende zu bringen. Blind griff sie zum Brotmesser. Der Wellenschliff sägte sich in das Fleisch, und auf ihrer Hand lag das Filet. Maxie ging schnell und konzentriert vor, wendete, löste das nächste Filet heraus, wiederholte die Prozedur. Sie sah nicht, dass Juliane im Hof bereits die fünfte Zigarette rauchte und das Auto immer noch nicht weggefahren hatte, hörte nicht, worüber sich Berta und Hilde angeregt unterhielten, und roch auch nicht die rauchheiße Butter, die auf die Filets wartete. Bevor sie am Ende den Fisch in die Pfanne legen konnte, musste sie die Hitze wieder etwas zurücknehmen und einen Moment warten. Das Timing hätte besser sein können, dachte sie.

Die gedämpften Gespräche und das spitze Gelächter der Gäste unterlegten Maxies Bewegungen. Sie wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher als ein Publikum für ihre Kunst. Eine Bühne, und sie wäre Regisseur und Akteur in einer Person.

Die zischenden Spritzer verbrannten ihre Unterarme. Der Schmerz riss sie aus ihrem Rausch. Einige Sekunden lang briet sie die steakgroßen Stücke des Wolfsbarsches an und beträufelte sie mit Zitronensaft, ließ sie dann unter einem Deckel gar ziehen. Das milchweiße Stück Fisch auf dem Kartoffelgitter war für das bloße Auge kaum zu unterscheiden von der aufgetauten Massenware aus dem Supermarkt. Aber Maxie hoffte inständig, dass der Geschmack über die Herkunft und Zubereitungsart des Edelfisches Auskunft gäbe.

Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, als sie die Himbeersoße auf den Teller träufelte. Sie wedelte mit dem Geschirrtuch und trieb Juliane zur Eile an. Jede Portion musste warm serviert werden. Das war doch nicht zu viel verlangt! Sie sah, wie Juliane gedankenverloren nach den ersten beiden Tellern griff. Sie hielt sie viel zu schräg. Die Soße zog einen langen hässlichen Streifen bis zum Tellerrand. Maxie riss Juliane die Teller aus der Hand. Sie war wütend, aber sie sparte sich einen Kommentar. Das war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für einen Streit. Juliane blieb gelassen und sagte: »Das ist doch kein Drama.«

Maxie sah ihr nach und zog die Augenbrauen hoch. Jetzt konnte sie nichts mehr tun. Den Verlauf ihres kulinarischen Bühnenstückes überließ sie nun ihren Gästen.

***

»Guter Sex«, Rolf Bauer rollte sich zur Seite und nahm sich eine übrig gebliebene Baguettescheibe. Der darauf kalt gewordene Roquefort zerbröckelte leicht. Dazu angelte er sich ein Stück Birne, das an den Rändern bereits braun geworden war, »… ist wie gutes Essen.«

Maxie kroch langsam wie ein Kätzchen auf ihn zu.

»Du kannst wohl immer.«

»Danke.« Er schob das Amuse-gueule in den Mund. »Das ist kalt.«

Maxie verzog das Gesicht. »Gib her!« Sie stand auf und entsorgte die Reste in der Küche.

»Und wie guter Wein.«

Rolf Bauer tastete auf dem Boden nach seinem Glas. Im Schein der Kerze schwenkte er die schwere Flüssigkeit. Maxie beobachtete ihn. Er sah nicht alt aus, eher geheimnisvoll. Vielleicht war das die spärliche Beleuchtung. Sein nackter Körper, die wirr abstehenden Haare. Das war nicht mehr der arrogante Kritiker, den er bei Tageslicht so gern gab. Er lag auf dem Bauch, den Blick immer noch auf das Glas gerichtet, als könne er darin lesen, wenn er nur lange genug hineinsah. Sie legte sich auf seinen Rücken und fuhr ihm mit den Fingerspitzen durchs Haar.

***

Maxie wusste jetzt, was sie wollte, aber sie hatte sich zu viel Zeit gelassen. Die Rothardhöhe war ein Erfolgsrezept. Sie hätte das Haus längst kaufen sollen. Endlich bekam sie ihren Steuerberater ans Telefon.

»Haben Sie sich den Pachtvertrag durchgesehen?«

Günter Kaufmann antwortete nicht. Stattdessen zündete er sich erst einmal eine Zigarette an und ließ sie warten. Ein Stuhl, der verrückt wurde. Das Rascheln von Papier. Ein Räuspern.

»Der Pachtvertrag läuft in knapp zwei Jahren aus.« Er ließ die Nachricht wirken, bevor er fortfuhr: »Sie sollten in die Verhandlungen eintreten.«

»Wie viel wird er verlangen?«

»Jetzt kostet es Sie auf jeden Fall mehr als vor acht Jahren.«

»Gibt es auch gute Neuigkeiten?«

»Das ist Ihr Verdienst.«

»Ich möchte das Haus unbedingt kaufen, aber kann ich mir das leisten?«

»Sie haben die laufenden Kosten, Nebenkosten, Personal et cetera.« Kaufmann zog an seiner Zigarette und fuhr fort: »Es kommt auf den Kreditrahmen und die Konditionen an. Sie könnten deutlich mehr als die momentane Pacht aufbringen.« Er räusperte sich wieder. »Etwas weniger Geld in die Haute couture und dafür etwas mehr in die Haute cuisine zu investieren, wäre ein guter Anfang.« In diesem Punkt ließ Maxie nicht mit sich reden. Sie kochte so, wie sie sich wohl fühlte. Im Abendkleid oder gar nicht.

»Und das Grundstück?«

»Klären Sie, ob Ihr Verpächter nur den Gesamtkomplex verkaufen möchte. Sie brauchen eigentlich nur das Haus. Es sei denn, Sie vergrößern sich.« Wieder ließ er sich Zeit. »Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Nehmen Sie einen günstigen Kredit auf. Kaufen Sie, bauen Sie. Stellen Sie noch jemanden ein. Erweitern Sie. Gehen Sie neue Wege. Sonst bleibt auch die Rothardhöhe nur eine Dorfklitsche.«

»Alles hängt an Böhm«, Maxie raufte sich die Haare. »Ich habe keine Ahnung, wie ich die Sache mit ihm angehen soll.«

»Bringen Sie ihn auf Ihre Seite«, antwortete Kaufmann.

»Ein Mal Pommes rot-weiß.«

Maxie stand draußen am Tisch bei einer Gruppe Mountainbiker. Die vier Freizeitsportler sahen sie an, als käme sie von einem anderen Planeten. Das dänischblaue Seidenkleid passte perfekt zu Maxies Augenfarbe.

»Sind Sie die Köchin?«, fragte einer aus der Gruppe ungläubig. Die Gäste in ihren hautengen atmungsaktiven Shirts blickten sie hungrig an.

»Sie sehen nicht aus wie die Köchin.«

Warum sollte sie wie eine Köchin aussehen? Jeden Tag in weißer Kochjacke mit Stehkragen? Wie langweilig. Sie war keine Ärztin, sie war Köchin.

»Lammkarree mit gebackenen Drillingen.«

»Kartoffeln kriege ich auch zu Hause.«

»Danach Karamellwalnüsse an Mangosorbet.«

»Ich will Pommes.«

»Tut mir leid. Das hier ist keine Imbissbude.« Maxie spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. Mit fettigen Fritten konnte sie nicht aufwarten.

Die Männer wurden ungehalten.

»Keine Pommes? Was soll das denn? Der Kunde ist doch König!«

»Pommes gibt es überall!«

Maxie verschwand kurz hinter der Theke und kramte in einer Schublade. Die Biker ließen ihre Blicke nicht von ihr. »Hier.«

Maxie reichte ihnen das Angebot vom Dönerimbiss. Und lächelnd fügte sie hinzu: »Die liefern auch.«

Das war vermutlich etwas voreilig. Welcher Imbiss fuhr freiwillig für ein paar Pommes zwanzig Kilometer in die Pampa? Aber es reichte, um diese Banausen zum Schweigen zu bringen.

Bis auf die Biker waren alle Gäste satt und zufrieden. Maxie belohnte sich mit Schokolade. Sie schob sich gerade zwei Pralinen auf einmal in den Mund, als Juliane mit einem Stapel Teller in die Küche kam. Maxie hielt ihr die Schachtel unter die Nase. Juliane drehte angewidert den Kopf zur Seite: »Behalt deine Stimmungsaufheller für dich!« Wortlos drückte sie Berta das Geschirr in die Hand.

»Wie dumm von mir. Deine miese Stimmung ist sogar immun gegen Drogen. Aber ich brauche das. Und es erspart mir den Cannabisanbau.«

Maxie biss die Pistazie von einer der kleinen Schokoladenbomben ab. Obwohl Maxie und Juliane die einzigen Mädchen in ihrem Jahrgang in Rothard gewesen waren, war zwischen ihnen nie Freundschaft entstanden.

Julianes eisblaue Augen sahen sie kalt an: »Dann musst du das Zeug schon kiloweise in dich hinein futtern!«

»Ich bemühe mich.«

Maxie nahm eine weitere Praline, schnippte die Pistazie von der Haube, steckte sie in den Mund und presste kauend hervor: »Bald bin ich high!«

Juliane hob den Kopf, als wollte sie etwas erwidern, besann sich und räumte stattdessen die vom Spülen noch handwarmen Kaffeekännchen in eine große Schublade.

Mit einiger Verzögerung erwiderte sie:

»In Schokolade haben Wissenschaftler den Rauschstoff Anandamid nachgewiesen. Dieser Stoff hat ähnliche Eigenschaften wie das THC der Cannabispflanze.«

»Eigene Erfahrung?«, fragte Maxie zuckersüß, obwohl Juliane als pharmazeutisch-technische Assistentin vermutlich wusste, wovon sie sprach. Der Apotheker, für den sie fünfzehn Jahre lang gearbeitet hatte, war letzten Sommer in den Ruhestand gegangen. Es gab keinen Nachfolger.

War sie Mutter Theresa? Sie hatte immer nachgegeben. »Maxie, bitte, bitte, lass mich abschreiben.« Und Maxie hatte Juliane das Heft zugeschoben. »Sag meinem Vater, ich übernachte am Wochenende bei dir, ja?« Maxie hatte brav genickt, als Böhm sie abfing. »War Juliane wieder an meinen Sachen?« Die alte Minna anzulügen, fiel Maxie besonders schwer. Aber für Juliane hatte sie es getan. Was verband sie miteinander? Maxie konnte die Frage lange Zeit nicht beantworten. Heute fiel ihr die Antwort leicht: Rothard hatte sie aneinandergekettet. Zwei Mädchen. Niemand sonst, mit dem man spielen, streiten, sich messen konnte. Seit frühester Kindheit waren sie zwangsläufig aufeinander bezogen. »Die beiden sind unzertrennlich. Eine echte Sandkastenfreundschaft«, urteilte die Kindergärtnerin. Überall tauchten Maxie und Juliane gemeinsam auf. Verkehrserziehung, Kinderturnen, Tanzkurs. Überall, wo sie hinkamen, wurden sie gefragt: »Seid ihr Geschwister?« Dabei sahen sie sich gar nicht ähnlich.

Ihre Wege trennten sich erst nach der Schulzeit. Aber noch heute besann sich Juliane gern auf ihre angebliche Freundschaft. »Maxie, wir hatten doch immer nur uns beide. Ich brauche dich jetzt.«

Es hätte noch gefehlt, dass Juliane vor ihr auf die Knie gefallen wäre. Das war nun fast ein Jahr her. Irgendwann musste Maxie den Schlussstrich ziehen.

Juliane schob mehrere Kännchen in der Schublade zusammen, um mehr Platz zu schaffen. Maxie starrte auf Julianes Pferdeschwanz, der im Takt ihrer Bewegungen hin und her wippte. Sie wirkte trotz ihres Alters immer noch mädchenhaft. Sie war einen Kopf kleiner als Maxie, zierlich und untergewichtig.

»Die Konzentration des Anandamid ist natürlich gering«, dozierte Juliane weiter. Maxie verdrehte die Augen. »Und? Gibt es für mich eine Selbsthilfegruppe?« Juliane wandte sich zu ihr: »Du bist ein hoffnungsloser Fall.« Sie presste die Lippen zornig aufeinander.

Maxie lachte.

Mit Schwung ließ Juliane die Schublade zurückfahren, wobei die Deckel auf den Kännchen hin und her wackelten.

»Vielen Dank für deine Prophezeiung«, Maxie wurde wieder ernst. »Solange du mir dafür keine Rechnung schickst …«

Juliane antwortete nicht. Stattdessen nahm sie das Geschirrtuch vom Tisch und pfefferte es auf den Turm fein säuberlich gestapelter frischer Handtücher. Der Turm wankte. Das oberste Geschirrtuch fiel und riss die anderen mit hinunter. Juliane stöhnte und stampfte quer durch die Küche, um ihren Fauxpas zu beseitigen.

Maxie liebte es, Juliane zu provozieren.

»Und überhaupt«, Juliane gab nicht auf, »du wirst zu fett.«

Maxie ließ Julianes Stichelei ins Leere laufen.

Die Biker hatten sich auf ein Wochenende in der Natur gefreut, Karten studiert und Informationen über Land und Leute eingeholt. Die Tour erwies sich als kräftezehrend. Die Wege um Rothard waren anspruchsvoll. Und die schwüle Hitze setzte ihnen zu. Sie waren ausgelaugt, am Ende. Ihr Bürojob in der Stadt erwies sich als unzureichendes Training für den kleinen Wochenendtrip. Jetzt standen sie mitten in der Einöde. Und die Rothardwirtin hatte sie gerade vor die Tür gesetzt. Was für eine Zicke! Das war unglaublich. Welche Sitten herrschten denn hier? Zu gern hätten sie sich zurück in die Zivilisation gebeamt, wo an jeder Ecke eine Würstchenbude oder zumindest eine Tankstelle mit Snackbar zu finden war.

Was nun? Weiterfahren? Oder einen letzten Versuch mit der Rothardhöhe wagen?

Durch die offenen Türen und Fenster verstand Maxie jedes Wort. Nein, tönte einer, mit dieser arroganten Ziege wolle er nichts mehr zu tun haben. Die könne sowieso nicht kochen. Das habe er gleich gesehen.

Maxies Blick fiel auf eine Reihe Kochbücher, die ihre Küche zierten. Das letzte Buch war ein in Leder gebundenes, altes Exemplar. Maxie schnalzte mit der Zunge. Theodor Huml hatte vermutlich eine originellere Antwort auf Pommes rot-weiß. Die arrogante Ziege gab sich einen Ruck.

»Pommes kann ich euch immer noch nicht anbieten.«

Maxie lehnte an der schweren Eichentür und sah auf die Biker herab, die auf den glutheißen Stufen der Rothardhöhe in der Sonne saßen. »Aber ein orientalisches Geschnetzeltes mit frischem Salat und dazu ein kühles Bier?«

Die Biker konnten sich keinen Reim auf Maxies Sinneswandel machen, aber das war ihnen egal. Sie spürten ihre hungrigen Mägen und willigten ein.

Maxie hatte sich spontan für Muskat entschieden. Mit dieser aus tropischen Gefilden exportierten Frucht sollte man in der Regel vorsichtig würzen. Sie hatte von Hobbyköchen gelesen, die statt einer Prise Muskat eine ganze Nuss an ihr Essen gerieben hatten. Danach hatten sie für vierundzwanzig Stunden das Gefühl, kopfüber an der Zimmerdecke zu kleben. Geringer Einsatz, große Wirkung!

Maxie würzte die Speisen ordentlich nach. Zur Chilischote gesellten sich zwei Teelöffel Muskat pro Person, dazu Kardamom und Zimt. Die Soße war sicher kein kulinarisches Meisterwerk. Der Geschmack war grenzwertig. Dazu reichte Maxie Reis und Salat.

»Es hat eine sehr würzige orientalische Note«, erklärte Maxie. »Das ist nicht jedermanns Geschmack. Aber Sie sind hier auch nicht irgendwo, sondern in Rothard.«

Während die vier ihr feuriges Allerlei aßen, stieg ihr Bierkonsum stetig. Der halluzinogen wirkende Bestandteil der Muskatnuss Myristicin in Verbindung mit Alkohol. Maxie war sich sicher, dass diese Mischung es in sich hatte. Welche Wirkung sie haben würde, konnte sie beim besten Willen nicht vorhersagen. Jeder Trip war anders.

Am Ende hatten die Biker nur noch Durst. Sie tranken jeder einen Liter Wasser und bestiegen ihre Räder. Sie waren sich einig, dass sie das erste und letzte Mal in Rothard gewesen waren. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, traten sie in die Pedalen.

Maxie winkte zum Abschied. Diese Gäste hatte sie wohl endgültig verloren. Lächelnd sah sie ihnen nach. Pommes rot-weiß, wie armselig.

Die vier Männer hatten nur schwer den Weg nach Rothard gefunden, aber der Weg zurück schien sie vor schier unlösbare Hindernisse zu stellen. Immer wieder musste die kleine Gruppe anhalten und die Karte studieren, ohne daraus schlau zu werden. Sie sahen die gewundenen Pfade auf der Zeichnung, ein undurchsichtiges Linienknäuel. Wie sollte man sich hier orientieren? Die Karte war wie ein Suchbild. Welcher der vielen verschiedenen Wege führte ans Ziel?

»Leute, wir haben zu viel Bier getrunken.«

Das war der letzte klare Gedanke, der in den nächsten vierundzwanzig Stunden einem von ihnen über die Lippen kommen sollte. Die vier sahen sich stumpfsinnig um. Ihre Kehlen waren ausgetrocknet. Die Wasserflaschen längst leer. Sie schwangen sich wieder in die Sattel. Also weiter. Geradeaus. Die Bäume rückten ein Stück näher zusammen. Sie fuhren in einer Kolonne hintereinander, Rad an Rad. Es war schwierig, die Balance zu halten. Bald würden sie schieben müssen. War das der richtige Weg? Die Zungen klebten am Gaumen. Je tiefer sie in den Wald kamen, desto blasser wurden die Farben um sie herum. Der erste fiel vom Rad. Die anderen purzelten auf ihn. Einer summte plötzlich ein Lied aus Kindertagen: »Hänsel und Gretel verirrten sich im Wald. Dort war es düster und auch sehr bitterkalt.« Weiter kam er nicht.

Später traf ein Wanderer auf die Schlafenden. Er alarmierte sofort einen Krankenwagen. Nach vierundzwanzig Stunden waren die vier Männer wieder auf den Beinen. Sie konnten sich nicht erklären, was mit ihnen geschehen war, aber Rothard haben sie nie wieder betreten.

Kapitel 3Potage

»Keine Ahnung, wie viele der Frauen, mit denen ich das Bett geteilt habe, unter Bulimie litten. Sie haben ihr Essen einfach wieder ausgekotzt. Babette war die schlimmste von allen. Muss ich sie Ihnen beschreiben? Der Wohlklang ihres Namens findet seine Entsprechung in den weichen Rundungen ihres Körpers. Sie war nicht dick, aber eine Frau namens Babette passt einfach nicht in Kleidergröße 36.

Babette sah das anders. Sie aß immer auf. Jeden verdammten Gang, nur um sich hinterher auf der Toilette einzuschließen. Mir wird heute noch ganz schlecht, wenn ich daran denke. Ich esse aus purer Lebensfreude, und ich liebe Frauen, die diese Leidenschaft teilen.

Warum ich Ihnen das alles erzähle? Ich weiß es auch nicht. Erlauben Sie mir die eine oder andere Sentimentalität. Wir sind immerhin schon bei der Suppe angelangt. Ein Suppenkasper war ich nie. Ich verweigere mich nicht. Meine Suppe habe ich immer aufgegessen.«

Geeiste Erbsensuppe im Glas

Petit pois (frische junge Erbsen), Gemüsefond, Pernod oder Absinth, Schalotten, Salz und Zucker

Kräuterpesto

Brennnessel, Sauerampfer Schlüsselblume, Pimpernelle, Wiesenbärenklau, Knoblauch, Pinienkerne

Die Zutaten für die Suppe pürieren und kalt stellen. Die Kräuter ebenfalls pürieren. • Pinienkerne anrösten und klein hacken. • Alles mit reichlich Olivenöl mischen. • Die eiskalte, aber noch nicht gefrorene Suppe in Gläser füllen und mit Pesto beträufeln. • Sofort servieren.

»Bauer sucht Maxie.«

Der Klang seiner Stimme versetzte ihr einen Stich. »Bleib, wo du bist. Ich bin gleich bei dir. Bitte, gib mir noch eine Chance.«

Auf den Überschwang folgte altbekannte Monotonie: »Wenn Sie mit dem Teilnehmer jetzt verbunden werden wollen, drücken Sie bitte die eins.« Sonntag, 22.09 Uhr.

Sie löschte die Nachricht. Ihr Herz klopfte. Die Nachricht war bereits mehrere Tage alt.

Nach zwei Jahren Funkstille besaß er die Frechheit so zu tun, als sei nie etwas gewesen.

»Das schmeckt wie aus der Chemieküche.« Sein Urteil war vernichtend. »Ich schmecke nur Glutamat. Überwürzt.«

Sie lachte. Warum musste er so übertreiben?

»Du lachst über mich?« Sein Ton schlug um.

Maxie konnte gar nicht aufhören zu lachen.

»Guter Geschmack ist Geschmackserziehung«, er versuchte ernst zu bleiben, aber seine Augen verrieten eine andere Sprache.

»Du willst mich erziehen?« Maxie setzte sich auf die Arbeitsplatte und spreizte die Beine.

»Dann bitte gleich hier.« Er ging auf sie zu.

Maxie legte den Kopf in den Nacken und bot sich ihm an. Er war ihr jetzt so nah, dass sie seinen Atem spürte. Aber er ließ sie zappeln. Als sie es nicht mehr aushielt, zog sie ihn an sich.

»Meinst du nicht, du könntest einfach nackt kochen?«, flüsterte er ihr ins Ohr und nestelte an den Knöpfen ihres Kleides.

»Lass mich das machen.« Maxie war vorbereitet.

Mit einer einzigen Bewegung streifte sie sich das Kleid über den Kopf. Darunter war sie nackt.

»Du lernst schnell«, attestierte ihr Rolf Bauer. Hungrig verschlang er sie wie eine vollreife Frucht.

Maxie senkte das Tranchiermesser ins Fleisch und sah zu, wie der klare Saft zum dunklen Fond in den Bräter tropfte. Sie schöpfte die Soße ab und kochte sie so lange ein, bis alle Aromen sich verdichtet hatten. Zum Schluss kam Salz hinzu.

Maxie tauchte ihre Finger in die sämige Farce, die sie zu kleinen Kugeln formte. Behutsam und doch schnell mussten die kleinen Hechtklößchen ins Kochwasser gesetzt werden. Es war das pure Vergnügen. Sie durfte jetzt bloß nicht zu viele gleichzeitig reinlegen. Sie bremste sich in ihren Bewegungen. Die runden Bällchen durften nicht wie Steine auf dem Boden versinken, aber auch nicht wild tanzen. Sie mussten garen, ohne zu zerfallen. Es war geschafft, als sie die Klöße mit der Kelle einfing und sie formschön auf ihr Weinschaumbett setzte. Ein Bild für die Götter!

Der Sündenfall jedoch war bereits vorprogrammiert. »Da fehlt Salz.«

Dabei hatte sie den Lachs in einer Courtbouillon leicht simmern lassen, indem sie unter dem Siedepunkt geblieben war. Das Fleisch hatte die Aromen des Bouquet garni aufgenommen. Maxie legte noch einen Stängel frischen Koriander dazu. Sie selbst schmeckte das saure Aroma von Weißwein und Zitrone heraus. Sie konnte am Geschmack erkennen, ob das Lorbeerblatt zu klein oder der Thymianzweig zu groß gewesen war. Dann gab sie einen Hauch Chili, etwas Abrieb einer frischen Ingwerwurzel und Zucker hinzu. Hier kam es auf Fingerspitzengefühl an. Das fein gegarte Julienne-Gemüse, die orangefarbene Soße. Hier fehlte gar nichts!

Aber Maxie kannte die Sprüche der Banausen.

»Ich esse nie scharf.«

»Ich mag keinen Fisch.«

»Leber? Für mich nicht.«

»Der Käse darf auf keinen Fall zu sehr herausschmecken.«

Maxies Albtraum waren die Teller, auf denen der Gast fein säuberlich trennte in die Speisen, die er aß, und jene, die er nicht aß. Dabei sollte doch eine jede Gabelportion den perfekten Löffel ergeben. Erst zusammen konnte sich das von der Köchin beabsichtigte Geschmackserlebnis einstellen. War das so schwer zu verstehen?

Manchmal überfiel Maxie die blanke Wut, wenn Geschmacksanalphabeten ihren einzigartigen Code nicht entschlüsseln konnten. Für einen Moment hielt sie in ihren Überlegungen inne: War sie Rolf Bauer derartig ähnlich geworden?

Der Lärm war ohrenbetäubend. Maxie drehte sich zur Tür. Es war so laut, dass sie Angst hatte, sie könnte die Klingel oder ein Klopfen überhören. Sie ließ den Zucker in die geschlagene Eigelbmasse rieseln. Wieder fiel ein kurzer Seitenblick zur Tür. Rolf Bauer würde nicht durch die Vordertür kommen, sondern den Weg über den Hof nehmen. Wieder ein Blick über die Schulter. Nichts. Nun gut. Sie würde ihn zuerst riechen.

Pfefferminzatem.

Wie damals.

Sie legte den Kopf in den Nacken.

Er fehlte ihr.

So vernichtend seine Kritik auch sein konnte, sein Lob wog alles auf. Er lobte nicht, um ihr zu gefallen. Er musste sie nicht umschmeicheln. Er musste sie nicht rumkriegen. Sie ging sowieso mit ihm ins Bett. Wenn er ihr Essen beurteilte, ging es nur um die Qualität. Und wer außer Rolf Bauer konnte die beurteilen? Der Bauer, der wie kein anderer die Dinge beim Namen nannte. Er ließ sich nicht von der Optik verführen, nicht von Modetrends blenden. Viel Schischi auf dem Teller ließ ihn kalt, wenn der Geschmack nicht stimmte. Es ging um das Kochhandwerk. Für Maxie war er immer noch der Verfechter der reinen Lehre.

Sie träufelte ein paar Löffel kaltes Wasser auf den Ei-Zucker-Schaum und übte sich in Geduld.

Ihre Mutter hatte ihr schon früh einen klapprigen Handrührer zwischen die kleinen Finger gedrückt. Der Eischnee muss schnittfest unter die Masse, lautete das Credo der Mutter. Mit beiden Händen musste Maxie die vibrierende Maschine umklammern. Sie hatte Angst. Der Gummiring am Boden der hohen Plastikschüssel war auf der einen Seite angeschmort. Die Schüssel kippte. Beim Versuch, sie festzuhalten, berührten ihre Fingerchen den Schlagbesen. Vor Schreck ließ Maxie alles fallen. Das Gehäuse des Rührers zersprang. Maxie beschloss zu flüchten. Sie sprang von ihrem Hocker und rannte zur Tür, während sie das kaputte Gerät und die Schimpftiraden ihrer Mutter im Rücken trafen.

Aus den Augenwinkeln sah sie Juliane, die Beine baumelnd auf der Küchenbank saß und eine Grimasse schnitt.

Mittlerweile weigerte sich Maxie, Eier zu trennen, auch wenn alle Kuchenrezepte vorschrieben, das Eiklar separat zu schlagen. Zeitverschwendung. Maxie konnte zusehen, wie die Mischung aus Ei und Zucker auch schaumig wurde, wenn man ihr nur genügend Zeit gab. Das Teigvolumen hatte fast den Schüsselrand erreicht. Maxie ließ einen Hauch von gemahlenem Safran in den weißen Schaum rieseln. Dann stellte sie die Küchenmaschine aus. Jetzt das Mehl. Sie ließ es langsam in den Teig rieseln. Augenblicklich bekam sie eine Gänsehaut. Sie mochte das knisternde Geräusch, wenn das Mehl auf den Schaum traf. Wie leise Schritte auf Pulverschnee.

»Ich bin stolz auf dich.« Ihre alte Lehrerin Sigrid Heinlein sah heute noch genauso aus wie vor zwanzig Jahren. Dunkelblaues Kostüm, Perlenkette, hochgesteckte Haare. Eine Erscheinung wie diese Ärztin aus der Fernsehsprechstunde, knochendürr und hohlwangig.

Im Deutschunterricht hatte Sigrid Heinlein Maxie das Fürchten gelehrt. In der ersten Stunde hatte sie gefragt: »Und wo kommst du her?«

»Aus Rothard«, antwortete Maxie.

Sigrid Heinlein lachte.

»Aus diesem Nest?«

»Du überraschst mich immer wieder, Maxie Kaiser. Jetzt fehlt dir also nur noch ein Stern.«

Sigrid Heinlein hatte genug Ehrgeiz für zwei. Sie freute sich, als ob Maxies Erfolg auch ihr Verdienst wäre. Dabei hatte sie Maxie nur mit lateinischen Vokabeln und Grammatik vollgestopft. Wie man im Leben seinen Platz fand, das hatte sich Maxie ganz allein erarbeiten müssen.

»Dein Konzept geht auf.«

Welches Konzept? Maxie hatte keinen Masterplan. Wer konnte sagen, was Städter suchten? Wonach sich ihre auf Allerweltskost geeichten Gaumen sehnten? Mexikanisch, Chinesisch, Mallorquinisch? Jeden Tag Sushi?

Maxie gab, was sie geben konnte: regionale Küche. Frisch, einfach und bodenständig.

Keine dinner Lounge oder food factory, nur die Rothardhöhe. Lange Fahrtwege, Funklöcher und grimmig dreinblickende Dorfbewohner: All das nahmen ihre Gäste in Kauf. Du bist, was du isst. Auf diese Weise bildete sich eine neue Geschmackselite gegenüber dem Prekariat heraus, das bereits convenience food für die Sterneküche hielt. Maxie ließ sich ihre Wortschöpfung auf der Zunge zergehen: Geschmackselite!